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DVS_Bericht_387LP

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2023<br />

<strong>DVS</strong>-BERICHTE<br />

Schweißen im Anlagenund<br />

Behälterbau


51. Sondertagung<br />

Schweißen im Anlagenund<br />

Behälterbau 2023<br />

Vorträge der gleichnamigen Sondertagung<br />

in München vom 28.02. bis 03.03.2023<br />

Gemeinschaftsveranstaltung des <strong>DVS</strong> –<br />

Deutscher Verband für Schweißen und<br />

verwandte Verfahren e. V., Landesverband<br />

Bayern und Bezirksverband München, der<br />

GSI – Gesellschaft für Schweißtechnik<br />

International mbH, Niederlassung SLV München,<br />

und der TÜV SÜD Industrie Service GmbH


Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek<br />

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie;<br />

detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.<br />

<strong>DVS</strong>-<strong>Bericht</strong>e Band 387<br />

ISBN 978-3-96144-219-5 (Print)<br />

ISBN 978-3-96144-220-1 (E-Book)<br />

Die Vorträge wurden als Manuskript gedruckt.<br />

Alle Rechte, einschließlich Übersetzungsrecht, vorbehalten. Nachdruck und Vervielfältigung dieses<br />

Bandes oder von Teilen desselben nur mit Genehmigung der <strong>DVS</strong> Media GmbH, Düsseldorf.<br />

© <strong>DVS</strong> Media GmbH, Düsseldorf ⋅ 2023<br />

Druck: Print Media Group GmbH & Co. KG, Hamm


Vorwort<br />

Die Veranstalter, die GSI mbH, Niederlassung SLV München, die TÜV SÜD Industrie Service GmbH, der<br />

Landesverband Bayern und der Bezirksverband München des <strong>DVS</strong> e. V. begrüßen Sie sehr herzlich zur<br />

51. schweißtechnischen Fachtagung „Schweißen im Anlagen- und Behälterbau“ im Münchner<br />

Künstlerhaus.<br />

Der vorliegende <strong>Bericht</strong>sband enthält die Manuskripte der Vorträge, die ebenfalls auf der beigefügten<br />

USB-Card als PDF-Datei enthalten sind.<br />

Das Bestreben des Redaktionskreises war auch diesmal wieder, ein breites Spektrum an Themen zu<br />

aktuellen praxisnahen Fragestellungen aus den Bereichen der Schweißtechnik und des Anlagen- und<br />

Behälterbaus aufzuzeigen. So hat er wieder eine vielfältige Auswahl an Fachvorträgen auf den Gebieten<br />

„Qualitätssicherung“, „Werkstoffe, Prüfung und Verfahren“ sowie „Fertigung und Anwendung“<br />

zusammengestellt und konnte hierfür kompetente Fachleute mit Praxiserfahrung gewinnen.<br />

Im Rahmen der schweißtechnischen Fachtagung „Schweißen im Anlagen- und Behälterbau“ wird es<br />

neben dem Wissenstransfer vielfältige Möglichkeiten für den fachlichen Austausch geben. Insbesondere<br />

die Arbeitsgruppen, die an zwei Nachmittagen der Hauptveranstaltung stattfinden, laden hierzu ein.<br />

Die Veranstalter dieser Sondertagung danken den Vortragenden und Fachreferenten, den Diskussionsund<br />

Arbeitsgruppenleitern und allen, die zum Gelingen der Veranstaltung beitragen. Dank gilt auch der<br />

<strong>DVS</strong> Media GmbH für die Veröffentlichung des <strong>Bericht</strong>sbands.<br />

München, im Februar 2023<br />

Dipl.-Ing. Michael Dey Dipl.-Ing. Ferdinand Neuwieser Prof. Dr.-Ing. Prof. h. c. Dieter Böhme<br />

GSI mbH, NL SLV München TÜV SÜD Industrie Service GmbH <strong>DVS</strong> e. V., Landesverband Bayern


Inhaltsverzeichnis<br />

Vorwort<br />

Basis-Information: „Besonderheiten bei der schweißtechnischen Herstellung von Druckgeräten<br />

nach den Vorgaben der DGRL“ – ein Buch mit sieben Siegeln?<br />

Grundlagen der Druckgeräterichtlinie 2014/68/EU .................................................................................. 1<br />

Karsten Schnoy, Hannover<br />

Schallemissionsprüfung (SEP) an Druckbehältern im Rahmen der Endabnahme in der Herstellung ...... 4<br />

Levent Sahin, München; Hermann Schubert, Leverkusen<br />

Verantwortung und Haftung der Schweißaufsichtsperson ...................................................................... 8<br />

Thomas Wilrich, Münsing<br />

Qualifizierung der Schweißverfahren .................................................................................................... 12<br />

Volker Hase, München<br />

Eröffnungsvortrag<br />

Strategie, Projekte und Ausblick im Bereich Wasserstofftechnologie bei Kraftanlagen<br />

Energies & Services ............................................................................................................................. 21<br />

Marcus Dörfler, Karsten Werth, München<br />

Regelwerke und Qualitätssicherung<br />

EN-Druckgerätenormen für Wasserstoff – Stand der Arbeiten auf europäischer Ebene ....................... 25<br />

Andreas Kittel, Pullach<br />

Schweißrauchemission beim Metallschutzgasschweißen – Ursachen und Einflussfaktoren …………. .. 30<br />

B. Ebert, U. Reisgen, R. Sharma, Aachen<br />

Kalibrieren und Validieren in der Schweißtechnik – Warum und wie muss kalibriert werden? .............. 35<br />

J. Mußmann, Meerbusch<br />

Personenzertifizierung –UKCA Zulassung ............................................................................................ 46<br />

M. Fröhlich, D. Kölbl, Essen; J. Vogelsang, Duisburg<br />

Werkstoffe, Prüfung und Verfahren<br />

Mit Baseline-RBI gezielt Prüforte und -methoden festlegen .................................................................. 51<br />

F. Dinauer, R. Kauer und R. Vogel, München<br />

Rührreibschweißen im Anlagen- und Behälterbau – jetzt auch an Stahlkonstruktionen möglich ........... 58<br />

R. Boywitt, Berlin


Überwachung von Schweißprozessen mittels Bildauswertung im sichtbaren<br />

und unsichtbaren Spektrum .................................................................................................................. 64<br />

C. Gerau, Ratingen; K. Niepold, Mühlheim an der Ruhr<br />

Neuentwicklungen im Bereich der Fülldrahtelektroden für nichtrostende und kaltzähe Werkstoffe ....... 71<br />

R. Paschold, M. Schwetlick, Langenfeld<br />

Additive Fertigung – Erste Erfahrungen Qualifizierungsverfahren in der additiven Fertigung ................ 77<br />

M. Boche, H. Koch, Filderstadt<br />

Schweißen im Wasserstoffanlagen- und Behälterbau – Eine Kurzübersicht ......................................... 83<br />

T. Kannengießer, M. Rhode, Berlin<br />

Fertigung und Anwendung<br />

Glasfaser-Epoxidharz-Komposits (GFK) in der Wasserstoffindustrie ..................................................... 89<br />

S. Wipperfürth, Hardenberg<br />

Anwendung der additiven Lichtbogenfertigung an Aluminium im Anlagen- und Behälterbau ................ 91<br />

M. Lohr, G. Wimmer, Tacherting; M. Schörghuber, Wels-Thalheim/AT<br />

Additive Fertigung: Das Inverkehrbringen gemäß DGRL 2014/68/EU von additiv gefertigten<br />

Druckgeräten bzw. von Druckgeräten mit additiv gefertigten Komponenten ......................................... 97<br />

Ö. Memet, Filderstadt<br />

Augmented-Reality-basierte Qualitätsinspektion von Schweißbaugruppen ........................................ 101<br />

O. Bockholt, Darmstadt<br />

Mobile additive Fertigung im Bereich der Vor-Ort-Bauteilsanierung .................................................... 106<br />

C. Döppe, L. Mühlstein, Mülheim an der Ruhr<br />

Fertigung einer Kolonne nach ASME BPVC Sec. VIII Div. 1 mit Aufstellungsort Polen ....................... 110<br />

K. Specker, Haselünne<br />

Verfasserverzeichnis ........................................................................................................................ 117<br />

Anhang: Aktueller Stand zur Normung


Grundlagen der Druckgeräterichtlinie 2014/68/EU<br />

K. Schnoy, Hannover<br />

Mit der Ausrichtung der Druckgeräterichtlinie 2014/68/EU an die Entscheidung 768:2008 wurde die einheitliche Struktur<br />

der New Approach-Richtlinien auch für Druckgeräte umgesetzt. Es durfte dabei sich inhaltlich nichts ändern!<br />

