Der Eckhausgrundriss
ISBN 978-3-86859-778-3
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STADTHÄUSER<br />
DER ECKHAUS<br />
GRUNDRISS<br />
GEORG EBBING CHRISTOPH MÄCKLER (HG.)
BÜCHER ZUR STADTBAUKUNST<br />
HERAUSGEBER CHRISTOPH MÄCKLER,<br />
WOLFGANG SONNE<br />
DEUTSCHES INSTITUT FÜR STADTBAUKUNST<br />
© 2023 BY JOVIS VERLAG GMBH<br />
DAS COPYRIGHT FÜR DIE TEXTE LIEGT BEI DEN AUTOREN.<br />
DAS COPYRIGHT FÜR DIE ABBILDUNGEN LIEGT BEI DEN<br />
FOTOGRAFINNEN UND FOTOGRAFEN / INHABERINNEN<br />
UND INHABERN DER BILDRECHTE.<br />
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ISBN 978-3-86859-778-3<br />
ALLE RECHTE VORBEHALTEN.<br />
BAND 2,<br />
3. ÜBERARBEITETE UND ERWEITERTE AUFLAGE<br />
DER ECKHAUSGRUNDRISS<br />
HERAUSGEBER GEORG EBBING, CHRISTOPH MÄCKLER<br />
DEUTSCHES INSTITUT FÜR STADTBAUKUNST<br />
REDAKTION ANTONIA HENSCHEL,<br />
INGRID MACKENSEN<br />
ZEICHNUNGEN ALICIA DEMARE, ANNA GLOCK,<br />
SEDA ÜNAL<br />
LEKTORAT MIRIAM SEIFERT-WAIBEL<br />
KORREKTORAT UTE RUMMEL<br />
GESTALTUNG, SATZ UND<br />
LITHOGRAFIE ANTONIA HENSCHEL,<br />
SIGN KOMMUNIKATION<br />
GEDRUCKT IN DER EUROPÄISCHEN UNION<br />
BIBLIOGRAFISCHE INFORMATION<br />
DER DEUTSCHEN NATIONALBIBLIOTHEK:<br />
DIE DEUTSCHE NATIONALBIBLIOTHEK VERZEICHNET<br />
DIESE PUBLIKATION IN DER DEUTSCHEN NATIONAL-<br />
BIBLIOGRAFIE; DETAILLIERTE BIBLIOGRAFISCHE DATEN<br />
SIND IM INTERNET ÜBER HTTP://DNB.D-NB.DE ABRUFBAR.
INHALTSVERZEICHNIS<br />
VORWORT<br />
CHRISTOPH MÄCKLER<br />
WOLFGANG SONNE 2<br />
WEGLASSEN!<br />
DIE FUNKTION<br />
STÄDTISCHER BAUTYPEN<br />
CHRISTOPH MÄCKLER 4<br />
ZU KONTINUITÄT UND<br />
VIELFALT VON ECKHAUS<br />
UND ECKGRUNDRISS<br />
GEORG EBBING 10<br />
ZUM GEBRAUCH<br />
ZU ANLASS, AUSWAHL, ORDNUNG<br />
UND DARSTELLUNG DER GRUNDRISSE<br />
GEORG EBBING 26<br />
ECKHAUSGRUNDRISSE<br />
DIE RECHTWINKLIGE ECKE 34<br />
DIE TREPPE AN DER BRANDWAND 36<br />
DIE TREPPE IN DER DIAGONALEN 46<br />
DIE TREPPE NEBEN DER DIAGONALEN 74<br />
DIE SPITZWINKLIGE ECKE 90<br />
DIE TREPPE AN DER BRANDWAND 92<br />
DIE TREPPE IN DER DIAGONALEN 98<br />
DIE TREPPE NEBEN DER DIAGONALEN 140<br />
DIE STUMPFWINKLIGE ECKE 154<br />
DIE TREPPE AN DER BRANDWAND 156<br />
DIE TREPPE IN DER DIAGONALEN 164<br />
DIE TREPPE NEBEN DER DIAGONALEN 184<br />
DIE OFFENE ECKE 212<br />
DIE TREPPE AN DER BRANDWAND 214<br />
DIE TREPPE IN DER DIAGONALEN 222<br />
DIE TREPPE NEBEN DER DIAGONALEN 242<br />
ABBILDUNGSVERZEICHNIS 254<br />
INDEX 260
STADTHÄUSER<br />
VORWORT<br />
Mit den Büchern zur Stadtbaukunst legt das Deutsche<br />
Institut für Stadtbaukunst eine Publikationsreihe vor, in<br />
der grundlegende Materialien zur Architektur der Stadt<br />
veröffentlicht werden. Dies sind zum einen Texte, die sich<br />
mit der Geschichte, Theorie und Praxis der Stadtbaukunst<br />
auseinandersetzen. Nicht selten sind es Klassiker<br />
des Faches, die heute eine besondere Aufmerksamkeit<br />
verdienen. Manchmal sind es aber auch weniger bekannte<br />
Texte, die von der Geschichtsschreibung vergessen<br />
wurden, die aber gerade für aktuelle Herausforderungen<br />
