SUMO #30
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Fachmagazin des Bachelor Studiengangs Medienmanagement der FH St. Pölten<br />
Medien und Terror<br />
» JournalistInnen als Zielscheibe<br />
» Visualisierung von Terror<br />
» Problematik der Live-Berichte<br />
Ausgabe 30<br />
- März 2018-
St. Pölten University of Applied Sciences<br />
Jetzt<br />
informieren!<br />
fhstp.ac.at/bmm<br />
© Martin Lifka Photography<br />
Bachelorstudium<br />
Medienmanagement<br />
Radio / TV / Print / Online<br />
Schwerpunkte:<br />
• Content Management<br />
• Marketing und Sales<br />
• Strategisches Management<br />
2<br />
fhstp.ac.at/bmm<br />
Thema<br />
medien & wirtschaft
Inhalt<br />
» Wenn JournalistInnen zur Zielscheibe werden 4<br />
» Definitionsproblem Terror 7<br />
» Der Umgang mit der Visualisierung von Terror 11<br />
» Live-Berichte: Was sagt die Polizei? 15<br />
» Dörfliche Kommunikation über Terror 18<br />
» Die Inszenierung des Terrors in österreichischen Tageszeitungen 21<br />
» Hashtags und der Journalismus 24<br />
» Terror auf der Leinwand 27<br />
» Bomben auf die Kunstfreiheit 31<br />
» Radikalisierung 2.0 - Extremismus in modernen Medien 33<br />
Editorial<br />
Liebe Leserin, lieber Leser!<br />
Für MedienrezipientInnen hat es den Anschein, dass<br />
noch nie so viele Terroranschläge verübt wurden wie<br />
heute. An diesem Eindruck lässt sich ablesen: Terrorakte<br />
sind auch Kommunikationsakte. Die Macht des<br />
Terrorismus funktioniert wie Propaganda und die Opfer<br />
sind Werkzeuge dieser mörderischen Propaganda.<br />
Medien sind dabei – bisweilen wechselseitig abhängige<br />
– Kanäle und zu den Wirkungen gehören etwa Panik,<br />
aber auch Solidarität, Repression, mitunter Kriege.<br />
Medienschaffende unterliegen hier einer besonderen<br />
berufsethischen Verantwortung, und: schlussendlich<br />
gilt es auch, dass RezipientInnen dieses erhöhte Augenmerk<br />
und sauberen Journalismus akzeptieren.<br />
<strong>SUMO</strong> hat sich daher des Spannungsfeldes Medien<br />
und Terrorismus angenommen, u.a. zu folgenden Themen:<br />
die mediale Definitionsmacht in puncto Terrorist/<br />
in, die heikle Berichterstattung bzw. Visualisierung von<br />
Anschlägen, die Verarbeitung von Terror in Spielfilmen,<br />
JournalistInnen als Terroropfer, die Kommunikation<br />
des IS, u.v.m.<br />
interviewende Studierende, Vernetzung zwischen<br />
Jungen & Jungbleibenden. <strong>SUMO</strong> hat die Funktion<br />
einer Visitenkarte für unsere Ausbildung des Führungskräfte-Nachwuchses<br />
für Medienunternehmen,<br />
andererseits ermöglicht es den Studierenden eine<br />
Referenzierung auf deren im Studienrahmen erstellte<br />
Medienproduktionen.<br />
Sie halten nach einer 10-jährigen Publikationsgeschichte<br />
die 30. Jubiläumsausgabe in Händen: Das<br />
Re-Design entwickelte Christin Güldner, Studentin<br />
des Masterstudiengangs Digitale Medientechnologien<br />
– ein herzliches Dankeschön, auch für die weitere<br />
Studiengänge übergreifende Kooperation (siehe S. 17).<br />
Ad multos annos wünschen wir Ihnen und uns!<br />
Wir bieten Ihnen als unseren Zielgruppen – Führungskräfte<br />
aller Mediengattungen, Lehrende und<br />
Studierende der FH St. Pölten, SchülerInnen Berufsund<br />
Allgemeinbildender Höherer Schulen mit Medienschwerpunkt<br />
– mehrere Vorteile: zu virulenten<br />
Themen der Medienbranche forschende, ExpertInnen<br />
FH-Prof. Mag. Ewald Volk<br />
Studiengangsleiter Bachelor<br />
Medienmanagement<br />
FH-Prof. Mag. Roland Steiner<br />
Praxislaborleiter Print<br />
Chefredakteur <strong>SUMO</strong><br />
Cover: Quelle: pixabay<br />
Inhalt und Editorial<br />
3
Wenn JournalistInnen zur Zielscheibe<br />
werden<br />
Das Ausmaß an Gewalt gegenüber JournalistInnen scheint Jahr für Jahr<br />
größere Dimensionen anzunehmen. Im Gespräch mit <strong>SUMO</strong> erzählt Moderatorin<br />
Arabella Kiesbauer wie es ist, Opfer zu sein und Medienrechtsanwalt<br />
Franz Galla davon, wie man sich zur Wehr setzen kann.<br />
Regelmäßig entnimmt man den Nachrichten,<br />
dass JournalistInnen Ziel terroristischer<br />
und gewalttätiger Attacken<br />
sind. Nicht zuletzt durch den Angriff auf<br />
die maltesische Investigativjournalistin<br />
Daphne Caruana Galizia, die im Oktober<br />
2017 durch eine Autobombe getötet<br />
wurde, wird deutlich, welchen Gefahren<br />
JournalistInnen weltweit ausgesetzt<br />
sind.<br />
Bewusstsein schaffen als Aufgabe<br />
Um auf diese Problematik aufmerksam<br />
zu machen, widmen sich verschiedene<br />
Organisationen dem Schutz der JournalistInnen.<br />
Im Jahr 2017 wurden beispielsweise<br />
beim Council of Europe,<br />
das u.a. mit Reporter ohne Grenzen<br />
und dem International Press Institute<br />
zusammenarbeitet, 125 Anzeigen<br />
eingebracht, die die Verletzung der<br />
Medienfreiheit dokumentieren. Es werden<br />
hierbei nicht nur Fälle von JournalistInnen<br />
veröffentlicht, die durch<br />
Zensur oder Gesetze in ihrer Arbeit<br />
eingeschränkt wurden, sondern auch<br />
Drohungen erhielten, unrechtmäßig<br />
verhaftet, attackiert und sogar getötet<br />
wurden. So werden tatsächlich geprüfte<br />
Daten der Öffentlichkeit zugänglich<br />
gemacht und laufend ergänzt, um eine<br />
Chronologie der Ereignisse vermitteln<br />
zu können.<br />
Das Committee to Protect Journalists<br />
führt seit 1992 Aufzeichnungen über<br />
Attacken auf JournalistInnen und liefert<br />
u.a. Hintergründe dazu, welcher Organisation<br />
die Opfer angehörten, ob die<br />
Opfer bedroht oder gefoltert wurden<br />
und ob z.B. kriminelle Gruppierungen,<br />
das Militär oder ein Mob für die Angriffe<br />
verantwortlich waren. Auf diese Art und<br />
Weise konnten in den letzten 15 Jah-<br />
Quelle: pixabay<br />
4<br />
Wenn JournalistInnen zur Zielscheibe werden
en 1.266 Fälle dokumentierter Gewalt<br />
gegen JournalistInnen gesammelt und<br />
veröffentlicht werden.<br />
Laut des italienischen Watchblogs „O2“<br />
wurden in Italien in den Jahren 1960<br />
bis 2013 26 italienische JournalistInnen<br />
von TerroristInnen oder der Mafia<br />
ermordet und von 2006 bis 2013 rund<br />
1.400 bedroht. Die Gefahr und das Risiko<br />
des Berufs sind dort immanent.<br />
Drohungen auf der Tagesdrohung<br />
Auch Arabella Kiesbauer, in Wien lebende<br />
österreichische Fernsehmoderatorin<br />
(u.a. Talkshow „Arabella“ auf<br />
„ProSieben“ von 1994 bis 2004), ist<br />
sich des Risikos ihres Berufs durchaus<br />
bewusst. Bereits nach ihrer ersten Sendung<br />
erhielt sie erste Hassnachrichten<br />
von ZuseherInnen: „Ganz am Anfang<br />
war ich eher verwundert, weil ich überhaupt<br />
nicht damit gerechnet hatte. Ich<br />
bin gleich in die Defensive gegangen<br />
und habe mich dazu entschlossen, das<br />
in einer der nächsten Sendungen zum<br />
Thema zu machen.“<br />
Trotz ihrer starken und mutigen Haltung<br />
gegenüber Drohungen und Hassbotschaften<br />
blieb auch sie nicht von<br />
gravierenden Erlebnissen verschont:<br />
Im Juni 1995 explodierte eine an Kiesbauer<br />
adressierte Briefbombe in den<br />
Händen ihrer Mitarbeiterin in der Redaktion<br />
des TV-Senders „ProSieben“ in<br />
München – Absender war der österreichische<br />
Terrorist Franz Fuchs. Die rassistisch<br />
motivierten Bombenanschläge<br />
und Morde Fuchs’ forderten viele Opfer,<br />
unter anderem wurden vier Roma<br />
getötet, der damalige Wiener Bürgermeister<br />
Helmut Zilk und die Flüchtlingshelferin<br />
Ute Bock schwer verletzt.<br />
Der Anschlag auf ihre Person hatte für<br />
Kiesbauer nicht nur private, sondern<br />
auch berufliche Konsequenzen. Neben<br />
den starken und langwierigen Schutzvorkehrungen<br />
rund um ihre Person<br />
und den Sender musste sie sich die<br />
Frage stellen, ob ihre Arbeit das Risiko<br />
verletzt zu werden wert ist und ob sie<br />
weiterhin in der Öffentlichkeit stehen<br />
möchte. „Manche der Fragen konnte<br />
ich für mich mit ,Ja’ beantworten, aber<br />
ich habe gemerkt, ich muss aus der Opferrolle<br />
heraustreten und selber in die<br />
Offensive gehen – so habe ich angefangen,<br />
mich selbst gegen Rassismus<br />
zu engagieren.“<br />
Tatort Internet<br />
Die OSZE, deren Ziel es ist, die Sicherheit<br />
und Zusammenarbeit in Europa<br />
zu fördern, kritisiert die steigende Gewalt<br />
gegenüber JournalistInnen, die<br />
vor allem online in den letzten Jahren<br />
zugenommen hat. Dass Medienschaffende<br />
auch im Netz attackiert werden,<br />
ist längst Normalität: Laut einer Studie<br />
der US-amerikanischen Organisation<br />
„Working to Halt Online Abuse“ waren<br />
im Zeitraum 2000 bis 2012 rund 73<br />
Prozent der Gewalt gegen JournalistInnen<br />
online an Frauen gerichtet. Angriffe<br />
gegen Journalistinnen stellen insofern<br />
eine Verletzung der Pressefreiheit<br />
dar, da sie häufig sexueller Natur sind.<br />
Diese untergriffigen Attacken können<br />
sich negativ auf die wahrgenommene<br />
Glaubwürdigkeit auswirken, was u.a.<br />
in Selbstzensur resultiert. Weiters liegt<br />
die Gefahr darin, dass sobald Inhalte<br />
online sind, sie für immer online sein<br />
werden – was ein Vergessen für die<br />
Betroffenen unmöglich macht.<br />
Um sich gegen diese Form der Gewalt<br />
zu wehren, empfiehlt die OSZE, dass<br />
Medienunternehmen eine Unternehmenskultur<br />
schaffen sollen, in der<br />
alle Geschlechter gleich sind und eine<br />
Null-Toleranz-Politik für Bedrohungen<br />
oder Attacken gegenüber den MitarbeiterInnen<br />
herrscht. Zusätzlich soll mehr<br />
mit Organisationen zusammengearbeitet<br />
werden, die sich dem Schutz,<br />
Training und Mentoring von Journalistinnen<br />
verschrieben haben, um ein<br />
Bewusstsein für die Problematik in der<br />
Medienlandschaft zu schaffen.<br />
Hass im Netz ist kein Kavaliersdelikt<br />
Auch rechtlich stehen betroffenen<br />
JournalistInnen verschiedene Möglichkeiten<br />
zur Verfügung, um gegen<br />
Attacken vorzugehen. So können auf<br />
dem zivilrechtlichen Weg u.a. eine<br />
einstweilige Verfügung beantragt und<br />
auf dem strafrechtlichen Weg ein Beschlagnahmeantrag<br />
gestellt werden.<br />
Welchen Weg Betroffene einschlagen,<br />
hängt vom Tatbestand ab: Bei einer<br />
falschen Tatsachenbehauptung oder<br />
Medienrechtsanwalt Franz Galla. Quelle:<br />
Stefan Olah<br />
einem überschießenden Meinungsurteil<br />
kann eine einstweilige Verfügung<br />
gegebenenfalls sehr rasch erlassen<br />
werden. „Mit dieser einstweiligen Verfügung<br />
muss der Diensteanbieter, also<br />
z. B. ,Facebook’, das Posting sofort<br />
vom Netz nehmen, weil er sonst Strafe<br />
zahlen muss“, so Franz Galla, Medienrechtsanwalt<br />
in Wien. Dass das Internet<br />
kein rechtsfreier Raum ist, wird<br />
vor allem beim Strafausmaß deutlich:<br />
Straftaten online werden stärker bestraft,<br />
da sie einer breiteren Öffentlichkeit<br />
zugänglich sind.<br />
Trotz allem wird die steigende Gewalt<br />
im Netz zu wenig verfolgt, laut Galla<br />
hat dies folgende Gründe: Die wenigstens<br />
wissen um ihre Rechte Bescheid,<br />
um gegen Kriminalität im Netz vorzugehen.<br />
Weiters fehlen oft die Kenntnisse<br />
rund um die Rechtsdurchsetzungsmöglichkeiten.<br />
So können Betroffene<br />
auf strafrechtlichem oder zivilrechtlichem<br />
Weg vorgehen, wobei der strafrechtliche<br />
Weg meist vom Aktivwerden<br />
der Staatsanwaltschaft abhängt und<br />
der zivilrechtliche Weg häufig kostenintensiv<br />
ist, wodurch die Betroffenen<br />
ein gewisses Prozesskostenrisiko mittragen<br />
müssen.<br />
Auch die Gesetzgebung muss sich an<br />
die neuen Umstände besser anpassen,<br />
so sollte die Vorschrift geschaffen werden,<br />
Redaktionsteams für Plattformen<br />
wie „Facebook“, „Twitter“ etc. einzuführen,<br />
die die Postings auf anstößige Inhalte<br />
kontrollieren und gegebenenfalls<br />
Maßnahmen einleiten. Weitere Forderungen<br />
von Rechtsexperten an die<br />
Politik sind beispielsweise Regelungen,<br />
wo Diensteanbieter per Gesetz dazu<br />
gezwungen werden, die IP-Adressen<br />
der TäterInnen herauszugeben, um ein<br />
Vorgehen gegen diese zu vereinfachen.<br />
Zusätzlich soll die Verfahrenshilfe auf<br />
Cyber-Crime-Fälle ausgedehnt werden,<br />
wodurch Opfern eine kostenlose<br />
juristische Prozessbegleitung zustehen<br />
würde.<br />
Das Risiko bleibt<br />
Obwohl die Möglichkeiten zum Schutz<br />
der JournalistInnen bereits vielfältig<br />
sind und sich immer mehr Menschen<br />
der Gefahr bewusstwerden, der sich<br />
JournalistInnen aussetzen, bleibt immer<br />
ein gewisses Restrisiko, das nicht<br />
unterschätzt werden darf. Kiesbauer<br />
rät ihren KollegInnen achtsam zu sein:<br />
„Man muss ein wachsames Auge haben,<br />
wenn man weiß, dass man zu den<br />
potentiell gefährdeten Personen gehört.<br />
Ein wachsames Auge haben auf<br />
die, die auf einen reagieren.“<br />
von Johanna Schinnerl<br />
Wenn JournalistInnen zur Zielscheibe werden<br />
5
REPORTER OHNE GRENZEN<br />
FÜR MEINUNGSFREIHEIT<br />
Unzählige JournalistInnen werden<br />
aufgrund ihrer Arbeit bedroht,<br />
verhaftet, attackiert und getötet.<br />
STATISTIKEN AUS DEM JAHR 2017<br />
WELTWEIT<br />
WURDEN<br />
DIE GEFÄHRLICHSTEN LÄNDER<br />
ANZAHL DER TODESOPFER<br />
326 Journalisten verhaftet<br />
65 Journalisten getötet<br />
54 Journalisten als Geisel genommen<br />
2 Journalisten vermisst<br />
39 davon wurden gezielt ermordet.<br />
26 davon starben bei Einsätzen.<br />
RANKING<br />
IM WELT-PRESSE-FREIHEITS-INDEX<br />
1<br />
NORWEGEN<br />
Platz 1 / 180<br />
TOP 10<br />
1. Norwegen<br />
2. Schweden<br />
3. Finnland<br />
4. Dänemark<br />
43<br />
UNITED STATES<br />
Platz 43 / 180<br />
11<br />
ÖSTERREICH<br />
Platz 11 / 180<br />
NORDKOREA<br />
Platz 180 / 180<br />
180<br />
5. Niederlande<br />
6. Costa Rica<br />
7. Schweiz<br />
8. Jamaica<br />
9. Belgien<br />
10. Island<br />
6<br />
Wenn JournalistInnen zur Zielscheibe werden