Die Umsetzung in nationales Recht erfolgte in Deutschland durch das Produktsicherheitsgesetz (ProdSG), in der<br />

darunter erlassenen Druckgeräteverordnung (14. ProdSV). Druckgeräte, die in der EU in Verkehr gebracht und vom<br />

Geltungsbereich der DGRL erfasst werden, müssen dieser Richtlinie und damit der nationalen Verordnung entsprechen.<br />

Die Druckgeräterichtlinie 2014/68/EU gilt für Druckgeräte, Rohrleitungen, Dampfkesselanlagen, druckhaltende Ausrüstungsteile<br />

mit und ohne Sicherheitsfunktionen sowie Baugruppen mit einem zulässigen Betriebsüberdruck über<br />

0,5 bar. Die Richtlinie ist in Kapiteln, Artikeln und Anhängen strukturiert. Darüber hinaus existieren Leitlinien, die als<br />

Interpretationshilfe (keine Rechtsverbindlichkeit) der Richtlinie anzusehen sind.<br />

1 Übersicht<br />

1.1 Blue Guide (Leitfaden für die Umsetzung der Produktvorschriften der EU)<br />

1.2 Druckgeräterichtlinie 2014/68/EU<br />

o Aufbau<br />

o Wesentliche Sicherheitsanforderung gemäß DGRL Anhang I<br />

o Konformitätsbewertungsdiagramm gemäß DGRL Anhang II<br />

o Konformitätsbewertungsverfahren gemäß DGRL Anhang III<br />

o Konformitätserklärung gemäß DGRL Anhang IV<br />

o Aufgehobene Richtlinie mit Änderungsrechtakten gemäß Anhang V<br />

o Entsprechungstabelle gemäß DGRL Anhang VI<br />

1.3 Leitlinien zur Druckgeräterichtlinie<br />

1.1 Blue Guide (Leitfaden für die Umsetzung der Produktvorschriften der EU)<br />

Mit diesem Leitfaden soll ein Beitrag zum besseren Verständnis der Produktvorschriften der EU sowie zu ihrer einheitlicheren<br />

und kohärenteren Anwendung in den verschiedenen Bereichen und im gesamten Binnenmarkt geleistet<br />

werden. Der Leitfaden richtet sich an die Mitgliedstaaten sowie an all jene, die mit den Vorschriften zur Gewährleistung<br />

des freien Warenverkehrs und eines hohen Schutzniveaus innerhalb der Union vertraut sein sollten (z. B. Handels-<br />

und Verbraucherverbände, Normungsorganisationen, Hersteller, Einführer, Händler, Konformitätsbewertungsstellen<br />

und Gewerkschaften).<br />

Bei dem vorliegenden Dokument handelt es sich lediglich um Leitlinien - Rechtskraft kommt ausschließlich den jeweiligen<br />

Harmonisierungsrechtsakten der Union zu. In manchen Fällen können Unstimmigkeiten zwischen den Bestimmungen<br />

eines Harmonisierungsrechtsakts der Union und dem Inhalt dieses Leitfadens bestehen, insbesondere<br />

dann, wenn in diesem Leitfaden nicht in allen Einzelheiten auf leicht voneinander abweichende Vorschriften in den<br />

einzelnen Harmonisierungsrechtsakten der Union eingegangen werden kann. Die rechtsverbindliche Auslegung des<br />

Unionsrechts obliegt ausschließlich dem Gerichtshof der Europäischen Union. Die in diesem Leitfaden dargelegten<br />

Auffassungen sind nicht als Vorgriff auf Standpunkte zu verstehen, die die Kommission gegebenenfalls vor dem<br />

Gerichtshof vertritt. Weder die Europäische Kommission noch Personen, die im Auftrag der Kommission handeln,<br />

können für die Verwendung der im Folgenden dargelegten Informationen verantwortlich gemacht werden.<br />

<strong>DVS</strong> 387 1


1.2 Druckgeräterichtlinie 2014/68/EU<br />

Seit dem 30.05.2002 gilt für die Inverkehrbringung sowie für die Hersteller von Druckgeräten ausschließlich die europäische<br />

Druckgeräterichtlinie (DGRL). Die erste Ausgabe trug die Bezeichnung 97/23/EG.<br />

Seit dem 19.07.2016 gilt die Ausgabe mit der Bezeichnung 2014/68/EU.<br />

Der Geltungsbereich der Druckgeräterichtlinie (DGRL) ist im Artikel 1 beschrieben. Dabei wird festgelegt, dass diese<br />

Richtlinie für die Auslegung, Fertigung und Konformitätsbewertung (Bewertungsverfahren zur Einhaltung der Richtlinie)<br />

von Druckgeräten und Baugruppen mit einem maximal zulässigen Druck (PS) von über 0,5 bar maßgeblich ist.<br />

Zudem werden Ausnahmen, Anlagentypen und Richtlinien festgelegt, wofür die Druckgeräterichtlinie nicht zwingend<br />

anzuwenden ist bzw. gilt.<br />

Druckgeräte, die in den Geltungsbereich der Richtlinie fallen, werden in Abhängigkeit der Druckgeräteart (Behälter,<br />

Rohrleitung, Ausrüstungsteile mit/ohne Sicherheitsfunktion) maximal zulässigen Druck/Temperatur, Gefährlichkeitsmerkmalen<br />

des enthaltenen Fluids (Gefahrstoffverordnung EG-Nr. 1272/2008), Größe des Volumens oder der Nennweite<br />

und des daraus abzuleitenden Gefährdungspotentials in unterschiedliche Kategorien (I, II, III, IV) eingestuft.<br />

Dabei stellt die Kategorie IV das höchste Gefährdungspotential dar. Druckgeräte mit geringem Gefährdungspotential,<br />

die nicht von der Kategorie I erfasst werden, sind unter dem Artikel 4, Absatz 3 der „guten Ingenieurepraxis“ zu<br />

bewerten.<br />

2 <strong>DVS</strong> 387


1.3 Leitlinien zur Druckgeräterichtlinie<br />

Um eine einheitliche Anwendung der Druckgeräterichtlinie sicherzustellen, werden im Rahmen der Arbeitsgruppe<br />

"Druck" (Working Group Pressure; WGP) der Europäischen Kommission Leitlinien erstellt und abgestimmt.<br />

Sie sind im Format „Frage - Antwort" aufgebaut.<br />

Die Leitlinien sind keine rechtsverbindliche Auslegung der Richtlinie. Rechtsverbindlich bleibt weiterhin allein der<br />

Text der Richtlinie 2014/68/EU.<br />

Die Leitlinien stellen jedoch eine Bezugnahme dar, mit der die einheitliche Anwendung der Richtlinie durch alle Betroffenen<br />

sichergestellt werden soll. Sie geben, soweit in den einzelnen Texten nichts anderes angegeben ist, die<br />

übereinstimmende Meinung der Experten der Mitgliedstaaten wieder.<br />

Literatur<br />

[1] Internetseiten der europäischen commission<br />

<strong>DVS</strong> 387 3


Schallemissionsprüfung (SEP) an Druckbehältern im Rahmen der Endabnahme<br />

in der Herstellung<br />

L. Sahin, München<br />

H. Schubert, Leverkusen<br />

Schallemissionsprüfung an Druckbehältern wird seit vielen Jahren bei der Endabnahme im Rahmen der Herstellung<br />

und bei der wiederkehrenden Prüfung eingesetzt. Gemäß DIN EN 13345-5 ist das Schallemissionsprüfverfahren im<br />

Rahmen der Herstellung kein Ersatz für die verbindlich vorgeschriebenen Prüfungen und Prüfanforderungen, soll<br />

jedoch als ergänzende Maßnahme für pneumatische und hydrostatische/pneumatische Prüfungen dienen.<br />

Das Verfahren kann auf Behälter mit einfacher Geometrie angewendet werden, z. B. Kugelbehälter und zylindrische<br />

Behälter mit gewölbten oder ebenen Böden. Während der Druckbelastung werden mithilfe der angebrachten Schallemissionssensoren<br />

Aktivitäts- und Intensitätsänderung bzw. -anstiege gemessen und die genaue Position am<br />

Prüfobjekt lokalisiert. Eine Bestimmung der Fehlerart und der Fehlergröße ist jedoch bei der Schallemissionsanalyse<br />

nur mit umfangreichen Vor- und Nachuntersuchungen möglich.<br />

1 Problembeschreibung<br />

Schweißnahtfehler bei Druckbehältern, die im Rahmen der Herstellung nicht erkannt werden, können für Anlagenbetreiber<br />

während des Betriebs katastrophale Schäden und negative wirtschaftlich Konsequenzen verursachen:<br />

