Gelenau im Wandel der Zeiten
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BERND BRÄUER
GELENAU
G ruß aus
Gelenau / Erzg.
IM WANDEL DER ZEITEN
1273 bis 2023
2 750 Jahre Gelenau: 1273 – 2023
Gelenau (Gäln), gelegen im romantischen
Erzgebirge zwischen den
Städten Chemnitz und Annaberg-
Buchholz, ist ein Dorf mit einer
langen spannenden Geschichte
und einer pulsierenden Gegenwart.
Die Historie reicht bis ins 12.
Jahrhundert zurück. Dichte dunkle
Fichten- und Tannenwälder
prägen damals diese unwirtliche
Natur-Landschaft. Doch im Zuge
der deutschen Ostexpansion (zirka
10. bis 13. Jahrhundert) dringen
Siedler, vor allem aus dem Rhein-
Main-Lahn-Gebiet und Thüringen,
in dieses waldreiche Land ein und
machen es durch Wald-Rodungen
urbar – eine entscheidende Voraussetzung
auch für die Entstehung
des Dorfes Gelenau (geile, fruchtbare
Aue), das 1273 urkundlich
zum ersten Mal erwähnt wird. Der
Ort schlängelt sich entlang eines
Seitentales des kleinen, kaum 18
Was war – Was ist
Über das lange Dorf Gelenau
Kilometer langen Flusses Wilisch,
der den langen, aus vielen Rieseln
gespeisten Dorfbach aufnimmt.
Gerichtsberg, Galgenberg und Kegelsberg
sind die bedeutendsten
Erhebungen des Ortes. Zumindest
die Namen Gerichtsberg und Galgenberg
lassen erahnen, was sich
hier im Mittelalter möglicherweise
ereignet hat. Heute genießt man
von diesen Höhen aus romantische
Ausblicke auf den Ort und
seine pittoreske Umgebung.
Das Dorf erstreckt sich über eine
Länge von zirka sechs Kilometern
mit einem Höhenunterschied von
250 Metern. Deshalb spricht man
häufig von Unter-Gelenau (370
Meter hoch) und Ober-Gelenau
(620 Meter hoch). Gegenwärtig leben
zirka 4 500 Menschen in dieser
malerisch gelegenen Gemeinde,
die zur Region Ober-Erzgebirge
– von Gelenau bis Oberwiesenthal
– gehört. Wirtschaftlich ist der
Ort im Verlaufe seiner Geschichte
vielfältig geprägt worden. Der
Bogen spannt sich von der Landwirtschaft
über das Handwerk
und die Strumpfwirkerei bis hin zu
Spinnereien und Strumpffabriken
im Industrie-Zeitalter. Die industriell
geprägte Landwirtschaft, das
Handwerk sowie Dienstleistungsunternehmen
dominieren heute
das wirtschaftliche Geschehen.
Zwei traditionsreiche Schulen gibt
es im Dorf: die Pestalozzi-Grundschule
und die Freie Schule Erzgebirgsblick,
eine Ganztagsschule.
Kulturell bietet Gelenau seinen
Bewohnern oder Besuchern vielfältige
Kultur- und Sportmöglichkeiten.
Dazu zählen beispielsweise
ein attraktives Erlebnis-Schwimmbad,
Sportplätze und -hallen, ein
Blick auf Unter-Gelenau bei sinkender Sonne
750 Jahre Gelenau: 1273 – 2023 3
fast 30 Meter hoher Aussichtsturm,
Wanderwege, ein Strumpf-Museum,
eine öffentliche Bibliothek,
ein Club-Kino und Wintersport-
Möglichkeiten.
Eine besondere Sehenswürdigkeit
des Ortes ist die evangelisch-lutherische
Dorfkirche aus dem 16.
Jahrhundert, die am Fuße des Gerichtsberges
steht und weit sichtbar
über dem Dorf thront.
Eingebettet ist das Dorf in eine zu
jeder Jahreszeit malerische Erzgebirgslandschaft
mit ihren Bergen
und Tälern, ihren Wäldern, Wiesen
und Feldern.
Dorfkirche in Gelenau vom Luginsland geschaut
Vom Galgenberg nach Ober-Gelenau geblickt
Impressum
Texte und Photos: Dr. Bernd Bräuer, Gelenau
Gesamtherstellung: Druckerei Gebrüder Schütze GbR, Wolkenstein, www.druckerei-schuetze.de
G ruß aus
Gelenau / Erzg.
Sämtliche Beiträge dieser Textsammlung sind im Monats-Amtsblatt Gelenau
im Zeitraum Dezember 2020 bis Dezember 2022 erstmalig erschienen.
4 750 Jahre Gelenau: 1273 – 2023
Gelenau ist ja älter als 750 Jahre!
Urkundlich zwar erstmals im
Jahr 1273 erwähnt, was aber voraussetzt,
dass die Geschichte des
Dorfes früher, möglicherweise viel
früher beginnt – so ein profunder
Kenner in einem wein-heiteren
Gespräch über die Geschichte der
Dörfer und Städte im Erzgebirge.
Nicht wenige solide historische Untersuchungen
belegen, so der Historiker,
dass die deutsche bäuerliche
Kolonisation oder die deutsche
Ostexpansion im Westerzgebirge
bereits Anfang beziehungsweise
Mitte des 12. Jahrhunderts vorankommt.
Dies ist zumindest als ein
weiterer Hinweis zu deuten, dass
die Geburtsstunde Gelenaus vielleicht
zirka hundert Jahre früher
in diesem historischen Umfeld zu
datieren ist. Dennoch: Eine gesicherte,
belegbare historische Stütze
dafür existiert nicht, so weiter
im Gespräch, das sich nun zu einer
höchst angeregten Diskussion auf
die für Europa, für Deutschland
geschichtsträchtige Zeit des 12.
und 13. Jahrhunderts entfaltet –
auch mit Bezug auf das Jahr 1273.
Was ist nicht alles zur Sprache gekommen
im geistigen Spaziergang
durch die Geschichte dieser beiden
Jahrhunderte! Einiges sei benannt:
DAS JAHR 1273
Über das 12. und 13. Jahrhundert
Goethe, nachlesbar in seinem
Werk Dichtung und Wahrheit, eine
besondere Zeit in der Entwicklung
des Reiches. Friedrich II., der allmächtige
Kaiser – Enkel Friedrich
Barbarossas, dessen Denkmal im
Kyffhäuser steht – stirbt 1250. Große
Verwirrungen, wie Goethe diese
Zeit der Mehrkönigsherrschaft
nach Friedrich II. beschreibt, folgen
darauf. Das Interregnum (Zwischenzeit)
wird erst im Jahr 1273
beendet – durch die Wahl Rudolf
von Habsburg (Rudolf I.) zum römisch-deutschen
König.
Die Markgrafschaft Meißen. Das
mächtige Fürstentum, gegründet
im Jahr 965 und existent bis ins
Jahr 1423, ist für die politische,
wirtschaftliche und kulturelle Entwicklung
des Erzgebirges durchaus
bedeutsam, da die Markgrafen aus
dem Geschlecht der Wettiner (seit
dem Jahre 1098) durch ihre geschickte
expansive Machtpolitik
Das Reich. Das Gebiet des heutigen
Erzgebirges gehört in dieser
Zeit zum Heiligen Römischen
Reich (Sacrum Romanum Imperium,
seit 1157 so bezeichnet), das
vom Jahre 800, beginnend mit der
Kaiserkrönung Karls des Großen,
bis zum Jahre 1806, endend mittels
Niederlegung der Kaiserkrone
durch Kaiser Franz II., existiert.
Dessen Geschichte ist durch die
Jahrhunderte nicht nur machtpolitisch
voll von Wandlungen, voll
von dramatischen Ereignissen.
So auch im 13. Jahrhundert – für
Das Leben des Volkes. Spätmittelalter, Buchmalerei, Rheinisches Landesmuseum
750 Jahre Gelenau: 1273 – 2023 5
Dorfleben. Monatsbild März, Österreichische Nationalbibliothek
ihre Herrschaft bereits im 12. Jahrhundert
bis in Gebiete des Erzgebirges
auszudehnen vermochten.
Glaubt man den Quellen: durch
Waldrodungen, durch die Ansiedlung
von Bauern, durch deren Ausstattung
möglicherweise mit Land,
Saatgetreide, Tieren und Lebensmitteln
(Karlheinz Blaschke). Dass
das Adelsgeschlecht der Wettiner
in den nachfolgenden Jahrhunderten
die Geschichte und Geschicke
Sachsens, des Erzgebirges wesentlich
prägen beziehungsweise lenken
wird, dies ist eine andere Erzählung.
Die Klöster. Das Zisterzienserkloster
in Grünhain (1232 / 1233
bis 1536) und das Benediktinerkloster
in Chemnitz (um 1136 bis
1539 / 1540) sind für die religiöse,
siedlungs- und baugeschichtliche,
aber auch wirtschaftliche und
kulturelle Entwicklung im Westerzgebirge,
durchaus auch wohl
für Gelenau, von nicht zu überschätzender
Bedeutung. Ein unerschöpfliches,
nicht abgeschlossenes
Thema. Zahlreiche, dazu
geführte historische Untersuchungen
in Vergangenheit (Emil Herzog,
Hermann Gustav Hasse) und
Gegenwart (Uwe Fiedler, Stefan
Thiele) belegen dies. Nicht nur für
Geschichtsfreunde eine (detail-)
reiche Bildungs- und Aufklärungslektüre.
Das bezieht sich auch auf
jene, im Kloster Grünhain einst
aufbewahrte Urkunde von 1273, in
der Gelenau erstmals nachweislich
erwähnt wird und die letztendlich
als Geburtsurkunde unseres Dorfes
angesehen wird.
Das Jahr 1273 ist übrigens für das
Kloster Grünhain ein besonderes
Jahr in seiner Machtentfaltung, erreicht
durch umfangreiche Dorfund
Landerwerbungen, erhalten
durch Lehen und Schenkungen,
was einst urkundlich umfassend
dokumentiert worden ist (Emil
Herzog). Die meisten dieser Urkunden
gelten durch die Auflösung
des Klosters im Verlaufe des Jahres
1536 zwar als verschollen, aber es
gibt noch immer Stimmen, die annehmen,
dass das Kloster-Archiv
einst von einigen treuen Zisterzienser-Mönchen
ins Kloster Ossegg
(Böhmen), wohin sie flüchteten,
mitgenommen worden sei. Beflügelt
durch das Auffinden von einigen
Originalurkunden des Klosters
im Jahr 1894, was allerdings nun
auch bereits weit über hundert
Jahre zurückliegt. Mal sehen …
Eine Tagesreise in die einstige
Klosteranlage Grünhain, keine Autostunde
von Gelenau entfernt,
wo die fast ein Kilometer lange
imposante Umfassungsmauer des
Klosters, das einzig noch erhaltene
Kloster-Gebäude Fuchsturm sowie
Ausgrabungen etc. zu besichtigen
sind, lohnt sich auf jeden Fall. Allerdings:
Betenden und arbeitenden
Mönchen begegnet man da
(leider) nicht mehr …
Mönchs-Mahl, Detail, Sodoma
Spurensuche: Das einzig noch erhaltene Kloster-Gebäude in der Klosteranlage Grünhain
6 750 Jahre Gelenau: 1273 – 2023
Weitsichten, Wanderungen, Wälder, Wiesen
Vom Sommer in Gelenau
Die Boten des Sommers haben
auch in Gelenau ihre Gelb- und
Ocker-Töne, die Farben des Reifens
und der Reife, in die saftig
grüne Landschaft hineingemalt.
Es sind vor allem die wogenden,
reifenden Getreidefelder, wie
Weizen, Roggen und Gerste, die
eindringlich darauf hinweisen und
belegen, dass nun der Frühling
vergangen ist und der Sommer
das Zepter führt. Zwar werden die
Tage nach der Sommer-Sonnen-
Wende (21. Juni) nicht mehr länger,
aber bis weit in den August hinein
liegt bis kurz vor Mitternacht
noch eine romantische Sommer-
Helle über den bewaldeten Höhen
des Kegelsberges. Nicht selten
bringt der Sommer kühle, verregnete
Tage, aber dann auch wieder
eine schwüle Wärme mit kräftigen,
reinigenden Gewittern über das
Land. Nach solch einem Tages-Gewitter
oder auch an einem lichten
frühen Abend mit weitem Himmel
sollte man (wieder einmal) hinauf
auf die Gelenauer Höhen steigen.
Belohnt wird ein Jeder durch beeindruckende
Fernsichten: wie
beispielsweise zu Pöhlberg (831
Meter hoch), Bärenstein (898 Meter
hoch) und Fichtelberg (1215
Meter hoch) oder zur Krone des
Erzgebirges, der berühmten Augustusburg
mit ihren prägnanten
Türmen – sie steht majestätisch
auf dem 516 Meter hohen Schellenberg
und ist 1568 bis 1572 als
Jagdschloss des sächsischen Kurfürsten
August (1526 bis 1586) erbaut.
Im Blick nicht weniger Menschen
gehören Erzgebirge und dichte
Fichtenwälder, trotz der großen
Wald-Rodungen seit dem Mittelalter
und einer anhaltenden Urbanisierung,
ja noch immer zusammen.
