Restauro 2/2023
Forschung & Vermittlung
Forschung & Vermittlung
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Magazin zur Erhaltung des Kulturerbes<br />
N O 2<br />
<strong>2023</strong><br />
Forschung verständlich vermitteln<br />
Digitale Tools, Strategien und Projekte<br />
LEIPZIG<br />
Herstellung der Replik<br />
des Papyrus Ebers<br />
MÜNCHEN<br />
Konferenz über Holz in verschiedenen<br />
kulturellen Kontexten Eurasiens<br />
PARIS<br />
Immersiver Audioguide für das<br />
neueröffnete Hôtel de la Marine
Stadt Spezial<br />
GARTEN+<br />
LANDSCHAFT<br />
WOHNEN | PARKEN | HITZE<br />
IN DER STADT<br />
APRIL MAI JUNI <strong>2023</strong><br />
GARTEN+<br />
LANDSCHAFT<br />
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Liebe Leserin, lieber Leser,<br />
EDITORIAL<br />
wie vermittle ich Forschung? Welche geeigneten Strategien der musealen Kommunikation<br />
gibt? Wie lässt sich eine besucherorientierte Vermittlung von Forschungsergebnissen gestalten<br />
und welche Digital-Tools stehen hier mittlerweile zur Verfügung? Mit 28 Gemälden<br />
Vermeers ist die noch bis zum 4. Juni <strong>2023</strong> laufende Ausstellung im Amsterdamer Rijksmuseum<br />
die umfassendste über den Barockmaler, die es je gab. Bereits drei Tage nach Eröffnung<br />
waren alle 450.000 Tickets ausverkauft. Wer nicht zu den Glücklichen gehört und<br />
die Ausstellung vor Ort besucht, kann Jan Vermeer dennoch näherkommen. Und zwar mit<br />
dem kostenfreien Digitalprogramm des Rijksmuseums „Closer to Johannes Vermeer“. Die<br />
User:innen können entweder nach eigenem Gusto in die Welt Vermeers eintauchen oder<br />
einer virtuellen Führung durch dessen Werk und Leben folgen. Der Schau vorausgegangen<br />
war eine Untersuchung der Gemälde, die ein Team von Konservator-, Restaurator- und<br />
Wissenschaftler:innen des Rijksmuseums gemeinsam mit Kolleg:innen des Mauritshuis in<br />
Den Haag durchführten. Dabei kamen Makro-XRF- und RIS-Scan-Technologien zum Einsatz.<br />
Erfahren Sie mehr ab Seite 6.<br />
Was macht den Stil von Amadeo Modigliani so einzigartig? Eine Ausstellung in der Barnes<br />
Foundation in Philadelphia gab neue Einblicke in Materialien und Arbeitsmethoden des<br />
Malers. Im Zentrum stand die Arbeitsweise des Künstlers, die von seinen bescheidenen<br />
Einkünften am Anfang seiner Karriere beeinflusst war. „Wir wussten, dass Modigliani Leinwände<br />
wiederverwendete, aber dank der Infrarot-Reflektografie konnten wir verstehen,<br />
dass er auch Werke anderer Künstler verwendete, nicht nur seine eigenen“, erklärt Barbara<br />
Buckley, Chefrestauratorin der Barnes Foundation (ab Seite 12).<br />
In Kooperation mit Partnermuseen untersuchte das Team des Cranach Digital Archive<br />
bereits 1126 Gemälde in 148 Sammlungen und Kirchen unter Einsatz moderner Technologien<br />
wie der Infrarot-Reflektografie und der Röntgenfluoreszenzanalyse. So wurden zahlreiche<br />
neue Erkenntnisse zum Arbeitsprozess und zur Arbeitsteilung in der Cranach-Werkstatt<br />
gewonnen. Lesen Sie mehr dazu ab Seite 18.<br />
Wir wünschen Ihnen viel Freude beim Entdecken dieser Ausgabe.<br />
Dr. Ute Strimmer<br />
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Sie auf dem Laufenden!<br />
<br />
In eigener Sache: Ab der RESTAURO-Ausgabe 1/<strong>2023</strong> gelten neue Abonnementpreise.<br />
Das RESTAURO-Jahresabo kostet dann 155 Euro (im Ausland zzgl. Versandkosten).<br />
Das vergünstigte Studentenabo ist für 78 Euro (im Ausland zzgl. Versandkosten) zu<br />
beziehen. Die Einzelhefte erhöhen sich auf 20 Euro.<br />
2/<strong>2023</strong><br />
3
INHALT<br />
FORSCHUNG & VERMITTLUNG<br />
6 Digitalprogramm „Closer to Vermeer“ bietet einzigartigen Einblick<br />
in das Werk des Künstlers<br />
Ein Digitalprogramm des Rijksmuseums in Amsterdam ergänzt die bislang<br />
größte Ausstellung mit Arbeiten Johannes Vermeers. Neuste Technologie<br />
ermöglicht dabei die Erkundung auch winziger malerischer Details<br />
12 Komplex und nicht chaotisch<br />
Was machte Amadeo Modiglianis Stil einzigartig? Eine Ausstellung in<br />
der Barnes Foundation in Philadelphia gab neue Einblicke in Materialien<br />
und Arbeitsmethoden des Malers<br />
Untersuchung der „Briefleserin in Blau“ im Vorfeld der<br />
großen Vermeer-Ausstellung im Rijksmuseum (Amsterdam)<br />
18 Kunsttechnologische Untersuchungen zum Gesamtwerk<br />
Lucas Cranachs d. Ä., seiner Söhne und der Werkstatt<br />
Das Team des Cranach Digital Archive untersuchte bereits 1126 Gemälde in<br />
148 Sammlungen und Kirchen unter Einsatz moderner Technologien wie der<br />
Infrarot-Reflektografie und der Röntgenfluoreszenzanalyse. Zahlreiche neue<br />
Erkenntnisse zum Arbeitsprozess und zur Arbeitsteilung wurden gewonnen<br />
22 Ein Papyrus für Alle oder ein Papyrus für alle Gelegenheiten<br />
Seit 2021 kann eine Replik des Papyrus Ebers in einem eigenen Schauraum im<br />
Foyer der Bibliotheca Albertina besichtigt werden. Jörg Graf, Leiter der Restaurierungswerkstatt<br />
der Universitätsbibliothek Leipzig, stellte diese im Team her<br />
28 Wie man Lösungen gemeinsam erarbeitet<br />
Knapp 50 Jahre liegt die Entwicklung des bekannten Magnetrahmen der<br />
Firma Halbe – der Typ Conservo ist heute ein Standardwechselrahmen in der<br />