- Ausfallzeit bzw. Verfügbarkeit der Druckanlage<br />

- Kosten für Reparaturen<br />

- Sehr aufwendige Reparaturen<br />

- Folgeschäden durch Reparaturschweißung in der Schweißnaht und der Wärmeeinflusszone<br />

- Wurden viele dieser Behälter hergestellt, skaliert sich der Effekt Rückruf wird notwendig, Reputationsschaden,<br />

Regress- und Schadensansprüche werden möglich.<br />

Aus den oben genannten Gründen müssen alle Druckbehälter im Rahmen der Herstellung einer Abnahmeprüfung<br />

in Rahmen der Herstellung unterzogen werden. Die Abnahmeprüfung besteht aus einer Sichtprüfung und einer Maßprüfung<br />

des Druckbehälters, einer Überprüfung der Dokumentation, einer Druckprüfung, einer Untersuchung nach<br />

der Druckprüfung und einer Prüfung der Ausrüstungsteile mit Sicherheitsfunktion.<br />

Ziel der Druckprüfung ist der Nachweis der Druckfestigkeit des Produktes. Die Festigkeitsprüfung erfolgt als Wasseroder<br />

Gasdruckprüfung. Bei einer Druckprüfung als Flüssigkeitsdruckprüfung oder Gasdruckprüfung wird geprüft, ob<br />

die drucktragende Wandung unter Prüfdruck gegenüber dem Prüfmittel dicht sind und ob keine sicherheitstechnisch<br />

bedenklichen Verformungen auftreten.<br />

Es kommt jedoch vor, dass trotz der vielen Prüfschritte Schweißnahtfehler unentdeckt bleiben.<br />

2 Lösungsansatz<br />

Durch die Aufnahme neuer Prüfverfahren in die Herstellerregelwerke erhalten Hersteller die Möglichkeit, diese Verfahren<br />

einzusetzen, um ihre Prüfprozesse zu optimieren und/oder zu ergänzen und die Qualität erhöhen. So wurde<br />

z. B. die Schallemissionsprüfung in die EN 13445-5 aufgenommen.<br />

Die Schallemissionsprüfungen (SEP, engl. acoustic emission testing AT) ist ein anerkanntes zerstörungsfreies Prüfverfahren<br />

und dient der integralen Detektion und Lokalisation von Leckagen und Fehlern wie Rissen oder Korrosion.<br />

Das Einsatzgebiet der Schallemissionsprüfung ist sehr vielfältig und wird in unterschiedlichen Phasen der Lebensdauer<br />

eines Produktes zur Zustandsbewertung eingesetzt:<br />

- Werkstoff- und Konstruktionsoptimierung;<br />

- Herstellung (Qualitätssicherung);<br />

- Abnahmeprüfung;<br />

• erste Druckprüfung;<br />

• wiederkehrenden Prüfungen;<br />

- Überwachung während des Betriebs/ Zustandsüberwachung;<br />

- Feststellung von Undichtheiten.<br />

4 <strong>DVS</strong> 387


Die Schallemissionsprüfung wird seit den 90er Jahren in Deutschland als Arbeitsschutzmaßnahme bei der Gasdruckprüfung<br />

im Rahmen der wiederkehrenden Prüfung angewendet. Die Prüfung erfolgt nach VdTÜV Merkblatt 369<br />

und ist auch für die Gasdruckprüfung in der berufsgenossenschaftlichen Richtline T039 vorgeschrieben.<br />

Im Rahmen der Herstellung kann die Schallemissionsprüfung nach EN 13445-5 Anhang E vorgesehen werden. In<br />

diesem Fall erfolgt die Druckprüfung nach der EN 14584. Die Schallemissionsprüfung dient als ergänzende Maßnahme<br />

für pneumatische und hydrostatische/pneumatische Prüfungen in Kombination. Auch als Diagnose- und Monitoringverfahren<br />

erfüllt sie ihren Zweck.<br />

Bei der Schallemissionsprüfung wird das Prüfobjekt mit zusätzlichem Druck belastet. Das Belastungsniveau liegt<br />

über dem realen Betriebszustand. Bei Druckbehältern erfolgt die Prüfung als Gas- (PT = 1,1x PS) bzw. Wasserdruckprüfung<br />

(PT ≥ (1,3 – 2,0) x PS). Bei der wiederkehrenden Prüfung wird der Prüfdruck einmal aufgebracht,<br />

während bei der Endabnahme im Rahmen der Herstellung der Prüfdruck zweimal aufgebracht wird. Bei der ersten<br />

Druckbeaufschlagung sollen die Eigenspannungen in der Schweißnaht gelöst werden. Während der Druckbelastung<br />

werden mithilfe der angebrachten Schallemissionssensoren Aktivitäts- und Intensitätsänderung bzw. -anstiege gemessen<br />

und die Position am Prüfobjekt lokalisiert. Ein Vorteil ist, dass Fehler registriert werden können, noch bevor<br />

diese kritisch werden. Zudem kann die Prüfung von Druckgeräten mit dem einen Betriebsmedium erfolgen, ohne<br />

dass sie geöffnet und entleert werden müssen. Damit reduziert sich der verbundene zeitliche, organisatorische und<br />

monetäre Aufwand. Das Ziel der Prüfung ist eine Aussage über die Qualität des Prüfobjekts unter Belastung.<br />

Schallemission ist ein physikalisches Phänomen, durch das transiente elastische Wellen innerhalb eines Werkstoffs<br />

oder durch einen Prozess erzeugt werden (2) bzw. (7). Die Aufbringung von Lasten auf einen Werkstoff (6) verursacht<br />

innere strukturelle Änderungen, wie z.B. lokale plastische Verformung, Risswachstum (1), Korrosion, Erosion und<br />

Phasenübergänge (siehe Bild 1).<br />

Legende<br />

1 wachsender Riss<br />

2 Oberflächenwelle<br />

3 Vorverstärker<br />

4 Schallemissionssensor<br />

5 Ausgangssignal<br />

6 Querschnitt durch den<br />

Werkstoff<br />

7 Wellenpaket<br />

8 durch die aufgebrachte<br />

Last erzeugte Spannung<br />

Abb 1. Schematische Darstellung des Prinzips der Schallemission und ihres Nachweises [Quelle: DIN<br />

13554 SEP]<br />

Die Schallwellen werden mithilfe geeigneter Sensoren (4), welche die Oberflächenwelle (2) des<br />

Werkstoffes in elektrische Signale umwandeln (5), aufgenommen. Die Aufnahme der Schallwellen<br />

erfolgt durch piezoelektrische Sensoren, die meist als Resonanzaufnehmer arbeiten. Der Messkörper<br />

ist in der Regel aus Blei-Zirkonat-Titanat (PZT) und erzeugt ein messbares Signal von 1 µV<br />

bei einer Auslenkung von 10 -12 m. Diese Signale werden mit einer geeigneten Messtechnik aufgezeichnet<br />

und verarbeitet, um die Schallemissionsquellen festzustellen, zu charakterisieren und<br />

zu orten.<br />

Das Schallemissionsverfahren ist ein passives Nachweisverfahren, dass die dynamische Reaktion des Werkstoffs<br />

auf die aufgebrachte Last oder die Umgebung aufzeichnet. Es ermöglicht den Nachweis von Quellen bis zu einer<br />

Entfernung von mehreren Metern in Abhängigkeit der Werkstoffeigenschaften. Fehlerwachstum und Änderungen im<br />

Werkstoffaufbau werden durch das empfindliche Verfahren frühzeitig detektiert und geortet.<br />

Der Unterschied zwischen der Schallemissionsprüfung und den meisten anderen zerstörungsfreien Prüfverfahren<br />

folgt aus den oben aufgeführten Merkmalen. Es ist der Werkstoff selbst, der infolge struktureller Degradation aufgrund<br />

verschiedener Quellmechanismen Energie freisetzt. Das unterscheidet dieses Verfahren von der Feststellung<br />

vorhandener geometrischer Inhomogenitäten/Abweichungen in einem statischen Zustand.<br />

Grenzen des Schallemissionsverfahrens sind:<br />

• Nicht wachsende Inhomogenitäten erzeugen möglicherweise keine Schallemissionssignale.<br />

• Durch die wiederholte Aufbringung einer Belastung bis zum zuvor aufgebrachten maximalen Spannungsniveau<br />

werden lediglich die Inhomogenitäten identifiziert, die immer noch aktiv sind.<br />

• Es ist empfindlich gegenüber Betriebsgeräuschen und anderen, äußeren Störgeräuschen.<br />