Definitionsproblem Terror<br />
Der Begriff Terror ist mit starken Emotionen behaftet. Protest-Hashtags,<br />
Leserbriefe und Forendiskussionen machen deutlich, dass seitens der<br />
MedienrezipientInnen Unklarheit in puncto seiner Definition herrscht.<br />
<strong>SUMO</strong> interviewte dazu Markus Rheindorf, Sprachwissenschaftler und<br />
(Medien-)Diskursanalytiker an der Uni Wien, und Walter Hämmerle, stellvertretender<br />
Chefredakteur der „Wiener Zeitung“.<br />
Der Duden definiert Terror gemeinhin<br />
als „Verbreitung von Angst durch Gewaltanwendung<br />
an Personengruppen“,<br />
Terrorismus wiederum inkludiert das<br />
„Durchsetzen bestimmter Ziele“ durch<br />
Anwendung von Terror. Für Rheindorf<br />
ist das zu weit gefasst: „Diese Definition<br />
gilt im Grunde für jede Gewaltandrohung,<br />
theoretisch auch für einen<br />
Raubüberfall. Sie weicht von dem ab,<br />
was die Terrorismusforschung meint.“<br />
Seine Definition von Terror berücksichtigt<br />
die Spezifizierung der Opfergruppe.<br />
Dabei sei zu beachten, dass der Terror<br />
nicht nur die unmittelbar vom verübten<br />
Gewaltakt Betroffenen einschließt.<br />
Terror operiert vor allem mit der Angst<br />
der Möglichkeit, dass künftig andere<br />
Mitglieder dieser bedrohten Gruppe<br />
davon betroffen sein könnten. Um die<br />
Begriffsdefinition enger zu fassen, seien<br />
daneben auch die Ziele und der Grad<br />
der Organisation bei terroristischen<br />
Verbrechen zu untersuchen, um sie von<br />
anderen Gewaltverbrechen unterscheiden<br />
zu können. „Ein terroristisches Ziel<br />
kann auch sehr diffus oder weitläufig<br />
sein, zum Beispiel die Destabilisierung<br />
des Staates. Es muss aber in jedem Fall<br />
artikuliert sein,“ so Rheindorf.<br />
Auf die Frage hin, ab wann ein Ziel zu<br />
persönlich ist, um als terroristisch eingestuft<br />
zu werden, erwidert er: „Da<br />
braucht es haltbare Unterscheidungen.<br />
Auch ein politisches oder religiöses Ziel<br />
kann sehr persönlich sein. Wenn wir<br />
den Begriff ,persönlich‘ so definieren,<br />
dass es nur meine Lebenswelt betrifft,<br />
dann kann man nicht von Terrorismus<br />
sprechen.“ Was den Grad der Organisation<br />
eines terroristischen Verbrechens<br />
betrifft, sei der Vorsatz auf jeden Fall<br />
unerlässlich. Ein Terrorakt könne unter<br />
keinen Umständen zufällig oder<br />
fahrlässig geschehen. Eine langfristige<br />
Planung sei dennoch nicht mehr<br />
zwangsläufig vorauszusetzen: „Dem<br />
widerspricht das Modell des LKW/<br />
PKW-Attentats, das zu populär und zu<br />
mächtig geworden ist. Früher wurde<br />
ein solches Verbrechen bestimmt akribischer<br />
geplant, aber der Anspruch hat<br />
sich mit Anschlägen dieser Art ziemlich<br />
aufgelöst.“<br />
Juristisch wäre man sicherlich auf Indizien<br />
wie Kommunikation mit anderen<br />
über die geplante Tat angewiesen.<br />
Man könne den Plan nicht unmittelbar<br />
mit dem Kauf der Tatwaffe oder beispielsweise<br />
dem Stehlen des PKWs in<br />
Verbindung bringen, da beide Aktionen<br />
zeitlich weit entfernt vom tatsächlich<br />
durchgeführten Gewaltakt liegen können.<br />
Der Grad der Organisation lässt<br />
sich in weiterer Folge an Vernetzungen<br />
der Täter zu einer Gesinnungsgemeinschaft<br />
festmachen. Dabei gibt es oft<br />
unklare Verbindungen, die im Zuge der<br />
Ermittlungen erst aufgeklärt werden<br />
müssen, sehr deutliche Verbindungen<br />
oder Extremfälle wie den sogenannten<br />
Islamischen Staat. Bei dieser überdeutlichen<br />
Verbindung bekennt sich die<br />
Organisation bewusst zu ihren Verbrechen<br />
– und macht sich, wie oft vermutet,<br />
auch andere Gewaltverbrechen zu<br />
eigen. Gemeinsam mit anderen wird der<br />
Terror in Camps trainiert, der Terrorist<br />
ist also „eingebettet in ein Netzwerk,<br />
das nicht nur ideologisch, sondern auch<br />
finanziell, materiell und personell organisiert<br />
ist.“<br />
Bei unklaren Verbindungen oder vermeintlichen<br />
EinzeltäterInnen sprechen<br />
Medien daher oft von Amoklauf. Gerade<br />
bei der Unterscheidung Amoklauf versus<br />
Terror kommt es zu Gegenwellen<br />
in sozialen Netzwerken. Nach ersten<br />
Befunden des Anschlags in Las Vegas<br />
berichteten viele Medien von Amoklauf<br />
und wurden dafür seitens kritischer RezipientInnen<br />
mit dem Hashtag #WhitePrivilege<br />
beanstandet. Demnach<br />
verhänge man bei weißen, männlichen<br />
Einzeltätern oftmals das Urteil der<br />
Unzurechnungsfähigkeit – ein wichtiges<br />
Kriterium für den Amoklauf – und<br />
sei geneigt, bei Menschen mit Migrationshintergrund<br />
oder muslimischer<br />
Religionsangehörigkeit schneller von<br />
Terror zu berichten. Ist diese Kritik gerechtfertigt<br />
oder gibt es ein weiteres<br />
Unterscheidungskriterium zwischen<br />
den Tatbeständen, nach dem Medien<br />
gemeinhin operieren?<br />
Laut Rheindorf schon: „In der Mediensprache<br />
ist Amoklauf an sich kein scharf<br />
Quelle: flickr<br />
jordanbower.com<br />
Definitionsproblem Terror<br />
7
abgegrenzter Tatbestand. Daher macht<br />
es juristisch wenig Unterschied, wie<br />
das Verbrechen letztendlich bezeichnet<br />
wird. Der Amoklauf ist ein Kontrollverlust,<br />
ein sogenannter emotionaler<br />
Ausnahmezustand. Er geht oftmals<br />
einher mit der Akzeptanz des eigenen<br />
Todes“ – was durchaus eine Parallele<br />
zu Selbstmordattentätern aufweist –<br />
„jedoch scheint mir das härteste Unterscheidungskriterium<br />
das Fehlen eines<br />
höheren Ziels zu sein. Ein Amokläufer<br />
agiert nicht mit der Motivation die Gesellschaft<br />
in irgendeiner Form zu verändern.“<br />
Medien und Terror<br />
Eine größere Debatte ist für ihn der mediale<br />
Umgang mit Terror. Dabei gilt es<br />
kritisch zu bleiben und zu beobachten,<br />
„wie schnell diese Zuschreibungen passieren<br />
und auf welcher Grundlage sie<br />
basieren.“ Werden sie angedeutet oder<br />
direkt formuliert? Genügt im entsprechenden<br />
Medium nur noch die Nennung<br />
der Herkunft oder Religion, um<br />
den Täter als potenziellen Terroristen<br />
zu bezeichnen? Laut Markus Rheindorf<br />
gilt es zwischen laufender Berichterstattung<br />
und dem Berichten über ein<br />
konkretes, aktuelles Ereignis zu unterscheiden.<br />
Missbrauch passiere häufig<br />
bei Meldungen zwischen Anschlägen,<br />
wenn die Fakten bereits geklärt seien<br />
oder spekulierenden Meldungen bei<br />
Ereignissen, die noch nicht untersucht<br />
wurden. Gerade Massenmedien agieren<br />
in solchen Fällen oft sensationsund<br />
skandallüstern und nehmen dem<br />
Islamischen Staat damit ein Stück weit<br />
die Arbeit ab.<br />
Missbrauch von Terrorberichterstattung<br />
tritt dabei in unterschiedlichen<br />
Formen auf. Als häufig genutzte Mechanismen<br />
bei Tageszeitungen nennt<br />
der Diskursanalytiker dabei das Nutzen<br />
sogenannter „Priming-Effekte“ und<br />
Komposita-Bildungen in Schlagzeilen.<br />
Letzterer bedienen sich vor allem Boulevard-Medien<br />
sehr gerne. Dabei werden<br />
Komposita, wie nicht zuletzt 2015<br />
„Terrorlenker“, gebildet und in Schlagzeilen<br />
platziert. Die Überschriften kommen<br />
zumeist jedoch in den Texten nicht<br />
vor und die Zusammenhänge werden<br />
dabei nicht aufgelöst. Auch Priming<br />
arbeitet mit nicht ausformulierten und<br />
daher unterschwellig wirkenden Assoziationsbildungen.<br />
„In unserer Forschungsarbeit sehen wir<br />
sehr gut, dass bestimmte Themen über<br />
Jahre hinweg zu unterschiedlichen Zeitpunkten<br />
unterschiedlich stark miteinander<br />
verknüpft werden. Dabei werden<br />
nicht Einzelfälle, sondern konsequent<br />
Themen miteinander verkettet. Dieses<br />
Phänomen nennt man Priming. Wenn<br />
über einen langen Zeitraum zwei Themen<br />
immer wieder miteinander verknüpft<br />
werden, sodass nur die Nennung<br />
eines der beiden Phänomene Gedanken<br />
an das andere mitauslöst, dann hat<br />
man sein Publikum erfolgreich ‚geprimed“.<br />
Dabei müsse der Zusammenhang<br />
zwischen den Themen niemals ausdiskutiert<br />
werden. Als Beispiel für ein Priming-Phänomen<br />
nennt Rheindorf den<br />
Begriff der „Integrationsunwilligkeit“<br />
im Zusammenhang mit den Anschlägen<br />
auf das Satiremagazin „Charlie Hebdo“<br />
in Paris.<br />
„Anfang 2015 gab es einen Entschließungsantrag<br />
im Rahmen des steirischen<br />
Wahlkampfes, für den die Anschläge<br />
in Paris zum Anlass genommen<br />
wurden, um über Integration in Österreich<br />
zu reden. Dabei wurde der Begriff<br />
der Integrationsunwilligkeit, der davor<br />
nie Teil des politischen oder medialen<br />
Diskurses in Österreich war, plötzlich<br />
auf politische Ebene gehoben. Integrationsunwilligkeit<br />
hebt ja damit die Vorstellung<br />
hervor, dass eigentlich bereits<br />
der Wille oder Unwille zur Integration<br />
ein Tatbestand sein kann. Terrorismus<br />
wurde daraufhin laufend im Kontext mit<br />
Integrationsunwilligkeit erwähnt – der<br />
Zusammenhang aber nie ausformuliert,<br />
denn damit würde sich das Medium angreifbar<br />
machen. Der Eindruck, der aber<br />
dabei entstand, ist, dass diese Integrationsunwilligkeit<br />
eine Art Vorstufe von<br />
Terrorismus ist. Im Nachhinein wurden<br />
Beispiele dazu genannt: Mädchen, die<br />
nicht zum Schwimmunterricht gehen,<br />
Burschen, die nicht die Hand schütteln.<br />
All das steht auf einem völlig anderen<br />
Platz als der Terrorismus in Paris. Die<br />
Verkettung, die durch Priming aber entsteht<br />
ist jene, dass mit diesem ,Fehlverhalten’<br />
von Kindern Terrorismus<br />
assoziiert wird.“ Es handle sich dabei<br />
um eine Art Konditionierung – „wie<br />
der Pawlow’sche Hund, nur wesentlich<br />
komplexer.“<br />
Mündigkeit der Leserschaft<br />
Walter Hämmerle setzt sich hingegen<br />
sehr für die Mündigkeit österreichischer<br />
LeserInnen ein. „LeserInnen sind im<br />
Großen und Ganzen sehr viel klüger, als<br />
viele MedienanalytikerInnen denken.<br />
Jede/r Leser/in hat seinen bzw. ihren<br />
eigenen Kopf und nur weil etwas in der<br />
Zeitung steht, denke ich nicht, dass die<br />
Leute das unhinterfragt so aufnehmen.<br />
Ich habe ein grundsätzliches Grundvertrauen<br />
in die Intelligenz, die Mündigkeit<br />
und die Selbstverantwortung vor allem<br />
unserer eigenen LeserInnen. Schließlich<br />
sind wir nicht bei Pawlow’schen Reflexen,<br />
wo die dumme Masse nach dem<br />
Reizimpuls-Prinzip agiert. Da müssten<br />
wir ja allen Menschen das Wahlrecht<br />
entziehen. Das soll natürlich nicht<br />
heißen, dass man nicht manipulieren<br />
kann.”<br />
Auf die Frage, welche Standards sich<br />
die „Wiener Zeitung” gerade im Umgang<br />
mit Terror-Meldungen setze, gibt<br />
Hämmerle an, sehr reflektiert zu arbeiten.<br />
„Gleichzeitig wollen wir keine<br />
Fakten verschweigen. Wenn jemand im<br />
Zuge der Flüchtlingswelle in ein Land<br />
gekommen ist und dann eine solche Tat<br />
begeht, wäre es fahrlässig, es nicht zu<br />
sagen. Wenn jemand seit 20 Jahren in<br />
einem Land lebt, dort sozialisiert wurde,<br />
es als seine Heimat ansieht und sich<br />
dann trotzdem radikalisiert, dann muss<br />
man nach den Rahmenbedingungen<br />
und den Gründen dieser Radikalisierung<br />
fragen. Auch wenn das nicht heißt,<br />
dass man immer alle zu Opfern macht.<br />
Menschen, die sich in einen LKW setzen<br />
und andere Leute überfahren sind nicht<br />
von vornherein Opfer, sondern Täter.”<br />
Laut Hämmerle solle man Menschen<br />
die Fakten mitteilen und ihnen die Bildung<br />
einer Meinung selbst überlassen.<br />
Das sei guter Journalismus. Jedoch<br />
unterscheiden sich die Bedingungen<br />
zwischen Print- und Online-Berichterstattung.<br />
„Im Printjournalismus haben wir sehr<br />
viel mehr Zeit, über Dinge zu reflektieren.<br />
Der Produktionsrhythmus<br />
ist wesentlich langsamer als im Online-Bereich,<br />
wo die erste elektronische<br />
Meldung erst mal Fakten ausschickt:<br />
Zahl der Toten, Grund für die Explosion.<br />
Falschmeldungen können immer<br />
wieder passieren, aber dann werden<br />
sie im Zuge der nächsten Meldung korrigiert.<br />
Die Menschen sind dennoch in<br />
der Lage, das Gesamtbild im Auge zu<br />
behalten”, so Hämmerle.<br />
Letzten Endes lassen sich wichtige<br />
Kriterien, nach denen Terror zu kategorisieren<br />
ist, festmachen: Eine Tat ist<br />
immer auf ihre Motivation, die anvisierte<br />
Opfergruppe und den Grad der<br />
Organisation zu untersuchen, bevor<br />
man sie als terroristisch bezeichnen<br />
kann. Dass die Medien oft im Dunkeln<br />
tappen und nicht über alle Informationen<br />
zu den Tatbeständen verfügen,<br />
erschwert JournalistInnen die korrekte,<br />
faktenorientierte Auseinandersetzung<br />
mit Terror. Wesentlich ist im Endeffekt,<br />
dass bei der Berichterstattung ethische<br />
Standards beachtet werden und<br />
es nicht zur Anwendung manipulativer<br />
Effekte kommt.<br />
von Dana Radl<br />
8<br />
Definitionsproblem Terror
DER BEGRIFF TERROR<br />
Täterprofile im Fokus<br />
MOTIVATIONEN<br />
Beim Herangehen an den Begriff Terror und seine<br />
Verwendung in den Medien, ist es zunächst<br />
hilfreich, sich einen Überblick über die Anteile der<br />
einzelnen Motivationen diverser Tätergruppierungen<br />
an weltweit verübten Anschlägen zu verschaffen.<br />
15240<br />
Todesopfer weltweit<br />
im Jahr 2009<br />
Islamistisch / Christlich (10332)<br />
Unbekannt (2276)<br />
Politisch (2124)<br />
Ethnisch (508)<br />
TÄTERGRUPPEN<br />
ORGANISATION<br />
Religiöse Extremisten<br />
mit Verbindungen<br />
Politische zu Organisationen<br />
Einzeltäter<br />
mit Verbindung<br />
zu Organisationen<br />
EINZELTÄTER<br />
POLITISCHE MOTIVATION<br />
RELIGIÖSE MOTIVATION<br />
Gestaltung: Maximilian Doeringer NCTC Terrorismusbericht 2009<br />
Definitionsproblem Terror<br />
9
JOURNALISTEN IN DER TÜRKEI<br />
Journalisten seit dem Putsch<br />
am 15. Juli<br />
3.000 150<br />
entlassen<br />
über 3.000 Journalisten<br />
