Grimselwelt Magazin 2023
DAS MAGAZIN 2023 Sanierung Hopflauenen Im Herzen des Kraftwerks Roman Crkon Bergidylle – gezeichnet und gekocht Robert Itschner Der CEO der BKW zum Ausbau der Wasserkraft
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DAS MAGAZIN <strong>2023</strong><br />
Sanierung Hopflauenen<br />
Im Herzen des<br />
Kraftwerks<br />
Roman Crkon<br />
Bergidylle – gezeichnet<br />
und gekocht<br />
Robert Itschner<br />
Der CEO der BKW zum<br />
Ausbau der Wasserkraft
grimselwelt3 3<br />
editorial<br />
Wir hängen mit unserer Energieversorgung<br />
in einem fragilen Netz, dessen<br />
sind wir uns aufgrund der täglichen Arbeit<br />
bei der KWO bewusst. Dennoch war<br />
ich erstaunt zu sehen, welche Dynamik in<br />
der öffentlichen Diskussion entstanden ist.<br />
Von einem Tag auf den anderen war die<br />
Versorgungssicherheit in aller Munde. Die<br />
Politik hat die Dringlichkeit wahrgenommen<br />
und ihren Einsatz ebenfalls erhöht.<br />
Wir sind für beides dankbar,<br />
denn die Debatte, wie<br />
und woher wir Energie gewinnen,<br />
ist dringend nötig.<br />
Unsere Antwort auf die<br />
Energiekrise – das werden<br />
Sie unschwer erraten – liegt<br />
in der Wasserkraft. Wir<br />
sind überzeugt, dass unsere<br />
geplanten Projekte im Triftgebiet<br />
und am Grimselsee<br />
einen wichtigen Beitrag leisten können.<br />
Beide Vorhaben sind entscheidende Puzzleteile<br />
im Umbau der Energieversorgung,<br />
denn die Speicherseen dienen nicht nur<br />
dazu, mit ihrer Batteriefunktion im Winter<br />
Strom zu produzieren, sie helfen auch,<br />
mit der planbaren Produktion das Netz zu<br />
stabilisieren. Bereits heute ist das Grimselund<br />
Sustengebiet eine Energielandschaft<br />
mit einer ganz eigenen Geschichte, einer<br />
ziemlich langen Geschichte übrigens: Im<br />
Jahr 2025 wird die KWO 100 Jahre alt<br />
(Seite 20/21). Die neuen Projekte erachten<br />
wir auch deshalb als vielversprechend,<br />
weil sie im Wasserschloss der Schweiz realisiert<br />
werden sollen und wir sie optimal<br />
in das bestehende Anlagesystem einbinden<br />
können. Lesen Sie dazu das Interview<br />
mit Robert Itschner auf den Seiten 16 und<br />
17. Als CEO der BKW, der Hauptaktionärin<br />
der KWO, ist er ein überaus wichtiger<br />
Partner für die Realisierung unserer<br />
Grossprojekte.<br />
Die wichtigsten Pfeiler für unsere künftige<br />
Entwicklung sind aber unsere Mitarbeitenden<br />
mit ihrem Wissen und ihrer Erfahrung.<br />
Sie legen den Grundstein dafür, was<br />
die Möglichkeiten der KWO sind. Ein<br />
schönes Beispiel dafür ist die Sanierung<br />
des Kraftwerks Hopflauenen im Gadmental<br />
(Seite 4 bis 7). Hier sind viel Sorgfalt,<br />
Knowhow, gutes «Gspüri» für die Maschinen<br />
sowie eine grosse Portion Erfindungsgeist<br />
gefragt. Mit diesen Grundwerten,<br />
so bin ich überzeugt, lassen sich die<br />
künftigen Herausforderungen bewältigen.<br />
Vielen Dank allen, die sich täglich für die<br />
Wasserkraft engagieren!<br />
Herzlich, Ihr<br />
Daniel Fischlin<br />
Willkommen in der <strong>Grimselwelt</strong><br />
Sanierung Hopflauenen<br />
Im Herzen des<br />
Kraftwerks<br />
Roman Crkon<br />
Bergidylle – gezeichnet<br />
und gekocht<br />
Robert Itschner<br />
Der CEO der BKW zum<br />
Ausbau der Wasserkraft<br />
DAS MAGAZIN <strong>2023</strong><br />
In diesem Loch steckt normalerweise der Düseneinlauf, über den das Wasser auf das Rad<br />
schiesst. Chefmonteur Meinrad Infanger bei der Demontage im Kraftwerk Hopflauenen.<br />
Titelgeschichte Seite 4–7<br />
Unterhaltsarbeiten im Kraftwerk Hopflauenen<br />
Das Kraftwerk Hopflauenen wird fit gemacht für die Zukunft:<br />
Zwei Maschinen erhalten neue Einläufe und Räder. Weitere Elemente<br />
werden modernisiert.<br />
Genuss pur Seite 8–11<br />
Im Garten von Roman Crkon<br />
Der Küchenchef der Grimselhotels lässt sich für seine Arbeit von<br />
der vielfältigen, alpinen Landschaft inspirieren – einem ziemlich<br />
grossen Garten.<br />
Persönlich Seite 12–13<br />
Portraits aus der <strong>Grimselwelt</strong><br />
Frauenpower im Oberhasli: Eine Bauführerin, eine Skiwachs-Spezialistin<br />
und die gute Fee des Campingplatzes Gadmen erzählen.<br />
Im Gespräch Seite 16–19<br />
Die Ausbauvorhaben der KWO<br />
Robert Itschner, CEO der BKW, erklärt, wo er das Potential der<br />
beiden Grossprojekte Speichersee Trift und Vergrösserung Grimselsee<br />
sieht. Die BKW als Hauptaktionärin der KWO war lange<br />
zurückhaltend in Hinsicht auf Investitionen in die Wasserkraft.<br />
Diese Haltung hat sich geändert.<br />
Jubiläum Seite 20–21<br />
100 Jahre KWO<br />
Im Juni 2025 sind es hundert Jahre her, dass die KWO gegründet<br />
worden ist. Die Firma fiebert dem grossen Jubiläum bereits entgegen.<br />
Grimseltunnel Seite 22–23<br />
Ein Projekt nimmt Fahrt auf<br />
Wie wahrscheinlich ist es, dass der Grimseltunnel zwischen Innertkirchen<br />
und Oberwald realisiert wird? Der Sommer <strong>2023</strong><br />
wird Antworten aus der Politik bringen.<br />
Vielfalt Guttannen Seite 24–27<br />
Ein Bergdorf präsentiert sich<br />
An unzähligen, verschiedenen Stationen gewährten die Einwohnerinnen<br />
und Einwohner von Guttannen Einblick in das Leben<br />
in einem Bergdorf. Die Veranstaltung «Vielfalt Guttannen» zeigte<br />
eine tatsächlich überraschende Vielseitigkeit, die den Alltag an der<br />
Grimsel prägt.<br />
Baustelle Spitallamm Seite 28–31<br />
Unterwegs mit den Schalungsexperten<br />
Die Form der neuen Staumauer am Grimselpass hat es in sich: Es<br />
ist gar nicht so einfach, die Schalungen für die Betonarbeiten richtig<br />
anzubringen, denn die mächtige Mauer ist alles andere als ein<br />
Koloss aus geraden Blöcken.<br />
Impressum<br />
Herausgeber KWO Kommunikation, Innertkirchen<br />
Gestaltung und Realisation Laufwerk, Bern<br />
Konzept und Projektleitung Thomas Huber<br />
Bilder David Birri und Diego Schläppi<br />
Texte Annette Marti, Heidi Schwaiger<br />
Druck Engelberger Druck AG, Stans<br />
Auflage 20’000 Exemplare<br />
Die <strong>Grimselwelt</strong> ist ein Engagement der<br />
KWO, Kraftwerke Oberhasli AG<br />
Mix<br />
Produktgruppe aus vorbildlicher<br />
Waldwirtschaft und<br />
anderen kontrollierten Herkünften<br />
Cert no. SQS-COC-023903, SQS-COC-100061 www.fsc.org<br />
© 1996 Forest Stewardship Council
4 grimselwelt4<br />
· spitallamm baustelle<br />
grimselweltgrimselwelt · · kraftwerk hopflauenen 5<br />
Ein Wasserkraftwerk ist ein hochkomplexes<br />
Gebilde, das viel Unterhalt erfordert.<br />
Im weitverzweigten KWO-Anlagesystem<br />
gibt es fast immer irgendwo etwas zu<br />
ersetzen und zu optimieren. Derzeit werden<br />
zwei Maschinen im Kraftwerk Hopflauenen<br />
auf Vordermann gebracht.<br />
Text: Annette Marti, Fotos: David Birri<br />
«Haben wir noch etwas Luft?» ruft Monteur Adi Zurbuchen und<br />
hält den Kran an. «Gut!», tönt es von unten. «Also auf!» Der Kran<br />
surrt wieder und zerrt beharrlich am Rohr, das an zwei dicken<br />
blauen Struppen am Haken befestigt ist. Zentimeter um Zentimeter<br />
bewegt sich das wuchtige Teil in die Höhe. Es ist das Ausbaurohr,<br />
das zum Düseneinlauf und dem Laufrad der Maschine 2 im<br />
Kraftwerk Hopflauenen führt. «Wir wussten nicht genau, wie<br />
schwer die Teile sind, die wir hier ausbauen», erklärt Chefmonteur<br />
Meinrad Infanger. Zwar seien die Komponenten in Plänen<br />
dokumentiert, aber das Gewicht sei nicht immer angegeben. «So<br />
ist es nicht einfach, den Schwerpunkt zu bestimmen und das Ding<br />
richtig an den Kran zu hängen.» Das Rohr kann nur ganz gerade<br />
angehoben werden, sonst verklemmt es. Noch kniffliger wird es,<br />
den Düseneinlauf herauszubekommen, das Teil also, über dessen<br />
Nadel der Wasserstrahl direkt aufs Laufrad schiesst. Es muss zuerst<br />
horizontal aus dem Loch des Turbinengehäuses herausgezogen<br />
und dann hinauf an die Oberfläche gebracht werden.