Das gilt augenscheinlich auch für
unser Dorf, das wohltuend von
Fichten- und Mischwäldern umgeben
ist. Spaziergänger und
Wanderer wissen dies im Sommer
wegen der Frische, der Kühle, die
hier auch an warmen oder heißen
Sommertagen herrscht, besonders
zu schätzen. Auch die vielen kleinen
Wäldchen um das Dorf, die
immer wieder rasch durch Felder
und Wiesen unterbrochen werden,
sind für den Wanderer besonders
reizvoll. Eröffnen sich doch
dadurch nicht selten überraschende
Aussichten auf Gelenau, auf
benachbarte Dörfer und Orte, auf
die Silhouette des Erzgebirgskammes
in der Ferne, auf eine einsam
stehende mächtige Fichte oder ur-
Über Wälder und Wiesen zum Pöhlberg in der Ferne geschaut
750 Jahre Gelenau: 1273 – 2023 7
Früh-Sommer – vom Osten nach Gelenau geschaut
alte Eiche, auf grasende Kühe und
Schafe oder auf eine faszinierende
Wolkenlandschaft vor einem heraufziehenden
Gewitter, vor dem
der überraschte Wanderer vielleicht
in der Hütte des Gelenauer
Ornithologenvereins, de Vugelbuud
genannt, Schutz findet – sie
steht auf festem Grund in einem
Wäldchen im Norden von Gelenau,
unweit des Kemtauer Felsens.
Besonders reizvoll ist eine Fußreise,
die von der Gelenauer Eisenstraße
Richtung Westen durch
den Abt-Wald führt, vorbei am berühmten
Tischel, einst Jagd-Rastplatz
des Abtes und der Mönche
vom Benediktiner-Kloster Chemnitz,
dem Ort Gornsdorf entgegen,
wo der Wanderer, erstaunt
und überrascht zugleich, mitten
im Wald eine an Johann Wolfgang
von Goethe (1749 bis 1832) und
den Dichter und Sänger des Erzgebirges,
Anton Günther (1876 bis
1937) erinnernde, liebevoll gestaltete
Natur-Gedenkstätte findet.
Hier tafelnd und bechernd zu verweilen,
dazu vielleicht ein Goethe-
Gedicht aufsagend oder ein Lied
von Anton Günther singend, krönt
diese sommerliche Spazierreise.
Zahlreiche, erlebnisreiche Fuß-
Reisen können von Gelenau aus in
die nahen Fernen unternommen
werden. Vielleicht der Wilisch und
dann der Zschopau stromabwärts
folgend bis zum Schloss Wildeck
in der Stadt Zschopau oder der
Zschopau stromaufwärts entlang
wandern bis zur Burg Scharfenstein,
die auf einem Bergsporn hoch
über der mal rauschend, mal ruhig
dahin fließenden Zschopau thront
– so wie dies einst der berühmte
Dresdner Landschafts-Maler Ludwig
Richter (1803 bis 1884) freudvoll
unternommen haben soll.
Wanderung von Gelenau zur Burg Scharfenstein
8 750 Jahre Gelenau: 1273 – 2023
1816 – Das Jahr ohne Sommer
Schicksalsjahr auch in GELENAU
1816. Die Menschen nicht nur im
Erzgebirge, in Gelenau, hoffen auf
ein gutes, ein frohes und vor allem
wohl auf ein ertragreiches Erntejahr.
Dies um so mehr, sind doch
endlich die großen europäischen
Kriege, die auch Deutschland seit
1792 erschüttern, im Jahre 1815
beendet – nicht zuletzt durch die
Wiener Friedensverhandlungen,
den Wiener Kongress von 1814 bis
1815 (Wiener Kongressakte und
Deutsche Bundesakte von 1815).
Goldene Zeiten scheinen endlich
in Sicht zu sein! Doch nichts
von all den großen menschlichen
Hoffnungen und Erwartungen
wird sich 1816 und in den darauffolgenden
Jahren erfüllen …
Wegen neuer, noch verheerenderer
Kriege? Nein! Eine weltweite
Klima-Katastrophe unermesslicher
zerstörerischer Ausmaße für Natur
und Mensch ist ausgebrochen …
1815. April. Gewaltiger, ja epochaler
Vulkanausbruch des zirka 4200
Meter hohen Berges Tambora, gelegen
auf der indonesischen Insel
Sumbawa, der später als einer der
gewaltigsten in der Menschheitsgeschichte
eingestuft wird. Die damit
einhergehenden Explosionen
sind, laut Beleg durch Zeitzeugen,
über Tausende von Kilometern
weit zu hören. Die riesige Explosionswolke
(Asche, Aerosole, Gase
etc.) reicht bis in eine Höhe von
43, manche Quellen sprechen von
45 Kilometern. Begründete Schätzungen
gehen davon aus, dass bei
dieser Eruption zirka 150 Kubikkilometer
vulkanisches Material ausgestoßen
werden. Höhenwinde
verteilen die Gas- und Schwebepartikel
weltweit. Die Aerosole
vermindern die Sonneneinstrahlung
und führen rasch zu einer
globalen Abkühlung (Wolfgang
Behringer). Die Klima-Katastrophe
nimmt ihren Lauf rund um den
Erdball … Mit unterschiedlichen
Wirkungen in den Regionen der
Welt. Solide wissenschaftliche
Untersuchungen belegen dies inzwischen
anschaulich. Auch für
Europa und Deutschland. In dem
heutigen mitteldeutschen Raum
mit Erzgebirge und Thüringen zeigen
sich die ersten Auswirkungen
möglicherweise bereits Ende des
Jahres 1815 in einem für diese Mittelgebirge
außerordentlich extrem
kalten, langanhaltenden Winter
mit Schneechaos, Stürmen, Gewittern.
Prachtvoll. Geheimnisvoll. Frau vor der untergehenden Sonne, Gemälde von Caspar David Friedrich, 1816, 1817
750 Jahre Gelenau: 1273 – 2023 9
William Turner, Vesuv in Eruption,
1817
Frühjahr und Sommer 1816 wollen
nicht kommen: Kälte, Kühle,
Regenstürme, Dauerregen, Überschwemmungen,
Hagel, der Himmel
meist grau verhangen, schwere
Gewitter, Dunst- und Nebelschleier
immer fort, selten ein klarer,
warmer Sonnentag, frühe Fröste,
früher Winter … Deshalb: Das
Jahr ohne Sommer 1816. Kaum
Reifung von Getreide, Kartoffeln
und Obst. Mißernten. Kein Heu.
Kaum oder keine Futtermittel für
die Tiere. Kaum Saatgut. Krankheiten.
Teuerungen. Hungersnot
in unvorstellbarem Ausmaß, besonders
im Erzgebirge; besonders
auch im Dorf Gelenau. Und 1817:
Das Hunger-Jahr. Und: 1818 bis
1820 turbulente Folgejahre.
Nicht nur im Erzgebirge suchen
die Menschen sich diese folgenschweren
Natur-Ereignisse, die sie
in Angst und Schrecken versetzen,
zu erklären. Nicht wenige halten es
wohl für die Rache des zürnenden
Gottes an der menschlichen Verderbtheit.
Man wird gebetet und
gefleht, aber auch den Propheten
des angekündigten Weltuntergangs,
der drohenden Apokalypse,
Glauben geschenkt haben.
Möglicherweise wird sich sogar
die Botschaft vom bevorstehenden
Weltuntergang am 18. Juli 1816 bis
in die Dörfer des Erzgebirges verbreitet
haben. Die tatsächliche Ursache
für dieses zerstörerische Naturereignis
mit den verheerenden
sozialen Auswirkungen bleibt den
Zeitgenossen verborgen. Erst zu
Beginn des 20. Jahrhunderts wird
dieser Zusammenhang durch umfangreiche
Forschungen hergestellt
und bewiesen.
Bleibt abschließend zu erwähnen,
dass die Klimakatastrophe vielfältige
Wirkungen auf Literatur und
Kunst bereits der Zeitgenossen
hat; große Kunstwerke werden geschaffen.
Für die Literatur stehen
unter anderem Lord Byron (1788
bis 1824) mit seinem Gedicht Fins-
ternis und Mary Shelleys (1797
bis 1851) Weltruhm erlangender
Schauer-Roman Frankenstein; für
die Malerei William Turner (1775
bis 1851) und Caspar David Friedrich
(1774 bis 1840) unter anderem
mit Frau vor der untergehenden
Sonne. Die Naturkatastrophe
Ich hatte einen Traum, der keiner war.
Die Sonne war erloschen, und die Sterne,
verdunkelt, schweiften weglos durch den Raum,
kein Mond, die Erde schwang im Äther, blind
und eisig sich verfinsternd …
Aus: Finsternis, 1816, Lord Byron
erzeugt diese eigenartig rötlichorangenen,
prachtvoll leuchtenden
und geheimnisvollen Sonnenauf-
und -untergänge, was der
Künstler in seinem Gemälde, beruhend
auf eigenen Anschauungen,
großartig einfängt und der Nachwelt
eindrucksvoll dokumentiert.
Mehr dazu:
Wolfgang Behringer, Tambora und das Jahr
ohne Sommer. Wie ein Vulkan die Welt in
die Krise stürzte. 2016.
10 750 Jahre Gelenau: 1273 – 2023
Wochenende in GELENAU
Impressionen. Unterwegs in Gelenau
und Umgebung. Besichtigungen,
Erkundungen. Für ein
Wochenende mit interessierten
Besuchern aus dem kleinen, flachen
dänischen Ort Maarslet
(zirka fünftausend Einwohner, befreundet
mit Bürgern in Gelenaus
Partnerstadt Skørping,), gelegen
nahe Aarhus, der zweitgrößten
Stadt Dänemarks.
Freitag
Unseren Tag beginnen wir im romantisch
gelegenen, altehrwürdigen
Waldhof (Gaststätte, Pension).
Der gehört zwar zur Gemeinde
Drebach, aber in gewisser Weise
auch zu Gelenau. Er ist ein Kleinod
durch Lage, Architektur, Ausgestaltung
und Gastlichkeit. Einst
hat auf diesem Grundstück ein
Kalkwerk gestanden. Dies wird
1908 stillgelegt; das Gelände 1928
verkauft und der Waldhof errichtet.
Von hier aus schlendern wir
zur nahe gelegenen Wilisch, besichtigen
eine der schönsten filigranen
Steinbogenbrücken über
dieses Flüsschen und blicken von
der Auenlandschaft nach Gelenau
mit der Baumwollspinnerei,
in vergangenen Zeiten ein prächtiger
Industriebau. Auf dem Gehund
Rad-Weg, einst die Fahrtrasse
der Schmalspurbahn Wilischthal
– Thum, wandern wir bis zu deren
einstigen Bahnhof in Unter-
Gelenau. Einem kurzen, sehr
prägnanten Bericht über diese
Schmalspurbahn, deren Anfang
1885 und letzte Fahrt im Mai
1972, deren Aufgaben, Arbeitsweise
und Gestaltung, wird aufmerksam
gelauscht, so Manches
nachgefragt. Eine kleine Schautafel
mit Text und Foto erinnert
an dieses einzigartige historische
Geschehen.
Wie sehr Gelenau ein Dorf im Erzgebirge
ist, erleben die Dänen nun
beim steilen Aufstieg zu Fuß vom
Tal auf die Höhe im Norden des
Dorfes – belohnt mit einer malerischen
Weitsicht über Wälder, Wiesen
und Felder bis zum Pöhlberg.
Dort hin geht’s am frühen Abend
zum Tafeln im Berggasthaus –
nicht ohne vorher den Blick über
die Bergstadt Annaberg-Buchholz
schweifen zu lassen.
Samstag
Ein unterhaltsamer, durchaus lehrreicher
Spaziergang durch Gelenau
ist unser Tages-Auftakt – der
Dorfbach und die einstigen Mühlen,
die er antrieb; das sehenswerte
Rathaus und dessen Geschichte
als früheres Rittergut; meisterhafte
Schiefer- und Fachwerk-Häuser,
das (rote) Volkshaus, die Entstehung
des Dorfes und seine lange,
Idyllisch gelegener Waldhof – historische Postkarte
750 Jahre Gelenau: 1273 – 2023 11
Kaum sind wir an der majestätischen
Dorfkirche aus dem 16.
Jahrhundert angekommen, wird
die kleine Gesellschaft, als wäre es
verabredet, durch Glockengeläut
begrüßt. Im Kircheninneren werden
sogleich die künstlerischen Arwechselvolle
Historie … Schon
bald ist das Ziel, der Gelenauer
Aussichtsturm, erreicht. Über
zahlreiche Stufen geht’s hinauf
auf das Plateau. Die Aussicht auf
das Dorf und die nahe und weite
Erzgebirgs-Landschaft mit dem
Drei-Berges-Blick wird lange entzückt
bestaunt. Herabgestiegen
vom Turm erwartet uns ein Mahl
im Freien. Sofort dreht sich das
Gespräch um die Entstehung des
Erzgebirges, seinen Bergbau, seine
dunklen Fichten- und Tannenwälder,
die Liebe, nicht nur der Erzgebirgler,
zu Wald und Waldeinsamkeit
– für nicht wenige Dichter und
Künstler einst und jetzt eine reiche
Inspiration.
Der Tag geht dahin mit einer ausgedehnten,
vergnügten Wald-, Bergund
Tal-Wanderung; er endet mit
einem literarisch-heiteren Abend
über den bedeutendsten spätromantischen
deutschen Dichter
Joseph von Eichendorff (1788 bis
1857), den man auch den Sänger
des Waldes, der Waldeinsamkeit
nennt: O Täler weit, O Höhen, O
schöner grüner Wald/ … und dem
das Erzgebirge wohl nicht unbekannt
war.
Sonntag
Dorfkirche und die Besteigung
des Gerichtsberges sind die Besichtigungs-
und Wanderziele an
diesem Tag. Entlang des Erich-
Weinert-Weges, benannt nach
dem deutschen Schriftsteller Erich
Weinert (1890 bis 1953), der 1928
den Bund proletarisch-revolutionärer
Schriftsteller mitbegründet.
