SUMO #39
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Ausgabe 39 10/2022
Fachmagazin des Bachelor Studiengangs Medienmanagement der FH St. Pölten
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Medienmanagement
studieren heißt, die
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Wissen, was morgen zählt.
Medienmanagement
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FH-Prof. Mag. (FH) Dr. Johanna Grüblbauer
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© Titelbild: Franziska Fritz, Lisa Jungmayr, Peter Wilfing
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4
Mixed-Media
Thema
Inhalt
06
08
10
14
18
20
22
26
30
32
35
38
42
Editorial
Johanna Grüblbauer & Gabriele Falböck
Diversität – ein solidarischer Kampf
Antonella Bacher
Gamechanger-Technik: Wie Innovationen die Fotografie-Branche
beeinflussen
Fabian Lahninger
„Besser, wir machen das gemeinsam“ – so soll Barrierefreiheit im
Internet funktionieren
Julian Landl
Comics: Wie die Literatur in Bildern den Spiegel der Gesellschaft bildet
Sophie Wagner
Diversität in der Gamingszene – mehr als nur ein einseitiges Gejammer?
Erich Anger
So spricht das Burgenland: Wie der ORF die sprachliche Vielfalt
zwischen Neusiedl und Jennersdorf stärkt
Mavie Berghofer
Obdachlosigkeit und die Medien – nicht nur eine Randnotiz
Anna Horn
Aktivist*innen als Medienschaffende – von „Salam Oida“ bis „Ibiza
Austrian Memes“
Afifa Akhtar
Werbestrategie Feminismus – reiner Marketing-Gag?
Verena Scharnagl
Sind Feminismus und Pornografie Widerspruch? Wie FemPorn die
Gesellschaft verändert
Laura Sophie Maihoffer
„Indischer Film ist so viel mehr als Bollywood“ – eine Reportage aus
Stuttgart
Antonella Bacher
Ein Anschein von Freiheit – Zensur in Russland
Magdalena Kanev
Thema Inhalt
5
Editorial
Liebe Leser*innen,
„Ich mach mir die Welt widdewidde wie sie mir
gefällt“, ist Pippi Langstrumpf überzeugt – lange
bevor Diversity-Themen in unserem Alltag und in
Medien omnipräsent wurden.
2022 feierte sich die LGBTIQ-Bewegung im
Rahmen des „Pride Month“ im Juni und setzte
damit Zeichen um Awareness für die Lebensrealität
u.a. der homosexuellen und Transgender-
Communities zu schaffen. Am öffentlichkeitswirksamsten
Höhepunkt der beiden Aktionswochen,
der „Regenbogenparade“, nahmen laut Veranstalter
250.000 Menschen teil. Und während die
tanzfreudige, laute, vor allem junge und bunte
Community über die Wiener Ringstraße zog, fand
auf dem nicht weniger symbolkräftigen Stephansplatz
unter dem Titel „Marsch der Familie“ die von
christlich-konservativen Organisationen initiierte
Gegendemo statt. Die Polizei sprach von Teilnehmer*innen
im dreistelligen Bereich.
Die Forderung von mehr Diversität erschöpft sich
aber bei weitem nicht in Geschlechter-Diskussionen
und sexueller Identität, sondern bezieht auch
Alter, Weltanschauungen, soziale Herkunft, Gesundheit,
ethische Herkunft und andere mehr mit
ein. Die Öffnung der Gesellschaft für die Belange
jener, die nicht im Zentrum stehen und deren
Lebensentwürfe und Lebensläufe von denen
der „Mehrheit“ abweichen, ist nicht von der Hand
zu weisen. Dennoch: Im selben Jahr erregt sich
ein anonymes Publikum mittels Dislikes und
Posts auf „YouTube“ über die Afro-Amerikanerin
Halle Bailey als Darstellerin von „Arielle, die
Meerjungfrau“. Währenddessen präsentierte die
Menschenrechtsorganisation ZARA 1.977 dokumentierte
und bearbeitete Fälle von Rassismus
in Österreich, von denen immerhin 1.117 im
Internet erfolgten.
Die Beobachtung dieser gesellschaftspolitischen
Reibungsflächen – Signale für Offenheit, Neugier
und Verständnis von Anderen und gleichzeitig
wahrnehmbare Zeichen für wertkonservative bis
hin zu fremdenfeindlichen und menschenverachtenden
Haltungen – veranlassten zur Themenwahl
der vorliegenden SUMO-Ausgabe. Dass
Medien wesentlich teilhaben an der Wahrnehmung
von Diversität in einer Gesellschaft ist unbestritten.
In einer normativen Interpretation von
Medien sollen diese eine Orientierungsleistung
über Probleme der Welt bieten. Medien als Fenster
zur Welt – vorzugsweise mit Weitwinkelobjektiv.
In einer Welt der ubiquitären, gleichzeitigen,
digitalen Produktion und Rezeption können diverse
Gruppen ihre Identitäten, Bedürfnisse und
Probleme öffentlich thematisieren, die einerseits
von „klassischen“ Medien ausgeblendet und
andererseits von selbigen verbreitert werden.
SUMO als Medienfachmagazin entstand im Sommersemester
2022 dank hoch engagierter Arbeit
von Studierenden aus dem Praxislabor „Journalistisches
Arbeiten“, nicht nur im Redaktionellen,
sondern auch in den Bereichen Bildredaktion,
Sales, Print- und Online-Produktion, Vertrieb und
Marketing. Noch vielfältiger wird die Ausgabe
durch die erstmalige Verknüpfung von Beiträgen
mit Augmented Reality Inhalten – erstellt in der
Summer School unseres Master-Studiengangs
Digital Design.
Folgende Themen erwarten Sie, werte Leser*innen
in dieser SUMO-Ausgabe: Wie stellt sich Diversität
auf der strukturellen Ebene innerhalb der
Branchen Film, Fotografie, Comics und Gaming
dar? Welche Strategien wählen junge Medienmacher*innen
mit Migrationshintergrund im
digitalen Raum um ihre Belange aufmerksam
zu machen und welche sprachliche Vielfalt bieten
öffentlich-rechtliche Sender? Was bedeutet es,
wenn obdachlose Menschen sich im verzerrten
Spiegel der Medien sehen müssen? Wie facettenreich
der indische Filmmarkt wirklich ist und
welche Ausblendungen wir mit der bloßen Reduktion
auf Bollywood tätigen, zeigt ihnen eine
Reportage vom indischen Filmfestival in Stuttgart.
SUMO beschäftigt sich auch mit der Frage
ob und wie Feminismus als Werbestrategie
funktioniert und wie Feminismus und Pornographie
zu einander im Widerspruch stehen. Welche
Freiheiten unser demokratisches System mit
seiner Informationsquantität uns einräumt, wird
deutlich, wenn man einen Vergleich mit der
Realität der Medien im heutigen Russland zieht.
In diesem Sinne wünschen wir vielfältige Blicke
hinter die Kulissen hiesiger und dasiger Medien.
Johanna Grüblbauer und
Gabriele Falböck
6
Editorial Thema
7
© Fabian Lahninger
Diversität –
ein solidarischer Kampf
Man sagt, die österreichische Filmbranche sei ein Dorf, in dem man sich
immer wieder trifft. Doch wie vielfältig ist dieses „Dorf“? Gibt es Diversität
in der österreichischen Filmbranche? Wovon hängt Vielfalt vor und hinter
der Kamera ab? Es geht um Fragen der Perspektive, der Provokation, der
Anreize und den Mut zur Veränderung im österreichischen Film, worüber
wir mit Regisseur und Drehbuchautor Arman T. Riahi sowie Iris Zappe-
Heller, stellvertretende Direktorin des österreichischen Filminstituts
und für Gender und Diversitätsagenden zuständig, gesprochen haben.
Iris Zappe-Heller / © ÖFI
Arman T. Riahi / © Ivory Rose Photography
Diversität, eine Frage der Anschauung
Arman T. Riahis Filmprojekte sind
vielfältig, provokativ und regen zum
Nachdenken an. Ihm geht es bei seinen
Projekten wie „Everyday Rebellion“
oder „Fuchs im Bau“ vor allem darum,
eigene Erlebnisse und Emotionen einfließen
zu lassen, von persönlichen
Erfahrungen zu erzählen und dabei
gesellschaftskritische Aufgabenstellungen
aufzugreifen. Für den Regisseur
ist das Thema Diversität ein gesellschaftliches
Muss, nicht zuletzt, weil er
selbst iranische Wurzeln hat.
Szenenbild
Benny (alias Faris Rahoma) und
Marko (alias Alexander Petrović)
sitzen auf einer Parkbank.
Im Hintergrund der Ausschnitt eines
beigen Gemeindebaus.
Schnitt Bild von hinten, frontal auf
das Kamerateam, das vor ihnen
steht.
Marlene: „Wir suchen für eine Doku
Leute aus dem Viertel hier mit Migrationshintergrund.
Und den habt‘s
ihr ja oder?“
Schnitt zurück auf die beiden Protagonisten.
Wie oberflächlich bisweilen mit dem
Thema Migration in Österreich umgegangen
wird, zeigen uns diese und
noch viele weitere Szenen im Film „Die
Migrantigen“ von Arman T. Riahi. Menschen
mit anderer Hautfarbe, andersartigem
Kleidungsstil oder schlechtem
Deutsch werden vielfach sofort genau
wie in der Szene mit dem Stempel
“Migrationshintergrund” abgeschrieben.
Die Idee zum Streifen basiert auf den
persönlichen Erlebnissen und Erfahrungen
von Arman T. Riahi und seinen
zwei Kollegen-Freunden Faris Rahoma
und Aleksander Petrović, die auch die
Hauptrollen im Film übernommen haben.
Gemeinsam wollten sie dem Thema Migration
eine Bühne bieten, aufzeigen,
was in unserem sozialen System noch
immer alles falsch läuft und wie schnell
Menschen in Schubladen abgeschoben
werden. Die Intention des Trios war
es, manifestierte Klischeebilder in den
Köpfen der Gesellschaft sowie die
vielfache Täter-Darstellung von Migrant*innen
zu unterminieren.
Denn für Arman T. Riahi war das Thema
Diversität immer etwas Natürliches,
etwas, womit er aufgewachsen ist und
für die Gesellschaft und den österreichischen
Film wäre es wünschenswert,
wenn es mehr Inklusion statt Integration
geben würde.
„Diversität muss zu einer Alltäglichkeit
werden und zu einem gemeinsamen
Kampf, einem solidarischen Kampf der
Gesellschaft“, postuliert Arman T. Riahi.
Initiative Vielfalt im Film?!
Ende 2020 wurden in Deutschland die
ersten Umfrageergebnisse der Initiative
„Vielfalt im Film“ veröffentlicht. Das
Bündnis aus zivilgesellschaftlichen,
privaten und öffentlichen Organisationen
aus der Film- und Fernsehbranche
befragte unter der Verantwortung von
„Citizens for Europe“ über 6.000 Filmschaffende
sowie Akteur*innen vor und
hinter der Kamera. Gemeinsam wollen
sie der stereotypbesetzen Monotonie
im deutschen Film ein Ende setzen.
Die Menschen hinter der Initiative
fordern mehr Vielfalt und weniger
Diskriminierung im deutschen Film.
Laut der Umfrage habe jeder Zweite
bereits einmal Benachteiligung am
Arbeitsplatz erlebt, wobei zwei Drittel
dieser Vorfälle nicht gemeldet wurden.
Zum einen aus Angst vor möglichen negativen
Konsequenzen im Job, zum anderen
aufgrund von Resignation oder der
vermuteten Erfolglosigkeit der Meldung.
8
Diversität Thema – ein solidarischer Kampf
Vielfalt in der deutschen Filmbranche ist bereits vorhanden,
zeigt die Erhebung. Dennoch gibt es noch Verbesserungsbedarf:
Was es braucht, ist mehr Diversität an den Schlüsselstellen
wie Regie, Casting oder in Produktionsstudios und
mehr Filme für Schauspieler*innen mit besonderen Bedürfnissen.
Das deklarierte Ziel ist die reale Abbildung einer vielfältigen
Gesellschaft vor und hinter der Kamera um diversere
Geschichten zu produzieren und so das Selbstverständnis
einer mannigfaltigen Gesellschaft zu schaffen. Denn: „Es
mangelt weder an Ideen noch an der Erkenntnis. Es mangelt
an Willen für verbindliche Ziele und Maßnahmen“, so die
Initiative „Vielfalt im Film“.
Während in Deutschland also erste Befunde vorliegen und
die marginalisierten Gruppen sich konsolidieren, stellt sich
die Frage, wie die Lage in der österreichischen Filmbranche
aussieht. Kann Diversität hierzulande zur Normalität werden?
Vielfalt in Österreichs Filmbranche
Iris Zappe-Heller ist stellvertretende Direktorin des österreichischen
Filminstituts und Beauftragte für Gender und Diversität.
Wenn sie an Diversität denkt, assoziiert sie damit den Begriff
„bunt“, aber nicht im herkömmlichen Sinne einer Farbe, sondern
vielmehr auf eine poetische Art und Weise mit dem
Bild einer vielfältigen Gesellschaft, die in all ihren Facetten
dargestellt wird. Doch in genau dieser breiten Definition von
Diversität liegt die grundsätzliche Herausforderung, die
es öffentlichen Stellen wie dem Österreichischen Filminstitut
(ÖFI) erschweren würde, einen einheitlichen, fairen
Förderungsrahmen zu finden, so Zappe-Heller. Dennoch
bemüht sich das Institut schon seit mehr als zehn Jahren die
Gleichberechtigung in Filmproduktionen zu fördern. Vor allem
in puncto Gender-Gerechtigkeit sei Österreich eine der
Vorreiternationen in Europa. Die 2017 eingeführte Regulierung
oder vielmehr das Anreizsystem des Gender Incentives bringt
nachweislich positive Veränderungen.
Arman T. Riahi bestätigt uns, dass Produzent*innen mittlerweile
je nach Möglichkeit den Vorteil des Gender Anreizsystems
für sich nutzen würden, denn diverse Teams seien eine große
Bereicherung für jedes Projekt. „Trotz aller Bemühungen
kann man leider bis dato in Österreich ebenso wenig wie in
Deutschland von einer gelebten Diversität in der Filmbranche
sprechen“, sagt Zappe-Heller. Gründe dafür liegen vor allem
in der Besetzung der Gremien, sowohl als auch des Filminstituts
selbst. Ein Fakt, der sich nur sukzessive mit dem
richtigen Bewusstsein ändern lasse und weit weniger einfach
zu regulieren sei, denn wo genau grenzt man Diversität ein?
Es müssen zuerst Antworten und Methoden gefunden
werden, wie man überhaupt eine vielfältige Gesellschaft
korrekt abbilden kann.
„Also nein, es gibt leider noch keine explizite Förderung für
Diversität in Produktionen oder Projekte mit gesellschaftskritischen
Themen“, erklärt uns Iris Zappe-Heller. Allerdings
würde das ÖFI für jedes eingereichte Projekt einen Inklusionscheck
durchführen. Der Projektkommission soll damit
mehr unverbindliche Information für die Entscheidung über
etwaige Projektförderung geboten werden. Iris Zappe-Heller
sieht dies als erste sinnvolle Maßnahmen in Richtung
Inklusionsförderung: „Ganz nach der Devise: zeigt uns, wie
divers euer Projekt ist.“
diversitätsfördernde Initiativen würden langsam spürbare
Veränderungen bewirken. Die Förderung von Diversität sei
seiner Meinung nach auch abhängig von den gesellschaftlichen
Strukturen und Möglichkeiten, die man unter anderem
Frauen bieten würde, um Beruf und Karriere zu vereinen.
Stichwort Selbstverwirklichung: „Die Politik hat in diesem Fall
einen großen Einfluss“, so Riahi.
„No films about us, without us!”, ist dafür die richtige
Botschaft, die ursprünglich von der sozialen Bewegung von
Menschen mit Behinderung (Disability Rights Movement)
gefordert und bereits vielfach adaptiert wurde. Die Aussage
trifft den Grundgedanken der Integration. Umgelegt auf das
Filmbusiness spricht Zappe-Heller von dem großen Zwiespalt
bezüglich der künstlerischen Freiheit in der Branche. Wer
hat das Recht bestimmte Themen aufzugreifen und wie in
Filmen zu verarbeiten?
Diversität und Storytelling
In „Die Migrantigen“ hat Riahi auf komödiantische Art und
Weise das Thema Migration in Österreich aufgegriffen, Stereotype
aufgezeigt und mit eben diesen gebrochen. Die pointierte
Geschichte von zwei Freunden, deren Lügen ihnen
zwangsläufig über den Kopf wachsen, durchzogen mit einer
Spur dunklem Humor und vielen Klischees, überzeugte sowohl
Zuschauer*innen in ganz Österreich als auch die Jury der
„Kurier Romy 2018“.
Auf die Frage, ob es schwierig sei, gesellschaftsproblematische
Inhalte in gute Narrative zu verpacken, meint Riahi: „Es ist
schwer die richtige Balance zwischen dem erhobenen Zeigefinger
und authentischem Storytelling zu finden.“ Klischees
dürften sein, sollten aber immer wieder dekonstruiert werden.
Zudem sei jede Geschichte in irgendeiner Form bereits
einmal erzählt worden. Es würde also vielmehr darauf ankommen,
aus welcher Perspektive sie erneut skizziert wird.
„Kein soziales Thema ohne Statement und doch kein Statement
ohne gutes Storytelling“, meint Riahi, was so viel heißt
wie: Geschichten sollten immer noch als Geschichten erzählt
werden und nicht aufgrund ihres sozialkritischen Inhalts
zum Themenfilm mutieren. Innovatives Storytelling in jeglicher
Form sei einer der Schlüssel für einen erfolgreichen Film.
Conclusio: Es gibt Diversität im österreichischen Film.
Zumindest gibt es Handelnde in der Branche, die Diversität
sichtbar machen. Es wird daran gearbeitet Vielfalt mithilfe
von Anreizsystemen und Regulierungen von Politik sowie
externen Stellen zu fördern. Doch am Ende des Tages ist
es allen Beteiligten in der Filmbranche am wichtigsten,
interessante Geschichten auf die Leinwand zu bringen, Mut
zu zeigen und auch mal die Perspektive zu wechseln, um aus
einem anderen Blickwinkel zu erzählen.
Antonella Bacher
„No films about us, without us!”
