Baumeister 4/2023
Zukunft bauen
Zukunft bauen
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B4<br />
B A U<br />
April 23<br />
120. JAHRGANG<br />
Das Architektur-<br />
Magazin<br />
MEISTER<br />
Zukunft<br />
bauen<br />
D 17,50 €<br />
A,L 19,95 €<br />
CH 2 4 , 9 0 S F R<br />
04<br />
4 194673 017505<br />
BAU<br />
<strong>2023</strong><br />
!
B4<br />
Editorial<br />
COVERFOTO: STEPHAN BOGNER, PHILIPP SCHMITT UND JONAS VOIGT, „RAISING ROBOTIC NATIVES“, 2016 © JONAS VOIGT<br />
Liebe Leserinnen und Leser,<br />
nach vier Jahren kehrt die BAU, die Weltleitmesse<br />
für das Baugewerbe, als Präsenzveranstaltung<br />
auf das Münchner Messegelände<br />
zurück. Wie bei vielen anderen<br />
Messen sorgte die Covid-19-Pandemie für<br />
eine ungeplante Zwangspause. Fast möchte<br />
man sagen, dass die BAU <strong>2023</strong> nicht mehr<br />
in der gleichen Welt stattfindet wie die vorangegangene<br />
Ausgabe. Insbesondere zwei<br />
Themen, die 2019 noch mit einer gewissen<br />
Unverbindlichkeit diskutiert wurden, sind inzwischen<br />
absolut handlungsbestimmend<br />
geworden: CO2-Reduktion und Digitalität.<br />
Der Druck, die Bauwende schnellstmöglich<br />
zu vollziehen, hat in den letzten vier Jahren<br />
noch einmal massiv zugenommen. Nicht<br />
zuletzt sind es die jungen Menschen, die<br />
hier mit allem Recht unverzügliches Handeln<br />
einfordern – auch von der Baubranche.<br />
Junge Architekturschaffende begreifen es<br />
als ihre wichtigste Verantwortung, mit ihrer<br />
Arbeit nicht zur globalen Erwärmung beizutragen.<br />
Sie verlangen das gleiche Verantwortungsbewusstsein<br />
von ihren Arbeitgeberinnen<br />
und Arbeitgebern, ihrer Bauherrschaft<br />
und den Herstellern, deren Produkte<br />
sie verbauen.<br />
Die Möglichkeiten der Digitalität wurden<br />
uns während der Pandemie noch einmal<br />
eindrücklich vor Augen geführt. Welche<br />
dauerhaften Folgen dieser Digitalitätsschub<br />
haben wird, ist derzeit Gegenstand vieler<br />
kontroverser Diskussionen. Wie tiefgreifend<br />
werden künstliche Intelligenz und Robotik<br />
das Bauwesen verändern? Werden diese<br />
Werkzeuge in der Lage sein, den Fachkräftemangel<br />
auszugleichen, oder werden sie<br />
sogar einen Großteil der menschlichen<br />
Arbeitskraft überflüssig machen? Was vor<br />
vier Jahren noch beinahe im Bereich des<br />
Utopischen schien, steht heute bereits an<br />
der Schwelle der Alltagstauglichkeit. Es<br />
würde nicht überraschen, wenn zur BAU<br />
2025 KI und Bauroboter bereits im täglichen<br />
Einsatz in den Architekturbüros und auf den<br />
Baustellen sind.<br />
In diesem Heft wollen wir schlaglichtartig<br />
Fragestellungen nachgehen und einige<br />
Tech nologien betrachten, denen eine<br />
Schlüsselbedeutung für die gesamte Bauwirtschaft<br />
zukommen könnte. Die fünf Leitthemen<br />
der BAU <strong>2023</strong> haben uns dabei als<br />
Anregung gedient. Unser großer „Lösungen“-<br />
Teil, für den wir wichtige Neuheiten von der<br />
BAU ausgewählt haben, regt Sie vielleicht<br />
zu einer Reise auf die Weltleitmesse nach<br />
München an.<br />
Fabian Peters<br />
f.peters@georg-media.de<br />
@baumeister_architekturmagazin
Ideen<br />
Fragen<br />
Lösungen<br />
5<br />
20<br />
Modulbau-<br />
Wohnanlage<br />
in Stuttgart<br />
34<br />
Baulücke<br />
zum Wohnen<br />
und<br />
Arbeiten<br />
in Basel<br />
80<br />
Wie gewinnt<br />
man Kunststrom?<br />
84<br />
Hoffnungsträger<br />
Digitaler Bauantrag?<br />
90<br />
Branchenfeature:<br />
BAU <strong>2023</strong> –<br />
Herausforderung<br />
Klimawandel<br />
94<br />
Zur BAU <strong>2023</strong><br />
52<br />
Besucherzentrum<br />
im Allgäu<br />
RUBRIKEN<br />
50<br />
UNTERWEGS<br />
68<br />
Swiss Life Arena<br />
in Zürich<br />
66<br />
SONDERFÜHRUNG<br />
86<br />
BAUMEISTER.DE<br />
109<br />
IMPRESSUM + VORSCHAU<br />
110<br />
PORTFOLIO: BEST OF BAU<br />
114<br />
KOLUMNE
In welchen Bereichen der Architektur und des Bauwesens<br />
finden gerade wichtige Entwicklungen statt?<br />
Wo erwartet die Bauindustrie tiefgreifende Veränderungen?<br />
Die Leitthemen der Messe BAU sind dafür<br />
immer ein wichtiger Indikator.