prägnante Ansichten präsentieren.<br />
Zum anderen sind es Entwurfserfahrungen, die bei der<br />
Arbeit an grundlegenden städtebaulichen Problemen<br />
gewonnen wurden und vom Deutschen Institut für<br />
Stadtbaukunst in Form von Mustersammlungen präsentiert<br />
werden. Auch hier sollen erprobte und erfolgreiche<br />
Lösungen die heutige Städtebaupraxis bereichern und<br />
verbessern.<br />
Am Beispiel des Eckgrundrisses zeigt sich die unauflösliche<br />
Verbindung von Städtebau und Architektur: Entstanden<br />
aus dem architektonischen Problem, auch an<br />
den Ecken des städtischen Blocks nutzbare Räume anzuordnen,<br />
haben Architektinnen und Architekten über<br />
Jahrhunderte vielfältigste Formen entwickelt, um eben<br />
diesen Räumen eine zusätzliche Qualität zu geben. Eckhäuser<br />
mit guten Eckgrundrissen bilden heute einen<br />
Dreh- und Angelpunkt für guten Städtebau, hat doch<br />
der Funktionalismus im 20. Jahrhundert den Eckhäusern<br />
in doppelter Weise zugesetzt. Zum einen wurden sie von<br />
innen heraus aus hygienischen Gründen wegrationalisiert:<br />
Offene Ecken wie bei Hendrik Berlage sollten zum Blockinneren<br />
liegende, schwer zu beleuchtende Räume vermeiden;<br />
der Zeilenbau eines Walter Gropius schaffte die<br />
Ecke gar ab – nurmehr blanke Wände wendeten sich zum<br />
Straßenraum. Zum anderen wurden sie von außen aus<br />
verkehrstechnischen Gründen angefressen: Die flüssige<br />
Führung des Autoverkehrs erforderte vermehrt Abbiegespuren,<br />
die zu aufgeweiteten Kreuzungsbereichen führten<br />
und die Eckbebauung in den Block zurückdrängten. <strong>Der</strong><br />
Städtebau war damit an seiner empfindlichsten Stelle getroffen:<br />
an der Blockecke, die die Kanten des Stadtraumes<br />
definiert und die Kontinuität der Straßenwände über die<br />
Straßeneinmündungen hinweg sichert.<br />
Wollen wir heute wieder klar gefasste und schöne Stadträume<br />
bauen, so müssen wir auch wieder Häuser mit<br />
guten Eckgrundrissen entwerfen können. Hierfür legt<br />
dieser Band eine Sammlung reichhaltiger Lösungen<br />
dieses städtebaulichen Grundproblems vor – erprobte<br />
und vorbildliche Lösungen, die für die Zukunft als Anregung<br />
und Messlatte zugleich dienen sollen.<br />
Dortmund, im September 2012<br />
Christoph Mäckler, Wolfgang Sonne<br />
DER ECKHAUSGRUNDRISS<br />
SEITE 2
ZUR DRITTEN AUFLAGE<br />
Im Jahr seines 15-jährigen Jubiläums legt das Deutsche<br />
Institut für Stadtbaukunst die dritte überarbeitete und erweiterte<br />
Auflage der Publikation <strong>Der</strong> <strong>Eckhausgrundriss</strong><br />
vor. Die anhaltende Nachfrage nach dieser die Grundlagen<br />
des Bautyps Eckhaus dokumentierenden Publikation<br />
hat uns überrascht und zugleich erfreut, zeigt sie<br />
doch, dass dem öffentlichen Raum im Städtebau wieder<br />
eine größere Bedeutung beigemessen wird.<br />
Mit der Vorlage dieser dritten Auflage weist das Buch<br />
nunmehr auch fast 50 zeitgenössische Eckgrundrisse<br />
auf und vermittelt mit einer reichhaltigen Bebilderung<br />
die architektonische Zukunftsfähigkeit dieses Bautyps.<br />