<strong>DVS</strong> 387 5


3 Schallemissionsprüfung<br />

An Druckgeräten erfolgt die Schallemissionsprüfung nach nationalen oder europäischen Standards. Die harmonisierte<br />

Norm DIN EN 14584 legt das Verfahren zur Durchführung einer Schallemissionsprüfung an metallischen<br />

Druckgeräten während der Druck-Abnahmeprüfung unter Anwendung der planaren Ortung fest. Allgemeine Grundlagen<br />

der Schallemission sind in der DIN EN 13554 beschrieben.<br />

Das Ziel der Schallemissionsprüfung ist eine 100 %-Volumenprüfung, um jene Regionen in der Struktur zu bestimmen,<br />

die, akustisch aktiv, stoßartige Schallemissionen erzeugen, z. B. als Folge von subkritischem Fehlerwachstum.<br />

Die Prüfung liefert Referenzdaten für den Vergleich mit den Ergebnissen späterer Prüfungen.<br />

Die Prüfung wird durch qualifizierte und zertifizierte Prüfer nach DIN EN ISO 9712 durchgeführt. Die von den Prüfern<br />

verwendeten Schallemissionsgeräte müssen die Anforderungen der DIN EN 13477-2 erfüllen und ihre Leistungsfähigkeit<br />

muss in regelmäßigen Abständen nach dieser europäischen Norm überprüft werden.<br />

Die Belastung des Prüfobjektes erfolgt je nach Komponente, Prüfstandard und Phase der Lebensdauer mit einer<br />

definierten Drucksteigerungsrate. Im Rahmen der Endabnahme in der Herstellung erfolgt die Druckprüfung an metallischen<br />

Druckgeräten mit einer Drucksteigerungsrate von maximal einem Prozent vom Prüfdruck je Minute (1 %<br />

PT/min) bei einer Gasdruckdruckprüfung und maximal fünf Prozent vom Prüfdruck je Minute (5 % PT/min) bei einer<br />

hydraulischen Druckprüfung. In Abhängigkeit der Druckrate sind zudem ausreichend viele Haltephasen und falls<br />

notwendig Druckablassphasen vorzusehen.<br />

In Bild 2 ist die 2D- und die 3D-Darstellung für die Ortung von Schallemissionsquellen an einem Druckbehälter<br />

abgebildet. Die Visualisierung zeigt die Probeortungsergebnisse entlang der Längsnaht des Druckbehälters. Die<br />

Ortungsgenauigkeit wird bei jeder Prüfung im Vorfeld geprüft. Die Toleranz liegt bei 5 % der maximalen<br />

Sensorabstandes. In der 2D-Abwicklung (rechts) werden die georteten Signale (rote Punkte) nach ihrer örtlichen<br />

Anhäufung in Cluster eingruppiert (bunte Quadrate). Die unterschiedlichen Farben der Cluster zeigen den Grad der<br />

Aktivität in Bezug auf die eingestellte Clustergröße an. Der Akivitätsgrad wird mit der Anzahl der georteten Signale<br />

in einem Cluster festgelegt.<br />

Abb 2. 2D- und 3D-Darstellung mit Ortungsergebnissen der Probeortung an der Längsnaht eines Druckbehälters<br />

Im Anschluss an die Prüfung werden die Cluster von georteten Schallemissionsquellen entsprechend ihrer<br />

Schallemissionsaktivität und -intensität in drei Klassen eingeteilt und entsprechende Maßnahmen getroffen, siehe<br />

Tabelle 1. Die quantitativen Bewertungskriterien und individuelle Maßnahmen müssen in der schriftlichen<br />

Prüfanweisung definiert sein und sollten zwischen dem Kunden und der Schallemissions-Prüforganisation vereinbart<br />

werden.<br />

Tabelle 1. Einstufung der Ansammlungen von Schallemissionsquellen<br />

Einstufung der<br />

SE Quellen im Cluster<br />

Klasse 1<br />

Klasse 2<br />

Klasse 3<br />

Definition<br />

unbedeutende<br />

Quelle<br />

aktive Quelle<br />

sehr aktive<br />

Quelle<br />

Weitere Vorgehensweise /Maßnahmen<br />

keine weiteren Maßnahmen<br />

VT, UT und/oder weitere ZfP zur Nachuntersuchung<br />

und Bewertung<br />

Prüfunterbrechung/ -abbruch, Druckablass, VT, UT<br />

und weitere ZfP vor der Inbetriebnahme des Druckgerätes<br />

zur Nachuntersuchung und Bewertung<br />

6 <strong>DVS</strong> 387


4 Nachweis von Fehlern an einem Praxisbeispiel<br />

Die praktische Anwendung wird in folgendem Beispiel veranschaulicht.<br />

Ein Betreiber von weltweit aufgestellten Industrieanlagen betreibt baugleiche doppelwandige Reaktoren (Werkstoff<br />

WStE 460/1.4539). An einem dieser Reaktoren wurden während eines Revisionsstillstandes Diskontinuitäten an den<br />

Längs- und Rundnähten festgestellt. Eine Untersuchung von außen war aus baulichen Gründen nicht möglich, und<br />

aufgrund des eingeschränkten Zugangs war auch eine Ultraschallprüfung von innen nicht in allen Bereichen möglich<br />

bzw. der Prüfbereich konnte nicht vollumfänglich geprüft werden.<br />

Um festzustellen, ob diese Diskontinuitäten/ Schweißnahtfehler auch bei höheren Drücken aktiv sind bzw. weiterwachsen,<br />

wurde der TÜV SÜD beauftragt, die Druckprüfung an diesen Reaktor mit der Schallemissionsprüfung zu<br />

begleiten. Die Prüfung wurde gemäß DIN EN 14584 durchgeführt. Die Ergebnisse der Schallemissionsprüfung wurden<br />

mittels Ultraschallprüfung nachuntersucht. Bei den durchgeführten Ultraschallmessungen wurden Schweißnahtfehler<br />

mit einer Länge von bis zu 25 mm gefunden, die sich in der Schweißnaht befinden. Daher wird vom Betreiber<br />

vermutet, dass die Schweißnahtfehler auf die Herstellung zurückzuführen sind.<br />

Abb. 3. Digitaler Zwilling: Örtliche Verteilung der Schallemissionsaktivitäten in 3D und 2D<br />

Betreiber und auch Hersteller waren mit den Erkenntnissen aus dem Schallemissionsprüfverfahren zufrieden und<br />

konnten Maßnahmen für den Betrieb für sich ableiten. Als Folge werden mittlerweile alle Druckprüfungen im Rahmen<br />

der Herstellungsprüfung mit der Schallemissionsprüfung begleitet. Die Schallemissionsprüfung dient hierbei auch als<br />

Nullmessung (Referenzmessung) für zukünftige Prüfungen. Die Daten der zukünftigen Prüfungen werden zusätzlich<br />

zur herkömmlichen Datenbewertung mit den Daten der Nullmessung verglichen (Soll-Ist-Vergleich).<br />

Abb. 4. Reaktor im Herstellerwerk<br />

Abb. 5. Nullmessung – Druckprofil mit Druckhaltephasen<br />

(grüne Linie) und Aktivitätenverteilung (rote Punkte)<br />

5 Zusammenfassung<br />

Die Schallemissionsprüfung ist ein ZfP-Verfahren, das mit „relativ“ wenig Aufwand eine integrale Prüfaussage während<br />

der Belastung des Prüfobjekts ermöglicht. Aktive Fehler werden registriert, noch bevor sie einen kritischen<br />

Zustand erreichen. Mithilfe der Schallemissionsprüfung werden die aktiven Stellen/Signalanhäufungen im Prüfobjekt<br />

lokalisiert und im Anschluss mit weiteren zerstörungsfreien Prüfverfahren erneut nachuntersucht und dann bewertet.<br />

Literatur<br />

[1] Schoeld, Bradford H.: Acoustic emission under applied stress, Vessels and Associates, Boston, 1961.<br />

[2] Miller, Ronnie K.; Hill, Eric v.K.: Nondestructive Testing Handbook, 3 rd Edition – Acoustic Emission, Vol. 6;<br />

[3] DIN EN 13554 (2011-04): Zerstörungsfreie Prüfung – Schallemissionsprüfung – Allgemeine Grundsätze;<br />

[4] DIN EN 14584 (2013-07): Zerstörungsfreie Prüfung – Schallemissionsprüfung – Prüfung von metallischen<br />

Druckgeräten während der Abnahmeprüfung – Planare Ortung von Schallemissionsquellen;<br />