7<br />
BAU<br />
<strong>2023</strong><br />
!<br />
<strong>2023</strong> lauten sie: Herausforderung Klimawandel, digi tale<br />
Transformation, Zukunft des Wohnens, Ressourcen und<br />
Recycling sowie modulares, serielles, vorgefertigtes<br />
Bauen. Wir greifen diese Themen als roten Faden auf,<br />
der sich durch das Heft zieht.
Einführung<br />
13<br />
Reinier de Graaf<br />
im Interview<br />
In seinem dritten Buch analysiert der Architekt<br />
und OMA-Partner Reinier de Graaf zehn<br />
Schlagwörter aus dem aktuellen Vokabular<br />
von Architekturschaffenden und Immobilienentwicklern.<br />
Dabei stellt er Bedeutungsverschiebungen<br />
fest, die greifbar werden lassen,<br />
wie sehr sich die Architektur inzwischen den<br />
Gesetzen der globalen Immobilienwirtschaft<br />
unterworfen hat. Warum ihn das zutiefst besorgt,<br />
erklärt er im Interview mit Chefredakteur<br />
Fabian Peters.<br />
BAUMEISTER: Der Titel Deines<br />
Buchs „architect, verb“ ist ein<br />
Beispiel für etwas, das Du „Profspeak“<br />
getauft hast. Was ist<br />
das?<br />
REINIER DE GRAAF: „Profspeak“<br />
ist ein höchst erfolgreiches Derivat<br />
der englischen Sprache,<br />
das im professionellen Kontext<br />
benutzt wird – daher der Name.<br />
Es ist eine Art „Über-Fachsprache“,<br />
die von Architekten, Ingenieuren,<br />
Finanzleuten, Beratern<br />
und so weiter benutzt wird.<br />
Man verständigt sich dabei mit<br />
ungenau definierten Begriffen,<br />
so dass alle Seiten glauben<br />
können, von derselben Sache<br />
zu sprechen. „Sie stellt Konsens<br />
her, ohne dass man sich einig<br />
sein muss“, habe ich im Buch<br />
geschrieben.<br />
B: In Deinem Buch geht es zu<br />
einem wesentlichen Teil um den<br />
Zusammenhang zwischen Architektur<br />
und Sprache. Wie<br />
beeinflusst ein Phänomen wie<br />
Profspeak unsere Vorstellung<br />
von Architektur?<br />
RDG: Der Begriff Profspeak<br />
ist natürlich eine bewusste Referenz<br />
auf die „Newspeak“<br />
Orwells aus „1984“. Ich habe<br />
das Gefühl, es ist die Sprache<br />
einer zunehmend unterdrückerisch<br />
handelnden Welt, die<br />
den Architekten ihren Willen<br />
aufzwingen will. Architekten<br />
denken häufig, dass sie die<br />
Welt nach ihren Vorstellungen<br />
formen können, doch wir sehen<br />
immer mehr das umgekehrte<br />
Bild. Architekten übernehmen<br />
diese Neusprache und machen<br />
sich damit unbewusst deren<br />
Wertmaßstäbe zu eigen. Plötzlich<br />
erhalten Begriffe wie<br />
Schönheit, Wohnlichkeit, Wohlbefinden<br />
oder Nachhaltigkeit,<br />
die tief in der architektonischen<br />
Praxis verankert waren, neue<br />
Bedeutungen. Wenn ein selbsterklärender<br />
Begriff wie Wohnlichkeit<br />
plötzlich zum unklar<br />
definierten Schlagwort wird,<br />
gibt es ein Problem. Und dieses<br />
Problem wird dann in der Regel<br />
den Architekten angelastet.<br />
Die Architekten graben sich<br />
also ihre eigene Grube, wenn<br />
sie sich auf Profspeak einlassen.<br />
B: Ich habe den Eindruck, dass<br />
die Phänomene, die Du in<br />