Die in den vergangenen zehn Jahren errichteten und<br />
hier publizierten Eckhäuser zeigen, mit welcher Professionalität<br />
Architektinnen und Architekten diesen<br />
Haustyp für den heutigen Wohnungsmarkt konzipieren.<br />
Darüber hinaus verdeutlichen sie das offenbar wieder<br />
erwachte Interesse der Immobilienwirtschaft am Eckhaus<br />
im Städtebau unserer Tage.<br />
Dortmund, im April 2023<br />
Christoph Mäckler, Wolfgang Sonne<br />
SEITE 3
STADTHÄUSER<br />
DER ECKHAUSGRUNDRISS<br />
(Abb. 1)<br />
Die Auflösung des Stadtraums<br />
Nach Ernst May, „Schematische Darstellung der Entwicklung des modernen Bebauungsplanes“<br />
SEITE 4
WEGLASSEN!<br />
DIE FUNKTION<br />
STÄDTISCHER BAUTYPEN<br />
CHRISTOPH MÄCKLER<br />
Wie es schon der neue Untertitel des Textes verrät: Mit<br />
der dritten Auflage dieses Buches ändert sich auch der<br />
einführende Text. Nach fast zehn Jahren seit dem ersten<br />
Erscheinen sind nicht nur neue Erkenntnisse zum Bautyp<br />
des städtischen Hauses hinzugekommen. Vielmehr<br />
ist schon allein die Tatsache, dass das Eckhaus im<br />
Städtebau in den vergangenen Jahren wieder Anwendung<br />
gefunden hat – und das Buch damit zeitgenössische<br />
Grundrisse dokumentieren kann – Anlass genug, die<br />
Leser und Leserinnen über die neuen Erkenntnisse des<br />
Instituts zu informieren.<br />
STÄDTISCHE BAUTYPEN<br />
Öffentlicher Raum entsteht zwischen den Hausfassaden<br />
auf den Straßen, die die Erschließung der privaten<br />
Grundstücke ermöglichen. Die Dichte, die funktionale<br />
Mischung, aber auch die soziale Vielfalt werden durch<br />
die Architektur städtischer Bautypen ermöglicht. Das<br />
Eckhaus, das Flügelhaus und das Gewerbehaus beispielsweise<br />
sind Bautypen, mit denen die vorgenannten Funktionen<br />
in der europäischen Stadt gewährleistet werden.<br />
Darum arbeitet das Institut an der Entwicklung dieser<br />
Bautypen, indem es sie an bestehenden Gebäuden der<br />
europäischen Stadt analysiert und im Entwurf auf die<br />
Bedürfnisse unserer Zeit überträgt. Im Falle des <strong>Eckhausgrundriss</strong>es<br />
kommen uns dabei auch bereits realisierte<br />
Entwürfe von Kolleginnen und Kollegen zugute,<br />
für deren Engagement ich mich an dieser Stelle sehr<br />
herzlich bedanke.<br />
Städtischer Raum lebt vom Verhältnis seiner Geschlossenheit<br />
und der dazugehörigen Öffnung – vom Verhältnis<br />
der Enge der Straße zur Öffnung des sich anschließenden<br />
Raumes. Wird dieses Verhältnis gestört, nimmt man der<br />
Raumfolge die in ihr empfundene räumliche Spannung.<br />
Da der städtische Raum von Bauwerken gebildet wird,<br />
deren Fassaden ihm mit ihrer Höhe, Proportion, vor<br />
allem aber auch ihrer Materialität seinen Charakter<br />
geben, kommt der Qualität der Architektur des einzelnen<br />
Hauses im Bezug auf den städtischen Raum besondere<br />
Bedeutung zu. „Es ist ein Irrtum, daß architektonische<br />
Qualitätsarbeit nun auch stets vorteilhaft an jedem Ort<br />
erscheinen würde. Das Entscheidende ist, ob sie nach<br />