haben ihren Job<br />
verloren<br />
Journalisten<br />
Türkei<br />
festgenommen<br />
An die 150 türkische<br />
Journalisten sitzen im<br />
Gefängnis<br />
Schließung von Medien durch Erdogan<br />
170 Medien durch Erdogan geschlossen<br />
Journalisten im Jahr 2017<br />
326<br />
festgenommen<br />
die Hälfte aller<br />
Journalisten ist in<br />
diesen 5 Ländern<br />
inhaftiert:<br />
52<br />
43<br />
24<br />
23<br />
19<br />
China<br />
Türkei<br />
Syrien<br />
Iran<br />
Vietnam<br />
Journalisten<br />
Weltweit<br />
2<br />
verschwunden<br />
65<br />
getötet<br />
54<br />
entführt<br />
Grafik: Christine Safranek<br />
https://www.reporter-ohne-grenzen.de<br />
10<br />
JournalistInnen in der Türkei
Der Umgang mit der Visualisierung<br />
von Terror<br />
BildredakteurInnen sind täglich mit der Veröffentlichung von Fotos von<br />
Terrorereignissen konfrontiert. Dipl. Desig. Frank Robert aus der „Standard“-Fotoredaktion<br />
erklärt im <strong>SUMO</strong>-Interview, wie er dabei vorgeht.<br />
Presserat-Geschäftsführer Mag. Alexander Warzilek erläutert deren<br />
Standpunkt.<br />
Immer wieder werden Entscheidungen<br />
des Presserats zur Veröffentlichung<br />
von Fotos von Toten, schwerverletzten<br />
Opfern oder Verdächtigen im Zuge eines<br />
Anschlags bekanntgegeben. Viele<br />
davon werden als Ethikverstoß, andere<br />
als Verstoß gegen die Persönlichkeitsrechte<br />
und wieder andere als kein Verstoß<br />
entschieden. „Der Standard“, welcher<br />
Mitglied des Presserats ist, hatte<br />
in der Vergangenheit keine Probleme<br />
mit derartigen Fällen. Frank Robert<br />
dazu: „Wir sind hier allgemein eher zurückhaltend<br />
und vorsichtig.“<br />
Woher bekommt „Der Standard“ Fotos?<br />
Robert erklärt im Interview, dass „Der<br />
Standard“ direkt von diversen Bildagenturen<br />
die Aufnahmen in ein Bilddatensystem<br />
eingespielt bekommt,<br />
welche von den FotografInnen weltweit<br />
gemacht werden. Es dauert manchmal<br />
nur zehn Minuten, bis die ersten Bilder<br />
von einem Krisengebiet online zur Verfügung<br />
gestellt werden. Vernetzt ist die<br />
Zeitschrift mit den größten Bildagenturen,<br />
wie Reuters, AFP, APA, DPA und<br />
Getty. Die „Standard“-Fotoredaktion<br />
sichtet so pro Tag zehn- bis fünfzehntausend<br />
Bilder. Pro Terrorereignis sind<br />
es zwischen zwei- und fünfhundert Fotos<br />
über den Tag verteilt. Dazu kommen<br />
an darauffolgenden Tage noch weitere<br />
Aufnahmen zu dem Ereignis. Grund dafür<br />
ist, dass mit dem Anschlag selbst<br />
das Thema nicht fotografisch fertig ist.<br />
Es folgen Bilder von Stellungnahmen<br />
von PolitikerInnen, Interviews mit Betroffenen<br />
oder ähnliches. Somit wird<br />
das Thema auch in den darauffolgenden<br />
Tagen von den Medien aufgegriffen<br />
und behandelt.<br />
Da die Bilder von professionellen Bildagenturen<br />
stammen, kann sich „Der<br />
Standard“ zu einem gewissen Grad darauf<br />
verlassen, dass die Bildbeschreibung<br />
zu den Fotos auch wahr ist. Es<br />
handelt sich dabei um registrierte FotografInnen,<br />
welche für die Agenturen arbeiten<br />
und kein Interesse daran haben,<br />
nicht korrekt zu arbeiten. Laut Robert<br />
muss man trotzdem aufpassen, dass<br />
man keiner Inszenierung zum Opfer<br />
fällt. Deswegen prüft er jedes Bild auf<br />
seine Wahrhaftigkeit. Grund dafür ist,<br />
dass der Fotograf oder die Fotografin<br />
immer einen Einfluss darauf hat, wie<br />
er bzw. sie Bilder macht. Die Kunst der<br />
Bildredaktion ist es dann, die Fotos zu<br />
unterscheiden in gestellte und wahrhaftige<br />
Bilder.<br />
Wie entscheidet „Der Standard“, was<br />
veröffentlicht wird?<br />
Die „Standard“-Fotoredaktion sichtet<br />
und bewertet alle Fotos, welche sie<br />
den ganzen Tag über bekommt. Danach<br />
werden diese in verschiedene Kategorien<br />
eingeteilt und die hundert wichtigsten<br />
Fotos bestimmt. Um 14 Uhr gibt es<br />
täglich eine Seite 1-Konferenz, bei welcher<br />
beschlossen wird, welches Bild auf<br />
Quelle: flickr<br />
Der Umgang mit der Visualisierung von Terror<br />
11
dass es sich bei diesem Foto um ein<br />
politisches und tagesaktuelles Ereignis<br />
handelt. Weiters hat das Medium<br />
sich selbst klare Richtlinien gesetzt. So<br />
werden von der Zeitung keine Leichen<br />
und keine schwerverletzten, blutenden<br />
Erwachsenen und Kinder gezeigt. Allgemein<br />
ist man hier eher zurückhaltend<br />
und vorsichtig.<br />
Robert selbst hat zwei verschiedene<br />
Zugänge den Schrecken des Terrors abzubilden,<br />
ohne dabei Tote oder Verletzte<br />
zu zeigen. Die erste Möglichkeit ist die<br />
Auswahl von Gewaltmitteln, wie einem<br />
LKW oder einem Auto. Weiters kann<br />
der Schrecken durch die Betroffenheit<br />
der Leute, die von dem Vorfall betroffen<br />
sind, abgebildet werden. Durch das<br />
Abbilden der Trauer wird der Schrecken<br />
des Terrors gezeigt, ohne dabei Persönlichkeitsrechte<br />
zu verletzen.<br />
Die „Macht“ des Presserats<br />
Wenn es beim „Standard“ dazu kommt,<br />
dass ein Bild einen Grenzfall darstellt,<br />
ist man immer eher vorsichtig. Gerade<br />
für die Onlineausgabe ist das besonders<br />
wichtig. Für das Printmedium ist<br />
mehr Zeit da, ein Bild zu bewerten und<br />
darüber zu diskutieren, wie man den<br />
Schrecken abbilden kann. Bei einem<br />
Attentat gibt es in der Printausgabe<br />
oft mehrere Themen-Sonderseiten mit<br />
einem Bilderteppich. Dies bietet die<br />
Möglichkeit, fotografisch Schwerpunkte<br />
zu setzen. Bei einer Onlineausgabe<br />
hingegen muss möglichst rasch eine<br />
Entscheidung über die Veröffentlichung<br />
von Fotos getroffen werden.<br />
Generell liegt die Entscheidung der Mitgliedschaft<br />
beim Presserat bei den einzelnen<br />
Medien, zuständig ist er jedoch<br />
auch für jene Medien, die sich nicht verpflichten.<br />
Die Institution wird erst nach<br />
Veröffentlichung von heiklen Fotos<br />
involviert, wenn es Probleme mit den<br />
Abbildungen gibt und wenn Persönlichkeitsrechte<br />
verletzt werden. „Der Standard“<br />
hatte damit in der Vergangenheit<br />
keine Probleme.<br />
Der Presserat begrüßt in Einzelfällen<br />
den Verzicht auf die Veröffentlichung<br />
von Leichenfotos. Robert dazu: „Es ist<br />
schön zu hören, dass der Presserat auf<br />
dem gleichen Standpunkt ist wie ‚‘Der<br />
Standard’“. Ihm ist es persönlich wichtig,<br />
was er selbst für eine Meinung zu<br />
einem Bild hat, trotzdem fühlt er sich<br />
eher bestätigt als kontrolliert.<br />
Die „Austria Presse Agentur“ veröffentlichte<br />
einen Artikel, in welchem es um<br />
die Entscheidung des Presserats über<br />
die Veröffentlichung von Fotos von<br />
Terroranschlägen geht. Der Beitrag bezieht<br />
sich ebenfalls auf das Attentat in<br />
Brüssel 2016 und beschreibt, dass „es<br />
für die Medien die Möglichkeit gibt, die<br />
Einwilligung der Opfer für die Abbildung<br />
einzuholen.“ Robert sagt dazu, dass es<br />
die Aufgabe des Fotografen oder der<br />
Fotografin sei, sich vor Ort abzusichern.<br />
Wenn das Bild beim „Standard“ einlangt,<br />
muss man sich darauf verlassen<br />
können, dass es in einer korrekten Art<br />
und Weise gemacht und überprüft wurde.<br />
Daher hat die Zeitung hier keinen<br />
Einfluss darauf.<br />
Robert selbst findet, dass es zurzeit<br />
eine gute Lösung zur Regulierung gibt.<br />
Laut ihm kommt man mit strengeren<br />
Gesetzen oder Verboten nicht weiter.<br />
Dadurch, dass die Bilder gemacht werden<br />
und dies auch wichtig ist, ist es<br />
nicht möglich, die Verbreitung der Fotos<br />
zu kontrollieren. Die Abbildungen bilden<br />
schlussendlich die Realität ab. Nur<br />
wenn man ein Bild aus dem politischen<br />
Kontext herausreißt und als Sensation<br />
missbraucht, sei dies abzulehnen. Hierfür<br />
sind laut ihm die Grundlinien des<br />
Presserats wichtig und es ist gut, dass<br />
Medien deswegen auch Probleme bekommen<br />
können.<br />
Auch Geschäftsführer Alexander Warzilek<br />
befindet die derzeitige Regelung<br />
durch den Presserat für passend. Das<br />
Zusammenspiel zwischen der Selbstkontrolleinrichtung<br />
und den ordentlichen<br />
Gerichten funktioniert gut. Da die<br />
Medienethik im Normalfall weiter reicht<br />
als das Medienrecht, ergänzen sie sich.<br />
Die Eröffnung von Verfahren beim<br />
Presserat<br />
Beim Presserat hat jede Leserin und<br />
jeder Leser die Möglichkeit, eine Mitteilung<br />
zu tätigen und anzuregen, dass<br />
ein Verfahren eingeleitet wird. Es gibt<br />
des Weiteren die Möglichkeit, dass die<br />
drei Senate der Organisation durch ihr<br />
Selbstbefassungsrecht eigenständig<br />
ein Verfahren einleiten. In besonders<br />
gravierenden Fällen können diese also<br />
auch ohne Eingabe von außen ein Verfahren<br />
in die Wege leiten. Dies passiert<br />
allerdings relativ selten. Warzilek gibt<br />
an, dass im letzten Jahr um die 300<br />
Fälle behandelt wurden, in acht davon<br />
agierten die Senate eigenständig.<br />
„Mittlerweile ist es zum Glück so, dass<br />
der Presserat bei vielen Leserinnen und<br />
Lesern bekannt ist. Wenn etwas passiert,<br />
bekommen wir also normalerweise<br />
eine Meldung von ihnen.“<br />
Um zu entscheiden, wie Fälle behandelt<br />
werden, gibt es beim Presserat ein<br />
strukturiertes Verfahren. Jeder Fall wird<br />
einem Senat zugewiesen, dieser sieht<br />
Mag. Alexander Warzilek. Quelle: Stephan<br />
Huger<br />
sich den Artikel oder das Bild genauer an<br />
und entscheidet schließlich, ob ein Verfahren<br />
eingeleitet wird. Wenn es dazu<br />
kommt, kann das betroffene Medium<br />
dazu Stellung nehmen. Es folgt eine<br />
Verhandlung zu dem Fall, im Anschluss<br />
entscheidet der Senat, ob ein Ethikverstoß<br />
vorliegt. Die Entscheidungsgrundlage<br />
ist hierbei der Ehrenkodex<br />
für die österreichische Presse, welcher<br />
zwölf ethische Prinzipien beinhaltet.<br />
Bei der Terrorismusberichterstattung<br />
spielt laut Warzilek insbesondere der<br />
Persönlichkeitsschutz eine große Rolle.<br />
Hierbei geht es vor allem um den Opferschutz,<br />
den Schutz der Angehörigen<br />
von Todesopfern, aber auch um den TäterInnenschutz.<br />
Die Senate tagen monatlich<br />
und so kommt es laut Warzilek<br />
in den meisten Fällen zu einer raschen<br />
Entscheidung und zu einem schnelleren<br />
Urteil als bei den Gerichten.<br />
Der österreichische Presserat ist auch<br />
für die Onlineausgaben der Printmedien<br />
zuständig. Die überwiegende Zahl<br />
der Zeitungen und Zeitschriften nimmt<br />
Verstöße sehr ernst, was unter anderem<br />
auch dazu führen kann, dass ein<br />
Bericht oder ein Bild wieder aus dem<br />
Netz genommen wird. „Kronen Zeitung“<br />
und „Heute“ sind keine Mitglieder<br />
des Presserats und nehmen daher laut<br />
Warzilek normalerweise auch nicht an<br />
den Verfahren teil.<br />
Grundsätzlich werden Ethikverstöße<br />
auf der Website des Presserats veröffentlicht.<br />
Bei interessanten Fällen<br />
kommt es zusätzlich zu einer Presseaussendung,<br />
über welche anschließend<br />
auch in vielen anderen Zeitungen<br />
diskutiert wird. „Themen, die im Fokus<br />
12<br />
Der Umgang mit der Visualisierung von Terror
der Medien stehen, spiegeln sich auch<br />
in unseren Fällen wider. Dies ist leider<br />
etwa bei dem Thema Terrorismus der<br />
Fall.“ Warzilek ergänzt, dass es eine statistische<br />
Auswertung zur Flüchtlingsberichterstattung<br />
gibt: „Als die Situation<br />
sehr angespannt war, gab es über<br />
20 Prozent Fälle mit Flüchtlingsbezug.“<br />
Allgemein, meint Warzilek, ist statistisch<br />
belegt, dass die „Kronen Zeitung“<br />
am meisten Verstöße begeht. Gefolgt<br />
wird sie von „Österreich“ und „Heute“.<br />
Bei einem Beschwerdeverfahren, bei<br />
welchem ein persönlich Betroffener<br />
oder eine Betroffene sich melden muss,<br />
müssen teilnehmende Medien die Entscheidungen<br />
des Presserats veröffentlichen.<br />
In diesem Fall gibt die Organisation<br />
den zu publizierenden Text vor.<br />
Dies kommt jedoch selten vor. Die Entscheidungen<br />
der Senate werden auf der<br />
Homepage des Presserats veröffentlicht,<br />
merkt Warzilek abschließend an.<br />
Datenbanken liefern Bilder von Toten<br />
und Verletzten<br />
In den diversen Bilddatenbanken finden<br />
sich auch jede Menge Bilder, welche<br />
ein genaues Bild eines Terroranschlags<br />
zeigen und auf keine Details verzichten.<br />
„Es gibt von jedem Terrorakt Bilder, die<br />
alles zeigen und das ist auch wichtig“, so<br />
Robert. FotografInnen sind in fast allen<br />
Krisengebieten vor Ort und machen Bilder<br />
von gefolterten, missbrauchten und<br />
getöteten Leuten. Diese Abbildungen<br />
werden ebenfalls an die Bildagenturen<br />
weitergeleitet und landen so auch in<br />
den Redaktionen. Allerdings werden sie<br />
nicht veröffentlicht: „Das ist total richtig<br />
so, es ist aber auch wichtig, dass diese<br />
Fotos gemacht werden.“<br />
So stellt sich die Frage, wozu diese Bilder<br />
nun da sind. Hierfür gibt es mehrere<br />
Erklärungen. Einige der Fotos werden<br />
zielgerichtet für involvierte Personen<br />
verwendet. Normale BetrachterInnen<br />
wären laut Robert damit überfordert,<br />
doch für Parteien, NGOs oder Personen,<br />
die auf PolitikerInnen einwirken wollen,<br />
hat das Bildmaterial eine Wichtigkeit.<br />
Weiters gibt es FotografInnen, welche<br />
die Eindrücke zu Fotobüchern verarbeiten.<br />
Als Beispiel nennt er hier Christoph<br />
Bangerts Werk „war porn“. Diese Veröffentlichungen<br />
fordern die BetrachterInnen<br />
extrem heraus und diese müssen<br />
sich selbst überlegen, ob sie sich das<br />
ansehen möchten. Auch Robert persönlich<br />
sammelt viele der Bilder von<br />
„argen Situationen“ und überlegt, was<br />
er damit machen könnte. Schlussendlich<br />
gibt es laut ihm für diese Bilder<br />
nicht wirklich eine Verwendung. „Es<br />
ist extrem schlimm, ein Bild zu haben<br />