6 grimselwelt · kraftwerk hopflauenen<br />
grimselwelt · kraftwerk hopflauenen 7<br />
Die Demontage einer gesamten Maschine geschieht nicht alle<br />
Tage. Die Arbeiten sind Bestandteil eines grossen Erneuerungsprojektes<br />
im Kraftwerk Hopflauenen im Gadmental. «Es geht darum,<br />
die Sicherheit von Personen und Anlagen zu erhöhen», erklärt<br />
KWO-Projektleiter Thomas Heiniger, «gleichzeitig<br />
ES GEHT<br />
DARUM, DIE<br />
SICHERHEIT<br />
ZU ERHÖHEN<br />
können wir die Verfügbarkeit der Maschinen verbessern<br />
und den Wirkungsgrad steigern.» Das Projekt<br />
erstreckt sich über zwei Jahre und umfasst viele verschiedene<br />
Massnahmen, an den Maschinen selbst,<br />
aber auch an vor- und nachgelagerten Prozessen. Das<br />
Kraftwerk Hopflauenen ist eingebettet in den gesamten<br />
Produktionsstrang des Gadmentals, wo das Wasser<br />
aus allen Talseiten verarbeitet wird. Die jetzt zerlegte Maschine<br />
wird unter anderem mit Wasser aus dem Triftgebiet gespiesen.<br />
Da kein Speichersee saisonale Schwankungen ausgleicht, funktioniert<br />
das Kraftwerk Hopflauenen wie ein Laufwasserkraftwerk –<br />
Strom wird also aufgrund der unmittelbaren Verfügbarkeit des<br />
Wassers produziert. Im Winter schieben die Maschinen in Hopflauenen<br />
eine eher ruhige Kugel, deshalb wird Maschine 2<br />
im Winter zerlegt und wieder fit gemacht.<br />
Ein Wasserkraftwerk ist ein hochkomplexes Gebilde,<br />
das laufend Unterhalt erfordert. Manche Bestandteile<br />
haben bereits viele Jahre auf dem Buckel und müssen<br />
ersetzt werden. Einiges verlangt auch nach modernen<br />
Lösungen. In der Elektrotechnik etwa sehen sich Kraftwerke<br />
heute Themen gegenüber, die früher unbekannt waren, zum<br />
Beispiel Cyber Security. «Wir benutzen alle Komponenten bis an<br />
ihr Lebensende und ersetzen nur, was wirklich nötig ist», erklärt<br />
Thomas Heiniger. «Das verstehen wir unter nachhaltiger Instandhaltung<br />
der Anlagen.» Oft lässt sich Altes und Neues auch clever<br />
Projektleiter<br />
Thomas Heiniger<br />
neben dem neu<br />
gefertigten Düseneinlauf<br />
im Technologiezentrum<br />
Grimsel Hydro.<br />
das auf das Laufrad trifft.<br />
Meinrad Infanger steht im<br />
Turbinengehäuse gleich neben<br />
dem Laufrad und prüft eine<br />
Stelle im runden Loch, aus<br />
dem der Einlauf entfernt worden<br />
ist. Unter normalen Umständen<br />
werden genau hier die enormen<br />
Kräfte des Wassers für die Stromproduktion<br />
gewonnen. Den ohrenbetäubenden Lärm<br />
unter dem drehenden Laufrad kann man<br />
sich in der dunklen Kammer gut vorstellen.<br />
«Wir werden das Innenleben des Düseneinlaufs<br />
komplett neu fertigen», erklärt Thomas<br />
Borer, der für den hydromechanischen<br />
Teil des Projektes verantwortlich ist.<br />
«Der Durchlass muss grösser werden.<br />
Wenn wir die Strömungsgeschwindigkeit<br />
DER DURCH-<br />
LASS MUSS<br />
GRÖSSER<br />
WERDEN<br />
aus. Das bedeutet, dass wir sie viel schneller ansteuern<br />
können.» Diese Flexibilität ist wichtig für die sogenannten<br />
Systemdienstleitungen, wenn beispielsweise<br />
die KWO angewiesen wird, mit Sofortmassnahmen<br />
das Stromnetz zu stützen. Gleichzeitig haben<br />
die Projektverantwortlichen auch im Hinterkopf,<br />
dass das Kraftwerk Hopflauenen dereinst Teil eines<br />
weiter ausgebauten Systems sein könnte. Falls sich das Projekt<br />
Speichersee Trift realisieren lässt, ist Hopflauenen mitten im Geschehen<br />
drin und die beiden «Trift-Maschinen» im Kraftwerk tun<br />
gut daran, in Form zu sein.<br />
Zwei Monate später steht in der Werkstatt in Innertkirchen ein<br />
kniffliger Moment bevor. Die Bestandteile sind bereit, nun geht<br />
es darum, den neuen Düseneinlauf zusammenzusetzen. Das Führungskreuz,<br />
die Halterung für das Innenleben des Einlaufs und<br />
das Düsenrohr, also die äussere Hülle, sitzen ganz satt. Deshalb<br />
muss das eine Rohr gekühlt und das andere gewärmt werden, weil<br />
Monsterteile<br />
erfordern millimetergenaues<br />
Arbeiten:<br />
Ausbau eines<br />
Verbindungsstücks<br />
zum Düseneinlauf.<br />
verbinden. Dabei kann die KWO auf das grosse Wissen zurückgreifen,<br />
das in verschiedenen Fachbereichen konsequent aufgebaut<br />
worden ist und das unter dem Begriff Grimsel Hydro auch<br />
externen Kunden angeboten wird. Die allermeisten<br />
Schritte des Erneuerungsprojektes können in-house<br />
gemeistert werden. Nur die Fertigung der zwei grossen,<br />
neuen Pelton-Laufräder für die Maschine 2<br />
sprengt den Rahmen dessen, was in der Werkstatt in<br />
Innertkirchen möglich ist. Sie werden aus einem<br />
Rohling in einem Werk in Italien neu hergestellt, wobei<br />
die Entwicklungsingenieure von Grimsel Hydro<br />
ein wichtiges Wort mitreden bei der genauen Dimensionierung für<br />
«ihre» Maschine. «Die jetzigen Räder haben ziemliche Verschleissspuren»,<br />
sagt Thomas Heiniger. «Wir gehen davon aus, dass sie<br />
nicht optimal ausgelegt sind. Durch eine verbesserte Geometrie<br />
erreichen wir eine wesentliche Steigerung des Wirkungsgrads.»<br />
Vergleicht man ein Kraftwerk mit seinen vielen wichtigen Zusammenhängen<br />
mit einem menschlichen Organismus, so käme das<br />
Ausbauen des Düseneinlaufs ungefähr einer Herz-Operation<br />
gleich. Der Einlauf ist ein Schlüsselelement im Wassermanagement,<br />
denn darüber lässt sich die Menge des Wassers regulieren,<br />
WIR<br />
ERSETZEN<br />
NUR WAS<br />
NÖTIG IST<br />
verändern, gibt es weniger Reibungsverlust.»<br />
Ein Zylinder bewegt sich im Einlauf<br />
vor und zurück und steuert so die Menge<br />
Wasser, die über die Nadel auf das Laufrad<br />
gelangt. Wie bei so vielen Bestandteilen der<br />
Anlagen geht es auch bei den Innereien des<br />
Düseneinlaufs um Millimeter, die zu einer<br />
Verbesserung führen.<br />
Eine Wirkungsgradsteigerung<br />
der Turbine ist der eine Teil<br />
des Projektes, Verbesserungspotential<br />
liegt aber auch bei<br />
den Steuerungen der Maschinen.<br />
So wird etwa der Turbinenregler<br />
ersetzt, der bis anhin<br />
noch mechanisch funktionierte. Matthias<br />
Flück, der den elektrotechnischen Teil der<br />
Arbeiten unter sich hat, weist auf einen<br />
wichtigen Aspekt hin: «Wir statten beide<br />
Maschinen in Hopflauenen, die mit Triftwasser<br />
gespiesen werden, mit Primärregler<br />
WIR ERHAL-<br />
TEN EINEN<br />
MILLIMETER<br />
SPIEL<br />
sie sonst nicht ineinanderpassen. Die Montage-Crew hat das Führungskreuz<br />
mit 900 Kilogramm Trockeneis gefüllt und es draussen<br />
vor der Halle auf ungefähr minus 50 Grad abkühlen lassen.<br />
Derweil ist das äussere Rohr mit Heizlüftern gewärmt worden.<br />
Thomas Borer ist gespannt, ob alles rund läuft. «Wir haben bei den<br />
beiden Teilen einen Temperaturunterschied von ungefähr 90 Grad.<br />
Das sollte reichen, dass wir knapp einen Millimeter Spiel erhalten»,<br />
sagt er. Meinrad Infanger, Steve Schneiter und Walter Rieder arbeiten<br />
zügig, aber ruhig. Mit dem Kran heben sie das<br />
Führungskreuz mitsamt Trockeneis in die Höhe und<br />
manövrieren es in das auf dem Boden stehende, äussere<br />
Rohr. Alles verläuft reibungslos. Die zwei Hüllen<br />
schieben sich ohne Murks ineinander, nur das dampfende<br />
Trockeneis verrät das spezielle Vorgehen. Zwar<br />
wird hier eine sogenannte «Spielpassung» angewendet,<br />
bei einem insgesamt über 10 Tonnen schweren<br />
Ding ist die Handhabung dennoch knifflig. Sobald die weiteren<br />
Bestandteile eingebaut sind, können die zwei neuen Düseneinläufe<br />
wieder ins Kraftwerk gebracht werden – mit dem Lastwagen werden<br />
sie direkt in den Maschinensaal in Hopflauenen gefahren.<br />
Dann beginnt der zweite Teil der Operation: Das Einsetzen der<br />
neuen Organe am Patient Turbine, der für die Zukunft fit sein soll.<br />
Teilweise müssen die Komponenten mit Trockeneis gekühlt werden<br />
(oben), damit sie wieder zusammengebaut werden können.