„Vielfalt vor und hinter der Kamera kommt immer noch zu
kurz und doch habe sich in den letzten Jahren ein Bewusstsein
für Diversität entwickelt“, kommentiert auch Arman T. Riahi.
Ein steigendes Selbstbewusstsein in der Filmbranche sowie
Diversität – ein solidarischer Thema Kampf
9
10
Gamechanger-Technik
Thema
© Jakayla Toney / unsplash
Gamechanger-Technik: Wie
Innovationen die Fotografie-
Branche beeinflussen
19. Jänner 2012. Medien berichten über den Konkurs der Traditionsfirma Kodak.
Für Fotografie-Insider*innen keine Überraschung. Schon Jahre zuvor hatte die
Digitalfotografie das Berufsbild von selbstständigen Fotografen*innen grundlegend
verändert. Filmrollen und Dunkelkammer machten Platz für digitale
Speichermedien und Bildbearbeitungsprogramme. Aber nicht nur das Equipment
wandelte sich. Darüber sprach SUMO mit der Portraitfotografin und Digital
Marketerin Melina Weger, auch bekannt unter ihrem Künstlernamen Melourra, und
Rita Newman, selbständige Fotografin und Lektorin an der Fachhochschule St. Pölten.
„Im Gegensatz zu heute war die Fotografie
vor 30 Jahren klar eine Männerdomäne
“, erzählt Rita Newman. Grund dafür war
vor allem die Beschaffenheit der Ausstattung.
„Als wir noch analog fotografierten,
brauchten wir schwere Blitzanlagen, um
unsere Motive richtig auszuleuchten. Das
war eine unglaubliche Schlepperei.“ Mit
dem Einzug der Digitalfotografie wurde
schweres Equipment obsolet und anstatt
der Technik rückte die Kreativität in den
Mittelpunkt des Arbeitsalltags. Mit anderen
Worten: Die leichte Gerätschaft geriet zum
Gamechanger auch in Hinblick auf die
Geschlechterverteilung.
Berufsfeld im Wandel
Fast zwei Jahre vor dem Konkurs von
Kodak am 6. Oktober 2010 gründeten die
zwei Stanford-Absolventen Kevin Systrom
und Mike Krieger die Foto-Sharing-
Plattform „Instagram“. Die anfangs noch
„burbn“ genannte App hatte innerhalb von
drei Monaten eine Million Nutzer*innen.
Damit schrieben die Instagram-Erfinder
Geschichte. Junge Hobby-Fotograf*innen
teilten ihre Kunst und konnten vor allem
in der Anfangszeit der Plattformen viele
Follower *innen gewinnen. Die App wuchs
in den Folgejahren und spätestens als
bekannte Marken wie Nike, Adidas und Dior
„Instagram“ für sich entdeckten, wurden
soziale Netzwerke ein wesentlicher Teil
der Fotografie-Industrie. Was als Ausdruck
von Kreativität begann, war für viele junge
Fotograf*innen der Einstieg in die professionelle
Fotografie. „Es ist eine neue
Generation von Kunstschaffenden, die sich
durch „Instagram“ selbstständig machen
können. Die Plattform bietet uns eine Möglichkeit,
unsere Leistungen zu zeigen und
dadurch Kundschaft zu akquirieren“, schildert
Melourra. Oft werden die Künstler*innen im
Explore Feed gefunden und nicht mehr per
E-Mail, sondern direkt auf der Plattform
kontaktiert. „Mit den sozialen Medien ist
die Auftragslage komplexer geworden. Dadurch,
dass mehr Bilder benötigt werden,
gibt es auch viel mehr Fotografen*innen“,
ergänzt Newman. Nach Angaben der Wirtschaftskammer
Österreich (Stand 2021)
sind 8.400 Berufsfotograf*innen in Österreich
tätig. Zum Vergleich: 2010 gab es
lediglich 3.000 Fotograf*innen.
Die neuen technische Möglichkeiten und
die daraus resultierende Demokratisierung
des Gewerbes hat aber auch ihre Schattenseiten.
„Es gibt zwar eine größere Nachfrage,
aber es wird viel weniger bezahlt“,
erzählt Newman. Modernere Smartphone-
Kameras und künstliche Intelligenz in der
Fotobearbeitung treiben das Preisdumping
weiter voran. Nach Newman hat sich die
Fotografie vom Handwerk weg und hin zur
Dienstleistung entwickelt. „Du musst für
das Unternehmen ein Problem lösen und
ein kreatives Gesamtkonzept liefern. Die
Perfektion der Technik ist kein Garant mehr
für Aufträge und tritt oft in den Hintergrund.
Viel wichtiger ist es, verschiedene
Kompetenzen zu vereinen, um einen Mehrwert
zu stiften.“
Gender Pay Gap in der
Fotografie
Spezialisierung ist eine weitere Möglichkeit,
sich wirtschaftlich besser zu positionieren.
„Wenn man die beste Hochzeitsfotografin
oder der beste Event-Fotograf in der Wiener
Umgebung ist, hat man eine viel bessere
Verhandlungsposition“, erklärt Melourra.
Dabei haben in manchen Arten der Fotografie
Frauen einen klaren Vorteil. Unisono
beschreiben beide Gesprächspartnerinnen,
Gamechanger-Technik Thema
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© Yoann Siloine / unsplash
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© Chris Slupski / unsplash
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Gamechanger-Technik
Thema
dass die Arbeit mit weiblichen Models für Fotografinnen
einfacher ist. „Zum Beispiel bei Hochzeiten: Eine Frau kann
mit der Braut im Ankleidezimmer sein, – das ist schon ein
großer Vorteil“, schildert Newman. Obwohl die Auftragsvergabe
im Geschlechtervergleich ausgeglichen ist, gibt es bei
der Bezahlung dennoch Unterschiede. Melourra und Newman
sind sich einig: Fotografinnen werden für ihre Zeit
geringer entlohnt als ihre männlichen Kollegen.
Was braucht die Branche?
Was oft in den Anfangsjahren der Selbstständigkeit fehlt,
ist die wirtschaftliche Bildung junger Fotograf*innen. „Wie
melde ich ein Gewerbe an? Wie schreibe ich eine Rechnung?
– Wenn man diese Fragen schon in der Schule lernt,
ist man im Vorteil“, schildert Melourra. Auch der Austausch
mit Gleichgesinnten ist für die Fotografin wichtig. „Bei Aufträgen
mit anderen Künstler*innen und Treffen lernt man
voneinander. Ich finde es inspirierend, wenn das gemeinsame
Schaffen im Fokus steht.“ Newman rät aufstrebenden Fotograf*innen
sich in Bereiche zu vertiefen, die sie begeistern.
Diese Inspiration wird weitergetragen an die Kund*innen, die
diese Leidenschaft teilen möchten. Aber auch die Stilfindung
ist ein mögliches Alleinstellungsmerkmal in der Branche.
„Unternehmen werden dich nur buchen, wenn du einen charakteristischen
Stil hast“, reflektiert Melourra. Dieser Prozess
passiert aber nicht von heute auf morgen. „Man muss sehr
geduldig mit sich sein und viel ausprobieren. Ich brauchte
acht Jahre, um mir einen Namen zu machen, der für etwas
steht.“ Angehende Fotograf*innen sollten also neben Lernbereitschaft
und einem kreativen Blick auch einen langen
Atem mitbringen.
Melina Weger / © Naomjara
Rita Newman / © Klaus Engelmayer
Fabian Lahninger
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Gamechanger-Technik Thema
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„Besser, wir machen das gemeinsam“:
so soll Barrierefreiheit im
Internet funktionieren
Egal ob die Anmeldung zum Corona Test, eine Überweisung mittels E-Banking oder das
Unterschreiben eines Volksbegehrens, das alles sollte eigentlich problemlos online
mittels Computer oder Smartphone abgewickelt werden können. Für viele Menschen
ist dies aber nicht so einfach, wie es für Digital Natives im ersten Moment scheint. Daher
sprach SUMO mit der Web-Accessibility Expertin Susanne BuchnerSabathy und mit
dem Leiter des „Insituts Integriert Studieren“ an der Johannes-Kepler Universität Linz
Klaus Miesenberger über die damit verbundenen Herausforderungen für Menschen
mit Behinderung.
Laut Sozialministerium leben in Österreich 1,3
Millionen Menschen mit Behinderung. Besonders für
Menschen mit Sehbehinderung ist das Internet ein
Ort voller Barrieren: Simple Texte, Icons oder Bilder
können da bereits große Probleme bedeuten. „Grafiken
brauchen einen sinnvollen Alternativtext, ein
Schalter mit einem Einkaufswagen-Symbol muss
als Alternativtext ‘zum Warenkorb‘ tragen“, erklärt
Buchner-Sabathy. „Texte und informationshaltige
grafische Elemente müssen ausreichend Kontrast
zum Hintergrund haben und müssen vergrößert
werden können, ohne dass Teile davon, zum Beispiel
durch Überlappung, unlesbar werden“.
Sehbehinderte Menschen verwenden Screenreader
Programme, die den gewünschten Text als Audio
ausgeben. Diese Software greift auf den Quellcode
einer Homepage zu, daher müssen Überschriften als
solche markiert oder Grafiken und Bilder mit Alternativtexten
versehen werden, damit diese für das
Programm lesbar sind. „Diese Screenreader gibt es
sowohl für den Computer als auch für das Smartphone.
Bei Telefonen von IOS und Android sind
diese automatisch im Betriebssystem enthalten.
Wenn man sich ein Handy kauft, hat man immer
ein Screenreader Programm mit dabei, das ist sehr
praktisch“, erklärt Buchner-Sabathy.
Für Menschen mit motorischen Behinderungen gibt
es ebenfalls technische Unterstützung. Durch spezielle
Tastaturen, Mäuse oder Joysticks ist es möglich,
die Bedienung eines Computers zu erleichtern. Diese
Geräte können dann mit Händen, Füßen oder mit
dem Mund gesteuert werden.
Forschung und Entwicklung in Linz
An der Johannes Kepler Universität Linz gibt es das
„Institut Integriert Studieren“, welches auf Barrierefreiheit
und assistierende Technologien spezialisiert
ist. Unter der Leitung von Klaus Miesenberger wird
in Bereichen der Informatik, speziell in der Mensch-
Maschine-Kommunikation geforscht und gelehrt.
In Projekten am Institut und bei dazugehörigen
Spin-Offs arbeiten Menschen mit und ohne Behinderung
gemeinsam an barriere freien Schulbüchern
oder an Software, die anspruchsvolle Texte in leicht
verständliche Sprache umwandelt. „Ein Beispiel
wäre das Projekt „Easy Reading“. Es soll Menschen
mit Lernschwierigkeiten unterstützen und kann
Texte in einfache Sprache übersetzen, aber nicht auf
speziellen Seiten, sondern direkt auf jeder Homepage.“,
erzählt Klaus Miesenberger im Interview.
Neben der technischen Tätigkeit gibt es seit Anfang
der 90er Jahre ein Service und Support Center für
Studierende mit Behinderung welches ungefähr
200 Studierende betreut.
Auswirkungen der Gesetzgebung
Seit 2019 gibt es in Österreich das „Web-Zugänglichkeit-Gesetz
(WZG)“. Dadurch sollen die Anforderungen
an die Barrierefreiheit für Webseiten und
mobile Anwendungen für Menschen mit Behinderungen
besser zugänglicher gemacht werden.
„Dieses Gesetz verändert schon etwas. Es geht aber
nur sehr langsam, wie so oft in diesem Bereich“
erklärt Buchner-Sabathy. Dieser Meinung ist auch
Klaus Miesenberger, von der Universität Linz.
„Natürlich hat das Gesetz positive Auswirkungen.
Firmen müssen sich dadurch mit der Barrierefreiheit
beschäftigen. Sie müssen bei Ausschreibungen
nachweisen können, dass sie die Kompetenz dafür
haben und nach Beendigung des Projekts müssen
sie gewährleisten, dass das System barrierefrei
ist. Ansonsten werden sie wahrscheinlich
Geschäftsbeziehungen verlieren.“ Beschleunigt
könnte diese positive Veränderung durch bessere
Ausbildungen an Universitäten und Fachhochschulen
werden. Miesenberger erklärt: „An der JKU ist
eine Web-Accessibility Lehrveranstaltung Teil des
Informatikstundenplans und es ist ein Wahlfach
für alle Studierenden an der Technisch-Naturwissenschaftlichen
Fakultät.
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Barrierefreiheit Thema im Internet
Barrierefreiheit im Internet Thema
15
Susanne Buchner-Sabathy / © Julia Haimburger
Die Technik ist also am Laufen. Wichtig ist jetzt,
weniger im Bereich der Informatik, sondern
im Bereich des Manage ments, dass die Barrierefreiheit
als Teil der Geschäftsstruktur eingebunden
wird.“
Diese Einschätzung bestätigt auch Buchner-
Sabathy „Die Technik ist nicht mehr das Problem.
Sensibilisierung muss in den Köpfen der
Entscheidungsträger*innen stattfinden.“ Denn
Barrierefreiheit ist die Basis für gute Usability,
sind sich die beiden Expert*innen einig. Nicht
nur Menschen mit Behinderung profitieren
von der einfachen Bedienung von Apps und
Webseiten, sondern alle Menschen. Durch die
Verwendung von einfacher Sprache im Internet
wird es für alle Benutzer*innen einfacher diese
zu verstehen. „Das Internet ist keine Literatur,
sondern ein Gebrauchsgegenstand“, erklärt
Miesenberger abschließend, „und so soll es
auch gestaltet werden“.
Dies muss vor allem in der Entwicklung
berück sichtigt werden. Nicht betroffene
Entwickler *innen programmieren oft Webseiten
oder Codes ohne Menschen mit Beeinträchtigung
diesbezüglich einzubeziehen.
Diese können dann erst das fertige Produkt
verwenden. „Besser, wir machen das gemeinsam“,
sagt Buchner-Sabathy, „so kann man im
Entwicklungs prozess viel schneller auf Probleme
reagieren.“ Und kostengünstiger ist es auch.
Julian Landl
Klaus Miesenberger / © JKU
© Eigenkomposition
16
Barrierefreiheit Thema im Internet
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Barrierefreiheit im Internet Thema
17
Comics: Wie die Literatur in
Bildern den Spiegel der
Gesellschaft bildet
Bunt, lustig, kindgerecht – diese Zuschreibungen reichen für Comics schon
lange nicht mehr aus. SUMO zeichnet nach, wie neben den Bildgeschichten
für Kinder seit den 60er-Jahren bildgewaltige Stories aus dem Untergrund
und mit politischem Inhalt entstanden sind.
Wie dies gelang und warum Comics wichtige Beiträge zur Debatte über
Diversität und Inklusion liefern, erklärten Juniorprofessorin für Public
History an der Universität zu Köln und Comicforscherin Christine Gundermann
und Dorothee Marx, Martin Schüwer-Preisträgerin, Dozentin für
Nordamerikastudien an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel und
Mitherausgeberin der Fachzeitschrift „Closure. Kieler e-Journal für Comicforschung“
im Gespräch.
Christine Gundermann / © Andreas Keck
Dorothee Marx / © Privat
Auch wenn man als Laie denken mag,
dass es sich bei Comics nur um Heftchen
oder Taschenbücher handelt, die
aus bunten, lustigen Bildern mit Beschriftungen
bestehen und deren Inhalt
leichte Kost ist, sieht die Realität
spätestens seit dem Erscheinen von
Art Spiegelmans bekanntestem Comic
„Maus. Die Geschichte eines Überlebenden“
anno 1986 anders aus. In
diesem mit einem Pulitzerpreis ausgezeichnetem
Comic wird die Geschichte
eines Holocaust-Überlebenden erzählt.
Obwohl es auf den ersten Blick so wirken
mag, als ob die Geschichte durch
Tierfiguren kindgerecht erzählt wird,
wird bei näherem Betrachten klar, dass
die Figuren Masken tragen und den
Menschen dahinter tierische Eigenschaften
zugeschrieben werden. Doch
die Geschichte reicht weiter zurück: Als
Geburtsstunde der Comics gilt der 25.
Oktober 1896, jener Tag, an dem das
erste Mal ein Comicstrip namens „Yellow
Kid“ in der „New York World“ veröffentlicht
wurde. Bis ins Jahr 1933 bleibt
es strikt bei Zeitungsstrips, ab dann
erscheinen sie auch in Heftform. Als
Pionier jener, die in Comics literarisches
Potenzial erkennen, gilt Will Eisner, der
dies schon 1941 so äußert und 1978
die damals selbst so benannte Graphic
Novel „Ein Vertrag mit Gott“ herausgibt.
Damit wollte er sich von den
gesellschaftlichen Konventionen des
Comics ablösen und deutlich machen,
dass dies ein „Comic für Erwachsene“
sei. Auch heute sind in Graphic Novels
anspruchsvolle „Erwachseneninhalte“
zu finden. Diese reichen von Biografien
wie jener von Che Guevara über Marie
Curie bis zu Nick Cave. Seit der Serie
„Maus“ wird immer wieder ausgelotet,
wie diese Bilder zur Neuerzählung von
Vergangenheit beitragen können – exemplarisch
dazu die Darstellung der
Geschichte Kanadas und seiner Ureiwohnern
– oder wie Autoren wie Guy
Delisle politische Bildung in narrativer
Form ermöglichen. Am Rande erwähnt
seien hier auch Neuerzählungen und
-interpretationen von literarischen
Klassikern wie etwa der „Odyssee“.
Darüber, ob Graphic Novels eine eigene
Literaturgattung sind oder ein Genre
von Comics, sind Forscher*innen sich
bis heute uneinig. Laut den interviewten
Forscherinnen soll der Begriff
„Graphic Novel“ als Marketingstrategie
eingeführt worden sein, um den
Comic von seinem Schmuddelimage zu
befreien und als angesehene Literatur
zu vermarkten.
Fakt ist jedoch, dass die Behandlung
von „gesellschaftlichen Tabuthemen“,
wie etwa der Konsum von bewusstseinsverändernden
Drogen, Sex oder
Gewalt in der US-amerikanischen Comic
Undergroundszene der 60er-Jahre
entstanden ist. Zuvor war es durch
die „Comics Magazine Association of
America“, kurz CMAA, einer freiwilligen,
von Verlagen gegründeten Selbstkontrolle
zu massiven Einschränkungen
der Inhalte durch den „Comic Code“
gekommen. Dieser war eine Reaktion
auf die Anti-Comic-Bewegungen der
1950er, die von Protesten bis zu Verbrennungen
von Comics in sogenannten
„Schmöckergräbern“ bis nach
Deutschland geführt haben. Zu den
damaligen Rahmenbedingungen sagt
Christine Gundermann: „Man überlegt
es sich als Comic Verlag sehr genau, wie
oft sie bei so einer Bundesprüfstelle
auffallen, weil meistens ist es so, dass
18
Comics: Thema Wie die Literatur in Bildern den Spiegel der Gesellschaft bildet
es da eine relativ starke Regelung gibt: Wenn sie dreimal auf
der roten Liste stehen, dann kann ihre Serie oder sogar ihr
Verlag in ernsthafte Gefahr geraten und das ist natürlich ein
wirtschaftliches Risiko, das die wenigsten eingehen wollen.