Deinem Buch beschreibst – die<br />
Umwertung von Begriffen wie<br />
Schönheit, Wohnlichkeit, Wohlbefinden,<br />
Nachhaltigkeit,<br />
Kreativität zu Kategorien der<br />
Im mobilienindustrie –, viele<br />
junge Architekturschaffende<br />
derzeit zutiefst zornig macht.<br />
RDG: Kein Wunder, sie haben<br />
praktisch keine Chance,<br />
aus diesen Zwängen zu entkommen.<br />
Sie müssen sich<br />
dieser Neusprache bedienen<br />
und ihr Berufsleben nach diesen<br />
Wertmaßstäben ausrichten,<br />
obwohl sie tief in sich drin wissen,<br />
WEITER
14<br />
„Architekten denken häufig,<br />
dass sie die Welt nach ihren<br />
Vorstellungen formen können,<br />
doch wir sehen immer mehr<br />
das umgekehrte Bild.“<br />
dass etwas total falsch läuft. Ihr<br />
Zorn ist die Folge davon, dass<br />
man ihnen die Sprache genommen<br />
hat, um ihren Widerspruch<br />
zu artikulieren. Denn wer kann<br />
nicht Schönheit wollen, wer<br />
nicht Wohnlichkeit oder Nachhaltigkeit<br />
oder Wohlbefinden?<br />
Den Begriffen des Profspeak<br />
zu widersprechen, sie zu relativieren,<br />
würde beispielsweise<br />
die sichere Niederlage in vielen<br />
Wettbewerben bedeuten. Ich<br />
glaube, das betrifft nicht nur die<br />
Architekten, sondern erklärt<br />
auch die Wut vieler Menschen,<br />
die auf die Straße gehen, um<br />
gegen fast alles zu protestieren.<br />
Diktaturen funktionieren nicht<br />
über Waffen, sondern über Information<br />
und Sprache. Wusstest<br />
Du, dass die einzigen Filme,<br />
die auf saudischen Flügen nicht<br />
zensiert werden, Hollywood-<br />
Filme sind? Die Zensur nimmt<br />
die Filmindustrie in Hollywood<br />
nämlich bereits selbstständig<br />
vor. Und es ist genau diese Welt,<br />
gegen die ich mit meinem Buch<br />
protestieren will.<br />
B: Du beschreibst an verschiedenen<br />
Stellen in Deinem Buch,<br />
wie Ansätze, die eigentlich<br />
aus den eher anti-kapitalistisch<br />
und anti-modernistisch<br />
orientierten sozialen Bewegungen<br />
der Sechziger-und Siebzigerjahre<br />
kamen, inzwischen<br />
zu Businessmodellen geworden<br />
sind. Wie konnten Ideen,<br />
die einst Jane Jacobs gegen<br />
den kapitalistischen Stadtumbau<br />
formuliert hat, zu Methoden<br />
der Renditesteigerung<br />
werden?<br />
RVD: Die „Livability“-Bewegung,<br />
die Jane Jacobs mitbegründet<br />
hat, begann als Protest gegen<br />
die Freeway-Pläne in den amerikanischen<br />
Großstädten.<br />
Sie stieß eine Debatte an, einen<br />
Diskurs, bei dem das Für und<br />
Wider erörtert wurden. Sie bildete<br />
eine Opposition, wie sie für<br />
eine Gesellschaft sehr wichtig<br />
ist. Inzwischen haben sich<br />
sowohl die Architekturschaffenden<br />
als auch die Wirtschaft<br />
desselben, aus der Soziologie<br />
hergeleiteten Vokabulars<br />
bemächtigt. Dadurch wird eine<br />
differenzierte Diskussion fast<br />
unmöglich. Alles wird zu einem<br />
undurchdringlichen Sprachbrei,<br />
bei dem sich Für und Wider<br />
kaum noch auseinanderhalten<br />
lassen.<br />
B: Gibt es überhaupt eine<br />
Möglichkeit, aus diesem Dilemma<br />