Museumswelt – zurück. Wir sprachen mit Geschäftsführer David Halbe<br />
Prof. Gunnar Heydenreich untersucht ein Gemälde<br />
Lucas Cranach d. Ä. für das Cranach Digital Archive<br />
Wie Kunstlogistik und Nachhaltigkeit vereinbar sind,<br />
erläutert Diplom-Restauratorin Nadine Cheryl Adolfs<br />
Geschichte jetzt mit dem immersiven Audioguide der<br />
tonwelt-Tochter RSF im Hôtel de la Marine (Paris) erleben<br />
34 DIGITAL BENIN: Mehr als ein Wissensforum<br />
Das von der Ernst von Siemens Kunststiftung geförderte Wissensforum DIGITAL<br />
BENIN vereint 5240 der Objekte, die im 19. Jahrhundert aus dem Königspalast in<br />
Benin geplündert worden waren und setzt diese in neue Kontexte<br />
38 Wie Paris heute höfische Kultur inszeniert<br />
Wieviel Spaß Geschichte erleben machen kann, zeigt das Hôtel de la Marine<br />
in Paris. Für das neueröffnete Museum hat die französische tonwelt-Tochter RSF<br />
einen immersiven Audioguide entwickelt<br />
42 Wie sieht das deutsche Museumspublikum aus?<br />
Eine Zusammenschau der neuen Statistik des Instituts für<br />
Museumsforschung in Berlin und einer großen Befragung durch das<br />
Leipziger Marktforschungsinstitut Conoscope<br />
46 Kunstlogistik und Nachhaltigkeit – gegensätzlich oder untrennbar?<br />
Inwieweit sind Kunstlogistik und Nachhaltigkeit vereinbar? Dass das kein<br />
Widerspruch ist, erläutert Nadine Cheryl Adolfs, Diplom-Restauratorin und<br />
Expertin für Kunstlogistik, unter vier Nachhaltigkeitsaspekten<br />
KULTURERBE<br />
44 „Konservierung und Restaurierung können einen wesentlichen Beitrag zur<br />
nachhaltigen Nutzung von Ressourcen leisten“<br />
Leinölfarben gelten als umweltfreundliche Alternative. In der Konservierung<br />
und Restaurierung setzt man seit langem darauf. Spezialist ist Gunnar Ottosson.<br />
Sein Wissen teilt er in einem Buch, das jetzt auf Deutsch erschienen ist<br />
54 Wood: Between Natural Affordance and Cultural Values in Eurasia<br />
Ende März <strong>2023</strong> findet in München eine interdisziplinäre Konferenz zu Holz<br />
statt. Prof. Dr. Angelika Rauch (Lehrstuhl Konservierung und Restaurierung,<br />
FH Potsdam) spricht über Patina und die Alterung von Holz<br />
56 Filmwissen jetzt online<br />
Das Düsseldorfer Filmmuseum bietet jetzt mit der neuen digitalen<br />
Plattform „Filmwissen online“ einen interaktiven Einstieg in die Geschichte<br />
des Mediums an<br />
Fotos: Rijksmuseum/ Kelly Schenk / Cranach Digital Archive / Hasenkamp / Didier Plowy / Centre des monuments nationaux<br />
4<br />
2/<strong>2023</strong>
58 Was Welterbe-Monitoring bedeutet<br />
Die Regensburger Stadtentwicklungspläne dokumentierten<br />
eindrucksvoll, dass das Prädikat UNESCO-Welterbe<br />
das Ergebnis kontinuierlicher behutsamer Planungen und<br />
der Konzentration von Maßnahmen auf die Altstadt ist<br />
63 Waalwege im Vinschau – bald immaterielles Kulturerbe?<br />
Südtirols traditionelles Bewässerungssystem im<br />
Vinschgau, die Waalwege, ist jetzt auf der nationalen<br />
Liste des immateriellen Kulturerbes<br />
64 Massenmedium und Multimedium<br />
Die dreitägige Veranstaltung „FOCUS: Ausstellungen<br />
machen“ in Brandenburg an der Havel richtet Zoom auf<br />
Trends im Ausstellungswesen<br />
RUBRIKEN<br />
64 TERMINE<br />
64 Impressum<br />
65 Vorschau<br />
66 WAS BEWEGT?<br />
Irmela Breidenstein, Spezialistin für Boulle-Marketerien<br />
Cover<br />
Die Universitätsbibliothek Leipzig bewahrt die größte und einzig<br />
vollständig überlieferte medizinische Papyrusrolle Altägyptens<br />
auf, die der Leipziger Ägyptologe Georg Ebers 1873 für die Universitätsbibliothek<br />
erworben hatte. Ebers ließ 1875 den in hieratischer<br />
Schrift geschriebenen Text drucken. Seit 2017 ist der komplette<br />
Text mit Übersetzung aller Rezepte auf Deutsch und Englisch<br />
online. Seit 2021 kann eine Replik der 18,63 m langen Papyrusrolle<br />
in einem eigenen Schauraum im Foyer der Bibliotheca<br />
Albertina besichtigt werden. Jörg Graf, Leiter der Restaurierungswerkstatt<br />
der Universitätsbibliothek Leipzig, stellte mit seinem<br />
Team das Original als Replik her. Lesen Sie mehr ab Seite 22.<br />
dein MAGENTA<br />
des jahres<br />
mit acryl, öl oder<br />
tempera immer<br />
ein pink voraus<br />
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Foto: © UBL<br />
2/<strong>2023</strong><br />
5
1<br />
Zoom aufs Detail: Digitalprogramm<br />
„Closer to Vermeer“ bietet einzigartigen<br />
Einblick in Werk des Künstlers<br />
Ein Digitalprogramm des Rijksmuseums in Amsterdam ergänzt die bislang größte Ausstellung mit<br />
Arbeiten Johannes Vermeers. Die User:innen tauchen ein in Leben und Werk des niederländischen<br />
Künstlers. Neuste Technologie ermöglicht dabei die Erkundung auch winziger malerischer Details<br />
Mit 28 Gemälden Vermeers ist die noch bis<br />
listen Stephen Fry angeboten, auf Niederlän-<br />
zum 4. Juni <strong>2023</strong> laufende Ausstellung im<br />
disch führt die Schriftstellerin und Schau-<br />
Amsterdamer Rijksmuseum die umfassends-<br />
spielerin Joy Delima. Schwerpunktthemen<br />
te über den Barockmaler, die es je gab. Bereits<br />
wie „Der Blick der Verführung“, „In Harmo-<br />