Wenn wir alle dieses Klischee im Kopf haben, dass die Comics
immer nur sehr einfache, sehr heteronormative Geschichten
erzählen, wo immer Gut gegen Böse kämpft, dann liegt es
auch daran, dass über eine lange Zeit die Gesetzgebung sehr
vieler Staaten genau dafür gesorgt hat, dass da nicht viel
mehr passiert.“ Ab den 1980ern lockerten sich die Regeln
wieder, mittlerweile sind sie nicht mehr existent. Jedoch
gibt es heutzutage gesetzliche Rahmenbedingungen wie
das „Jugendschutzgesetz“ in Österreich oder das deutsche
Pendant, die „Bundeszentrale für Kinder- und Jugendmedienschutz“.
Doch wie sieht es mit der Diversität im Medium
jetzt aus?
Der einfachste Weg, den Begriff Diversität zu definieren,
ist über intersektionale Ansätze wie race, class, gender,
sexuality oder disability. Gundermann bezeichnet hierbei die
Inhalte des Comics als Spiegel der Gesellschaft, die unsere
aktuellen Normen, Werte und Diskurse enthalten. Je mehr
darüber geredet, protestiert und diskutiert wird und wurde,
desto mehr findet man es in der Comicszene wieder. Wenn es
jedoch ein Thema ist, dass nur wenige Menschen anspricht,
dann wird es von Minderheiten für Minderheiten verfochten
und findet sich in Nischenproduktionen wieder, die oftmals
Graphic Novels zugeordnet werden. Neben diesen und den
klassischen Comicmagazinen gibt es aber auch Comicalben,
die sich vor allem in der europäischen Comickultur, im speziellen
der frankobelgischen und italienischen, in den 1980ern, etabliert
haben. Durch diese konnten inhaltlich seriösere Themen
seriell erzählt werden, und nicht wie beim Großteil der Graphic
Novels, in einem in sich geschlossenen Buch. Beispiele hierfür
wären XIII (Dreizehn, original Treize) von Jean Van Hamme
und William Vance oder „Aya“ von Marguerite Abouet.
Doch egal, in welcher Form veröffentlicht wird, den meisten
Autor*innen und Illustrator*innen geht es darum, eine
Geschichte zu erzählen. Besonders Comicreportagen und
autobiografische Comics sind hierbei, was Diversität und
Inklusion oder Aktivismus angeht, erwähnenswert. Letztere
behandeln meist die Lebensgeschichte der Autor*innen
selbst oder die von Personen aus ihrem Umfeld. Eine konkrete
Unterkategorie von diesem wäre zum Beispiel auch
die Graphic Medicine. Diese konzentriert sich vorrangig auf
die Darstellung von Behinderungen oder Krankheiten und
meist sind diese von Ärzt*innen, Krankenpfleger*innen und
Patient*innen selbst verfasst oder mitverfasst und bietet
eine alternative Sicht aus deren Perspektive.
Dorothee Marx ist Comicforscherin und lebt mit Mukoviszidose,
einer angeborenen Stoffwechselerkrankung, bei der es zu einer
vermehrten Schleimbildung, innerhalb der Organe kommt.
Betroffen ist davon vor allem die Lunge. Sie hat SUMO erzählt,
dass man sich zwar als Betroffene*r selbst über die
Repräsentation in Comics außerhalb von Graphic Medicine
freue, es jedoch oft so sei, dass der betroffene Charakter zu
einer Nebenfigur in ihrer eigenen Geschichte werde oder in
Rollenmuster gezwängt werde, die entweder tragisch oder
heroisch seien. Für Letzteres wird auch der Begriff „Supercrip“
verwendet, der eine Person beschreibt, die inspirierend ist, da
sie es schafft, ihre Beeinträchtigung zu überwinden oder sie
zu ihrem Vorteil einzusetzen. Ein weiteres Erzählmuster ist
der Stereotyp, dass Schurken in Superheldencomics eine Art
Erkrankung oder Behinderung haben. Meist verschwindet die
Person aus der Erzählung, indem sie stirbt oder umgebracht
wird. Manchmal wird ihre Krankheit oder Behinderung aber
auch überwunden.
Oftmals wird sie zudem für die Charakterentwicklung von
anderen Personen verwendet. Ein Beispiel, das Dorothee
Marx nennt, ist der Comic „Ghosts“, in dem es zwar vorrangig
um Mukoviszidose gehen sollte, es jedoch aus der Erzählperspektive
der Schwester geschrieben ist. Diese kommt
mit dem Sterbeprozess der Schwester nicht klar. Gerade
in den nicht autobiografischen Sachen wünscht sie sich:
„Darstellung ja bitte gerne mehr, aber vielleicht dann mehr
own voices.“
Wahre Sichtbarkeit oder doch nicht viel dahinter?
Comics können helfen, die Inklusion und Akzeptanz zu
fördern und einen gewissen Grad an Diversität einzubringen.
Entweder in Form von Sachcomics oder indem man versucht,
mithilfe der Inhalte Themen zu problematisieren oder
Bewusstsein zu schaffen. Gerade Comics, die nicht an die
breite Masse adressieren, sondern Geschichten vom Rand
erzählen wie „Der Rosa Winkel“ von Michelle Dufranne oder
„Madgermanes“ von Birgit Weyhe, zeigen Perspektiven auf,
die historisch und gesellschaftlich vernachlässigt wurden. Sie
bringen damit Sichtbarkeit für gesellschaftlich problematische
Verhältnisse und schaffen durch ihr Narrativ Verständnis und
Empathie.
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Diversität in der Gamingszene –
mehr als nur einseitiges
Gejammer?
Die Themen Vielfalt und Diskriminierung werden in einer überwiegend von Männern dominierten
Szene wie jener der Videospiele sowie im eSport oft als „Randgruppen-Gejammer“ abgestempelt.
Doch wie genau kommt es zu solchen Denkweisen und wie sieht es in der Realität aus? SUMO
sprach mit der Psychologin Jolina Bering und dem Leiter des „Games Institute Austria“, Thomas
Kunze, darüber, was es mit den Vorbehalten zum Thema Gaming, den Geschlechterrollen und
dem damit verbundenen Schubladendenken auf sich hat. Beide haben schon seit dem frühen
Kindesalter eine hohe Affinität zum Gaming. Darüber hinaus soll auch geklärt werden, wie oder
ob wir als Gesellschaft überhaupt etwas durch Videospiele lernen können.
Jolina Bering / © Privat
Thomas Kunze / © Privat
Hinter dem Begriff „Gaming“ verbirgt sich
heutzutage ein riesiges, von den meisten
unterschätztes Potenzial. Digitale Spiele
sind ein Leitmedium im Alltag von Kindern,
Jugendlichen und jungen Erwachsenen. Sie
prägen ihre Identität, dienen der Unterhaltung
und sind wesentlich für ihre Lebensrealität.
Generell hat das Wort „Gaming“ heutzutage
immer noch einen überwiegend negativen
Beigeschmack bei den meisten Erwachsenen.
Oft mit der Begründung, dass es doch nichts
weiter als Zeitverschwendung sei. „Egal ob
jung oder alt. Heute spielen alle. Viele würden
sich wahrscheinlich nicht als Gamer*innen bezeichnen,
aber sie kennen sich mit der Kultur
aus und spielen auch regelmäßig. Unter den
Erwachsenen ist es eigentlich genau so. Auch
wenn es nur das Handyspiel ist, das man
in der U-Bahn spielt“, erklärt Thomas Kunze
vom „Games Institute Austria“. Der 48-jährige
Unternehmer und nebenberufliche Dozent an
diversen Hochschulen war schon ab dem Alter
von 6 Jahren fasziniert vom Zocken. Seine
Firma bietet unter anderem Escape-Rooms
für den Bildungskontext an. Es ginge hierbei
darum, Spiele rund um schulische Themen
zu entwickeln, die dann an den Bildungseinrichtungen
zum Einsatz kommen.
Computerspiele und Sport in einem –
wie soll das gehen?
Ähnlich wie im Profisport gibt es im Gamingbereich
auch kompetitive Ligen, in denen sich
Mannschaften mit den besten Spieler*innen
aus aller Welt messen. Menschen, die mit
Tastatur und Maus vor dem Bildschirm sitzen
und denen Hunderttausende zusehen. Was
für viele erst befremdlich wirkt, ist die Zukunft
des Sports: eSport. Der Begriff bezeichnet
nichts anderes als den professionellen Wettkampf
in Computer- und Videospielen. Diese
Form des kompetitiven Gaming zieht seit
mehreren Jahren große Zuschauermassen
an. Zusätzlich sorgt eSport aufgrund seiner
stetig wachsenden Fanbase dafür, dass namhafte
Sponsoren Millionen in die Videospielwettkämpfe
investieren. Genau an dieses
Phänomen knüpft auch das „Games Institute
Austria“ mit einem seiner Tätigkeitsfelder,
nämlich dem der eSports Education, an. Im
Grunde genommen sind das Schulungen für
Leiter von Bildungsinstitutionen, in denen
man sich vordergründig mit der Frage beschäftigt,
wie man eSport in die Schule oder
generell in Bildungskontexte bringen kann.
Dadurch soll die Affinität zu digitalen Medien
und digitaler Medienproduktion rund um das
Berufsfeld eSport nutzbar gemacht werden,
da hinter dem Begriff eSport eine Vielzahl an
potenziellen Berufsbildern steckt – egal, ob
im Kontext der Medienproduktion oder im
Projektmanagement.
Alles reine Kopfsache
Um nun als Spieler*in möglichst gute Resultate
zu erzielen, bedarf es neben stundenlangen
Trainingssessions und blitzschnellen
Reaktionen auch einem entsprechend gesunden
Mindset. Aus diesem Grund holt sich
ein Großteil der professionellen Teams neben
essenziellen Rollen wie Spieler*innen, Coaches
und Analyst*innen auch Psycholog*innen mit
ins Boot. Den Job einer solchen eSport-Psychologin
hat Jolina Bering. Begonnen hat ihre
Faszination für Videospiele im Alter von zehn
Jahren, als sie den Computer ihres Bruders
bekommen hat, erzählt sie stolz. Seitdem hat
sie das Gaming auch nicht mehr losgelassen.
Schon während ihres Masterstudiums hat
sie sich besonders für Themen wie Performance,
Perfektionismus und Teamkohäsion
im eSport interessiert. Dadurch kam sie dann
vermehrt in Kontakt mit verschiedenen deutschen
Teams der Prime League (die zweithöchste
Liga im Computerspiel „League of
Legends“). Obwohl ihr Schwerpunkt stets im
20
Diversität Thema in der Gamingszene
Bereich der klinischen Psychologie lag,
betreut die deutsche Psychologin immer
wieder Mannschaften oder einzelne
Spieler*innen. „Im Prinzip geht es bei
meiner Tätigkeit bei diesen Teams um
psychologische Grundlagen für gutes
Zusammenspiel. Man beschäftigt sich
dann mit Fragen wie: Wie sieht ein guter
Trainingsplan aus? Oder: Wie gehe ich
mit negativen Gedanken um, wenn ich
das Gefühl habe, dass ich mich gerade
nicht konzentrieren kann? Also alles,
was rund um das Thema Psyche im Zusammenhang
mit Leistung und eSport
zu tun hat.“
Ist doch egal, wer vor dem
Bildschirm sitzt
Der wohl wichtigste Diskussionspunkt
im Themenbereich von Onlinegames
sind die immer wiederkehrenden Fälle
von sexistischen Vorfällen. Wenn solche
Aktionen dann auch noch live im Internet
vor tausenden Zuschauer*innen
gestreamt werden, kann das Ganze
Gamer*innen oder die Gamingszene
generell in ein schlechtes Licht rücken.
Videoclips davon gehen daraufhin in
sozialen Netzwerken viral und sorgen
für Aufruhr. In Spielen mit einer Voice-
Chat-Funktion kann das teilweise umso
problematischer werden, weil man dabei
schnell durch die Stimme der anderen
Person mitbekommt, ob man jetzt mit
einer Frau oder einem Mann im selben
Team spielt. Oftmals äußert sich dieses
Verhalten in Form von beleidigenden
und diskriminierenden Kommentaren
gegenüber Frauen wie zum Beispiel:
„Geh zurück in die Küche“ oder „Ich lass
mir nichts von einer Frau sagen“– diese
Art von Schubladendenken ist heutzutage
leider immer noch weit verbreitet.
„Leute, die andere Menschen so im
Internet beleidigen, haben die Annahme:
Ok, das ist eine Frau, die steht erstens
unter mir, die braucht mir nichts zu
sagen. Zweitens kann sie wahrscheinlich
dieses Spiel nicht so gut spielen wie
ich und drittens habe ich das Recht, sie
zu erniedrigen. Damit wird die soziale
Identität als Mann höhergestellt als die
der Frau“, kommentiert Jolina Bering.
Bei der Frage, warum Frauen im eSport
eigentlich so schwach bis gar nicht vertreten
sind, erklärt sie, dass das Ganze
von gesellschaftlichen und sozialen
Faktoren abhänge. Die Wahrscheinlichkeit,
Männer zu finden, die gut in
Videospielen sind, sei von Grund auf
höher als die der Frauen, weil Gaming
auf hohem Niveau nicht attraktiv genug
ist. Generell bestünde hier laut Jolina
noch großer Verbesserungsbedarf: „Es
geht darum, eine sichere Umgebung für
Frauen in dieser Szene zu schaffen und
generell toxischem Verhalten in Gaming
Communitys entgegenzuwirken.“ Auch
beim Scouting für professionelle Teams
sollte man sich viel mehr auf Frauen
ausrichten, um so mehr Diversität in
die reinen Männerteams hineinzubekommen.
Grenzen vereint überwinden
und voneinander lernen
Thomas Kunze beschreibt das Potenzial
als Gesellschaft durch Videospiele,
mehr über Sozialformen, den gemeinsamen
Umgang und über die eigenen
Rollen zu lernen, größer als bei jedem
anderen Medium. Auf die Frage, ob wir
als Menschen denn wirklich etwas von
Computerspielen mitnehmen können,
zeigt er sich felsenfest überzeugt: „Es
ist ziemlich simpel. Im Grunde genommen
ist Gaming nur eine andere Form
von sozialer Interaktion. Du kannst miteinander
reden, du kannst gegeneinander
kämpfen, du kannst schweigen, du
kannst spielen, was auch immer.“ Jolina
Bering appelliert zum Abschluss unseres
Interviews noch mal an die Neugierde
der Menschen, sich von Andersartigkeit
nicht abschrecken zu lassen. „Wir
können Grenzen und Beschränkungen
am besten dann aufheben, wenn wir
aufeinander zugehen. Auch ich bin bei
gewissen Themen voreingenommen,
aber nur durch Auseinandersetzung
lassen sich diese Vorurteile, die in
jedem von uns mehr oder weniger
verankert sind, abbauen.“
Erich Anger
Thema
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© Fredrick Tendong / unsplash
So spricht das Burgenland: Wie der ORF die
sprachliche Vielfalt zwischen Neusiedl und
Jennersdorf stärkt
„Dobar dan“, „Adj’isten“, „Latscho di“ und „Guten Tag“, Burgenlandkroatisch, Ungarisch, Burgenland-romani –
diese drei der sechs österreichischen alteingesessenen Volksgruppensprachen sind im Burgenland angesiedelt.
Keines der anderen Bundesländer ist so von den Minderheitensprachen geprägt wie die laut Burgenland
Werbung, Sonnenseite Österreichs. Das zeigt sich auch im Programm des ORF Burgenland. Aber reicht das
bestehende Angebot aus? Und ist es überhaupt noch relevant? Über diese Fragen, die Vorteile von sprachlicher
Diversität und das Selbstverständnis der Volksgruppenangehörigen hat SUMO mit der Kommunikationswissenschaftlerin
und gebürtigen Burgenlandkroatin Petra Herczeg sowie der Leiterin der Volksgruppenredaktion des
ORF Landesstudios Burgenland, Dorottya Kelemen gesprochen.
Es ist Sonntag, 13:30 Uhr. Das ORF Landesstudio Burgenland
tauscht sein typisches Orange gegen einen sanften Blauton
und das kroatische Magazin „Dobar dan Hrvati“ beginnt.
Das Programm des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in
Volksgruppensprachen hat mittlerweile eine lange Tradition
– die Sendung „Dobar dan Hrvati“ wird beispielsweise
bereits seit 1989 ausgestrahlt. Zu Beginn war es die burgenlandkroatische
Volksgruppe, die ihr Recht auf ein eigenes
Angebot erstritt. Danach folgten ungarisches Programm
und schließlich auch Sendungen in Burgenlandromani. Seit
dem Jahr 2009 liegt die Produktion der tschechischen und
slowakischen Inhalte des ORF ebenfalls bei der Volksgruppenredaktion
im Burgenland. „Nachdem im ORF-Burgenland
bereits Programm in autochthonen Volksgruppensprachen
produziert wurde, kamen auch die tschechische und die
slowakische Redaktion dazu. Auch wenn sie in erster Linie
in Wien beheimatet sind“, erklärt Dorottya Kelemen, die
2021 die Leitung der Volksgruppenredaktion übernahm.
Die Wertschätzung für diese Sendungen als selbstverständlichen
Teil des ORF-Angebots ist allerdings erst in jüngerer
Vergangenheit erwachsen, erläutert uns die Kommunikationswissenschaftlerin
Petra Herczeg: „Wenn wir die jüngste
Geschichte des Burgenlands betrachten, war sie von starken
Assimilationsbestrebungen geprägt. Den Volksgruppen
wurde gesagt, dass sie mit Deutsch bessere Chancen hätten
als mit einer Minderheitensprache. Folglich war das öffentliche
Bewusstsein für die Bedeutung der Mehrsprachigkeit und
der Volksgruppen wenig ausgeprägt.“ Das hat sich in den
letzten 30 Jahren aber geändert. Laut Herczeg erlangten die
Volksgruppen in dieser Zeit größere gesamtgesellschaftliche
Anerkennung und auch das Bewusstsein für die positiven
Aspekte der Mehrsprachigkeit sei gestiegen. Als wichtigen
Treiber identifiziert sie in dieser Hinsicht unter anderem den
Beitritt Österreichs zur Europäischen Union.