zu entkommen, ohne das<br />
gesamte kapitalistische System<br />
in Frage zu stellen?<br />
RDG: Meinen Büchern ist<br />
manchmal vorgeworfen worden,<br />
dass sie keine Lösungen<br />
anbieten. Sie bieten sie deshalb<br />
nicht an, weil ich keine<br />
Lösungen habe – nur Analysen.<br />
Ich denke, dass der erste Schritt<br />
zur Lösung eines Problems das<br />
Eingeständnis sein muss, dass<br />
es ein Problem gibt, gefolgt von<br />
einer Analyse des gegenwärtigen<br />
Zustands und einer historischen<br />
Untersuchung, wie man<br />
dort hingelangt ist. Denn vielleicht<br />
führt derselbe Weg ja<br />
auch aus der Misere wieder heraus.<br />
Ich glaube, dass die sorgfältige<br />
Analyse der Geschichte<br />
den Weg in die Zukunft aufzeigt.<br />
B: Diese ganze Real-Estate-<br />
Branche scheint einerseits so<br />
übermächtig und andererseits<br />
so aus der Zeit gefallen zu sein,<br />
in einer Welt, die unmittelbar<br />
von der Klimakatastrophe<br />
bedroht ist. Gibt es überhaupt<br />
Hoffnung, dass dieser Wirtschaftszweig<br />
sich ändern kann?<br />
RDG: Wir haben gerade im<br />
Rahmen der Bearbeitung eines<br />
Wettbewerbs in Deutschland<br />
Gebäude zusammengetragen,<br />
die einen Nachhaltigkeitspreis<br />
gewonnen haben. Und sie sind<br />
alle so unscheinbar, so normal –<br />
sie unterscheiden sich kaum<br />
von herkömmlichen Gebäuden,<br />
wie sie bislang gebaut<br />
werden. Es fällt mir sehr schwer<br />
zu glauben, dass diese Häuser<br />
uns ins Paradies bringen werden<br />
– selbst, wenn sie Preise<br />
gewinnen. Ich bezweifele, dass<br />
die Lösung für ein radikales<br />
Problem in einer un-radikalen<br />
Architektur bestehen kann.<br />
Selbst wenn die radikalen Utopien<br />
des 19. und 20. Jahrhun-<br />
„Meinen Büchern ist immer wieder<br />
vorgeworfen worden, dass sie<br />
keine Lösungen anbieten. Sie<br />
bieten sie deshalb nicht an, weil<br />
ich keine Lösungen habe – nur<br />
Analysen.“
34<br />
1<br />
1<br />
Vier Kleinwohnungen und ein<br />
Atelier auf engstem Raum.<br />
Am Material wird, wo es geht,<br />
gespart, das spart auch Platz.<br />
Die Seitenwände des Lückenfüllers<br />
bestehen aus Industriemauerwerk<br />
und sind nur<br />
weiß gestrichen.<br />
FOTO: IVA STANI
Ideen<br />
35<br />
Rechnen<br />
für mehr Raum<br />
Architekten:<br />
Wallimann Reichen<br />
L E I T T H E M A<br />
BAU <strong>2023</strong><br />
|<br />
Z U K U N F T D E S<br />
WOHNENS<br />
Text:<br />
Franziska Quandt<br />
Fotos:<br />
Rory Gardiner<br />
Wenn man alles will und nichts mehr geht, tritt<br />
man manchmal besser einen Schritt zurück<br />
und fängt von vorne an. Stand am Anfang noch<br />
der Wunsch, das Mehrfamilienhaus zu erhalten,<br />
führte schließlich eine intensive Auseinandersetzung<br />
mit konstruktiven und<br />
baurecht lichen Rahmenbedingungen zu keiner<br />
zufrieden stellenden Lösung. Der heutige Neubau<br />
bietet Raum fürs Wohnen und Arbeiten<br />
dank einer simplen Materialwahl und vor allem<br />
einer geschickten, maximalen Ausnutzung<br />
der wenigen Quadratmeter.