von einem toten Kind. Was aber noch<br />
schlimmer ist, ist ein Bild von einem toten<br />
Kind zu haben, das keine Bedeutung<br />
mehr hat, weil so viele Leute schon Bilder<br />
gesehen haben von toten Kindern.“<br />
Die Richtlinien bei Fotobüchern oder<br />
ähnlichem sind nicht eindeutig zu klären.<br />
Die FotografInnen bekommen es<br />
meistens mit, ob Betroffene fotografiert<br />
werden möchten oder nicht. In<br />
schlimmen Situationen sind die Menschen<br />
oft sogar froh, wenn ein Fotograf<br />
oder eine Fotografin an der Stelle<br />
ist und das Geschehen dokumentiert.<br />
„Die wirklich schlimmen Momente sind<br />
die Kriegs- und Krisengebiete, wo keine<br />
FotografInnen vor Ort sind. Das vergisst<br />
man oft, schlimmer ist es meistens<br />
dort, wo es kein Bild gibt.“ Es gibt auch<br />
viele Fälle, wo es den Leuten egal ist,<br />
ob sie fotografiert werden. Das größte<br />
Problem ist in diesen Situationen nicht,<br />
Dipl. Desig. Frank Robert. Quelle: Privat<br />
dass ein Fotograf oder eine Fotografin<br />
da ist, sondern dass etwas Schlimmes<br />
passiert ist. Warzilek sagt dazu, dass<br />
es immer wichtig ist, hierbei auch den<br />
Kontext mit zu betrachten. Fotobücher<br />
haben eine andere Zielgruppe, der man<br />
unter anderem auch mehr zumuten<br />
kann als der breiten Öffentlichkeit.<br />
Beim Terroranschlag in Brüssel 2016<br />
kam es zu einer ganzen Reihe an Berichten<br />
in allen Medien. Der zuständige<br />
Presserat-Senat hat im Bezug darauf<br />
die Meinung vertreten, dass es besser<br />
sei, eine allgemeine Erklärung abzugeben<br />
und die Medien darauf hinzuweisen,<br />
was zu berücksichtigen ist. In<br />
diesem Fall sind viele verletzte Opfer<br />
gezeigt worden. Warzilek weist darauf<br />
hin, dass diese selbst nach der Einwilligung<br />
zu einem Interview noch unter<br />
Schock stehen können und damit nicht<br />
wirksam einwilligen können. Bilder von<br />
Opfern erzielen einerseits eine besondere<br />
Aufmerksamkeit und können das<br />
Publikum wachrütteln, andererseits<br />
dürfe man den Persönlichkeitsschutz<br />
nicht missachten.<br />
Die Aufgabe der Auswahl von Bildern<br />
aus den Datenbanken treffen die ChefredakteurInnen<br />
oder die JournalistInnen,<br />
so Warzilek. Daher findet er es in<br />
Ordnung, dass die Bildagenturen eine<br />
größere Bandbreite an oft auch sehr<br />
drastischen Fotos liefern. Ethische Vorgaben<br />
sind laut dem Geschäftsführer<br />
des Presserats auch kultur- und gesellschaftsabhängig.<br />
Daher werden Bilder<br />
aus den Datenbanken in anderen Ländern<br />
anders verwendet. „Unsere AnsprechpartnerInnen<br />
sind die nationalen<br />
Medien und die JournalistInnen, die die<br />
Inhalte aufbereiten“, so Warzilek. „Dennoch<br />
tauschen wir auch mit anderen<br />
Presseräten regelmäßig Informationen<br />
aus.“ Weiters ist der Presserat für die<br />
APA zuständig. Bilder von anderen Bildagenturen<br />
zählen nicht zum Aufgabengebiet<br />
der Organisation.<br />
Die Arbeit mit der Visualisierung von<br />
Terror<br />
Robert sagt im Interview, dass oft gefragt<br />
wird, wie er mit dieser Art von<br />
Arbeit umgeht. „Jeden Tag gibt es einen<br />
Anschlag in der Welt, mit mal mehr und<br />
mal weniger schlimmen Bildern dazu.<br />
Als Fotoredakteur oder -redakteurin<br />
muss man damit umgehen können.“<br />
Man müsse einerseits sehr kontrolliert<br />
sein, andererseits sei man natürlich<br />
auch davon betroffen. Robert selbst hat<br />
hier einen professionellen Umgang, indem<br />
er weiß, dass es seine Funktion ist,<br />
von den vielen Bildern die Wahrhaftigen<br />
auszusuchen und auch sinnvoll einzusetzen.<br />
„Seelsorger haben wir keinen<br />
in der Fotoredaktion und das ist auch<br />
nicht nötig.“ Allgemein gibt es laut ihm<br />
für FotografInnen und auch FotoredakteurInnen<br />
keine psychologische Unterstützung.<br />
Wichtig ist, dass es die Unterstützung<br />
vor Ort gibt. FotografInnen in<br />
Krisengebieten brauchen harte Nerven<br />
und gewissen Auszeiten. Kein Fotograf<br />
und keine Fotografin hält diese Art von<br />
Arbeit laut Robert durchgehend aus.<br />
Der Presserat-Geschäftsführer meint,<br />
dass diese FotografInnen psychologische<br />
Probleme bekommen können und<br />
eine professionelle Begleitung und Unterstützung<br />
vorteilhaft wäre. Der Umgang<br />
mit Bildern strapaziert alle.<br />
von Julia Krammer<br />
Der Umgang mit der Visualisierung von Terror<br />
13
Der Umgang mit der Visualisierung von<br />
Terror aus „der Standard“-Fotoredaktion<br />
Woher bekommt die Redaktion<br />
Fotos von Terrorereignissen?<br />
Wie entscheidet die Zeitung<br />
was veröffentlicht wird?<br />
Von registrierten Fotografen weltweit. Sie<br />
verkaufen Bilder an diverse Bildagenturen<br />
Die größten Bildagenturen weltweit:<br />
1<br />
2<br />
3<br />
4<br />
Die Bildredaktion bekommt die<br />
Fotos von diversen Bildagenturen<br />
Fotos werden in verschiedene<br />
Kategorien eingeteilt<br />
Die 100 wichtigsten Fotos werden<br />
bestimmt<br />
Endgültige Entscheidung bei<br />
Nachmittagskonferenz getroffen<br />
REUTERS<br />
GETTY<br />
DPA APA AFP<br />
Welche Richtlinien hat „der Standard“?<br />
Persönlichkeitsschutz<br />
Opferschutz<br />
Schutz der Angehörigen<br />
Täterschutz<br />
Es dürfen keine Leichen und<br />
Schwerverletzten sowie blutenden<br />
Menschen gezeigt werden<br />
Grafik: Xiaowei Jin<br />
Julia Krammer, Interview mit „der Standard“-Fotoredaktion, 2017<br />
Standard-Fotoredaktion sichtet<br />
pro Tag<br />
10.000 - 15.000 Bilder<br />
pro Terrorereignis<br />
200 - 500 Bilder<br />
14<br />
Der Umgang mit der Visualisierung von Terror
Live-Berichte: Was sagt die<br />
Polizei?<br />
Die Frage, wie sich Live-Berichterstattungen auf Ermittlungsarbeiten<br />
auswirken und wie die Polizei damit umgeht, hat Oberst Markus Haindl,<br />
zum Interviewzeitpunkt (20.11.2017) Pressesprecher des Bundesministers<br />
für Inneres, in einem Mail-Interview beantwortet.<br />
Innerhalb weniger Minuten nach einem<br />
Terrorakt verbreitet sich die Nachricht<br />
in den Medien. Bei Berichterstattungen<br />
zu Terroranschlägen kommt es einem<br />
als ZuseherIn mittlerweile so vor, als<br />
herrschte ein Machtkampf zwischen<br />
den Medien. Wer startet zuerst eine<br />
Sondersendung? Wer hat die neuesten<br />
Informationen? Wer die ersten Interviews?<br />
Neben Sondersendungen, die<br />
das bisherige Programm unterbrechen,<br />
reihen sich mittlerweile Live-Ticker, Interviews<br />
mit ExpertInnen und folglich<br />
auch sehr viel Spekulationsraum in die<br />
Berichterstattung nach Terroranschlägen<br />
ein.<br />
Kritik an „Nicht“-Berichterstattungen<br />
Öfters wird bei Terrorakten die mediale<br />
Berichterstattung kritisiert, ein<br />
gegensätzliches Beispiel war bei dem<br />
Terroranschlag auf einen Weihnachtsmarkt<br />
im Dezember 2016 zu sehen.<br />
Hier wurde zwar ebenfalls die Berichterstattung<br />
der öffentlich-rechtlichen<br />
Sender ARD und ZDF kritisiert. Jedoch,<br />
weil diese erst rund eine Stunde nach<br />
dem Anschlag berichteten und im lau-<br />
Quelle: flickr<br />
Live-Berichte: Was sagt die Polizei?<br />
15
fenden Programm „nur“ durch Einblendungen<br />
auf das Geschehene hinwiesen.<br />
Kritisiert wurde, dass die Sender das<br />
Fernsehprogramm nicht unterbrachen,<br />
während beispielsweise der amerikanische<br />
Sender CNN und auch N24 bereits<br />
eine Sondersendung ausstrahlte.<br />
Auch Online-Medien berichteten schon<br />
längst.<br />
ARD und ZDF rechtfertigten sich damit,<br />
dass sie erst auf Sendung gehen wollten,<br />
wenn genügend Fakten vorlagen.<br />
Beim Amoklauf in München im vorigen<br />
Jahr wurde stark kritisiert, dass nicht nur<br />
Panik durch im Netz verbreitete Fehlinformationen<br />
ausgelöst wurde, sondern<br />
waren im Fernsehen Live Großbildaufnahmen<br />
der getöteten Opfer zu sehen.<br />
Auch wurden geschockte Personen vor<br />
die Kameras gezerrt um Interviews zu<br />
geben. Stundenlang wurde um die Hintergründe<br />
der Tat spekuliert.<br />
In einem Bericht der Zeitschrift „Rechtsmedizin“<br />
werden derartige Spekulationen<br />
kritisch betrachtet. Bezugnehmend<br />
auf Amoktaten beispielsweise, werden<br />
zunächst von MedienvertreterInnen,<br />
durch die nicht nachvollziehbare Handlungsweise<br />
des Täters, übereilt und<br />
ohne bestätigte Grundlage Motive genannt.<br />
Anlässlich der Berichterstattung des<br />
Amoklaufs in München fällte der österreichische<br />
Presserat die Entscheidung,<br />
bezugnehmend auf die Veröffentlichung<br />
von Opferfotos in einem Liveticker<br />
eines österreichischen Onlinenewsportals,<br />
dass Verstöße gegen den<br />
Persönlichkeitsschutz (Punkt 5) und die<br />
Intimsphäre (Punkt 6) des Ehrenkodex<br />
für die österreichische Presse vorliegen.<br />
Der Presserat dient als Plattform für<br />
jene, die sich zu einem der Wahrheitsfindung<br />
und Korrektheit verpflichteten<br />
Gebrauch der Pressefreiheit bekennen<br />
und diese in konkreten Anlässen vom<br />
Presserat prüfen lassen. Stetige, freiwillige<br />
Selbstkontrolle eignet sich um<br />
den Verpflichtungen der Presse gerecht<br />
zu werden.<br />
Bei dem Terroranschlag in Berlin, ein<br />
paar Monate später, hielten sich daher,<br />
vor allem die deutschen Sender mit<br />
Spekulationen zurück. Die Zurückhaltung<br />
der Berichterstattung wirkte in<br />
diesem Fall aber schon fast übertrieben.<br />
Bei Live-Sendungen zu Terroranschlägen<br />
sickern langsam immer mehr Informationen<br />
zur Bevölkerung durch. Oftmals<br />
werden Spekulationen über den<br />
Täter ausgesprochen, auch Namen kursieren<br />
bereits im Netz. Was die Frage<br />
aufwirft, wie sich die Veröffentlichung<br />
solcher Informationen auf die Fahndung,<br />
beziehungsweise die allgemeinen<br />
Ermittlungsarbeiten auswirken.<br />
Verbot der Namensveröffentlichung?<br />
Die Lage in Österreich sieht so aus,<br />
dass die Nennung des Namens in den<br />
Medien nach den Bestimmungen des<br />
Mediengesetzes grundsätzlich nicht<br />
gestattet ist, außer die Polizei ersucht<br />
im Rahmen der Fahndung darum, so<br />
Oberst Markus Haindl. Des Weiteren<br />
erzeugen Live-Berichterstattungen<br />
eine gewisse Dynamik, die die Arbeit<br />
der Polizei nicht unbedingt erleichtert.<br />
Jedoch leben wir im Digitalisierungszeitalter,<br />
Berichterstattung und Kommunikation<br />
passieren und können gar<br />
nicht verhindert werden. Ein wichtiger<br />
Punkt für die Polizei in diesem Zusammenhang<br />
ist es, pro-aktiv zu agieren.<br />
Derart ist die Chance gegeben, Informationen<br />
zu transportieren, die wichtig<br />
für die Fahndung oder ähnliche Maßnahmen<br />
sind, so Haindl.<br />
Hier stellt sich die Frage nach einem<br />
Verbot der Presse, Namen im Zusammenhang<br />
mit Terrorismus zu veröffentlichen.<br />
Oberst Haindl rät hier zu Vorsicht<br />
bei der Beschränkung von Presserechten.<br />
In Österreich gehört die Freiheit<br />
der Presse über Vorgänge in unserem<br />
Land zu berichten zu den demokratischen<br />
Grundsätzen. Aus polizeilicher<br />
Sicht kann die Verbreitung von Namen<br />
und Bildern auch für die Fahndung nach<br />
Menschen genutzt werden. Ohne Fahndungszwecken<br />
zu dienen könne die<br />
Veröffentlichung von Namen und Fotos<br />
der Terroristen deren Zielen in die Karten<br />
spielen. „Das Ziel der meisten Terroristen<br />
ist, neben der Verbreitung von<br />
Furcht, Angst und Schrecken, ihre zumeist<br />
gescheiterte Existenz zumindest<br />
einmal berühmt zu machen“, so Haindl.<br />
Er rät, dass JournalistInnen diesen Umstand<br />
in jedem Falle mitbedenken und<br />
diesen Maßstab auch auf ihre Berichterstattung<br />
anlegen sollen.<br />
Bilder von Toten und Widersetzen gegen<br />
die Polizei<br />
Der Nachrichtensender N24 geriet bei<br />
dem Terroranschlag am Berliner Weihnachtsmarkt<br />
ebenfalls in Kritik, da die<br />
Bildauswahl die gesendet wurde sehr<br />
fraglich war, da mehrmals Verletzte<br />
und Tote gefilmt wurden. Mit dem Video<br />
wurden zwar Abruf-Rekorde gebrochen,<br />
doch N24 erhielt auch Gegenwind.<br />
In Österreich kann man, laut dem<br />
Rechtsinformationssystems des Bundeskanzleramtes,<br />
in solchen Fällen<br />
vom Urheberrechtsgesetz Gebrauch<br />
machen. Laut dem darin rechtlich geregelten<br />
Bildnisschutz dürfen Bildnisse<br />
von Personen weder öffentlich ausgestellt,<br />
noch auf eine andere Art, wodurch<br />
sie der Öffentlichkeit zugänglich<br />
gemacht werden, verbreitet werden,<br />
wenn dadurch berechtigte Interessen<br />
der Abgebildeten, oder im Todesfall der<br />
Angehörigen, verletzt werden würden.<br />
Beim Amoklauf in München gab es<br />
einen weiteren Grund für Kritik: Um<br />
möglichst nahe am Geschehen zu sein,<br />
wurden polizeiliche Anweisungen von<br />
einigen ReporterInnen vor Ort schlichtweg<br />
missachtet.<br />
Sowohl in der Strafprozessordnung, als<br />
auch im Sicherheitspolizeigesetz sind<br />
entsprechende Befugnisse festgelegt,<br />
um Schaulustige, damit auch JournalistInnen,<br />
vom Einsatzort wegzuweisen.<br />
Diese Befugnisse können auch mit<br />
Zwang durchgesetzt werden, da die<br />
Gesetzeslage hier eindeutig ist und die<br />
Möglichkeiten für die Österreichische<br />
Polizei, bezüglich Resistenz gegenüber<br />
Anweisungen laut Haindl ausreichend<br />
sind.<br />
Markus Haindl. Quelle: BMI - A. Tuma<br />
Spekulationen der Medien<br />
Oftmals wird kurz nach terroristischen<br />
Akten in den Medien bereits wild über<br />
die Zahlen von Toten und Verletzten<br />
gemutmaßt. Sollten diese Zahlen erst<br />
veröffentlicht werden, wenn sie tatsächlich<br />
bestätigt sind?<br />
„In einer breiter gewordenen Medienlandschaft,<br />
damit meine ich auch Soziale<br />
Medien, sind natürlich der Spekulation<br />
Tür und Tor geöffnet“, meint Haindl.<br />
16<br />
Live-Berichte: Was sagt die Polizei?