8<br />
grimselwelt8<br />
grimselwelt · hotel handeck 9<br />
LANDSCHAFT AUF DEM TELLER<br />
Roman Crkon, Küchenchef der Grimselhotels, ist ein<br />
Ästhet. Was er kocht, zeichnet er zuerst. Auf allen Stufen<br />
im Entstehungsprozess eines Gerichts sucht er die<br />
Perfektion. Zum Schluss zaubert er seinen Gästen ein<br />
Stück Bergidylle in essbarer Form auf den Teller.<br />
Text: Annette Marti, Fotos: David Birri<br />
LAND-<br />
SCHAFT<br />
AUF DEM<br />
TELLER<br />
Das Gericht auf dem Teller sieht aus wie ein Gemälde, wie ein<br />
Kunstwerk als essbare Variante. Verschiedene Farben und<br />
Formen spielen ineinander, glänzende Oberflächen heben sich gegen<br />
pelzige Kügelchen ab, Pulver, Schäumchen und elegant dahingeschwungene<br />
Spritzer folgen einer inneren Logik, die das Auge<br />
anspricht. Hier wird nichts dem Zufall überlassen. Die Gerichte<br />
aus der Küche von Roman Crkon sind sorgfältige Arrangements,<br />
die stets von Neuem ausloten, was kulinarisch und optisch möglich<br />
ist.<br />
Roman Crkon ist seit 2017 Küchenchef der Grimselhotels.<br />
Während der Sommersaison ist sein Arbeitsort mehrheitlich im<br />
Hotel Handeck, von Weihnachten bis zum Ende der Wintersaison<br />
verwöhnt er die Gäste im Hotel Grimsel Hospiz. Schnell fühlte<br />
sich der Slowake, der schon länger in der Schweiz lebt, in der Bergwelt<br />
wohl, fand Gefallen an all dem, was die Region an Produkten<br />
hergibt und was er teilweise direkt vor seiner Haustüre findet:<br />
Beeren, Pilze, Blumen, Tannenzweige, Kräuter und vieles mehr.<br />
Mit seiner, wie er es nennt «Feld-, Wald- und Wiesenküche» trifft<br />
er den Geschmack der Zeit und hob den Standard der Handeck-<br />
Küche von 13 auf aktuell 15 Gault Millau Punkte.<br />
Am Holztisch unter dem Gemälde des einheimischen Kunstmalers<br />
Brügger in der Stube des Hotels Handeck breitet Crkon<br />
seine Zeichnungen aus. Die Sommersonne wirft helle Lichtstrahlen<br />
vor die Fenster und schafft einen starken Kontrast zum gemütlichen<br />
Holz der Gaststube. Auf den verschiedenen Skizzen lassen<br />
sich sofort die charakteristischen Formen erkennen, die auch die<br />
Gerichte auf den Tellern ausmachen. Tatsächlich fliessen die Ideen,<br />
die sich im Kopf des Kochs zu einem Plan entwickelt haben,<br />
vorerst auf Papier. Die Arbeit mit dem Stift hilft ihm, Inspirationen<br />
festzuhalten und sie weiterzuentwickeln. «Ich habe mir immer
10 grimselwelt · hotel handeck<br />
grimselwelt11 11<br />
gut vorstellen können, wie verschiedene geschmackliche Komponenten<br />
zusammenpassen, aber ein Gericht muss nicht nur im Gaumen<br />
stimmen», sagt Crkon, «es muss auch visuell überzeugen».<br />
Ausgangspunkt seien bestimmte Aromen und Kombinationen, die<br />
ihn faszinieren, erklärt er. Er überlegt, ob bestimmte Produkte<br />
harmonieren und ob sie sich im Mund auch unterschiedlich anfühlen,<br />
knusprig zum Beispiel oder cremig, fest oder gelartig. Die<br />
Ästhetik ist dem Küchenchef aber genauso wichtig. So zeichnet er<br />
seine Speisen, feilt an den Menus, skizziert, verwirft, ergänzt, bis<br />
alles optisch stimmig ist. Nach der Zeichnung und dem Konzept<br />
für die Zutaten beginnt der Prozess in der Küche. «Das Gericht<br />
wird nie genau so, wie ich es zeichne», sagt Crkon, «die Skizze ist<br />
der Anfang. Dann wandelt sich die Kreation durch die Arbeit im<br />
Team, bis alles passt». Manchmal dauert es mehrere Monate, bis<br />
eine Idee zu einem fertigen Gericht gereift ist.<br />
Zeichnen ist für Roman Crkon seit jeher mit Kochen verbunden.<br />
Erst in letzter Zeit hat der Koch begonnen, auch in seiner<br />
Freizeit zu zeichnen und zu malen. Dabei entdeckte er, wie gut er<br />
abschalten und sich erholen kann. «Ich habe sogar angefangen, in<br />
den Ferien Landschaftsbilder zu malen», erzählt der 34-Jährige.<br />
«Das hätte ich früher nie gewagt. Es ist richtig toll!» Crkon hat<br />
ein Flair für die Natur und die Berge. «Deshalb bin ich auch so<br />
gerne hier an der Grimsel und weil ich mich beruflich frei entfalten<br />
kann», sagt er. Mit seiner Frau und seinen zwei kleinen Kindern<br />
wohnt Crkon in Guttannen. Das passe sehr gut und für die<br />
Kinder erachte er Guttannen als idealen Ort um aufzuwachsen.<br />
Er liebt auch seinen Arbeitsweg, wenn er etwa vom Hotel Grimsel<br />
Hospiz im Winter auf unterirdischen Wegen nach Guttannen<br />
zurückkehrt. «Das funktioniert viel besser als manche erwarten.<br />
Die Gäste schauen mich manchmal komisch an, wenn ich ihnen<br />
zwischen den hohen Schneemauern erkläre, dass ich nun nach<br />
Hause gehe.» Dabei sei er nach kurzer Zeit zurück bei seiner Familie<br />
– nicht durch den dichten Pendelverkehr einer Stadt, sondern<br />
mit der Seilbahn und durch die abends kaum genutzten Stollen<br />
der Kraftwerke.<br />
Neben der Küche, zur grossen Gartenanlage des Hotels hin,<br />
liegt der alpine Kräutergarten der Handeck-Küche. Vom Spielplatz<br />
her schallen Kinderstimmen und das Quietschen der Schaukel<br />
herüber. Weiter oben bei der Käserei scheppert ein Senn mit<br />
Milchkannen, von der Strasse her ist kurzzeitig ein dröhnendes<br />
Wir schaffen besondere<br />
Momente.<br />
Werde Teil von<br />
unserem Team!<br />
Motorrad zu vernehmen. Dann wird es wieder ruhig. Sommeridylle<br />
am Pass – meterhoher Schnee und Abgeschiedenheit im<br />
Winter. Die Gegensätze sind gross. Genau dies mag Roman Crkon<br />
besonders. «Wir sind nicht zwölf Monate im gleichen Trott», sagt<br />
er. «Die Jahreszeiten unterscheiden sich, die Betriebe sind anders<br />
und wir haben auch nicht die gleichen Gäste. Das macht die Arbeit<br />
sehr spannend.» Für eine Ganzjahres-Stelle ist es auch einfacher,<br />
Mitarbeitende zu gewinnen. «Ein konstantes Team macht<br />
sehr viel aus», weiss er. «Deshalb versuchen wir gute Bedingungen<br />
zu schaffen und setzen uns für den Zusammenhalt ein.» Einmal<br />
in der Woche spielt die Crew zusammen Fussball in Guttannen,<br />
manchmal, an freien Tagen geht man gemeinsam mit den Familien<br />
wandern. «Der Teamgeist ist der Schlüssel für gute Arbeit»,<br />
sagt Crkon. «Ich bin froh, dass dies bei uns recht gut funktioniert.»<br />
Roman Crkon pflückt frische Minze, Kapuzinerkresse und<br />
wilden Oregano. Nicht alle Zutaten wachsen gleich neben der<br />
Haustüre, aber doch einige. Pilze oder Beeren aus dem Wald finden<br />
den Weg in die Grimselküche, genau<br />
wie Sauerampfern oder Brennnesseln, die<br />
auf den Wiesen zu finden sind. Von den<br />
Alpschweinen stammen Speck und Fleisch,<br />
der Käse rollt fast von allein von der Sennerei<br />
hinunter zum Hotel. Die Möglichkeiten,<br />
welche die alpine Umgebung kulinarisch<br />
bietet, sind äusserst vielfältig. Blickt<br />
man sich im Handeck-Kosmos genauer<br />
um, so entsteht das Bild einer Welt mit vielen<br />
kleinen Details und versteckten Schätzen.<br />
Dieser Reichtum spiegelt sich in den<br />
kulinarischen Arrangements von Roman<br />
Crkon. Die unglaublichen Farbkombinationen<br />
des Hauptgangs scheinen direkt dem<br />
bunten Nebeneinander der Blumen auf<br />
den Wiesen entsprungen zu sein. Die fruchtigen<br />
Gelées und glacierten Kugeln des<br />
Desserts erinnern an eine Reihe von glänzenden<br />
Steinen im Bergbach. Mit etwas<br />
Fantasie lassen sich viele andere Parallelen<br />
herstellen. Das Wichtigste aber, und damit<br />
dürften am Ende des Tages nicht nur die<br />
Gäste, sondern auch das Küchenteam<br />
glücklich sein: Die Aromen der Gerichte<br />
wirken so vielfältig und überraschend wie<br />
eine frische Sommerbrise am Gelmersee<br />
oder ein Blick in den Sternenhimmel über<br />
dem Grimselpass.