1935 emigriert er aus Deutschland
in die Sowjetunion und steigt 1943
in Moskau zum Präsidenten des
Nationalkomitees Freies Deutschland
auf. Weinert kehrt 1946 nach
Deutschland, in die Sowjetische
Besatzungszone zurück und ist
hier für Kunst und Literatur zuständig.
Zwar ist der Schriftsteller Weinert
in Deutschland heute nahezu
Dorfkirche und Pfarrhaus im Frühlingszauber
vergessen; lesenswert ist allerdings
noch immer sein Erinnerungsbuch
an Heinrich Vogeler, dem vielseitigen
Künstler, dem Mitbegründer
der berühmten Künstlerkolonie
Worpswede.
beiten von Andreas Lorentz, dem
bedeutenden Freiberger Künstler
(1530 bis 1583), besichtigt, als
großartig begutachtet. Beim sich
anschließenden Rundgang auf
dem Kirchhof weckt ein Grabmal
bei den dänischen Gästen besondere
Aufmerksamkeit; wegen der
Statue: Christus (auch Christus der
Tröster), geschaffen vom weltberühmten
dänischen Bildhauer Bertel
Thorvaldsen (1770 bis 1844).
Das Original aus Marmor steht in
der Frauenkirche von Kopenhagen,
Kopien davon sind weltweit
verbreitet.
Zu Fuß steigen wir, bei sinkender
Sonne, hoch zum Gerichtsberg,
von wo aus sich ein pittoresker
Blick auf Gelenau und seine reizvolle
Kultur-Landschaft eröffnet.
Und: In der Ferne, im rötlichen
Abendlicht, leuchtet und grüßt
wie zum Abschied die Augustusburg
…
Erich Weinert – Mitbegründer des Bundes
proletarisch-revolutionärer Schriftsteller
1928, discogs.com Blick zur Augustusburg
12 750 Jahre Gelenau: 1273 – 2023
Wohl kaum der Rede wert, die
Wilisch in Gäln – ab und an kann
man das auch von Ortsansässigen
hören. Das scheint auch auf dem
ersten Blick so zu stimmen. Fließt
dieser Fluss doch unscheinbar nur
auf einer kurzen Strecke durch
Unter-Gelenau. Kein Flößer, kein
Schiff, kein Schwimmer wurden
je hier gesehen. Trotzdem gehört
die Wilisch als Wahrzeichen zu
unserem Dorf. Zahlreich sind die
Gründe dafür. Drei davon seien
angedeutet. Da ist zum einen der
geschichtliche Bezug. Von Anbeginn
jeder menschlichen Zivilisation
haben die Menschen meistens
dort gesiedelt, wo es Wasser
Wer kennt sie schon
die Wilisch in Gelenau?
in Gestalt von Bächen und Flüssen
gibt. Zuallererst aus lebensnotwendigen,
lebenssichernden
Gründen. Deshalb verwundert
es nicht, dass entlang der Wilisch
Menschen im Zuge der deutschen
Ostexpansion (zirka 10. bis
13. Jahrhundert) das waldreiche,
unwirtliche Land roden, sesshaft
werden und so Hufen-Dörfer entstehen,
die heute auf eine lange
Geschichte zurückschauen. So
eben auch Gelenau, das sich in einem
Seitental der Wilisch entlang
schlängelt. Mit seinem Dorfbach,
seinem Mittel-Gebirgsbach, der
sich aus Quellen und Rieseln der
unmittelbaren Umgebung speist
und bei starkem, anhaltendem
Regen oder bei rascher Schneeschmelze
durchaus bedrohlich
ansteigen kann. So 1882 durch
einen Wolkenbruch. Straßen und
Wege sind sofort überflutet. Häuser
werden beschädigt. Menschen
kommen in den Fluten zu Tode –
ein Denkmal im Dorf erinnert daran.
Solche Gefahren gehen heute
wohl vom Gelenauer Dorfbach,
vor allem wegen der getroffenen
Hochwasser-Schutzmaßnahmen,
nicht mehr aus. Doch schwere Gewitter,
sintflutartiger Regen, Wolkenbrüche
sind nie auszuschließen
und können selbst einen Dorfbach
rasch in ein reißendes Gewässer
Die Wilisch fließt durch eine schöne kleine Steinbogenbrücke, unweit von Gelenau
750 Jahre Gelenau: 1273 – 2023 13
weg bis zum Gerichtsberg, dem
höchsten Berg des Dorfes. Und für
all jene unter uns, die an Kulturgeschichte
interessiert sind, ist ein
Wandern und Spazieren entlang
der Wilisch noch immer auch eine
spannende und lehrreiche Entdeckungsreise
in das Leben und Tun
der Menschen an der Wilisch, in
ihre Geschichte und Kultur – einst
und jetzt.
Über die Wilisch
beeindruckendes Natur-Erlebnis
durch eine malerische und abwechslungsreiche
Flusslandschaft,
die in Harmonie mit schmalen
und manchmal weiten Tälern,
steil aufsteigenden Höhen und
felsigen, bewaldeten Bergen steht.
Der Fluss, kaum dass er an den
letzten Häusern von Gelenau vorbei
geflossen ist, erreicht hier sein
weitestes Tal mit einer breiten und
idyllischen Auen-Landschaft. Verweilt
man hier, schaut zurück in
Richtung Gelenau, eröffnet sich
ein pittoresker Weitblick über die
einstige Baumwollspinnerei hin-
Die mäandernde Wilisch im Winter
verwandeln. So geschehen im Juli
2009. Der Bach mäandert durch
den langen Ort und fließt in Unter-Gelenau
in die Wilisch hinein.
Zum anderen ist die Wilisch einst
ein Wirtschaftsfaktor ersten Ranges
gewesen. Die Wasserkraft nutzend
haben am Fluss prachtvolle
Mühlen gestanden und gearbeitet,
um die sich übrigens nicht wenige
spannende, mündlich überlieferte
Legenden ranken. Spuren von
Kalköfen belegen, dass in Flussnähe
einst Kalkstein gewonnen und
gebrannt worden ist. Vor allem im
Zuge der Industriealisierung vom
19. zum 20. Jahrhundert entstehen
an der Wilisch große Fabriken der
Textil- und Papierbranche – nicht
zuletzt zeugt davon der mächtige
Industriebau der einstigen Baumwollspinnerei
(1906 erbaut) an der
Wilisch in Gelenau.
Die Wilisch entspringt im Greifensteingebiet,
oberhalb des Ortes
Ehrenfriedersdorf; sie ist weder
breit noch tief. Sie vereinigt sich
mit dem Jahnsbach vor dem Ort
Herold und windet sich in zahlreichen
Bögen durch sehenswerte
Erzgebirgsorte, wie Herold und
Gelenau. Sie durchfließt reizvolle
kleine und größere Steinbogenbrücken.
Neben Fichten stehen und
wachsen an der Wilisch hohe alte
Laubbäume – vor allem Buchen,
Eichen, Birken, Linden und Ahorn.
Vom Quellgebiet bis zur Mündung
beträgt das Längsgefälle des Flusses
zirka 310 Meter. Nach knapp
18 Kilometern mündet die Wilisch,
mal plätschernd, mal brausend, in
die Zschopau bei Wilischthal.
Heutzutage haben sich die Wege
entlang der Wilisch herausgeputzt
für Wanderer und Radfahrer – vor
allem dort, wo einst die Schmalspurbahn
(1886 bis 1972) unmittelbar
am Fluss entlang schnaufend
fuhr und nützliche Dienste
verrichtete. Eine Spazierreise an
der Wilisch entlang, zu Fuß oder
per Rad, ist zu jeder Jahreszeit ein
Einst mächtige Baumwollspinnerei an der Wilisch
14 750 Jahre Gelenau: 1273 – 2023
Wer möchte nicht wissen, wie in
der langen Geschichte von Gelenau
unsere Altvorderen gearbeitet
und gelebt haben? Wie sah das
Dorf über die Jahrhunderte aus?
Wie hat es sich entwickelt, wie
verändert? Durch die großen geschichtlichen
Ereignisse im Lauf
der Zeit, durch die hier lebenden
und tätigen Menschen.
Gelenau, Koenig-Albert-Heim-Postkarte, 1912
Gelenau um 1856
… ist überhaupt ein sehr armer Ort
Für unser Dorf in der Mitte des 19.
Jahrhunderts gibt ein prägnanter
Text dazu recht anschaulich Auskunft.
Zu finden ist dieser im Album
der Rittergüter und Schlösser
im Königreiche Sachsen von 1856,
der nachfolgend, leicht gekürzt, in
Original-Schreibweise, wiedergegeben
wird.
Gelenau, ein ¾ Meilen langer Flecken,
reicht vom linken Wilzschufer
bis zur Annaberg-Leipziger-Strasse
hinauf … Ein Theil dieses Dorfes
sammt dem sonst amtssässigen Rittergute
stand ehedem unter dem
Amte Wolkenstein; ein stärkerer
von 5 Bauern, 12 Halbhüfnern, 10
Gärtnern, 43 Häuslern und einer
Mühle mit 2 Gängen gehörte unmittelbar
unter das frühere Amt
Augustusburg, wiewohl es von
demselben sehr entfernt liegt. Erst
am 31. Oktober 1796, wo das Rittergut
zu Gelenau die Schriftsässigkeit
erlangte, kam es an das Amt
Wolkenstein.
Jetzt gehört Gelenau mit Thum
und Jahnsbach zum Gerichtsamt
Ehrenfriedersdorf, zum Bezirksgericht
Annaberg … Gelenau hat 331
bewohnte Gebäude, 969 Familienhaushaltungen
und 4682 Einwohner.
Fast alle Einwohner des Dorfes
nähren sich von Klöppeln weisser
Spitzen. Die zahlreichen Maurer
und Zimmerleute gehen im Frühjahre
meist in die Ferne, besonders
nach Berlin, im Winter kehren sie
heim und helfen klöppeln. Ausserdem
wird hier viel Flachs erbaut
und bedeutend ist hier der Korn-,
Bretter- und Butterhandel.
Unter den bewohnten Gebäuden
befindet sich hier ein Lehn-Gut, 2
Gasthöfe, viele Schenken, 5 Mühlen,
mehrere Sägen, Zeuch-, Garten-
und Zwirnbleichen, 1 Unterförsterei.
Das gethürmte hiesige Schloss (Rittergut,
Anm. d. Red.) ist von alter
Bauart und die Entstehung desselben
in die graue Vorzeit zu versetzen.
Herzog Albrecht der Beherzte
(1443 bis 1500, Anm. d. Red.) verkaufte
es 1499 mit allen Rechten
nebst Thum an seinen Rath Heinrich
von Schönberg, dem Älteren
zu Stollberg, dessen Nachkommen
bis auf die neuesten Zeiten im Besitze
derselben geblieben sind. Der
jetzige Besitzer ist Herr Aug. Casp.
Ferd. von Schönberg auf Thammenhain,
Gelenauer und Purschensteiner
Linie …
Als Parochie bestand Gelenau vor
und über 100 Jahre nach der Reformation
aus dem Kirchendorfe
selbst, dem Filial Weissbach mit
dem oberen Theile von Dittersdorf.
Unter-Gelenau, Zeitalter der Industrialisierung Mitte des 20. Jahrhunderts
750 Jahre Gelenau: 1273 – 2023 15
Gelenau, Kirche und Schule, kolorierte Postkarte
Im Jahre 1673 ward aber Weissbach
eine besondere Parochie und
erhielt 1680 das Filial Dittersdorf
…
Die Kirche, deren Erbauungszeit
nicht zu ermitteln ist, wurde 1580
verlängert und verschönert … Der
Thurm ist ausgebaut. Im Jahre 1666
wurde derselbe vom Blitz getroffen,
wodurch eine Reparatur sich nöthig
machte. Im Jahre 1763 musste man
statt der verfaulten Säulen an der
Nordseite neue einsetzen, und bei
diesem Baue mag der Thurm seine
jetzige schiefe nach der Pfarrwohnung
sich neigende Richtung erhalten
haben.
Im Innern der Kirche befindet sich
ein schönes steinernes Epitaphium,
das dem gedachten Joachim
von Schönberg von seinen Söhnen
errichtet worden ist … Hans Dietrich
von Schönberg beschenkte im
18. Jahrhundert die Kirche mit einer
neuen Orgel, einem Altar und
Beichtstuhl in prächtiger Bildhauerarbeit.
…
Die Schicksale Gelenaus betreffend,
hat der Ort im 30 jährigen
Kriege (1618 bis 1648, Anm. d.
Red.) viele Drangsale aushalten
müssen, so wie die Notjahre von
1816 (das Jahr ohne Sommer, Anm.
d. Red.) und 1817 ihre Opfer forderten.
Gelenau ist überhaupt ein
sehr armer Ort und nur die erzgebirgische
Genügsamkeit ist vermögend,
gegen solche Noth und Ausdauer
anzukämpfen.
Rühmend muss es aber auch anerkannt
werden, dass die Gerichtsherren
von Schönberg zu jeder
Zeit darauf bedacht waren, Noth
und Elend zu mildern und Hülfe zu
schaffen …
Einstiger Gasthof in Ober-Gelenau, historische Postkarte
Leicht gekürzt aus: Album der Rittergüter
und Schlösser im Königreiche Sachsen,
Hrsg., Gustav Adolf Poenicke, IV: Erzgebirgischer
Kreis, Leipzig 1856, S. 116 f.
16 750 Jahre Gelenau: 1273 – 2023
Über Goethes Reisen durch das Erzgebirge
Auch durch Gelenau in der Kutsche?
Goethe. Was für ein Reisender!