Wichtig sei es, eine Art Verhaltenskodex<br />
für Medien einzuführen.<br />
Im Ehrenkodex des österreichischen<br />
Presserates steht als oberste Verpflichtung<br />
von JournalistInnen die Gewissenhaftigkeit<br />
und Korrektheit in Recherche<br />
und Wiedergabe von Nachrichten und<br />
Kommentaren. Der Presserat dient als<br />
Plattform für jene, die sich zu einem der<br />
Wahrheitsfindung und Korrektheit verpflichteten<br />
Gebrauch der Pressefreiheit<br />
bekennen und diese in konkreten<br />
Anlässen vom Presserat prüfen lassen.<br />
Stetige, freiwillige Selbstkontrolle eignet<br />
sich um den Verpflichtungen der<br />
Presse gerecht zu werden.<br />
Kooperation<br />
In der Produktion dieser Jubiläumsausgabe kam es zu gleich<br />
zwei fruchtbringenden Kooperationen zwischen dem Bachelor<br />
Studiengang Medienmanagement, in dessen Curriculum<br />
die Produktion von <strong>SUMO</strong> eingebettet ist, und dem Masterstudiengang<br />
Digitale Medientechnologien der FH St. Pölten.<br />
Unter der Leitung von Wolfgang Aigner, Leiter des Instituts für<br />
Creative\Media/Technologies, und Teresa Sposato, Lektorin,<br />
erstellten Master-Studierende im Rahmen der Lehrveranstaltung<br />
„Grafik Design – Freies Gestalten“ Infografiken zu ausgewählten<br />
Textbeiträgen. In der Master-Lehrveranstaltung<br />
„Gestalten für Printmedien“ wiederum entstand – ebenfalls<br />
geleitet von Teresa Sposato – das Re-Design des Fachmagazins<br />
<strong>SUMO</strong>. Christin Güldners Entwurf gewann hierbei die<br />
höchste Zustimmung.<br />
Solle man daher die Berichterstattung<br />
einschränken, bis die Polizei Informationen<br />
bestätig hat? „Ich halte nichts<br />
von gesetzlichen Änderungen, aber<br />
sehr viel von einer Sensibilisierung von<br />
MedienmitarbeiterInnen für die Notwendigkeiten<br />
der Polizei bei derartigen<br />
Sonderlagen.“<br />
Kritikpunkte<br />
Die größten Kritikpunkte bei Terrorberichterstattungen<br />
sind, laut der Onlineplattform<br />
„Live im Terror“, zum einen<br />
die Außerachtlassung journalistischer<br />
Sorgfalten durch mangelnde Recherche.<br />
Stattdessen ist eine Konzentration<br />
der Berichterstattung hingehend einer<br />
Emotionalisierungen und Darstellung<br />
negativer Stereotypen zu beobachten.<br />
Des Weiteren wird das nichteinholen<br />
von Stellungnahmen und die überwiegend<br />
subjektive Darstellung von<br />
Schlussfolgerungen und Interpretation,<br />
anstelle reiner Fakten, bemängelt.<br />
Daher ist eine Entwicklung hinsichtlich<br />
einer sensiblen Umgangsweise mit Daten<br />
und Veröffentlichungen auf zukünftige<br />
Sicht von immer größer werdender<br />
Bedeutung.<br />
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Live-Berichte: Was sagt die Polizei?<br />
17
Dörfliche Kommunikation<br />
über Terror<br />
Wie geht ein 500 EinwohnerInnen-Dorf mit Terrormeldungen um? Was<br />
bewirken die Berichte in einer Terrorfremden Welt? Ein Eindruck der BewohnerInnen<br />
verschiedener Alters- und Berufsgruppen aus einem Dorf in<br />
Deutschland.<br />
Laut einer Umfrage vom ZDF Politbarometer<br />
vom 2. Juni 2017 befürchteten<br />
80% der BundesbürgerInnen,<br />
dass es in nächster Zeit Terroranschläge<br />
in Deutschland geben wird. Da<br />
im ländlichen Raum die Terrorgefahr<br />
am geringsten ist, besuchte <strong>SUMO</strong><br />
im Oktober 2017 das deutsche Dorf<br />
Oberwaldbach, um sich ein Bild davon<br />
zu machen, wie Menschen aus<br />
einem vermeintlich sicheren Gebiet<br />
auf die Berichte reagieren. Die ca. 500<br />
EinwohnerInnen-Gemeinde liegt im<br />
schwäbischen Landkreis Günzburg im<br />
Bundesland Bayern und ist vorwiegend<br />
von Land- und Forstwirtschaft<br />
geprägt. Insgesamt wurden sieben typische<br />
Bewohnerinnen und Bewohner<br />
befragt: Der Gemeindepfarrer Monsignore<br />
Wolfgang Miehle (72), die Erzieherin<br />
Johanna Baur (57), der Arbeiter<br />
Ludwig Atzkern (51), der Bürgermeister<br />
Roland Kempfle (50), die Bäuerin Elke<br />
Bigelmaier (50), der Student Matthias<br />
Wiedemann (18) und die Schülerin Leonie<br />
Bigelmaier (15). Sie erzählten, was<br />
Terrormeldungen mit ihnen selbst und<br />
dem Heimatort machen.<br />
Präsenz der Terrormeldungen<br />
Im März, Mai und Juni 2017 fanden<br />
gleich drei Terrorakte in urbanen Gebieten<br />
von England statt. Der Selbstmordanschlag<br />
am Ende eines Popkonzertes<br />
in Manchester war dabei mit 22 Toten<br />
und 116 Verletzten bis zum Zeitpunkt<br />
der Befragung der größte davon. Nach<br />
ca. vier Monaten konnten sich die Befragten<br />
noch an die Anschläge erinnern,<br />
aber die meisten nur schwach. Die Frage<br />
nach Einzelheiten der Anschläge bestätigte<br />
die Aussagen: Zwei der sieben<br />
InterviewtInnen wussten keine Details<br />
mehr, der Rest erinnerte sich teilweise<br />
an das Terrorausmaß, die Tatwaffen,<br />
Orte oder die Opferzahlen. Vor allem<br />
die jüngeren Befragten konnten genauere<br />
Angaben machen. Dennoch fiel<br />
das Erinnern nicht leicht. Die Erzieherin<br />
erklärte: „Es sind mittlerweile so viele<br />
Anschläge. Es verschwimmt, und was<br />
eigentlich schrecklich ist, es wird Alltag.<br />
Man stumpft ein bisschen ab.“ Der Begriff<br />
„Abstumpfen“ kam bei den Befragten<br />
noch öfter vor.<br />
Informationsquellen von Terrornachrichten<br />
Vom Radio bis zum Internet dient alles<br />
als Informationsquelle. Über welche<br />
Medien die BewohnerInnen die Berichte<br />
zuerst erfahren, ist unterschiedlich. Der<br />
Pfarrer und die Erzieherin gaben das<br />
Radio als erste Quelle an. Der Bürgermeister<br />
und der Arbeiter nannten das<br />
Fernsehen und die Bäuerin die Tageszeitung.<br />
Der Student und die Schülerin<br />
beziehen ihre Informationen zuerst<br />
online. Mit dem Smartphone erhalten<br />
sie schnell Nachrichten durch die „Spiegel-Online-App“,<br />
„YouTube“ und „Facebook“.<br />
Was nicht heißen muss, dass die<br />
jüngere Generation nur noch die neuen<br />
Medien nutzt. Der Student zum Beispiel<br />
liest jeden Morgen zusätzlich die Tageszeitung.<br />
Umgekehrt genauso: Auch<br />
in der älteren Generation kommen einzelne<br />
mit dem Internet in Kontakt. Im<br />
Durchschnitt bevorzugen die Erwachsenen<br />
dennoch ihre Nachrichten aus<br />
Radio, Fernsehen und Zeitung.<br />
„Im Großen und Ganzen“ fühlen sich<br />
die Befragten durch die Terrorberichte<br />
ausreichend informiert. Auch haben<br />
sie Verständnis dafür, dass sich Details<br />
von neuen Meldungen erst über die Zeit<br />
nach einem Anschlag vervollständigen.<br />
Der Arbeiter und die Erzieherin ver-<br />
18<br />
Dörfliche Kommunikation über Terror
Quelle: Maria Bucher<br />
Dörfliche Kommunikation über Terror<br />
19
merkten ihre Zufriedenheit mit dem Informationsausmaß:<br />
„Ich muss es nicht<br />
bis ins kleinste Detail wissen. Da komme<br />
ich mir sonst vor wie eine Gafferin.“<br />
Zudem befürchtet sie NachahmerInnen,<br />
wenn zu genau erklärt wird, wie die TerroristInnen<br />
vorgegangen sind und wie<br />
sie vorgegangen sind. Etwas misstrauisch<br />
entgegnete der Bürgermeister,<br />
Meldungen über Terror wären vielleicht<br />
nicht immer korrekt oder vollständig in<br />
Bezug auf Zurückhaltung oder Filterung<br />
von Informationen. Bezüglich der Onlinemedien<br />
kritisierte der Student: „Es<br />
gibt viele Medien und nur ein Ereignis,<br />
aber alle wollen als erste berichten.“ Er<br />
meinte, dadurch werde oft „pauschalisiert“<br />
und „immer viel zu früh geurteilt“.<br />
Gerüchte und Vermutungen entstehen.<br />
Die Schlagzeile ist dann wichtiger<br />
als die Fakten, die intensive Recherche<br />
bleibt dabei auf der Strecke.<br />
Reaktionen und Auswirkungen<br />
Allgemein fühlen sich die RezipientInnen<br />
nach Terrornachrichten bestürzt,<br />
machtlos, hilflos oder unwohl. Sie fragen<br />
sich nach dem Sinn hinter solchen<br />
Anschlägen, haben Unverständnis für<br />
die TäterInnen und Mitleid mit den Opfern,<br />
sind aber auch erleichtert, nicht<br />
direkt betroffen zu sein. Drei der Befragten<br />
erwähnten dazu, je näher ein<br />
Attentat am Wohnort verübt wurde,<br />
desto größer ist die Wahrnehmung einer<br />
Gefahr. Das Prinzip gilt nicht nur<br />
für die Nähe der Gefahr, sondern auch<br />
für persönliche Beziehungen. Wenn<br />
Bekannte oder Familie nur in der Nähe<br />
einer Terrorgefahr vermutet werden,<br />
steigt die Betroffenheit und damit die<br />
Erinnerung daran. Ein Beispiel dafür ist<br />
die befragte Schülerin. Verglichen mit<br />
den anderen konnten sich der Student<br />
und die Schülerin an die meisten Details<br />
des Bombenanschlages auf dem<br />
Konzert erinnern. Ihr blieb es im Gedächtnis,<br />
da sie ein Fan der Sängerin ist<br />
und viele Gleichaltrige unter den Opfern<br />
waren.<br />
Gleichzeitig gibt es eine Entwicklung<br />
weg von der Betroffenheit, das schon<br />
genannte „Abstumpfen“. Durch die<br />
„Meldungen, die das ganze Jahr über<br />
auf einen einwirken“ entsteht eine gewisse<br />
Gleichgültigkeit, wenn kein persönlicher<br />
Bezug wie bei der Schülerin<br />
zu einem Bericht besteht. Es ist dann<br />
wieder „einer von vielen“ Anschlägen,<br />
bei denen das Gefühl herrscht, nichts<br />
dagegen tun zu können. Dennoch hinterlassen<br />
Terror-Nachrichten Spuren.<br />
„Man muss sich heute schon Gedanken<br />
machen, ob man größere Menschenansammlungen<br />
besuchen soll oder nicht“,<br />
meinte etwa der Arbeiter. Die Erzieherin<br />
sieht sich die Leute genauer an als<br />
früher und stellte fest, dass man öfter<br />
potentielle Risiken in der Umgebung<br />
wahrnimmt und sich Gedanken macht,<br />
etwa über die Anschlagsgefahr in punkto<br />
Atomkraftwerke oder öffentlichen<br />
Transportmittel.<br />
Kommunikation der Einzelnen<br />
Innerhalb der Familie ist es am wahrscheinlichsten,<br />
dass die Befragten über<br />
das Thema sprechen. Doch meist nur,<br />
wenn die Familie trotz Alltag Zeit findet<br />
und zusammentrifft. In der Schule wird<br />
der Terror vorwiegend im Sozialkundeunterricht<br />
angesprochen. Unter MitschülerInnen<br />
und ArbeitskollegInnen<br />
kommt es eher zufällig zur Ansprache.<br />
Genauso wie im Ort selbst. Kaum jemand<br />
würde, nur um darüber zu reden,<br />
eine Nachbarin oder einen Nachbarn<br />
aufsuchen. Man kommt ins Gespräch,<br />
wenn man jemandem zufällig begegnet.<br />
Der Bürgermeister meinte, es sei<br />
davon abhängig, wann einen die Terrormeldung<br />
wo erreicht. Das Bedürfnis mit<br />
anderen darüber zu sprechen war nicht<br />
immer so zurückhaltend. Er könne sich<br />
noch gut an den 11. September 2001<br />
erinnern: Es war das erste Ereignis dieser<br />
Dimension und führte zu regen Diskussionen<br />
mit vielen Leuten.<br />
Bei der Frage nach Gefühlen vor und<br />
nach Gesprächen mit Mitmensche<br />
nannten die DorfbewohnerInnen sowohl<br />
eine gewisse Wut als auch Unverständnis<br />
gegenüber den TäterInnen<br />
und dem Handeln des Staates, gefolgt<br />
von Betroffenheit. Eine Veränderung<br />
nach Gesprächen konnte kaum jemand<br />
bestätigen. Die eine Hälfte meinte, es<br />
würde sich nicht wirklich etwas ändern<br />
oder konnten nichts dazu sagen. Die<br />
andere Hälfte konstatierte, dass es gut<br />
tun kann, wenn andere eine Meinung<br />
teilen und man sich bestätigt fühlt,<br />
oder aber auch andere Sichtweisen zu<br />
vernehmen. Es kann einen auch ein<br />
Stück weit beruhigen und Wut abbauen.<br />
Der Pfarrer erwähnte noch, „dass es<br />
eher anderen gut tut, wenn sie mit mir<br />
reden.“<br />
Diskussionen über Terrornachrichten<br />
im Dorf, vor allem an Treffpunkten<br />
wie dem Vereinsheim oder der Kirche,<br />
waren kaum jemandem bekannt. Die<br />
meisten waren einfach nicht mehr oft<br />
dort. Bei Abenden vom Schützenverein<br />
käme es nach vergangenen Attentaten<br />
zu Diskussionen, wenn auch nur<br />
oberflächlich, erwähnte der Student.<br />
Auf den ersten Blick scheint sich durch<br />
Terrormeldungen nicht viel im Ort getan<br />
zu haben. Vier von sieben Interviewten<br />
haben keine Veränderung bemerkt.<br />
Es gibt aber auch das Gegenteilige.<br />
Nicht alle zeigen es, aber jeder hat<br />
eine gewisse Angst oder Respekt vor<br />
dem Terrorismus im Hinterkopf. Viele<br />
DorfbewohnerInnen nehmen AsylbewerberInnen<br />
und AusländerInnen dadurch<br />
anders wahr, sind misstrauisch<br />
geworden. Sicherheitsmaßnahmen<br />
bei Veranstaltungen wurden auch auf<br />
dem Land erhöht. Aufgrund von Vorfällen<br />
wie der Fall eines verdächtigen<br />
Mannes, gesichtet bei einer Party im<br />
Ort. Er observierte über längere Zeit<br />
die Veranstaltung und fuhr dann weg.<br />
Ob er gefährlich gewesen wäre, war<br />
nicht bekannt, aber ZeugInnen waren<br />
verunsichert. Die Leute versuchen sich<br />
zu schützen und sind aufmerksamer<br />
geworden, obwohl kaum jemand denkt,<br />
dass ein Dorf ins Visier von TerroristInnen<br />
kommen würde.<br />
Das Gefühl von Sicherheit<br />
Das Dorf an sich mag vielleicht nicht<br />
zwangsweise sicher sein, aber durch<br />
die enge Gemeinschaft entsteht zumindest<br />
ein Sicherheitsgefühl. Der Bürgermeister<br />
meinte, der Terror sei kein<br />
örtliches, sondern ein Staatsproblem.<br />
In einer 500 EinwohnerInnen-Gemeinde<br />
fühle man sich weniger gefährdet als<br />
in einer Großstadt.<br />
Laut einer Statistik von UN DESA macht<br />
der Anteil der LandbewohnerInnen von<br />
Deutschland nur rund 25% aus,75% der<br />
Deutschen leben im urbanen Raum. Es<br />
fehlen Menschenansammlungen als<br />
„Reiz“ für TäterInnen. Die Interviewten<br />
erwähnten das Prinzip „Jeder kennt<br />
jeden“, das Netz unter den BewohnerInnen<br />
scheint zu funktionieren. Die<br />
Gemeinschaft kann wie ein „Schutzmantel“<br />
sein und man fühlt sich weniger<br />
allein. „Andere passen auf.“ Das Einzige,<br />
was das Sicherheitsgefühl stören<br />
könnte, sind neue BewohnerInnen des<br />
Dorfes, welche noch nicht richtig zur<br />
Gemeinschaft gehören.<br />
Ob dieses Dorf nun für andere Gemeinden<br />
sprechen kann, ist nicht sicher.<br />
Fest steht aber, dass der Terror<br />
trotz vermeintlicher Sicherheit auch<br />
die Landbevölkerung betrifft und verändert.<br />
Die Kommunikation zwischen<br />
den BewohnerInnen mag zwar abgenommen<br />
haben, vermutlich wegen<br />
selten gewordenen Treffpunkten und<br />
dem „Abstumpfen“ der Wahrnehmung<br />
der Neuigkeiten, doch gleichgültig ist<br />
