Der Basler Maler Ernst Stückelberg 1831-1903
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Rose Marie Schulz-Rehberg<br />
<strong>Der</strong> <strong>Basler</strong> <strong>Maler</strong><br />
<strong>Ernst</strong> <strong>Stückelberg</strong><br />
<strong>1831</strong>–<strong>1903</strong><br />
Leben und Werk
Rose Marie Schulz-Rehberg<br />
<strong>Der</strong> <strong>Basler</strong> <strong>Maler</strong><br />
<strong>Ernst</strong> <strong>Stückelberg</strong><br />
<strong>1831</strong>–<strong>1903</strong><br />
Leben und Werk<br />
Friedrich Reinhardt Verlag
Titelbild:<br />
<strong>Ernst</strong> <strong>Stückelberg</strong> (<strong>1831</strong>–<strong>1903</strong>),<br />
Mädchen aus Anticoli, 1858.<br />
Öl auf Leinwand, 46,5 x 38 cm.<br />
Privatsammlung Schweiz, © Peter Fornaro<br />
Alle Rechte vorbehalten<br />
© 2023 Friedrich Reinhardt Verlag, Basel<br />
Projektleitung: Claudia Leuppi<br />
Korrektorat: Daniel Lüthi<br />
Layout: Romana Stamm<br />
ISBN 978-3-7245-2639-1<br />
<strong>Der</strong> Friedrich Reinhardt Verlag wird vom<br />
Bundesamt für Kultur mit einem Strukturbeitrag<br />
für die Jahre 2021–2024 unterstützt.<br />
www.reinhardt.ch
Malen wollt ich Himmelslicht …<br />
<strong>Ernst</strong> <strong>Stückelberg</strong>
Inhalt<br />
8 Vorwort<br />
10 Einstimmung<br />
15 Jugend, Lehrjahre 1850–1856:<br />
Antwerpen – Paris – München<br />
17 Antwerpen 1850–1853<br />
20 Paris 1853<br />
20 München 1853–1856<br />
24 Aufbruch 1857–1864: Rom, Anticoli –<br />
Zürich – Rom, Assisi, Tessin – Reute,<br />
Basel – Niederlande<br />
24 Rom, Anticoli Corrado 1857–1859<br />
37 Zürich 1860–1862<br />
39 Rom, Assisi, Tessin, Reute, Basel, Niederlande<br />
1862–1864<br />
45 Erfolg 1865–1871: Heirat, Reisen:<br />
Paris – Spanien – Basel – Roches – Weimar<br />
47 Intermezzo: Zürich, Reute 1865–1866<br />
49 Verlobung, Heirat und Hochzeitsreise<br />
54 Paris, Bordeaux, Spanien 1868<br />
56 Basel 1869<br />
61 Roches 1870–1871<br />
63 Weimar, Dresden, Kassel 1871<br />
68 Erimanshof 1871–1876: Basel
78 Südfrankreich 1876–1877:<br />
Cannes – Saint-Raphael<br />
84 Die Tellskapelle 1877–1882<br />
98 Lorbeeren 1883–1887<br />
102 Reise in die Niederlande und nach Belgien 1885<br />
106 Schloss Wildenstein 1886<br />
113 Nachklang 1888–1890<br />
113 Italien 1888<br />
117 Ausstellungen in Paris und Bern 1889<br />
117 Walenstadt 1890<br />
120 Krise und Aufleben 1891–1900<br />
123 Neubeginn 1895<br />
123 Ligurien und Côte d’Azur 1896 – 1897 – 1899<br />
137 Triumph und Vergessen 1901–<strong>1903</strong><br />
141 Nachleben<br />
143 Resümee<br />
155 Biografische Notizen zum Leben<br />
<strong>Ernst</strong> <strong>Stückelberg</strong>s<br />
163 Quellen und Literatur<br />
166 Bildnachweise<br />
174 Die Autorin
Vorwort<br />
Den Anstoss zur Entstehung dieses Buches bildete die von der<br />
Denkmalpflege im <strong>Basler</strong> Museum Kleines Klingental gezeigte<br />
Ausstellung «<strong>Stückelberg</strong>s wiederentdeckte Wandbilder – Fragmente<br />
aus einem <strong>Basler</strong> Künstlersalon». Für zwei Urenkelinnen des Künstlers<br />
wurde es ein dringendes Anliegen, den Besucherinnen und Besuchern<br />
dieser Ausstellung einen Einblick in Leben und Werk des <strong>Maler</strong>s, um<br />
den es schon lange still geworden und über den nur wenig publiziert<br />
worden ist, zu vermitteln.<br />
Die lokal engagierte und promovierte Kunsthistorikerin Rose Marie<br />
Schulz-Rehberg war eine willkommene Autorin für ein solches Unterfangen,<br />
hat sie sich doch seit Langem mit Schwerpunkten von Basels<br />
