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Vogelgrippe

Die Vogelgrippe wütet wie nie zuvor und befällt nun auch Säugetiere. Die Angst vor einem Supervirus wächst

Die Vogelgrippe wütet wie nie zuvor
und befällt nun auch Säugetiere. Die Angst
vor einem Supervirus wächst

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WISSEN<br />

INFEKTION<br />

Der geflügelte Tod<br />

Die <strong>Vogelgrippe</strong> wütet wie nie zuvor<br />

und befällt nun auch Säugetiere. Die Angst<br />

vor einem Supervirus wächst<br />

50<br />

Millionen<br />

Tiere wurden zum<br />

Schutz vor weiteren<br />

Infektionen in<br />

Europas Geflügelbetrieben<br />

bis<br />

Dezember gekeult<br />

N<br />

asses Gefieder klebt<br />

an leblosen Körpern.<br />

Flügel und Hälse<br />

sind unnatürlich verrenkt.<br />

Rings um den<br />

Globus spült das<br />

Meer tote Vögel an die Küsten.<br />

Während sich die Menschheit<br />

von der Corona-Pandemie erholt,<br />

tobt im Tierreich eine Seuche<br />

von noch nie beobachtetem<br />

Ausmaß: die <strong>Vogelgrippe</strong>. Zum<br />

ersten Mal wütete sie im vergangenen<br />

Jahr auch den Sommer<br />

über. Die Krankheit bedroht<br />

nicht mehr nur Vogelarten, sie<br />

befällt auch große Gruppen<br />

von Säugetieren. Die WHO ist<br />

besorgt.<br />

Das auf Vögel spezialisierte<br />

Influenzavirus machte erstmals<br />

in den 90er Jahren von sich reden.<br />

Die schwer krank machende<br />

Variante H5N1 kursierte<br />

damals auf chinesischen Geflügelfarmen,<br />

griff bald auf Wildvögel<br />

über und reiste mit ihnen<br />

um die Welt. Dabei kam ihr<br />

die außergewöhnliche Wandelbarkeit<br />

der Influenzafamilie zugute. Die Erreger<br />

docken an die Zellen ihrer Opfer an<br />

und nutzen die fremde biologische Infra -<br />

struktur, um sich zu vervielfachen. Ihr<br />

Erbgut besteht aus nur acht Segmenten,<br />

die jeweils den Code für mindestens<br />

ein Protein enthalten. Beim Kopieren der<br />

Codes machen die Viren reichlich Fehler,<br />

so entstehen neue Versionen der Segmente.<br />

Zusätzlich können verschiedene<br />

Influenzaviren diese Segmente als Ganzes<br />

untereinander austauschen, wenn sie<br />

sich in einer befallenen Zelle begegnen.<br />

So entsteht eine Vielzahl an Viren mit<br />

unterschiedlichen Eigenschaften, die sie<br />

gefährlicher machen können.<br />

„Welche Veränderungen dazu geführt<br />

haben, dass sich das Virus auch im Sommer<br />

verbreitet, wissen wir bislang<br />

nicht. Es ist aber wohl<br />

keine einzelne Mutation, sondern<br />

eine Kombination neuer<br />

Eigenschaften“, sagt der<br />

Virologe Timm Harder vom<br />

staatlichen Friedrich-Loeffler-<br />

Institut für Tiergesundheit.<br />

Der Genmix bewirkte offenbar,<br />

dass die Viren noch aktiv<br />

waren, als Zugvögel wie der<br />

Basstölpel oder die Küstenseeschwalbe<br />

2022 mit steigenden<br />

Temperaturen in ihre Brutkolonien<br />

zurückkehrten. „Bislang sind diese<br />

Arten dem Virus nie begegnet. Der Klimawandel<br />

könnte dabei eine Rolle spielen,<br />

denn er greift vermutlich in den Fahrplan<br />

vieler Arten ein“, sagt Harder.<br />

Elterntiere starben zu Hunderten, Küken<br />

verhungerten, Raubtiere fraßen die infizierten<br />

Kadaver. Vor allem die umtriebigen<br />