[5] DIN EN 13445-5 (2014): Unbefeuerte Druckbehälter – Teil 5: Inspektion und Prüfung<br />

<strong>DVS</strong> 387 7


Verantwortung und Haftung der Schweißaufsichtsperson<br />

T. Wilrich, Münsing<br />

Schweißaufsichtspersonen<br />

• sind – wie alle Beschäftigten – für alles verantwortlich, was sie tun (zur Sorgfaltspflicht und Fach- bzw. Handlungsverantwortung<br />

siehe 1).<br />

• haben – bei eingeräumtem Weisungsrecht – Fürsorgepflichten für die ihnen unterstellten und von ihnen gesteuerten<br />

Beschäftigten und so Personalverantwortung (zur Fürsorgepflicht und Personalverantwortung siehe 2),<br />

und<br />

• können auch Verantwortung für Gefahrenquellen übernehmen (zur Verkehrssicherungspflicht und Bereichsbzw.<br />

Betreiberverantwortung siehe 3).<br />

1 Sorgfaltspflicht und Fach- bzw. Handlungsverantwortung<br />

Alle Beschäftigten – auch Schweißaufsichtspersonen – sind jederzeit und jederorts unbeschränkt für alles verantwortlich,<br />

was sie tun 1 . Sie müssen alle Aufgaben sorgfältig erledigen. „Mit jedem Arbeitsauftrag wird automatisch die<br />

Handlungsverantwortung delegiert“ 2 . Denn „grundsätzlich muss jeder Beschäftigte ohne Rücksicht auf etwaige Anweisungen<br />

des Auftraggebers seine Aufgaben so erfüllen, dass aus der Ausführungstätigkeit keine Gefahren für<br />

Dritte entstehen“ 3 .<br />

Beispiel 1: Nach der Gasexplosion nahe einer Bäckerei in Lehrberg wirft das Amtsgericht Ansbach einem Monteur<br />

die „falsche Verwendung (versehentlich verstellte Drehrichtung) eines unzulässigen Werkzeugs (mit Druckluft betriebener<br />

Schrauber statt händisch eingesetzter Knarre)“ vor 4 . Das sind zwei sorgfaltswidrige Entscheidungen.<br />

Beispiel 2: Ein Flexer verwechselte Gasleitungen und verursachte 2016 auf dem BASF-Werksgelände eine Explosion.<br />

Das Landgericht Frankenthal warf ihm vor, er „schnitt mit Trennschleifer anstatt in die zu bearbeitende und<br />

vorher entleerte Propyhlenleitung in eine gefüllte Raffinatleitung“. „Nach der Auswahl und Identifizierung der Stelle<br />

des Arbeitsbeginns und des ersten Schnittes, die den Zeugen T und M oblag und damit auch der erstmaligen Bestimmung<br />

des korrekten zu bearbeitenden Rohres, war der Angeklagte für seine weitere Orientierung und konsequente<br />

Weiterverfolgung im Rahmen der von ihm übernommenen Tätigkeit verantwortlich“. Konkret machte das Gericht<br />

den Vorwurf eines „Erkenntnisfehlers bei der Auswahl des zu bearbeitenden Rohres. Trotz vielfältigen Möglichkeiten<br />

der Orientierung identifizierte der Angeklagte versehentlich die Rohrleitung nicht korrekt und setzte schließlich<br />

den Trennschleifer an einem falschen Rohr an und führte einen Schnitt aus“. Das Gericht behauptete, ihm „war<br />

bewusst, dass alleine er für die Auswahl des richtigen Rohres bei jedem konkreten Schnitt verantwortlich war und<br />

welche fatalen Auswirkungen ein Schnitt in ein falsches Rohr haben kann“.<br />

Wenn das Gericht sagt, der Flexer war „allein verantwortlich für die Auswahl“, meint es die Entscheidungsverantwortung<br />

in der konkreten Situation. Eine vollständig alleinige Verantwortung von Beschäftigten gibt es allerdings niemals,<br />

denn auch Führungskräfte haben Verantwortung für die ordnungsgemäße Organisation und Aufsicht – so sagt das<br />

Gericht ja auch, die „Auswahl und Identifizierung der Stelle des Arbeitsbeginns und des ersten Schnittes oblag den<br />

Zeugen T und M“.<br />

1<br />

Vgl. Wilrich, Technik-Verantwortung – Sicherheitspflichten der Ingenieure, Meister und Fachkräfte und Organisation und<br />

Aufsicht durch Management und Führungskräfte, 2022.<br />

2<br />

Laufer, Grundlagen erfolgreicher Mitarbeiterführung, 11. Aufl. 2011, S. 105.<br />

3<br />

OLG Zweibrücken, Urteil v. 16.9.1976 (Az. 6 U 31/76) – für „Handwerker“.<br />

4<br />

Fallbesprechung 14 in Wilrich/Wilrich, Gefahrstoffrecht vor Gericht – 40 Urteilsanalysen zum Arbeitsschutz und zur Haftung<br />

nach Chemikalien- und Explosionsunfällen, 2021.<br />

8 <strong>DVS</strong> 387


Auch Schweißaufsichtspersonen haben Führungsverantwortung:<br />

2 Arbeitsschutzverantwortung, Fürsorgepflicht und Personalverantwortung als Folge<br />

des Weisungsrechts<br />

Soweit Schweißaufsichtspersonen Weisungsbefugnis übertragen wird, haben sie auch eine Fürsorgepflicht bzw.<br />

personelle Verantwortung für die von ihren Weisungen betroffenen Personen. Die Personalverantwortung von Vorgesetzten<br />

folgt aus dem Weisungsrecht, denn es gilt: keine Befugnis ohne Verantwortung. Wer anweist und so das<br />

Verhalten von „untergeordneten“ Mitarbeitern steuert, hat die Verantwortung für die Auswirkung der Anweisung 5 .<br />

Die Personalverantwortung und Fürsorgepflichten für Mitarbeiter bringt die DGUV Information 211-001 „Übertragung<br />

von Unternehmerpflichten“ mit folgenden Worten für „betriebliche Führungskräfte und Vorgesetzte, z. B. Meister“<br />

prägnant so zum Ausdruck: „Die Verantwortung dieser Personen, für die Sicherheit und den Gesundheitsschutz am<br />

Arbeitsplatz und damit für die Gefahrenabwehr in ihrem Bereich zu sorgen, ergibt sich bereits im Wesentlichen aus<br />

den ihnen durch den Arbeitsvertrag übertragenen Aufgaben, also aus der Stellung, die sie im Betrieb einnehmen.<br />

Einer gesonderten Übertragung dieser mit der Stellung des Vorgesetzten ohnehin verbundenen Pflichten bedarf es<br />

nicht.“ Die DGUV-Information 211-006 stellt klar: „Vorgesetzte ohne Verantwortung gibt es nicht. Wer es ablehnt,<br />

Verantwortung zu tragen, kann nicht Vorgesetzter sein“.<br />

Es reicht ein einziger weisungsunterworfener Mitarbeiter für die Vorgesetztenverantwortung. „So kann bereits ein<br />

Beschäftigter, der einen neuen Mitarbeiter anlernt und ihm gegenüber weisungsbefugt ist, Führungskraft in diesem<br />

Sinne sein“ 6 . Das Amtsgericht Limburg verurteilte einen Kfz-Mechatronikmeister wegen fahrlässiger Tötung eines<br />

Praktikanten, obwohl er einziger Angestellter einer Autowerkstatt war und ihm „im Wesentlichen die Werkstattaufgaben<br />

des Kleinbetriebs oblagen“, denn er war „der am Unfalltag für die Ausbildung des Praktikanten Verantwortliche“ 7 .<br />

Die Rechtsprechung zur Verantwortung der Vorgesetzten ist uferlos 8 :<br />

Beispiel 1: Nach dem Zusammensturz eines Gerüsts verurteilte das Amtsgericht Dillingen a.d. Donau einen Maurer<br />

wegen fahrlässiger Tötung und stellte entscheidend darauf ab, dass er „eine sogenannte faktische Kapo-Stellung<br />

innehatte. Auf Grund seiner langjährigen Tätigkeit und seiner Erfahrung im Bau gab er den anderen Bauarbeitern<br />

Anweisungen und kontrollierte deren Arbeit wie auch am Tattag“. Damit war der Angeklagte „als Vorarbeiter in besonderer<br />

Weise für die Sicherheit am Gerüst verantwortlich“ – zwar „nicht auf Grund eines arbeitsvertraglichen Vertrages“,<br />

aber er hatte eine „faktische Vorarbeiterstellung“ – und er war daher „in einer besonderen Art und Weise<br />

verpflichtet, darauf zu achten, dass die Sicherheitsvorschriften am Bau eingehalten werden“ 9 .<br />