Kultur und Geschichte befasst, unter anderem mit den Biografien der<br />
in Basel namentlich bekannten Architekten von der Gotik bis ins<br />
20. Jahrhundert, die sie in drei Bänden veröffentlicht hat.<br />
Als Material für die Aufgabe, eine bebilderte Biografie von <strong>Ernst</strong><br />
<strong>Stückelberg</strong> innerhalb einer sehr knapp bemessenen Zeitspanne zu<br />
verfassen, lagen ihr wertvolle Dokumente vor, so die Biografie <strong>Stückelberg</strong>s,<br />
verfasst 1904 von seinem Freund Albert Gessler sowie die<br />
vor Kurzem digitalisierten sechs Bände des sogenannten «<strong>Stückelberg</strong>’schen<br />
Familienbuchs», das eine unschätzbare Quelle darstellt;<br />
alle nicht weiter spezifizierten Zitate in diesem Buch stammen aus<br />
diesem Fundus.<br />
Wir hatten das Glück, in Alfred Rüdisühli vom Friedrich Reinhardt<br />
Verlag in Basel einen engagierten Verleger zu gewinnen, der<br />
dank eines straffen Zeitplans mit seinem Team, vor allem dank des<br />
Einsatzes von Claudia Leuppi und Romana Stamm, die Verwirklichung<br />
dieses Projekts ermöglichte.<br />
Um dieses Buchprojekt zu realisieren, bedurfte es vieler weiterer<br />
Unterstützer und tätiger Helfer, denen wir von Herzen danken. Es<br />
können leider nicht alle namentlich erwähnt werden. Sehr froh waren<br />
wir über die Abbildungserlaubnis für viele Bilder in Privatbesitz,<br />
sowie auch in öffentlichen Sammlungen wie dem Kunstmuseum<br />
8
Basel, vor allem dank der Bemühungen von Annika Baer, der Denkmalpflege<br />
Basel-Stadt, dem Kunsthaus Zürich, dem Museum zu<br />
Allerheiligen in Schaffhausen, dem Schweizerischen Nationalmuseum<br />
und der Bundeskunstsammlung, deren Bildarchive uns ihre Digitalisate<br />
unentgeltlich zur Verfügung gestellt haben. Tätige Unterstützung<br />
bei Computerproblemen erhielten wir von Gabriele Christ<br />
(ChristKommunikation), die auch die Texte durchsah, ebenso gab<br />
Professor Karl-Siegbert Rehberg, Dresden, wertvolle Anregungen.<br />
Nicht zuletzt soll auch das grosse Engagement unserer bereits<br />
erwähnten Autorin, Rose Marie Schulz-Rehberg, hervorgehoben werden.<br />
Sie hat unermüdlich Material zum Künstler zusammengetragen,<br />
Werke entdeckt, die wir noch nicht kannten, und auf diese Weise sein<br />
Werk und Leben neu beleuchtet. Aurelia Gutsche-Kreienbühl und<br />
Virginia Bally haben sie bei alledem immer wieder unterstützt. Unser<br />
herzlicher Dank gebührt darüber hinaus all jenen, die es ermöglicht<br />
haben, diese Publikation rechtzeitig zu realisieren.<br />
Wir wünschen uns, mit diesem Buch einem breiten Publikum und<br />
auch den zahlreichen Nachfahren der Familie des Künstlers einen tieferen<br />
Einblick in sein abwechslungsreiches Leben und einen neuen<br />
Zugang zu seinem Schaffen vermitteln zu können.<br />
Jacqueline de Molo-Veillon und Monique Veillon Cadorin<br />
9
Einstimmung<br />
Wenn wir uns mit <strong>Ernst</strong> <strong>Stückelberg</strong> beschäftigen, nähern wir<br />
uns einer Persönlichkeit aus einer heutzutage recht weit entfernten<br />
Welt. Er war ein Mensch, in dessen Seele sich die unterschiedlichsten<br />
und auch gegensätzlichsten Strömungen und Traditionen<br />
manifestierten. Damit war er ein typischer Vertreter des 19. Jahrhunderts,<br />
dieses Jahrhunderts des Aufbruchs, der Industrialisierung einerseits<br />
und des Rückbesinnens auf die «guten alten Zeiten» andererseits.<br />
Es war das Jahrhundert des aufkommenden Nationalismus sowie<br />
des Historismus, der sich der Hinterlassenschaften früherer Epochen<br />
