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FOCUS_11_Debatte_Huether

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MEINUNG<br />

Die Rechnung, bitte!<br />

Bundeswehr, Wohnungsbau, Infrastruktur, Klimaziele – auf den Staat kommen<br />

gigantische Kosten zu. Was es jetzt bräuchte? Keine neuen Steuern, aber Ehrlichkeit<br />

Von Michael Hüther<br />

Wirtschaftsforscher<br />

Sanierungsprojekt Deutsche Bahn Nicht nur der Aus- und Umbau<br />

des Schienenverkehrs wird noch viele Milliarden Euro verschlingen<br />

Michael<br />

Hüther,<br />

60, Direktor des<br />

Instituts der<br />

deutschen Wirtschaft<br />

in Köln<br />

Der Bundeshaushalt steht<br />

unter Druck. Die Entlastungspakete<br />

2022<br />

haben erhebliche finanzielle<br />

Ansprüche verursacht.<br />

Gas- und Strompreisbremsen<br />

werden Rücklagen<br />

aufbrauchen. Die Tilgung der<br />

Corona-Schulden über 20 Jahre<br />

belastet den Haushalt zudem<br />

mit jährlich 24 Milliarden Euro.<br />

Und trotz des Sondervermögens<br />

Bundeswehr sind höhere laufende<br />

Ausgaben für die Verteidigung<br />

erforderlich. Auch massive<br />

Defizite in allen Infrastrukturen<br />

sind zu bereinigen. Zugleich<br />

dürfte in den kommenden Jahren<br />

bei erwartbar schwachem<br />

Wachstum und alterungsbedingt schrumpfender Anzahl der<br />

Erwerbstätigen die Einnahmenseite unter Druck geraten.<br />

Vor dieser Kulisse ist der Streit zu verorten, den Grünen-Wirtschaftsminister<br />

Habeck und sein Finanzressort-Kollege Lindner<br />

jüngst in Briefform aufführten. Es geht ums Geld. Neue<br />

Steuern? Neue Schulden? Oder gibt es einen dritten Weg?<br />

Wer auf der Ausgabenseite Finanzierungsspielräume schaffen<br />

will, muss bei den im Bundeshaushalt mit 90 Prozent<br />

dominierenden konsumtiven Ausgaben ansetzen. Reicht der<br />

Mut, den Sozialstaat auf die wirklich Bedürftigen zu begrenzen,<br />

die Sozialversicherungen demografiefest zu machen und<br />

auf neue Sozialleistungen zu verzichten? Nach aller Erfahrung<br />

unwahrscheinlich.<br />

Bedenkt man andererseits, dass die Steuerquote mit<br />

24,5 Prozent den Höchstwert seit der Wiedervereinigung erreicht<br />

hat, dann ist der Ausweg über Steuererhöhungen mit<br />

Blick auf die Wettbewerbsfähigkeit des Standorts Deutschland<br />

verstellt. Die Bundesregierung hat sich im vergangenen<br />

Herbst zu Recht auf ein Belastungsmoratorium<br />

verständigt. Die gerne vorgetragenen Forderungen<br />

nach einer Verschärfung der Einkommensteuerprogression<br />

und der Wiedereinführung der Vermögensteuer<br />

sind ohnehin Blendwerk: Daraus sind keine<br />

großen Be träge zu erwarten, zumal die Vermögensteuer<br />

hohe Erhebungskosten verursachen würde. Die<br />

Kapitalbildung zu belasten, statt zu entlasten, kann<br />

angesichts der volkswirtschaftlichen Transformation<br />

zur Klimaneutralität ohnehin nicht überzeugen.<br />

Geordnete Staatsfinanzen folgen der Idee, dass<br />

die Einnahmekategorien kongruent dem Ausgabenbedarf<br />

in der Verbindlichkeit und der Fristigkeit entsprechen.<br />

Dauerhafte (ordentliche)<br />

Ausgaben sind durch<br />

dauerhafte Einnahmen zu decken,<br />

also durch Steuern. Vo -<br />

rübergehende zyklische Bedarfe<br />

in gesamtwirtschaftlichen Krisen<br />

sind durch Kredite zu finanzieren<br />

– freilich bei Refinanzierung<br />

im nachfolgenden Boom. Eine<br />

dauerhafte Kreditfinanzierung<br />

ist für öffentliche Investitionen<br />

klassischerweise begründbar,<br />

da auf diese Weise die Finanzierungslast<br />

auf alle nutzenden<br />

Generationen verteilt werden<br />

kann. In der politischen Praxis<br />

laufen die Dinge anders.<br />

Tatsächlich werden die Finanzierungsarten<br />

willkürlich eingesetzt,<br />

je nach politischem Willen und gesetzlichen Regeln.<br />

Das gilt gerade unter den Bedingungen der 2009 eingeführten<br />

Schuldenbremse. Eine investitionsorientierte Verschuldung<br />

ist seitdem nur für den Bund in geringem Umfang von<br />

derzeit zwölf Milliarden Euro möglich. Sonderbedarfe können<br />

nur mit der Notfallklausel zur Aussetzung der Schuldenbremse<br />

durch Kredit finanziert werden. Den Ausweg weisen Sonderhaushalte<br />

des Bundes und der Länder, die nur dann der<br />

Schuldenbremse unterliegen, wenn sie keine eigene Rechtspersönlichkeit<br />

haben. Tatsächlich ist diese Option in den vergangenen<br />

fünf Jahren weidlich genutzt worden. Insgesamt<br />

über 100 Milliarden Euro sind aus Rücklagen infolge früherer<br />

Haushaltsüberschüsse sowie durch Kreditermächtigungen in<br />

Sonderhaushalten geparkt und versteckt worden.<br />

Die infrastrukturellen Vorleistungen des Bundes für den<br />

Umbau zur Klimaneutralität sind gut begründbar über Kredit<br />

zu finanzieren. Eine einzelne Generation kann die Lasten<br />

nicht allein stemmen, denn eine unmögliche Leistung<br />

kann moralisch nicht eingefordert werden, so der<br />

alte Grundsatz „Ultra posse nemo obligatur“. Doch<br />

anstatt dann Gelder beliebig in Sonderhaushalten zu<br />

verstecken, sind dafür ordnungspolitische Kriterien<br />

zu formulieren.<br />

Solche über zwölf Monate hinausgehenden Etats<br />

lassen sich rechtfertigen, wenn sie eindeutig investiven<br />

Charakter haben oder Unterlassungen der Vergangenheit<br />

ausgleichen und die Ausgabenpolitik<br />

parlamentarisch kontrolliert wird. Das verhindert den<br />

Wildwuchs sowie das Versteckspiel und ermöglicht<br />

eine in den Regeln der Schuldenbremse verantwortliche<br />

Kreditfinanzierung. 7<br />

Fotos: imago images, dpa<br />

58 <strong>FOCUS</strong> <strong>11</strong>/2023

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