Was für ein Wanderer! Zu Fuß, zu
Pferde, mit der Kutsche, mit dem
Schlitten, auf dem Schiff! Von
Frankfurt am Main nach Weimar
1775, auf Einladung des jungen
Herzogs Carl August von Sachsen-
Weimar-Erfurt, in dessen Landauer.
(Goethe bleibt bis März 1832.)
Auf dem Pferd durch Thüringen,
durch den Harz, allein oder in
Begleitung. Die großen Reisen in
der Kutsche. Schweiz, Frankreich,
Italien … Zur Erfüllung seiner vielfältigen
Ministerpflichten; zur Erkundung
von Landschaften und
Leuten; zum Schreiben und Dichten;
zum Besuch von Berühmtheiten
seiner Zeit; nicht zuletzt aus
Liebe und zur Gesundung. Goethe
hat vieles davon in seinen Tagebüchern
und Briefen festgehalten, in
seinen Werken, wie beispielsweise
Harzreise im Winter oder Italienische
Reise, dichterisch verarbeitet
und gestaltet. Nachfolgende Generationen
haben dies alles analysiert,
bewertet und lesenswerte
Bücher daraus produziert. Einiges
auch über die Reisen Goethes ins
Erzgebirge. Deren Ziele sind zunächst
genau bestimmt. Goethe
wird 1776, nicht viel länger als
ein halbes Jahr in Weimar, schon
Beamter im Weimarischen Staatsdienst,
Minister für vielfältige, verantwortungsvolle
Aufgaben. Die
Wiederbelebung des einstigen
Bergbaus in Ilmenau gilt als sein
größter praktischer Plan (Richard
Friedenthal), dem er sich mit Leidenschaft
verschreibt. Wohl auch
in der Hoffnung, damit die ständigen
Finanzprobleme des Herzogtums
zu lösen. Dafür benötigt er,
der Begeisterte, aber Unerfahrene,
grundlegende praktische und wissenschaftliche
Unterstützung. Vor
allem von hochgebildeten Bergbau-Fachleuten.
Die vermutet und
gewinnt Goethe unter anderem
im Bergbauland Erzgebirge – nicht
zuletzt auch wegen der seit 1765
bestehenden Bergakademie in
Freiberg. Also: Auf in die Kutsche!
Hinaus ins Erzgebirge!
Bedeutende Bergbau-Fachleute
kommen da ins Spiel. Zwei seien
genannt: Zum einen ist da der in
Marienberg emsig tätige Bergmeister,
später in Freiberg Oberberghauptmann
Friedrich Wilhelm
Heinrich von Trebra; als Gutachter
empfiehlt er, den Bergbau in Ilmenau
wieder aufzunehmen. Im Juni
1776 kommt es zur ersten persönliche
Begegnung mit Goethe – daraus
erwächst eine lebenslange
Freundschaft, eine wissenschaftlich
anregender Korrespondenz
vor allem zur Stein- und Gebirgskunde.
Zum anderen ist da Johann
Gottlob Gläser, ebenfalls ein Bergmeister,
geboren 1721 in Gelenau,
der, wie Goethes Tagebuch von
1777 vermerkt, mit Goethe mehrmals
zusammentrifft. Und da sind
Goethe-Denkmal in Marienbad wo er viele Sommer kurte
750 Jahre Gelenau: 1273 – 2023 17
seine verbrieften Bildungs-Reisen,
um den erfolgreichen Bergbau im
Erzgebirge gründlich in Augenschein
zu nehmen. Beispielsweise:
Freiberg 1790 und 1810: Goethe
trifft sich mit den Vornehmsten des
Bergwesens; besichtigt Bergwerke,
besucht seinen Freund Trebra.
Schneeberg 1785: Er begutachtet
das umfangreiche Gesteinskabinett
des Bergmeisters Adolph Beyer;
1786: Er fährt in die Bergwerke
ein, wandert durch die Bergstadt,
besichtigt den Filzteich … In seinen
Schneeberger Reiseblättern
schreibt er ausführlich über diese
Erkundungen im August.
Annaberg, Zschopau, Wolkenstein,
Geyer, Ehrenfriedersorf,
Thum, um nur einige Orte nahe
unseres Dorfes zu nennen, die
Goethe möglicherweise auch besucht
hat. Nicht zuletzt um seine
umfangreiche Stein-Sammlung
aus dem Erzgebirge zu vervollkommnen;
diese Lokalitäten sind
zumindest im Verzeichnis dieser
Sammlung ausdrücklich benannt.
Und Gelenau? Was für ein schönes
Bild: Goethe fährt in seiner
prachtvollen Reise-Chaise, langsam
und achtsam, durch unser
Dorf, verweilt am prächtigen Rittergut,
plaudert mit dessen Pächter,
erhält ein Gelenauer Gestein
für seine Sammlung, bedankt sich,
winkt einigen neugierigen Dorfbewohnern
zu und reist schon bald
weiter nach Zschopau … So könnte
es gewesen sein; Goethe hat es
nur leider nicht aufgeschrieben …
Goethe um 1775, Melchior-Kraus
sich angeregt unterhält, Persönlichkeiten
trifft …, all das ist sehr
wahrscheinlich. Man reist ja nicht,
um anzukommen … Auch darüber
ist in seinen Tagebüchern, seiner
Korrespondenz (leider) so gut wie
nichts zu lesen.
Dass Goethe unserem Dorf aber
durch seinen zweitägigen Aufenthalt
in Chemnitz 1810, um das beginnende
Maschinen- und Indust-
rie-Zeitalter zu besichtigen, erneut
räumlich sehr nahe kommt, ist vorzüglich
aufbereitet (Siegfried Arlt).
Aber dies ist bereits eine andere
Erzählung …
Mehr dazu:
Biedermann, Woldemar Freiherr von,
Goethe und das sächsische Erzgebirge.
1877. 2013.
Goethe, Tagebücher 1775 bis 1832.
Ergänzungsband. 1964.
Bleibt ein Trost: Damit müssen
auch andere Erzgebirgsorte leben.
Denn: Von 1775 bis 1823 reist
Goethe in siebzehn Sommern in
die böhmischen Bäder, vor allem
nach Karlsbad und Marienbad
– durch das sächsische Erzgebirge
hindurch. Dass er auf diesen
Reisen so manchen Erzgebirgsort
besichtigt, in Gasthöfen rastet,
übernachtet, die nahe Umgebung
erwandert, mit Einheimischen
Goethes Reisekutsche, Goethe-Museum-Weimar
18 750 Jahre Gelenau: 1273 – 2023
Von FACHWERK- und SCHIEFER-HÄUSERN
und einem RITTERGUT
Zu Beginn der Besiedelung des
Erzgebirges, die mit umfänglichen
Wald-Rodungen einhergeht,
bauen die Menschen ihre
Unterkünfte, ihre Häuser, Ställe
und Scheunen, ihre Kapellen
und Kirchen komplett aus Holz.
Wahrscheinlich im 12. und 13.
Jahrhundert kommt die Fachwerk-
Bauweise, die durch ein tragendes
Holzgerüst (Tannen-, Fichten-, Eichenholz)
und durch einen Holz-
Lehm-Verbund oder durch Ziegelsteine
ausgefüllte Zwischenräume
charakterisiert ist, ins Erzgebirge
– mitgebracht offensichtlich von
den Siedlern und Einwanderern
aus Thüringen und Franken. Es ist
nicht verwunderlich, dass sich im
holzreichen Erzgebirge diese im
Vergleich zum reinen Holzhaus
stabilere Bauweise rasch verbreitet
hat – meistens aber mit weniger
Holz-Schmuckelementen als in
anderen deutschen Regionen, wie
beispielsweise im Harz oder in der
Oberlausitz. Dafür gibt es sicher
viele Gründe. Die durch den intensiven
Bergbau im Erzgebirge und
das Hüttenwesen wohl bereits im
16. Jahrhundert einsetzende Holzknappheit,
die einen sparsamen
Einsatz dieses Materials im Häuserbau
erzwingt, gehört bestimmt
dazu. Belegt unter andern durch
kurfürstliche Verfügungen, dass
Holz für ganze Häuser nicht mehr
verwendet werden darf und Steine,
zumindest für ein Geschoss,
genutzt werden müssen. Der vorherrschende
Stein-Häuserbau geht
natürlich auch im Erzgebirge einher
mit der zu Beginn des 19. Jahrhundert
einsetzenden Industrialisierung
des Wirtschaftslebens.
Die Fachwerkhäuser im Erzgebirge
haben überwiegend einen massiven,
steinernen Unterstock und einen
Fachwerk-Überstock mit grauen
Schieferdächern.
Ansehnliche und für das Erzgebirge
typische Fachwerkhäuser sind
auch in Gelenau zu finden und
zu bestaunen – sei es auf einem
Spaziergang entlang der langen
Hauptstraße des Dorfes oder auf
den davon abzweigenden Nebenstraßen
und Wegen. Umläuft
Schönes Fachwerkhaus – unweit vom Gerichtsberg
750 Jahre Gelenau: 1273 – 2023 19
Rittergut Gelenau, 1856, Poenicke Tonlitographie
man Gelenau auf dem Höhenweg,
dann kommt man im Süden an einem
prachtvollen, alleinstehenden
und von hohen Laub-Bäumen und
Fichten eingerahmten Fachwerkhaus
vorbei – ein Sinnbild der Harmonie
von Natur und Baukunst,
ein romantischer Anblick zu allen
Jahreszeiten. Auf diesen Wanderungen
fallen dem aufmerksamen
Beobachter natürlich die für das
Erzgebirge und für Gelenau typischen
sowie imposanten schieferverkleideten
Steinhäuser auf;
und sicher auch, wie Fachwerk-
Bauweise und Schieferverkleidung
sich kunstvoll und spielerisch in
einem Bauwerk vereinen können.
Für Geschichte und Gegenwart
des Dorfes ist der prachtvolle
Bau des einstige Rittergutes, der
seit 1907 Rathaus des Ortes ist,
von besonderer Bedeutung: Er
ist letztendlich der erhaltene stei-
nerne Zeuge der bald 750 Jahre
bestehenden, urkundlich verbrieften
Existenz von Gelenau – wohl
wissend, dass die Geschichte des
Dorfes und auch des Rittergutes
allerdings bereits im 12. Jahrhundert
beginnt.
Als im Zeitraum von 1854 bis 1856
das Album der Rittergüter und
Schlösser im Königreiche Sachsen in
fünf Bänden entsteht und von Gustav
Adolf Poenicke bearbeitet und
herausgegeben wird, ist im Erzgebirgischen
Kreis auch das Rittergut
Gelenau dabei, hier zeigend als
Tonlithographie. Es ist nicht einfach
nur als ein wirklichkeitsgetreues,
mächtiges Bauwerk, sondern als
eine anmutige, idyllische Vedute
mit Hofwall, Hofteich und einigen
tätigen Menschen dargestellt, die
auf die wirtschaftlichen Potenzen
des Rittergutes verweisen.
Das verdienstvolle, wohl kunstfreudige
und -fördernde sächsische
Adelsgeschlecht derer von Schönberg
besitzt von 1533 bis 1907 das
Rittergut in Gelenau und nicht nur
das. Aber dies ist bereits eine andere
lohnende Geschichte …
Rathaus von Gelenau, Detail
20 750 Jahre Gelenau: 1273 – 2023
Vom Herbst in Gelenau
Weiße Nebel wallen, Sinfonie aus Farben und Licht
Ende August. Anfang September.
Frühe Herbstboten. Nicht nur, dass
man plötzlich spürt, dass die Tage
wieder kürzer werden, die Frühe
länger kühler und der Abendhauch
kräftiger ist. Die ersten müden und
bunten Blätter fallen von den Bäumen,
auf den Getreidefeldern stehen
nur noch Stoppeln. Nein, es
sind wohl auch die dichten weißen
Nebel, die nun öfter am Morgen
wieder die Landschaft einhüllen
und den nahenden Herbst ankündigen.
Die Zeit beginnt, in der die
Natur ab und an ganz besondere
Schauspiele bereit hält: Steigt man
an einem milden Nebel-Morgen,
noch vor Sonnenaufgang, vom
Tal hinauf auf den Gerichtsberg,
so erlebt man nicht nur, wie nach
Sonnenaufgang ein verwirrendes
Licht durch den feinen weißen Nebel
dringt, sondern dieser sich auf
der Bergeshöhe wie von Zauberhand
nahezu unmerklich auflöst.
Plötzlich steht man im gleißenden
Licht der Sonne und gleichsam
über dem Nebel, der noch immer
über dem Tal liegt und das Dorf
verhüllt. Man fühlt sich dann vielleicht
wie der Wanderer über dem
Nebelmeer im Gemälde des romantischen
Malers Caspar David
Friedrich (1774 bis 1840) – staunend,
bewundernd, ergriffen, erhoben.
Ein Natur-Schauspiel, das
manchmal so rasch nicht endet.
Denn: Nun beginnt es aus den Tälern
zu dampfen. Konturen mächtiger
Bäume, der Dorfkirche, der
Häuser, des Aussichtsturmes …
scheinen in rasch dahin ziehenden
und in sich wandelnden Figuren
aus feinen, dünnen Nebelschwaden
auf. Wer einen solchen Tagesbeginn
in seiner Schönheit und
Grandiosität je geschaut und beobachtet
hat, weiß, dass die Welt
nicht romantisiert werden muss,
wie der frühromantische Dichter
Novalis (1772 bis 1801) meinte,
sondern sie ist romantisch – wir
müssen es nur wahrnehmen.