bediente und sie auf neue Weise verband. All das zeigte sich in den<br />
Einstellungen der damaligen Zeitgenossen und wirkte stark in alle<br />
Lebensbereiche hinein.<br />
Geboren in einer alten <strong>Basler</strong> Familie, die den Gelehrten und<br />
renommierten Mediziner sowie Rektor der Universität, Theodor<br />
Zwinger (1533–1588), zu ihren Vorfahren zählte, fühlte sich <strong>Stückelberg</strong><br />
ihren Traditionen zutiefst verpflichtet. Dazu kam sein Leben<br />
lang eine unerschütterliche Gläubigkeit; auch diese war der Familientradition<br />
geschuldet, in der zahlreiche Mitglieder als Pfarrer gewirkt<br />
hatten und wirkten. Aus der Welt seiner Kindheit blieb ihm seine Vorliebe<br />
für das märchenhaft Erzählerische.<br />
Eine weitere bestimmende Komponente seines Wesens war der Patriotismus.<br />
Als <strong>Stückelberg</strong> 17 Jahre zählte, wurde die Schweiz zum<br />
Bundesstaat und erlebte einen starken patriotischen Aufschwung.<br />
Schon früh erschienen vaterländische Themen in seinem Werk. Ihren<br />
künstlerischen Höhepunkt fanden sie in der Ausgestaltung der Tellskapelle<br />
am Vierwaldstättersee, die <strong>Stückelberg</strong> übertragen worden<br />
war.<br />
Aber damit allein erschliesst sich sein Wesen und Werk noch nicht.<br />
Wie viele seiner Künstlergenossen – darin zu Beginn auch bestärkt<br />
durch den Kulturhistoriker Jakob Burckhardt – zog es ihn nach Italien,<br />
das er als seine zweite Heimat empfand. In den Sabinerbergen erschloss<br />
sich ihm eine tiefe Begegnung mit der Natur. Und dort offenbarte sich<br />
10
ihm auch die Schönheit des einfachen Lebens und der Gläubigkeit<br />
jener schlichten Bergbevölkerung, die ihn aufs Tiefste berührte.<br />
In seiner Persönlichkeit vereinten sich grosse Gegensätze. Sein<br />
Selbstgefühl oszillierte von extrem tiefer Selbstachtung zu Überheblichkeit,<br />
seine Liebe zum einfachen Menschentum stand im Widerspruch<br />
zu seinem bürgerlichen Lebensstil, seine Niederlassung in<br />
Basel, dem er trotz aller Kritikpunkte immer die Treue gehalten hatte,<br />
widersprach seiner tiefen Liebe zu Italien, das ihm als seine wahre<br />
Heimat erschien. Im Gegensatz dazu erschien ihm Basel «entgeisternd»<br />
und als sein «Tumulus», sein Grabhügel, weil ihm scheinbar<br />
nicht genügend Anerkennung und Austausch von für ihn wichtiger<br />
Seite gewährt wurde. Anders erlebte er Zürich mit einem frohen<br />
Künstlerkreis und kulturaffinen Freunden, das er als «sein Athen» und<br />
seine dritte Heimat pries.<br />
Unwandelbar war seine Verehrung dreier Frauen: an erster Stelle der<br />
Mutter, die ihn ab drei Jahren vaterlos aufzog, dann seiner Ehefrau<br />
Marie, deren Erscheinung und Charakter seinem Idealbild einer Frau<br />
geradezu vollkommen entsprachen, und zum Dritten der um ein Jahr<br />
jüngeren Schwester Susanna, deren Tod sein Schaffen auf Jahre hinaus<br />
blockierte.<br />
Seine Familie bildete einen Schwerpunkt in seinem Leben, auch<br />
wenn er sich über seine sieben Kinder öfters sorgte. Gleichwohl waren<br />
und blieben sie eines der Lieblingsmotive seiner Bilder, wie Kinder<br />
überhaupt.<br />
Sein Werk weist eine grosse Vielseitigkeit auf, entsprechend seinen<br />
Neigungen und Prägungen. Seine frühe Ausbildung bei dem Porträtisten<br />
Johann Friedrich Dietler (1804–1874) schulte seine Fähigkeiten<br />
in dieser Sparte. Starke Impulse zur Dramatik und die Wendung zu<br />
historischen Sujets erhielt er in den Akademien von Antwerpen und<br />
München. Dazu gesellten sich bald auch antikisierende Themen, die<br />