Beispiel 2: Das Amtsgericht Heilbronn verurteilte nach dem Absturz eines Notstromaggregats bei einem Ladevorgang<br />

vier Unternehmensmitarbeiter“ u. a. einen „Lager- und Versandleiter“, denn er hatte die „Anordnung“ des sicherheitswidrigen<br />

Abladevorgangs erteilt 10 .<br />

Beispiel 3: Das Oberlandesgericht Köln verurteilte einen Kolonnenführer bzw. Obermonteur bzw. Vorarbeiter mit den<br />

Worten, er habe „sich mit der Aufgabe betrauen lassen, vor Ort für deren Einhaltung zu sorgen und darüber zu<br />

wachen“ – und es geht um „seine Leute“. Das hebt den personellen Aspekt der Vorgesetztenstellung hervor. Er<br />

„musste die einschlägigen Sicherheitsbestimmungen kennen. Dennoch ließ er es zu, dass ‚seine Leute‘ zumindest<br />

häufig völlig ungesichert in weit über 5 m Höhe ihre gefahrenträchtige Arbeit verrichteten, und er selbst ging ihnen in<br />

dieser Hinsicht mit ‚schlechtem Beispiel‘ voran“. Im erstinstanzlichen Urteil sagte das Landgericht Köln: „Angesichts<br />

seiner Stellung als Kolonnenführer und Vorarbeiter sind Ermahnungen ohne Auswirkung, wenn man sich als Vorgesetzter<br />

selbst nicht an die UVV hält“. In anderen Passagen des Urteils legt das OLG Köln den Schwerpunkt auf die<br />

in 3. besprochene räumliche Bereichsverantwortung, wenn es sagt, er „betreue als Vorarbeiter die fragliche Baustelle“<br />

11 .<br />

5<br />

Ausführlich Wilrich, Technik-Verantwortung (Fußnote 1).<br />

6<br />

Anke Kahl (Hrsg.), Arbeitssicherheit – Fachliche Grundlagen, 2019, Kap. 7.1.2, S. 288.<br />

7<br />

Fallbesprechung Nr. 26 „Vergiftungstod bei Motorbootreinigung“ in: Wilrich/Wilrich, Gefahrstoffrecht vor Gericht (Fußnote<br />

4).<br />

8<br />

33 Urteilsbesprechungen in Wilrich, Arbeitsschutz-Strafrecht – Haftung für fahrlässige Arbeitsunfälle: Sicherheitsverantwortung,<br />

Sorgfaltspflichten und Schuld, 2020; vgl. auch Wilrich, Sicherheitstechnik und Maschinenunfälle vor Gericht – 40<br />

Urteilsanalysen zu Produktsicherheit, Hersteller- und Konstruktionspflichten, Arbeitsschutz, Betreiber- und Organisationspflichten,<br />

2022.<br />

9<br />

Urteilsbesprechung in Wilrich, Bausicherheit – Arbeitsschutz, Baustellenverordnung, Koordination, Bauüberwachung, Verkehrssicherungspflichten<br />

und Haftung der Baubeteiligten, 2021.<br />

10<br />

Urteilsbesprechung in Wilrich, Arbeitsschutz-Strafrecht (Fußnote 8).<br />

11<br />

Urteilsbesprechung in Wilrich, Bausicherheit (Fußnote 9).<br />

<strong>DVS</strong> 387 9


3 Verkehrssicherungspflicht und Bereichs- bzw. Betreiberverantwortung bei Zuständigkeit<br />

für Gefahren(quellen)<br />

Schweißaufsichtspersonen können neben der – im Ausgangspunkt personenbezogenen – Fürsorgepflicht für die<br />

von seinen Weisungen betroffenen Beschäftigten (siehe 2) auch eine – gegenständlich-räumliche – (Sach-)Zuständigkeit<br />

und damit Verantwortung für den ordnungsgemäßen Zustand eines Arbeitsbereichs haben. Das wird Verkehrssicherungspflicht<br />

genannt. Wenn es um Anlagen oder Räume geht, heißt es Bereichs- oder Betreiberverantwortung.<br />

Die DIN EN ISO 14731:2019 „Schweißaufsicht – Aufgaben und Verantwortung“ spricht in Einleitung von<br />

„Verantwortung des Schweißaufsichtspersonals, das die mit der Schweißtechnik verbundenen Tätigkeiten beeinflusst<br />

(z. B. Planung, Ausführung, Überwachung und Inspektion)“.<br />

Die Übernahme der Verkehrssicherungspflicht bzw. Betreiberverantwortung kann geschehen erstens ausdrücklich<br />

oder zweitens auch ohne formelle Absprache durch „gelebte“ Organisation: Die Rechtsprechung geht immer wieder<br />

von einer „faktischen Verantwortungszuständigkeit“ für Gefahrenquellen aus, „die auch unabhängig von der vertraglichen<br />

Delegierung auferlegt“ ist und zur Folge hat, „für die den Umständen nach gebotenen Vorkehrungen zum<br />

Schutz Dritter Sorge zu tragen“ 12 .<br />

Die „Verkehrssicherungspflicht knüpft an die typischerweise Gefahren reduzierende soziale Rolle, die hierauf vertrauende<br />

Verkehrserwartung und die tatsächliche Wahrnehmung der Aufgabe, nicht an den Vertrag“ 13 . Soziologisch<br />

beinhaltet eine soziale Rolle – so Niklas Luhmann in seiner Schrift „Der neue Chef“ – eine „generalisierte Verhaltenserwartung“.<br />

Man mag verwundert über diesen Begriff aus der Soziologie sein, er ist aber bei Fahrlässigkeitsstraftaten<br />

anerkannt 14 . Das wird häufig bei der Sorgfaltspflichtverletzung betont: „Art und Maß der anzuwendenden Sorgfalt<br />

ergeben sich aus den Anforderungen, die bei einer Betrachtung der Gefahrenlage ‚ex ante‘ an einen besonnenen<br />

und gewissenhaften Menschen in der konkreten Lage und der sozialen Rolle des Handelnden zu stellen sind“ 15 .<br />

Ohne es immer als „soziale Rolle“ zu bezeichnen, definieren die Gerichte in den Haftungsurteilen immer das, was<br />

im konkreten Fall zu den aus der jeweiligen Rolle bzw. Position folgenden Pflichten gehört. Selbstverständlich wird<br />

bei Schweißaufsichtspersonen insoweit die DIN EN ISO 14731:2019 „Schweißaufsicht – Aufgaben und Verantwortung“<br />

herangezogen 16 .<br />

Beispiel 1: Eines der ersten Urteile ist die Verurteilung eines Betriebsleiters 1883 nach einem tödlichem Arbeitsunfall<br />

wegen mangelnder Sicherheitsvorkehrungen an einer Cirkularsäge: Selbst ein Verbot des Sägewerk-Eigentümers<br />

zur Herstellung der Sicherheit “hätte ihn nicht von der strafrechtlichen Verantwortung für die aus dem Betrieb des<br />

seiner Leitung unterstellten Sägewerks ohne Schutzvorrichtungen erwachsende, von ihm voraussehbare Gefährdung<br />

von Menschenleben entbinden können“ 17 .<br />

Beispiel 2: Ein Betriebsleiter wurde durch die Explosion einer Flüssiggasanlage schwer verletzt. Das OLG<br />

Düsseldorf 18 stellte fest, der technische Leiter des Herstellers habe einen nordrhein-westfälischen Ministeriumsrunderlass<br />

nicht umgesetzt, „wonach eine redundante, möglichst diversitäre Sicherheitseinrichtung vorhanden sein muss,<br />

die den Übertritt von Flüssigphase in die dem Verdampfer nachgeordneten Anlagenteile sicher verhindert“ – und<br />

verurteilte ihn zu Schadensersatz: „Er hat die Anlage eingebaut. Als Verantwortlicher für die technische Einrichtung<br />

der Anlage haftet er deshalb gemäß § 823 Abs. 1 BGB 19 für die durch Mängel der Anlage hervorgerufene Körperverletzung.<br />

Hier sind die Grundsätze der Produkthaftung anzuwenden, wonach derjenige, der an herausgehobener<br />

und verantwortlicher Stelle im Produktionsbetrieb tätig ist, für einen Schaden, der in seinem Organisations- und<br />

Verantwortungsbereich entsteht, einzustehen hat, wenn er nicht den Beweis seiner Schuldlosigkeit erbringen kann,<br />

denn der technische Leiter war derjenige, der die Konstruktion der Anlage zu verantworten hat“.<br />