Manchmal ist der Sommer in Gelenau
kühl, windig, verregnet, was
für die gemäßigte Klimazone, in
der die Gemeinde liegt, beinahe
als Regel gilt. Natürlich hofft man
dann sehnsüchtig auf einen warmen,
leuchtenden und bunten
Herbst, der auch meistens Ende
September, Anfang Oktober über
das Land kommt. Zwar nur für
eine kurze Zeit, fast nie länger als
drei Wochen, dafür aber voll von
Dorf-Kirche aus dem 16. Jahrhundert – am Fuße des Gerichtsberges gelegen
750 Jahre Gelenau: 1273 – 2023 21
Blick auf Unter-Gelenau in Herbstbuntheit
Glanz und Pracht. Die Laub-Bäume
verfärben sich – eine Sinfonie
aus Farben und Licht, komponiert
und instrumentiert durch die Natur
in großer Besetzung. Die Baldachin-
oder Deckennetz-Spinnen
knüpfen und legen ihre feinen
Gespinste – von den Menschen
einst für Zauberwerk von Zwergen
oder Elfen gehalten – auf Wiesen,
Feldern und Sträuchern ab. Und:
Die Tage sind weitsichtig, die klare
Nacht gibt einen großen und tiefen
Sternen-Himmel frei oder einen
runden, hell leuchtenden Mond,
der mit seinem weißen Licht die
Landschaft verzaubert. Einen besonders
pittoresken Anblick bietet
– zu jeder Jahreszeit und von den
unterschiedlichsten Standorten
des Dorfes aus gesehen – die am
Fuße des Gerichtsberges stehende
und im Herbst in bunte Laubbäume
eingehüllte Dorf-Kirche, erbaut
1580 bis 1581. Die Kirche hat
über die Jahrhunderte hinweg ihre
äußere Gestalt behalten – bis auf
Turm und Sakristei. Auch im Inneren
enthält sie viel Sehenswertes,
künstlerisch Wertvolles, beispielsweise
das Sandstein-Epitaphium
(für Joachim I. von Schönberg), den
Taufstein und die Kanzel – ebenfalls
aus Sandstein. Geschaffen im
16. Jahrhundert vom Freiberger
Künstler Andreas Lorentz (1530 ?
bis 1588 ?). Sehenswert sind auch
der Altar aus dem 18. Jahrhundert,
hörenswert die Jehmlich-Orgel aus
dem 20. Jahrhundert und die Kirchen-Glocken.
Wandert man an einem solch
prachtvollen Herbst-Tag mit offe-
Nebel-Morgen im Herbst
nen Augen durch Gelenau, vielleicht
an der Wilisch entlang,
vielleicht über die Höhen, durch
Wälder oder über abgeerntete Felder,
dann ahnt man: Dies ist ein
Herbsttag, wie ich keinen sah! Die
Luft ist still, als atmete man kaum,
und dennoch fallen raschelnd, fern
und nah, die schönsten Früchte ab
von jedem Baum. O stört sie nicht,
die Feier der Natur! Dies ist die
Lese, die sie selber hält… (Friedrich
Hebbel, 1813 bis 1863).
22 750 Jahre Gelenau: 1273 – 2023
Auf Spurensuche zur Adelsfamilie
von Schönberg. Diese hat
Geschichte und Entwicklung
Sachsens, des Erzgebirges und Gelenaus
auf vielfältige Weise beeinflusst
und gestaltet. Mit Blick auf
unser Dorf nahezu vier Jahrhunderte,
von 1533 bis 1907 (Festschrift
Gelenau, 1998, S. 4 ff.).
Nicht zuletzt belegt der rot-grüne
Löwe im Wappen von Gelenau augenscheinlich
diesen Zusammenhang,
ist dieser doch wesentlicher
Bestandteil des Familien-Wappens
derer von Schönberg, nachweisbar
ab 1368.
Bereits Ende des 12. Jahrhunderts
ist dieses Adelsgeschlecht in der
Mark Meißen ansässig; woher es
kommt, ist (gegenwärtig) wohl nur
durch Legenden zu beantworten.
Sein Name bezieht sich auf
den Ort Schönberg, später Roth-
Schönberg, unweit von Nossen
gelegen, der mit dem Herrenhaus,
dem Schloss als der Stammsitz der
Familie von Schönberg gilt. Die ältesten
Geschlechtsmitglieder können
für das frühe 13. Jahrhundert
namhaft gemacht werden; sie sind
Dienstmannen der Markgrafen beziehungsweise
Burggrafen von Meißen
(Matthias Donath).
DIE von SCHÖNBERGS
Spurensuche in Sachsen
auf, benannt nach ihren frühesten
Besitzungen – (Roth-)Schönberg,
Purschenstein und Zschochau,
die sich jeweils wiederum in Äste,
Zweige, Linien etc. differenzieren.
Wie im geschichtlichen Verlauf
sich dies als verschlungen erweist,
zeigt sich, selbst nur andeutungsweise,
in der Zugehörigkeit des
Rittergutes Gelenau: So sind der
Hauptast (Roth-)Schönberg, die
Hauptzweige Stollberg und Sachsenburg,
die Linien Pfaffroda und
Gelenau-Thammenhain durch die
Jahrhunderte bedeutsam.
Besonders im 15. und 16. Jahrhundert
vergrößert sich der Besitz
der weit verzweigten Adelsfamilie
deutlich. So befinden sich beispielsweise
Ende des 16. Jahrhunderts
über 60 Rittergüter in ihrem
Besitz – erklärbar nicht nur durch
ihre effektive wirtschaftliche Nutzung
der Rittergüter, ihre Einkünfte
aus dem Dienst am (sächsischen)
Hof, sondern vor allem durch
ihre hohen Investitionen (Kuxe
genannt) in den Bergbau im Erzgebirge
(Schneeberg, Annaberg,
Freiberg) und den daraus entspringenden
hohen Gewinnen. Nicht
wenige (Ober-)Berghauptmänner
entstammen übrigens der Familie
von Schönberg, auch deshalb
als alte Bergwerks-Familie (Eduard
Vehse) charakterisiert.
Bedeutendes haben die Familien-
Mitglieder nicht nur in wirtschaftlichen,
sondern auch in vielen anderen
gesellschaftlichen Bereichen
geleistet. Herrenhäuser, Burgen,
Schlösser, Kirchen (wie die Dorfkirche
in Gelenau) haben sie gebaut,
umgebaut und künstlerisch ausgestaltet.
Sie haben Äbte, Bischöfe
und einen Kardinal, einen fast
Papst (Nikolaus von Schönberg,
1472 bis 1537), Räte und Richter
hervorgebracht. Gesandte, Minister,
Gelehrte, Wissenschaftler und
Schriftsteller (Hans Friedrich von
Schönberg, 1543 bis 1614, Schildbürgerbuch)
sind unter ihnen. Sie
haben Bibliotheken aufgebaut und
sich um die Bildung ihrer Untertanen
gekümmert. Sie haben als
Bereits Anfang des 14. Jahrhunderts
gliedert sich die Familie
von Schönberg in drei Stämme
Schloss Rothschönberg, Stammsitz der Adelsfamile – vom Schlosspark aus gesehen
750 Jahre Gelenau: 1273 – 2023 23
raten. Das Schloss befindet sich
zwar in einem bedauernswerten
baulichen Zustand, aber man wird
hier doch irgendwie vom Hauch
der Geschichte dieses wohl bedeutendsten
sächsischen Adelsgeschlechts
berührt – hier, wo deren
Geschichte beginnt ...
Und Gelenau: Mit dem umtriebigen
Adolf Freiherr von Schönberg,
1864 bis 1927, endet hier die
Geschichte der Adelsfamilie von
Schönberg – durch den Verkauf
des Rittergutes in einzelnen Teilen
im Zeitraum von 1898 bis 1904;
die Anwartschaft auf Gelenau wird
1907 offiziell gelöscht.
Caspar Rudolph von Schönberg, 17. Jahrhundert, Gelenau
Kunst-Mäzene gewirkt (so für den
Maler Ferdinand von Rayski, 1806
bis 1890). Und: Sie haben sich als
Adelsfamilie von Schönberg in Gestalt
von schriftlich fixierten Geschlechtsordnungen,
1675, 1842,
1885 und nach 1945, wenn man
so will, zeitgemäße Verfassungen
gegeben ...
Wie dem auch sei: Auf jedem Fall
ein imposantes, farbenprächtiges
Portrait. Interessenten, die diese
Ausstellung in Nossen besuchen,
ist anschließend eine Erkundungsfahrt
nach Roth-Schönberg, dem
Stammsitz der Adelsfamilie, anzu-
Die Geschichte dieses sächsischen
Adelsgeschlechts von Schönberg,
dies sei noch hinzugefügt, endet
nach Kriegsende 1945 durch Enteignung,
Flucht und Vertreibung
aus Sachsen ...
Mehr dazu:
Donath, Matthias, Rotgrüne Löwen. Die
Familie von Schönberg in Sachsen. 2014.
Fraustadt, Albert, Geschichte des Geschlechtes
von Schönberg meissnischen
Stammes. 1878.
Vehse, Eduard, Geschichte der deutschen
Höfe seit der Reformation. 1854.
Auf Schloss Nossen, einst Ritterburg,
später kurfürstliches Jagdschloss,
existiert zum Thema
eine lehrreiche, sehenswerte und
bestens präsentierte Dauerausstellung
mit dem Titel: Spurensuche
in Sachsen – Die Familie von
Schönberg in acht Jahrhunderten.
Unter den vielfältigen Ausstellungsstücken
befinden sich unter
anderem ausdrucksstarke Portraits
von Mitgliedern der Adelsfamilie
im zeitlichen Verlauf. Darunter
ein Bildnis, das möglicherweise
Caspar Rudolph von Schönberg
darstellt, der im 17. Jahrhundert
in Gelenau gewirkt haben soll.
Das Adelsgeschlecht von Schönberg, Dauerausstellung Schloss Nossen
24 750 Jahre Gelenau: 1273 – 2023
WOHNUNGSGENOSSENSCHAFT
IN GELENAU? Natürlich kenne ich
die, meine Familie ist doch bereits
in der vierten Generation hier Mitglied,
antwortet die rüstige und
freundliche Frau auf meine Frage.
Die vierte Generation steht
vor Ihnen, setzt sie gleichermaßen
schmunzelnd wie ein wenig wehmütig
hinzu, und erzählt mir dann,
als könnte sie endlich darüber reden,
nahezu eine spannende Gelenauer
Familiensaga. Die habe ich
zwar aufgeschrieben; sie ruht aber
(noch) unveröffentlicht in meinem
Schreibtisch. Diese Begegnung
liegt nun inzwischen auch einige
Jahre zurück. Sie kommt mir wieder
anschaulich beim Schreiben
dieses Textes in den Sinn …
Zeit der Weimarer Republik (1918
bis 1933). Das deutsche Kaiserreich
ist Geschichte. Deutschlands
Staatsform ist eine Republik, eine
parlamentarische Demokratie. Es
ist eine Zeit des grundlegenden
gesellschaftlichen Umbruchs. Das
belegt unter anderem auch die
Fahrt aufnehmende, ja eine Blütezeit
erlebende Genossenschaftsbewegung
(vor allem Bau- und
VOM LANGEN LEBEN
… oder: Alles hat Anfang und Ende …
Wohnungsgenossenschaften) in
Deutschland. So auch im Erzgebirge,
so auch in unserem Dorf. Denn:
Am 14. November 1923 gründen
zirka 20 Personen die Wohnungsgenossenschaft
Gelenau – vor allem
und nicht zuletzt wohl mit
dem Ziel, den Mitgliedern Wohnraum,
ja kostengünstigen Wohnraum
zu beschaffen. Noch im
selben Monat wird durch die Vorstandsmitglieder
der Wohnungsgenossenschaft
der Name Bau- und
Spargenossenschaft eGmbH beim
Amtsgericht Ehrenfriedersdorf zur
Eintragung gebracht. (Der Name
der Wohnungsgenossenschaft
wandelt sich mehrmals im Laufe
ihrer Geschichte.)
Erwartungsgemäß entwickelt sich
die Genossenschaft rasant. Ihre
umfangreiche Bautätigkeit von
Wohnhäusern oder deren Übernahme
belegen das augenscheinlich.
In Zahlen ausgedrückt heißt
das: 1933 zählt sie bereits 121
Mitglieder bei einem Bestand
von 174 Wohnungen. Ganz sicher
kein unwesentlicher Beitrag, die
aus vielerlei Gründen bestehende
Wohnungsnot zu lindern. Auch
mit Blick auf bezahlbare Mieten
für Familien mit niedrigem Einkommen,
so dass deren Realeinkommen
offensichtlich deutlich
aufgebessert werden kann. (Was
allerdings, dies sei hinzugefügt,
wohl nur bis zum Ausbruch der
Weltwirtschaftskrise Ende 1929 /
Anfang 1930, die auch Wirtschaft
und Menschen im Erzgebirge nicht
verschont, Bestand hat.)
Oft unterwegs mit einer kleinen,
sich für die Architektur in den
Erzgebirgsdörfern und -städten
interessierenden Gruppe, haben
wir unter diesem Aspekt auch
Gelenau mehrmals erkundet (siehe
auch Amtsblatt Mai 2021, S.
16 f.) – die (einstigen) Industriebauten,
die repräsentativen Gesellschaftsgebäude
(wie Rathaus,
Volkshaus, Pfarrhaus, Schulen)
und die Wohnhäuser – auch die
der ortsansässigen Wohnungsgenossenschaft,
die in mehreren
Straßen des Dorfes stehen (unter
anderen Fritz-Reuter-Straße,
Kemtauer Straße). Sehenswerter
funktionaler, solider, schnörkelloser
Hausbau, durchaus typisch für
ein Industriedorf, so bringt´s unser
Ein Kleinod des sozialen Wohnungsbaus ist die Siedlung an der heutigen Karl-Marx-Straße
750 Jahre Gelenau: 1273 – 2023 25
profunder Kenner der Architektur
der Wohnungsbauten in den Erzgebirgs-Orten
auf den Punkt. Als
ein besonderes architektonisches
Kleinod des Wohnungsbaus wird
allerdings die kompakte Wohnanlage
von dreizehn stattlichen
Siedlungshäusern mit Grünanlagen
bestaunt, ja regelrecht euphorisch
bewundert, gebaut von
der Wohnungsgenossenschaft in
den 1930er Jahren – am Fuße des
bewaldeten Kegelsberges, an der
heutigen Karl-Marx-Straße gelegen.