damals zunehmend in Mode kamen. In den Wandbildern seines<br />
Heims, des Erimanshofs manifestierte sich gar die Gegenwart der<br />
Antike in seinem häuslichen Leben.<br />
Auch mittelalterliche und immer wieder biblische Bildinhalte finden<br />
sich in seinem Werk. <strong>Der</strong> märchenhafte Charakter zahlreicher<br />
11
12<br />
Sujets mit einem Hang zur Genremalerei bildet eine weitere Konstante,<br />
wobei sich der Künstler oft auf literarische Anregungen stützte. In<br />
den Fresken der Tellskapelle, wo er seinen Wunsch, im monumentalen<br />
Format zu gestalten, ausleben konnte, zeigt sich <strong>Stückelberg</strong>s Zuwendung<br />
zu historisch-mythischen Themen auf ihrem Höhepunkt. Eine<br />
weitere Facette seines Werks war seine zunehmende Faszination durch<br />
die Landschaft. Wenn er unterwegs war, hatte er seit den 1880er-<br />
Jahren immer ein paar seiner «Brettchen» dabei, kleine Holztafeln,<br />
auf denen er in spontanen kräftigen Pinselstrichen seine Eindrücke<br />
festhielt.<br />
Sein malerischer Stil oszilliert wie die Vielfalt seiner Themen. Ungebändigte<br />
Pinselstriche sind bei ihm selten, aber gerade Landschaftseindrücke<br />
hielt er mit grosszügigem Schwung fest. Bei den Historienbildern<br />
wiederum arbeitete er geradezu minutiös detailliert. Meistens<br />
gilt das auch für seine Porträts, aber bei den Freunden wurde sein<br />
Strich meist lockerer. Diese Lockerheit bildet auch den Charme vieler<br />
seiner Skizzen, die sich durch ihre spontane Treffsicherheit auszeichnen.<br />
Wie wurde nun seine Kunst von den Zeitgenossen aufgenommen?<br />
Auch hier besteht ein durchaus uneinheitliches Bild. Er war ein<br />
begehrter Porträtist und verdiente beispielsweise mit seinen Porträts<br />
sehr gut und das bei Weitem nicht nur in Basel. Mit Erfolg nahm er<br />
an mehreren Weltausstellungen und anderen internationalen und<br />
Schweizer Ausstellungen teil, wo er immer wieder ausgezeichnet wurde.<br />
1872 erhielt er Anfragen für Berufungen an die Akademien von<br />
Weimar und von Dresden, was er aber ablehnte; sein geliebtes Italien<br />
wäre noch weiter weg gewesen als in Basel. Bereits 1871 wurde sein<br />
40. Geburtstag vom <strong>Basler</strong> Kunstverein gross gefeiert. Als <strong>Maler</strong> der<br />
Fresken der Tellskapelle errang er dann nationale Bedeutung und<br />
Ehren. So verlieh ihm beispielsweise die Universität Zürich den<br />
Ehrendoktor. Jahrelang war der Besuch der Tellskapelle ein absolutes<br />
«Muss» der Grand Tour, aber auch für Schweizer aus allen Kantonen.<br />
Es gab allerdings auch andere Stimmen, wie 1885 diejenige Joseph<br />
Viktor Widmanns, eines der einflussreichsten Literaturkritiker
und -förderer der Schweiz. Er bezeichnete <strong>Stückelberg</strong> zwar als einen<br />
reichbegabten <strong>Maler</strong>, aber gerade den Fresken in der Tellskapelle<br />
konnte er weniger abgewinnen als seinen «idyllischen <strong>Maler</strong>eien» aus<br />
den Sabinerbergen.<br />
Sein in Basel festlich begangener 70. Geburtstag am 22. Februar<br />
1901 zeigte ihm jedoch ein weiteres Mal, wie sehr alle Welt ihn schätzte.<br />
Von der Zeitschrift «Die Schweiz» wurde eine ihm gewidmete<br />
Festschrift herausgegeben. Nach seinem Tod am 13. September <strong>1903</strong>,<br />
schweizweit tief betrauert, erschien in Zürich zu seinen Ehren ein<br />
kostbares Album mit einer geprägten Bildnismedaille auf dem<br />
Umschlag.<br />
Im Lauf des 20. Jahrhunderts ging das Interesse an <strong>Stückelberg</strong>s<br />
Werk jedoch rapide zurück. Am unteren Ende der Skala steht der gnadenlose<br />