12<br />

BGH, Urteil v. 25.04.1989 (Az. VI ZR 146/88).<br />

13<br />

OLG Frankfurt a.M., Urteil v. 09.11.2005 (Az. 1 U 119/05) – Fallbesprechung in Wilrich, Bausicherheit (Fußnote 9).<br />

14<br />

Vgl. auch Wessels / Beulke, Strafrecht Allgemeiner Teil: Die Straftat und ihr Aufbau, 40. Aufl. Rn. 669.<br />

15<br />

BGH, Urteil v. 01.02.2005 (Az. 1 StR 422/04); BGH, Urteil v. 14.03.2003 (Az. 2 StR 239/02); BGH, Urteil v. 19.04.2000 (Az. 3<br />

StR 442/99).<br />

16<br />

Zur rechtlichen Wirkung solcher technischen Regelwerke siehe Wilrich, Die rechtliche Bedeutung technischer Normen als<br />

Sicherheitsmaßstab – mit 33 Gerichtsurteilen zu anerkannten Regeln und Stand der Technik, Produktsicherheitsrecht und<br />

Verkehrssicherungspflichten, 2017.<br />

17<br />

Reichsgericht (RG), Urteil vom 5.2.1883 = RGSt 10,6.<br />

18<br />

Urteilsbesprechung in Wilrich, Praxisleitfaden Betriebssicherheitsverordnung, 2. Aufl. 2020, Fall 11, S. 371 ff.<br />

19<br />

Das ist die grundlegende Vorschrift für Verkehrssicherungspflichten und die Schadensersatzhaftung: „Wer vorsätzlich<br />

oder fahrlässig das Leben, den Körper, die Gesundheit, die Freiheit, das Eigentum oder ein sonstiges Recht eines anderen<br />

widerrechtlich verletzt, ist dem anderen zum Ersatz des daraus entstehenden Schadens verpflichtet“.<br />

10 <strong>DVS</strong> 387


Dass Schweißaufsichtspersonen Verkehrssicherungspflichten haben, ist selbstverständlich. Schwierig ist nur die Bestimmung<br />

des konkreten Umfangs – entscheidend ist dabei natürlich die konkrete Betriebsorganisation, aber auch<br />

die „gelebte“ Organisation, in den Worten der Nr. 5.3 der DIN EN ISO 14731:2019 „Schweißaufsicht – Aufgaben und<br />

Verantwortung“: „Stellung in der Herstellerorganisation und Verantwortung“. Ausführlich zur Organisation der Herstellung<br />

und Nutzung von Technik:<br />

Wilrich, Technik-Verantwortung – Sicherheitspflichten der Ingenieure, Meister und Fachkräfte<br />

und Organisation und Aufsicht durch Management und Führungskräfte, 2022<br />

Autor: Rechtsanwalt Dr. Thomas Wilrich ist tätig rund um die Themen Produktsicherheit, Arbeitsschutz, Baurecht, Warenvertrieb und Produkthaftung<br />

einschließlich der entsprechenden Betriebsorganisation, Vertragsgestaltung Führungskräftehaftung, Strafverteidigung und Versicherungsfragen.<br />

Er ist an der Fakultät Wirtschaftsingenieurwesen der Hochschule München zuständig für Wirtschafts-, Arbeits-, Technik-, Unternehmensorganisationsrecht<br />

und „Recht für Ingenieure“ und Fachbuchautor Compliance-Themen.<br />

Internet: www.rechtsanwalt-wilrich.de – E-Mail: info@rechtsanwalt-wilrich.de<br />

<strong>DVS</strong> 387 11


Qualifizierung der Schweißverfahren<br />

V. Hase, München<br />

“Qualität kann nicht in ein Erzeugnis hineingeprüft, sondern muss in ihm erzeugt werden. Selbst die umfassendste<br />

und höchstentwickelte zerstörungsfreie Prüfung verbessert nicht die Qualität der Schweißungen.”[1]<br />

Zur Sicherstellung der Qualität von Schweißnähten stellt dieser Beitrag zunächst die üblichen Methoden der Qualifizierung<br />

von Schweißverfahren vor. In diesem Zusammenhang werden anschließend die Anforderungen an die Qualifizierung<br />

von Schweißverfahren der im Folgenden aufgeführten Regelwerke betrachtet.<br />

●<br />

●<br />

Anforderungen nach EU-Richtlinie 2014/68/EU (Druckgeräterichtlinie)<br />

Anforderungen nach den harmonisierten EN-Normen:<br />

- EN 13445-4:2021 – Unbefeuerte Druckbehälter – Teil 4: Herstellung<br />

- EN 13480-4:2013 – Metallische industrielle Rohrleitungen – Teil 4: Fertigung und Verlegung<br />

● Anforderungen nach AD 2000-Merkblatt HP2/1:2021 bzw. HP 5/2:2019<br />

● Anforderungen nach Arbeitsblatt DVGW GW 350 (A):2015<br />

1 Methoden der Qualifizierung<br />

Die Normreihe DIN EN ISO 15607, DIN EN ISO 15609 und DIN EN ISO 15610 bis DIN EN ISO 15614 stellt einen<br />

der wichtigsten Qualifizierungs-Standards für Schweißprozesse dar. Im Folgenden wird diese Normenreihe entsprechend<br />

dem derzeitigen Stand der Normung prinzipiell vorgestellt.<br />

DIN EN ISO 15607:<br />

Anforderung und Qualifizierung von Schweißverfahren für metallische Werkstoffe – Allgemeine<br />

Regeln [2]<br />

Dieses Dokument regelt Begriffsbestimmungen und die Anforderungen an die Qualifizierung von Schweißverfahren.<br />

Es ist für manuelles, teilmechanisiertes, vollmechanisiertes und automatisiertes Schweißen anwendbar.<br />

Die Qualifizierung der vorläufigen Schweißanweisung (en: preliminary welding specification, pWPS) zur Schweißanweisung<br />

(en: welding procedure specification, WPS) erfolgt durch Übereinstimmung mit einem oder mehreren <strong>Bericht</strong>en<br />

über die Qualifizierung des Schweißverfahrens (en: welding procedure qualification records, WPQR). Der<br />

prinzipielle Ablauf der Qualifizierung ist in Bild 1 (Flussdiagramm für die Entwicklung und Qualifizierung einer<br />

Schweißanweisung) beschrieben.<br />

Bei der Auswahl des anzuwendenden Verfahrens zur Qualifizierung der Schweißanweisung (DIN EN ISO 15610 bis<br />

DIN EN ISO 15614) sind die Forderungen des zutreffenden Hauptregelwerkes zu berücksichtigen.<br />

Diese Norm setzt hierbei voraus, dass die Schweißanweisungen (WPS) in der Fertigung von befähigten Schweißern,<br />

die nach dem entsprechenden Teil der DIN EN ISO 9606 oder von befähigten Bedienern, die nach DIN EN ISO<br />

14732 qualifiziert sind, angewendet werden.<br />

DIN EN ISO 15609-ff: Anforderung und Qualifizierung von Schweißverfahren für metallische Werkstoffe –<br />

Schweißanweisung [3]<br />

Diese Normenreihe beschreibt die Anforderungen an den Inhalt der Schweißanweisung (WPS) für verschiedene<br />

Schweißverfahren. In der WPS werden alle Einflussparameter, welche die Qualität der Schweißverbindung beeinflussen,<br />

angegeben. Das Ziel ist hierbei eine ausreichende Reproduzierbarkeit der Schweißung.<br />

Die Schweißanweisung dient dem Schweißer/Bediener als schriftliche Verfahrensanweisung.<br />

Eine Vielzahl von Hauptregelwerken verweist auf die Regelungen zu Schweißanweisungen nach DIN EN 15609-ff.<br />

Dieser Standard stellt daher eine zentrale Funktion in der Schweißtechnik dar.<br />

12 <strong>DVS</strong> 387


Bild 1. DIN EN ISO 15607, Anhang C [2]<br />

DIN EN ISO 15610:<br />

Anforderung und Qualifizierung von Schweißverfahren für metallische Werkstoffe –Qualifizierung<br />

aufgrund des Einsatzes von geprüften Schweißzusätzen [4]<br />

Diese Norm beschreibt die Qualifizierung der WPS aufgrund des Einsatzes zugelassener Schweißzusätze.<br />

In der Norm [4] wird folgender Geltungsbereich definiert:<br />

- Schweißprozesse (DIN EN ISO 4063): 111, 114, 131, 135, 136, 137, 141, 15, 3<br />

- Werkstoffgruppen (CEN ISO/TR 15608): Stahl: 1.1 und 8.1/Alu 21, 22.1 u. 22.2<br />