Was Sprachen leben lässt
Die Arbeit der Volksgruppenredaktion hat in diesem Kontext
eine nicht zu vernachlässigende Verantwortung. Sprache
braucht eine Funktion, Sprache muss einen Mehrwert bieten
und Sprache muss in der Öffentlichkeit gehört werden, –
darin sind sich Kelemen und Herczeg einig. Hier kommt der
ORF ins Spiel. „Wir haben als Leitmedium die Aufgabe, die
Sprachen am Leben zu halten und sicherzustellen, dass die
Menschen sich in den Programmen wiederfinden“, erklärt
Kelemen. Auch hinsichtlich der Sprachentwicklung sieht
sie den öffentlich-rechtlichen Rundfunk in einer zentralen
Position. Petra Herczeg ergänzt dazu: „Radiosendungen,
Fernsehsendungen und der Onlineauftritt sorgen dafür, dass
die Lebendigkeit der Sprache erhalten bleibt. So entsteht
die Möglichkeit, dass man sich beispielsweise über politische
Themen auch in der Volksgruppensprache austauschen kann.“
Um den maximalen Effekt zu erzielen, reicht das alleinige
Senden von ein paar Sendungen nicht aus. Laut Herczeg
handelt es sich bei der burgenländischen Volksgruppe
um eine Gruppe, die in sich eine starke Diversität aufweist,
was sich auch in den für sie bereiteten Programmen widerspiegeln
sollte. Diese Auffassung wird von Kelemen geteilt.
Die Sendungen des ORF seien hier so konzipiert, dass sich
Volksgruppensprecher*innen vom nördlichsten Winkel des
Neusiedler Sees bis zum südlichsten burgenländischen Hügel
wiederfinden. Es soll damit ein Mehrwert für die Sprecher*innen
aller Ortschaften sowie Dialekte geboten werden.
Soweit die Theorie, doch bleibt es ein Balanceakt, diesen
qualitativen Anspruch mit den zur Verfügung stehenden
Sendezeiten zu erreichen. „Eine Frage vor der viele Medien
stehen ist: Wie erreiche ich meine Zielgruppe überhaupt?“,
meint Herczeg. In Bezug auf Programmdiversität gäbe es
immer Luft nach oben. Eine Schlüsselfrage sei aber, wie die
Zeitressourcen genutzt werden können, um alle Zielgruppensegmente
zu adressieren. Es müsse die zentrale Überlegung
angestellt werden, inwieweit es Sinn macht, die Angebote
auszudifferenzieren oder ob es zielführender ist, Sendungen
auf die breite Masse auszulegen.
Bestrebungen, hier die goldene Mitte zu finden, sind auch
beim ORF ein Thema. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk
bringt im TV für alle drei burgenländischen Volksgruppensprachen
Magazinsendungen, mit denen laut Kelemen für
alle etwas geboten werden soll. Im Radioprogramm wird
mehr ausdifferenziert und neben den Nachrichten werden
beispielsweise auch speziell Sendungen für Jugendliche und
Kinder ausgestrahlt. „Hier sehen wir ganz klar den Trend weg
vom analogen Radio und hin zur Radiothek. Wir arbeiten daran,
unsere Magazinsendungen als Podcast verfügbar zu machen“,
erklärt Keleman. Beim jüngeren Publikum sei vor allem das
Online-Angebot beliebt. Je nach Volksgruppe werden diese
Beiträge auch verstärkt auf Social Media geteilt.
22
So spricht das Burgenland
So spricht das Burgenland Thema
23
Diversität weitergedacht
Das Programm der Volksgruppenredaktion hat im Hinblick auf
Diversität aber noch eine weitere Funktion. Denn auch wenn es
einem vielleicht nicht gleich in den Sinn kommt, produzieren die rund
30 Mitarbeiter*innen die Inhalte nicht nur für Sprecher*innen der
Volksgruppen. Um das zu unterstreichen, führt Kelemen den TV-
Sektor an: „Die Roma Sendung „Romano Dikipe“ ist hier ein gutes
Beispiel. Sie wird bewusst auf Deutsch moderiert. Die Beiträge
sind in Romani, werden aber untertitelt.“ So wolle der ORF auch die
Mehrheitsbevölkerung zum Zusehen animieren, selbst wenn sie
ursprünglich nicht daran interessiert wäre. Die ungarische Sendung
wird ebenfalls durchgehend untertitelt. Beim kroatischen
Programm wird noch an einer passenden Lösung gearbeitet.
Damit gehe mit den Sendungen auch eine gewisse Aufklärungsfunktion
einher. Sie bringen den Volksgruppen öffentliche Aufmerksamkeit
und zeigen: „Diese Volksgruppen gibt es und das
macht sie aus“. „Das Programmangebot in Volksgruppensprachen
trägt einen wichtigen Beitrag zur Diversität der Gesellschaft bei“,
ist auch Herczeg überzeugt.
Aber damit diese Angebote ihre Wirkung entfalten können, ist es
essenziell, dass die Sendungen tatsächlich nachgefragt werden.
Durch die große Anzahl an Wahlmöglichkeiten und die zunehmende
Individualisierung der Mediennutzung herrsche indes ein
starkes Konkurrenzverhältnis. „Es gibt eine Fülle an Problemperspektiven,
die es Volksgruppensendungen schwierig macht,
sich hier einen eigenen Platz zu sichern“, erklärt Herczeg.
Voraussetzung ist, dass die Interessen der Rezipient*innen so
ausdifferenziert sind, dass sie einerseits genügend Zeit für die
Sendungen haben und sich andererseits davon angesprochen
fühlen. Dann sei da noch der Faktor, dass sie auch bereit dazu
sein müssten, dieses freie Zeitbudget dafür zu reservieren. „Das
hängt von den individuellen Gewohnheiten des Einzelnen ab. Hier
spielt die Sozialisierung eine große Rolle. Das heißt: Inwiefern
gehört es zum Selbstverständnis, dass solche Angebote rezipiert
werden?“, führt die Kommunikationswissenschaftlerin aus.
Beim ORF-Burgenland sei das Interesse derzeit aber in zufriedenstellendem
Ausmaß vorhanden. „Ich habe auch den Eindruck,
dass die Nachfrage immer größer wird. Je mehr Programm wir
machen und je mehr Angebote wir schaffen, umso mehr wird es
genutzt“, erzählt Kelemen. So sei die Rezeption der Radiosendungen
zu einer Gewohnheit der Volksgruppensprecher*innen geworden
und die Angebote im Internet zeigen steigende Klick-Raten.
Auch zum geplanten Podcast bekomme die Redaktion des ORF
Burgenland immer wieder Anfragen, wann er endlich zu hören
sei. Kelemen ist deshalb überzeugt, dass die Relevanz der
Angebote in Zukunft weiter zunehmen wird: „Mir kommt es so
vor, dass das Bewusstsein für die Vorteile, die durch die sprachliche
Diversität der Volksgruppen entstehen, in der Gesellschaft
stärker geworden ist. Es ist etwas Gutes, dass es so viele Menschen
gibt, die so selbstverständlich zwei Sprachen sprechen und
zwischen zwei Welten hin und her wechseln können, ohne sich
für eine entscheiden zu müssen. Also ich sehe das als riesiges
Geschenk.“
Die Henne-Ei-Problematik
© Robert Linder / unsplash
Ein etwas anderer Zugang zu dieser Thematik wird von Petra
Herczeg vertreten. Sie ist zwar ebenfalls der Meinung, dass in
Zukunft weiter Programme in Volksgruppensprachen produziert
werden müssen, weist dabei aber auf ein altbekanntes Problem
hin. „Es gibt schon lange das Argument, dass es immer weniger
Sprecher*innen gibt. Für wen soll das Angebot also ausdifferenziert
werden?“ Aber selbst wenn die Sprache vom Aussterben
bedroht scheint, müsse das Programm weiter bestehen. „Wir
haben hier sonst eine Henne-Ei-Problematik. Das eine bedingt das
andere. Die Gesellschaft hat eine Bringschuld, sich zur Mehrsprachigkeit
zu bekennen, denn sonst kann nichts rezipiert werden.
Vielleicht sollte man gemeinsam mit Kindern und Jugendlichen
24
So spricht das Burgenland
Angebote entwickeln oder mehr über soziale Medien distribuieren
und damit die Schwellenangst senken, wenn es um Sprachkompetenz
geht. So könnte man junge Menschen verstärkt an
die Sprache heranführen und ihnen die Chance geben, sich damit
auseinanderzusetzen. Wenn die Sprache weniger gesprochen
wird, muss also entsprechendes Angebot geschaffen werden.“
Als große Chance identifizieren die Expertinnen hier die Möglichkeiten,
die das Streaming eröffnen könnte. Die derzeit diskutierte
Digitalnovelle würde also auch für die Volksgruppenredaktion
einiges erleichtern. „Online first und online only würden natürlich
auch für uns enorme Vorteile bringen. Die Radiosendungen der
Volksgruppenredaktion sind – bis auf die Ausnahme einer Kurzausgabe
der kroatischen Nachrichten um 12:30 Uhr – immer erst
ab 18 Uhr zu hören. Es ist eine große Chance, wenn man auch
tagsüber etwas bringen kann“, erklärt Kelemen. Auch Herczeg
sieht im Streaming Potenzial: „Das passt natürlich zur derzeitigen
Mediennutzung der jüngeren Zielgruppe und auch junger Eltern.
Wichtig wäre, dass man eigene Sendungsinhalte und Figuren
entwickelt. Es braucht spezifische Medienfiguren, die verschiedene
Sprachen sprechen und nicht ganz perfekt in ihrer Sprache sind
– das gehört auch dazu. So können sie als Role Model für Kinder
und Jugendliche dienen und Anreiz dafür geben, sich zusätzlich
mit der Sprache auseinanderzusetzen.“
Demnach eröffnet die Digitalisierung also auch für die Volksgruppensprachen
neue Möglichkeiten, die es jetzt zu nutzen gilt.
Die Planung neuer Sendungen und Distributionskanäle ist in
vollem Gange - und das ist gut so. Nicht nur für die Sprecher*innen
der burgenländischen Volksgruppen, sondern für die gesamte
Gesellschaft.
Dorottya Kelemen / ©ORF Hans Leitner
Petra Herczeg / © gemeinfrei
Mavie Berghofer
Was zählt,
sind die Menschen.
Entweder, oder? Ich will alles.
Johannes, 24 Jahre
Teile deinen persönlichen #glaubandich Moment auf:
So spricht das Burgenland
25
Obdachlosigkeit und die Medien –
nicht nur eine Randnotiz
In den Zustand unzweifelhaft erkennbar obdachlos auf der Straße zu leben, gerät man nicht
von heute auf morgen. Es sind Aneinanderreihungen von unerwarteten Schicksalsschlägen,
unvorhersehbaren Situationen und Lücken in einem Sozialsystem, welche am Ende in Armut und
Obdachlosigkeit münden. Denn Obdachlosigkeit ist eben kein Problem eines Einzelnen, sondern
das Resultat einer Aneinanderreihung von gesellschaftlichen Problemen.
Infobox
Wohnungslos
meint, dass Personen in Einrichtungen
mit begrenzter Aufenthaltsdauer leben und
in keinem Mietverhältnis stehen.
Obdachlosigkeit
definiert die Wohnsituation ohne festen
Wohnsitz oder Unterkunft.
Armutsgefährdet
sind jene Menschen, welche weniger
als 60% des mittleren Einkommens der
Gesamtbevölkerung beziehen.
26
Thema
Doch nur wenige der nicht betroffene
Bürger*innen scheinen dies zu erkennen
– fehlendes Verständnis und mangel hafte
Aufklärung der Gesellschaft führen zu
Vorurteilen Obdachlosen gegenüber.
Dies stellen sowohl Jenny Legenstein
Redakteurin der Straßen zeitung „Augustin“,
Thomas Adrian Leiter der Jugendnotschlafstelle
„a_way“ als auch
Christian Klinger, Initiator des sozialen
Hilfsprojektes „Home STREET Home“
in ihrem jeweiligen Berufsalltag fest.
Durch Erfahrungen und engagierten
Einsatz auf diesem Gebiet konnten sie
SUMO Einblicke in die Rolle der Medien
bezüglich Obdachlosigkeit in Österreich
eröffnen.
In Österreich muss keiner
obdachlos sein, oder?!
Das sollte man meinen, doch die Zahlen
der Statistik Austria belegen anderes:
Anno 2020 waren rund 20.000 Menschen
in Österreich als obdachlos oder wohnungslos
registriert. Ergänzend dazu ist
nach Angaben der Caritas ein aktuell
starker Anstieg der Sozialberatungsanfragen
im Gegensatz zum Jahr 2021
bemerkbar. Christian Klinger und Thomas
Adrian betonen unisono, dass es wichtig
ist, die hohen Dunkelziffern in diesem
Zusammenhang zu beachten. Denn: „Je
länger die Betroffenen an der Armutsgrenze
leben, desto isolierter von der
Gesellschaft sind sie. Falsche Vorurteile
sowie Unverständnis und emotionale
Distanz sind außerdem ständige Begleiter
dieser Thematik“, so Thomas
Adrian. Als Leiter der Jugendnotschlafstelle
„a_way“ bemerkt er regelmäßig,
dass Armut dadurch verleugnet oder
versteckt wird und das Umfeld nicht
hinsieht. Denn Bedürftigkeit geht auch
mit Scham Hand in Hand. Niemand
möchte schließlich als armutsgefährdet
gelabelt, als wohnungs- und obdachlos
erkannt werden. „Betroffene versuchen
oftmals, ihre Situation vor ihrem Umfeld
so lange wie möglich geheim zu halten.
Wenn es dazu kommt, dass jemand
durch sein äußeres Erscheinungsbild
als obdachlos identifiziert werden kann,
ist dies unfreiwillig und schambehaftet”,
erklärt Adrian. Vor allem Frauen und
Jugendliche verstecken ihre Lebensumstände
vor der Außenwelt - dies meist
auch aus Selbstschutz.
Die Hauptgründe für Obdachlosigkeit in
Österreich sind Arbeitslosigkeit,
finanzielle Nöte und psychische wie
physische Krankheitsbilder. Eine Tendenz,
die sich in den vergangenen Jahren
abzeichnet, ist, dass zunehmend junge
Erwachsene zwischen 18 und 30 Jahren
von Obdachlosigkeit oder materiellen,
vielmehr finanziellen Missständen
bedroht sind. Mitauslöser dafür sind
zerrüttete Familienverhältnisse, instabile
soziale Unterstützungssysteme,
Schwierigkeiten beim Einstieg ins Berufsleben
oder Orientierungslosigkeit
im Erwachsenen dasein. Genauso
individuell wie die Betroffenen selbst
sind also auch die Hintergründe ihrer
Geschichten. Im Gespräch mit Klinger
und Adrian wird rasch klar; es kann jeden
und jede treffen und betreffen.
Medien können Betroffenen
eine Stimme geben
„Selbst, wenn Obdachlosigkeit ignoriert
wird und die Berichterstattung darüber
vollständig ausbleiben würde, wären
die Armut und die Ursachen dahinter
trotzdem nicht verschwunden”, erinnert
Jenny Legenstein, Redakteurin der
Straßen zeitung „Augustin“. Das Medium
kritisiert vor allem die soziale Ungerechtigkeit
und bietet gleichzeitig eine
Schnittstelle zwischen Betroffenen und
den Passant*innen auf der Straße. Dies
eröffnet einen Zugang auf unterschiedlichsten
Ebenen zur Obdachlosigkeit in
Österreich. Denn die Straßenzeitung
leistet Aufklärungsarbeit und ermöglicht
Begegnungen und Austausch mit
Betroffenen. Darüber hinaus wird den
obdachlosen Menschen eine Stimme
gegeben, indem sie selbst zum redaktionellen
Inhalt des „Augustin“ beitragen.
Für die Leser*innen der Straßenzeitung
wird damit das im Alltag oft Unsichtbare
greifbar und verständlich gemacht.
Auf der anderen Seite bieten Straßenzeitungen
Bedürftigen finanzielle Unterstützung
und eine Perspektive, da der
Verkauf für die Kolporteur*innen eine
Möglichkeit darstellt, nicht betteln zu
müssen.
Straßenzeitungen sind keineswegs die
einzigen Medien, welche Armut und
soziale Missstände aufarbeiten. Das
Wohltätigkeitsprojekt „Home STREET
Home“ schafft einen eigenen emotionalen
und authentischen Zugang. Durch
die Zusammenarbeit und den Einsatz
heimischer Künstler*innen der Musikbranche
wurde das Benefiz Projekt
umgesetzt, bei dem das Thema Obdachlosigkeit
und die Betroffenheit von
Jugendlichen und jungen Erwachsenen
thematisiert und musikalisch aufgearbeitet
wird. Daraus entstand eine CD,
dessen gesamte Verkaufserlöse an die
Jugendnotschlafstelle „a_way“ gehen.
Obdachlosigkeit und die Medien Thema
27
Aber es muss auch hingeschaut
und zugehört werden!
Christian Klinger, einer der Initiatoren von „Home STREET
Home“, sieht die fehlende mediale Präsenz von Obdachlosigkeit
als drastisches Problem. So findet Berichterstattung
mit abschließendem Aufruf zum karitativen Handeln stets
ereignisbezogen statt. Die Flut an Titelbildern, auf Fernsehbildschirmen
und in sozialen Netzwerken nimmt jedoch rasch
wieder ab. Der Leiter der Jugendnotschlafstelle, Thomas
Adrian und „Home STREET Home“ Initiator Christian Klinger
sind sich einig, dass viele mediale Berichte zur Randnotiz verblassen
und schlussendlich kaum Aufmerksamkeit generieren.
Gerade in Krisenzeiten gestaltet sich der Medienkonsum
vieler Rezipient*innen sowieso überwiegend als negative
Erfahrung. Nahezu täglich finden Konfrontationen mit schlechten
Nachrichten statt, welche Erschöpfung oder Ermüdung
auslösen und bis hin zur Verdrängung aktueller Situationen
und Umstände führen kann.