ihrer Einfügung in eine festgelegte Straße, einen bestehenden<br />
Platz mit ihrer Umgebung sich zusammenzuschließen<br />
vermag, Straße und Platz in ihrer Wirkung<br />
steigert und für sich selbst die notwendigen Lebensenergien<br />
aus diesem Zusammenschluß ziehen kann“,<br />
schrieb Albert Erich Brinckmann schon 1921. 1<br />
Dass das Eckhaus seine „Lebensenergien“ aus dem<br />
städtischen Raum gewinnt und damit von besonderer<br />
Bedeutung für den Städtebau ist, ist an der Tatsache zu<br />
erkennen, dass dieser Bautypus auf dem Immobilienmarkt<br />
noch heute die wertvollste Mietfläche darstellt.<br />
Die höchsten Mieten werden in Eckwohnungen erzielt.<br />
Trotzdem war die Eckwohnung im zeitgenössischen Mietwohnungsbau<br />
seit mehr als einem halben Jahrhundert<br />
kaum mehr anzutreffen. Dies ist darauf zurückzuführen,<br />
dass bei Eckgrundstücken funktionale Schwierigkeiten<br />
in Bezug auf die Grundrissgestaltung der Häuser auftreten<br />
können, weil die Ausrichtung zur Sonne noch<br />
heute als eines der wichtigsten Kriterien für den Entwurf<br />
eines Hauses angesehen wird. Die Moderne hatte<br />
für diesen vermeintlichen Mangel nur eine Antwort<br />
gefunden, nämlich das Eckgrundstück nicht zu bebauen,<br />
und damit die Raumbildung an der Straßenkreuzung<br />
aufzugeben. Noch heute bleibt bei städtebaulichen Entwürfen<br />
die Nordostecke eines Blockes aus Gründen der<br />
Besonnung oft ohne Bebauung.<br />
Tatsächlich wurde mit dem Entfall des Eckhauses das<br />
wichtigste Element der Raumbildung aus dem Städtebau<br />
eliminiert. 1889 wies Camillo Sitte noch auf den<br />
Zusammenhang der Lage von Straßeneinmündungen<br />
und Platzgeschlossenheit hin und kritisiert deren Zerstörung<br />
durch die „modernen Systeme“, die er in seinem<br />
viel beachteten Buch <strong>Der</strong> Städtebau nach seinen künstlerischen<br />
Grundsätzen anprangert. 2 Wenige Jahrzehnte<br />
später wurde der städtische Raum als Versammlungsort<br />
der Gesellschaft und öffentliches Gegenstück zum<br />
SEITE 5
STADTHÄUSER<br />
(Abb. 2)<br />
Hansaviertel Schwarzplan<br />
Internationale Bauausstellung Berlin, 1957<br />
(Abb. 3)<br />
Das Hansaviertel vor der Zerstörung<br />
DER ECKHAUSGRUNDRISS<br />
Wohnraum, in Jahrhunderten gewachsen und weiterentwickelt,<br />
endgültig aufgegeben.<br />
Keine Zeichnung zeigt deutlicher als das 1930 von Ernst<br />
May in der Zeitschrift Das Neue Frankfurt 3 veröffentlichte<br />
Blockschema, wie die geschlossenen Räume der<br />
Stadt, die Straßen- und Hofräume, Stück für Stück zum<br />
Zeilenbau mutierten und sich auflösten (Abb. 1). <strong>Der</strong><br />
städtische Raum wurde der Ausrichtung des Wohnhauses<br />
zur Sonne geopfert.<br />
In der Berliner Internationalen Bauausstellung von 1957<br />
(Abb. 2) wurden die starren Siedlungszeilen, wie sie vor<br />
dem Krieg in Frankfurt-Westhausen und anderswo entstanden<br />
waren, zu einer „aufgelockerten“ Bebauung mit<br />
architektonisch vielfältigen Punkthäusern und gestaffelten<br />
Hauszeilen weiterentwickelt. Die „Stadtlandschaft“,<br />
ein Begriff, der schon in der begrifflichen Zusammensetzung<br />