der Terror der Gemeinde nicht. Die Gefahr<br />
ist dennoch präsent und verändert<br />
langsam die Wahrnehmung und den<br />
Zusammenhalt der Gemeinschaft.<br />
von Maria Bucher<br />
20<br />
Dörfliche Kommunikation über Terror
Die Inszenierung des Terrors<br />
in österreichischen Tageszeitungen<br />
Terrorismus lebt von medialer Propaganda. Wie können Medien verhindern,<br />
dessen Sprachrohr zu werden und wie informiert man richtig?<br />
<strong>SUMO</strong> im Gespräch mit „Der Standard“ und „Kurier“ über Verantwortung<br />
und Vorgehen in der Terrorismusberichterstattung.<br />
Es ist Donnerstag, 13 Uhr und es ist<br />
ruhig im Empfangsbereich von „Der<br />
Standard“. Der moderne Newsroom,<br />
getrennt nur durch eine Glaswand vom<br />
Empfangsraum, ist menschenleer. Hätte<br />
sich vor kurzem ein Terroranschlag<br />
ereignet, würde hier eine Redaktionssitzung<br />
stattfinden. Die Berichterstattung<br />
über Terrorismus ist ein Thema,<br />
das bei „Der Standard“ und beim „Kurier“<br />
sehr ernst genommen und vielfach<br />
diskutiert wird. Das Problem ist nicht<br />
neu, doch die terroristische Anschlagswelle<br />
der letzten Jahre hat die Debatte<br />
über Richtlinien in der Terrorismusberichterstattung<br />
wieder angefacht.<br />
Terror news are good news<br />
„Ein terroristischer Anschlag in Europa<br />
hat einen hohen Nachrichtenwert, weil<br />
er ein ungewöhnliches Ereignis darstellt<br />
und einen hohen Charakter von Gewalt<br />
aufweist“, meint Manuela Honsig-Erlenburg,<br />
Leiterin des Ressorts International<br />
bei „Der Standard“. „Es ist ein<br />
politischer Gewaltakt, der heraussticht<br />
und der mitten in Europa stattfindet“,<br />
erzählt sie gegenüber <strong>SUMO</strong>. Nachrichten<br />
über terroristische Anschläge<br />
lassen sich nun mal gut verkaufen, weil<br />
sie viele relevante Nachrichtenfaktoren<br />
erfüllen: Konflikt, Negativität, Aggression,<br />
Visualität und ganz besonders die<br />
Nähe. „Es findet in unserem Kulturkreis<br />
statt und da ist der Nachrichtenwert<br />
hoch, da ist das Interesse der Menschen<br />
hoch und da muss man einfach<br />
darüber berichten“, so Honsig-Erlenburg.<br />
Karl Oberascher, Chef vom Dienst<br />
von „Kurier.at“, schreibt einem Anschlag<br />
in Europa ebenfalls einen höheren<br />
Nachrichtenwert zu als in entfernteren<br />
Ländern und sagt: „Ich finde nicht, dass<br />
wir etwas skandalisieren, wenn wir solche<br />
Geschichten zum Aufmacher machen<br />
oder einen Live-Ticker einrichten.“<br />
Schließlich hätten die Medien auch eine<br />
Pflicht gegenüber den BürgerInnen,<br />
darüber „möglichst sauber, möglichst<br />
ohne Skandalisierung und möglichst<br />
mit gesicherten Quellen“ zu berichten.<br />
Von der Meldung bis zur Reportage<br />
In den meisten Fällen beginnt es mit<br />
einer Meldung in der APA, kurz und<br />
bündig: „Auto fährt in Menschenmenge.“<br />
Erreicht diese Meldung den „Kurier“,<br />
wird es vorerst als chronikales Ereignis<br />
eingestuft, bis der genaue Hintergrund<br />
geklärt ist. Oberascher: „Sobald es die<br />
politische Dimension durch einen Terrorakt<br />
annimmt, wandert es von der<br />
Chronik ins Ressort der Außenpolitik.“<br />
In den ersten Stunden unmittelbar nach<br />
der Tat sind die wichtigsten Recherchequellen<br />
neben Nachrichtenagenturen<br />
verstärkt auch die Behörden. Demnach<br />
werden bei „Der Standard“ als erstes<br />
die Sozialen Medien und besonders der<br />
„Twitter“-Account der zuständigen Behörden<br />
herangezogen. Meist werden<br />
auch die Pressekonferenzen von der<br />
Polizei oder dem Innenministerium live<br />
gestreamt. Oberascher ist von einem<br />
Lerneffekt seitens der Behörden überzeugt.<br />
Als bestes Beispiel nennt er den<br />
Anschlag in Berlin, wo der „Twitter“-Account<br />
von der Polizei sehr gut über die<br />
neuesten Entwicklungen informiert hat.<br />
„Wir wählen nur Informationen aus, die<br />
gesichert und fundiert sind und die von<br />
den Behörden kommuniziert wurden“,<br />
erklärt er. Auf diese Weise sei man<br />
auf der sicheren Seite, keine Gerüchte<br />
zu verbreiten. Sollte es dennoch vorkommen,<br />
dass die Behörden ihre erste<br />
Version widerrufen, hätte man zwar<br />
Falschinformationen verbreitet, diese<br />
seien dann aber offiziell von den Behörden<br />
herausgegeben worden. Wichtige<br />
Quelle: pexels<br />
Die Inszenierung des Terrors in österreichischen Tageszeitungen<br />
21
IM VERGLEICH: DIE GEWICHTUNG DER BERICHTERSTATTUNG<br />
ÜBER TERROR IN DER NEW YORK TIMES<br />
KEINE NATURKATASTROPHE IN DEN USA<br />
Die durchschnittliche Anzahl der Artikel<br />
über Terroranschläge beträgt 1,03 pro Tag.<br />
Quellen sind auch die Medien vor Ort,<br />
die meist besser informiert sind und<br />
auch Augenzeugenberichte vorweisen<br />
können. Es gilt jedoch immer zu überprüfen,<br />
ob die unterschiedlichen Aussagen<br />
auch deckungsgleich sind. Laut<br />
Honsig-Erlenburg sind Soziale Medien<br />
dabei sehr hilfreich: „Die Sozialen Medien<br />
regulieren sich selbst. ZeugInnen<br />
erkennen Unwahrheit und reagieren<br />
darauf und posten oder twittern das<br />
auch.“ In weiterer Folge ist es üblich,<br />
dass KorrespondentInnen vom Anschlagsort<br />
aus berichten und ausführliche<br />
Reportagen vor Ort schreiben. Auch<br />
ExpertInnen wie Peter Neumann oder<br />
Guido Steinberg sind immer wieder in<br />
den Medien präsent, geben aber meist<br />
dieselben üblichen Antworten.<br />
NATURKATASTROPHE IN DEN USA<br />
Die durchschnittliche Anzahl der Artikel<br />
über Terroranschläge beträgt 0,37 pro Tag.<br />
Grafik: Gerald Neubacher<br />
Jetter, M. (2017). The effect of media attention on terrorism. Journal of Public Economics, 153, 32-48.<br />
nicht von einem Terrorakt zu sprechen,<br />
bevor nicht offiziell von einem Terrorakt<br />
gesprochen wird und auch im Wording<br />
sehr zurückhaltend zu sein.“ Die große<br />
Ironie dabei: Die LeserInnen kritisieren<br />
in den Kommentaren häufig eben diese<br />
Zurückhaltung, vor allem wenn andere<br />
Medien wie „Ö24“ oder „Krone.at“ bereits<br />
voreilig von einem Terroranschlag<br />
sprechen oder nicht gesicherte Namen<br />
verbreiten, während der „Kurier“ – zu<br />
Recht – dazu noch schweigt.<br />
„Wir zeigen keine Opfer“<br />
Kommt die Sprache auf mögliche<br />
Selbstbeschränkung oder gar eine gesetzliche<br />
Schweigepflicht der Medien,<br />
entbrennt eine alte Debatte über<br />
Selbstzensur und Pressefreiheit. Dennoch<br />
sollten Medien bei der Terrorismusberichterstattung<br />
eigene Standards<br />
einhalten. „Bei uns gibt es einen<br />
ungefähren Leitfaden, an den wir uns<br />
halten“, erzählt Honsig-Erlenburg. Dieser<br />
Leitfaden besagt unter anderem,<br />
dass mit Bild- und Videomaterial sehr<br />
vorsichtig umgegangen und Propagandamaterial<br />
so gut wie gar nicht verwendet<br />
werden soll. Honsig-Erlenburg<br />
erklärt: „Wir wählen Informationen und<br />
Bilder nach dem Kriterium des Mehrwerts<br />
aus. Eine Grundregel ist: Wir<br />
zeigen keine Leichen oder Leichenteile.“<br />
Ähnlich handhaben es auch die<br />
JournalistInnen vom „Kurier“, bestätigt<br />
Oberascher: „Wir zeigen keine Opfer<br />
und kein Blut. Das ist eine‚,Kurier‘ interne<br />
Regelung.“ Boulevardmedien hingegen<br />
überschreiten häufig die Grenze<br />
der Moral und legen wenig Bedacht auf<br />
Opferschutz oder auf Schutz von Angehörigen<br />
oder Verdächtigen. „Es ist das<br />
Angstschüren, das man billig in Kauf<br />
nimmt. Je emotionaler, desto besser<br />
sind auch die Verkaufszahlen in den<br />
Boulevardmedien“, sagt Honsig-Erlenburg.<br />
Von Mord und Märtyrertum<br />
Nicht-Berichterstattung kann Leben<br />
retten. Das zeigt die eingeschränkte<br />
Berichterstattung über Selbstmord.<br />
Je mehr ein Selbstmord in den Medien<br />
thematisiert wird, desto mehr Nachahmer<br />
gibt es. Doch gibt es einen solchen<br />
„Werther-Effekt“ auch bei Terrorismus?<br />
Die Studie „The effect of media attention<br />
on terrorism“ von Michael Jetter<br />
(2017) bestätigte nun jedenfalls, dass<br />
eine intensive Berichterstattung über<br />
Terrorismus in der „New York Times“<br />
zu einem Anstieg von weiteren Anschlägen<br />
in den darauffolgenden Tagen<br />
führt. „Wichtig ist daher, immer zurückhaltend<br />
zu bleiben und nicht mitzuhel-<br />
Mit Live-Ticker immer up-to-date?<br />
„Wenn die Lage sehr unübersichtlich<br />
ist, machen wir oft einen Live-Bericht,<br />
wo wir die Reaktionen und die neuesten<br />
Entwicklungen chronologisch<br />
darstellen und zwischendurch zusammenzufassen“,<br />
so Honsig-Erlenburg.<br />
Der Live-Ticker hat sich mittlerweile<br />
als gängige Form in der Terror-Berichterstattung<br />
etabliert, vor allem wenn<br />
das Ereignis noch nicht abgeschlossen<br />
ist und laufend weitere Entwicklungen<br />
bekannt gegeben werden. Doch auch<br />
in Zeiten des Echtzeit-Journalismus<br />
und des damit einhergehenden bzw.<br />
voraus eilenden Zeitdrucks müssen<br />
Quellen sorgsam überprüft werden.<br />
Oberascher meint: „Spekulieren darf<br />
man nicht. Wir haben in den letzten<br />
Jahren gelernt, sehr defensiv zu berichten,<br />
keine voreiligen Schlüsse zu ziehen,<br />
Karl Oberascher. Quelle: Gilbert Novy/Kurier<br />
Honsig Erlenburg. Quelle: Matthias Cremer/Der<br />
Standard<br />
22<br />
Die Inszenierung des Terrors in österreichischen Tageszeitungen
TERROR IN WESTEUROPA 1970–2016<br />
Auffallend sind die Jahre mit Fußball Weltmeisterschaften, die durchwegs moderatere Zahlen aufweisen.<br />
1000<br />
900<br />
IRA/ETA/RAF<br />
800<br />
700<br />
IRA/ETA/Neo-Nazi<br />
600<br />
500<br />
IRA/ETA/RAF<br />
Bologna<br />
Lockerbie<br />
400<br />
300<br />
200<br />
Madrid<br />
Utøya<br />
100<br />
0<br />
1970<br />
1975<br />
1980<br />
1985<br />
1990<br />
1995<br />
2000<br />
2005<br />
2010<br />
2015<br />
2016<br />
Terroranschläge<br />
Todesopfer<br />
Fußball WM<br />
Start.umd.edu. (2018, 25. Jänner). Advanced Search. Abgerufen von https://www.start.umd.edu/gtd/search/ Grafik: Gerald Neubacher<br />
fen, aus diesen Menschen MärtyrerInnen<br />
oder HeldInnen zu machen“, sagt<br />
Honsig-Erlenburg. Ihr zufolge dürfe<br />
man den TerroristInnen als Individuen<br />
keine allzu große Plattform bieten. Das<br />
Phänomen Terrorismus müsse man<br />
aber hinterfragen, gar nicht berichten<br />
sei keine Option. Eine bedachte Berichterstattung<br />
kann Nachahmungstaten<br />
und andere negative Folgen medial vermittelter<br />
terroristischer Ereignisse auf<br />
die Gesellschaft reduzieren. Im Buch<br />
„Die mediale Inszenierung von Amok<br />
und Terrorismus“ von Robertz und<br />
Kahr (2016) werden Richtlinien für die<br />
Berichterstattung von Gewalttaten<br />
aufgezeigt. Demnach sollen weder die<br />
Handlungsmotivation oder die Täterphantasien<br />
von TerroristInnen vereinfacht<br />
dargestellt, noch der Tatvorgang<br />
konkret beschrieben oder Sicherheitslücken<br />
aufgezeigt werden. „Je mehr<br />
über die Person berichtet wird, desto<br />
eher sehen sie es als Glorifizierung ihrer<br />
Tat“, bestätigt auch Honsing-Erlenburg.<br />
Sowohl in „Der Standard“ wie auch<br />
im „Kurier“ werden die TerroristInnen<br />
grundsätzlich nicht mit vollen Namen<br />
genannt, sowohl zum Schutz der Angehörigen,<br />
als auch der Verdächtigen<br />
selbst. Es gilt jedoch wie immer auch<br />
hier: Ausnahmen bestätigen die Regel.<br />
So werden die vollen Namen unter anderem<br />
auf Wunsch der Polizei veröffentlicht.<br />
Fotos von TerroristInnen werden<br />
ebenfalls nur publiziert, wenn es<br />
sich um Fahndungsbilder handelt und<br />
es der Ermittlungsarbeit dienlich ist.<br />
Wichtig sind auch die Wortwahl und die<br />
Bezeichnung im Zusammenhang mit<br />
Terrorismus, betont Honsig-Erlenburg:<br />
„Diese Menschen sind Mörder und man<br />
kann sie nur als Mörder bezeichnen.“<br />
Die Symbiose von Terror und Medien<br />
„Man muss sich auch bewusst sein,<br />
dass Terrorismus immer ein Akt politischer<br />
Kommunikation ist“, so Honsig-Erlenburg.<br />
Die Studie von Jetter<br />
untersuchte auch, inwieweit TerroristInnen<br />
ihre Attacken bewusst zeitlich<br />
planen, um die maximale mediale Präsenz<br />
zu erreichen. Demnach würden<br />
TerroristInnen ihre Anschläge auf einen<br />
anderen Zeitpunkt verschieben, wenn<br />
große Ereignisse oder Naturkatastrophen<br />
die mediale Aufmerksamkeit<br />
für sich beanspruchen. Bei medialen<br />
Großereignissen, vor allem bei Fußballweltmeisterschaften,<br />
sind die Terroranschläge<br />
tatsächlich signifikant<br />
zurückgegangen. Dies zeigt, wie gezielt<br />
TerroristInnen die Medien für ihre Propagandazwecke<br />
einsetzen. „TerroristInnen<br />
wollen die Menschen aufrütteln,<br />
erschrecken und das gelingt natürlich<br />
am besten mit brutalen Bildern in den<br />
Medien. Da hat einfach jeder Journalist<br />
und jede Journalistin, die darüber<br />
berichten, eine gewisse Verantwortung“,<br />
sagt Honsig-Erlenburg. Es liegt<br />
also besonders an den JournalistInnen,<br />
sich nicht instrumentalisieren zu lassen.<br />
Ansonsten dienen sie schnell als<br />
ErfüllungsgehilfInnen und die Medien<br />
als das Sprachrohr der TerroristInnen.<br />
„Es ist natürlich immer eine Gradwanderung<br />
zwischen Nachrichtenwert und<br />
der Pflicht, zu berichten und der Tatsache,<br />
dass politischer Terrorismus davon<br />
lebt, dass darüber berichtet und in der<br />
Gesellschaft ein psychologischer Terror<br />
ausgeübt wird“, so Honsig-Erlenburg.<br />
Terrorismus an der Tagesordnung?<br />
Oberascher spricht generell von einem<br />
Lerneffekt, sowohl seitens der LeserInnen<br />
als auch seitens der Medien: „Es<br />
gibt einen Lerneffekt, wie mittlerweile<br />
mit Terrorismus umgegangen wird.<br />
Die Medien haben einiges dazugelernt<br />
und es haben auch die Behörden ganz<br />
viel dazugelernt, wie sie informieren.“<br />
Zudem lässt sich in den letzten Jahren<br />
hinweg ein gewisser abgeschwächter<br />
Effekt in der Berichterstattung beobachten.<br />
Zwar wird den terroristischen<br />
Anschlägen immer noch eine große<br />
Relevanz in den Medien zugeschrieben,<br />
aber die Intensität und Dauer der<br />
Berichterstattung nimmt ab. Haben<br />
sich die LeserInnen mittlerweile an den<br />
Terror gewöhnt? Honsig-Erlenburg:<br />
„Ein gewisser Gewöhnungseffekt zeigt<br />
sich darin, dass die Peaks nach einem<br />
Terror anschlag schneller wieder heruntergehen.<br />