FOTOS: HOTEL FALKENSTEINER
Unterwegs im …<br />
51<br />
Hotel Falkensteiner<br />
Prag<br />
Unweit einer der schönsten Prager Jugendstilikonen, dem<br />
Gemeindehaus von 1905 bis 1911, findet sich ein historistisches<br />
Stadtpalais, das im letzten Jahr in ein für Reisende ideal<br />
gelegenes Hotel umgebaut wurde. Das Innere des Hauses<br />
changiert zwischen Jugendstil und Zeitgenössischem. Beliebter<br />
Treffpunkt auch für alle Prager ist die „Monkey-Bar“.<br />
PREISE<br />
„Das wunderbare Gedicht des menschlichen<br />
Körpers ... die Musik der Linien<br />
und Farben, die von Blumen, Blättern<br />
und Früchten ausgehen, ist der offensichtlichste<br />
Lehrer unserer Augen und<br />
unseres Geschmacks.“ Auf Tschechisch<br />
und Englisch ist das Zitat des 1939 in Prag verstorbenen<br />
Jugendstilkünstlers Alfons Mucha in der<br />
historischen Wallenstein-Reithalle der Prager<br />
Nationalgalerie unterhalb der Burg zu lesen. Die<br />
Ausstellung seiner mit Blumen, Blättern und Früchten<br />
übersäten „Panneaux Décoratifs“, der Plakate,<br />
Bleistift- und Pastellzeichnungen aus den Beständen<br />
der Familie, schloss Ende 2022. Und wohl noch<br />
bis 2026 soll es dauern, bis Thomas Heatherwick<br />
im Palais Kaunitz den Raum fertiggestellt hat, der<br />
Muchas Monumentalwerk „Das Slawische Epos“<br />
angemessen in Szene setzt.<br />
Jugendstilkunst, -bauten und -interieurs allerdings<br />
sind in der Stadt auch in der Zwischenzeit zahlreich<br />
zu besichtigen, mal ist die baulich manifestierte<br />
Musik der Linien und Farben originalgetreu und<br />
sensibel, mal brachial und verkitscht erhalten. Das<br />
„Falkensteiner Hotel Prague“ bietet nun eine weitere<br />
Variante: Der im Mai 2022 abgeschlossene<br />
Umbau transponiert Jugendstil und Art déco elegant<br />
ins Zeitgemäße. Denn dass „Architektur Gäste<br />
macht“, wie die österreichische Grundlagenstudie<br />
bereits 2007 nachwies, ist der österreichischen<br />
Eigentümerfamilie, die insgesamt 27 Falkensteiner-Hotels<br />
betreibt, bewusst – sie beauftragte bereits<br />
Matteo Thun, Boris Podrecca, Richard Meier,<br />
Snøhetta Studio oder noa* network of architecture<br />
und wählte für das Eckhaus, Baujahr Ende 18. Jahrhundert,<br />
die deutsche Innenarchitektin Aggi<br />
Zimmer<br />
ab 122 Euro<br />
inklusive<br />
Frühstück<br />
Bruch, die von Mallorca aus arbeitet.<br />
Auch die Lage des ehemaligen Wohnhauses<br />
ist für reisende Bohemians höchst<br />
angenehm: Es liegt schräg gegenüber<br />
des Hauptbahnhofs, 1909 fertiggestellt<br />
nach Plänen von Josef Fanta, der Altstädter<br />
Ring ist schnell zu Fuß erreicht, und man<br />
kommt dabei auch am Gemeindehaus „Obecní<br />
dům“ von Antonín Bolšánka und Osvald Polívka<br />
vorbei, einem der eindrucksvollsten Jugendstilbauten<br />
der Stadt, das in Teilen auch von Alfons<br />
Mucha ausgestattet wurde.<br />
Das Hotel besteht aus 108 Zimmern und Suiten,<br />
erschlossen vom imposanten historischen Treppenhaus,<br />
das sechs hohe Geschosse verbindet.<br />
Ein kleines Spa verwöhnt im Souterrain, Restaurant<br />
und Bar samt lauschigem Innenhof stehen auch<br />
Gästen offen, die nicht im Hotel residieren. Lebendes<br />
Dschungelgrün markiert den Übergang von<br />
der Straße und setzt sich in der Lobby fort in hellem<br />
Grün und tiefem Schwarz an den getäfelten Wänden,<br />