Verriss des Kunsthistorikers Peter Meyer von 1954 mit der<br />
Frage, ob man die Bilder in der Tellskapelle nicht besser übertünchen<br />
solle. Mit der absoluten Verachtung des Historismus ohne Blick auf<br />
die geschichtlichen Zusammenhänge lag der Kritiker damals voll im<br />
Trend, dem noch so manches Gebäude, manche Strassenzüge, manche<br />
Ausmalungen in jenen Jahrzehnten zum Opfer fielen. Aus der differenzierten<br />
Sicht des Kunsthistorikers Franz Zelger von 1972 «gelten<br />
die Fresken der Tellskapelle als Denkmäler des patriotischen Empfindens,<br />
das vor hundert Jahren seinen Höhepunkt erreichte».<br />
Auch bisher ist das Interesse an <strong>Stückelberg</strong> noch gering. Das liegt<br />
gewiss daran, dass seine in den Museumsbeständen vorhandenen<br />
Werke nur punktuell gezeigt werden. Eine erfreuliche Ausnahme bildete<br />
die gross angelegte Ausstellung 2003 im Kunstmuseum Basel,<br />
initiiert durch den stellvertretenden Direktor Prof. Bernd Wolfgang<br />
Lindemann, die einen eindrucksvollen Überblick über sein Werk<br />
erlaubte.<br />
13
Selbstbildnis, 1853. Bleistift, Kohle, Kreide, weiss gehöht auf Papier, 14 x 10,5 cm<br />
14
Jugend, Lehrjahre 1850–1856:<br />
Antwerpen – Paris – München<br />
<strong>Ernst</strong> <strong>Stückelberg</strong> wurde <strong>1831</strong> in einer wohlhabenden <strong>Basler</strong><br />
Kaufmannsfamilie geboren. Er war das erste Kind aus der zweiten<br />
Ehe seines Vaters Emanuel Stickelberger 1 , die er mit Susanna<br />
Berri eingegangen war. Drei Söhne – Mathias, Emanuel und Eduard<br />
– waren der früheren Ehe des Vaters entsprungen, der jetzt gerne<br />
auch eine Tochter gehabt hätte. Dieser Wunsch wurde ihm mit der<br />
Geburt von Susanna zwei Jahre später erfüllt, allerdings wurde der<br />
auch musisch orientierte Vater Stickelberger kurz danach der Familie<br />
durch den Tod entrissen. Das Bild der «schwarzen Männer», die<br />
den Sarg wegtrugen, verfolgte das Kind noch lange.<br />
Die verwitwete Mutter erhielt Unterstützung durch ihren Bruder<br />
Melchior Berri (1801–1854) 2 , einen renommierten Architekten, der<br />
mit der Schwester des Kulturhistorikers Jacob Burckhardt (1818–<br />
1897) 3 verheiratet war. Verwandte kümmerten sich um die Halbwaisen,<br />
darunter die unvergessliche Tante Gritli, die Schwester der<br />
Mutter – später Margareta Bernoulli-Berri (1807–1867) –, die im<br />
zweiten Geschoss des Familienhauses am Nadelberg wohnte. Die<br />
Familie verbrachte die Sommermonate oft gemeinsam an ländlichen<br />
Orten.<br />
Ausflüge zu Ruinen der Umgebung reizten den jungen <strong>Ernst</strong>, sie zu<br />
zeichnen, womit er viele Stunden zubrachte. Dabei zeigte sich sein<br />
Talent schon früh, und bald besuchte er die Zeichenschule, wo ihn<br />
seine Lehrer in Kürze mit Preisen honorierten. Sein Onkel, Architekt<br />
Berri, nahm seinen Neffen nach dessen Konfirmation zur Weiterbildung<br />
in seinen Betrieb auf. Aber schon da war dem jungen <strong>Stückelberg</strong><br />
klar, dass er <strong>Maler</strong> und nicht Architekt werden wolle. Mit 17<br />
Jahren unternahm er bereits, mit einem Skizzenbuch bewaffnet, eine<br />
14-tägige Erkundungsreise durch die Schweiz. Mutter und Onkel willigten<br />
auch ein, ihn zu dem geschätzten Porträtisten Johann Friedrich<br />
Dietler (1804–1874) 4 in Bern zu schicken. Dort vertiefte sich der<br />
15
<strong>Der</strong> Prophet Elias führt der Witwe von Zarpath ihren vom Tod erweckten Sohn zu, 1852. Öl auf Leinwand, 185,5 x 151 cm<br />
16
angehende Künstler ins Figurenzeichnen.<br />