Eine Aufforderung, welche die Pandemie maßgeblich prägt,
lautet „Bleiben Sie bitte zu Hause!“. Doch was tun diejenigen,
welche kein zu Hause beziehungsweise keinen festen Wohnsitz
haben? “In gewisser Weise war dies eine zynische Aussage
für Menschen, welche im wohnungslosen Bereich tätig oder
davon betroffen sind”, so Adrian. Wenngleich er zugesteht,
dass in den Medien nicht immer alle individuellen Lebenslagen
mitgedacht werden können, wertet er diesen Appell
als Zeichen dafür, dass die Situation von obdach- oder wohnungslosen
Personen nicht gesehen wird. Legenstein erinnert
sich zwar an einige spezifische Beiträge zu Obdachlosigkeit in
der Pandemie überwiegend in Spartenprogrammen, jedoch
sieht auch sie hier eine Lücke im medialen Auftritt.
von jungen Erwachsenen, die von Armut betroffen sind oder
sich in Notsituationen befinden. Thomas Adrian beobachtet
in der Jugendnotschlafstelle, dass auch hier das Smartphone
und der Kontakt sowie Austausch zu anderen - wie bei den
meisten Heranwachsenden - im Fokus steht. „A_way“ stellt
den Jugendlichen daher Ladestationen und WLAN zur Verfügung,
das gehört mittlerweile zur Grundversorgung.
Inhaltlich fehlt den Jugendlichen, die sich im Notquartier
einfinden, meist das Interesse an Politik. Wenn man sich in
einer Krise befindet hat man oft keinen Kopf für Alltagspolitik.
Adrian wundert dies wenig, können sich diese jungen Menschen
damit kaum mit politischen Debatten identifizieren. „Das
Mitwirken und das Bewusstsein für Demokratie scheint hier
geschwächt zu sein, da sich die betroffenen jungen Menschen
nicht gesehen oder gehört fühlen”, meint Adrian. Die fehlende
Teilhabe und die nicht vorhandene Repräsentation geht also
mit dem Gefühl einher, keine Stimme oder Macht in der
Gesellschaft innezuhaben. Womit wir zur Lösung wieder bei
der Forderung nach Diversity in Medien angelangt wären.
Anna Horn
Medien als Schnittstelle – es gibt nicht „uns“
und „die anderen“
Christian Klinger / © Privat
Im Zuge dessen hebt Legenstein die Relevanz der Medien
als vierte Gewalt und Fenster zur Welt sowie Instrument für
die Sensibilisierung für die Thematik hervor. Mediale Berichterstattung
kann nämlich auch bezüglich Obdachlosigkeit und
Armut etwas bewegen und beeinflussen.
Konsequente Aufklärung über die Ursachen für die Abwärtsspirale
können einen näheren Bezug schaffen. Die Vermittlungsaufgabe
der Medien bestünde nach Adrian auch darin, den
Faktor Scham zu thematisieren und so das Entstehen einer
Hilfestellung statt einer Degradierung zur Bittstellung zu
fördern. „Denn die Bereitschaft zu Helfen wächst meist erst
mit dem passenden Werturteil, Einblicken sowie Verständnis“,
bestätigt Adrian.
Außerdem weist Klinger darauf hin, dass „eine gewisse Sensibilität
bei der Rezeption erforderlich ist, da Medien dabei
das Consumer Knowledge der Rezipient*innen fördern können”.
Denn die Lebensumstände und finanziellen Missstände werden
von außen oft hinterfragt. Artikel, welche Betroffene
porträtieren und ihre Perspektive abbilden, haben bereits
regelmäßig negative Kritik und Kommentare sowie Hasspostings
im Internet und in den sozialen Medien erfahren. Im
SUMO-Interview erläutern die Expert*innen, dass schon der
Hinweis auf Rücksichtnahme auf die Gefühle von Betroffenen
bei öffentlichen Reaktionen auf mediale Beiträge diesbezüglich
ein hilfreicher Schritt zur Verbesserung wäre.
Jenny Legenstein / © Mario Lang
Thomas Adrian / © Privat
Denn die Zukunft gehört uns allen
Nach dem Blick auf die Selbstdarstellung und die Außenwahrnehmung
bleibt noch die Frage nach der Mediennutzung
28
Obdachlosigkeit Thema und die Medien
Aktivist*innen als Medienschaffende
–
von „Salam Oida“ bis „Ibiza
Austrian Memes“
Von sichtbaren Fernsehpersönlichkeiten, Darstellung in Serien bis hin zu den
Charakteren in Kinderbüchern. Jede*r möchte sich wiederfinden. Wie ist es
jedoch, wenn sich bestimmte Menschengruppen in den Mainstreammedien
nicht oder schlecht repräsentiert fühlen? Wie ist es, wenn Geschehnisse nur
aus einer heteronormativen, an der Mehrheitsgesellschaft orientierten
Perspektive geschildert werden? Dank den Möglichkeiten, die das Internet
bietet, ist es einfach, Plattformen zu gründen und die eigene Repräsentation
selbst in die Hand zu nehmen. Wir sprachen über das Schaffen von neuen
Medienangeboten und innovativen Methodiken mit Asma Aiad, Mitgründerin
von „Salam Oida“ und Anahita Neghabat, Gründerin von „Ibiza Austria Memes“.
Asma Aiad / © Privat
Anahita Neghabat / © Privat
Zur Vorstellung beider
Plattformen
„Es geht uns nicht darum, dass wir sagen,
dass diese Menschen oder unsere Community
keine Stimme haben. Gar nicht! Ganz
im Gegenteil! Sie hat diese Stimme und
sie macht so viel, und wir wollen ihnen das
Mikrofon reichen.“
„Salam Oida“ ist eine Plattform, die entstanden
ist, um muslimische Vielfalt in
Österreich zu zeigen. Den Gründerinnen
Asma und Ines war es wichtig, davon
wegzukommen, dass sie sich als Muslim*innen
immer darüber definieren müssten,
was sie nicht sind, anstatt über das zur
reden, was sie ausmacht. Der Diskurs um
Muslim*innen drehe sich stets um Stereotype
oder rassistische Darstellungen. Mit
„Salam Oida“ wollte das Duo eine Plattform
gründen, die muslimische Vielfalt
gebührend darstellt, gemäß dem Motto:
„Wir feiern uns!“. Sie wollen Muslim*innen
empowern und eine Bühne geben, um das
Gefühl zu erschaffen, dass das, was sie
machen, wichtig und bedeutsam ist.
„Zu der Zeit (der Veröffentlichung des Ibiza
Videos, Anm. der Red.) haben viele andere
Leute extrem coole politische Memes
gemacht und weil ich so euphorisiert war
und aus dieser positiven Stimmung heraus,
hatte ich viele Ideen. Letztendlich habe ich
ohne große Vorbereitung und spontan
diese Seite gemacht.“
Anahita Neghabat studiert Kultur- und Sozialanthropologie
und hat 2019 im Rahmen
der „Ibiza-Affäre“ aus Euphorie heraus spontan
entschieden, eine politische Meme Seite
namens „Ibiza Austrian Memes“ zu gründen.
Diese Instagram Seite hat bereits 23.500
Follower*innen. Dort nutzt Anahita
Memes als Form von politischem
Statement und kommentiert satirisch
die österreichische Innenpolitik aus
einer intersektional feministischen,
antirassistischen und machtkritischen
Perspektive. Mit ihrer Seite will Anahita
auf Ereignisse aufmerksam machen,
die in den Schlagzeilen nicht präsent
sind – zumindest nicht aus dem Blickwinkel,
aus dem sie die Geschehnisse
betrachtet. In den Captions schreibt sie
kleine politische Analysen und versucht
dabei eine möglichst einfache Sprache
zu verwenden. Die Sätze werden mit
Emojis und Absätzen optisch gegliedert.
Fremdwörter werden vermieden beziehungsweise
erklärt, damit die Botschaft
auch verständlich ist.
Anahita selbst beschreibt ihre Arbeit als
Satire, da sie Ereignisse darstellt und
dabei überzeichnet, sodass die Absurdität
des Dargestellten deutlich wird.
Die Plattformen beider Aktivistinnen
sind aus spontaner Kreativität entstanden;
beide haben aber schnell das
eigene Potenzial und den Mehrwert in
ihrer Arbeit erkannt. Doch warum müssen
Bürger*innen die Repräsentation
der eigenen Gruppe selbst in die Hand
nehmen? Und wo hängen die Mainstreammedien
konkret hinten nach?
Die Rolle der Mainstreammedien
oder Medienhäuser mit
„weißer Brille“
Um die Lebensrealitäten von Gemeinschaften
innerhalb einer Gesellschaft
30
Aktivist*innen als Medienschaffende
wahrheitsgetreu aufzuzeigen, empfehlen Medienforscher*innen,
die zu Minderheiten arbeiten, auf Diversität in den
Redaktionen zu achten. Doch die Realität in den österreichischen
Medienhäusern wird diesem Anspruch noch
nicht gerecht. Eine Studie des „Medienhaus Wien“ aus dem
Jahr 2021 zeigt die aktuelle Vielfältigkeit in österreichischen
Medienhäusern auf. Dabei wurden Daten von 5.346 Journalist*innen
aus mehr als 300 österreichischen Medienunternehmen
unterschiedlicher Größe gesammelt und 501 CAT-
Interviews mit einer für die österreichischen Journalist*innen
repräsentativen Stichprobe durchgeführt.
Von den 501 Journalist*innen zeigten nur 6 % einen nichtdeutschsprachigen
Migrationshintergrund auf und 6,4 %
einen deutschsprachigen Migrationshintergrund. Darunter
fallen jene Journalist*innen, bei denen zumindest ein Elternteil
im deutschsprachigen Ausland geboren wurde, konkret in
Deutschland, der Schweiz, Liechtenstein oder Südtirol.
Asma Aiad betont, dass von diesem Defizit in der redaktionellen
Zusammensetzung nicht nur Muslim*innen betroffen sind,
sondern auch andere Randgruppen in der Gesellschaft wie
Menschen mit Migrationshintergrund oder schwarze Menschen.
„Diese Menschen sitzen nicht in den Medienhäusern.
Sie denken nicht mit, sie handeln nicht mit, sie überlegen nicht
mit und sie können nicht mitgestalten. Wenn Medienhäuser
eine weiße Brille tragen, mittels derer sie berichten, wird ein
falsches Abbild der Gesellschaft geschaffen und deren Vielfalt
nicht repräsentiert. Um die Realität einer Gesellschaft darstellen
zu können, braucht es eine Änderung in der Struktur der
Medienhäuser. Eine Struktur, die die reale Gesellschaft und
vielfältige Geschichten und Perspektiven präsentiert.“
Anahita Neghabat stellt hingegen den Mythos der neutralen
Berichterstattung infrage. Die Objektivität, welche Qualitätsmedien
für sich selbst beanspruchen, gehört ihrer Auffassung
nach hinterfragt. Beispielsweise haben Menschen
mit Rassismuserfahrung nicht nur eine theoretische Meinung
zum Thema Rassismus. Ihre Erfahrungen formen ihren Blick
auf die innen- und außenpolitischen Ereignisse. Daher ist
Anahita bewusst, dass auch sie selbst nicht neutral berichtet,
sondern aus einer machtkritischen, antirassistischen und
feministischen Perspektive. Basieren auf Fakten ist Nummer
eins für sie, aber welches Augenmerk dann in der inhaltlichen
Darstellung gesetzt wird, ist vielfältiger, aus einer anderen Perspektive,
schlichtweg diverser. Genau dies kritisiert Neghabat:
Dass Menschen mit Rassismuserfahrungen, Migrationsbiografie
oder sonst jegliche Art von Diskriminierungserfahrung
in den meisten Medienangeboten für ihre Perspektiven nicht
genügend Raum bekommen.
Perspektiven die österreichische Innenpolitik kommentieren
– und arbeitet dafür wie bereits beschrieben mit Memes.
Anahitas bewusste Entscheidung für das Format Memes
geht darauf zurück, dass Humor ein praktikabler Weg ist,
um sich mit komplexen Ereignissen wie der Ibiza-Affäre,
auseinanderzusetzen. Mittels Memes nimmt ein Gefühl
und eine Einschätzung eines Ereignisses Gestalt an, die den
Menschen die Kraft gibt, weiterzumachen und sich nicht
unterkriegen zu lassen. Durch die Praxis des Teilens und
Likens von Memes sehen die Menschen, dass sie mit ihrer
Position nicht die einzigen sind und es auch anderen so geht.
Außerdem sind Memes leicht konsumierbar und verlangen
kein aus klassischer Schulbildung stammendes Vorwissen.
Eine Grundkenntnis im Umgang mit Internetkultur ist jedoch
erforderlich. Dadurch ermöglicht sie dem Publikum einfach
und schnell eine neue, – in Anahitas Fall im linken Spektrum
anzusiedelnde Perspektive – auf die österreichische Politik
zu bekommen.
Diverse Medien = Auswirkung auf die Gesellschaft?
„Das ist Prio eins, da muss man unbedingt etwas ändern. Weil
sie [die Medien für die breite Masse] einfach eine massive
Schieflage haben.“ – Asma Aiad.
Würden Medienhäuser und Mainstreammedien das Thema
Diversität und diverse Berichterstattung als Priorität sehen,
so würden sie auch ein repräsentativeres Bild der Gesellschaft
abbilden und die Realitäten aller Menschen dieser Gefüge
darstellen. Wird diese Aufgabe von den Medien jedoch nicht
wahrgenommen und diesem Anspruch auch kein redaktioneller
Raum gegeben, dann entwickelt sich ein unvollständiges Bild
von einem sozialen System. Das Potenzial die Vielfalt der
Gesellschaft zu repräsentieren, liegt folglich in den digitalen
Medien. In der Geschichte der Medien wurde die Herstellung
von Medienangeboten immer einfacher und vor allem kostengünstiger.
Heute haben die Möglichkeiten mit digitaler
Verbreitung und dem geringen Preis enorm zugenommen.
Freilich muss man auch streuen, sonst ist das Publikum
verschwindend klein. Abseits der Chancen durch die digitalen
Kanäle bedienen sich Medienschaffende mit Migrationshintergrund
heute auch einer völlig neuen Form: Begonnen hat
es mit Gastarbeiterradio und -presse, die junge Generation
macht aber Medien mit Humor, nutzt Videos und hat auch ein
journalistisches Selbstverständnis.
Afifa Akhtar
Inwiefern diese neuen Medien dem entgegenwirken
– Methodik und Absicht
Die Gründerin von „Salam Oida“ sieht ihr Medienangebot als
Schnittstelle, um Diversität und die Repräsentation der muslimischen
Kultur in Österreich neu zu denken. Als Kommunikationsplattformen
werden dazu vor allem diverse soziale
Netzwerke genutzt. Auf Instagram, YouTube oder TikTok greift
„Salam Oida“ Themen auf, die in den Mainstreammedien zu
kurz kommen. Die Methodik, die seitens des „Salam Oida“
Teams verwendet wird, ist es, Bilder zu zeigen, die die stereotypen
Vorstellungen in den Köpfen von Menschen aufbrechen
und neue Bilder produzieren. Sie sind überzeugt, dass mittels
digitaler Medien, visuellem Material und Bewegtbild stereotype
Bilder konterkariert und neue, vielfältige Zuschreibungen
geschaffen werden. Dadurch zeigen sie, dass marginalisierte
Gruppen sehr wohl auf digitalen Medienplattformen sichtbar
sind und dadurch die Mainstream-Medien ergänzen.
Die Instagram Seite „Ibiza Austrian Memes“ will mit ihren
Aktivist*innen als Medienschaffende Thema
31
Werbestrategie Feminismus –
reiner Marketing-Gag?
Eines steht fest: Feminismus ist bei den meisten bereits angekommen und liegt seit einigen Jahren im Trend. Das
haben auch die Großkonzerne und deren Marketingabteilungenfrüh erkannt. Doch steckt hinter den feministischen
Werbestrategien vielleicht mehr als das bloße Streben nach mehr Gewinn? Möchten Unternehmen Teil dieser
politischen Bewegung sein und gar ein Umdenken in unserer Gesellschaft fördern? Mithilfe der Obfrau des
Frauenvolksbegehrens, Daniela Diesner, sowie der Journalistin Marya Al-Mufti möchte SUMO diesen und einer
Reihe weiterer Fragen auf den Grund gehen.
Diversity. Empowerment. Body Positivity.
Nur ein paar der vielen erfolgversprechenden
Begriffe, die eine veränderte
und bessere Zukunft versprechen. Sie
sind das, was nach jahrzehntelanger
Arbeit von einer feministischen Revolution
übrig geblieben ist. Wir sehen
sie auf T-Shirts, Werbeplakaten und
etlichen Social-Media Posts. Influencer*innen
schmücken sich im Auftrag
zahlreicher Unternehmen mit diesen
oft nach leeren Worthülsen klingenden
Ausdrücken. Großkonzerne wie H&M,
Only aber auch Luxusmarken wie Dior
tun es ihnen gleich. Maryam Al-Mufti,
Journalistin beim feministischen Magazin
„an.schläge“, bezeichnet die Verwendung
dieser Modewörter als „extrem weich
gewaschene und oberflächliche Sichtweise
auf feministische Ideen.“ Für sie
handelt es sich dabei um überstrapazierte
Begriffe anstelle tiefgründiger
Gedankengänge. Die 23-Jährige spricht
außerdem davon, dass hinter Feminismus
die Idee stecke, revolutionär und
radikal zu sein. Dabei stelle sie sich die
Frage, wie rebellisch diese Emanzipationsbewegung
wirklich sein kann, wenn
man ihn einfach über ein Fünf-Euro-T-
Shirt vermarkten kann. „Wo ist da das
Radikale dahinter, wo ist da das Revolutionäre
dahinter, wenn das Konzept
zur Marketingstrategie verkümmert und
verkommt“, so die Journalistin.
Der Einsatz von Schlagwörtern aus dem
Reservoir des Feminismus ist gerade in
der Textilbranche fragwürdig. Laut dem
Verein FEMNET, der sich unter anderem
für die Arbeitsrechte von Frauen in
Asien einsetzt, variiert der Anteil weiblicher
Textilarbeiterinnen durchschnittlich
zwischen 70 und 90 Prozent. Es ist kein
Geheimnis, dass die Arbeitsbedingungen
in solchen Nähfabriken alles andere
als menschenwürdig sind. Miserable
Hygienebedingungen und Löhne,
mit denen normale Lebensstandards
einfach nicht zu bewerkstelligen sind.