durchsetzt vom intensiven Petrol, Dunkelgrün,<br />
Zinnoberrot und Violett der hübschen Polstermöbel.<br />
Geometrische Muster in Weiß und Grau<br />
sorgen für Plastizität an den Wänden der Zimmer;<br />
schwere Vorhänge dimmen das Licht, das durch<br />
die alten Fenster fällt. Und für die hippe Poetry und<br />
Instagrammability sorgen die vom tschechischen<br />
Fotokünstler Bojan Stanic exklusiv für das<br />
Hotel angefertigten Porträts blumen- und blütenumrankter<br />
menschlicher Körper.<br />
Falkensteiner Hotel Prague<br />
Opletalova 21, Prag<br />
www.falkensteiner.com/hotel-prague<br />
Text Katharina Matzig
60<br />
Technik<br />
Bot<br />
der <strong>Baumeister</strong><br />
Während in den meisten produzierenden<br />
Industrien der Roboter nicht mehr wegzudenken<br />
ist, konnte sich die Automatisation<br />
auf dem Bau bislang nicht durchsetzen.<br />
Seit Langem wird zum Thema „robotikunterstütztes<br />
Bauen“ intensiv geforscht.<br />
Jetzt halten die ersten Roboter tatsächlich<br />
Einzug auf der Baustelle.<br />
1<br />
Das Bild rechts und weitere<br />
Bilder in diesem Beitrag sowie<br />
unser Covermotiv stammen<br />
aus der Ausstellung „Hello<br />
Robot. Design zwischen Mensch<br />
und Maschine“ im Vitra<br />
Design Museum. Diese ging<br />
1<br />
im März zu Ende, es folgt die<br />
Ausstellung „Future Gardens.<br />
Designing with Nature“ bis<br />
3. Oktober <strong>2023</strong>.<br />
Rechts: Rein zu Unterhaltungszwecken:<br />
Roboterhund „Aibo“<br />
von Sony aus dem Jahr 1999<br />
2<br />
Harter Arbeiter: Roboterhund<br />
„Spot“ von Boston Dynamics<br />
im Baustelleneinsatz für<br />
den Immobiliendienstleister<br />
Drees & Sommer<br />
3<br />
Roboter-Fantasien für das<br />
4<br />
Fischer-Technik, aber kein<br />
5+6<br />
Materialeffizientes Verfahren:<br />
FOTO LINKS: ANDREAS SÜTTERLIN; RECHTS: DREES & SOMMER SE<br />
Kinderzimmer: Sammlung<br />
Spielzeug: Der BauBot kann<br />
Die Eggshell-Technologie, die<br />
von Spielzeugrobotern<br />
autonom Befestigungen<br />
Gramazio Kohler Research an<br />
1956–1980<br />
montieren.<br />
der ETH Zürich entwickelt hat
61<br />
2<br />
Spot ist ein Roboterhund wie aus dem Bilderbuch.<br />
Vier Beine, ein Körper, in dem ein<br />
Elektromotor schnurrt, und ein Sensorkopf,<br />
der schnüffeln, lesen, messen und vieles<br />
mehr kann. Denn Spot ist ein erstklassiger<br />
Wachhund. Genau dafür hat ihn das amerikanische<br />
Technologieunternehmen Bosten<br />
Dynamics entwickelt. Laut seinem<br />
Hersteller hütet er sogar Schafe in Neuseeland.<br />
Sein hauptsächliches Tätigkeitsfeld<br />
sieht Boston Dynamics allerdings in der Industrie.<br />
Spot kann sich auf seinen Beinen<br />
autonom auch durch schwer zugängliche<br />
Industrieanlagen bewegen und dort nach<br />
dem Rechten schauen. Und sollte es tatsächlich<br />
etwa zum Austritt gefährlicher<br />
Stoffe kommen, kann er die Unfallstelle<br />
L E I T T H E M A<br />
BAU <strong>2023</strong><br />
erkunden, ohne dass sich Menschen der<br />
Gefahr aussetzen müssen. Auch als Polizeihund<br />
kommt Spot mittlerweile zum Einsatz.<br />
Ein weiteres Tätigkeitsfeld hat Boston<br />
Dynamics in einem Bereich ausgemacht,<br />
der sich dem Siegeszug der Robotik bislang<br />
erfolgreich entgegengestemmt hat:<br />
dem Bau.<br />
Seit dem vergangenen Sommer setzt das<br />