Was für eine symmetrische,
feingliedrige, harmonische und
einheitliche Architektur der Wohnhäuser,
ein architektonisches, funktional-ästhetisches
Gesamtkonzept
erkennend – mit ihren verzierten,
gleichmäßig gereihten Fenstern,
dem hochgezogenen Giebel, dem
Barock nachempfundenen Mansardwalmdach
…, wahrlich eine
Meisterleistung im ganzheitlichen
Siedlungsbau mit sozialem Anspruch,
so tönt begeistert der Chor
der Architekturfreunde.
Arbeiterkinder um 1925
Die Geschichte der Wohnungsgenossenschaft
Gelenau verläuft oft
erfolgreich, oft dramatisch – in Abhängigkeit
von den bekannten historischen
Ereignissen. Ihre Erfolgsgeschichte
setzt sich 1945 nach
dem Ende der Naziherrschaft und
des Zweiten Weltkrieges kontinuierlich
fort. Vor allem durch eine
rege Bautätigkeit, durch Instandsetzung
und Modernisierung des
vorhandenen Gebäudebestandes.
Davon zeugen nicht zuletzt auch
die fast 400 Mitlieder und der Bestand
von 400 Wohnungen (Angaben
der WG aus 2013).
Die Geschichte der Wohnungsgenossenschaft
Gelenau endet
im Juni 2016. Auf der Grundlage
des Verschmelzungsvertrages
vom Februar 2016 wird diese von
der Wohnungsbaugenossenschaft
Erzgebirge mit Sitz in Annaberg-
Buchholz übernommen.
Einstiger Sitz der Wohnungsgenossenschaft Gelenau, Kemtauer Straße
26 750 Jahre Gelenau: 1273 – 2023
ABSCHIEDSFEIER
Zwischen Herbst und Winter
Zwischen den Zeiten. Weder
Herbst, weder Winter. Fichten und
Tannen stehen dunkelgrün, glanzlos.
Auch die Lärchen sind kahl,
schmucklos. Dort, wo ihre Nadeln
dicht gefallen sind, bilden sie einen
weichen Teppich. Die Blätter der
Laubbäume liegen schon längst als
nasses Laub auf der Erde. So auch
die glänzenden, goldgelben Blätter
des Ginkgo-Baumes (Goethe, Farbenlehre).
Manchmal geschieht es,
dass die Linden über Nacht ihre
Blätter dem starken Wind preisgeben.
Nur die Eichen, in Mythen
und Sagen einst ein heiliger Baum
und oft von bestaunenswerter Gestalt,
halten ihr Laubwerk noch
fest bis zum Frühling – braun und
welk und unansehnlich. Vielleicht
steht im Garten, wo es bereits
fein nach Moder riecht, noch eine
letzte Rose oder eine Chrysantheme.
Doch der Herbst hat seine Arbeit
gründlich getan. Mit Winden
und Stürmen, tagelangem Regen,
Kälte. Über das Land ist eine Zeit
der kurzen, trüben, dunklen Tage
gekommen, mit grauen, schweren
und tief ziehenden Wolken.
Jeder, der vors Haus muss, eilt
mit Regenschirm und in vor Kälte
schützender Kleidung, um sein
Ziel auf dem kürzesten Weg zu
erreichen und rasch wieder nach
Hause zurückzukehren – in die
warme gute Stube. Wohl dem,
der in diesem Wetter überhaupt
nicht hinaus muss und der an einem
solchen Tag ein wohltuendes
Mittagsschläfchen halten kann …
Aber nicht wenige Menschen werden
an solchen Tagen, so meine
Beobachtung, von einer melancholischen,
ja traurigen Stimmung
erfasst; sie stehen an Gräbern ihrer
Altvorderen oder am Denk- und
Mahnmal Ich hatt` einen Kameraden,
das sich in Nachbarschaft der
Dorfkirche von Gelenau befindet.
Und: Dass der Volksmund (und so
mancher Dichter) meint, dass in einer
solchen Zeit nicht wenige der
Lebensmüden gehen, dürfte nicht
von der Hand zu weisen sein …
Aber dann gibt es endlich, ab und
an, diese milden Nebelfrühen,
wenn sich lange über dem Wilisch-Tal
ein wie von Zauberhand
gezogenes weißes Nebelband
spannt. Oder diese prachtvollen
Nachmittage! Wenn plötzlich,
oft kurz bevor der Tag endet, die
Wolken sich auflösen und die
Sonne, bereits flach im Westen
stehend, sich in den Regentropfen,
die dicht gedrängt an Ästen
und Zweigen der kahlen Bäume
Mahnmal gegen den Krieg in Gelenau - Ich hatt´einen Kameraden
750 Jahre Gelenau: 1273 – 2023 27
Plötzlich – Glanzvoller Nachmittag zwischen Herbst und Winter
die die Hoffnung und Freude
auf einen schneereichen, kalten
Winter wachruft. So verlieren allmählich
die trüben, nasskalten
und kurzen Tage ihren Schrecken
– nicht nur wegen der zu erwartenden
lichten Wintertage, sonhängen,
glanzvoll spiegeln. Es ist
als ob die Natur plötzlich auf eine
wundersame Weise still stände,
sich nicht entscheiden könne, wohin
die Reise gehen soll. Oder als
ob sie den durch die Menschen oft
als schmerzlich empfundenen Abschied
vom Sommer mittels eines
solch lichten Morgens oder Nachmittags
lindern wolle. Vielleicht
auch, um sie zu trösten: Nicht
weinen, weil sie (die Sommertage)
vorüber! Lächeln, weil sie gewesen!
… (Ludwig Jacobowski). Doch
die Reise geht vielleicht schon
am nächsten Morgen weiter. Der
Winter klopft an – mit Rau-Reif auf
Feldern, Wiesen und Sträuchern,
auf Dächern und Zäunen, mit vereisten
Bäumen, einer hauchzarten
Eisdecke auf den Weihern, vergoldet
durch eine kalte Morgensonne
– wie in einem wundersamen
Märchen der Gebrüder Grimm.
Die Natur hat wieder gezaubert.
Durch eine dünne weiße Pracht,
Früher Schneefall – Blick zum Gelenauer Rathaus
dern auch wegen der nahenden,
leuchtenden und kerzenreichen
Adventszeit – mit ihrer traditionellen
und besonderen Herrlichkeit
im Erzgebirge, in Gelenau.
28 750 Jahre Gelenau: 1273 – 2023
Bäume. Wälder. Eine der besonderen
Herrlichkeiten unseres Dorfes.
Das erlebt eine kleine, gut
gelaunte Spazierschar von Einheimischen
und Besuchern – Sänger
und Musiker und Dichter unter
ihnen. Entlang der Dorfgrenzen zu
gehen, den Ort gleichsam per Fuß
zu umrunden, zu erkunden, ist der
ehrgeizige Anspruch. Dass dieser
nicht erfüllt wird, das sei gleich
hinzugefügt, liegt am ausgedehnten
Verweilen im frischen, grünen
Walde an einem warmen Sommertag.
Auf dem weichen Waldboden
sind im Handumdrehen
mitgebrachte Tücher ausgebreitet,
ein deftiges Mahl darauf gesetzt
– auf Holzstämmen sitzend, auf
Moos hingestreckt, an Fichten stehend
gelehnt, tafelt und bechert
die kleine Waldgesellschaft, heiter
plaudernd und scherzend dabei
… Und schon bald wird ein
Gedicht aufgesagt: Kennst du das
Rauschen im Wald?; ein Lied fast
mit Inbrunst gesungen: Arzgebirg
wie bist du schie!. In vortrefflicher
Mundart – von Anton Günther
(1876 bis 1937), dem berühmten
Der SÄNGER des WALDES
Joseph von Eichendorff
Dichter und Sänger des Erzgebirges,
so der Kundige und erzählt
sogleich manch Heiteres, manch
Trauriges über dessen Werk und
Leben und schließt: Für mich ist
Anton Günther aus vielerlei Gründen
der Joseph von Eichendorff des
Erzgebirges. Zustimmendes Kopfnicken
in der Runde. Und: Als sei
es verabredet, folgt zugleich ein
kurzer Vortrag über diesen bedeutenden
spätromantischen Dichter.
Joseph von Eichendorff kommt in
einer stillen und klaren Winternacht
im März 1788 zur Welt – auf
Schloss Lubowitz in Oberschlesien.
Ein Jahr vor der Revolution in
Frankreich, die Europa erschüttert
und deren Gesellschaften grundlegend
verändert – auch die Lebenswelt,
in die Eichendorff hineingeborene
wird. Unbeschwert,
froh und frei sind seine Kindheit
und frühe Jugend. Sein Geburtsort
ist ein Natur-Idyll. Der große Garten;
die nahe Oder, wo im Sommer
gebadet und geschwommen
wird; die dichten Wälder, die Hügel
und Berge; die weiten Ausblicke,
die den Wunsch wecken, in
die Welt hinauszuziehen. Schon
bald als Schüler nach Breslau, als
Student nach Halle an der Saale
und Heidelberg. Seine Wanderschaft
durch die Welt beginnt.
Doch Lubowitz, das Schloss wird
1823 zwangsversteigert, bleibt für
ihn lebenslang Heimat und Sehnsuchtsort.
Hier dichtet er 1810: O
Täler weit, o Höhen, / O schöner
grüner Wald und Wer hat dich, du
schöner Wald,/ Aufgebaut so hoch
da droben? …
Wem Gott will rechte Gunst erweisen,
Den schickt er in die weite Welt,
Dem will er seine Wunder weisen
In Berg und Wald und Strom und Feld.
Aus: Aus dem Leben eines Taugenichts
Letzte Spuren: Schlossruine in Lubowitz
1805 reist Joseph von Eichendorff
über Görlitz, Dresden, Meißen
und Leipzig nach Halle an der
Saale, um dort an der berühmten
Universität zu studieren. Spazierreisen
unternimmt er von hier aus
nach Bad Lauchstädt, um das von
Goethe 1802 gegründete Sommertheater
zu besuchen, wo der
unsterbliche Göthe auch ab und
an in Begleitung von Christiane
Vulpius leibhaftig zu bestaunen
750 Jahre Gelenau: 1273 – 2023 29
seiner frohen Kindheit und heiteren
Jugendzeit; es sind die Wälder
der deutschen Mittelgebirge,
die er auf seinem Unterwegs-Sein
durchstreift, ja, es sind idealische
Wälder, die seine Dichtung durchziehen
– nicht nur deshalb ist er
in den Augen Vieler wohl der erhabene
Sänger des Waldes. Bedeutende
Komponisten, wie Felix
Mendelssohn Bartholdy, Robert
Schumann und Richard Strauß,
haben das so gesehen und Eichendorffs
lyrische Dichtung glanzvoll
vertont.
Joseph von Eichendorff stirbt im
November 1857 im Ort Neisse.
Kirche und Dom in Seeburg, Beginn der
Harz-Reise der Eichendorff-Brüder 1805
und zu bewundern ist. Er besucht
Leipzig zur Messe, er unternimmt
eine Reise durch den Harz, steigt
hinauf zum alten Vater Broken …
Seine berufliche Tätigkeit im preußischen
Staatsdienst führt ihn
nach Breslau, Danzig, nach Königsberg,
nach Berlin … Aber er
schreibt und dichtet vor allem.
Bedeutende Romane entstehen.
Sein wohl bekanntestes Werk:
Aus dem Leben eines Taugenichts,
das nicht wenige seiner berühmten
Gedichte enthält, erscheint
1826 und wird ein großer Bucherfolg.
Seine stimmungsvollen, die
Phantasie anregenden Natur- und
Landschaftsschilderungen berühren,
ja faszinieren – erschaffen
durch wiederkehrende, aber stets
neu verbundene romantische Motive
wie Berg und Wald und Strom
und Feld. Es ist ein wunderbares
Lied im Waldesrauschen unserer
heimatlichen Berge; … keinen
Dichter noch ließ seine Heimat los
…, so fabuliert er in seinem Werk
Dichter und ihre Gesellen. Wald,
die Wälder stehen für Joseph von
Eichendorff gleichsam als Symbol
für Heimat, wo er sich geborgen
fühlt, wo er ausruhen und andächtig
über sein Leben nachdenken
kann. Es sind nicht nur die Wälder
Nachdenkliche Stille nach der
Erzählung … Ob Anton Günther
das Werk, die Gedichte von Eichendorff
gekannt, geschätzt hat?,
so eine fragende Stimme aus der
Runde. Es ist zu vermuten, vielleicht,
ja. Handfeste Belege dafür
sind (bislang) nicht gefunden.
Und: Möglicherweise ist Joseph
von Eichendorff ja durch das stattliche
Erzgebirge, durch Gelenau
mit seiner besonderen Aura geritten!
Eine reizende Legende! Ein
Mythos! Ganz sicher.
Alte Aula der Ruprecht-Karls Universität in Heidelberg
Denkmal für Joseph von Eichendorff in
Ratibor
Die Spaziergesellschaft erhebt
sich, räumt auf, packt ein und
wandert durch die frische Waldluft
bis auf eine Anhöhe, die den Blick
auf das von Wäldern, von Bäumen
umgebende Gelenau freigibt. Was
für ein Augenschmaus! Wie nützlich!
