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Frauengesundheit

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Lesen Sie mehr auf gesunder-koerper.info<br />

Text Miriam Rauh<br />

Eine bessere Versorgung für Endometriosebetroffene<br />

ist das Ziel<br />

Zwischen 8 und 15 Prozent der Frauen sind von Endometriose betroffen, jedes Jahr kommen allein in Deutschland ca. 40.000<br />

Diagnosen neu hinzu. Ivonne van der Lee ist eine von ihnen. Nachdem die Erkrankung bei ihr ausbrach, gab sie ihrem Leben eine neue<br />

Wendung und machte eine medizinische Ausbildung. Seitdem arbeitet Ivonne van der Lee in einem Endometriosezentrum und leitet die<br />

Selbsthilfegruppe „Endo Ladies“.<br />

Was genau ist Endometriose?<br />

Man geht davon aus, dass es sich um<br />

Gewebeansiedlungen handelt, die der<br />

Gebärmutterschleimhaut ähneln, sich<br />

aber auch außerhalb der Gebärmutter lokalisieren.<br />

Wie genau Endometriose entsteht, darüber gibt es<br />

viele Theorien. Zum Beispiel die der retrograden<br />

Menstruation, das bedeutet, dass die Menstruationsblutung<br />

nicht nur aus dem Körper, sondern über<br />

den Eileiter auch in den Bauchraum fließt. Eine andere<br />

besagt, dass es sich um Metaplasien, gutartige<br />

Zellumwandlungen, handelt. Recht sicher ist, dass<br />

Endometriose familiär gehäuft auftritt. Aber obwohl<br />

Endometriose die zweithäufigste gynäkologische<br />

Erkrankung ist, ist bis heute vieles unklar,<br />

z. B. ob es Maßnahmen gibt, die verhindern können,<br />

dass sie ausbricht.<br />

Sie sind Gründerin der Selbsthilfegruppe<br />

„Endo Ladies“ in Stuttgart. Was hat Sie zu diesem<br />

ehrenamtlichen Engagement bewogen?<br />

Ich bin selbst betroffen und habe aus dieser Erfahrung<br />

heraus ein Gespür dafür, was Frauen mit<br />

Endometriose brauchen. Als ich vor zehn Jahren<br />

meine Diagnose erhielt, hätte ich mir mehr Auf-<br />

klärung gewünscht, auch mehr Unterstützung<br />

oder Austausch. Über Social Media ist der Informationsfluss<br />

mittlerweile sehr viel besser geworden,<br />

auch die Politik greift das Thema auf. Aber es<br />

gibt noch viel zu tun und meine Motivation zur<br />

Gründung war und ist, dass ich Frauen Hilfestellung<br />

und Informationen zur Seite stellen<br />

möchte, wie ich sie mir selbst gewünscht hätte.<br />

Zum ersten Treffen von „Endo Ladies“ kamen<br />

nur zwei oder drei Frauen, heute arbeiten wir mit<br />

verschiedenen Kliniken zusammen und führen<br />

Symposien und Informationsveranstaltungen mit<br />

Experten aus ganz Deutschland durch. Allein im<br />

Raum Stuttgart ist „Endo Ladies“ auf über 400<br />

Mitglieder gewachsen, die sich auch über eine<br />

WhatsApp-Gruppe austauschen. Unser YouTube-<br />

Kanal erreicht mehrere tausend Menschen.<br />

Was waren oder sind persönlich Ihre größten<br />

Erfolge seit Gründung von „Endo Ladies“ 2015?<br />

Ich freue mich sehr, wenn wir viele Menschen erreichen<br />

und das Feedback bekommen, dass unser<br />

Angebot ihnen hilft. Wenn z. B. die Presse über uns<br />

berichtet, werden betroffene Frauen auf uns aufmerksam,<br />

die uns bis dahin vielleicht noch nicht<br />

kannten. Stolz bin ich auch auf unser großes Netzwerk<br />

und die Kliniken, die uns unterstützen. Auch<br />

die AOK unterstützt uns im süddeutschen Raum.<br />

Welche Möglichkeiten bietet eine Selbsthilfegruppe<br />

für Betroffene und ggf. auch deren<br />

Angehörige?<br />

Der Austausch und das Gefühl, nicht alleine zu sein,<br />

ist sehr wichtig. Die Symptomatik von Endometriose<br />

ist oft so unterschiedlich, dass es kein Patentrezept<br />

für den Umgang damit gibt und jede Betroffene für<br />

sich selbst herausfinden muss, welcher Weg für sie<br />

der richtige ist. Die Erfahrungen anderer aus der<br />

Gruppe können dabei helfen, das herauszufinden.<br />

Sie helfen auch beim Finden von Ärzten oder geeigneten<br />

Therapiezentren.<br />

Was wünschen Sie sich in Zukunft für die Versorgung<br />

von Endometriose?<br />

Ich wünsche mir sehr, dass die Erkrankung so ernst<br />

genommen wird wie andere häufige Erkrankungen<br />

auch. Es muss ein Netzwerk für betroffene Frauen<br />

geben und eine breiter aufgestellte gute Versorgung.<br />

www.endoladies.de<br />

Ivonne van<br />

der Lee<br />

Gründerin und<br />

Leiterin der Selbsthilfegruppe<br />

Endo<br />

Ladies Stuttgart<br />

Die Lebensqualität sollte im<br />

Vordergrund stehen<br />

Ann-Sophie Knittel erhielt die Diagnose „Endometriose“ im Jahr 2021. Die heute 28-Jährige<br />

ist jedoch nicht nur Betroffene, sie setzt sich auch wissenschaftlich mit der Erkrankung<br />