Doch wirklich gewöhnen<br />
kann man sich an Terrorismus innerhalb<br />
in Europa wohl nicht.“<br />
von Christina Guggenbergerr<br />
Die Inszenierung des Terrors in österreichischen Tageszeitungen<br />
23
Hashtags und der Journalismus<br />
In Zeiten des Terrors werden Soziale Netzwerke immer wichtiger, auch für<br />
Zeitungen. Doch haben Hashtags auf „Facebook“, „Twitter“ & Co auf den<br />
Journalismus tatsächlich einen Einfluss? Im <strong>SUMO</strong>-Interview diskutierten<br />
darüber der stellvertretende Chefredakteur der „Wiener Zeitung“ Thomas<br />
Seifert und Judith Pointner von den „OÖNachrichten“.<br />
Stellen Sie sich vor Sie sind RedakteurIn<br />
einer Zeitung, und während Ihrem<br />
Dienst wird ein erneuter Terroranschlag<br />
ausgeübt. Wie gehen Sie vor? Wo informieren<br />
Sie sich über das aktuelle<br />
Geschehen? Verwenden Sie Soziale<br />
Medien? Worauf können Sie vertrauen?<br />
Die Fragen stellte sich Judith Pointer,<br />
als sie am 13. November 2015 gerade<br />
im Dienst war. Jener Tag, an dem die<br />
Terrormiliz IS in Paris Attentate verübte<br />
und viele Personen in den Tod riss.<br />
Sie kann sich noch gut an jenen Moment<br />
erinnern, in dem sie über den Anschlag<br />
erfahren hat. Es war kurz gegen<br />
Dienstende, in Gedanken freute sie sich<br />
schon auf zu Hause und plötzlich poppte<br />
auf „welt.de“ die Meldung auf. Zunächst<br />
war lediglich die Rede von einer<br />
Schießerei, doch nach wenigen Minuten<br />
wurde das tatsächliche Ausmaß der Tat<br />
bekannt und es kamen immer mehr<br />
Informationen zum Vorschein. „Am Anfang<br />
war alles sehr undurchsichtig, man<br />
wird von Meldungen überschüttet und<br />
muss filtern, schauen was man glauben<br />
kann. Dann führt der Weg schnell<br />
zu ,Facebook‘ und ,Twitter‘“, so Pointner.<br />
Die „OÖNachrichten“ ist ein regionales<br />
Medium und hat daher weniger Kontakte<br />
ins Ausland als andere Zeitungen,<br />
die nicht nur regional operieren. Somit<br />
werden die Auslandsnachrichten zumeist<br />
von der „Austria Presse Agentur“<br />
(APA) bezogen. Aber auch „Twitter“<br />
spielt eine wichtige Rolle. Besonders<br />
Hashtags werden gerne verwendet, da<br />
so einfach und schnell nach den neuesten<br />
Meldungen und Entwicklungen im<br />
Falle eines Anschlages gesucht werden<br />
kann. Ebenfalls hat sich im Bereich<br />
der „Twitter“-Accounts in den letzten<br />
Jahren viel verändert. So twittern mittlerweile<br />
Blaulichtorganisationen über<br />
aktuelle Fortschritte in Krisenfällen. Für<br />
Judith Pointner dient „Twitter“ im Falle<br />
eines Anschlags für zwei Aspekte. Zum<br />
einen informiert sie sich auf den Accounts<br />
der örtlichen Polizei, Feuerwehr,<br />
aber auch von VertreterInnen der Politik<br />
über das aktuelle Geschehen und neue<br />
Meldungen. Außerdem versucht sie die<br />
Stimmung vor Ort einzufangen, indem<br />
sie erneut Hashtags einsetzt und somit<br />
Tweets von Privatpersonen einfängt.<br />
Die Problematik hierbei ist allerdings,<br />
dass es sich oft nicht um seriöse Quellen<br />
handelt. Somit muss genau gefiltert<br />
werden, welche Art von Information<br />
verwendet werden kann und welche<br />
nicht. Beispielsweise werden keine<br />
Tweets mit exakten Zahlenangaben<br />
verwendet, da es für die Validität dieser<br />
Werte keine Garantie gibt. Generelle<br />
Aussagen wie „Ich habe Schüsse gehört!“<br />
werden übernommen, sie helfen<br />
dabei die Stimmung einzufangen und<br />
Emotionen zu liefern.<br />
Quelle: pixabay<br />
24<br />
Hashtags und der Journalismus
#HASHTAG<br />
JOURNALISMUS?<br />
DER EINFLUSS VON<br />
SOZIALEN MEDIEN AUF<br />
DEN JOURNALISMUS<br />
<br />
WOZU VERWENDEN JOURNALISTEN<br />
SOZIALE MEDIEN?<br />
Verbreiten bzw.<br />
bewerben von Inhalten<br />
Interagieren mit Lesern<br />
Beobachten<br />
Netzwerken<br />
Recherchieren<br />
Bestätigen von<br />
Informationen<br />
19 %<br />
27 %<br />
39 %<br />
45 %<br />
58 %<br />
62 %<br />
WIEVIEL ZEIT VERBRINGEN JOURNALISTEN<br />
PRO TAG MIT SOZIALEN MEDIEN?<br />
22 %<br />
zwischen 2-4 Stunden<br />
63 %<br />
bis zu 2 Stunden<br />
11 %<br />
mehr als 4 Stunden<br />
4 %<br />
gar keine<br />
<br />
WELCHE IST DIE VERTRAUENSWÜRDIGSTE<br />
QUELLE FÜR JOURNALISTEN?<br />
72 %<br />
Offizielle Websites<br />
u. Pressemeldungen<br />
<br />
Traditionelle Medien<br />
13 % 5 %<br />
6 %<br />
Soziale Medien<br />
Influencer<br />
u. Blogs<br />
4 %<br />
Diverse<br />
<br />
WO VERÖFFENTLICHEN JOURNALISTEN?<br />
16 %<br />
2011 2016<br />
39 %<br />
Berufliche<br />
Netzerke<br />
24 %<br />
Weblogs<br />
44 %<br />
52 %<br />
79 %<br />
Soziale<br />
Netzerke<br />
22 %<br />
47 %<br />
Visuelle<br />
Netzerke<br />
25 %<br />
Mikroblogs<br />
<br />
60 %<br />
52 %<br />
<br />
WELCHE LÄNDERSPEZIFISCHEN<br />
UNTERSCHIEDE GIBT ES?<br />
51 %<br />
48 %<br />
43%<br />
29 %<br />
<br />
WELCHE VOR- UND NACHTEILE HABEN<br />
SOZIALEN MEDIEN FÜR JOURNALISTEN?<br />
<br />
PRO<br />
Hohe Konzentration unterschiedlichster<br />
Inhalte<br />
vs.<br />
CONTRA<br />
Hoher Anteil an Halbund<br />
Unwahrheiten<br />
<<br />
Kanada<br />
USA<br />
U.K.<br />
Deutschland<br />
Frankreich<br />
Maximale Geschwindigkeit<br />
und Reichweite<br />
Schnelle Berichterstattung<br />
führt zu Qualitätseinbußen<br />
% an Journalisten, welche eine hohe oder sehr hohe<br />
Social Media Kompetenz aufweisen<br />
Sehr kostengünstige Art<br />
der Publikation<br />
Glaubwürdigkeit deutlich<br />
hinter traditionellen Medien<br />
Cision Social Journalism-Studie 2016 Deutschland | Ogilvy Media Influence Survey 2016 | Vuelio UK Social Journalism Study 2013 | Grafik: Martin Gugler<br />
Hashtags und der Journalismus<br />
25
In diesem Zusammenhang werden<br />
auch Live-Ticker eine hohe Bedeutung<br />
zugesprochen, da sie die Möglichkeit<br />
bieten in kurzer Zeit viele Beiträge zu<br />
bringen.<br />
Eine andere Sichtweise liefert Thomas<br />
Seifert. Er hat zwar selber einen eigenen<br />
„Twitter“-Account, benutzt ihn<br />
aber lediglich um Artikel zu verbreiten.<br />
Grund dafür ist, dass er „Twitter“ vor<br />
allem auf Terroranschläge bezogen,<br />
nicht als primäre Informationsquelle<br />
sieht. Vielmehr wird hier über Geschehenes<br />
diskutiert und ausgetauscht. Der<br />
Informationsstand der UserInnen ist<br />
schließlich aber nicht höher als der eigene.<br />
Eine Ausnahme sieht er allerdings<br />
bei kriegsähnlichen Handlungen, wo<br />
Anschläge zu psychologischen Kriegsführungen<br />
in Nahost oder Syrien verwendet<br />
werden. Hier können Quellen<br />
vor Ort einen hilfreichen Beitrag leisten,<br />
da es für ausländische JournalistInnen<br />
oft schwierig und gefährlich ist vor Ort<br />
zu berichten.<br />
Gewinnung von Fotos durch „Twitter“?<br />
Für die Print-Ausgabe der „Wiener Zeitung“<br />
werden keine Fotos von „Twitter“<br />
verwendet, da hier besondere Guidelines<br />
wie beispielsweise der Opferschutz<br />
und ethnische Grundsätze zu<br />
beachten sind. Ebenfalls ist die Verwendung<br />
von fremdem Content schwierig,<br />
da die Rechtslage ungeklärt ist. Ein/e<br />
Twitter-UserIn, der/die Fotos selber geschossen<br />
hat, besitzt Rechte an diesen<br />
Fotos. Somit können diese, auch wenn<br />
sie den Guidelines entsprechen, nicht<br />
so einfach genommen werden. Anders<br />
ist dies bei der Online-Redaktion der<br />
„OÖNachrichten“. Hier werden immer<br />
wieder Fotos und Videos von „Twitter“-UserInnen<br />
verwendet und gezeigt.<br />
Diese werden in den Online-Beiträgen<br />
eingebettet, wodurch der/die UrheberIn<br />
des Fotos oder der Videos korrekt vermerkt<br />
wird.<br />
Die journalistische Sorgfaltspflicht<br />
Besonders in Ausnahmezuständen, wo<br />
die Berichterstattung oft sehr schnell<br />
erfolgen muss, ist es außerordentlich<br />
wichtig, journalistische und ethnische<br />
Grundsätze zu achten. Thomas Seifert<br />
sieht soziale Netzwerke wie „Twitter“<br />
daher als eine Art Bedrohung dieser<br />
Grundsätze. Er fügt hinzu, dass gerade<br />
bei Terroranschlägen in Echt-Zeit<br />
berichtet wird. Somit wissen die Angehörigen<br />
der Opfer oft noch gar nicht,<br />
was gerade passiert oder dass vielleicht<br />
gerade deren Sohn, Tochter oder<br />
Verwandte sterben. Dies ist moralisch<br />
problematisch und „dann ist auch die<br />
Frage: Wo sind die Grenzen? Wo ist ein<br />
berechtigtes Interesse?“. Hierbei ist ihm<br />
klar, dass nicht alles unter Verschluss<br />
gehalten werden kann, man müsse den<br />
RezipientInnen etwas zumuten können.<br />
Jedoch ist hier die Grenze zwischen<br />
ethisch vertretbar und nicht vertretbar<br />
millimeterdünn und schwer zu ziehen.<br />
„Facebook“ vs. „Twitter“<br />
„Facebook“ und „Twitter“ sind heute<br />
aus dem Alltag kaum noch wegzudenken.<br />
Fast jede Tageszeitung besitzt<br />
einen Account, um ihren Content zu<br />
verbreiten und mit der Community zu<br />
kommunizieren.<br />
Matthew Powers und Sandra<br />
Vera-Zambrano begründen dies in ihrem<br />
Artikel in der Fachzeitschrift „new<br />
media & society“ wie folgt: In Westeuropa<br />
und Nordamerika ist es für Zeitungen<br />
zunehmend schwierig, ihren Content<br />
an die Zielgruppe zu vermitteln, da<br />
diese abnehmend die Websites der jeweiligen<br />
Zeitung besuchen. Somit sind<br />
Soziale Netzwerke ein geeigneter Ort<br />
für JournalistInnen und Zeitungen, um<br />
die Leute anzusprechen und für sich zu<br />
gewinnen.<br />
Auch bei den „OÖNachrichten“ wird<br />
Social Media verwendet, um die Artikel<br />
mit den LeserInnen zu teilen. Hierbei<br />
wird „Facebook“ eine viel höhere<br />
Bedeutung zugesprochen als „Twitter“.<br />
Judith Pointner nennt den Grund dafür:<br />
In Österreich sei „Twitter“ nicht so<br />
weit verbreitet wie „Facebook“. Zudem<br />
befinde sich auf „Twitter“ ein anderes<br />
Publikum wie beispielsweise Medienfachleute,<br />
PolitikerInnen oder WissenschaftlerInnen,<br />
aber wenig „kleine“<br />
Leute wie es bei „Facebook“ der Fall<br />
ist. Die „OÖNachrichten“ haben auf<br />
„Twitter“ knapp 4.000 Followers, was<br />
im Vergleich zu den fast 87.000 „Gefällt-Mir“-Angaben<br />
auf „Facebook“<br />
eher gering ist. „Ein Bruchteil davon<br />
klickt auf die Meldungen. Es wird zwar<br />
auf dem Account über neue Anschläge<br />
geschrieben, aber es bringt von der<br />
Reichweite und den Zugriffen her nicht<br />
viel“, sagt Judith Pointner. Jedoch wird<br />
trotzdem versucht, die Followers auf<br />
„Twitter“ mit Content zu versorgen.<br />
Hierbei werden gerne Hashtags eingesetzt.<br />
Somit sind die Tweets besser<br />
auffindbar, wenn UserInnen die Schlagwörter<br />
mittels Suchfunktion eingeben.<br />
Anders sieht dies bei „Facebook“ aus.<br />
Hashtags haben keine große Bedeutung<br />
bei der Verbreitung des Contents.<br />
Vielmehr setzt man auf die Funktion<br />
von Posts und Kommentaren, es wird<br />
also versucht mit der Zielgruppe zu<br />
kommunizieren und gelegentlich einen<br />
Dialog zu führen. Die Anzahl der Posts<br />
ist davon abhängig, wie viele neue Meldungen<br />
auftauchen. Grundsätzlich gibt<br />
es aber einen Beitrag pro Stunde.<br />
Ein wenig anders erfolgt die Verbreitung<br />
von Artikeln bei Thomas Seifert und der<br />
„Wiener Zeitung“. Auf „Twitter“ ist die<br />
„Wiener Zeitung“ durch ihren eigenen<br />
Account und die Accounts ihrer JournalistInnen<br />
vertreten. So werden vom<br />
Account der Zeitung selbst immer wieder<br />
Tweets von den JournalistInnen retweetet<br />
und umgekehrt retweeten auch<br />
die JournalistInnen die Meldungen des<br />
„Wiener Zeitung“-Accounts. Auf dem<br />
Hauptaccount der Zeitung werden außerdem<br />
Hashtags eingesetzt, Thomas<br />
Seifert selbst benutzt sie jedoch sehr<br />
spärlich. Als Grund dafür nennt er, dass<br />
das Zeichenlimit schnell überschritten<br />
werde. Dies könnte sich jetzt allerdings<br />
ändern, da „Twitter“ seit kurzem das<br />
Zeichenlimit pro Tweet erhöht hat. Eine<br />
weitaus höhere Bedeutung spricht er<br />
Hashtags auf „Instagram“ zu. Der Entdeckungsfaktor<br />
sei wesentlich größer,<br />
da Hashtags hier mittlerweile gefolgt<br />
werden kann. „Facebook“ hingegen<br />
verwendet er gar nicht mehr. „Das ist<br />
ein Mülleimer für ,Instagram‘ und ,Twitter‘<br />
geworden“. Generell ist die Anzahl<br />
seiner Meldungen auf „Twitter“ davon<br />
abhängig, ob es neue Meldungen gibt,<br />
die für ihn wertvoll und berichtenswert<br />
sind. In den meisten Fällen benutzt er<br />
den Kanal, um seine LeserInnen auf<br />
neue Texte aufmerksam zu machen.<br />
Sind Hashtags für die journalistische<br />
Arbeit wertvoll?<br />
Im Falle eines Terroranschlages bieten<br />
Hashtags eine gute Orientierungsmöglichkeit,<br />
um schnell und einfach neue<br />
Meldungen und Fortschritte zu ermitteln.<br />
Jedoch muss dabei immer sehr kritisch<br />
mit dem zur Verfügung gestellten<br />
Content umgegangen werden, da die<br />
Seriosität und Validität von User-Generated-Content<br />
oft nicht gegeben sind.<br />
Aus beiden Interviews resultiert, dass<br />
Hashtags teilweise bewusst eingesetzt<br />
werden. Jedoch tragen sie keinen besonders<br />
großen Wert zur journalistischen<br />
Arbeit bei, da die zur Verfügung<br />
gestellte Information nicht höher ist<br />
als die eigene. Diese Sichtweise vertritt<br />
auch Roumen Dimitrov in seinem Artikel<br />
im „Global Media Journal“: Er sieht<br />
Social Media und Hashtags als eine Art<br />
von Zwischenhändlern. Zwar werden<br />
auf den Online-Plattformen Meldungen<br />
geschrieben, jedoch gibt es immer<br />
einen Link zum originalen Ursprung des<br />
Artikels, also der Website der Zeitung.<br />
Er steht dem Trend hin zu Social Media<br />
positiv gegenüber – „Journalism will not<br />
only survive, it will thrive.“<br />
von Nadine Trocki<br />
26<br />
Hashtags und der Journalismus
Terror auf der Leinwand<br />
Wenn der sensiblen Thematik des Terrorismus Raum in der erzählerischen<br />
Welt des Films eingeräumt wird - <strong>SUMO</strong> im Gespräch mit Autor,<br />
Filmregisseur und -produzent Franz Novotny und Prof. Maria Teuchmann,<br />
Geschäftsführerin des „Thomas Sessler“ Verlags und Mitglied der Association<br />
of Austrian Film Producers.<br />
Spätestens seit dem 11. September<br />
2001 ist das Thema des Terrorismus ein<br />
globales. Die Anschläge in den USA auf<br />
das World Trade Center und das Pentagon<br />
haben das Bewusstsein der Gesellschaft<br />
diesbezüglich neu definiert.<br />
Nicht zuletzt spiegelt sich diese neue<br />