„Stadt“ und „Landschaft“ nicht widersprüchlicher<br />
sein könnte, avancierte zum Schlüsselwort des<br />
neuen Städtebaus der Zeit nach 1945 (Abb. 5). Wenn<br />
diese Entwicklung heute auch mit anderen Schlagworten<br />
benannt wird, die „aufgelockerten“ Bebauungen, deren<br />
prinzipieller Charakter das Fehlen des öffentlichen<br />
Raumes und eine zu geringe Dichte ist, haben sich bis<br />
auf wenige Ausnahmen in unseren Neubauquartieren gehalten<br />
und werden durch unsere Gesetzgebung begünstigt.<br />
<strong>Der</strong> Städtebau, so wie er um die Wende vom 19. zum<br />
20. Jahrhundert noch in Büchern beschrieben und in<br />
aller Köpfe war, der das Einzelhaus in die Gemeinschaft<br />
der Stadt aufnimmt und es nicht als Solitär und Kunstobjekt<br />
betrachtet und die Form des Straßen- und Platzraumes<br />
als architektonische Aufgabe begreift, scheint<br />
derzeit nur noch im Rückblick auf die Städte vergangener<br />
Zeiten vorhanden zu sein.<br />
Die Moderne hat in ihrer 100-jährigen Geschichte keinen<br />
Platzraum hervorgebracht, der sich auch nur annähernd<br />
mit den Qualitäten von Plätzen vergangener Jahrhunderte,<br />
wie sie in der europäischen Stadt zu finden<br />
sind, vergleichen ließe. Und obwohl die Gesellschaft<br />
nach solchen Orten verlangt, was sich beispielsweise im<br />
Erfolg der Wiedererrichtung alter Stadtteile in Dresden,<br />
Frankfurt am Main oder andernorts ausdrückt, fehlt<br />
uns offenbar das Wissen, den öffentlichen Raum als<br />
Wohnraum der Stadt zu verstehen und ihn als solchen<br />
zu entwerfen.<br />
<strong>Der</strong> öffentliche Straßenraum, der Platzraum sowie der<br />
rückwärtige Hofraum sind planungsrelevante Elemente<br />
der Stadt, die architektonisches Wissen um die Grundrisse<br />
der Häuser voraussetzen, mit dem Straßen und<br />
Plätze als städtische Räume entworfen werden können.<br />
In der Planung ist es vor allem das Wissen um die Funktionalität<br />
von Wohnhausgrundrissen, zum Beispiel dem<br />
Grundrisstyp des Eckhauses, aber auch das grundlegende<br />
gebäudekundliche Wissen um öffentliche Gebäude, beispielsweise<br />
von Schulen oder Kindertagesstätten.<br />
SEITE 6
In der Architektur sind es Bauteile wie der Erker oder<br />
das Dach, die mit der Moderne verloren gegangen sind.<br />
<strong>Der</strong> Erker verbindet den öffentlichen Straßenraum mit<br />
dem privaten Wohnraum im Inneren des Hauses und ist<br />
damit ein besonders wichtiges städtebauliches Element.<br />
Man tritt im Schutz des Erkerraumes auf die Straße hinaus,<br />
um diese zu überblicken und an ihrem Leben teilzunehmen.<br />
Weggelassen hat man auch das Dach und die<br />
damit ermöglichte Giebelfassade als verbindendes Ordnungselement<br />
der Aneinanderreihung von Hauskörpern,<br />
die sich in der Gemeinsamkeit dieser Ordnung zu einem<br />
städtischen Straßenraum zusammenfügen.<br />
DAS STÄDTISCHE HAUS ALS BAUTYP<br />
Prinzipiell aber fehlt uns im Städtebau das Wissen um<br />
das städtische Haus als Bautyp. Städtische Bautypen,<br />