wenige Tage vor Eröffnung waren 150.000<br />
nie“, „Himmel und Erde“ oder „Innere Werte“<br />
Eintrittskarten verkauft; nur drei Tage später<br />
bringen verschiedene Werke Vermeers in<br />
ABSTRACT<br />
Zoom in on the detail: digital programme "Closer<br />
to Vermeer" offers unique insight into the artist's<br />
work<br />
A digital programme of the Rijksmuseum in Amsterdam<br />
complements the largest exhibition of Johannes<br />
Vermeer's works to date. Users can immerse themselves<br />
in the life and work of the Dutch artist. The latest<br />
technology makes it possible to explore even the<br />
tiniest painterly details.<br />
waren alle 450.000 Tickets ausverkauft.<br />
Wer nicht zu den Glücklichen gehört und<br />
die Ausstellung vor Ort besucht, kann Jan<br />
Vermeer dennoch näherkommen. Und zwar<br />
mit dem kostenlosen Digitalprogramm des<br />
Rijksmuseums: „Closer to Johannes Vermeer“.<br />
Die User:innen können entweder<br />
nach eigenem Gusto in die Welt Vermeers<br />
eintauchen oder einer virtuellen Führung<br />
durch dessen Werk und Leben folgen. Die<br />
englischsprachige Tour wird von dem namhaften<br />
britischen Schauspieler und Journa-<br />
Sektionen zusammen.<br />
Die interaktive Entdeckungsreise umfasst<br />
alle Gemälde Vermeers, die in Amsterdam zu<br />
sehen sind, sowie neun weitere, dem Künstler<br />
zugeschriebene Werke. Im Gegensatz etwa<br />
zu Rembrandt hat Vermeer ein sehr kleines<br />
Werk hinterlassen – es sind nur 37 Arbeiten<br />
des Künstlers bekannt.<br />
Um so wichtiger ist es, dass wertvolle Leihgaben<br />
die Werke des Rijksmuseums ergänzen:<br />
So hat die Frick Collection die drei<br />
Vermeer Gemälde aus ihren Beständen<br />
Fotos: ijksmuseum/ Kelly Schenk (1); Rijksmuseum (2, 3)<br />
6 2/<strong>2023</strong>
1<br />
Untersuchung des<br />
Gemäldes „Briefleserin<br />
in Blau“ von Johannes<br />
Vermeer<br />
2<br />
Johannes Vermeer,<br />
Briefleserin in Blau,<br />
1662/64, Öl/Lwd.;<br />
Rijksmuseum, Amsterdam<br />
(Leihgabe der Stadt<br />
Amsterdam (A. van der<br />
Hoop Bequest)<br />
3<br />
SWIR-Scan Abb. 1<br />
2<br />
3<br />
2/<strong>2023</strong><br />
7
FORSCHUNG & VERMITTLUNG<br />
1<br />
Komplex und nicht chaotisch<br />
Was machte Amadeo Modiglianis Stil einzigartig? Eine Ausstellung in der Barnes Foundation<br />
in Philadelphia gab neue Einblicke in Materialien und Arbeitsmethoden des Malers<br />
1<br />
Blick in die Ausstellung<br />
„Modigliani Up Close" in<br />
der Barnes Foundation<br />
in Philadelphia (2022)<br />
2<br />
Amedeo Modigliani,<br />
Junge Frau in Blau (Giovane<br />
Donna in Azzurro),<br />
1919, Öl/Lwd., Barnes<br />
Foundation, Philadelphia<br />
3<br />
X-ray Abb. 2<br />
Er starb 1920 im Alter von nur 35 Jahren an<br />
Tuberkulose. Demnächst kommt das turbulente<br />
Leben von Amadeo Modigliani auf die<br />
Kinoleinwand. Der von Johnny Depp inszenierte<br />
und von Al Pacino koproduzierte Film<br />
„Modi“ ist eine Adaption eines Off-Broadway-Stücks.<br />
Die Drehbuchautoren Jerzy und<br />
Mary Kromolowski recherchierten auch in<br />
der Ausstellung „Modigliani Up Close“ in<br />
der Barnes Foundation in Philadelphia, die<br />
bis Ende Januar <strong>2023</strong> zu sehen war. Der<br />
Gründer der Institution, Albert C. Barnes,<br />
war ein früher Förderer des Künstlers und<br />
sammelte die ersten Stücke bereits im Jahr<br />
1922, dem Jahr, in dem er seine Stiftung<br />
gründete. Aufbauend auf Recherchen, die<br />
2017 mit einer großen Retrospektive in der<br />
Tate Modern begannen, warf das Forschungsprojekt,<br />
an dem über zwanzig Institutionen<br />
teilnahmen, einen tiefen Blick darauf,<br />
wie Modigliani seine Werke schuf. Im<br />
Zentrum stand die Arbeitsweise des Malers,<br />
die von seinen bescheidenen Einkünften<br />
am Anfang seiner Karriere beeinflusst war,<br />
weshalb er etwa nicht nur die Vorder- und<br />
Rückseite einer Leinwand nutzte, sondern<br />
auch bereits von anderen Künstlern gebrauchte<br />
Bildträger verwendete. Die Barnes<br />
12 2/<strong>2023</strong>
FORSCHUNG & VERMITTLUNG<br />
2 3<br />
Foundation verfügt über 16 Werke des Italieners.<br />
Dazu gesellt haben sich weitere Werke<br />
aus öffentlichen und privaten Sammlungen.<br />
Die Ausstellung begann mit den Gemälden,<br />
die Modigliani nach seiner Ankunft<br />
in Paris schuf. Eine neue Röntgenanalyse<br />
enthüllte drei zuvor unbekannte Skizzen unter<br />
dem doppelseitigen Werk „Akt mit Hut“<br />
von 1908 aus dem Hecht Museum der Universität<br />
von Haifa. Französische<br />
Restaurator:innen fanden auf dem Gemälde<br />
„Antonia“, das um 1915 entstand, sogar<br />
sechs zugrunde liegende Gemälde, was<br />
schließlich zu der Theorie führte, dass der<br />
Krieg den verarmten Künstler dazu zwang,<br />
Leinwände wiederzuverwenden, anstatt auf<br />
frischen zu malen.<br />
Das vierköpfige Ausstellungsteam bestand<br />
aus Kunsthistorikerinnen und Restauratorinnen,<br />
darunter Barbara Buckley, Chefrestauratorin<br />
der Barnes Foundation. „Wir<br />
wussten, dass Modigliani Leinwände wiederverwendete,<br />
aber dank der Infrarot-Reflektografie<br />
konnten wir verstehen, dass er<br />
auch Werke anderer Künstler verwendete,<br />