- Grundwerkstoffdicke: 3-40 mm; a ≥ 3 mm; Rohrdurchmesser: D ≥ 25 mm<br />

Zudem ist der Geltungsbereich des Zulassungszertifikates des Schweißzusatzes einzuhalten.<br />

DIN EN ISO 15611:<br />

Anforderung und Qualifizierung von Schweißverfahren für metallische Werkstoffe – Qualifizierung<br />

aufgrund von vorliegender schweißtechnischer Erfahrung [5]<br />

Der Standard DIN EN ISO 15611 regelt die Qualifizierung der Schweißanweisung (WPS) aufgrund von vorliegender<br />

schweißtechnischer Erfahrung.<br />

<strong>DVS</strong> 387 13


Hierbei ist die vorliegende schweißtechnische Erfahrung durch dokumentierte Unterlagen und/oder Prüfdaten sowie<br />

durch eine Übersicht der schweißtechnischen Herstellung bzw. durch einen zufriedenstellenden betrieblichen Einsatz<br />

zu belegen. Die Qualifizierung eines Schweißverfahrens nach dieser Norm stellt in der Regel einen Ausnahmefall<br />

dar.<br />

Der Geltungsbereich für diese Qualifizierungsmethode wird durch die dokumentierten Normwerkstoffe, Schweißprozesse<br />

und Zusatzwerkstoffe begrenzt sowie durch die Bereiche mit den dokumentierten Erfahrungen.<br />

DIN EN ISO 15612:<br />

Anforderung und Qualifizierung von Schweißverfahren für metallische Werkstoffe – Qualifizierung<br />

durch Einsatz eines Standardschweißverfahrens [6]<br />

Die Norm beschreibt die Qualifizierung der Standartschweißanweisung (en: standard welding procedure specification,<br />

SWPS) durch den Einsatz eines Standardschweißverfahrens.<br />

Die Basis ist hierbei eine Schweißverfahrensprüfung nach DIN EN ISO 15614-1 Stufe 2 bzw. DIN EN ISO 15614-2,<br />

bzw. die Einhaltung deren technischen Anforderungen.<br />

Dies bedeutet, dass Schweißverfahrensprüfungen anderer Organisationen durch den Hersteller in gewissen Grenzen<br />

verwendet werden kann.<br />

Wesentliche Voraussetzungen für die Anwendung dieser Norm [6] sind:<br />

- Werkstoffgruppen: Stahl: 1.1, 1.2, 1.3, 8.1 und 11.1; Alu 21, 22.1 u. 22.2 / Grundwerkstoffdicke: t ≤ 50 mm<br />

- Bestätigung der aus der SWPS erstellten WPS durch den Hersteller<br />

- Einhaltung aller schweißtechnischen Anforderungen/Vorgaben der Organisation, die die Schweißverfahrensprüfungen<br />

durchgeführt haben (z. B. Schweißparameter, Schweißzusätze, Schweißpositionen, Einsatz bestimmter<br />

Schweißmaschinen)<br />

DIN EN ISO 15614-ff: Anforderung und Qualifizierung von Schweißverfahren für metallische Werkstoffe –<br />

Schweißverfahrensprüfung<br />

Diese Normenreihe stellt einen der gebräuchlichsten Standards zur Qualifizierung von Schweißverfahren dar und<br />

wird in erster Linie im geregelten Bereich (z. B. Druckgeräte, Bauprodukte, Schienenfahrzeuge usw.) verwendet. Sie<br />

gilt für das Produktionsschweißen, das Ausbesserungsschweißen und das Auftragschweißen.<br />

Dieser Standard regelt, wie eine vorläufige Schweißanweisung (pWPS) durch eine Schweißverfahrensprüfung<br />

(WPQR) qualifiziert wird (siehe DIN EN ISO 15607).<br />

Im Weiteren wird exemplarisch die DIN EN ISO 15614 Teil 1:2020 – Lichtbogen und Gasschweißen von Stählen und<br />

Lichtbogenschweißen von Nickel und Nickellegierungen betrachtet [8].<br />

In der aktuellen Fassung dieses Normenwerkes sind zwei Stufen der Qualifizierung definiert:<br />

- Stufe 1 berücksichtigt die Anforderungen der ASME-Vorschriften.<br />

- Stufe 2 berücksichtigt die Anforderungen aus den europäischen Regelwerken.<br />

Schweißverfahrensprüfungen, die in der Stufe 2 durchgeführt werden, sind automatisch für Stufe 1 qualifiziert, jedoch<br />

nicht umgekehrt. Falls in einem Auftrag oder einer Anwendungsnorm keine Stufe festgelegt ist, gelten die Anforderungen<br />

von Stufe 2.<br />

Das Regelwerk [8] beschreibt im Wesentlichen:<br />

- Die Anforderungen an die Durchführung der Schweißverfahrensprüfungen, d. h. wie die Schweißverbindung,<br />

auf die sich das Schweißverfahren in der Produktion bezieht, durch ein genormtes Prüfstück repräsentiert werden<br />

kann;<br />

- das zutreffende Prüfprogramm und die zugehörige Auswertung;<br />

- der daraus resultierende Geltungsbereich;<br />

- die <strong>Bericht</strong>serstellung über die Qualifizierung des Schweißverfahrens (WPQR).<br />

Es finden sich hier keine Hinweise, wer als Prüfer bzw. Prüfstelle fungiert. Diese Information wird in den jeweiligen<br />

Anwendungsbereichen geregelt.<br />

14 <strong>DVS</strong> 387


DIN EN ISO 15613:<br />

Anforderung und Qualifizierung von Schweißverfahren für metallische Werkstoffe – Qualifizierung<br />

aufgrund einer vorgezogenen Arbeitsprüfung [7]<br />

Dieser Standard regelt die Qualifizierung der Schweißanweisung aufgrund einer vorgezogenen Arbeitsprobe.<br />

Wenn die vorliegende Schweißverbindung nicht durch die nach z. B. DIN EN ISO 15614-1 genormten Prüfstücke<br />

repräsentiert werden kann, darf nach dieser Norm ein individuelles Prüfstück geschweißt werden.<br />

Das Prüfprogramm soll, soweit möglich, den Forderungen des zutreffenden Normteils der DIN EN ISO 15614-ff<br />

entsprechen.<br />

Als Mindestprüfumfang gilt jedoch [7]:<br />

- Sichtprüfung (100 %)<br />

- Oberflächenrissprüfung<br />

- Härteprüfung<br />

- Makroschliffuntersuchungen<br />

Eine nach dieser Norm erteilte Qualifizierung ist auf die Verbindungsart beschränkt, die bei der vorgezogenen Arbeitsprobe<br />

verwendet wurde. Der Geltungsbereich orientiert sich prinzipiell an dem Geltungsbereich von z. B. DIN EN<br />

ISO 15614-1 bzw. kann individuell ggf. noch eingeschränkt werden.<br />

2 Anforderungen nach EU Richtlinie 2014/68/EU (DGRL) [9]<br />

Die Druckgeräterichtlinie 2014/68/EU ist in Europa für das Inverkehrbringen von Druckgeräten anzuwenden. Für die<br />

Einhaltung der technischen Anforderungen sind die wesentlichen Sicherheitsanforderungen des Anhang I der DGRL<br />

zu berücksichtigen.<br />

Sofern hierbei harmonisierte Normen angewendet werden, welche im aktuellen Amtsblatt der Europäischen Union<br />

[11] veröffentlicht wurden, wird davon ausgegangen, dass eine „Konformitätsvermutung“ im Sinne der DGRL erreicht<br />

wird.<br />

Die DGRL verweist z. B. in Kapitel 3 „Konformität und Einstufung von Druckgeräten und Baugruppen“ auf Artikel 12<br />

„Konformitätsvermutung“.<br />

Bild 2. EU Richtlinie 2014/68/EU – Kapitel 3, Artikel 12 [9]<br />

Bei der Anwendung anderer technischer Spezifikationen muss die Erfüllung der geforderten Sicherheits-anforderungen<br />

im Sinne der DGRL im Einzelfall überprüft und erfüllt werden.<br />

3 Anforderungen nach den harmonisierten EN-Normen<br />

Im Weiteren werden zwei wichtige Regelwerke im Hinblick auf deren Anforderungen an die Qualifizierung von<br />

Schweißverfahren betrachtet. Beide Regelwerke gelten als harmonisierte Normen und sind im aktuellen Amtsblatt<br />

der europäischen Union [11] veröffentlicht.<br />

● EN 13445-4:2021 – Unbefeuerte Druckbehälter-Teil 4: Herstellung [10]<br />

<strong>DVS</strong> 387 15

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