Vorstandsmitglied des Frauenvolksbegehren
Daniela Diesner nennt Firmen,
welche unter solchen Zuständen für
sich arbeiten lassen oder nichts an ihren
ausbeuterischen Strukturen ändern und
gleichzeitig feministische Werbungen
machen, heuchlerisch: „Sie wollen sich
reinwaschen und suggerieren, dass sie
feministisch sind. Das finde ich nicht in
Ordnung“, so die 23-Jährige.
Empowerment für wen?
Maryam Al-Mufti, die nebenbei auch
Politikwissenschaft im Masterstudiengang
studiert, kann sich über Hashtags
und Plakate mit Begriffen wie „Diversity“
oder „Empowerment“ einfach nur
wundern. „Man sollte sich fragen: Empowerment
für wen? Empowerment für
das Marketing Team? Für den CEO? Auf
keinen Fall Empowerment für die Menschen
der Unterschicht, die da auf übelste
Weise ausgebeutet werden“, so die
Journalistin. Kapitalistische Konzerne
bedienen sich hier ganz klar einer
Doppelmoral. Auch andere Branchen
wissen feministische Inhalte werbetechnisch
im großen Stil umzusetzen.
So schreibt Beate Hausbichler, Leiterin
des frauenpolitischen Ressorts bei
„dieStandard“, über das Paradebeispiel
von Femvertising schlechthin, nämlich
die Werbekampagnen der Hautpflegemarke
Dove. Sujets von Frauen mit unterschiedlichen
Körper- und Figurtypen,
darunter Slogans wie „The Perfect Real
Body“, zählen dazu. Auch deren Werbevideos
zeigen starke und selbstbewusste
Frauen, die nicht den „normalen“ Modelmaßen
entsprechen. In ihrem Buch
„Der verkaufte Feminismus“ kritisiert
Beate Hausbichler dabei, dass sich Gesellschaft
und Staat zu sehr aus der Verantwortung
ziehen. Demnach wird beim
klassischen Femvertising das Bild der
bereits ermächtigten Frau gezeigt. Wie
Hausbichler in ihrem Band schreibt, entstehe
der Eindruck, dass längst alles
erreicht sei und Frauen dies lediglich erkennen
und endlich genießen müssten.
Doch wenn man die Zeitung mit der
Body Positivity-Anzeige umblättert, begegnet
man den nächsten Diät- und Abnehmratgebern.
Feministische Werbekampagnen
– alles schlecht?!
Das klingt bisher alles recht negativ.
Immerhin sollte man doch froh darüber
sein, dass wichtige Themen wie Feminismus
in der Werbung, ein Mittel, das
viele Menschen erreicht, angesprochen
werden. Es könnte auch viel schlimmer
sein. Im Kampf um die Aufmerksamkeit
des Publikums sorgt der Saft-Hersteller
„True Fruits“ mit seinen bewusst sexistischen
Kampagnen regelmäßig für neue
Aufreger. Sprüche wie „Sommer, wann
feierst Du endlich Dein Cumback?“, dazu
eine Frau in Bikini mit abgebildetem
männlichem Gemächt auf der Schulter,
gehören dabei dazu. Daniela Diesner
berichtet über die Arbeit des Vereins
„Frauenvolksbegehren“ gegen diese
Art von Werbung und die Meldungen
der True-Fruits-Kampagne durch den
damaligen Sprecher Christian Berger
beim Werberat. Die junge Obfrau meint
außerdem, dass Firmen, die mit nicht
stereotypen, starken Frauenbildern oder
Botschaften zur Stärkung des Selbstwerts
werben, nicht in den Himmel gelobt
werden sollten. Vielmehr sollte dies
eine Selbstverständlichkeit darstellen.
„Es sollte einfach ein Sexismusverbot
geben. Wenn Firmen Werbung machen,
die sexistisch ist, sollten sie auch dafür
bestraft werden und der Werberat sollte
die Werbung dann verbieten oder sollte
nicht ausgestrahlt werden dürfen“, so
die 23-Jährige. Auf die Anmerkung hin,
dass es beim österreichischen Werberat
ohnehin eine Regelung gegen geschlechterdiskriminierende
Werbung
gibt, sagt die junge Aktivistin, dass diese
nur für offensichtlich sexistische Inhalte
und Darstellungen in Kraft träte. Sexistische
Werbekampagnen können subtil
sein. Dazu zählen klischeehafte Darstellungen
von Frauen wie der einer
32
Werbestrategie Feminismus
Feminismus in
uns selbst?
Etwa 20 % der deutschen
Kinder/Jugendlichen fühlten sich
dick, 15 % hatten Angst vor einer
Gewichtszunahme, und 25 % gaben
an, sich regelmäßig über ihr Gewicht
oder ihre Figur zu ärgern.
Illustrations-Inspiration: Dean’naie. Stop Bodyshame [Pinterest post]. Pinterest. Retrieved June 30, 2022, from https: /www.pinterest.at/pin/709668853782479519/
Zahlen & Fakten: https: /breakbingeeating.com/body-image-statistics/
Fast 80 % der jungen Mädchen im
Teenageralter haben Angst davor,
dick zu werden.
Das Körperbild wurde als
eine der 4 größten Sorgen
junger Frauen genannt.
Bei einer Befragung von mehr
als 50 000 Erwachsenen
hielten sich 60 % der Frauen
für zu schwer und waren sich
ihres Gewichts nicht bewusst,
30 % gaben an, sich in einem
Badeanzug unwohl zu fühlen,
und 20 % hielten sich für
unattraktiv.
Scan me
Hausfrau und Mutter oder die Suggestion, wie eine Frau zu sein
oder auszusehen hat. „Kritik gegen solche Sujets werden vom
Werberat oft nicht ernst genommen oder bedürfen erst einer
Masse an Beschwerden, bevor sich da etwas tut“, so Daniela
Diesner. Generell sollten komplexe und wichtige Themen wie
Feminismus vorzugsweise nicht erst durch kapitalistisch geprägte
Unternehmen an unsere Gesellschaft herangebracht werden. „Es
geht um eine Art Bildungsauftrag und dieser sollte von anderen
Institutionen als von Werbung und Marketing, wo gleichzeitig etwas
verkauft wird, wahrgenommen werden“, meint Diesner. Vielmehr
sollten sich bereits junge Menschen in den Schulen damit
beschäftigen, um mit ihrem kritischen Denken nicht in solche
Marketingfallen zu tappen.
Maryam Al-Mufti / © Vanessa Lugbauer
Daniela Diesner / © Fürnkranz
Ein ernüchterndes Fazit
Klar, die Repräsentation von emanzipierten Frauen in der Werbung
ist auf den ersten Blick eine gute Sache. Jedoch sollten wir uns
sehr wohl fragen, ob das nicht doch eher Schein als Sein ist.
Auch Maryam Al-Mufti weist darauf hin, dass diese Sichtbarkeit
weiblicher Werbeträgerinnen zwar wichtig ist, sie aber nichts nützt,
wenn die strukturellen Probleme nicht gelöst sind. „Dann ist diese
Sichtbarkeit zwar gegeben, aber die Grundstrukturen, auf denen
Sexismus, aber auch Rassismus und Ausbeutung aufbauen, sind
nach wie vor vorhanden“, so die Journalistin.
Verena Scharnagl
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34
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Sind Feminismus und Pornografie
Widerspruch? Wie FemPorn die
Gesellschaft verändert
Pornos sind schmutzig, erniedrigend gegenüber Frauen und hauptsächlich für männliche Rezipienten, sowie
für Zuseher*innen aus der Lack- und Lederszene. Dieses Klischee befindet sich nach wie vor in den Köpfen
vieler Menschen, jedoch entspricht es nicht der Wahrheit, denn Porno kann mehr. SUMO sprach dazu mit
Patrick Catuz einem feministischen Pornoproduzenten, der gemeinsam mit der ehemaligen Opernsängerin
Adrineh Simonian „Arthouse Vienna“ gegründet hat und seine Werke als Träger aktivistischer Botschaften
benutzt und aus Leidenschaft sich selbst als Feminist bezeichnet. Ebenso erzählte auch Ingrid Mack, die
Besitzerin von „Liebenswert“ – einem Erotikfachgeschäft welchem der weiblichen Lust gewidmet ist, ihre
Perspektive von der veränderten Rolle der Frau in der Pornografie.
Feministische Pornografie (FemPorn) ist schon länger ein
Gesprächsthema, jedoch wurde es durch diverse Filme,
Bücher, Filmfestivals und mehr medialer Aufmerksamkeit
in letzter Zeit bedeutsamer als je zuvor. Doch was ist
eigentlich feministische Pornografie? Dazu gibt es verschiedene
Meinungen. Ingrid Mack beschreibt den Begriff wie
folgt: “Geschmackvolle, lustvolle Szenen, in denen man nicht
nur in Großaufnahme die Geschlechtsteile sieht. Dazu eine
dezente Kameraführung, eine stilvolle Kulisse, eine dezente
Handlung und freudvoller Sex.“ Der Filmproduzent, Patrick
Catuz, fand ähnliche Worte wie die Besitzerin des Erotik-
Shops für Frauen, jedoch argumentierte er ebenso, dass es
gut sei den Begriff offen für Interpretation zu lassen, da auch
Feminismus selbst kein konkretes Label umgehängt werden
kann. Denn Feminismus kann ebenso wie Diversität sehr breit
gestreut sein. Es geht nicht nur darum, dass Frauen sich eine
bessere Stellung in der Gesellschaft erkämpfen, sondern auch,
darum, dass man die üblichen Darstellungen von Gender, Alter,
Sexualität, Ethnie, sozialer Klasse, Schönheit, Behinderung und
Nicht-Behinder- ung sowie weiteren Identitätskomponenten
infrage stellt.
Catuz teilt die feministische Pornografie grob auf zwei
Ebenen auf: „Die eine ist die Ebene der Produktion, also
können Frauen die sogenannte Glasdecke durchbrechen, die
in der Pornoindustrie sehr niedrig angesiedelt ist. Also dass
Frauen nicht nur Darstellerinnen, Make-up-Artist sind,
sondern auch die Rolle einer Regisseurin oder Produzentin
einnehmen. Die andere Ebene ist die der Repräsentation, also
wie der Film tatsächlich aussieht, wer handlungstragende
Figur ist und ob die Figuren eigene Motivationen geltend
machen können. Wie das dann tatsächlich ausgeformt ist,
kann sehr unterschiedlich aussehen. Es kann also auch sein,
dass Frauen diese sogenannte Glasdecke durchbrechen, die
Filme aber inhaltlich nicht sehr feministisch aussehen, da auch
Frauen oft die gleichen Klischees reproduzieren wie Männer.“
Entstehung von FemPorn
Seinen Ursprung hat die feministische Pornografie in den
1970er-Jahren. Im Zuge der Anfänge der Feminist Sex Wars,
eine theoretische Diskussion unter sexpositiven und radikalen
Feministen*innen, hat man debattiert, ob und wie Pornografie
aussehen sollte, ohne die Würde von Frauen zu verletzen. Es
ist eine Diskussion, die bis heute andauert. Damals bildeten
sich zwei Positionen, die anti-pornografischen und propornografischen
Feminist*innen.
Die wohl bekannteste deutsche anti-pornografische Feministin
im deutschsprachigen Raum ist Alice Schwarzer. Sie ist die
Initiatorin der PorNO-Kampagne, welche das Ziel hatte,
Pornografie zu verbieten, da es dem feministischen Bild der
Frau nicht gerecht wird.
Eine der bekanntesten anti-pornografischen Aktivist*innen
aus den USA, Andrea Dworkin hat in ihrem Buch „Pornografie“
aus 1987 geschrieben: „Das Wort Pornografie bedeutet nicht
über Sexualität schreiben oder Darstellung des Erotischen
oder Darstellung nackter Körper oder irgendein anderer Euphemismus
dieser Art. Es bedeutet die schriftliche und bildliche
Darstellung von Frauen als wertlose Huren.“ Denn das
Wort Pornografie kommt aus dem altgriechischen porne
und graphos und bedeutet “über Huren schreiben“. Dworkin
zufolge schadet die Pornografie den Frauen sowohl bei der
Produktion als auch beim Konsum. Bei der Produktion, weil
die Schauspielerinnen, die in den Videos auftreten, gedemütigt
und als Objekte behandelt werden. Beim Konsum jedoch, weil
die Pornokonsument*innen eine gewalttätige und frauenfeindliche
Darstellung verinnerlichen.
Jedoch gibt es auch repräsentative Gegenstimmen. Ein
Beispiel dafür ist die Deutsche Laura Meritt, eine der Mitbegründer*innen
der PorYes-Kampagne oder Erika Lust, welche
innerhalb des Marktes der feministischen Pornografie viel
Marktanteile einnimmt. Lust produziert mit ihrem 15-köpfigen
überwiegend weiblichen Team Filme, die weder das weibliche
noch das männliche Geschlecht stark in den Mittelpunkt stellen,
sondern einfach Paare beim Sex zeigen. Patrick Catuz hat
ebenso eine Zeit lang in dem Team von Erika Lust gearbeitet und
auch seine Produktionen sind pro-pornografisch ausgerichtet.
Gesellschaftlicher Einfluss
Es gibt immer mehr Unternehmen, die den Fokus auf frauenfreundliche
Erotik setzen, womit sich ein neuer weiblicher
Markt für eine sehr männerzentrierte Branche entwickelt. Ein
Beispiel dafür ist das deutsche Unternehmen „Femtasy“, welche
erotische Hörbücher speziell für Frauen produzieren oder
ebenso ein junger deutscher Betrieb ist CHEEX, eine Plattform
für ethische und fair produzierte erotische Filme und Audios.
Doch auch lokal gibt es einige aufstrebende Anbieter*innen,
die in Sache FemPorn mitreden können. Unter anderem „Liebenswert“
– ein Erotikfachgeschäft für Frauen und alle, die
Frauen lieben. Das Wiener Geschäftslokal lädt mit alten Retro-Möbeln
und geschmackvoller Deko ein, sich wie zu Hause
zu fühlen. Die Besitzerin, Ingrid Mack erläutert ihr Geschäfts-
Sind Feminismus und Pornografie Widerspruch? Thema
35
Ingrid Mack / © Privat
Patrick Catuz / © Jolly Schwarz
modell näher: „Wir laden alle Frauen ein
in unser Erotikfachgeschäft zu gehen,
auch wenn diese sonst Berührungsängste
haben. Es sollte ein freudvolles
Geschäft sein, in dem Frauen Lustartikel
einkaufen können, ganz ungeniert und
freudvoll.“
Möglich macht ein so offener Zugang
jedoch nicht nur das Angebot von zahlreichen
neuen Unternehmen, sondern
auch ein Wandel in der Gesellschaft und
mit diesem auch eine Veränderung in der
kulturellen Darstellung. „Gerade `Fifty
Shades of Grey´ hat vielen die „Erlaubnis“
gegeben, deren Neigungen zu benennen
und auszuleben. Man gilt nicht
mehr als „pervers“ wenn man seinen
Fetisch auslebt“, schildert Mack. Inzwischen
gibt es in fast jeder populären
Serie oder Filmen auf Netflix, Amazon
Prime und Co nackte Haut zu sehen.
Gerade in Netflix Eigenproduktionen
sind eine Vielfalt von Sexszenen unterschiedlichen
Geschlechts und Alters zu
sehen. Nach wie vor gilt Sex Sells, da
Erotik die Aufmerksamkeit der Rezipient*innen
phasisch aktiviert. Dies wird
nicht nur in der Filmindustrie eingesetzt,
um die Quoten zu steigern, sondern
auch in der Werbung, um Augenmerk
auf eine Marke zu richten. Dies führt
im besten Fall zu mehr Offenheit in der
Gesellschaft. Wenn es um den Akt der
Liebe geht, jedoch kann es auch leicht
zur Übersexualisierung kommen. Hier
beginnt ein Mensch dann zu selektieren
und im besten Fall fällt die Wahl dann
auf eine Produktion, die kein Geschlecht
diskriminiert.
Filme und Literatur spielen aber auch
in früheren Lebensphasen schon eine
entscheidende Rolle. Wenn auch das
persönliche Umfeld einen wichtigeren
Einfluss auf die Entwicklung eines
Menschen haben, so prägen speziell
Kinderfilme nachhaltig, so Patrick Catuz.
„Die Filme, mit denen man aufgewachsen
ist, vermitteln oft sehr viel Blödsinn
über Geschlechterrollen. Speziell
die Disneyfilme. Viele Filme laufen nach
dem gleichen Schema ab. Irgendein
Rüpel spielt einen entscheidenden
Charakter und wenn die Frau ihn nur
genug liebt, dann wird er nett. Dieses
Schema findet man selbst bei „Mulan“,
wobei man annehmen sollte, dass sie
doch eigentlich als emanzipierte Frau
auftritt. Als Frau musst du nur lange
genug glauben, dass ein Prinz in einem
Mann steckt, egal wie schlecht er sich
verhält, dann wird er einer. Das ist schon
beim Froschkönig so, aber nicht nur hier.“
Jedoch wandelt sich das Bild, dass wir
derzeit von Männern, als auch von
Frauen haben immer mehr in eine positive
Richtung. „Es gibt Untersuchung
dazu, dass es bei den Generationen ab
den 90er-Jahren relevanter ist, dass
Jungs oder Männer hübscher sein
müssen. Früher war das Dating-Verhalten
so, dass Männer sich schöne Frauen
suchen, Frauen hingegen suchen sich
Männer mit einem gewissen Status, mit
einem guten Bildungsniveau, mit einem
guten Job, das Aussehen war mehr oder
weniger egal. Aber jetzt, wo Frauen
schon länger selbst arbeiten und nicht
mehr davon abhängig sind, dass der
Mann gut verdient, haben sich die Ansprüche
von Frauen verändert. Männer
sollen plötzlich gut aussehen und ein
gutes Benehmen mitbringen. „Frauen
sind in der Wahl ihrer Partner anspruchsvoller
geworden. Hoffentlich spiegelt
sich diese Einstellungsänderung dann
auch in Sache Sex nachhaltig wider“,
erläutert Catuz. Bewegungen wie MeToo
haben ihm zufolge nicht nur ein paar
mächtige Männer zu Fall gebracht, sondern
auch eine Veränderung in der Pornoindustrie
eingeleitet. So haben große
Porno-Plattformen ihren Algorithmus
geändert und alle Begriffe rund um
Forced Sex liefern inzwischen keine Ergebnisse
mehr. „Das Konzept von feministischer
Pornografie funktioniert auch
weil Männer genauso Interesse daran
haben andere Filme zu schauen. Es ist ja
nicht nur so, dass Männer alle auf diese
chauvinistische Version stehen und dass
nur Frauen eine gerechte Welt haben
möchten“, kommentiert Catuz.