nicht nur seine eigenen“, so Buckley. Sie seien<br />
zwar nicht die ersten, die sich mit der Arbeitsweise<br />
Modiglianis beschäftigt haben,<br />
ABSTRACT<br />
Complex and not chaotic<br />
What made Amadeo Modigliani's style unique? An<br />
exhibition at the Barnes Foundation in Philadelphia<br />
gave new insights into the painter's materials and<br />
working methods.<br />
2/<strong>2023</strong><br />
13
FORSCHUNG & VERMITTLUNG<br />
1<br />
2<br />
1<br />
Ein Papyrus für Alle oder ein Papyrus für<br />
alle Gelegenheiten<br />
Die Universitätsbibliothek Leipzig bewahrt die größte und einzig vollständig überlieferte medizinische Papyrusrolle Altägyptens<br />
auf, die der Leipziger Ägyptologe Georg Ebers 1873 für die Universitätsbibliothek erworben hatte. Ebers ließ 1875 den<br />
in hieratischer Schrift geschriebenen Text drucken. Seit 2017 ist der komplette Text mit Übersetzung aller Rezepte auf<br />
Deutsch und Englisch online. Seit 2021 kann eine Replik der 18,63 m langen Papyrusrolle in einem eigenen Schauraum im<br />
Foyer der Bibliotheca Albertina besichtigt werden. Jörg Graf, Leiter der Restaurierungswerkstatt der Universitätsbibliothek<br />
Leipzig, stellte mit seinem Team das Original als Replik her<br />
1<br />
Die schwebende Papyrus-Ebers-Replik wartet im<br />
neuen Bereich der Dauerausstellung auf seine<br />
Besucher:innen<br />
2 / 3<br />
Der 3500 Jahre alte Papyrus im historischen<br />
Rahmen sowie eine Durchlichtaufnahme<br />
4<br />
Die Papyrus-Ebers-Replik: 18,63 Meter lang und 8359<br />
Gramm schwer<br />
1. Einführung<br />
Die dauerhafte Präsentation wichtiger historischer<br />
Objekte einer Sammlung, eines<br />
Museums oder einer Bibliothek stellt sich<br />
als große Herausforderung dar. In diesem<br />
Zusammenhang ergeben sich zunächst<br />
Fragestellungen wie beispielsweise: Wie ist<br />
der Zustand des Objektes und kann dies somit<br />
überhaupt als Sammlungsstück präsentiert<br />
werden? Welche Auswahl an zu prä-<br />
sentierenden Stücken soll getroffen werden?<br />
Wurde das Stück bereits ausgestellt?<br />
Und vor allem die entscheidende Frage: Wo<br />
und wie soll das Objekt ausgestellt werden?<br />
Im Bestand der Universitätsbibliothek<br />
Leipzig befindet sich ein solch wichtiges<br />
Stück. Es handelt sich dabei um den 3500<br />
Jahre alten Papyrus Ebers. Wobei hierbei<br />
nicht nur das Alter so bedeutsam ist, sondern<br />
auch seine Größe. Der Papyrus in<br />
22 2/<strong>2023</strong>
FORSCHUNG & VERMITTLUNG<br />
2<br />
3<br />
und die Ingredienzen mit schwarzer Rußtusche<br />
geschrieben sind.³ Den 18,63 Meter<br />
langen Papyrus kaufte der Leipziger Ägyptologe<br />
Georg Ebers (1837–1898) bei seiner<br />
zweiten Ägyptenreise im Jahre 1873 in Luxor.<br />
Bis heute lässt sich der Name des Verkäufers<br />
zurückverfolgen. Es handelt sich hierbei um<br />
den Antiquitätenhändler Todrus Boulus.⁴ Der<br />
Verkauf selbst ist gut und sicher dokumentiert,<br />
während sich der Fundort und die Herkunft<br />
leider kaum zurückverfolgen lässt. Die<br />
Reaktion von Herrn Ebers, als er den ersten<br />
Blick auf den originalen Papyrus werfen<br />
konnte, lässt sich nur schwer vorstellen. Eine<br />
aufgewickelte Papyrusrolle von 18,63 Meter<br />
Länge und einer Höhe von 30 Zentimetern<br />
galt schon damals als Sensationsfund. Beachtlich<br />
sind die Bestrebungen von Herrn<br />
Ebers den Papyrus sofort nach dem Kauf für<br />
die Wissenschaft und Benutzung zugänglich<br />
zu machen.<br />
Ein großer Einschnitt im Bestehen des Papyrus<br />
Ebers war die Teilung des Papyrus in<br />
29 Teile. Unter dem „Segen“ des Ministeriums<br />
in Dresden wurde eben jener, 1873 in 29<br />
Abschnitte unterschiedlicher Größen zerschnitten.⁵<br />
Nach dem Trennen wurde der Papyrus<br />
punktuell auf einen säurehaltigen Karton<br />
geklebt und in einem der Zeit üblichen<br />
Holzrahmen montiert.<br />
Was heute unvorstellbar wirkt, führte heute<br />
wie damals dazu, dass der Papyrus stets bemerkenswert<br />
gut erhalten bleibt. Wäre der<br />
Papyrus zu Besichtigungszwecken ständig<br />
auf- und zugerollt worden, wäre das Material<br />
mit großer Wahrscheinlichkeit längst zerbrochen<br />
und mittels Konservierungsversuchen<br />
entstellt.<br />
In den letzten Monaten des Zweiten Weltkrieges<br />
wurde der Papyrus Ebers auf das<br />
Schloss Rochlitz bei Chemnitz gebracht.<br />
Während der Befreiung der Stadt Rochlitz<br />
gingen hierbei zwei Papyrusglasplatten verloren.<br />
Heute ist der Papyrus in einem außer-<br />
Gänze hat nämlich die beträchtliche Länge<br />
von 18,63 Meter. Im Jahre 2018 formte sich<br />
die Idee, den Papyrus Ebers als Faksimile in<br />
vollem Umfang zu präsentieren. Damit sollte<br />
er der Mittelpunkt der schon vorhandenen<br />
plakativen Dauerausstellung werden,<br />
welche sich im Foyer der Universitätsbibliothek<br />
Leipzig.¹<br />
4<br />
2. Was ist der Papyrus Ebers und wie kam er<br />
an die Universitätsbibliothek Leipzig?<br />
Der Papyrus Ebers ist die größte Schriftrolle<br />
zur altägyptischen Heilkunst. Der sehr gut<br />
erhaltene Papyrus ist unvorstellbare ca. 3500<br />
Jahre alt.² Die 900 Einzeltexte und Rezepte<br />