Mit 19 Jahren wagte er<br />
sich an ein grosses Porträt des Soldaten<br />
Hentze von Konstanz. Dietler<br />
gab dem jungen <strong>Stückelberg</strong>, dessen<br />
Talent er erkannte, folgenden Rat auf<br />
den weiteren Weg mit:<br />
«Machen Sie nie etwas flüchtig! Alles<br />
mit Liebe und Sorgfalt! <strong>Der</strong> Kunst<br />
und sich zu liebe, nicht was es Ihnen<br />
beybringen mag. Immer der höchsten<br />
Vollendung nachstrebend!» 5<br />
Antwerpen 1850–1853<br />
Auf Anraten seines Onkels Jacob<br />
Burckhardt wandte sich <strong>Stückelberg</strong><br />
noch im gleichen Jahr über die Männlicher Halbakt, 1852. Öl auf Leinwand, 97 x 80 cm<br />
Rheinroute nach Antwerpen, dessen<br />
Akademie der Schönen Künste<br />
von vielen ausländischen Schülern frequentiert wurde (Abb. S. 14).<br />
Im Vordergrund stand dort die Historienmalerei, die sich in diesen<br />
Jahrzehnten zum Hauptanliegen der Künste entwickelt hatte. Es<br />
wurde dort in der flämischen Tradition der Antwerpener Peter Paul<br />
Rubens (1577–1640) 6 und Jacob Jordaens (1593–1678) 7 ein stark dramatisierender<br />
und kontrastreicher Stil unterrichtet. Ihr Protagonist<br />
war Gustav Wappers (1803–1874) 8 , seit 1840 Leiter der Akademie.<br />
Seine Historienbilder setzten neue Massstäbe für die Auseinandersetzung<br />
des jungen belgischen Staates mit seiner Geschichte. Wappers<br />
wurde offizieller Hofmaler König Leopolds von Belgien und<br />
avancierte zum Baron, um schliesslich nach Paris, einem weiteren<br />
Zentrum der Historienmalerei, umzuziehen.<br />
Die Ansprüche der Antwerpener Akademie waren hoch. Mit<br />
knappen Zeitvorgaben sollte nach männlichen, wenig bekleideten<br />
Modellen in grossem Stil die Anatomie des menschlichen Körpers<br />
17
studiert und wiedergegeben werden.<br />
Dies natürlich nur von Männern;<br />
den Damen war, und das überall<br />
noch lange, der Zutritt zu den Akademien<br />
verschlossen. <strong>Stückelberg</strong><br />
verliess also das Terrain der sachlich<br />
zurückhaltenden Porträtmalerei und<br />
schwelgte in der Darstellung von<br />
Körpern in kontrastreichen, plastisch<br />
herausmodellierten Formen.<br />
Schon bald errang er Preise im Figurenzeichnen<br />
wie im Malen, und das<br />
Spektrum seiner Themen oszillierte<br />
von biblischen Themen über die<br />
Antike bis hin zu Dante. Zweifellos<br />
wurden hier die Fundamente von<br />
<strong>Stückelberg</strong>s späterer Historienmalerei<br />
gelegt. Ein frühes Beispiel bildet<br />
sein monumentales Werk von<br />
Bildnis des <strong>Maler</strong>s Theodor Deschwanden, 1853. Öl auf Leinwand,<br />
46,5 x 38 cm<br />
1852: «<strong>Der</strong> Prophet Elias führt der<br />
Witwe von Zarpath ihren vom Tod<br />
erweckten Sohn zu.» Eine seiner<br />
Aktstudien fand in der Figur des Propheten Elias Eingang ins, im<br />
dramatischem Hell-Dunkel angelegte, grossformatige Bild (Abb.<br />
S. 16, 17).<br />
Theodor Deschwanden, 1853 (Abb. S. 18)<br />
So vermittelt das Bildnis des jung verstorbenen Theodor Deschwanden (1826–1861) 9<br />
einen lebhaften Eindruck dieses Innerschweizer Studienfreunds. Es verbinden sich<br />
darin Zeitgenossenschaft und Tradition. <strong>Der</strong> junge Mann mit seiner feingerahmten<br />
Brille und dem modisch geschwungenen Hutrand ist ein typischer Vertreter einer<br />
musisch orientierten Schicht des 19. Jahrhunderts, dargestellt wird er jedoch mittels<br />
der Hell-Dunkel-<strong>Maler</strong>ei des 17. Jahrhunderts, wie sie sich vor allem bei Selbstbildnissen<br />
von Rembrandt findet, wobei auch bei <strong>Stückelberg</strong> die Figur als Bruststück vor<br />