wie das Flügelhaus, das Eckhaus oder das Gewerbehofhaus,<br />
sind die Grundlage für soziale Vielfalt, Dichte<br />
und die funktionale Mischung der Stadt.<br />
DAS GEWERBEHOFHAUS<br />
Ein weiterer Bautyp ist das Gewerbehofhaus, das in der<br />
Tiefe des Grundstückes die Ansiedlung von Kleingewerbetreibenen,<br />
Start-ups etc. auf mehreren Etagen<br />
ermöglicht und so die Nutzungsmischung in das Stadtquartier<br />
bringt.<br />
DAS ECKHAUS<br />
Von besonderer Bedeutung für den öffentlichen Raum<br />
aber ist der Bautyp des Eckhauses im Übergang von<br />
Straße zu Straße oder von Straße zu Platz (Abb. 4). Als<br />
Ordnungselement, das den Schlussstein der Hausreihe<br />
am Ende des Straßenraumes und den Auftakt und Beginn<br />
des sich anschließenden Stadtraumes bildet, ist es<br />
unersetzlich. Richtig eingesetzt stellt das Eckhaus die<br />
Spannung im Übergang von einem in den anderen städtischen<br />
Raum her – eine Spannung, die sich durch Vor-<br />
An einigen Universitäten der Bundesrepublik Deutschland<br />
wurde in den 1970er Jahren der Städtebau, der üblicherweise<br />
an Architekturfakultäten gelehrt wird, durch neue<br />
Fakultäten der „Stadt- und Raumplanung“ ersetzt. An der<br />
TU Dortmund erhalten in der Fakultät Raumplanung<br />
noch heute junge Studierende eine Ausbildung zur<br />
Stadtplanung, ohne dass man ihnen architektonische<br />
Grundlagen beispielsweise über das Fach Gebäudekunde<br />
vermitteln würde. Nach 50 Jahren führte dies<br />
dazu, dass uns heute die Kompetenz der Architektur,<br />
mit der städtische Räume entwickelt werden können,<br />
fehlt. Stadtquartiere entstehen nicht durch „Planungsstrategien<br />
und Planungsprozesse“, sondern zunächst<br />
durch den städtebaulichen Entwurf, der auf der Grundlage<br />
architektonischer Bautypen beruht.<br />
DAS FLÜGELHAUS<br />
Eines dieser Bautypen ist das Flügelhaus der europäischen<br />
Stadt, in dessen Nischen, Gärten und Höfen<br />
sich über Jahrhunderte soziales Leben entwickelte.<br />
Noch heute ermöglichen diese nicht-öffentlichen Räume<br />
den Bewohnern und Bewohnerinnen dieses Mietwohnungsbaus<br />
eigene Freiflächen, die der sozialen Kontrolle<br />
der Anwohnerinnen und Anwohner unterliegen<br />
und sich damit beispielsweise als „private“ Kinderspielflächen<br />
eignen (Handbuch der Stadtbaukunst, Band 2,<br />
Hofräume).<br />
(Abb. 4)<br />
Eckhäuser<br />
Frankfurt am Main<br />
SEITE 7
STADTHÄUSER<br />
(Abb. 5)<br />
Die „Stadtlandschaft“:<br />
Nordweststadt, Frankfurt am Main<br />
DER ECKHAUSGRUNDRISS<br />
treten aus der Reihe, durch Verengung, vor allem aber<br />
durch eine Überhöhung des Baukörpers entfalten kann.<br />
<strong>Der</strong> damit einhergehende Richtungswechsel steigert<br />
diese städtebauliche Besonderheit zusätzlich und<br />
verleiht dem Eckhaus seinen einmaligen Charakter.<br />
Als Bauwerk mit zwei Straßenfassaden hat es zudem<br />
zwischen den zwei mit ihm beginnenden Straßenräumen<br />
zu vermitteln (Abb. 6 und 7).<br />
Im Inneren aber erhält die Wohnung des Eckhauses<br />
durch die zweiseitige Ausrichtung ihres Grundrisses<br />