wurden in hieratischer Schrift auf den Papyrus<br />
verfasst, wobei die Rezeptanfänge in Rot<br />
1 Projektidee: Prof. Dr. U. Schneider.<br />
2 Das Alter wurde im Jahre 2014 mittels einer C-14-<br />
Analyse bestimmt.<br />
3 Lutz Popko, Ulrich Johannwa Schneider, Reinhold<br />
Scholl: Papyrus Ebers, Die größte Schriftrolle zur Altägyptischen<br />
Heilkunst, Wissenschaftliche<br />
Buchgesellschaft,Darmstadt 2021.<br />
4 Lutz Popko, Ulrich Johannwa Schneider, Reinhold<br />
Scholl: Papyrus Ebers, Die größte Schriftrolle zur<br />
Altägyptischen Heilkunst, Wissenschaftliche<br />
Buchgesellschaft,Darmstadt 2021.<br />
5 Briefwechsel zwischen Herrn Gerber und den Oberbibliothekar<br />
Professor Dr Krehl, Altregistratur der UBL, 2021.<br />
2/<strong>2023</strong><br />
23
1<br />
1<br />
Wie man Lösungen gemeinsam erarbeitet<br />
Knapp 50 Jahre liegt die Entwicklung des bekannten Magnetrahmen der Firma Halbe – der Typ Conservo ist heute<br />
ein Standardwechselrahmen in der Museumswelt – zurück. Doch wie kam es zur Beschäftigung mit diesem speziellen<br />
Metier? Und wie greifen bei Halbe Forschung und Entwicklung ineinander? Dazu sprachen wir mit David Halbe,<br />
der mittlerweile das Familienunternehmen in dritter Generation führt<br />
Die Erfolgsgeschichte der traditionsreichen<br />
Firma HALBE Rahmen aus dem rheinlandpfälzischen<br />
Kirchen begann mit dem Vertrieb<br />
von Verlagserzeugnissen: Denn nach dem<br />
Zweiten Weltkrieg hatte der gelernte Buchhändler<br />
Hubert Halbe für eine Buchverkaufsstelle<br />
eine Lizenz bekommen. „Gefragt waren<br />
damals vor allem kleine Heiligenbilder, die etwa<br />
zur Kommunion verschenkt wurden,“ erzählt<br />
David Halbe, der das Familienunternehmen<br />
mittlerweile in dritter Generation leitet.<br />
„Eines Tages fragten Kunden, ob sie zu diesen<br />
Motiven noch einen Bilderrahmen dazu<br />
kaufen könnten. Daraufhin hat mein Großvater<br />
angefangen, – allerdings damals mit noch<br />
sehr bescheidenen Möglichkeiten – kleine<br />
Holzrahmen aus Leisten zu bauen. Und daraus<br />
entwickelt sich dann letztendlich unser<br />
Geschäft mit den Rahmen.“ Die Folgezeit<br />
prägten konstruktive Weiterentwicklungen.<br />
„Mein Großvater und mein Vater hatten<br />
schon immer das Bestreben, dass Ein- und<br />
Ausrahmen möglichst einfach sein sollten.<br />
Rahmen wurden damals zuerst noch verklebt<br />
oder vertackert, später kamen die ersten<br />
Clipse auf den Markt“, führt David Halbe<br />
weiter aus. „Weil auch diese Systeme zu umständlich<br />
waren, experimentierten mein<br />
Großvater und mein Vater, wie sich Bilder<br />
ganz einfach von der Vorderseite ausrahmen<br />
ließen. Beim technischen Zeichnen an der<br />
Reißschiene – an dieser Zeichentafel wird<br />
das Papier mit Magnetbändern gehalten –<br />
kam meinem Vater schließlich die zündende<br />
Idee, dass dieses Konstruktionsprinzip auch<br />
für Rahmen funktionieren könnte.“<br />
Daraus entstand dann in den 1970er Jahren<br />
der erste Magnetrahmen mit einem Aluminiumprofil<br />
und den innenliegenden Haftmagnetstreifen<br />
für die komfortable Rahmung von<br />
der Sichtseite. „Dieses erste System ist bis<br />
heute so im Kern erhalten, wird aber immer<br />
weiterentwickelt und perfektioniert,“ verrät<br />
David Halbe. Vater Heinrich Halbe meldete<br />
das Patent 1975 an. Anspruchsvollen Kunstkennern<br />
war der Magnetrahmen mit der einfachen<br />
Handhabung schnell ein Begriff: Anstatt<br />
mit Handelsvertretern zu arbeiten,<br />
28 2/<strong>2023</strong>
XXXXXX<br />
1<br />
Vorbildlich barrierefrei:<br />
Der Römersteinbruch<br />
Sankt Margarethen im<br />
Burgenland ist einer der<br />
ältesten noch aktiven<br />
Werksteinbrüche Österreichs.<br />
Seit 1961 werden<br />
dort Passionsspiele und<br />
seit 1996 auch Opern<br />
aufgeführt. Die Neugestaltung<br />
des Römersteinbruchs<br />
stammt vom<br />
Architekturbüro Alles<br />
wird gut_Foto: Jürgen M.<br />
Pietsch<br />
2<br />
2<br />
Die Architektin Ursula<br />
Fuss hat ihr Büro www.<br />
con-fuss.de im Jahr<br />
1996 gegründet. Foto:<br />
www.con-fuss.de<br />
2<br />
verkauften Hubert und Heinrich Halbe selbst<br />
direkt an Künstler, Galerien, Sammler, Museen<br />
und private Kunstfreunde. Mit diesem Modell<br />
des Direktvertriebs ist die Firma bis heute<br />
erfolgreich. „So sind wir immer in direktem<br />
Austausch mit unseren Kunden: Wir können<br />
Wünsche aufnehmen und gemeinsam Lösungen<br />
entwickeln“, freut sich David Halbe.<br />
So führte in der Vergangenheit eine Anfrage<br />
aus dem Deutschen Plakat Museum (seit<br />
2008 Teil des Museum Folkwang, Essen) zu<br />
einer ersten konservatorischen Weiterentwicklung<br />
des Magnetrahmens. Bei dem einstigen<br />
Leiter René Grohnert und der hinzugezogenen<br />
Papierrestaurierungswerkstatt Lars<br />
Herzog-Wodtke (Essen) bestand der Wunsch<br />
nach einem Rahmen mit Klima- und Feuchtigkeitsstabilisierung.<br />
Denn die damaligen<br />
Museumsräume besaßen schwierige klimatische<br />
Bedingungen durch bauliche Veränderungen<br />
außerhalb. „Wir machten viele Versuche<br />
zur Stabilisierung des Mikroklimas im<br />
Rahmen. Viele Ansätze klappten nicht“, erzählt<br />
David Halbe. „Doch über die Jahre entstanden<br />