einem dunklem Hintergrund herausgearbeitet ist.<br />
18
Schon gleich zu Beginn seines<br />
Aufenthalts begegnete <strong>Stückelberg</strong><br />
Anselm Feuerbach (1829–1880) 10 ,<br />
der sich mehrfach an sein Krankenbett<br />
begab, als der junge <strong>Basler</strong><br />
geschwächt vom Ortswechsel darniederlag.<br />
Auch später sollten sich<br />
ihre Wege in Basel und Rom immer<br />
wieder kreuzen. Es hatte sich um<br />
dieses Zentrum der Historienmalerei<br />
ein internationaler Kreis begeistert<br />
arbeitender junger Künstler zusammengefunden,<br />
vor allem waren es<br />
Deutsche, aber auch Norweger und<br />
Schweizer, mit denen sich <strong>Stückelberg</strong><br />
befreundete. Oft kam es vor,<br />
dass man sich nach dem Tagesunterricht<br />
auch noch gegenseitig zum<br />
Porträt sass.<br />
Bildnis des Archäologen Johann Jakob Bernoulli, ca. 1860.<br />
Öl auf Karton, 56,5 x 48 cm<br />
An Selbstbewusstsein mangelte es<br />
dem Jungspund <strong>Stückelberg</strong> wahrlich<br />
nicht. 1850 schrieb er nach Hause über seine Kollegen:<br />
«Sie haben Talent. Doch erlaube ich mir zu sagen, dass, obschon jünger, ich<br />
denselben doch um Gutes überlegen bin. Buchser 11 war schon in Paris und<br />
Rom, kann aber noch nicht malen. Ich bin der Jüngste auf der Akademie<br />
Malenden, habe aber gottlob schon manchen überflügelt.» 12 (Abb. S. 20)<br />
Ein Ausflug zur Weltausstellung in London von 1851 mit seinem<br />
Halbbruder, dem Pfarrer Emanuel Stickelberger (1817–1881), und der<br />
Besuch seines Schulfreundes, des Archäologen Johann Jakob Bernoulli<br />
(<strong>1831</strong>–1913) 13 , verweisen auf seine fortgesetzte Verbindung mit der<br />
Heimat.<br />
19
Bildnis des Archäologen Johann Jakob Bernoulli,<br />
ca. 1860 (Abb. S. 19)<br />
<strong>Stückelberg</strong> malte seinen Freund mit mutig lockerem<br />
Pinselstrich im Dreiviertelprofil. Während der<br />
Kopf, vor allem das Gesicht, dessen Höhepunkte<br />
der rot leuchtende Mund und die lebendig blickenden<br />
Augen bilden, in einer fein modellierenden Farbigkeit<br />
plastisch herausgearbeitet ist, werden Kleidung<br />
und Hintergrund nicht besonders differenziert,<br />
fast flächig wiedergegeben. Das Kolorit ist fein<br />
abgestuft und lässt den Jünglingskopf gut zur Geltung<br />
kommen.<br />
Frank Buchser und <strong>Ernst</strong> <strong>Stückelberg</strong>, ca. 1860,<br />
Foto Höflinger<br />
Paris 1853<br />
Eine langjährige Freundschaft <strong>Stückelberg</strong>s<br />
mit dem <strong>Maler</strong> Ludwig Burger<br />
(1825–1884) 14 aus Berlin nahm in Antwerpen<br />
ihren Anfang. Mit ihm begab sich<br />
<strong>Stückelberg</strong> 1853 nach Paris. Er hoffte, in<br />
seiner <strong>Maler</strong>ei handwerklich dort weiterzukommen,<br />
um «mit dem Flotten auch das<br />
Sichere zu gewinnen». 15 Gemeinsam beobachteten<br />
die Freunde den Einzug des Präsidenten der Republik, der<br />
sich als Napoleon III. zum Kaiser erhob. Trotz einer Empfehlung<br />
von Wappers an den renommierten Historienmaler Leon Cogniet<br />
(1794–1880) 16 beschloss <strong>Stückelberg</strong>, nach intensiven Studien vor<br />
allem der Renaissancemaler im Louvre, darunter besonders Paolo<br />
Veronese (1528–1588) 17 , vom Heimweh gequält, erst einmal nach<br />
Hause zurückzukehren.<br />
München 1853–1856<br />
Verschiedene Wanderungen in der Schweiz folgten, eine führte ihn<br />
sogar bis nach Mailand. Mit dem Ziel, «das Kleinmalen zu lernen» –<br />
20
«Mein Atelier in München», ca. 1854. Bleistift auf Papier, 35 x 22 cm<br />