auseinander.<br />

Text Miriam Rauh<br />

Welche Symptome sind charakteristisch<br />

für die Erkrankung und<br />

wie und wann haben sich diese bei<br />

Ihnen geäußert?<br />

Starke Menstruationsschmerzen werden oft mit<br />

Endometriose in Verbindung gebracht. Allerdings<br />

können Endometrioseherde an unterschiedlichen<br />

Orten und auch zyklusunabhängig auftreten,<br />

Schmerzen im ganzen Körper auslösen und auch<br />

verschiedene Organe befallen, z. B. Bauchfell, Darm,<br />

Blase oder Eierstöcke. Sie wachsen z. T. invasiv, sodass<br />

sie mitunter bleibende Organschäden<br />

verursachen. Auch Unfruchtbarkeit kann eine Folge<br />

von Endometriose sein, dies ist Schätzungen zufolge<br />

bei etwa 40 bis 60 Prozent aller ungewollt<br />

kinderlosen Frauen der Fall. Hinzu kommen Begleiterscheinungen<br />

wie Erschöpfungszustände,<br />

Nervenschmerzen in den Beinen oder im Rücken,<br />

Fibromyalgie oder Migräne. Auch der sogenannte<br />

„Endo-Belly“, der Blähbauch, ist sehr verbreitet.<br />

Ich selbst hatte ganz verschiedene Symptome, die<br />

sich im Laufe der Jahre stark veränderten und den<br />

ganzen Körper betrafen.<br />

Welche Einschränkungen erlebten und erleben<br />

Sie im Alltag?<br />

Ich hatte und habe teilweise starke körperliche<br />

Einschränkungen, fühle mich phasenweise sehr<br />

schlapp und erschöpft, mit Schmerzen im ganzen<br />

Körper. Ich war manchmal mehrere Tage<br />

oder auch eine Woche wie ausgeschaltet und bin<br />

nicht an jedem Tag gleich leistungsfähig, was das<br />

Planen schwer macht. Natürlich ist es auch eine<br />

psychische Belastung, wenn man mit starken Beschwerden<br />

kämpft, die die Lebensqualität beeinträchtigen.<br />

Meine Familie hat mich zum Glück sehr<br />

unterstützt, auch mein Freund und meine beste<br />

Freundin haben viel Verständnis.<br />

Wie viel Zeit verging von den ersten Symptomen<br />

bis zur finalen Diagnose?<br />

Im Juli 2021, sieben Jahre nach den ersten Symptomen,<br />

bekam ich die Diagnose. Ich bin von Arzt<br />

zu Arzt gegangen; alle sagten, dass meine Probleme<br />

stressbedingt seien oder die Schmerzen normal,<br />

viele Frauen müssten da durch. Später wurde eine<br />

gastroenterologische Ursache vermutet. Ich war<br />

aufgrund der starken Schmerzen mehrfach in der<br />

Notaufnahme und bekam auch eine Darmspiegelung.<br />

Dann nahm ich die Pille, die tatsächlich half,<br />

aber nur für kurze Zeit. Schließlich habe ich durch<br />

Zufall auf Instagram von Endometriose gelesen<br />

und sprach meine Gynäkologin darauf an. Eine<br />

Bauchspiegelung bestätigte, dass ich Endometriose<br />

habe. Mein ganzer Bauchraum war entzündet,<br />

auch mein Blinddarm war chronisch gereizt.<br />

Nach jahrelanger Ungewissheit ist die Diagnose<br />

Endometriose für Betroffene oftmals eine<br />