Wie schön!
30 750 Jahre Gelenau: 1273 – 2023
Dänische Partnergemeinde von Gelenau seit 1995
Romantisches Skørping REBILD KOMMUNE
Skørping. Gelenau. Seit 28 Jahren
verbindet die beiden Gemeinden
eine enge Partnerschaft. (Siehe
dazu Amtsblatt Gelenau, Februar
2021, S. 28 f.)
Die dänische Partnergemeinde
des Dorfes liegt in einer malerischen
Natur- und Kulturlandschaft
in Nord-Jütland – unweit der
prachtvollen alten Stadt Aalborg
am Limfjord, im größten natürlichen
und zusammenhängenden
Waldgebiet Dänemarks, Rold Skov
genannt, das sich über mehr als 80
Quadratkilometer ausdehnt. Eine
einzigartige Wald-, Heide- und
Wasser-Landschaft mit reichem
Tierleben gibt es hier zu erleben
und zu bestaunen. Unter anderem
reicht das von uralten krummen,
aus vielen Stämmen bestehenden,
mit Moos bewachsenen Rold-Buchen,
die sich über Jahrhunderte
den hier herrschenden sandigen
Lebensbedingungen angepasst
haben. Über die dicht bewaldete
Hügellandschaft Rebild Bakker
(Naturschutzpark) mit grasenden
Schafen und enorm wasserreichen
Quellen mit seltenen Pflanzen und
Tieren bis hin zu großen Seen mit
glasklarem Wasser. Nahe bei Skørping
lädt der mitten im Wald gelegene
reizende Gasthof Rold Storkro
zum Rasten bei einem guten
Mahl ein. Der Gast kann hier auch
vorzüglich übernachten.
In der dänischen Gemeinde leben
knapp 3.000 Menschen; sie gehört
zur Rebild Kommune, die sich
aus vielen kleinen Orten zusammensetzt.
Skørping ist verkehrstechnisch
gut angebunden; auf der
Bahnlinie zwischen den Städten
Randers (im Süden) und Aalborg
(im Norden) verkehren moderne
S-Bahnen. Der Bahnhof befindet
sich gleich am Ortseingang; gegenüber
steht das Kultur- und Touristikzentrum
des Ortes. Direkt im
kleinen Zentrum der Gemeinde
befindet sich auch ein Hotel.
Ganz gleich aus welcher Richtung
man sich Skørping nähert:
Die auf einem Hügel stehende
hohe weiße Kirche mit dem roten
Dach ist nicht zu übersehen – ein
spätromanischer Ziegelsteinbau,
der über die Jahrhunderte viele
bauliche Änderungen erfahren
hat. Im Kirchen-Innenraum, klein
und schlicht ausgestattet, in den
Farben weiß und blau gehalten,
Kirche mit rotem Dach in Skørping
750 Jahre Gelenau: 1273 – 2023 31
dominiert eine kunstvoll in den
Raum eingefügte, vom Boden bis
zur Decke reichende Orgel. Ihrem
warmen und mächtigen Klang zu
lauschen, ist ein großartiges Erlebnis,
ein Vergnügen.
Von besonderem Reiz, dies sei
noch erwähnt, zeigt sich Gammel
Skørping (Alt-Skørping) mit seinen
alten und niedrigen Fachwerk-
Häusern und der kleinen, aus
dem 12. Jahrhundert stammenden
Wallfahrtskirche.
Nun ja, da kann man nur sagen:
Auf nach Dänemark, nach Nordjütland,
nach Skørping, in die Rebild
Kommune, an den Limfjord …
Schafsglück in den Wäldern rings um Skørping
Schöne Wallfahrtskirche in Gammel Skørping (Alt-Skørping)
32 750 Jahre Gelenau: 1273 – 2023
Über eine dänische Künstlerfreundschaft
der BILDHAUER und der DICHTER
Unterwegs in Dänemark: Das
Land, das historisch durch eine
reiche, wechselvolle, ja oft dramatische
Gesellschafts-Geschichte
geprägt ist – auch mit Blick auf
Deutschland. Heute: In Zusammenarbeit
und Verbindung mit
Deutschland, was letztendlich
auch belegt ist durch die Partnerschaft
Gelenaus mit Skørping, Rebild-Kommune,
Nordjütland.
Das inspiriert, nicht nur das Alltagsleben,
sondern auch das Kultur-
und Kunstleben der Dänen
wahrzunehmen. Ein langfristiges,
noch nicht abgeschlossenes Projekt
ist dadurch angeregt, entstanden
und gereift: Werk und
Leben der Weltruhm erlangten dänischen
Künstler, Bertel Thorvaldsen
(Bildhauer) und Hans Christian
Andersen (Dichter), verbunden
durch eine vom gegenseitigen
Wohlwollen geprägten Künstlerfreundschaft,
zu erkunden; Orte
und Landschaften ihres Wirkens
aufzusuchen; auch Museen in Dänemark,
die deren Werke besitzen
und präsentieren.
Bertel Thorvaldsen (1770 bis
1844). Kopenhagen. Rom. Mitten
im Herzen der dänischen Hauptstadt,
neben dem mächtigen
Schloss Christiansborg, steht das
für das umfangreiche, vielschichtige
Werk des Bildhauers 1848 fertig
gestellte Thorvaldsen-Museum
– ein imposanter, farbenprächtiger
und lichtdurchfluteter Museumsbau.
Was für ein großartiges bildhauerisches
Werk in Marmor und
Gips wird hier präsentiert! Die Reliefs,
die Statuen Jason, Ganymed,
Apollo, Bacchus, Amor, Herkules
…, um nur einige zu nennen.
Das Talent Thorvaldsens wird von
seinem Vater früh erkannt, so dass
er bereits 1781, elfjährig, die Freischule
der Königlich Dänischen
Kunstakademie besucht. Seine
künstlerische Entwicklung vollzieht
sich rasant; zahlreiche Auszeichnungen
in jungen Jahren belegen
das. Ein dreijähriges Stipendium
Bertel Thorvaldsen, Ganymed mit dem Adler des Zeus
750 Jahre Gelenau: 1273 – 2023 33
Bertel Thorvaldsen mit Büste, 1833
führt ihn 1797 nach Rom; er bleibt
bis 1838 – meisterliche Kunstwerke
schaffend, für die Mächtigen
seiner Zeit. Der Bildhauer kehrt
1838, weltberühmt und hoch Willkommen
geheißen (auch durch ein
Gedicht von Andersen), nach Kopenhagen
zurück, wo er in seiner
künstlerischen Tätigkeit nicht erlahmt.
Im März 1844 stirbt Thorvaldsen,
im Theater der Stadt, vor
den Augen des respektvoll ergriffenen
Publikums. Im Innenhof des
Thorvaldsen-Museums befindet
sich das schlichte Grab des Bildhauers.
Wer in Kopenhagen weilt, sollte
unbedingt die von Thorvaldsen
klassizistisch ausgestaltete
Frauenkirche besichtigen, die in
dessen Schaffen einen besonderen
Platz einnimmt. Der Kirchen-Innenraum
in Weiß, überwältigend
die überlebensgroßen Statuen des
segnenden Christus, des knienden
Tauf-Engels und der zwölf Apostel.
nigin u.v.a. Andersens literarisches
Gesamtwerk ist allerdings viel umfassender.
Dazu gehören seine
meisterhaft geschriebenen Reisebücher,
die von der unablässigen
Reisetätigkeit des Dichters durch
Dänemark und Europa künden.
Seine erste Auslandsreise führt
ihn 1831 nach Deutschland. Da
lebt Goethe noch und es ist wohl
Andersens innigster Wunsch, den
hochbetagten Geheimrat Goethe
und Weimar zu besuchen. Doch
er verzichtet darauf; er befürchtet,
als noch unbekannter Dichter, am
Frauenplan nicht empfangen zu
werden. 1844 ist es dann aber soweit:
Goethe ist da zwar schon tot,
aber Andersen weilt in Weimar. Er
wird als großer Schriftsteller unter
anderen von Goethes Enkel Walter
empfangen; vom regierenden
Großherzog und vom Erbgroßherzog.
1846, 1856 und 1857 (zur
Einweihung des Goethe-Schiller-
Denkmals) besucht er erneut die
Dichterstadt. Dass Andersen die
Städte Dresden, Meißen, Pirna,
Eisleben, Leipzig besucht, im Harz
und in der Sächsischen Schweiz
weilt, sei noch erwähnt.
Hans Christian Andersen (1805
bis 1875). Odense. Kopenhagen.
Weimar. Dresden. Rom … Wer
kennt sie nicht, die weltberühmten
Märchen des Dänen-Dichters! Das
Feuerzeug. Die Prinzessin auf der
Erbse. Die kleine Seejungfrau. Des
Kaisers neue Kleider. Die Schneeköregelrecht
nach Kopenhagen, um
Schauspieler zu werden. Doch
seine Begabung ist das Schreiben.
Seine erste größere Prosaarbeit
Fußreise erscheint 1829, sein erster
Gedichtband folgt 1830.
Besucht man die reizende Stadt
Odense sollte man eine Fußreise,
die geführt wird durch im Erdboden
eingelassene Fußschritte, zu
den Lebensorten des Dichters unternehmen;
auch zum lehrreichen,
unterhaltsamen und großartig gestalteten
neuen Museum für den
Dichter.
Und: Dass Andersen mit Thorvaldsen
kurz vor dessen plötzlichem
Tod noch tafelte, die Trauerzeremonie
sowohl für den Bildhauer
1844 als auch für den Dichter
1875 in der von Thorvaldsen ausgestalteten
Kopenhagener Frauenkirche
stattfindet, gehört wohl zu
den eigenartigsten Geschehnissen
in dieser ereignisreichen Künstlerfreundschaft.
Thorvaldsen mit seinen Werken
Mehr dazu:
Rosenberg, Adolf, Thorwaldsen. 1901.
Andersen, Hans Christian,
Märchen meines Lebens. 1979.
Hans Christian Andersen,
1846 in Dresden
Andersen wird 1805 in Odense,
Insel Fünen, in ärmlichen Verhältnissen
geboren. Bereits als 14-Jähriger
verlässt er seine Heimat, flieht
34 750 Jahre Gelenau: 1273 – 2023
Über dänische Malerei
JENS SØNDERGAARD
Jens Søndergaard. Er gilt als einer
der bedeutendsten expressionistischen
dänischen Maler des 20.
Jahrhunderts – für nicht wenige
Kunstkenner ist er der dänische
Maler für diese Zeit überhaupt.
Bereits zu seinen Lebzeiten findet
seine Malkunst europa- und weltweit
große Beachtung. Vor allem
seine zauberhaften, farbenprächtigen
Landschaftsbilder der dänischen
Westküste, die gleichzeitig
vom Leben der hier tätigen Menschen
erzählen, von ihrem Alltag,
ihren Festen, ihrer Verlassenheit,
ihren Sorgen und ihren Glücksmomenten,
begeistern und faszinieren.
Wohl nicht nur den Liebhaber
der Landschaftsmalerei, sondern
auch den Freund dieser rauen,
stürmischen und romantischen
Natur, die der Künstler in seinen
Werken so wirksam Ausdruck verleiht
– subjektiv, kraftvoll, schlicht
und mit Raffinesse zugleich.
Jens Søndergaard wird 1895 auf
Mors, Insel im Limfjord, Nord-Jütland
geboren. Nach erfolgreicher
Ausbildung zum Malergesellen
und der sich bis 1915 anschließenden
praktischen Tätigkeit, zieht es
ihn bereits 1916 in die Metropole
Kopenhagen. Kunstmaler will
er werden. Sofort besucht er hier
Zeichenkurse; Schüler wird er
bei den berühmten Malern Viggo
Brandt (1882 bis 1959), später bei
Viggo Johansen (1851 bis 1935).
1919 öffnen sich für ihn die Türen
der Königlichen Dänischen Kunstakademie
(gegründet 1754). Noch
im gleichen Jahr debütiert er erfolgreich
auf der Kunst-Herbstausstellung
in Kopenhagen, wo er in
den nachfolgenden Jahren immer
wieder seine Werke ausstellt. Sein
steiler künstlerischer Aufstieg zum
Kunst-Maler ist alsdann eingeläutet.
Seine Reisen durch zahlreiche
Länder Europas, wie Frankreich,
Italien, Skandinavien, Ungarn
und auch Deutschland, beginnen;
meistens verbunden mit Ausstellungen
und Verkauf seiner Werke.
So auch in New York und Los Angeles.
Zum Malen kommt er allenthalben
an die dänische Westküste –
auf die Insel Mors, nach Agger, wo
im Jahre 1926 unter anderen das
Gemälde Landleben am Fjord entsteht.
An der dänischen Westküste,
in Ferring, nahe bei Lemvig, kauft
er sich im Jahre 1930 ein Sommerhaus,
auf der Steilküste am Meer
stehend, das er im Jahr 1952 der
Ferring-Kommune mit zahlreichen
Gemälden testamentarisch zur
Schaffung eines Museums übereignet
– heute das wohl bedeutendste
Søndergaard-Museum.
Ein schlichtes, helles und geräumiges
Anwesen. Beim Betrachten
der hier gezeigten Søndergaard-
Werke gleitet der Blick oft wie von
selbst hinaus in die das Museum
umschließende Landschaft, so als
wollte man erkunden, ob und wie
der Künstler die Wirklichkeit von
Meer, Strand, Wellen, Land, Licht
und Farben in seinen Gemälden
eingefangen hat. Zu den malerischen
Meisterwerken gehören
hier: Schiffe im Sturm, 1934; Ausruhen
nach der Ernte, 1948; Sommerfest
am Meer, 1952.