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· persönlich<br />
grimselweltgrimselwelt · persönlich 13<br />
SARA RAZ<br />
DIE FRAU MIT DEM<br />
MÄNNERHIRN<br />
In manchen Dingen ticke sie nicht wie eine<br />
typische Frau, sagt Sara Raz. Vielleicht sei<br />
sie mit einem Männerhirn geboren worden.<br />
Die dreifache Mutter aus Innertkirchen<br />
lacht sogleich über ihre Aussage. Ihr Lachen<br />
wirkt fröhlich und ansteckend. Man<br />
glaubt ihr gern, dass sie immer das macht,<br />
was sie will. Der Berufsweg zur Bauführerin<br />
HF ergab sich Schritt für Schritt. Zuerst<br />
absolvierte sie eine Lehre als Hochbauzeichnerin,<br />
dann fügte sie eine<br />
Zusatzlehre als Maurerin an, weil sie die<br />
Praxis kennenlernen wollte. Später arbeitete<br />
sie als Mineurin unter Tag auf Baustellen<br />
der Gasser Felstechnik AG. «Ich liebte es! Aber ja, man muss<br />
ein bisschen einen Flick weg haben für diesen Job», nennt sie es<br />
und lacht schon wieder. Für Sara Raz war es genau das Richtige.<br />
«Ich war da im Berg, hatte ‘meinen’ Bohrjumbo mit dabei und<br />
konnte sprengen. Das war grossartig.» Noch heute fühlt sie sich<br />
wohl, auch wenn sie in einer Männerdomäne tätig ist. «Sobald<br />
die Leute rundherum merken, dass du wirklich willst und dass du<br />
arbeiten kannst, ist es okay», sagt sie. Ohnehin, so ist sie überzeugt,<br />
sei es der Ton, der die Musik ausmache – auf jeder Baustelle.<br />
Heute arbeitet sie im Familienbetrieb Maurer + Raz AG Bauun-<br />
ternehmung, betreut Baustellen und beschäftigt<br />
sich mit Kalkulation. Die technische<br />
Büroarbeit sei soweit in Ordnung,<br />
findet sie, aber eigentlich gelte ihre Liebe<br />
nach wie vor Steinen und grossen Maschinen.<br />
www.maurer-raz.ch<br />
KATJA JOSSI<br />
POST AUS<br />
NORWEGEN<br />
Sie war unsicher, was sie vom E-Mail der<br />
Servicemänner des norwegischen Biathlon-<br />
Teams halten sollte. Es gehe um «die Medaillen»,<br />
hiess es da. Es ging auch um Skiwachs,<br />
soviel war klar. Katja Jossi, ehemalige<br />
Skirennfahrerin und Servicefrau im<br />
Skiservice Hasliberg, hat ein gutes Gespür<br />
dafür. Sie arbeitet im Winter nicht nur täglich<br />
mit Skiwachs, um Skis zu präparieren,<br />
sie spürt auch schnell, was der Belag taugt,<br />
wenn sie selbst fährt. Sie wurde deshalb<br />
sofort hellhörig, als ein Freund sie fragte,<br />
ob sie helfe, ein fluorfreies Gleitwachs zu<br />
entwickeln und auf den Markt zu bringen.<br />
Jossi begann mit Testfahrten und trug ihren Kunden das neue Produkt<br />
auf: Uberschallwax heisst es und wird «im Alpenraum» von<br />
Hand gegossen. Rezept und Produktionsort bleiben Betriebsgeheimnisse.<br />
Nach den ersten Erfahrungen sagten die Kunden: «Bitte<br />
wachse wieder so. Die Skis laufen besser als früher», erzählt Jossi.<br />
Sie hatte anfangs nichts vom neuen Wachs gesagt, registrierte<br />
aber genau, wie die Reaktionen ausfielen. Und mit ihrem Feedback<br />
trugen die Kunden viel zur Entwicklung von Uberschallwax bei,<br />
denn sie bemerkten dasselbe wie Katja: Die Skis waren schnell,<br />
gleiteten vorzüglich und lange. «Ich hatte aus gesundheitlichen<br />
Gründen auf fluorfreies Wachs gehofft», sagt die Servicefrau.<br />
«Dass es so gut funktionierte, war grossartig.» Dies hatten unterdessen<br />
auch die norwegischen Servicemänner festgestellt. Als<br />
Katja Jossi einige Zeit nach Erhalt des E-Mails mit ihnen telefonierte,<br />
sagten sie ihr, von den 14 Medaillen, die die norwegischen<br />
Biathletinnen und Biathleten an den olympischen<br />
Spielen in Peking geholt hatten,<br />
seien bei 10 die Skis mit Uberschallwax<br />
präpariert gewesen. Und so kommt es,<br />
dass die kleine Firma mit Sitz in Innertkirchen<br />
heute Partner des grossen norwegischen<br />
Biathlon-Teams ist.<br />
www.uberschallwax.com<br />
LUPITA MEIER<br />
GADMEN NACH MEXI-<br />
KANISCHER ART<br />
Himmelhohe Felswände prägen das Dorfbild<br />
von Gadmen. Grüne Wiesen, dichte<br />
Waldabschnitte und wilde Flussläufe rahmen<br />
die Häuser ein – alpine Natur wie aus dem<br />
Bilderbuch. «Da, wo ich herkomme, sieht<br />
es sehr anders aus», sagt Lupita Meier und<br />
lächelt. «Dort ist alles trocken. Es wächst<br />
höchstens hie und da ein Kaktus.» Lupita,<br />
die offiziell Maria Guadalupe heisst, ist in<br />
einem Dorf in Mexiko aufgewachsen. Vor<br />
17 Jahren kam sie erstmals nach Gadmen,<br />
und zwar, weil sie den Bergführer Felix<br />
Meier kennengelernt hatte, der schon länger<br />
den Campingplatz in Obermad führte.<br />
Heute betreibt das Paar zusammen mit den zwei Töchtern den<br />
Camping ausgangs Dorf und führt das kleine Restaurant Wendenstübli,<br />
das wegen den besonders guten Pizzas beliebt ist.<br />
«Pfüdi, komm!», ruft Lupita nach dem Hund. Für eine Mexikanerin<br />
ist das schweizerdeutsche Wort wohl nicht einfach auszusprechen,<br />
es tönt mehr nach einem «Ffüdi». Aber Lupita Meier<br />
sagt es so sanft und freundlich, dass der Hund sofort die Ohren<br />
spitzt und erwartungsvoll mit dem Schwanz wedelt. «Sie wirft mir<br />
doch sicher meinen Stecken», scheint er zu fragen und ist schon<br />
bereit loszusprinten. Die Chefin lässt den Stock zwei-, dreimal<br />
über die Wiese fliegen. Pfüdi rennt und überschlägt sich fast vor<br />
lauter Freude. Lupita sagt: «Ich liebe die Natur im Gadmental.»<br />
Anfangs sei es für sie schwierig gewesen, sich an die neue Kultur<br />
zu gewöhnen. Zwar seien ihr das viele Grün, die Blumen und das<br />
Wasser wie ein Traum vorgekommen, aber mit den Gepflogenheiten<br />
in der Schweiz musste sie Schritt für Schritt warm werden.<br />
Sie vermisste ihre Verwandten in Mexiko und ihre Freunde. Die<br />
ersten Jahre lebte die Familie in beiden Welten. Den Sommer über<br />
waren die Meiers für ihre Gäste in Gadmen da, den Winter verbrachten<br />
sie in Mexiko. Als die Kinder ins Schulalter kamen, wurde<br />
es kompliziert. «Wir mussten uns entscheiden», erzählt Lupita,<br />
«und so sind wir nun das ganze Jahr in Gadmen.»<br />
Unterdessen geniesst Lupita die Umgebung und die freundliche<br />
Stimmung im Dorf. Verschiedene Frauen, die im Tal wohnen,<br />
stammen aus anderen Ländern. Jede trägt einen Farbtupfer zum<br />
gesellschaftlichen Leben bei. Lupita zum Beispiel hat andere dazu<br />
bewogen, zwischendurch in der Turnhalle Zumba zu tanzen, weil<br />
sie selbst so gerne tanzt. Durch den Umgang mit den Einheimi-<br />
schen und den Gästen lernte sie schnell<br />
Deutsch, ohne dass sie je Unterricht absolviert<br />
hätte. Mit der Zeit freundete sie sich<br />
sogar mit dem Winter an, er ist ihre liebste<br />
Jahreszeit geworden. «Ich liebe die Ruhe<br />
in den Wintermonaten», hält Lupita fest.<br />
Ihr Mann und die Töchter sind häufig mit<br />
Tourenskis oder Langlaufskis unterwegs,<br />
sie selbst mit Schneeschuhen oder zu Fuss<br />
mit Pfüdi.<br />
Vorerst gilt es aber, die arbeitsreiche Sommersaison<br />
zu Ende zu bringen. Überall gibt<br />
es Dinge zu erledigen, sei es im Wendenstübli,<br />
wo Lupita gerne alle möglichen<br />
Produkte selber herstellt, oder draussen im<br />
Garten, in den sanitären Anlagen oder bei<br />
Umgebungsarbeiten auf dem Camping.<br />
Lupita und Felix haben in verschiedenen<br />
Etappen einen wunderbaren Ort geschaffen,<br />
eine kleine Oase mitten in der Natur.<br />
Die Gebäude sind Eigenkreationen mit verspielten<br />
Details, einfach, aber funktional<br />
und freundlich. So viel wie möglich wird<br />
selber gefertigt, dies gilt sogar für das Bier,<br />
das Felix in seiner neu hergerichteten Gadmer<br />
Camping-Brauerei herstellt. Der Hopfen<br />
wächst an der warmen Holzwand des<br />
Wohnhauses. Die Pizza wird mit selbst gemachter<br />
Chilisauce nach mexikanischer<br />
Art serviert. In diesem bunten, kreativen<br />
Stilmix fühlt sich Lupita wohl und sie ist<br />
überzeugt: «Wir leben hier im Paradies.»<br />
www.camping-gadmen.ch
14 16 grimselwelt16 · aussicht grimselweltgrimselwelt · impressionen 15<br />
Die Berge sind für Diego Schläppi eine<br />
Herzensangelegenheit. Er liebt es, draussen<br />
unterwegs zu sein, sei es mit den<br />
Skis, beim Klettern, Biken oder Gleitschirmfliegen.<br />
Seit ein paar Jahren ist auf diesen Touren<br />
stets die Kamera mit dabei, wie an diesem Tag<br />
auf dem Diechtergletscher oberhalb der Gelmerhütte.<br />
Für den 22-Jährigen aus Guttannen war<br />
die Skitour mit seiner Schwester nicht nur ein besonderes<br />
Erlebnis aufgrund der schönen Landschaft<br />
und der unerwartet guten Schneeverhältnisse,<br />
es war auch das erste Mal, dass er sich<br />
nach einer Verletzungspause wieder draussen<br />
bewegen konnte. Im Sommer <strong>2023</strong> wird Diego<br />
Schläppi seine Passion ganz zum Beruf machen.<br />
Er plant den Schritt in die Selbständigkeit als<br />