internationale Bau-Beratungsunternehmen<br />
Drees & Sommer aus Stuttgart Spot<br />
auf seinen Baustellen ein. Spot hilft den<br />
Ingenieuren des Unternehmens bei der<br />
Baustellendokumentation, indem er mit<br />
seinen Sensoren alle Veränderungen des<br />
Gebäudes unablässig und akribisch protokolliert.<br />
Dadurch werden alle Abweichungen<br />
zwischen Planung und Ausführung<br />
umgehend erfasst. Die Veränderungen<br />
müssen nicht mehr eigens von der<br />
Bauleitung in das digitale Planwerk übertragen<br />
werden. Gleichzeitig wird mit Spots<br />
Hilfe der Baufortschritt permanent dokumentiert.<br />
Möglich macht das der 3D-<br />
Laserscanner der Firma Faro, der Spots um<br />
360 Grad drehbaren Kopf bildet. Er tastet<br />
alle Oberflächen ab und konstruiert dabei<br />
ein millimetergenaues Abbild seiner<br />
Umgebung. Noch darf sich Spot nicht<br />
allein über die Baustelle bewegen, die<br />
Gesetzeslage lässt dies nicht zu. „Im Moment<br />
wird Spot per Joypad gesteuert“, erklärt<br />
Wolfgang Kroll, der mit dem Roboter<br />
arbeitet. „Wir hoffen aber, dass wir ihn irgendwann<br />
autonom durch Bauprojekte<br />
laufen lassen können.“ Nicht nur die Gesetzeslage<br />
schränkt Spot derzeit noch ein,<br />
|<br />
HERAUSFORDERUNG<br />
KLIMAWANDEL<br />
WEITER
80<br />
Wie gewinnt<br />
man<br />
Kunststrom<br />
?<br />
Das Kunstkollektiv „Performance Electrics<br />
gGmbH“ unter der Leitung von Pablo Wendel<br />
hat sich in einem ehemaligen E-Werk in der<br />
brandenburgischen Provinz eingerichtet und<br />
produziert dort mit Hilfe zündender Ideen<br />
wieder Strom – allerdings nachhaltig. Diese<br />
künstlerische Energiewende elektrisiert nicht<br />
nur Luckenwalde.<br />
Das ehemalige kommunale<br />
E-Werk von Luckenwalde, ein<br />
ursprünglich mit Braunkohle<br />
betriebenes Dampfkraftwerk,<br />
ist Bau- und Technikdenk mal.<br />
Seit es im Besitz des Kunstkollektivs<br />
Performance Electrics<br />
gGmbH unter Leitung<br />
von Pablo Wendel ist, wirkt<br />
das Ensemble als Großplastik<br />
und performativ expandierendes<br />
Gesamtkunstwerk. Es<br />
funktioniert als experimentelle<br />
Produktionsstätte, Atelierhaus<br />
und Ausstellungshalle<br />
für zeitgenössische Kunst. Das<br />
Erstaunlichste aber ist, das<br />
E-Werk liefert 110 Jahre nach<br />
seiner ersten Inbetriebnahme<br />
und 30 Jahre nach seiner<br />
Stilllegung wieder Strom – regenerativen<br />
Kunststrom. Mit<br />
seinem engstens verzahnten<br />
Gesamtprogramm gehört<br />
das E-Werk zu den sogenannte<br />
Zukunftsorten, einem<br />
Netzwerk von Initiativen, die<br />
sich alle um die Beseitigung<br />
von Leerständen im ländlichen<br />
Raum bemühen. Die<br />
Power von Pablo Wendel und<br />
seinem Team zieht nicht nur<br />
in Lucken walde hochenergetische<br />
Kreise.<br />
Die Kreisstadt Luckenwalde<br />
liegt etwa 50 Kilometer südlich<br />
von Berlin. Derzeit braucht<br />
die Bahn 30 Minuten vom<br />
Berliner Südkreuz bis zum Bahnhof<br />
Luckenwalde. Mit dieser<br />
Anbindung wird die landschaftlich<br />
schön im Fläming<br />
gelegene, 21.000 Einwohner<br />
zählende Kreisstadt für Großstädter<br />
attraktiv, die bezahlbaren<br />
Wohn- und Arbeitsraum<br />
suchen. In der kleinen<br />
Industriestadt gibt es noch<br />
reichlich leerstehende Gewerbebauten<br />
und auch kleinere<br />