einen enorm großzügigen und repräsentativen Charakter,<br />
was dazu führt, dass dieser Wohnungstyp bis heute<br />
der begehrteste auf dem Immobilienmarkt ist. Die<br />
Attraktivität wird aber auch durch die Orientierung<br />
der Wohnräume und ihren Ausblick in zwei unterschiedliche<br />
städtische Räume gefördert; die Wohnung<br />
zieht ihre „Lebensenergie“ aus der Stadt. Nicht zu vergessen<br />
ist die Durchflutung des Eckraumes mit Tageslicht<br />
aus unterschiedlichen Himmelsrichtungen. Die<br />
Wohnung des Eckhauses scheint auch dann noch begehrt,<br />
wenn Schwierigkeiten in der Organisation des<br />
Grundrisses bezüglich der Besonnung auftreten.<br />
In der europäischen Stadt gibt es so viele Beispiele<br />
gelungener Ecklösungen, dass es sinnvoll erscheint, das<br />
Weglassen der Ecke durch intelligente Lösungen, die<br />
unseren Ansprüchen an städtisches Wohnen entsprechen,<br />
zu ersetzen. Dass in den beiden ersten Auflagen<br />
dieses Buches zum Eckgrundriss vor allem Beispiele<br />
des 19. und frühen 20. Jahrhunderts gezeigt<br />
wurden, ist ausschließlich auf die der Moderne geschuldete<br />
100-jährige Praxis des Weglassens der Eckhäuser<br />
zurückzuführen. Auch wenn die veröffentlichten<br />
Beispiele dadurch nicht in jedem Fall den markttypischen<br />
Erfordernissen unserer Zeit entsprachen, so<br />
ist die Grundrissstruktur mit der unterschiedlichen<br />
Lage der Treppenräume und den jeweiligen Zuordnungen<br />
der Wohnräume doch wertvoll und beispielhaft für den<br />
Entwurf zeitgemäßer Eckhäuser in der europäischen<br />
Stadt gewesen. Die neuen Häuser dieser Publikation<br />
mögen dies bestätigen.<br />
1<br />
Albert Erich Brinckmann: Deutsche Stadtbaukunst in<br />
der Vergangenheit, Frankfurt am Main 1921, S. 15.<br />
2<br />
Vgl. Camillo Sitte: <strong>Der</strong> Städtebau nach seinen<br />
künstlerischen Grundsätzen. Wien 1889.<br />
3<br />
Vgl. Ernst May, „Fünf Jahre Wohnungsbautätigkeit<br />
in Frankfurt am Main“, in: Das Neue Frankfurt.<br />
Internationale Monatszeitschrift für die Probleme<br />
kultureller Neugestaltung 4 (1930), Nr. 2–3, S. 34.<br />
SEITE 8
(Abb. 6)<br />
Eckhaus Berlin, 2016<br />
von Ey Architektur<br />
(Abb. 7)<br />
Eckhaus Berlin, 2014<br />
Nöfer Architekten<br />
SEITE 9
STADTHÄUSER<br />
BERLIN<br />
1915 148<br />
BERLIN<br />
1987 149<br />
ROTTERDAM<br />
2012 150<br />
MÜNCHEN<br />
2021 152<br />
BERLIN<br />
1901 160 –161<br />
BERLIN<br />
1907 162<br />
STRASSBURG<br />
1877 169<br />
PARIS<br />
1904 170<br />
BERLIN<br />
1912 172 –173<br />
MAILAND<br />
1912 174<br />
AMSTERDAM<br />
1923 175<br />
BERLIN<br />
1926 176<br />
BERLIN<br />
2019 180<br />
BERLIN<br />
um 1900 190<br />
PARIS<br />
1900 191<br />
DER ECKHAUSGRUNDRISS<br />
WIEN<br />
1912 193<br />
PARIS<br />
1908 194 –195<br />
BERLIN<br />
1912 196 –197<br />
BERLIN<br />
1913 198 –199<br />
BERLIN<br />
1927 202<br />
SEITE 32
BERLIN<br />
1928 204<br />
BERLIN<br />
1931 205<br />
MAILAND<br />
1935 208<br />
BERLIN<br />
1985 209<br />
BERLIN<br />
1987 210<br />
STRASSBURG<br />
1886 217<br />