Fotograf und Filmer.<br />
www.diegoschlaeppi.com
16 grimselwelt16<br />
· im gespräch<br />
grimselweltgrimselwelt · im gespräch 17<br />
braucht einen breiten Diskurs und wir müssen Kompromisse finden.<br />
Auch die Umweltverbände stehen in der Verantwortung.<br />
Wenn wir zum Schluss nirgends bauen können, können wir die<br />
Zielsetzungen der Energiewende vergessen.<br />
Interview: Annette Marti, Fotos: David Birri<br />
Robert Itschner, CEO der BKW, erklärt, welche Hoffnungen er in<br />
die Ausbauvorhaben im Triftgebiet und an der Grimsel setzt, und<br />
wie er die Projekte voranbringen möchte.<br />
Das heisst, Sie begrüssen es, wenn in der Öffentlichkeit eine breite<br />
Diskussion über das Thema Energie stattfindet?<br />
Vielleicht kann man die Situation mit der Lage während der Covid-Pandemie<br />
vergleichen: Plötzlich sahen sich alle als Virologie-<br />
Spezialisten. Jetzt ist es ähnlich. Die Menschen interessieren sich<br />
sehr stark für das Thema Energie. Bei jeder Gelegenheit werde ich<br />
darauf angesprochen. Man fragt mich dann: Und, haben wir noch<br />
Strom? Ich bin sicher, dass es hilft, wenn wir alle besser verstehen,<br />
was die wesentlichen Aspekte des Themas sind.<br />
Annette Marti: Die Energiebranche, insbesondere die Stromversorgung,<br />
ist in den letzten Monaten stark in den Fokus der Öffentlichkeit<br />
geraten. Zuvor war das Interesse an diesen Themen<br />
viel kleiner. Wie nehmen Sie den Sinneswandel wahr?<br />
Robert Itschner: Es ist tatsächlich sehr viel Bewegung in der Branche.<br />
Die Themen werden viel häufiger diskutiert, was ich auch richtig<br />
finde. Die Stromversorgung ist ein sehr zentrales Thema und es<br />
steht ausser Frage, dass man mehr unternehmen muss. Ich bin<br />
froh, ist die Politik auf den Zug aufgesprungen. Jetzt sind Erwartungen<br />
da und dementsprechend stellen wir uns auf. Die BKW<br />
will ihren Beitrag leisten.<br />
Sie sind genau in dieser dynamischen Zeit CEO der BKW geworden.<br />
Haben Sie die Entwicklungen kommen sehen?<br />
Die Energiebranche kenne ich seit vielen Jahren. Manche Personen,<br />
die die Lage über die letzten zehn Jahre beobachtet haben,<br />
sahen einiges von dem kommen, was nun geschehen ist. Das Tempo<br />
finde ich allerdings bemerkenswert. Zuvor kamen die Projekte<br />
nicht voran, die Ausbaugeschwindigkeit war nicht gross genug. In<br />
den letzten Monaten geschahen die Veränderungen plötzlich sehr<br />
schnell. Es sind für Schweizer Verhältnisse einige Gepflogenheiten<br />
rasch über Bord geworfen worden.<br />
Was fanden Sie besonders überraschend?<br />
Positiv überrascht hat mich zum Beispiel die Einigung am<br />
Runden Tisch auf die 15 Projekte in der Wasserkraft,<br />
die nun vorangetrieben werden sollen.<br />
Ich begrüsse dies sehr, war es doch davor<br />
immer schwierig, eine Übereinstimmung<br />
zu erreichen. Diese Art von Konsens<br />
werden wir in einem noch stärkeren<br />
Mass brauchen, wenn wir in der<br />
Umsetzung der Energiewende vorankommen<br />
wollen. Wir haben<br />
die Ziele noch nicht erreicht,<br />
aber ein Umdenken hat stattgefunden.<br />
Nun gilt für uns<br />
alle: Wir müssen beweisen,<br />
dass wir es hinbringen. Es<br />
Was antworten Sie auf die Frage?<br />
Ja, wir haben noch Strom. Der Füllstand der Stauseen ist gut, obschon<br />
wir einen sehr niederschlagsarmen Winter hatten. Bis jetzt<br />
ist nichts passiert, zum guten Glück. Aber es ist wichtig, dass wir<br />
nun nicht nachlassen, dass wir Energie bewusster nutzen, dass<br />
wir Einsparungen machen. Und für die BKW heisst das: Wir müssen<br />
mit Nachdruck unsere Projekte auf Kurs bringen.<br />
Welche Projekte haben für Sie jetzt Priorität?<br />
Kurzfristig sind zwei Windparks in der Pipeline, die wir schnell<br />
realisieren können, sofern sich die Einsprachen lösen lassen. Rasch<br />
umsetzbar ist auch das Projekt BelpmoosSolar. Zu den wichtigen<br />
längerfristigen Projekten gehören die Projekte der KWO mit dem<br />
Speichersee und Kraftwerk in der Trift und die Vergrösserung des<br />
Grimselsees. Diese Vorhaben bedingen aber längere Prozesse und<br />
umfassen auch eine längere Bauzeit.<br />
Welche Rolle spielt die Wasserkraft im Puzzle verschiedener<br />
Energiequellen?<br />
Die Wasserkraft ist das Rückgrat unserer Versorgung und ist der<br />
ausgleichende Faktor im Energiesystem. Aus zwei Gründen erachte<br />
ich die Projekte Trift und Grimselsee als sehr wichtig: Erstens<br />
können wir damit einen Teil der Lücke beim Winterstrom füllen<br />
und zweitens ist die Flexibilität entscheidend, die Wasserkraftwerke<br />
bieten können. Diese schnelle Einsatzfähigkeit ist unabdingbar,<br />
um das Übertragungsnetz zu stützen und spielt zudem eine<br />
wichtige Rolle, wenn der übrige Energiemix nicht funktioniert.<br />
Während vielen Jahren sah es nicht danach aus, als würde irgendjemand<br />
Interesse haben, grosse Summen Geld in die Wasserkraft<br />
investieren zu wollen. Wird die BKW als grösste Aktionärin für<br />
die Investitionen eintreten?<br />
Natürlich sind noch sehr viele Schritte nötig, aber ich gehe zum<br />
jetzigen Zeitpunkt davon aus, dass wir die Investitionsentscheide<br />
fällen können. Wir haben durch die aktuelle Debatte Rückenwind<br />
und deshalb macht es Sinn, aufs Gas zu drücken. Die offenen Themen<br />
werden wir eines nach dem anderen angehen. Ich denke etwa<br />
an die Abklärung zu den Fördergeldern, die in Aussicht gestellt<br />
wurden, oder den Punkt der Gesamterneuerung der Konzession.<br />
Die Neukonzessionierung wird für die KWO im Jahr<br />
2042 fällig. Wenn Investitionen in grosse Projekte<br />
getätigt werden, müsste ja klar sein, ob sich in<br />
Hinsicht auf die Gesamtkonzession etwas ändert.<br />
Natürlich brauchen wir in dieser Hinsicht eine gewisse<br />
Sicherheit. Wie der Prozess der Konzessionserneuerung<br />
genau ablaufen wird, ist noch nicht im Detail<br />
geklärt. Aber wir sind uns bewusst, dass wir den richtigen<br />
Zeitpunkt erwischen müssen, um dieses Thema voranzubringen.<br />
Es braucht in der Sache Transparenz gegenüber<br />
der Politik, da bin ich überzeugt. Ich hoffe, so erreichen<br />
wir umgekehrt auch, dass die Politik klar Stellung nimmt<br />
zur Konzessionserneuerung.<br />
ZUR PERSON Robert Itschner (56)<br />
ist seit 1. Oktober 2022 CEO der BKW. Zuvor<br />
war der diplomierte Elektroingenieur mit<br />
einem Master in Electrical Engineering<br />
and Computer Sciences in verschiedenen<br />
Führungsfunktionen im Industriekonzern<br />
ABB tätig, zuletzt als Vorsitzender der Geschäftsleitung<br />
von ABB Schweiz mit rund<br />
4000 Mitarbeitenden. Er ist im Vorstand<br />
von Economiesuisse und Präsident der<br />
Kommission für Energie und Umwelt. Robert<br />
Itschner wohnt in Bern, ist verheiratet<br />
und Vater von drei erwachsenen Kindern.<br />
das Momentum nutzen können, um Nägel<br />
einzuschlagen. Der Druck ist auf jeden Fall<br />
gestiegen und dies nach allen Seiten hin. Es<br />
bedeutet wohl auch, dass man sich beispielsweise<br />
bei Einsprachen stärker rechtfertigen<br />
muss.<br />
Welches der beiden KWO-Projekte hat für<br />
Sie Priorität? Trift oder Grimselsee?<br />
Der Speichersee an der Trift. Und zwar,<br />
weil wir damit zusätzliche Kapazitäten gewinnen<br />
und das Projekt damit auch wirtschaftlich<br />
interessant ist.<br />
Was erwarten Sie von der KWO, damit es<br />
vorwärts geht?<br />
Ich habe den Eindruck, die KWO ist gut<br />
aufgestellt und hat den bisherigen Planungsprozess<br />
gut durchgeführt, indem die<br />
Umweltorganisationen eng miteinbezogen<br />
worden sind. Natürlich kommt nun auch<br />
auf die KWO sehr viel Arbeit zu, etwa in<br />
Hinsicht auf die Detailplanung, die Konzessionen<br />
und die Baubewilligung. Alle<br />
diese Prozesse brauchen sehr viel spezifisches<br />
Wissen. Die BKW wird sich an dieser<br />
Anstrengung beteiligen, wir werden uns<br />
miteinander fit machen, um die Vorhaben<br />
durchzubringen. Aber ganz ehrlich: Es ist<br />
doch eine unglaublich spannende Angelegenheit.<br />
Wer kann schon in seiner beruflichen<br />
Karriere an einem solchen Projekt<br />
mitarbeiten? Das gibt es nicht jeden Tag.<br />
Es wird verschiedene politische Entscheide brauchen,<br />
um die Projekte voranzubringen. Glauben Sie, die<br />
Stimmung wird anhalten?<br />
Die Krise hat im Energiebereich eine gewisse<br />
Alarm-Stimmung ausgelöst. Wie lange diese<br />
Dringlichkeit anhält, lässt sich nicht sagen, aber<br />
es dürfte entscheidend sein. Ich hoffe, dass wir<br />
Wo sehen Sie die KWO in 20 Jahren?<br />
Ich hoffe, dass die erwähnten Projekte vorankommen,<br />
und ich bin mir sicher, dass<br />
die KWO auch in Zukunft eine wesentliche<br />
Stütze der Schweizer Energieversorgung<br />
sein wird. Die Beständigkeit scheint<br />
mir der Hauptwert der KWO zu sein.