Stadthäuser. Möglichkeitsmenschen<br />
erkennen das Potenzial.<br />
Sie erkennen auch auf<br />
dem Weg vom Bahnhof zum<br />
FOTOS: IRA MAZZONI (1), E-WERK LUCKENWALDE/BEN WESTOBY (2 + 3)
Fragen<br />
81<br />
1<br />
1<br />
E-Werk, dass die Stadt sich<br />
baukulturell engagiert. Denn<br />
sie weiß um ihr hochkarätiges<br />
Erbe, zu dem nicht nur Mendelssohns<br />
Hutfabrik gehört,<br />
deren Zukunft übrigens auch<br />
noch in den Sternen steht.<br />
Vom Kleinen<br />
zum Großen<br />
Pablo Wendel gehört zu den<br />
Möglichkeitsmenschen, die<br />
Chancen da erkennen, wo<br />
andere nur Probleme sehen.<br />
Der Künstler und Performer,<br />
der an der Stuttgarter Akademie<br />
der bildenden Künste<br />
zum Bildhauer ausgebildet<br />
Die Maschinen im Technikdenkmal<br />
Luckenwalde laufen<br />
wieder – und produzieren<br />
heute regenerativen Strom.<br />
2 + 3<br />
Die sanierten Säle dienen<br />
wurde, kam nach Luckenwalde,<br />
weil es im Schwäbischen<br />
keine Studios mehr<br />
gab, die er sich hätte leisten<br />
können. Aber er brauchte<br />
für sich und sein 2012 gegründetes<br />
Kollektiv „Performance<br />
Electrics“ Platz, viel Platz,<br />
für Grundlagenforschung und<br />
praktische wie ästhetisch<br />
wirksame Experimente, die<br />
allesamt Energie zum zentralen<br />
Thema haben. Zusammen<br />
mit dem KIT-Institut für Solarforschung<br />
und der Sternwarte<br />
Stuttgart war es ihm gelungen,<br />
mit der Energie eines anderen<br />
Sonnensystems wenigstens<br />
eine kleine Diode zum Leuchten<br />
zu bringen. „Sternenfänger“<br />
hieß die poetische<br />
Installation. Mit alten ausrangierten<br />
Verkehrsschildern<br />
und Straßenpfosten schuf die<br />
Performance Electrics 2014<br />
die Windskulptur „Offroad“,<br />
die seitdem spielerisch leicht<br />
2,4, Kilowattstunden Strom<br />
erzeugt – ausreichend für<br />
einen Familien-Haushalt.<br />
Wendel will beweisen, dass<br />
die Energiewende möglich<br />
ist, nicht nur im Kleinen,<br />
sondern auch im Großen.<br />
Das E-Werk ist nicht nur groß,<br />
sondern mit über 3.700 Quadratmetern<br />
Nutzfläche riesig:<br />
Das historische Gebäude<br />
sollte nicht nur die perfekte,<br />
sprechende Hülle für seine<br />
Werke werden, sondern Fundament<br />
eines neuen Gesamtkunstwerks.<br />
Wendel hatte<br />
die Idee, das E-Werk mitsamt<br />
der alten Maschinen wieder<br />
in Betrieb zu nehmen. Die<br />
Bewahrung von Grauer Energie,<br />
Reparatur und Kreislaufwirtschaft<br />
sind für Wendel<br />
und sein Team keine fernen<br />
Ziele, sondern sozialverantwortliche<br />
künstlerische<br />
Praxis. Aus Ärger darüber,<br />
dass die Hightech installierten<br />
Kunstinstitutionen den weitaus<br />
größten Teil ihres Etats<br />
für Nebenkosten ausgeben<br />
2<br />
3<br />
und den kleinsten Teil für<br />
die Künstler, startete Wendel<br />
sein Modellprojekt: Sein<br />
Kunsthaus in Luckenwalde<br />
sollte sich selbst mit Strom<br />
versorgen und gleichzeitig<br />
den überschüssigen Strom<br />
ins Netz abgeben. Die Einnahmen<br />
der gemeinnützigen<br />
GmbH sollten zu 100 Prozent<br />
wieder den Künstlern und<br />
ihren Projekten zugutekommen.<br />
Aber wie gewinnt<br />
man sauberen Kunststrom in<br />
einem E-Werk, das bis zu<br />
als Aus stellungshallen im<br />
E-Werk.<br />
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