erste kleine Serien. Das Ergebnis ist<br />
unser Protect Magnetrahmen. Er lässt sich<br />
luftdicht abschließen, ist mit KLUG Wellkarton<br />
und mit dem Silikatgel ProSorb als Puffermaterial<br />
ausgestattet, um die relative Luftfeuchte<br />
im Inneren stabil zu halten. Eine Studienarbeit<br />
an der Technischen Fachhochschule<br />
in Köln beschäftigte sich mit unserem<br />
Projekt. Testläufe in einem Klimaschrank<br />
wurden gemacht. Bis zur Marktreife unserer<br />
Entwicklung hatte sich allerdings die Zusammenarbeit<br />
mit dem Deutschen Plakatmuseum<br />
erledigt. Denn inzwischen war das Folkwang<br />
Museum in einen Neubau mit perfekten<br />
klimatischen Bedingungen eingezogen.“<br />
Das Funktionsprinzip des klimastabilisierenden<br />
Rahmens war aber entwickelt, und Heinrich<br />
Halbe glaubte an den Bedarf. Denn<br />
schon vor 15 Jahren wurden auch bei Rahmen<br />
konservatorische Aspekte immer präsenter.<br />
Der Austausch mit musealen Institutionen<br />
intensivierte sich. „Generell beobachten<br />
wir, dass die präventive Konservierung in<br />
den letzten Jahren eine immer größere Rolle<br />
1<br />
Gemeinsam mit dem Münchner Rahmen-Experten<br />
Werner Murrer entwickelte HALBE den Rahmen für<br />
den berühmten „Schrei“von Edvard Munch (Munch<br />
Museum, Oslo). Das Foto zeigt den Sepzial-Rahmen<br />
mit einer Reproduktion in der Werkstatt<br />
2<br />
Nicht nur für die Rahmung des berühmten „Schrei“<br />
von Edvard Munch arbeiteten Murrer und Halbe zusammen.<br />
Auch weitere Gemälde im Munch Museum<br />
wurde mit einer Spezialanfertigung der beiden Unternehmen<br />
versehen, hier das Schnittmodel für die<br />
einfach gehaltenen, runden Rahmen<br />
ABSTRACT<br />
How to develop solutions together<br />
The development of the well-known magnetic frame<br />
by the Halbe company – the Conservo type is now a<br />
standard interchangeable frame in the museum<br />
world – dates back almost 50 years. But how did this<br />
special profession come about? And how do research<br />
and development intertwine at Halbe? We<br />
spoke to David Halbe, who is now the third generation<br />
of the family to run the company.<br />
2/<strong>2023</strong><br />
29
FORSCHUNG & VERMITTLUNG<br />
1<br />
Kunstlogistik und Nachhaltigkeit –<br />
gegensätzlich oder untrennbar?<br />
Inwieweit sind Kunstlogistik und Nachhaltigkeit vereinbar? Dass das kein Widerspruch ist, erläutert<br />
Nadine Cheryl Adolfs, Diplom-Restauratorin und Expertin für Kunstlogistik, im folgenden Beitrag<br />
unter vier Nachhaltigkeitsaspekten<br />
Die Europäische Union hat sich mit<br />
dem Green Deal ein ambitioniertes Klimaschutzziel<br />
gesetzt. Bis spätestens 2050 sollen<br />
die Mitgliedsstaaten ihre Treibhausgasemissionen<br />
auf netto null senken. Was in<br />
der EU bis 2050 realisiert werden soll, ist in<br />
Deutschlands Bundesklimaschutzgesetz<br />
bereits bis 2045 vorgesehen.<br />
So das Ziel – aber wo stehen wir heute? Der<br />
Klimawandel ist zunehmend auch in Europa<br />
und im speziellen auch in Deutschland<br />
spürbar. In Punkto Auswirkungen des Klimawandels<br />
gibt es meiner Ansicht nach in der<br />
Restaurierungswelt kein Erkenntnisproblem.<br />
Allen Beteiligten ist klar, dass diese<br />
erheblich für den Kulturgutschutz sein werden.<br />
Es stellt sich folgerichtig in allen Bereichen<br />
die Frage, wie praktisch gegengesteuert<br />
werden kann. Hier ist auch die Kultur-<br />
branche gefordert, einen Beitrag zur Reduzierung<br />
des CO2-Ausstoßes zu leisten. Das<br />
Ausstellungswesen und die Kunstlogistik<br />
sind hier besonders im Fokus. Die Bereiche<br />
Logistik und Transport im Allgemeinen verursachen<br />
gemäß WEF-Studien derzeit mehr<br />
als 5,5 Prozent aller CO2-Emissionen weltweit.<br />
Tendenz steigend. Der reine Straßentransport<br />
per Lkw führt 15 Prozent der Europäischen<br />
CO2-Emissionen herbei.1 Umweltschonende<br />
Innovationen sind anhand dieser<br />
Zahlen in diesem Sektor dringend<br />
erforderlich.<br />
Eigentlich ist die Kunstlogistik nur eine<br />
kleine Spezialnische in der Gesamtlogistik.<br />
Dennoch, vielleicht sogar gerade deshalb,<br />
stellt sich die Frage, inwieweit Kunstlogistik<br />
und Nachhaltigkeit vereinbar sind. Um es<br />
vorwegzunehmen, für mich ist das kein Wi-<br />
derspruch. Im Nachfolgenden möchte ich<br />
darauf eingehen, wie ich zu dieser Einschätzung<br />
komme. In der Kunstlogistik sehe ich<br />
unter Nachhaltigkeitsaspekten vier Säulen,<br />
welche nachfolgend mit dem Status quo<br />
und den persönlichen Berufserfahrungen in<br />
Bezug gesetzt werden. Dabei nehme ich die<br />
Perspektive als Diplom-Restauratorin und<br />
Expertin für Kunstlogistik ein.<br />
1. Lagerung - Energieaufwand zur<br />
Klimatisierung / Gebäudesubstanz<br />
Die Energiekrise hat in vielen kulturellen Einrichtungen<br />
die alte Gebäudesubstanz sowie<br />
-technik und den Sanierungsstau ins Bewusstsein<br />
gebracht. Studien zeigen, dass<br />
Museen einen immanent hohen CO2-Ausstoß<br />
im städtischen Vergleich haben.2<br />
Vor allem eine notwendige klimastabile<br />
46 2/<strong>2023</strong>
FORSCHUNG & VERMITTLUNG<br />
1 / 2<br />