18 grimselwelt · winterspeicher<br />
grimselwelt · winterspeicher 19<br />
Die Energiekrise hat den Ausbauvorhaben der KWO neuen<br />
Schub verliehen. Im Sommer <strong>2023</strong> wird der Grosse Rat des<br />
Kantons Bern über die Konzession für den Speichersee im Triftgebiet<br />
befinden. Die Einreichung des Baugesuchs ist für 2024<br />
geplant. Hier die wichtigsten Fakten zum Stand der Projekte.<br />
EINIGUNG<br />
RUNDER<br />
TISCH<br />
Unter der Leitung der ehemaligen<br />
Bundesrätin und Energieministerin<br />
Simonetta Sommaruga sind am Runden<br />
Tisch Wasserkraft 15 Projekte<br />
identifiziert worden, die prioritär und<br />
möglichst rasch realisiert werden<br />
sollen. Beteiligt an diesem Gremium waren verschiedene Vertreterinnen<br />
und Vertreter von Bund und Kantonen, Wasserkraftunternehmungen<br />
und Umweltverbänden. Die Akteure beurteilten<br />
ihre Vorschläge aufgrund einer Gegenüberstellung vom energetischen<br />
Nutzen der jeweiligen Projekte und den Auswirkungen<br />
auf die Biodiversität und Landschaft. Würden die 15 Speicherprojekte<br />
umgesetzt, so hält das Gremium fest, wäre es möglich, bis<br />
ins Jahr 2040 das Ziel der zusätzlichen saisonalen Speicherproduktion<br />
im Umfang von zwei Terawattstunden zu erreichen. Zu<br />
den identifizierten Projekten gehören auch der neue Speichersee<br />
im Triftgebiet und die Vergrösserung des Grimselsees.<br />
NEU<br />
KONZESSIONIERUNG<br />
Die Kraftwerke Oberhasli AG hat wie alle anderen Wasserkraftwerke<br />
in der Schweiz eine Gesamtkonzession zur Nutzung<br />
der Gewässer in ihrem Einzugsgebiet. Diese Konzessionen<br />
werden von den jeweiligen Kantonen vergeben und<br />
müssen innerhalb einer bestimmten Frist neu beantragt<br />
werden, in der Regel geschieht dies innerhalb von 60 bis 80 Jahren. Nach Ablauf der Konzession<br />
gehen die Anlagen entweder an den Kanton über (Heimfall) oder die Wasserkraftunternehmung<br />
erhält eine Neukonzession. Die Gesamtkonzession der KWO läuft im Jahr<br />
2042 aus.<br />
BKW/<br />
KWO<br />
Die Kraftwerke Oberhasli AG<br />
gehört zur Hälfte der BKW<br />
Energie AG. Die andere Hälfte<br />
des Aktienkapitals teilen sich<br />
zu je einem Sechstel Partner<br />
in Schweizer Grossstädten:<br />
die Industrielle Werke Basel (iwb), die Energie<br />
Wasser Bern (ewb) sowie das Elektrizitätswerk<br />
der Stadt Zürich (ewz).<br />
Visualisierung Speichersee Trift<br />
(KWO, Birri/Ormerod)<br />
Das Wasser aus dem Triftgebiet wird bereits heute für die Stromproduktion<br />
der KWO gefasst und verarbeitet. Es besteht allerdings keine Speichermöglichkeit,<br />
sodass das Wasser abfliesst, vor allem in den Sommermonaten,<br />
wenn bereits viel Energie im Netz vorhanden ist. Der<br />
Speichersee an der Trift ist in einem Geländebecken geplant, das durch<br />
den Rückzug des Triftgletschers entstanden ist. Er könnte rund 85 Millionen<br />
Kubikmeter Wasser zurückhalten, das gezielt für die Stromproduktion<br />
im Winter verwendet würde. Mit dem Speichersee und dem neuen<br />
Kraftwerk Trift liesse sich eine zusätzliche Produktion von 145 Gigawattstunden<br />
pro Jahr gewinnen. Weiter könnten im Speichersee zusätzliche<br />
215 Gigawattstunden Energie für den Winter gespeichert werden. Eine<br />
Studie der Versuchsanstalt für Wasserbau, Hydrologie und Glaziologie<br />
(VAW) hat ergeben, dass im Wassereinzugsgebiet auch nach dem Abschmelzen<br />
des Gletschers noch deutlich mehr Wasser in Form von Niederschlag<br />
anfallen wird, als im neuen See gespeichert werden kann.<br />
Der Triftsee wäre ein weiteres wichtiges Puzzleteil im Anlagensystem der<br />
KWO und die Stromproduzentin könnte damit einen grösseren Beitrag<br />
zur Energiewende leisten. Der neue Speichersee erlaubt es nicht nur,<br />
Strom dann zu produzieren, wenn er knapp ist, sondern kann auch als<br />
SPEICHERSEE UND<br />
KRAFTWERK<br />
TRIFT<br />
Batterie dienen, um Mangellagen im Winter zu<br />
überbrücken. Bei der Erarbeitung der Konzessionsunterlagen<br />
waren bereits in einer frühen<br />
Phase verschiedene Interessengruppen mit<br />
eingebunden: Behördenvertreter, Politiker aus<br />
Kanton und Gemeinden, wie auch Delegierte<br />
des WWF, von Pro Natura, Stiftung Landschaftschutz,<br />
SAC und Fischereiverband.<br />
Eckpunkte Triftprojekt<br />
- Investitionen: rund 400 Millionen Franken<br />
(Stand 2019)<br />
- Bauzeit: 6-8 Jahre<br />
- Höhe Staumauer: 130 Meter<br />
- Kronenlänge: 330 Meter<br />
- Mauertyp: Doppelt gekrümmte Bogenmauer<br />
- Konzessionsgesuch: Im Juni <strong>2023</strong> wird der<br />
Grosse Rat des Kantons Bern über die<br />
Konzession entscheiden<br />
- Einreichung Baugesuch: 2024<br />
Die Seevergrösserung an der Grimsel steht<br />
schon seit vielen Jahren zur Debatte. In den<br />
1980er-Jahren hatte die KWO das Grossprojekt<br />
Grimsel-West angestossen, das jedoch Ende<br />
der 1990er-Jahre aufgrund starker Opposition<br />
auf Eis gelegt wurde. Eine redimensionierte<br />
Variante kam im Rahmen des Investitionsprogramms<br />
KWO plus 2005 wieder auf den Tisch,<br />
ist bisher aber nicht umgesetzt worden aufgrund<br />
verschiedener Beschwerden. Die KWO<br />
hält an ihrem Projekt fest, die beiden Staumauern<br />
des Grimselsees, die Seeuferegg und<br />
die Spitallamm um je 23 Meter zu erhöhen. Damit<br />
würde das Fassungsvermögen des Sees<br />
von bisher 94 Millionen auf 170 Millionen Kubikmeter<br />
steigen und der Energieinhalt nähme<br />
von 270 auf 510 Gigawattstunden pro Jahr zu.<br />
Das wiederum bedeutet, dass das Wasser vermehrt<br />
im Winter zu Strom verarbeitet werden<br />
kann, dann wenn der Bedarf am höchsten ist.<br />
Die gesteigerte Flexibilität in der Stromproduktion<br />
erlaubt es der KWO auch, wichtige<br />
Aufgaben zu erfüllen wie etwa, das Stromnetz<br />
in der Schweiz zu stabilisieren. Die neue Staumauer,<br />
die derzeit an der Spitallamm gebaut<br />
wird, steht nicht im Zusammenhang mit einer<br />
allfälligen Erhöhung – sie wird die gleiche<br />
Höhe aufweisen wie die alte Mauer.<br />
Die Vergrösserung des Grimselsees ist wie<br />
der Speichersee Trift eines der Projekte, die<br />
der Runde Tisch Wasserkraft als prioritär betrachtet.<br />
Die aktuelle politische Debatte über<br />
die Dringlichkeit in der Stromversorgung erhöht<br />
den Druck, die Sache voranzubringen.<br />
Dennoch ist für das Vorhaben ein Konzessions-<br />
wie auch ein Baubewilligungsverfahren<br />
nötig. Die Rechtsmittel bleiben die gleichen<br />
wie bisher.<br />
Eckpunkte Vergrösserung Grimselsee<br />
- Investitionen: rund 235 Millionen Franken<br />
(Stand 2019)<br />
- Bauzeit: ca. 6 Jahre<br />
- Staumauer Seeuferegg:<br />
jetzt 42 Meter, nachher 65 Meter<br />
- Staumauer Spitallamm:<br />
jetzt 113 Meter, nachher 136 Meter<br />
- Konzessionsgesuch: Unterlagen werden<br />
derzeit von der KWO überarbeitet. Geplant<br />
ist, das Gesuch Ende <strong>2023</strong> einzureichen.<br />
VERGRÖSSERUNG<br />
GRIMSELSEE
20<br />
grimselwelt · 100 jahre<br />
grimselwelt21 21
22 grimselwelt · grimselbahn<br />
grimselwelt · grimselbahn 23<br />
BAHN<br />
FREI<br />
AN DER<br />
GRIMSEL?<br />
Text: Annette Marti<br />
Die Idee ist bestechend: Unter dem<br />
Grimselpass hindurch sollen Bahn und<br />
Höchstspannungsleitung in eine<br />
gemeinsame Tunnelanlage verlegt<br />
werden. Im Sommer <strong>2023</strong> stehen<br />
wichtige politische Entscheide zum<br />
Grimseltunnel an.<br />
Seit langer Zeit träumen die Bergkantone<br />
Bern und Wallis von einer direkten<br />
Bahnverbindung zwischen dem Oberhasli<br />
und dem Goms. Bereits 1850 kam ein erstes<br />
Tunnelprojekt ins Gespräch, seither folgten<br />
viele andere. Keines ist umgesetzt worden.<br />
Möglicherweise steht mit dem Grimseltunnel<br />
nun ein Projekt näher an der Realisierung<br />
als alle anderen zuvor. In den letzten<br />
Jahren hat sich eine vielversprechende<br />
Möglichkeit eröffnet: Swissgrid als Betreiberin<br />