Erleichterung, da die Symptome einen Namen<br />

bekommen. Wie war das bei Ihnen?<br />

Es war tatsächlich sehr erleichternd, endlich zu wissen,<br />

was los ist, auch Gewissheit darüber zu haben,<br />

dass die Schmerzen real und nicht eingebildet oder<br />

psychosomatisch sind. Natürlich erlebte ich das als<br />

Betroffene, aber ständig von Ärzten gesagt zu bekommen,<br />

das könne nicht sein, es wäre alles normal,<br />

bringt einen so ins Zweifeln, dass man seiner<br />

eigenen Wahrnehmung nicht mehr traut – obwohl<br />

ich z. T. aufgrund meiner Schmerzen tagelang ausgeknockt<br />

war. Eine Diagnose zu haben, erleichtert<br />

den Umgang mit den Schmerzen und hilft auch im<br />

Umgang mit anderen.<br />

Im Rahmen Ihrer Forschungsarbeit über den<br />

„langen Weg zur Diagnose“ konnten Sie sich<br />

mit vielen Betroffenen austauschen. Wie würden<br />

Sie die Gespräche kurz zusammenfassen?<br />

Sehr viele berichteten, dass sie zunächst nicht ernst<br />

genommen oder beschwichtigt wurden und dass<br />

ihr Vertrauen in die Ärzte schwand. Im Schnitt dauerte<br />

es acht bis zehn Jahre bis zur Diagnose, in einigen<br />

Fällen waren es sogar über 20. Die Interaktion<br />

zwischen Ärzten und Patienten scheint ein wichtiger<br />

Faktor zu sein. Wenn Ärzte keine Erklärung für<br />

etwas haben, neigen viele dazu, die Symptome vorschnell<br />

auf die psychische Verfassung zu schieben.<br />

Die Verunsicherung, die dadurch eintritt, dass den<br />

Betroffenen niemand glaubt, ist schlimm. Viele berichten<br />

auch, dass sie unter dem Gefühl, ihrer Rolle<br />

als Mutter, Partnerin oder im Beruf nicht mehr<br />

nachkommen zu können, sehr gelitten haben.<br />

Welche Optionen der Behandlung gibt es, und<br />

wie sollten Therapieentscheidungen getroffen<br />

werden?<br />

Es gibt im Wesentlichen zwei Optionen: Hormone<br />

können den Östrogenspiegel senken, da das Östrogen<br />

die Endometrioseherde wachsen lässt. Dies<br />

gelingt allerdings nur bei Patientinnen, die auf die<br />

Hormontherapie ansprechen, und auch Hormone haben<br />

Nebenwirkungen, die es sorgfältig abzuwägen<br />

gilt. Eine Bauchspiegelung ist derzeit die einzige<br />

Möglichkeit, Endometriose sicher zu diagnostizieren.<br />

Hierbei werden meist die sichtbaren Herde<br />

gleich entfernt, um einen zweiten Eingriff zu vermeiden.<br />

In meinen Augen sollte bei der Wahl der<br />

Behandlungsoption immer das Ziel sein, die Lebensqualität<br />

zu erhöhen.<br />

Ich empfehle auch, Endometriose ganzheitlich zu<br />

betrachten, ggf. mit einer Ernährungsumstellung<br />

und Stressreduktion. Auch Struktur kann helfen,<br />

seinen Alltag mit der Erkrankung besser zu bewältigen.<br />

Ann-Sophie<br />

Knittel<br />

Endometriosebetroffene<br />

studio lh

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