Neben den Plattformen ändert sich
jedoch auch das Publikum in der Pornofilm-Szene.
Porno-Filmfestivals sind
nicht mehr nur eine Lack- und Leder-
Szene, sondern ziehen mehr Menschen
an, die die Neugierde verspüren etwas
Neues auszuprobieren. Trotzdem merkt
Catuz an: “Ich denke, dass wir überdurchschnittlich
viel Aufmerksamkeit
von den Medien bekommen, im Vergleich
dazu, wie verhältnismäßig klein wir sind
und wie viele Zuseher*innen es tatsächlich
gibt. Jedoch ist es toll, dass man mit
kontroversen Themen leicht Medienberichterstattung
bekommt. Man kann
dadurch Diskurse entfachen und dem
Thema Platz schaffen, um darüber zu
debattieren.“
Nachhaltigkeit und Zukunftsaussichten
Es scheint, derzeit in eine positive
Richtung zu gehen, was die Offenheit
und Vielfalt von FemPorn-Produktionen
angeht. Auf die Frage nach Hoffnungen
für die Zukunft hat der Filmproduzent
geantwortet: „Ich hoffe einfach, dass
es noch ganz viel neue Visionen geben
wird, wie Pornografie aussehen kann.
Aber das wird sowieso immer mehr. Mit
jedem Filmfestival, mit jeder Plattform die
neu entsteht – man merkt, dass hier sehr
oft schon die Grenzen verschwimmen.
36
Sind Feminismus und Pornografie Widerspruch?
Ich würde mir wünschen, dass diese künstliche
Differenz zwischen den Pornofilmen
und normalen Spielfilmen oder Serien
vielleicht verschwimmt und es nicht mehr
so einen abgetrennten Schattenbereich
gibt. Es sollte Spielfilme geben, wo es auch
authentische Sexszenen gibt und nicht nur
eine Decke unter der sich etwas bewegt
und auch Pornos, in denen es um mehr geht,
als um den Akt selbst, sondern auch eine
Geschichte erzählt wird, die sich anbahnt.“
Im Zuge dessen wünscht sich Catuz auch,
dass weniger sexuelle Mythen in Filmen und
Literatur aller Art weitergegeben werden, da
dies wieder Steine in den Weg einer offenen
Gesellschaft legt. Auch Ingrid Mack spricht
ihre Wünsche für die Zukunft der Pornografie
aus: „Es soll mehr „Pornografinnen“ geben,
welche sexuelle Inhalte von Frau für Frau
auf eine geschmackvolle Art und Weise
aufbereiten.“ Allgemein ist der Wunsch da,
dass diese Branche größer wird. Zurzeit ist
es noch so, dass man innerhalb der Fem-
Porn Szene schnell alle Akteur*innen kennt.
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Thema
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38
Indischer Thema Film ist so viel mehr
© Jakayla Toney / unsplash
„Indischer Film ist so viel mehr
als Bollywood“ –
eine Reportage aus Stuttgart
Wie beginnt man über eine Industrie zu schreiben, von der man hier in Europa
so gut wie nichts weiß? Es geht um das Filmbusiness eines Landes, das nur
etwa 6000 Kilometer Luftlinie entfernt von Wien ist und somit viel näher als
das 9.800 Kilometer entfernte Los Angeles. Die Rede ist von Bollywood – das
Mekka der indischen Filmbranche, eine in sich geschlossenen Millionenindustrie,
die jährlich fast doppelt so viele Produktionen auf den Markt bringt wie Hollywood.
SUMO hat versucht, Antworten zu finden und ist dafür bis nach Stuttgart zum
Indischen Film Festival gereist.
Die Recherche über Indiens Filmmarkt
beginnt mit Zahlen, Daten und Grafiken
rund um Hindi-Film und die Bedeutung der
Industrie für die Volkswirtschaft. Was sofort
auffällt: Es gibt erschreckend wenige Fakten
– zumindest bei erster Sichtung. Auffindbar
sind einige Statistiken zum Vergleich
der Filmindustrie in den USA, China und
Indien, als die drei größten Player weltweit.
Bollywood produzierte 2017 mit
1986 Filmen doppelt so viele wie China
(944) oder die USA (789). Es gibt einen
sehr bekannten indischen Film, den man in
westlichen Internetsphären sofort findet
und der sogar mit acht Oscars ausgezeichnet
wurde: „Gandhi“.
Was mich aber wirklich interessiert: Wie
vielfältig ist indischer Film? Gibt es dort
noch etwas anderes außer pompös inszenierte
Bollywood-Liebesgeschichten? Es
handelt sich um eine Frage, die mir das
Internet nicht direkt beantworten kann.
Dennoch wollte ich tiefer in die Materie
eintauchen. „Jetzt erst recht“, dachte ich mir
zu Beginn des Sommers. Antworten auf
meine Frage sollte ich Ende Juli in Deutschland
finden, beim „Indischen Film Festival
Stuttgart (IFFS)“. „Es geht um innere Stärke
und Selbstverwirklichung“, erklärt mir der
österreich-indische Regisseur Sandeep
Kumar mit leuchtenden Augen beim Interview
im Garten eines Stuttgarter Hotels.
Es war nicht ganz einfach, einen Termin für
dieses Gespräch zu finden. Der Regisseur
aus Wien ist extra für die Deutschlandpremiere
seines Films „Mehrunisa“ angereist.
Dabei steckt er bereits in den Vorbereitungen
für sein nächstes Projekt. „Wir drehen in
5 Tagen“, entschuldigt sich Kumar für das
Terminchaos. Umso dankbarer bin ich, dass
er sich noch Zeit für dieses Interview
genommen hat, solange ich in Stuttgart
bin. Es ist sein erstes Mal beim IFFS. Er
wurde mit „Mehrunisa“ in der Kategorie
„Bester Spielfilm“ nominiert: „Das ist eine
große Ehre und es freut mich wirklich, hier
zu sein.“
Ein Film, der mit den Normen
Bollywoods bricht
Sein Film erzählt von einer 80-jährigen
Frau, die nach dem Tod ihres Mannes
ihre Freiheit zurückerlangt. Anstatt zu
trauern, feiert sie. Mit der Unterstützung
ihrer Enkelin verfolgt Mehrunisa
ihren Traum, einmal die Hauptrolle in
einem Film zu spielen und lehnt sich so
gegen das eingeschworene Patriarchat
der Filmindustrie auf. Mehrunisa selbst
wird von der Grand-Dame des indischen
Films verkörpert: Farrukh Jaffar – in
Indien eine Legende wie die österreichische
Schauspielerin Erni Mangold
hierzulande. Kumar betont: „Als ich das
Drehbuch geschrieben habe, wusste ich:
Wenn, dann nur mit ihr.“
„Mehrunisa“ ist die erste österreichische
Produktion, die ausschließlich in
Indien gedreht wurde. Die Vorbereitungen
zum Dreh seien nicht einfach gewesen.
Kumar ist nach Lakhnau, eine Stadt
süd-östlich von Neu Delhi, zu Farrukh
Jaffar geflogen, um sie für das Projekt
zu gewinnen. „Ich kannte niemanden
dort, doch nach Drehstart hat sich relativ
schnell herumgesprochen, dass ein
österreichisches Team einen Film über
die Frauen von Lakhnau dreht.“ Die darauffolgende
Unterstützung war enorm,
schildert der Regisseur. Die Menschen
wollten beim Projekt mit dabei sein und
auch Farrukh Jaffar stand mit vollem
Herzblut vor der Kamera. Die Schauspielerin
wurde während des Drehs 88
Jahre alt. „Das ist in Indien wie 98, also
ein sehr hohes Alter“, sagt Kumar.
Mehrunisa war Farrukh Jaffars erste
Hauptrolle in 50 Jahren Karriere im
indischen Filmbusiness. „Was mich
selbst überrascht, aber auch ärgert“,
meint der Regisseur. Generell würde
man Frauen in Bollywood ab 40 keine
Hauptrollen mehr anbieten. „Das entspricht
nicht dem Schönheitsideal der
Indischer Film ist so viel mehr als Bollywood
39
ewigen Jugend. Ältere Frauen können dann nur mehr Mütter
oder Tanten spielen.“ Dies lege vor allem an der Kommerzialisierung
von großen Bollywoodfilmen. Bestimmte Faktoren
wie Musik, Tanz, schöne Frauen und ein bekannter Held in
der Geschichte seien Grundvoraussetzung, damit Investoren
Filmprojekte fördern.
„Mehrunisa“ prangert genau diese Vorgaben an. „In Indien
wäre es mir nicht möglich gewesen, diesen Film zu produzieren“,
erklärt der Filmemacher. Er baute auf die finanzielle Unterstützung
Österreichs. Frei übersetzt bedeutet der Name der
Hauptdarstellerin so viel wie: die Schönheit der Frau liegt in
ihrer Stärke. Mehrunisa soll diese Stärke in ihrer Willenskraft
ausdrücken. „So lange man lebt, hat man Wünsche und man
sollte auch den Mut haben, diese zu verwirklichen“, sagt Kumar.
Engagement statt Entertainment und der Bezug
zur Realität
„Als der Film fertig war, wussten wir nicht, wo uns das
Ganze nun hinführt. Wird der Film ankommen? Wie wird er
auf das Publikum wirken?“ Weltpremiere feierte „Mehrunisa“
im Jänner 2021 auf dem Filmfestival in Goa (Indien). „Wir
haben mit allem gerechnet, aber nicht mit Standing-Ovations –
auch von Männern - am Ende der Vorführung“, so der Regisseur.
Worauf freut er sich am meisten bei diesem Festival? „Auf die
Reaktion des Publikums in Stuttgart.“ Für ihn sei Film nämlich
nicht „Entertainment, Entertainment, Entertainment“
wie Vidya Balan es im indischen Kultfilm The Dirty Picture
beschreibt.
„Für mich ist guter Film eher Engagement, Engagement,
Engagement.“ Man sollte Film nicht nur konsumieren,
sondern auch etwas damit machen können. Im Idealfall regt
das Thema zum Nachdenken an und führt eine Veränderung
herbei, erklärt Kumar. „Mehrunisa“ handelt von Emanzipation,
Stärke und Lebensträumen. „Ich wollte Frauen in unterschiedlichen
Lebenssituationen zwischen dem Wunsch nach
Selbstverwirklichung und gesellschaftlicher Pflicht zeigen
und so andere inspirieren.“
Zurück zum „Indischen Film Festival Stuttgart“: Am Spielplan
für Samstagnachmittag steht die Dokumentation „Mumbai
40008“ von Santoshee Gulabkali Mishra. Die Regisseurin
habe ich zufällig am Vortag beim Meet & Talk kennengelernt.
„You have to come. You will like it“, appellierte sie an mich,
damit ich zur Kinopremiere komme. Hauptberuflich arbeitet
Gulabkali Mishra als Kriminaljournalistin in Mumbai. Gedreht
wurde während des ersten Lockdowns 2020 in Kamathipura,
dem ältesten Rotlichtviertel Mumbais. 7000 Sex-Arbeiterinnen
kämpfen dort täglich ums Überleben - vor allem während
der Pandemie. Die meisten von ihnen wären in die Prostitution
gezwungen worden. Viele hätten keine andere Wahl
gehabt, sich und ihre Familien zu ernähren. „Prostitution is
legal in India but pimps (engl. Zuhälter) and human trafficking
(engl. Menschenhandel) is not”, ist die Hauptaussage der
Dokumentation.
Die Regisseurin erklärt: „For me it was easier to talk to the
women. I wanted to meet them with respect for my documentary.”
Nachts allein mit ihrem Kameramann in einem
der ärmsten Viertel Mumbais zu drehen, wäre die viel
größere Herausforderung gewesen. „You need to know how
to protect yourself and be prepared for certain situations.”
Die Regisseurin spricht mit ihrer Dokumentation offen ein
Tabuthema in der Gesellschaft an. Sie möchte Aufmerksamkeit
und Bewusstsein für die Probleme schaffen, mit denen
diese Frauen zu kämpfen haben. Frauen auf der ganzen Welt
seien tagtäglich mit vielen Schwierigkeiten konfrontiert und
dennoch hätten sie die Stärke, diese zu lösen: „That is the real
superpower of a woman.”
Auch die vom IFFS ausgezeichnete Dokumentation „Writing
with Fire“ handelt von mutigen Frauen in der indischen Gesellschaft.
Mit dem einfachen Mittel der Wahrheit kämpfen
couragierte Journalistinnen der niedrigsten Kaste in Khabar
Lahariya gegen das männerdominierte soziale System, Unterdrückung
und Ungerechtigkeit. Um Selbstbestimmung und
Selbstverwirklichung geht es auch in der Netflix-Produktion
„Skater Girl“ von Manjari Makijany.
Als ich das erste Mal in den Spielplan des IFFs geschaut habe,
wurde mir sehr schnell bewusst: Indischer Film ist vielfältiger,
als ich gedacht habe. Die ernsten Themen, die am Festival
angesprochen werden, haben rein gar nichts mit der beschwingten
Leichtigkeit einer Bollywood-Romanze zu tun.
So auch nicht Mehak Jamals Kurzfilm „Bad Egg“, der zum
Publikumsliebling gewählt wurde. Es war der erste Film der
Regisseurin, wie sie mir im Gespräch verrät. „I just wanted to
do a movie and I wanted to show in how many different ways
you can tell a story.”
Sie bestätigt ebenfalls, dass Film für sie mehr als nur Entertainment
ist. „For me it is about creating an experience for
the people.” Durch ihr Studium hat Mehak Jamal ein breites
Spektrum an Filmen und Genres kennengelernt. Aufgewachsen
ist sie mit Bollywood und amerikanischen Klassikern wie
„E.T. – Der Außerirdische“. Auf die Frage, wie schwierig es
sei, sich als weibliche Filmemacherin in Indien zu etablieren,
meint sie: „There are less fundings or institutions you could
ask for support as a young film maker.“
Wahres Glück liegt in der
Vielfalt
Das „Indische Film Festival Stuttgart“ bezeichnet sich selbst
als Arthouse Festival. Große Bollywood Produktionen werden
bewusst außen vorgelassen. „Uns ist es wichtig, auch kleineren,
gesellschaftskritischen Projekten, die in Indien zensiert werden,
eine Bühne zu bieten“, erklärt Festivalleiter Oliver Mahn.
„Indischer Film ist so viel mehr als Bollywood.“ Mit Begeisterung
schildert er mir am Weg zum Stadtkino den vielfältigen
Mix aus Spielfilmen, Dokumentationen und Kurzfilmen beim
19. IFFS. „Dieses Jahr haben wir viele Projekte, die Frauen ins
Zentrum rücken. Es geht um Selbstverwirklichung, Unterdrückung
und vielfach wird auch das Thema Sexualität aufgegriffen.“
Man spürt seine Begeisterung für indischen Film
und wie er mit Herz bei der Sache ist.
Auch für Sandeep Kumar ist Film eine Herzensangelegenheit,
wie er mehrmals in unserem Interview betont. Die Vielfältigkeit
von Frauen fasziniert den Regisseur. „Für meinen Film
habe ich lange recherchiert und mit vielen Frauen gesprochen.“
Sie denken viel diverser und führen seit Jahrhunderten viel
wichtigeren Tätigkeiten in der Gesellschaft aus, so Kumar.
„Bei Frauen findet man viel mehr Schattierungen in der
Persönlichkeit. Sie können auf jede Situation anderes reagieren.“
Männer dagegen seien viel primitiver in ihrem Handeln.
Genau diese Beobachtung will Kumar auch in seinem Film
zeigen und so die Wertschätzung für Frauen in Indiens
Gesellschaft steigern.
Einen Tag nach der Preisverleihung des „German Star of India“
erreiche ich den Regisseur noch einmal per Telefon, um ihn
zu gratulieren. „Mehrunisa“ hat in der Kategorie „Bester
Spielfilm“ gewonnen. Der Preis hat seinen Glauben in den
Indischen Film gestärkt, erklärt er mir. „Wie Mehrunisa auch
im Film sagt: Die Produzenten sollten nicht den Helden verkaufen,
sondern die Geschichte.“ Mit Elan stürzt er sich nun
in sein nächstes Projekt. Es soll um einen indischen Zeitungsverkäufer
in Wien gehen, der auf der Suche nach seinem
wahren Glück ist. „Denn jedes Lebewesen habe ein Recht
darauf, glücklich zu sein.“
40
Indischer Thema Film ist so viel mehr als Bollywood
Das diesjährige „Indische Film Festival Stuttgart“ war
geprägt vom Mut zur Selbstbestimmung, von starken
Frauen und Geschichten, die tief unter die Haut gehen,
– so mein Resümee. Der Befund einer jungen Studentin,
die zuvor nie etwas mit indischem Film zu tun hatte.
Es braucht Herzblut, Wille und Mut, um seine Träume
voranzutreiben. Das habe ich an diesem Wochenende
gesehen. Und was mir sonst noch bewusst geworden
ist: Indien, dieses exotische Land mit seiner fremden
Kultur ist uns ähnlicher, als man glauben könnte – vor
allem, was gesellschaftliche Probleme und Ungerechtigkeit
betrifft. Auch im fortschrittlichen Europa sollte
man den Mut aufbringen, Probleme anzusprechen
und für Freiheit zu kämpfen.
Sandeep Kumar
Gulabkali Mishra / © Antonella Bacher
/ © Antonella Bacher
Antonella Bacher
Indischer Film ist so viel mehr als Bollywood Thema
41
Ein Anschein von Freiheit –
Zensur in Russland
Europa am 24. Februar 2022, frühmorgens. Putin ordnet offiziell einen Militäreinsatz an — der Ukraine-Krieg
beginnt. Erste Schüsse sind in Kiew zu hören, einige Stunden später folgen Aufnahmen aus den unter Beschuss
geratenen Gebieten. Und die Welt sieht zu, nur Russland nicht. Sie fragen sich warum? Die Antwort ist das Ergebnis
von politischem Totalitarismus und die damit einhergehende non-existente Pressefreiheit: Medienzensur.