des Schweizer Übertragungsnetzes<br />
sieht für den Ersatz der Höchstspannungsleitung<br />
über den Grimselpass eine unterirdische<br />
Variante vor. Die Initiantinnen und<br />
Initianten des Grimseltunnels wollen diese<br />
Gelegenheit beim Schopf packen und<br />
brachten die Idee einer gemeinsam genutzten<br />
Tunnelanlage vor. Bahnschienen und<br />
Stromkabel sollen in zwei parallelen Stollen<br />
verlaufen. Ein Tunnel mit zwei Röhren<br />
hat grosse bautechnische Vorteile und ist<br />
deshalb kosteneffizient. In den letzten Jahren<br />
ist das Projekt konkretisiert worden, in<br />
den Regionen findet die Idee breite Unterstützung.<br />
Mit dem Tunnel liessen sich<br />
wichtige neue Impulse im Tourismus setzen,<br />
argumentieren die Befürworter, und die jeweiligen<br />
Orte wären wintersicher erschlossen.<br />
Die grossen Sympathien für das Tunnelprojekt<br />
waren im vergangenen Sommer<br />
auch daran zu erkennen, dass an verschiedenen<br />
überraschenden Orten plötzlich<br />
Zug-Waggons in der Landschaft standen.<br />
Ob tatsächlich dereinst ein Zug von Innertkirchen<br />
nach Oberwald fährt, dürfte sich<br />
im Sommer <strong>2023</strong> weiter klären. Das Projekt<br />
steht auf der politischen Agenda. Der<br />
Ständerat hat entschieden, den Bundesrat<br />
zu Dringlichkeit zu mahnen, da das Zeitfenster<br />
für die Realisierung bei dem gebündelten<br />
Projekt von Stromkabel und Bahnschiene<br />
nicht beliebig lang offen sei. Es brauche einen<br />
schnellen Entschluss zur Finanzierung. Nach<br />
dem Ständerat wird sich der Nationalrat<br />
mit dem Grimseltunnel beschäftigen. Die<br />
Debatte nimmt also Fahrt auf und wird<br />
zeigen, ob sich das Projekt im Wettkampf<br />
mit anderen grossen Infrastrukturvorhaben<br />
durchsetzen kann.<br />
Streckenführung<br />
Nebaustrecke<br />
Nordportal<br />
Südportal<br />
Neue Haltestellen<br />
BAHNHOF<br />
INNERTKIRCHEN<br />
Meiringen-Innertkirchen-Guttannen-<br />
Handeck-Grimselpass-Oberwald<br />
23 Kilometer zwischen Innertkirchen<br />
und Oberwald<br />
NORDPORTAL DES<br />
GRIMSELTUNNELS<br />
Innertkirchen ausgangs Dorf, 650 m ü. M.<br />
Bahnhof Oberwald, 1368 m ü. M.<br />
Guttannen (in offener Galerie),<br />
Handeck (unterirdisch)<br />
HALTESTELLE<br />
HANDECK<br />
HALTESTELLE<br />
GUTTANNEN<br />
Die Zahlen entstammen<br />
den Projektgrundlagen der<br />
Grimselbahn AG,<br />
www.grimseltunnel.ch<br />
23<br />
T U N N E L L Ä N G E<br />
KILOMETER<br />
718<br />
H Ö H E N M E T E R<br />
METER<br />
6.60 x<br />
5.22<br />
METER<br />
B A H N S TO L L E N ( H x B)<br />
15<br />
FA H R P L A N A N G E B OT<br />
B A U Z EIT<br />
ZÜGE<br />
PRO TAG UND<br />
RICHTUNG<br />
7<br />
JAHRE<br />
660<br />
G E S A M T K O ST E N<br />
MIO. CHF<br />
SÜDPORTAL DES<br />
GRIMSELTUNNELS<br />
BAHNHOF<br />
OBERWALD
grimselwelt · vielfalt guttannen<br />
überraschend<br />
24 grimselwelt24<br />
25<br />
vielfältig<br />
Text: Heidi Schwaiger, Fotos: David Birri<br />
Ein Dorffest der anderen Art: Bei «Vielfalt<br />
Guttannen» im Juni 2022 waren viele (Garagen)<br />
Türen und Gärten geöffnet, es wurde<br />
geturnt, getängelt, gesägt, geblasen<br />
und gebacken. Im Mittelpunkt aber stand<br />
ganz klar: das Dorfen.<br />
Kennen Sie die versteckte Gasse auf der Sonnseite in Guttannen?<br />
Sie ist teilweise so schmal, dass kein Fahrzeug hindurchpasst.<br />
Dort, inmitten der sonnenverbrannten Holzhäuser, über<br />
deren Dächer sich die frisch gemähten Wiesen an die steilen Berghänge<br />
schmiegen, hat sich Reto Schläppi mit seinem Instrument<br />
aufgestellt. Die übrigen Alphorner des Quartetts «Bäärghoore»<br />
stehen in versteckten Ecken und bringen mit ihren Blasinstrumenten<br />
die Gasse zum Brodeln; ein sonores, harmonisches Dröhnen<br />
durchdringt jeden Winkel und lässt die Zeit für einen Augenblick<br />
stehen bleiben. In die Stille nach dem Verklingen der letzten<br />
Töne dringt das Plätschern eines nahen Dorfbrunnens.
26 grimselwelt · vielfalt guttannen<br />
grimselwelt27 27<br />
Brunnen sind in Guttannen allgegenwärtig.<br />
Ein beliebter Treffpunkt zum<br />
Dorfen und Wassertanken in früherer Zeit<br />
und ebenso bei «Vielfalt Guttannen» im<br />
Juni 2022. Im Ortsteil Boden und in Guttannen<br />
gab es während eines Wochenendes<br />
38 Stationen zu erkunden. «Das grosse<br />
Echo auf unseren Aufruf hat uns selbst<br />
überrascht», sagt Ruth Rufibach vom Organisationsteam<br />
beim gemeinsamen Fototermin.<br />
Wie erklärt sie sich das? «In Guttannen<br />
sind wir von jeher aufeinander angewiesen,<br />
so etwas prägt die Menschen»,<br />
so Ruth Rufibach. Rosmarie Willener ergänzt<br />
stolz: «Alle machen auf ihre Art mit,<br />
zeigen das, was sie am besten können oder<br />
etwas ganz anderes.» Und das ist eine Menge,<br />
wie bei einem Rundgang klar wird.<br />
flohmarkt,<br />
akrobatik<br />
und cheechlen<br />
Fränzi von Bergen beispielsweise hat in<br />
ihrem Garten im Flesch einen kleinen<br />
Flohmarkt arrangiert. Bereits um 9.30, als<br />
die Sonne langsam über die Gneiszacken<br />
kriecht, verhandelt sie Preise, packt getupfte<br />
Porzellantassen ein und erzählt die<br />
Geschichte eines alten schwarzen Telefons<br />
mit Wählscheibe, das die Enkelkinder gar<br />
nicht mehr als solches erkennen. Es<br />
herrscht familiäre Stimmung, ein Kommen<br />
und Gehen. Auch eine Station weiter<br />
bei Sepp Häfliger im Boden. Der versierte<br />
Kristallkenner hat eine Vorführung zum<br />
Thema Kristalloptik vorbereitet und zeigt<br />
in seiner Werkstatt, wie sich Lichtstrahlen<br />
in verschiedenen Kristallen brechen. Man<br />
Das Organisationsteam (vlnr): Diego Schläppi, Rosmarie Willener, Ruth Rufibach, Erina Rufibach, Barbara<br />
Willener und Res Huber. Es fehlt: Sepp Häfliger.<br />
hört dem Mann mit dem schlohweissen<br />
Haupt gerne zu; er kennt die Strahlerei im<br />
Haslital und im Ausland, vor allem in Afghanistan,<br />
von wo er eine Menge Steine<br />
mitgebracht hat. «Man kann nur ein paar<br />
Monate pro Jahr Kristalle suchen. Daher<br />
habe ich angefangen, Kristalle zu schleifen,<br />
Kunstwerke herzustellen und mir weiteres<br />
Wissen anzueignen», erzählt er mit<br />
ruhiger Stimme und rollt ein selbstgeschliffenes<br />
Kristallglas in den Händen.<br />
Laut und lebhaft wird es kurze Zeit später<br />
auf dem Turnplatz der Schule Guttannen.<br />
Fünf Mädchen der Zirkusgruppe «Tannestelli»<br />
bilden Menschenpyramiden, jonglieren,<br />
zeigen Choreografien auf zwei und<br />
vier Rädern. In der Turnhalle können sich<br />
alle Interessierten in ein langes, blaues<br />
Tuch wickeln und selbst Kunststücke ausprobieren.<br />
Salziges und Süsses gibt es wenige<br />
Meter weiter bei Theres von Weissenfluh.<br />
Sie erklärt den Besuchern, die zu<br />
zweit oder in Gruppen vorbeikommen,<br />
wie sie und ihre Familie jeden Winter<br />
Cheechleni backen, deren Teig in gemeinsamer<br />
Arbeit so dünn ausgezogen wird, dass<br />
er fast durchsichtig ist. Ihr Enkel Matteo<br />
wiederum lässt den Fäderschoss fliegen –<br />
eine Art Pfeil, der mit einem Stock geworfen<br />
wird. Das selbstgeschnitzte Spielzeug<br />
war im Haslital bekannt, als es noch kein<br />
Fernsehen und Internet gab. Ebenfalls ein<br />
altes Handwerk zeigt Heinz Schläppi: er<br />
tängellet für Interessierte seine Sensen und<br />
erzählt, was ihm sein Grossvater, der 1898<br />
geboren wurde, sonst noch alles über das<br />
aussterbende Handwerk des Mähens beigebracht<br />
hat.<br />
Für Abkühlung an diesem Sommertag<br />
sorgt ein frisch gemixter Fruchtdrink der<br />
8.-Klässler im schattigen Pfarrersgarten.<br />
Oder das Wasser im Granitbrunnen vor der<br />
Gemeindeverwaltung. Dieser ist nur ein<br />
paar Schritte entfernt – so wie alles im Bergdorf<br />
an der Grimsel, das an diesem Wochenende<br />
nicht nur seine Vielfalt, sondern<br />
auch den generationenübergreifenden Zusammenhalt<br />
eindrücklich demonstrierte.