Möwen trugen das veränderte Virus<br />

weiter. Es landete in Geflügelbetrieben<br />

zahlreicher Länder Europas, Amerikas,<br />

Asiens und Afrikas. Mehr als 140 Millionen<br />

Nutzvögel starben allein bis Dezember.<br />

Seitdem waren es nach Angaben der<br />

Welttiergesundheitsorganisation WOAH<br />

weitere 13,8 Millionen. Gesunde Tiere,<br />

die zum Infektionsschutz gekeult wurden,<br />

sind da nicht mitgerechnet. Einheitliche<br />

Angaben zur Zahl der verendeten<br />

Wildvögel gibt es bislang nicht.<br />

Seit Beginn des Jahres wurden<br />

weltweit 748 neue Ausbrüche<br />

bei Nutztieren und Wildvögeln<br />

gemeldet. Die Infektion befällt<br />

mittlerweile auch Arten wie<br />

Geier, Wanderfalken oder Eulen.<br />

Wissenschaftlerinnen und<br />

Wissenschaftler befürchten,<br />

dass die <strong>Vogelgrippe</strong> nun auch<br />

bisher unberührte Regionen<br />

wie Australien und die Antarktis<br />

erreichen könnte. Hier lebt ein<br />

großes Spektrum gefährdeter<br />

Verendet Auch an Schleswig-<br />

Holsteins Küsten werden Tausende<br />

tote Vögel angetrieben<br />

Arten, deren Immunsystem<br />

noch nie Kontakt mit dem<br />

Virus hatte. „Wenn es etwa<br />

auf große Pinguinkolonien<br />

trifft, könnte es zu einem Massensterben<br />

kommen“, fürchtet<br />

Harder.<br />

Auch Säugetiere und Menschen<br />

können sich infizieren,<br />

bislang nur bei engem Kontakt<br />

zu kranken Vögeln. Doch<br />

auch hier scheint die aktuelle<br />

Form des Virus neue Wege zu<br />

gehen. Sie breitete sich im<br />

Oktober auf einer Nerzfarm<br />

mit über 50 000 Tieren aus. „Es<br />

gilt als wahrscheinlich, dass<br />

sich die Nerze gegenseitig<br />

angesteckt haben. In Proben<br />

wurde eine Mutation nachgewiesen,<br />

die den Viren Vorteile<br />

bei der Vermehrung in<br />

bestimmten Säugetieren verschafft“,<br />

so Harder. Auch in Mardern,<br />

Füchsen, Robben und Grizzlybären wurde<br />

das <strong>Vogelgrippe</strong>virus gefunden. Aufsehen<br />

erregten zuletzt die Kadaver von<br />

rund 600 infizierten Seelöwen, die an der<br />

peruanischen Küste angespült wurden.<br />

Die örtlichen Behörden konnten nicht ausschließen,<br />

dass sie sich gegenseitig angesteckt<br />

hatten. „Mir macht das große Sorgen,<br />

denn in jedem dieser Wirte kann eine<br />

neue Variante entstehen, die auf weitere<br />

Säugetiere übergehen und sich so noch<br />

weiter anpassen und verbreiten könnte“,<br />

sagt Harder.<br />

Acht Menschen infiziert<br />

Bei Menschen sind derzeit weltweit acht<br />

Infektionen mit dem aktuellen <strong>Vogelgrippe</strong>virus<br />

bekannt. Bei ihnen wurden<br />

teils unterschiedliche Subtypen des Virus<br />

nachgewiesen, sie haben sich nicht untereinander<br />

angesteckt. Dennoch bereiten<br />

sich die WHO, die WOAH und die Ernährungsorganisation<br />

der Vereinten Nationen<br />

FAO auf den Akutfall vor. „Halbjährlich<br />

wird in dieser Runde die Zusammensetzung<br />

der Grippeimpfung beschlossen.<br />

Hier werden auch Impfstoffkandidaten<br />

gegen H5-Varianten diskutiert“, sagt<br />

Harder. „Es gibt kein akutes Risiko, aber<br />

man trifft Vorsorge.“<br />

ALINA REICHARDT<br />

Fo t o : C h r i s t i a n C h a r i s i u s /d p a<br />

68 FOCUS 9/2023

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