FRANKFURT AM MAIN<br />
2018 220<br />
BERLIN<br />
1909 230<br />
BRAUNSCHWEIG<br />
2011 231<br />
BERLIN<br />
2013 232<br />
MÜNCHEN<br />
2014 233<br />
BERLIN<br />
2016 234<br />
BREMEN<br />
2021 236<br />
BERLIN<br />
2022 237<br />
BERLIN<br />
1902 244<br />
BERLIN<br />
1984 246<br />
BERLIN<br />
2016 247<br />
BERLIN<br />
2014 248–249<br />
BRAUNSCHWEIG<br />
2020 250<br />
ZÜRICH<br />
1892 (2021) 252<br />
SEITE 33
STADTHÄUSER<br />
DIE<br />
SPITZWINKLIGE<br />
ECKE<br />
UNBEKANNT<br />
1910 97<br />
STRASSBURG<br />
um 1894 103<br />
PARIS<br />
um 1900 108<br />
BERLIN<br />
1906 110<br />
PARIS<br />
um 1907 112<br />
PARIS<br />
1908 113<br />
DER ECKHAUSGRUNDRISS<br />
MAGDEBURG<br />
um 1911 115<br />
PARIS<br />
1912 124 –125<br />
PRAG<br />
1914 126<br />
SEITE 90
ALLE GRUNDRISSE IM GLEICHEN MASSSTAB<br />
BERLIN<br />
1928 129<br />
MAILAND<br />
1935 132<br />
BERLIN<br />
2007 134<br />
ERFURT<br />
Fertigstellung 2023 139<br />
BERLIN<br />
um 1900 143<br />
NEUILLY-SUR-SEINE<br />
1910 145<br />
BERLIN<br />
1987 149<br />
BASEL<br />
2019 151<br />
MÜNCHEN<br />
2021 152<br />
SEITE 91
STADTHÄUSER<br />
DIE<br />
STUMPFWINKLIGE<br />
ECKE<br />
PARIS<br />
1899 158<br />
PARIS<br />
1906 159<br />
KARLSRUHE<br />
1810 167<br />
BERLIN<br />
Entwurf 1862 168<br />
UNBEKANNT<br />
um 1910 171<br />
AMSTERDAM<br />
1923 175<br />
DER ECKHAUSGRUNDRISS<br />
BERLIN<br />
1926 177<br />
BERLIN<br />
2019 180<br />
ERFURT<br />
Fertigstellung 2023 182<br />
SEITE 154
ALLE GRUNDRISSE IM GLEICHEN MASSSTAB<br />
BERLIN<br />
um 1900 190<br />
PARIS<br />
1900 191<br />
PARIS<br />
1906 192<br />
WIEN<br />
1912 193<br />
PARIS<br />
1908 194–195<br />
BERLIN<br />
1928 203<br />
MAILAND<br />
1935 208<br />
BERLIN<br />
1985 209<br />
BERLIN<br />
1987 210<br />
SEITE 155
STADTHÄUSER<br />
DIE<br />
OFFENE<br />
ECKE<br />
BAYONNE<br />
um 1748 216<br />
STUTTGART<br />
2015 219<br />
FRANKFURT AM MAIN<br />
2018 220<br />
DRESDEN<br />
1907 227<br />
PARIS<br />
1912 228<br />
BERLIN<br />
1909 230<br />
DER ECKHAUSGRUNDRISS<br />
BERLIN<br />
2013 232<br />
BERLIN<br />
2016 234<br />
BÜLACH<br />
2019 235<br />
SEITE 212
ALLE GRUNDRISSE IM GLEICHEN MASSSTAB<br />
BREMEN<br />
2021 236<br />
WEDEL<br />
im Bau 238<br />
DORTMUND<br />
in Planung 240<br />
BERLIN<br />
1902 244<br />
MAILAND<br />
1930 245<br />
BERLIN<br />
1984 246<br />
BERLIN<br />
2014 248–249<br />
BRAUNSCHWEIG<br />
2020 250<br />
ZÜRICH<br />
Entwurf 2020 251<br />
SEITE 213
DIE OFFENE ECKE<br />
1 5 10 25<br />
6<br />
7<br />
5<br />
4<br />
3<br />
DIE TREPPE IN DER DIAGONALEN<br />
1<br />
2<br />
HILD UND K<br />
2021<br />
Hohentorsplatz / Hohentorsheerstraße /<br />
Woltmershauser Allee, Bremen<br />
ACHTSPÄNNER<br />
1: 50 m 2 / 2: 50 m 2 / 3: 30 m 2 / 4: 30 m 2<br />
5: 30 m 2 / 6: 70 m 2 / 7: 50 m 2 / 8: 75 m 2<br />
8<br />
SEITE 236
1 5 10 25<br />
5<br />
2<br />
3<br />
SEBASTIAN TREESE ARCHITEKTEN<br />
2022<br />
Emser Straße, Berlin<br />
ZWEISPÄNNER / DREISPÄNNER<br />
1: 118 m 2 / 2: 68 m 2 / 3: 105 m 2 /<br />
4: 161 m 2 / 5: 173 m 2<br />
1 4<br />
SEITE 237