28<br />
grimselwelt28 · spitallamm staumauer<br />
grimselweltgrimselwelt · spitallamm baustelle 29<br />
Etappe für Etappe, Block für Block wächst die<br />
Staumauer Spitallamm am Grimselpass in die<br />
Höhe. Damit der Bauplan eingehalten werden<br />
kann, müssen die Teams Hand in Hand arbeiten –<br />
auf der Mauer, aussen an der Mauer,<br />
unterhalb und innerhalb der Mauer.<br />
Text: Annette Marti, Fotos: David Birri<br />
MASS-<br />
ARBEIT<br />
AM AB-<br />
GRUND<br />
Bei Sergio da Silva, Licinio José und<br />
Christian Abegglen würde man gerne<br />
zum Kaffee einkehren. Ihr kleiner,<br />
roter Baustellen-Container ist praktisch<br />
eingerichtet und wirkt behaglich. Auf den<br />
Regalen findet sich alles, was man für eine<br />
Pause benötigt: Kaffeemaschine und Mikrowellenherd,<br />
Tassen und Trinkflaschen<br />
nach Namen der Arbeiter geordnet. Daneben<br />
stapeln sich Werkzeuge, Sicherungsgeräte,<br />
Handschuhe, warme Jacken und<br />
Überhosen. Wir befinden uns ungefähr 60<br />
Meter über Boden, auf einem der Blöcke<br />
der neuen Spitallamm-Mauer. In der Bausaison<br />
2022 ist die neue Staumauer bereits<br />
beachtlich gewachsen. Die Schalungsequipen,<br />
zu denen auch da Silva, José und<br />
Abegglen gehören, verrichten ihre Arbeit<br />
abwechselnd mit den Betonequipen auf den<br />
unterschiedlich hoch betonierten Blöcken,<br />
die von weitem aussehen wie Festungstürme<br />
einer gigantisch grossen Burganlage. Das<br />
Anbringen der Schalungen gleicht einem<br />
Seiltanz, gilt es doch, die Elemente für die<br />
nächsthöhere Etappe aussen an der Mauer<br />
zu verankern. An den Blick in die Tiefe haben<br />
sich die Arbeiter gewöhnt, trotzdem<br />
werden die Arbeitstage mit jedem betonierten<br />
Meter anstrengender. Denn mit der<br />
Mauer wachsen auch die Treppengerüste,<br />
die auf die Mauerblöcke führen. So müssen<br />
die Arbeiter bald schon fast einen halben<br />
Eiffelturm hinaufsteigen, um bei Schichtbeginn<br />
zu den Bauplätzen zu gelangen. Aus<br />
diesem Grund haben sich die Teams auf<br />
den Blöcken so eingerichtet, dass sie möglichst<br />
selten auf und ab klettern müssen.<br />
Weder für den Gang aufs WC, noch fürs<br />
Mittagessen müssen sie einen zusätzlichen<br />
Treppenlauf absolvieren.<br />
Für Kaffeetrinken ist an diesem sonnigen<br />
Herbstmorgen gerade keine Zeit. Der<br />
grosse Kran lässt ein Stück Schalung anfliegen,<br />
das an der Blockkante entgegengenommen<br />
werden muss. Sergio da Silva<br />
steht am Klettergurt gesichert auf einer Arbeitsplattform<br />
über dem Abgrund und gibt<br />
dem Kranführer mit der Hand Zeichen.<br />
Das Element, das am langen Seil des Krans<br />
baumelt, muss seinen Weg finden auf die<br />
nur wenig herausragenden Anker, an der<br />
die Schalungen eingehängt werden. «Ist<br />
nicht schwierig», ruft da Silva, lacht und<br />
packt einen Stahlträger der Schalung, rüttelt<br />
daran, bis die Position stimmt. Die Anker<br />
sind das Herzstück des Systems. Sie<br />
sind im unteren Block angebracht und dienen<br />
als Abstützung der einzelnen Elemente.<br />
Die nach unten weisenden «Füsse» der<br />
Schalung drücken gegen den bereits betonierten<br />
Block und stellen sicher, dass die<br />
obere Wand, hinter der der frische Beton
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grimselweltgrimselwelt · spitallamm baustelle 31<br />
Die Kletterschalungen<br />
verleihen den Betontürmen<br />
das Aussehen<br />
einer mittelalterlichen<br />
Burg. Sie werden<br />
Etappe für Etappe<br />
hochgezogen.<br />
stockt es beim Einbringen des Betons. Sofern keine neuen Schalungen<br />
vom Bauplatz unten herauftransportiert werden müssen, erledigt<br />
Christian Abegglen mit seinem kleinen Wippkran vom<br />
Block aus das Heraufziehen und Ausrichten. «Zuerst musste ich<br />
herausfinden, wie ich am besten arbeite, denn aus der Kabine sieht<br />
man die Anker nicht», erklärt er. Auch in den Ecken des Blocks<br />
muss Abegglen geschickt manövrieren, damit er den Ausleger seines<br />
Krans überhaupt richtig bewegen kann. «Wenn wir im Team<br />
gut kommunizieren, dann geht es.» Sergio da Silva überprüft unterdessen<br />
mit Tachimeter und Tablet, wie das Schalungselement<br />
genau ausgerichtet werden muss. Da die Crew auf einem sogenannten<br />
Nachläufer arbeitet, also einem Block der hinter den<br />
beidseitig hochaufragenden Türmen hinterherhinkt, müssen nur<br />
an zwei Seiten Schalungen angebracht werden. Wie Kacheln werden<br />
die Schalungen und damit auch die Betonblöcke aneinandergereiht,<br />
so dass am Schluss die doppelt gekrümmte Bogenmauer zwischen<br />
den Felswänden der Spitallamm steht. Wenn die Schalungen am<br />
eingebracht wird, stabil bleibt. Die Elemente sind sogenannte<br />
Sperrenschalungen. Sie klettern mit der Mauer himmelwärts, indem<br />
man sie zum nächsten Block hinaufzieht, wenn eine neue<br />
Etappe betoniert wird. «Das System war vor Jahren im Kanton<br />
Glarus beim Bau der Staumauer Linth Limmern im Einsatz,<br />
danach wurden die Teile nach Kanada verschifft für ein anderes<br />
Grossprojekt», erklärt Paul Baumgartner, Aussendienstmitarbeiter<br />
Doka Schweiz. Seit 2018 beschäftigt sich Baumgartner mit<br />
der Spitallamm-Mauer, als sein Arbeitgeber, die weltweit tätige<br />
Schalungs-Unternehmung Doka, einen Lösungsvorschlag für die<br />
ausgeschriebenen Arbeiten eingab. Der Aussendienstmitarbeiter<br />
erklärt: «Bereits bei der Submission und natürlich im Anschluss<br />
an die Vergabe mussten wir alle Schritte bis ins Detail planen.»<br />
Jeder Block der neuen Staumauer unterscheidet sich vom anderen.<br />
Die Form des Bauwerks ist polygonal, weist also viele<br />
Ecken, beziehungsweise Krümmungen auf, obschon die<br />
Mauer aus der Entfernung wie halbrund wirkt. Die einzelnen<br />
Schalungswände sind starr, aber zwischen den Elementen<br />
sorgen Knicke für die richtige Form.<br />
Die Anwendung der Elemente mussten die<br />
verschiedenen Schalungsequipen der ausführenden<br />
Unternehmungen im Detail erlernen.<br />
Als Instruktor stand dafür Stefan Brugger<br />
im Einsatz, Richtmeister bei Doka Schweiz.<br />
«Sicherheit ist das oberste Gebot», sagt er.<br />
«Die Abläufe müssen genau stimmen, das<br />
haben wir intensiv geübt. Wir sind hier<br />
ziemlich weit über dem Boden. Ausserdem<br />
wird bis spät in die Nacht<br />
gearbeitet.» Trotz allen Sicherheitsvorkehrungen<br />
müssen die<br />
Schalungsarbeiten zügig vorangehen<br />
können, denn sonst<br />
aktuellen Block befestigt sind, wird Christian Abegglens «Kränchen»<br />
vom grossen Kran durch die Luft zum nächsten Arbeitsplatz befördert.<br />
Er selbst muss zu Fuss los, den ganzen Gerüstturm hinabsteigen<br />
und beim nächsten Block wieder hinauf.<br />
Paul Baumgartner und Stefan Brugger wollen derweil einen<br />
Blick in die Verbindungsgänge der Staumauer werfen und<br />
sehen, wie die Arbeiten dort vorankommen. Man könnte<br />
vielleicht meinen, eine Staumauer sei ein trutziger, kompakter<br />
Mocken – dies ist aber nicht so. Die neue Spitallamm-Mauer weist<br />
ein kompliziertes Innenleben auf, mit horizontalen Kontrollgängen<br />
und schrägen Verbindungsschächten, in denen später die<br />
Treppen für den Zugang angebracht werden. Während der Bauzeit<br />
ist zudem ein Kühlsystem eingerichtet mit weit verzweigten,<br />
kilometerlangen Leitungen, die dafür sorgen, dass der Beton über<br />
Wochen hinweg richtig abkühlen kann. Ebenso verlaufen Injektionsleitungen<br />
in den Gängen, durch die später der Mörtel hineingedrückt<br />
werden kann und die Fugen zwischen den Blöcken<br />
abdichtet. Auch gibt es in der Mauer Abwasser- und Pendelschächte,<br />
die mit der Mauer mitwachsen. Ein eigens eingebautes<br />
GSM-Netz stellt sicher, dass die Temperatur-Messdaten beim erhärten<br />
des Betons jederzeit überwacht werden können, denn zu<br />
hohe Temperaturen sind ein Schreckensgespenst für all jene, die<br />
in die Betonarbeiten involviert sind. Die «Innereien» der Mauer<br />
waren auch für die erfahrenen Experten von Doka eine harte Nuss.<br />
«Die Verschneidungen sind kompliziert, also diejenigen Stellen,<br />
wo die Schrägschächte in die horizontalen Gänge münden», erklärt<br />
Paul Baumgartner. «Da gibt es verschiedene Ecken, Neigungen<br />
und Übergänge, die man vernünftig schalen muss.» Zusammengesetzt<br />
werden die massgeschneiderten Bogenschalungen am<br />
Fusse der Staumauer in einer eigentlichen kleinen Open-Air-Holzfabrik.<br />
Noch kniffliger als das Anbringen<br />
sei in den Schrägschächten das Entfernen<br />
der Tunnelschalungen, führen die Schalungsexperten<br />
weiter aus. In 3D-Zeichnungen<br />
musste jede Stelle simuliert werden,<br />
um zu sehen, ob man die Schalung<br />
überhaupt wieder herausbringen konnte.<br />
In den schrägen Abschnitten erfolgt dies<br />
nun Stück für Stück in Handarbeit. Baumgartner<br />
und Brugger wandern durch die<br />
Gänge, grüssen hier und da, wechseln ein<br />
paar Sätze oder klopfen einem alten Bekannten<br />
auf die Schulter. «Die Stimmung<br />
auf dieser Baustelle ist sehr gut», hält<br />
Baumgartner fest. «Das ist fast das wichtigste<br />
an allem, denn nur mit Kollegialität<br />
und einer angemessenen Fehlerkultur lassen<br />
sich so knifflige Projekte verwirklichen.»<br />
Nach einer Weile im verborgenen<br />
Gang-Labyrinth der Mauer ist man froh,<br />
wieder ans Tageslicht zu kommen. Vom<br />
oberen Zugang zur künftigen Mauerkrone<br />
fällt der Blick weit hinab auf die Baustelle.<br />
Es ist Nachmittag und gerade findet<br />
unten der Schichtwechsel statt: Die Schalungsequippen<br />
haben ihren Job verrichtet,<br />
die Beton-Teams machen sich bereit, um<br />
bis spät in die Nacht die Mauer weiter in<br />
die Höhe zu treiben. Ruhe herrscht den<br />
Sommer über an der Grimsel kaum je –<br />
dafür ist im Winter dann wieder Zeit.<br />
Mit dem Tachimeter (links) wird vom Block<br />
aus überprüft, in welchem Winkel die Schalungen<br />
aneinander gefügt werden müssen.<br />
Nur so entsteht zum Schluss die Form der<br />
doppel gekrümmten Bogenstaumauer.
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