xxxx<br />
2<br />
2<br />
Lagerung von Sammlungen hat aufgrund ei-<br />
diese verbleibenden indirekten CO2-Emissi-<br />
wieder bemerkt, dass die Reichweite von<br />
nes tradierten und bisher gängigem techni-<br />
onen aus dem Stromverbrauch auch noch zu<br />
Elektromobilität für große Distanzen noch<br />
schen Standard einen hohen Energiebedarf<br />
reduzieren, werden die Kunstdepots schritt-<br />
nicht ausgelegt ist. Zudem scheitert es dar-<br />
und damit hohe CO2-Emissionen zur Folge.<br />
weise mit Photovoltaik (PV) aufgerüstet. Wo<br />
an, dass die notwendige Infrastruktur an La-<br />
An die Lagerung von Kunst- und Kulturgütern<br />
dies bereits geschehen ist, machen die PV-<br />
destationen für Elektro-Lkw noch nicht in<br />
werden hohe Anforderungen an Klima- und<br />
Anlagen die Depots grün, energieautark und<br />
großem Umfang verfügbar ist.<br />
Sicherheitstechnik gestellt, was in der Regel<br />
produzieren als Zusatznutzen Überschuss-<br />
Die Luftfahrtbranche setzt aktuell beim The-<br />
mit hohen Energiekosten verbunden ist. An<br />
strom. Damit erlangen sie den Rang von Plu-<br />
ma Nachhaltigkeit vermehrt auf Konzepte zur<br />
zahlreichen Standorten sind aus öffentlicher<br />
sEnergieDepots. In Zahlen ausgedrückt ist<br />
Kompensation und die Reduktion durch eine<br />
Hand Zentraldepots auf neustem Stand in<br />
der Betrieb moderner Depots auf Basis von<br />
nachhaltige Beimischung zum Kerosin - so<br />
Planung, jedoch mit den üblichen sehr lang-<br />
Geothermie und PV um den Faktor 4,6 effizi-<br />
genanntes Sustainable Aviation Fuel (SAF).<br />
wierigen Planungs- und Genehmigungspro-<br />
enter als der klassischer Lagerbauten. Wo in<br />
Seefracht zeichnet sich in der Statistik mit ei-<br />
zessen. Beim aktuellen dringenden Hand-<br />
herkömmlichen Lagern im Jahr gut 50 Kilo-<br />
nem besonders niedrigen Emissionswert pro<br />
lungsdruck stellt sich die Frage, was die Wirt-<br />
gramm CO2 pro Quadratmeter anfallen, sind<br />
Tonne Fracht aus und dass, obwohl der<br />
schaft bieten kann.<br />
moderne Lager nahezu emissionsfrei.<br />
Schweröl-Einsatz noch weit verbreitet ist.3<br />
Der Zugverkehr hat aktuell in der Kunstlogis-<br />
Wie kann eine emissionsfreie Lagerung<br />
2. Transport – CO2-Emissionen der<br />
tik kaum Bedeutung. Ausnahmen sind<br />
von Kunst- und Kulturgütern aussehen?<br />
unterschiedlichen Transportmittel<br />
hier der Eurotunnel und der Lkw-Zug über<br />
Hasenkamp hat bereits 2008 auf ein damals<br />
Kunsttransporte bewegen die zu transportie-<br />
den Brenner.<br />
zukunftsweisendes Lagerkonzept umge-<br />
renden Objekte in einem Spannungsfeld zwi-<br />
Der stark variierende CO2-Ausstoß im Bezug<br />
stellt: Seitdem werden die Kunstdepots der<br />
schen Sicherheit, Schnelligkeit und den aus<br />
zu den unterschiedlichen Verkehrsträgern ist<br />
Gruppe als passivbauähnliche Depots mit ei-<br />
dem Transport resultierenden Emissionen.<br />
ins Bewusstsein der Kulturbranche ange-<br />
nem insgesamt sehr niedrigen Energiever-<br />
Stand heute sind in der Kunstlogistik bei den<br />
kommen und es wird differenziert diskutiert.<br />
brauch gebaut. Die Depots zeichnen sich<br />
großen Lkw herkömmliche Verbrennungs-<br />
Als Beispiele seien hier die Initiativen GCC<br />
durch eine kompakte und massive Gebäude-<br />
motoren noch die Regel. Hier wird immer<br />
(Gallery Climate Coalition)4 oder LCA (Life<br />
hülle aus, die das Innenklima gegenüber<br />
Temperaturschwankungen von außen besonders<br />
träge macht und ein stabiles Klima<br />
1 WEF_RFZ_Pathways_to_faster_adoption_of_zero_<br />
Alle Fotos: Hasenkamp<br />
nach musealen Vorgaben ermöglicht. Darüber<br />
hinaus wird der gesamte Energiebedarf<br />
für Heizung und Klimatisierung durch geothermische<br />
Energie gedeckt.<br />
Als umweltrelevante Komponente verbleiben<br />
bisher in Teilen nur die indirekten CO2-<br />
Emissionen aus dem Stromverbrauch. Um<br />
emission_trucks_2021.pdf (weforum.org)<br />
2 U.a. Klimabilanzen in Kulturinstitutionen – Dokumentation<br />
des Pilotprojekts (kulturstiftung-des-bundes.de)<br />
3 Seeschiffe – Luftschadstoffe und Energieeffizienz |<br />
Umweltbundesamt<br />
4 Life Cycle Assessment of Museum Loans and<br />
Exhibitions - STiCH (culturalheritage.org)<br />
1<br />
Mit arca – Made to Protect erweitert<br />
Hasenkamp das Produktangebot der<br />
nachhaltigen Verpackungslösungen<br />
2<br />
Blick auf die Firmenzentrale von Hasenkamp<br />
in Köln<br />
2/<strong>2023</strong><br />
47
1<br />
Wood: Between Natural Affordance<br />
and Cultural Values in Eurasia<br />
2<br />
Ende März <strong>2023</strong> findet im Münchner Zentralinstitut für Kunstgeschichte eine interdisziplinäre Konferenz<br />
zum Thema Holz statt. Auch die material- und kunsttechnologische Seite findet dort Berücksichtigung.<br />
Prof. Dr. Angelika Rauch, Professorin der Studienrichtung Konservierung und Restaurierung von Holzobjekten<br />
an der FH Potsdam, ist vor Ort und spricht über Patina und die Alterung von Holz. Vorab gab die<br />
Expertin einen Einblick in ihren Vortrag<br />
Die internationale Konferenz „Wood: Bet-<br />
kulturellen Kodierung, dem Verhältnis von<br />