21
Melchtal kehrt zu seinem geblendeten Vater zurück, 1854/55. Öl auf Leinwand, 138 x 122 cm<br />
22
dies im Gegensatz zur grossen Geste der Flamen –, setzte er dann im<br />
Spätherbst seine Ausbildung an der Akademie der Bildenden Künste<br />
in München fort. Er wurde nach einer bravourös ausgeführten Probezeichnung<br />
ins Atelier des Moritz von Schwind (1804–1871) 18 aufgenommen;<br />
allerdings glänzte der Meister oft durch Abwesenheit,<br />
etwa weil er durch die Ausmalung in der Wartburg mit den Fresken<br />
des Elisabethzyklus und des Sängerkriegs – auch hier ein historisches<br />
Thema – in Anspruch genommen war. <strong>Stückelberg</strong> arbeitete also weitgehend<br />
selbstständig in seinem eigenen Atelier (Abb. S. 21). Er schuf<br />
ein Bild, das mit seiner Drastik seine Zeitgenossen geradezu zum<br />
Schaudern brachte:<br />
Melchtal kehrt zu seinem geblendeten Vater zurück, 1854/55 (Abb. S. 22)<br />
In diesem Gemälde, das darstellt, wie Sohn Arnold bei der Heimkehr entsetzt seinen<br />
Vater geblendet vorfindet, haben sich unübersehbar <strong>Stückelberg</strong>s Erfahrungen seiner<br />
Studien in Antwerpen niedergeschlagen. So zehren der starke Hell-Dunkel-Kontrast<br />
und die Dramatik der diesmal patriotisch konnotierten Szene eindeutig von seinen<br />
Eindrücken der flämischen <strong>Maler</strong>ei.<br />
Mutig und selbstbewusst schickte er das Bild an die «Exposition universelle<br />
des produits de l’agriculture, de l’industrie et des beaux-arts»<br />
in Paris von 1855, und tatsächlich hatte er dort grossen Erfolg – in<br />
seinen Worten «… und ich kam zu einer Reputation, die mich demütig<br />
machte, wenn ich vor mir selber bestehen wollte». 19 Für das Bild der<br />
«Stauffacherin» erhielt er im selben Jahr auf der «Schweizerischen Industrieausstellung<br />
20 und Ausstellung für Landwirtschaft und Künste»<br />
von 1856 eine silberne Medaille. Das Bild gelangte in die Sammlung<br />
des Bundeshauses.<br />
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<strong>Ernst</strong> <strong>Stückelberg</strong> (<strong>1831</strong>–<strong>1903</strong>) war in der Schweiz wie auch in<br />
Deutschland – ähnlich dem fast gleichaltrigen Arnold Böcklin<br />
(1827–1901) – ein zu Lebzeiten höchst geschätzter <strong>Maler</strong>.<br />
Nach einer vielseitigen Ausbildung an den Akademien von<br />
Antwerpen und München folgte er dem Rat seines Onkels<br />
und Mentors Jacob Burckhardt und reiste durch Italien bis<br />
nach Rom. In den Sabiner Bergen entdeckte er das Dorf<br />
Anticoli als das Ideal des «einfachen Lebens». Trotz seiner nie<br />
endenden Italiensehnsucht war es Basel, wo er seine bald<br />
achtköpfige Familie gründete. Sie liess sich im altehrwürdigen<br />
Erimanshof nieder, wo <strong>Stückelberg</strong> den Empfangssaal in<br />
antikischer Manier reich ausmalte. 1877 wurde er auserkoren,<br />
das Nationaldenkmal der Tellskapelle am Vierwaldstättersee<br />
mit Szenen aus dem Gründungsmythos der Eidgenossenschaft<br />
auszugestalten. Vor allem dieses Werk verbreitete seinen Ruf<br />
weit über die Schweiz hinaus.<br />
Neben patriotischen und antikischen Sujets schuf er auch<br />
Idyllen von fast märchenhaftem Charakter, einfühlsame<br />
Porträts, besonders auch seiner Familie, sowie zahlreiche<br />
spontane Farbskizzen von seinen Wanderungen.<br />
<strong>Stückelberg</strong>s Gesamtwerk überrascht durch die Vielseitigkeit<br />
seiner Gestaltungsmittel und Genres, in denen sich die kulturelle<br />
Vielfalt seiner bildungsbürgerlichen Herkunft spiegelt.<br />
ISBN 978-3-7245-2639-1