Landleben am Fjord, 1926
Allesamt dänischen Kunst-Museen
besitzen umfangreiche Werk-
Sammlungen des Künstlers, dessen
Œuvre allein mehrere tausend
Ölgemälde, zusätzlich Aquarelle
und Grafiken umfasst. So Kunsten
750 Jahre Gelenau: 1273 – 2023 35
Winter in der Stadt, 1949
in Aalborg, ein lichtdurchflutetes
und in die Kulturlandschaft harmonisch
eingefügtes Kunstmuse-
um, kaum mehr als 20 Kilometer
von Skørping entfernt, zeigt unter
anderem Winter in der Stadt,
1949 oder das zauberhafte kleine
Søndergaard-Museum in Heltborg
auf Thy, kaum vier Kilometer von
Hurup entfernt, wo der Maler als
Kind lebte, präsentiert unter anderem
Nach Sonnenuntergang, wirkungsvoll
ausgestellt im Jahr 1931
in Berlin. Dass auch im dänischen
Parlamentsgebäude Folketing Gemälde
von ihm präsentiert sind,
sei hinzugefügt.
Reist man nach Thisted, der Stadt-
Perle am Nordufer des Limfjord
gelegen, dann sollte der Søndergaard-Spurensucher
unbedingt
die hier 1938 eröffnete Bibliothek
aufsuchen. Der Künstler hat durch
sieben großformatige Gemälde die
Eingangsräume dieses Wissensund
Bildungstempels prachtvoll
ausgestaltet.
Jens Søndergaards Leben endet
1957 in seinem Haus in Charlottenlund,
unweit von Kopenhagen.
Nach Sonnenuntergang, 1931
36 750 Jahre Gelenau: 1273 – 2023
Bergauf, bergab – auf Skiern, mit dem Schlitten, zu Fuß
Vom Winter in Gelenau
Winter in Gäln. Über das Dorf
kommen, nicht selten, über Nacht
vom Osten her klirrende Kälte,
starker Wind und viel, viel Schnee.
In der Frühe sind die Wege verschneit
und verweht. Die Dächer
der Häuser tragen weiße Hauben.
Hoch liegt der Schnee vor den
Haustüren. Schneewehen türmen
sich auf Feldern und Wiesen. Aus
den Wäldern sind über Nacht
herrliche Märchenlandschaften
geworden … Staunend schauen
dann Jung und Alt auf Verwandlung
und Verzauberung des Ortes
durch die Ankunft des Winters.
Dicke Mäntel, Pullover, Handschuhe,
Schals, gefütterte Stiefel – die
Winterkleidung liegt schon lange
bereit und wird angezogen. Vergnügt
und laut stapfen Kinder auf
ihrem Weg zur Schule durch den
hohen Schnee. Mütter oder Väter
ziehen auf Schlitten ihre Jüngsten
zum Kindergarten. Berufstätige
bahnen sich den Weg zu ihren verschneiten
Autos. Nicht nur rüstige
Pensionäre beginnen schon am
Morgen eifrig Schnee zu schippen.
Natürlich hat der große Schneepflug
schon in aller Herrgottsfrühe
die wichtigsten Straßen des Dorfes
vom Schnee befreit …
Das Leben mit Schnee, Eis und
Kälte hat begonnen. So oder so
ähnlich. Schnell wird das Winterleben
zum ganz normalen Alltag,
denn raue, kalte und schneereiche
Winter gehören zum Erzgebirge,
auch zu Gelenau – und nicht nur
auf die Kammlagen über tausend
Meter Höhe. Besonders freudig
wird die Ankunft des Winters natürlich
bei den kleinen und großen
Winter-Sportlern begrüßt: bei
den Langläufern auf Skiern, bei
den Abfahrtsläufern, bei den Rodlern,
aber auch bei den heiteren
Wanderern durch die verschneite
Landschaft. Vielleicht geht es hinauf
auf die Höhenwege, beispielsweise
die Eisenstraße, auf denen
man Gelenau fast durchgängig
umwandern und dabei reizvolle
Ausblicke auf Landschaft und
Ort im weißen Schmuck genießen
kann. Für die Abfahrtsläufer gibt
es am Gerichtsberg einen zwar
kurzen, aber steilen Skihang mit
Schlepplift. Auf dessen Höhe angekommen,
eröffnet sich ein malerischer
Blick auf den gegenüberliegenden
bewaldeten Kegelsberg.
Tief durchatmend bestaunt man
dieses Winter-Panorama und
rauscht – nach Augenblicken des
Verweilens – mit frischem Mut
und Schwung den schneebedeckten
Steil-Hang erneut hinunter …
Vom Gerichtsberg eröffnet sich ein malerischer Blick auf den bewaldeten Kegelsberg
750 Jahre Gelenau: 1273 – 2023 37
Gelenau im Winter – Blick auf den unteren und mittleren Ortsteil
Zum Gerichtsberg in der frühen Abenddämmerung geschaut
38 750 Jahre Gelenau: 1273 – 2023
VON DER WUNDERSAMEN ADVENTSZEIT
… und wächst entgegen der einen Nacht der Herrlichkeit (Rilke)
Auf den (noch immer) geheimnisvollen
Dachböden … Vorfreude
ist die schönste Freude. Dieser
Spruch muss im Erzgebirge – vielleicht
sogar in Gelenau – in der
Woche vor dem ersten Advent
entstanden sein. Denn: In dieser
Zeit steigen Kind und Kegel voller
Ungeduld endlich hinauf, unters
Dach, in die Dachkammern.
Seit fast zehn Monaten schlafen
hier die wundersamsten kleinen
und großen Figuren vor allem aus
Holz – die Räuchermänner, die
Nussknacker, die Bergmänner, die
Engel, die nun in die Wohnstuben
hinuntergebracht, vorsichtig
und behutsam ausgepackt und
geweckt werden. Aber auch die
Schwibbögen, die Lichterhäuser,
die Pyramiden, die Adventssterne,
die Weihnachtsberge werden
hervorgeholt, sorgsam zusammengebaut,
kunstvoll in Zimmern auf
Tischen, Kommoden, Fensterbrettern
aufgestellt. Interessant ist zu
sehen, wie in diesen Figuren und
Formen unter anderem die (einstige)
Lebenswelt der Bergleute im
Erzgebirge kunstvoll regelrecht aufersteht.
Auch in der früheren und
gegenwärtigen sakralen Kunst. So
sind beispielsweise bereits im 17.
Jahrhundert Bergmänner aus Zinn
oder Holz als Träger von Altarkerzen
nachweisbar.
Vor vielen Häusern, auf den Plätzen
des Ortes ist nun ein reges
Treiben zu beobachten – Fichten,
Tannen, auch Sträucher werden
mit Lichterketten geschmückt. Da
und dort erstrahlt der nicht selten
schon verschneite Baum im hellen
Licht, das rasch wieder verlöscht –
zufriedene, strahlende Gesichter,
wenn alles im Probe-Leuchten auf
Anhieb funktioniert.
So erreicht die Advents- und
Weihnachts-Vorfreude, wie jedes
Einst – Karges Heilig-Abend-Mahl im Erzgebirge, Fritz Martin Rintelen
750 Jahre Gelenau: 1273 – 2023 39
Jahr, Jung und Alt – von Unter- bis
Ober-Gelenau, in den Tälern und
auf den Höhen… Endlich ist dann
der erste Advent da. So, als könnte
man es nun nicht mehr erwarten,
erstrahlt der Ort schon in der frühen
Dämmerung wie ein großes
Lichterhaus. Schauend, staunend
und bewundernd geht man durch
die Straßen und Gassen des Dorfes.
Sicher auch zur großen Pyramide
vor dem Gelenauer Rathaus,
die durch das Fest des Pyramiden-
Anschiebens, am Vorabend des
ersten Advents, sich nun bis weit
ins neue Jahr hinein unaufhörlich,
ohne Hast, aber ohne Rast, zur
Freude aller bewegt und dreht.
Nun geht es auf Weihnachten zu.
Wie wohl überall setzt ein reges
geschäftiges Treiben ein, gilt es
doch die Weihnachtsgeschenke
zu gestalten, die Stollen, vielleicht
bei einem der Bäcker in Gelenau,
backen zu lassen oder zumindest
zu bestellen, sich für den Weihnachtsbraten
zu entscheiden, den
Weihnachtsmarkt des Ortes zu besuchen
…
Doch nach all dem hastigen Tun
und Treiben des Tages bringt der
Abend im Angesicht all der erleuchteten
wundersamen Figuren,
dem stetigen Drehen der kleinen
und größeren Pyramiden mit ihren
christlichen oder weltlichen Motiven
innere Ruhe, Stille und Frieden
zurück. So vielleicht beim abendlichen,
einst kargen Mahl in der Familie.
Oder bei einem Abend-Spaziergang
durch den lichterhellen
Ort. Der spätromantische Dichter
Joseph von Eichendorff hat einen
solchen Augenblick erlebt und
poetisch festgehalten: Markt und
Straßen stehn verlassen, / Still erleuchtet
jedes Haus, / Sinnend geh
ich durch die Gassen, / Alles sieht so
festlich aus … (aus: WEIHNACH-
TEN). Und dies erst recht, wenn
eine fleißige Frau Holle die Betten
kräftig über dem Erzgebirge, über
Gelenau ausgeschüttelt hat!
Große Pyramide im Winterkleid vor dem Rathaus in Gelenau
Gefunden – Schwibbogen in einem verschneiten Garten
Kennen Sie diesen Gälner?
Rolf Schubert
G ruß aus
Gelenau / Erzg.
Möglicherweise, ja. Sie könnten
ihn in unserem Erzgebirgs-Dorf
getroffen und mit ihm geplaudert
haben. Oder Sie sind in seinem
Haus gewesen oder zumindest daran
vorbeigegangen, dort, wo er
einst wohnte und lebte und wo er
auch als reifer Mann immer wieder
zu Gast war. Falls nicht, dann
sind Sie vielleicht, so Sie sich für
Malerei, vor allem für Landschaftsmalerei,
und für Kunstgeschichte
interessieren, seinem künstlerischen
Schaffen begegnet. Denn:
Rolf Schubert, geboren 1932 in
Gelenau und hier aufgewachsen,
kann wohl zu den bedeutendsten
deutschen (Landschafts-) Malern
in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts
gezählt werden.
Seine Liebe zur Malerei und sein
Maltalent hat der angehende
Künstler offensichtlich früh erkannt;
angeregt und befördert
sicher durch seinen Vater, dem
Malermeister. Nach einer soliden
Ausbildung zum Dekorationsmaler
ab 1947 kommt Schuberts Werden
zum exzellenten Kunstmaler
rasch voran. Vor allem durch sein
Studium ab 1950 an der Fachschule
für Angewandte Kunst in Leipzig,
ab 1953 an der Kunsthochschule
Berlin-Weißensee und als
Meisterschüler bei Otto Nagel an
der Akademie der Künste in Berlin.
Seinem verehrten Lehrer Otto
Nagel hat Rolf Schubert übrigens
durch dessen Porträt, ein Gemälde
in Öl, ein sehenswertes Denkmal
geschaffen, das sich im Besitz der
Nationalgalerie in Berlin befindet.
Obwohl Rolf Schuberts Lebensmittelpunkt
Berlin ist, Studien-Reisen
ihn durch Europa, vor allem
nach Italien führen, er die Sommer
seit Anfang der 1970er Jahre
oft auf Hiddensee und Rügen zum
Winteridyll im Erzgebirge, Rolf-Schubert 1983
Malen verbringt, kehrt er doch immer
wieder in sein geliebtes Erzgebirge,
auch nach Gelenau, zurück.
Zum Malen. Offensichtlich mit
Vorliebe im Winter. Seine vielfältigen,
in seinem Schaffen einen
besonderen Platz einnehmenden
Landschaftsbilder, die das Erzgebirge
im Winter zeigen, belegen
das augenscheinlich. So auch das
kleine Öl-Gemälde Winteridyll im
Erzgebirge, das er 1983, durchaus
unter Verwendung von Motiven
aus der Gelenau umhüllenden
Landschaft im Winter, vollendet
hat. Beim Anschauen des Gemäldes
fällt der Blick wohl zuerst auf
den hohen Winter-Himmel und
auf die sich über die gesamte
Bildbreite ausdehnenden bewaldeten
blauen Berge in der Ferne,
wodurch das Bild gleichsam Tiefe
und Weite erhält. Idyllisch eingebettet
in verschneite Wiesen und
Felder sind die kleinen, ja geduckten
Wohnhäuschen, die durch die
drei hohen Pappeln zwar noch
winziger, aber auch behüteter wirken.
Das alles strahlt Stille, Ruhe,
Friedfertigkeit aus. Der Mensch
ist Teil der Landschaft, er lebt in
ihr, mit ihr. Schubert gelingt mit
diesem Bild ein ganz subjektiver,
schlichter, unspektakulärer und
gleichsam romantischer, ja soll
man sagen im besten Sinne vormoderner
Blick nicht nur auf die
Erzgebirgslandschaft im Winter,
sondern auch auf die Menschen,
die hier wohnen und leben.
Rolf Schubert stirbt 2013 in Hohen
Neuendorf, unweit von Berlin. Seine
Werke sind weit verstreut: in
Museen, Galerien und Privatbesitz.
Bedeutendes auch im Schloss
Schlettau in der Sammlung Erzgebirgische
Landschaftskunst, die
der Künstler umfassend bereichert
und unterstützt hat.
Vielleicht gelingt es ja zu 750 Jahre
Gelenau eine Rolf-Schubert-Ausstellung,
zumindest mit seinen Erzgebirgslandschaften,
auf die Beine
zu stellen. Ihm und uns tät´s gut!