jektes an? Und wo ziehen wir die Grenze<br />
ween Natural Affordance and Cultural Values<br />
Holz zu anderen Materialien, den Besonder-<br />
zwischen Patina und Schaden? Denn neben<br />
in Eurasia“, die vom 23. bis 25. März <strong>2023</strong> im<br />
heiten des Holzhandwerks sowie den wirt-<br />
dem Material an sich, mit dem wir uns als<br />
Zentralinstitut für Kunstgeschichte in Mün-<br />
schaftlichen, theologischen und politischen<br />
Restaurator:innen intensiv beschäftigen,<br />
chen in hybridem Format stattfindet, widmet<br />
Aspekten des Holzes.<br />
geht es auch immer um das Objekt mit sei-<br />
sich allein dem Material Holz.<br />
Ziel des dreitägigen Symposiums ist es,<br />
Ähnlichkeiten und Unterschiede, Kontinuitäten<br />
und Diskontinuitäten in den Vorstellungen<br />
über Holz in verschiedenen kulturellen<br />
Kontexten Eurasiens zu präsentieren und zu<br />
diskutieren. Die englischsprachige Veranstaltung<br />
organisieren Prof. Dr. Ilse Sturkenboom<br />
(Lehrstuhl für Islamische Kunstgeschichte,<br />
Ludwig-Maximilans-Universität,<br />
München) und Prof. Dr. Aleksandra<br />
Lipińska (Lehrstuhl Allgemeine Kunstgeschichte,<br />
Universität zu Köln).<br />
Die einzelnen Vorträge befassen sich mit<br />
dem Verhältnis zwischen den natürlich bedingten<br />
Eigenschaften von Holz und ihrer<br />
Auch die material-kunsttechnologische<br />
Seite findet in der interdisziplinären Konferenz<br />
Beachtung. Aus Potsdam ist Prof. Dr.<br />
Angelika Rauch vor Ort. Sie lehrt an der FH<br />
Potsdam Konservierung und Restaurierung<br />
von Holzobjekten. Am ersten Konferenztag<br />
hält sie nach Dr. Michael Risse vom Lehrstuhl<br />
für Holzwissenschaft (TU München) im<br />
Panel „Wood as a natural product“ einen Vortrag<br />
über das komplexe Thema der Alterung<br />
von Holz. „Patina ist eines der Hauptthemen<br />
in der Holzrestaurierung“, erklärt die Professorin.<br />
„Wie geht man damit um? Wieviel Alterung<br />
erträgt man als Besitzer:in eines Kunstwerks<br />
und sieht das als positiven oder als<br />
akzeptablen Teil in der Geschichte eines Ob-<br />
ner Geschichte: Jedes zeigt bis zu einem gewissen<br />
Grad, was ihm widerfahren ist. Zudem<br />
ist es immer mit den Besitzer:innen gealtert.<br />
Auch diesen immateriellen Teil finde<br />
ich hochspannend.“<br />
Neben diesen restaurierungsethischen<br />
Fragestellungen wird Angelika Rauch auf die<br />
natürlichen Veränderungen der Holzalterung<br />
auf zellulärer Basis und auf die chemischen<br />
Prozesse eingehen. Denn wie weit man bei<br />
einer Behandlung geht und wie weit nicht,<br />
dafür sollte man ziemlich viel über Holz an<br />
sich als Werkstoff, über die chemische Zusammensetzung<br />
und die physikalischen Eigenschaften<br />
wissen, so die Expertin. „Das ist<br />
allerdings aufgrund der großen Vielfalt an<br />
Fotos: MET Museum; https://omeka.ulb.uni-bonn.de/; Aleksandra Lipińska<br />
54 2/<strong>2023</strong>
3<br />
Holzarten immer noch ziemlich schwer fassbar“,<br />
führt Angelika Rauch weiter aus. „Es<br />
scheint so gut wie keine Veränderungen in<br />
den mechanischen Eigenschaften von Holz<br />
unter wie z. B. seiner Hygroskopizität zu geben.<br />
Das führt dann wiederum zu kontinuierlichen<br />
Veränderungen im verarbeiteten Holz,<br />
die uns als Restaurator:innen sehr beschäftigen.<br />
D. h. auch mehrere 100 Jahre altes Holz<br />
kann noch Wasser aufnehmen und abgeben,<br />
was dann wieder zu Spannungen, Rissbildung,<br />
Verwölbung usw. führt. Interessant ist<br />
auch, dass es unter Luft- und Lichtabschluss<br />
kaum zu sichtbaren Veränderungen kommt.<br />
So hat man bei den Pyramiden von Gizeh in<br />
den 1950er Jahren Boote aus Zedernholz<br />
entdeckt. Sie sind rund 4600 Jahre alt und so<br />
gut wie unverändert." Angelika Rauch wird<br />
daher außerdem alterungsbeschleunigende<br />
Faktoren wie UV-Licht, Klimaveränderungen,<br />
Befall mit Mikroorganismen, Schädlingen<br />
und Pilzen näher beleuchten. Die Holz-Expertin<br />
verbindet in Lehre und Forschung<br />
beispielhaft die naturwissenschaftliche<br />
und die handwerkliche Seite der Restaurierung<br />
mit der kunstwissenschaftlichen Methodik:<br />
Nach einem Magisterstudium in<br />
Kunstgeschichte, Ägyptologie und Ethnologie<br />
absolvierte Angelika Rauch eine Tischlerlehre<br />
und setzte ein Restaurierungsstudium<br />
darauf. „Wir als Restaurator:innen<br />
sind in der wunderbaren Position, Dinge<br />
anfassen zu können und in ihrer Materialität<br />
dadurch besser zu verstehen.“<br />
Dr. Ute Strimmer<br />
Das vollständige Programm der<br />
Konferenz finden Sie anbei (QR-Code).<br />
1<br />
Detail einer Engelsfigur (Tilman Riemenschneider,<br />
Entrückung der Hl. Maria Magdalena); Bayerisches<br />
Nationalmuseum, München<br />
2<br />
Intarsie, Minbar (Detail), wohl aus der Moschee von<br />
Saif al-Din Qawsun in Kairo, 14. Jh.; Metropolitan Museum<br />
Museum, New York<br />
3<br />
Plakat der Konferenz „Wood: Between Natural Affordance<br />
and Cultural Values in Eurasia“ ( 23. bis 25.<br />
März <strong>2023</strong>, Zentralinstitut für Kunstgeschichte in<br />
München)<br />
2/<strong>2023</strong><br />
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