SUMO wollte erforschen, wo Diversität und Inklusion in Medien heute nicht gelebt werden kann und sprach dazu
mit Historiker und stellvertretender Institutsvorstand am Institut für Osteuropäische Geschichte an der Universität
Wien, Wolfgang Mueller, sowie mit der Referentin für Internetfreiheit bei „Reporter ohne Grenzen“ in Deutschland,
Lisa Dittmer über die prekäre Situation in Russland.
Der Pressefreiheits-Index von „Reporter
ohne Grenzen“ stuft die Lage in Russland
im Jahr 2022 als „sehr ernst“ ein. Von
Pressefreiheit existiert quasi keine Spur.
Erschreckend. Jedenfalls für die jüngere
Generation, die in einem modernen
Russland aufgewachsen ist. Unter
einem wirtschaftsliberalen, wenngleich
gelenkten und zunehmend repressiven
Regime, wo aber in Nischen kritische
Gegenstimmen noch möglich waren.
Auf der gegenüberliegenden Seite, die
ältere Generation Russlands. Aufgewachsen
in einer totalitären Kultur, die
bis heute nicht richtig aufgearbeitet und
abgelegt wurde. Für diese ist die derzeitig
vorherrschende Zensur nichts Neues,
was auf eine längere Medienentwicklung
Russlands zurückzuführen ist.
Vom Ende der Pressefreiheit
Die Medienkommunikation war in Russland,
in den vergangenen 10-20 Jahren,
von einem sehr starken Auseinanderdriften
zweier Kommunikationsräume
gekennzeichnet. Auf der einen Seite
die staatseigenen und staatsnahen,
regimekonformen Medien, die weiter
ohne Einschränkung sehr positiv über
Russland, über das Regime und die
Regierung in Russland und zunehmend
negativ über den Westen berichteten.
„Auf der anderen Seite gab es Nischenprodukte,
wie den Radiosender „Echo
Moskvy“ (deutsch: Das Echo von Moskau)
beispielsweise, einen sehr traditionsreichen
und durchaus populären Moskauer
Staatssender, oder auch den Internetfernsehkanal
„Dozhd“ (deutsch: Regen),
sowie im Pressebereich die „Nowaja
Gaseta“ (deutsch: Neue Zeitung), die
allerdings innerhalb Russlands noch
weiterhin zugelassen gewesen waren
und eine gewisse Öffentlichkeit von
20%-30% besser ausgebildeterer und
jüngerer Konsument*innen im urbanen
Bereich erreichten“, erzählt Wolfgang
Mueller von der Universität Wien.
Bereits in der ersten Amtszeit von
Präsident Putin kam es zu ersten Einschränkungen,
die primär große Fernsehanstalten
betrafen. Diese wurden
entweder unter staatliche Kontrolle
gebracht oder unter jene von staatsnahen
Konzernen, wie dem Gazprom-
Konzern. „Durch Morde an Journalist*innen
wie Anna Politkowskaja,
die für die `Nowaja Gaseta´ gearbeitet
hat, wurde versucht, ein Klima der Einschüchterung
zu schaffen“, so Mueller.
Die zweite Phase ist spätestens ab dem
Jahr 2014 eingeleitet worden, und zwar
mit dem Beginn der Aggression Russlands
gegen die Ukraine. Schon seit dem
Jahr 2004 kommt es zu einer negativen
und zum Teil auch sehr aggressiven
Berichterstattung über die Ukraine,
was sich seit 2014 jedoch drastisch
verschärft hat. Auch in dieser Epoche
kam es zu starken Einschränkungen für
die Kabel- und Internetsender, wie den
Fernsehkanal „Dozhd“.
Die letzte Phase ist schließlich im
Februar 2022 eingeleitet worden, in der
das neue Gesetz mit einer sehr starken
Zensur verbunden ist. Weitere bisher
noch vorhandene Nischensender sind
nun geschlossen worden. Seit Beginn
des Überfalls Russlands auf die Ukraine
wurden zahlreiche Medien zensuriert.
Weitere bisher noch vorhandene Nischensender
sind nun geschlossen worden.
Die Situation hat sich, ausgehend
vom Zustand vergangenen Jahres, wo
kritische Stimmen noch möglich waren,
signifikant verschlechtert. Einerseits in
Print-Medien, in geringer Auflage, andererseits
im Radio und in Lokalmedien,
sowie auch im Internet. Seit der Eskalation
der Aggression Russlands gegen die
Ukraine und dem großen Angriffskrieg
kam es zu einer drastischen Reduzierung
kritischer Berichterstattung, da
auch diese Nischen in der Zwischenzeit
praktisch völlig beseitigt worden sind.
Der „Echo Moskvy“ wurde behördlich
geschlossen. Auch der Fernsehkanal
„Dozhd“ ist in der Zwischenzeit, innerhalb
Russlands, nicht mehr zu empfangen
und hat dort seine Ausstrahlung eingestellt.
Das russische Staatsfernsehen
hingegen, sendet täglich und sorgt für
propagandistische Berichterstattung,
wie man sie von der damaligen kommunistischen
Zeit kennt: „Im Staatsfernsehen
können Sie täglich irgendwelche
Talkshows sehen, in denen ein*e
oder mehrere Teilnehmer*innen dazu
auffordern, Kiew zu bombardieren und
einzuäschern oder Mitgliedsstaaten der
Europäischen Union anzugreifen oder
überhaupt die westlichen Staaten für
ihre Unterstützung und Solidarität mit
der Ukraine zu bestrafen. Das ist mittlerweile
Teil einer Kriegshetze, wie sie in
den regimetreuen Medien stattfindet“,
erzählt Mueller.
Die kritischen Medien sind aus dem
Land vertrieben worden und können
mittlerweile nur mehr im Ausland arbeiten.
Aufgrund der Zensur kommt es
zusätzlich zu Eingriffen in die Terminologie,
sodass beispielsweise die Begriffe
„Krieg“ oder „Invasion“ für den Angriffskriegs
Russlands nicht verwenden
werden dürfen und bestraft werden.
Wolfang Mueller vergleicht die heutige
kommunikationspolitische Situation mit
der des damaligen Kalten Krieges und
meint: „Im Kalten Krieg war der kommunistische
Machtbereich nach außen weitestgehend
abgeschottet. Man konnte
keine westlichen Medien empfangen,
die westlichen Sender wurden mit Störsender
entsprechend gestört, Internet
gab es noch nicht. Somit hatten die
Menschen hinter dem Eisernen Vorhang
praktisch wenig Möglichkeiten, sich frei
zu informieren. Zu westlichen Nachrichtenquellen
hatten sie kaum Zugriff gehabt,
bis auf einige wenige Gebiete, wo
westliche Sender empfangen werden
konnten. Somit ist diese Trennung von
den Informationsräumen sehr strikt.
Man könnte sagen, es ist ein Eiserner
Vorhang im informationspolitischen
42
Ein Thema Anschein von Freiheit
Ein Anschein von Freiheit Thema
43
Bereich, im Medienbereich, den Russland hier aufgezogen hat.“
Auf internationaler Ebene kann man ebenfalls vom Auseinanderdriften
verschiedener Kommunikationsräume sprechen. Durch die praktische Unmöglichkeit
in Russland noch im großen Bereich kritische Informationen
in den Massenmedien zu bekommen, ist Russland somit zwangsweise zu
einem Informationsraum geworden. Gleichzeitig lassen sich von Russland
geförderte, antiwestliche Sender, wie beispielsweise „Russia Today“, in den
westlichen Medien teilweise nicht mehr empfangen, da sie aufgrund von
Sanktionsmaßnahmen im medialen Bereich von den EU-Mitgliedsstaaten
nicht mehr zugelassen sind. „Aufgrund der Zensur in Russland haben zahlreiche
westliche Medien ihre Berichterstattung von dort vorläufig eingeschränkt
oder gar beendet. Damit ist auch im internationalen Bereich das
Auseinanderdriften der beiden Kommunikationsräume sehr weit gediehen,
wenn nicht sogar völlig abgeschlossen“, so Mueller.
Stillschweigen, um zu überleben
© Tengyart / unsplash
Die damaligen mit Alexej Nawalny verbundenen Proteste, im Jahr 2011,
stellen einen ausschlaggebenden Indikator für die Verschärfung von
Medienzensur in Russland dar. Die unabhängige Berichterstattung über
Antiregimedemonstrationen wurde von der russischen Regierung mit
Widerstand gleichgestellt. „Von Protesten in Moskau zum Beispiel zu
berichten, führte schon dazu, dass man als Journalist*in gleich direkt mit
den Demonstrant*innen in die Arrestzelle wanderte, sodass das nicht als
unabhängige Medienarbeit gesehen wird, sondern als Unterstützung und
Verbreitung und man verurteilt werden kann dafür, dass man dazu aufruft,
daran teilzunehmen“, so Lisa Dittmer von „Reporter ohne Grenzen“.
Die klassische Kriegsberichterstattung, so wie wir sie heute kennen und
erwarten, wird in Russland derzeit mit bis zu 15 Jahren Haft bestraft.
Unter Putin sind bis dato mehr als 35 Journalist*innen, aufgrund ihrer
Arbeit, ermordet worden, wobei diese Morde größtenteils noch nicht aufgeklärt
wurden. Wer in Russland als unabhängige*r Journalist*in tätig ist,
oder es wagt zu widersprechen, wird anhand des sogenannten „Gesetzes
über ausländische Agenten“ diskreditiert und als Person, die nicht im russischen
Interesse arbeitet, auf eine Liste gesetzt. Dittmer erzählt: „Man
muss dann über jede Ausgabe, die man tätigt, Buch führen und das dem
Staat irgendwo offenlegen. Also ob ich einkaufen gehe oder für den Job
einen Computer anschaffe, alles wird offengelegt“.
Die großen Medienhäuser wurden mittlerweile vollständig aus dem
russischen Netz verbannt und sind nur mehr via VPN abrufbar. Dort
angestellte Journalist*innen suchen teilweise Sicherheit im Ausland und
versuchen von dort aus ein Mindestmaß an unabhängiger Berichterstattung
zu gewährleisten. Weiters erzählt Dittmer: „Wir sprechen
mittlerweile schon über um die 100 Journalist*innen, die uns als „Reporter
ohne Grenzen“ kontaktiert und gesagt haben, wir wollen das Land verlassen.
Auch wir versuchen jetzt Menschen im Exil zu unterstützen, also
konkret mal erste Hilfsgelder zu leisten, Journalist*innen dabei zu helfen,
eine neue Heimat zu finden und da die entsprechende Infrastruktur zu
kriegen. Wir tun da gerade unseren kleinen Teil mit unserem JXFund, also
einem neugegründeten Exiljournalismus-Fond, mit dem wir sofort Gelder
bereitstellen. Aber die Frage ist, werden das Exilmedien? Müssen die für
die nächsten 20 Jahre dann aus dem Exil weiter versuchen ein Heimatpublikum
zu erreichen oder wird es irgendwann mal die Möglichkeit geben
wieder zurückkehren, ohne strafverfolgt zu werden?“. Ein erfolgreiches
russisches Exilmedium, das bereits seit 2014 aus Riga berichtet, ist die
Online-Tageszeitung „Medusa“, die eine derzeitig tägliche Zugriffsrate
von 10-15 Millionen Klicks hat, aus Russland jedoch seit der akuten
Invasion auf die Ukraine nur via VPN zu erreichen ist.
Es trifft allerdings auch die kleinen Medien stark, wie das Studentenmagazin
„Doxa“ beispielsweise, über das Dittmer berichtet: „Da wurden
vier Vertreter*innen nur dafür, dass sie ein Video geteilt haben zu Strafzahlungen
und weiteren Einschränkungen verurteilt. Also das steht jeder
Form von Pressefreiheit entgegen“. Es kam auch zu zahlreichen Verhaftungen
von Lokalredakteur*innen, weil sie einzelne Videos geteilt und nur
andeutungsweise über den Krieg berichteten. Die Angst, die derzeit unter
den tätigen, russischen Journalist*innen herrscht, ist demnach groß.
Viele Quellen haben Angst sich zu äußern, ob auf mündlicher oder
44
Ein Thema Anschein von Freiheit
digitaler Ebene. Vor allem in den digitalen Kommunikationsmitteln
herrscht Ungewissheit darüber, ob diese überwacht
werden, sodass es irgendwann gegen einen verwendet
werden könnte. „Unklarheit ist selbst unter Journalist*innen
ein großer Faktor“, so Dittmer.
Ein Anschein von Freiheit
Unabhängige, regimekritische Berichterstattung ist in Russland
derzeit strafbar und somit auch non-existent. Das
Recht auf Rezipieren steht den russischen Einwohner*innen
allerdings noch zu und insoweit es ihnen im Internet möglich
ist, beanspruchen sie es auch. Man kann allerdings von
einer starken Tendenz zur jüngeren Generation sprechen,
die vermehrt Wert auf unabhängige Berichterstattung legt
und sich somit auch mit den Themen VPN oder Tor Browser
auseinandersetzt. All jene, die technisch nicht so versiert
sind, beziehungsweise keine VPN benutzen, rezipieren ihre
Informationen aus den, nach wie vor, verfügbaren sozialen
Medien „Telegram“ und „YouTube“, die für viele Russ*innen in
dieser Zeit als wichtigste Nachrichtenquellen gelten. „Dass
`YouTube` für den Moment noch freigegeben ist, wo noch viele
Desidentenstimmen zu finden sind, worüber unabhängige
Journalist*innen versuchen ihre Medienberichte zu verbreiten,
das ist so ein Zeichen, dass es eben noch nicht komplett
gekippt ist, dass man auch so ein Mindestmaß erhalten muss,
so einen Anschein von Freiheit. Aber es kippt immer weiter
und ich wäre nicht überrascht, wenn diese letzten Fenster
zur Außenwelt sozusagen Stück für Stück den Menschen
genommen werden“, meint Dittmer. Dennoch ist die Gefahr
hinsichtlich der Verbreitung von Falschinformation, vor allem
in Kriegszeiten, äußerst hoch. Weiters sagt sie: „Das sind
schon die Herausforderungen dieser Dienste, die keine
journalistische Einordnung erfahren, wo alles koexistiert,
die Desinformation, die bewusst verbreitete Falschinformation
genauso wie die unbewusst verbreitete Falschinformation,
neben qualitativ, vertrauenswürdigen Medieninhalten.“ Es
wird auch ein Trend der jungen Generation festgestellt, der
auf eine intensive Kriegsberichterstattung auf „TikTok“
hindeutet. Ukrainische Nutzer*innen teilen beispielsweise
Videos aus dem Luftschutzbunker oder starten Liveübertragungen
während der Flucht aus ihrem Dorf. Einerseits stellt
dies einen Zugang zu Quellen dar, andererseits liegt auch hier
eine große Gefahr darin, ob es sich bei den hochgeladenen
Videos tatsächlich um Aufnahmen von diesem Krieg handelt
oder diese Beiträge schlichtweg aus dem Kontext gerissen
wurden.
Die Nutzung von digitalen Medien wurde bislang vom Staat
nicht verfolgt und stellt allein daher kein Risiko dar. Für die
Rezipient*innen wird es erst dann gefährlich, wenn sie sich
öffentlich regimefeindlich äußern, indem sie beispielsweise
den verurteilten Journalist*innen ihre Sympathie und Mitgefühl
kundgeben. Dittmer meint: „Es wurde berichtet, dass
Lehrer*innen, die es wagen, offen vor ihren Schüler*innen ihre
Meinung zu äußern, mit Repression rechnen müssen, dass
sie aus ihrem Job geschmissen werden, dass sie vielleicht
auch mit Strafverfolgung rechnen müssen. Das ist wahnsinnig
gefährlich geworden.“ Viele Russ*innen zeigen sich den
Journalist*innen gegenüber trotzdem dankbar und solidarisch,
was das Risiko der unabhängigen Berichterstattung
anbelangt, welches sie täglich auf sich nehmen. Jedoch
existiert ein erheblicher Teil der russischen Gesellschaft, der
bewusst das russische Staatsfernsehen konsumiert und, fern
von jeder Art der Medienpluralität, der Staatspropaganda
Glauben schenkt und demnach denkt, vollkommen aufgeklärt
zu sein. Mueller meint, dass „die Masse der Bevölkerung im
nicht-urbanen Bereich, auch im weniger formal hoch gebildeten
Bereich, und auch eher die älteren Generationen, ihre Information
vorwiegend aus dem Fernsehen beziehen, und das ist
zu 100% vom Staat kontrolliert und auch mit der entsprechenden
Information und Propaganda versehen“.
Mit Blick auf Russlands mediale Zukunft
Eine realistische Chance auf Verbesserung ist aus Sicht der
Expert*innen derzeit kaum denkbar. Solange der Ukraine-
Krieg andauert, ist die staatliche Medienzensur erforderlich,
um eine kritische Berichterstattung über den Krieg zu behindern.
„Je mehr Gräueltaten verborgen werden müssen, desto
eher muss man einschränken, welche Informationen auch
durchdringen“, sagt Lisa Dittmer.
Auch bei Beendung der akuten Invasion wird es für den Kreml
von großer Bedeutung sein, den öffentlichen Diskurs darüber
zu verhindern. Wolfgang Mueller meint: „Weil sonst würden
die Fragen gestellt werden: Warum ist überhaupt dieser
Krieg vom Zaun gebrochen worden? Stimmen denn diese
Argumente, die der Kreml genannt hat überhaupt? Wie viele
Kosten, wie viele Verluste hat dieser Krieg der Ukraine gebracht?
Wie viele Verluste hat er auch für Russland gebracht?
Wie viele Männer sind in diesen Krieg geschickt worden und
dort ums Leben gekommen, für nichts eigentlich, für einen
Aggressionskrieg gegen ein friedliches Land?“
Im Hinblick auf ins Exil geflohene Journalist*innen, sieht
man auf kurzfristiger Sicht auch keine ausschlaggebenden
Veränderungen. Ob und wann der Krieg vorbeigeht und wie
Russlands Medienlandschaft in den nächsten 20 Jahren ihre
Entwicklung nehmen wird, ist ungewiss. Was bleibt, ist die
Hoffnung auf ein freies und modernes Russland, in dem
unabhängige, kritische Berichterstattung als wertschätzendes
Gut angenommen und gelebt wird.
Magdalena Kanev
Wolfgang Mueller / © Barbara Mair
Lisa Dittmer / © Reporter ohne Grenzen
Ein Anschein von Freiheit Thema
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sich bei seinen Leser*innen.
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Weitere Artikel zum Thema Diversität
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