Form der Aufmerksamkeit für terroristische<br />
Inhalte im Film und Fernsehen<br />
unserer Zeit wider. Neben der eigenen<br />
Dokumentations-Rubrik „9/11“ werden<br />
Terroranschläge und deren Hintergründe<br />
sowie Abläufe vermehrt im Spielfilm<br />
verarbeitet. Stärker denn je findet<br />
der Terrorismus Anklang in sämtlichen<br />
Kommunikationskanälen der Medien<br />
und ist aufgrund des großen Interesses<br />
viel verarbeitetes Kunstmaterial.<br />
Spiegel der Realität<br />
Bereits seit den ersten Filmversuchen<br />
bearbeiten Drehbücher das reale Leben.<br />
Besonders der Spielfilm erreicht<br />
das Publikum auf emotionaler Ebene,<br />
kann somit beim Umgang mit Ängsten,<br />
Alltagsproblemen oder Nöten unterstützend<br />
wirken. Weil gefilmtes Material<br />
einer Art Fiktion entspricht, erlaubt<br />
es den ZuschauerInnen, ein Thema von<br />
außen zu betrachten, einen gewissen<br />
Abstand zu gewinnen. Daraus resultiert<br />
auch eine mögliche politische und<br />
kulturelle Gewichtung der Inhalte, die<br />
sozial-kulturelle Funktionen zu erfüllen<br />
vermag, konstatiert der deutsche<br />
Medienwissenschaftler Bernd Zywietz<br />
in seiner Dissertation „Terrorismus im<br />
Spielfilm“ (2016).<br />
Hinzu kommt, dass sich die vermeintliche<br />
„Realität“, abgebildet auf der Leinwand,<br />
oftmals als verfremdet oder verzerrt<br />
darstellt. Durch die Mitwirkenden<br />
der Filmproduktion ergeben sich eine<br />
individuelle Interpretation und eine Art<br />
Subjektivierung, gänzliche Neutralität<br />
und rein objektive Sichtweisen können<br />
somit während des Erzählens einer Geschichte<br />
nicht gewährleistet werden, so<br />
Oliver Langewitz in seiner Publikation<br />
„Die Filmgesellschaft“ (2008)– und sollen<br />
es womöglich gar nicht.<br />
Nun ist die Darstellung violenter Szenen<br />
auf der Leinwand seit jeher ein<br />
Thema für Kontroversen aus moralischer,<br />
medienkritischer und -ethischer<br />
Perspektive. Die behandelten Punkte<br />
Quelle: Wikimedia Commons/<br />
Rialto Lichtspiele<br />
Terror auf der Leinwand<br />
27
scheinen sich laufend zu wiederholen:<br />
moralische Vertretbarkeit, Grenzen<br />
zwischen erzählerischen Gestaltungsmitteln<br />
und überspitzter Grausamkeit,<br />
Ursachen für Faszination auf Seite der<br />
ZuschauerInnen, soziale Verträglichkeit,<br />
die Rolle von Furcht und Angstlust,<br />
Einfluss von Politik und gesellschaftlichen<br />
Normen, et cetera. Laut der MedienwissenschaftlerInnen<br />
Kunzcik und<br />
Zipfl hat sich seit 1960 die Darstellung<br />
von Gewalt in Filmen weltweit verdoppelt,<br />
die Anzahl der Filmtoten steigt<br />
ebenfalls tendenziell und auch Waffengewalt<br />
in für ab 13 Jahren freigegebenen<br />
Filmen hat sich im Zeitraum<br />
1985 bis 2015 sogar verdreifacht, wie<br />
Bushman, Jamieson, Weitz und Romer<br />
in ihrem Werk „Gun Violence Trends in<br />
Movies“ bestärken.<br />
Bei der Verfilmung von Ereignissen mit<br />
terroristischem Schwerpunkt lassen<br />
sich zwei grobe Herangehensweisen<br />
erkennen: Die eine fokussiert den Akt<br />
als solchen und beschreibt in brutaler<br />
Detailliertheit eine gewaltsame Situation,<br />
die andere setzt die Ursachen und<br />
Hintergründe sowie den menschlichen,<br />
sozialen Aspekt in den Mittelpunkt.<br />
„Gräuel-Propaganda“<br />
Heutzutage kreisen Filmproduktionen<br />
immer häufiger um das Thema des<br />
Terrorismus, indem sie die emotionale<br />
Verbundenheit der RezipientInnen zu<br />
dem Thema (weil in aller Munde und<br />
gegenwärtig aktuell) künstlerisch und<br />
dramaturgisch nutzen. Auf der einen<br />
Seite stehen hierbei actiongeleitete<br />
Abenteuerfilme, die meist mit großem<br />
Budget verwirklicht werden und dabei<br />
das Ziel einer möglichst ereignisreichen<br />
Bildabfolge haben, die Ausführung terroristischer<br />
Anschläge schildern, heroische<br />
Protagonisten im Kampf gegen<br />
„die böse Seite“ zeigen, oder weitgehend<br />
authentisch inszenierte Fälle kreieren.<br />
Solchen Filmen, die laut Franz<br />
Novotny - Regisseur und Produzent<br />
(u.a. „Exit“, zuletzt „Anna Fucking Molnar“)<br />
- im <strong>SUMO</strong>-Interview als „Gräuel-Propaganda-Filme“<br />
zu bezeichnen<br />
sind, dürfe man bei der Rezeption skeptisch<br />
gegenüberstehen. Es ginge hier<br />
vor allem darum, filmisch virtuelle Identifikationsfiguren<br />
zu schaffen, die das<br />
Publikum mitreißen sollen. Die Chance,<br />
dass sich die ZuschauerInnen mit<br />
Leitfiguren solcher Filme identifizieren,<br />
erklärt er mit dem Phänomen, dass das<br />
„Böse“ im Film meist faszinierender<br />
erscheint, als die „braven“ Figuren. Er<br />
warnt vor der „ästhetisierten Gewalt“<br />
in Filmen dieser Art, die ein verzerrtes<br />
Abbild der Wirklichkeit plakatieren. Jene<br />
Propagandafilme intendieren vorwiegend<br />
keine Identifikation mit den ProtagonistInnen,<br />
sondern versuchen, die<br />
ZuschauerInnen gegen den Terrorismus<br />
einzunehmen, so der österreichische<br />
Filmschaffende. Der soziale Wert sowie<br />
der meinungsbildende Effekt, den Filme<br />
als Kunstform und Spiegel der Gesellschaft<br />
zu bewirken vermögen, bleiben<br />
hier fraglich.<br />
spknoe.at<br />
Wir begleiten dich bei allem,<br />
was du vorhast.<br />
#glaubandich<br />
Was zählt,<br />
sind die Menschen.<br />
28<br />
Terror auf der Leinwand
Außer Frage aber steht, dass jene Herangehensweise<br />
große Beliebtheit unter<br />
RezipientInnen genießt.<br />
Franz Novotny. Quelle: Manfred Werner<br />
Problemen auf den Zahn fühlen<br />
Auf der anderen Seite der Produzentenmedaille<br />
finden sich Filme eines<br />
Charakters, der ihnen erlaubt hinter die<br />
Kulissen zu blicken, dem Publikum eine<br />
Geschichte zu präsentieren, die auf die<br />
Motive und Hintergründe eines Terrorakts<br />
fokussiert. Es wird versucht, Klassengegensätze<br />
aufzurufen, verständlich<br />
zu machen, wie es TerroristInnen<br />
zum Terror treibt, „welche Skrupel sie<br />
haben – oder nicht haben“, so Novotny.<br />
Filme dieser Natur lenken die Aufmerksamkeit<br />
weg von der Darstellung blutiger<br />
Szenarien, hin zu Ursachen größeren<br />
Ausmaßes wie Unterdrückung<br />
von Minderheiten, Rassismus, Armut,<br />
Besatzungsszenarien, politische Unruhen<br />
oder gesellschaftlicher Unmut. Sie<br />
erlauben sich, Systemkritik zu üben,<br />
begeben sich dabei oftmals auf politisches<br />
Glatteis und scheuen nicht die<br />
Diskussion, sondern zielen darauf ab,<br />
das Publikum zum Weiterdenken zu<br />
provozieren. Eines der aktuellen Projekte<br />
Franz Novotnys ist die Produktion<br />
des Films „7500“ in Zusammenarbeit<br />
mit dessen Drehbuchautor und Regisseur<br />
Patrik Vollrath (z.B: „Alles wird<br />
gut“). Die Handlung des Films findet<br />
innerhalb einer Pilotenkanzel statt, wo<br />
Pilot und Ko-Pilot sich über „Gott und<br />
die Welt“ unterhalten und dabei Motive<br />
sowie Skrupel von TerorristInnen ans<br />
Publikum tragen. Novotny formuliert<br />
treffend: „Das ist der Idealfall. Wenn<br />
sich die Macher von Filmen tiefere Gedanken<br />
machen, als dem Mainstream<br />
zu folgen und gesellschaftliche Probleme<br />
eher hinterfragen, als sie einfach zu<br />
illustrieren“.<br />
Sucht man im deutschsprachigen Filmkatalog<br />
nach Terrorismus, so stößt man<br />
rasch auf ein bestimmtes Werk, das<br />
auch international für Aufmerksamkeit<br />
gesorgt hat. „Terror - Ihr Urteil“, ein Werk<br />
nach dem gleichnamigen Theaterstück,<br />
also einem ursprünglichen Bühnentext<br />
von Ferdinand von Schirach, das die<br />
Interaktivität des Mediums Fernsehen<br />
nutzt, indem das Publikum aufgefordert<br />
wird, über den Ausgang einer<br />
Gerichtsverhandlung zu entscheiden.<br />
Verhandelt wird, ob es richtig war, ein<br />
von Terroristen erobertes Flugzeug<br />
abzuschießen, bevor es in ein vollbesetztes<br />
Stadion stürzt. Schirach wagt<br />
damit „einen Appell an die moralische<br />
Frage und an das Urteilsvermögen des<br />
einzelnen Menschen“, so Maria Teuchmann,<br />
Geschäftsführerin des „Thomas<br />
Sessler“ Verlags und Leiterin des Bereichs<br />
Theater, Film und Fernsehen.<br />
Dies stellt bisher eine völlig neue Art<br />
der Thematisierung von Terrorismus<br />
im Film dar, fordert die sonst passiven<br />
ZuschauerInnen auf, sich klar zwischen<br />
Freispruch oder Verurteilung zu entscheiden.<br />
Deutschland und Österreich<br />
stimmten hierbei mit knapp 87 Prozent<br />
für die Freilassung des für den<br />
Abschuss verantwortlichen Piloten. Die<br />
Schweizer begnadigten ihn mit geringeren,<br />
aber doch eindeutigen 84 Prozent.<br />
Solch eine heikle Frage der breiten<br />
Masse zur Entscheidung zu überlassen,<br />
könnte in der Realität fatale Auswirkungen<br />
haben. Dennoch ist es relevant,<br />
der Gesellschaft Szenarien lebhaft vor<br />
Augen zu führen, ihr Bewusstsein zu<br />
wecken. Teuchmann erachtet Schirachs<br />
Appell als legitim, sieht aber den Konflikt,<br />
der sich in der Beurteilung des<br />
Falls ergibt und weist damit auf das<br />
Stück „Heilig Abend“ des deutsch-österreichischen<br />
Autors Daniel Kehlmann<br />
hin, das die ZuschauerInnen beide Positionen<br />
eines Verhörs, durch simplen<br />
Dialog zweier Personen, nachvollziehen<br />
lässt. Verdächtigte ist dabei eine Linksintellektuelle,<br />
der Verhörende verkörpert<br />
den Überwachungsstaat, was das<br />
Publikum über die herrschenden politischen<br />
und gesellschaftlichen Zustände<br />
nachdenken lässt.<br />
Blickwinkel des Alpenlandes<br />
Laut Teuchmann spielt die Rubrik<br />
„Terror“ im österreichischen Verlagsund<br />
Filmwesen nur eine geringe Rolle,<br />
Schwerpunkt hier liegt weniger in<br />
action reicher Handlung, sondern vielmehr<br />
in der Darstellung einzelner<br />
Schicksale – wenn auch zuweilen verbunden<br />
mit Terrorismus und dessen<br />
Auswirkungen. Ihr zu Folge wird eher<br />
versucht, möglichst mitreißend und<br />
nachvollziehbar qualitativ hochwertige<br />
Geschichten ans Publikum zu tragen.<br />
Der Verlags-Geschäftsführerin nach<br />
kommen Filme im deutschsprachigen<br />
Raum nicht ausschließlich dann gut an,<br />
wenn sie aufwändig produzierte Action-Szenen<br />
oder gewaltvolle Szenarien<br />
beschreiben, sondern mit einigen wenigen<br />
Individuen punkten, die als ProtagonistInnen<br />
ihr Publikum emotional<br />
und sachbezogen durch die Handlung<br />
leiten. Sollte Gewalt oder Terrorismus<br />
einen Bestandteil solch einer Geschichte<br />
darstellen, „dann ist es gut, und<br />
dann soll es auch so sein“. Teuchmanns<br />
Zugang wäre jedoch nicht, Inhalte zu<br />
verkaufen, nur weil sie einer gewissen<br />
Erwartungshaltung des Publikums oder<br />
der ProduzentInnen entsprechen.<br />
Maria Teuchmann. Quelle: Aleksandra Pawloff<br />
„Ein Korrektiv zur allgemeinen medialen<br />
Berichterstattung“<br />
Angst und Terror gehen Hand in Hand.<br />
Laut Mark Warrs Studie „Fear of Crime<br />
in the United States“ (2000) ist es<br />
einerseits möglich, dass Menschen<br />
zu ängstlich sind, andererseits zu wenig<br />
Angst empfinden. Es gilt ihm nach<br />
also, eine Balance zu finden, in der die<br />
Gesellschaft genügend angebrachte<br />
Furcht verspürt, es aber gleichzeitig<br />
versteht, einem sozial einschränkenden<br />
Ausmaß an Angst beizuwohnen beziehungsweise<br />
es zu verringern.<br />
Maria Teuchmann vertritt die Meinung,<br />
dass der Film als Kunstform dabei eine<br />
Rolle der Angstbewältigung spielt, dem<br />
Publikum also helfen kann, mit Erlebtem<br />
umzugehen und fertigzuwerden.<br />
Die ergänzende Funktion des Films<br />
zeigt sich für Franz Novotny insofern,<br />
als dass der Film „ein Korrektiv zur allgemeinen<br />
medialen Berichterstattung“<br />
darstellt. Sensible Thematiken wie der<br />
Terrorismus in all seinen Facetten sind<br />
laufend Zentrum von medien-ethischen<br />
Diskussionen. Im Kontext filmisch<br />
verarbeiteter Inhalten, die öffentliche<br />
Resonanz anstreben wird der<br />
Diskurs womöglich ein endloser - aber<br />
notwendiger - sein.<br />
von Selina Koller<br />
Terror auf der Leinwand<br />
29
GEWALTDARSTELLUNG IN SPIELFILMEN<br />
„<br />
Die Präsenz von Gewalt in Filmen kann gesteigertes<br />
Aggressionsverhalten bei Menschen hervorrufen, die eine<br />
existierende Tendenz zu Gewaltbereitschaft aufweisen.<br />
1<br />
Dieses Phänomen nennt man „Waffen-Effekt“<br />
“<br />
Anzahl Gewaltakte<br />
pro Stunde je 5 Minuten Segment<br />
20<br />
15<br />
10<br />
5<br />
1950 1960 1970 1980 1990 2000 2012<br />
Verdopplung von<br />
Gewaltakten in Filmen<br />
seit 1950<br />
Die generelle Anzahl von<br />
Gewaltakten in Filmen hat<br />
sich seit den 1950er Jahren<br />
1<br />
mehr als verdoppelt.<br />
Anzahl Waffengewaltakte<br />
pro Stunde je 5 Minuten Segment<br />
3<br />
2<br />
1<br />
1985 1990 1995 2000 2005 2012<br />
Verdreifachung der<br />
Filmgewalt bei<br />
Filmen ab 13 Jahren<br />
Die Anzahl der Darstellungen<br />
von Waffengewalt im Bereich<br />
von Filmen für Zuschauer ab<br />
13 Jahren hat sich seit 1985 mehr<br />
als verdreifacht.<br />
1<br />
Anzahl Filmtote<br />
pro Jahr<br />
5.000<br />
4.000<br />
3.000<br />
2.000<br />
1.000<br />
1960 1970 1980 1990 2000 2010<br />
Steigende Tendenz<br />
bei Anzahl an<br />
Filmtoten pro Jahr<br />
Die Anzahl an Todesfällen in Filmen<br />
unterliegt seit den 1960er Jahren<br />
einem steigenden Trend.<br />
Generell kann man sagen, ein Film<br />
hat mehr Todesfälle je später<br />
2<br />
das Erscheinungsjahr.<br />
Grafik: Christoph Taucher<br />
1. Bushman, B. J., Jamieson, P. E., Weitz, I., & Romer, D. (2013). Gun Violence Trends in Movies. Pediatrics, 132(6), 1014–1018. https://doi.org/10.1542/peds.2013-1600; 2. Violence has<br />
been on the rise in the film industry. (2013, December 31). Retrieved January 21, 2018, from http://www.randalolson.com/2013/12/31/violence-has-been-on-the-rise-in-the-film-industry/<br />
30<br />
Terror auf der Leinwand
Bomben auf die Kunstfreiheit<br />
„Safety first ist und bleibt das Wichtigste von allem“: Musikveranstalter<br />
Harry Jenner im <strong>SUMO</strong>-Interview über Terrorbedrohungen bei Konzerten,<br />
Sicherheit und Abschirmung.<br />
Der erste Terroranschlag der letzten<br />
Jahre bei einer Musikveranstaltung<br />
fand im November 2015 statt. Mehrere<br />
Männer stürmten während eines<br />
Konzertes der Band „Eagles of Death“<br />
eine ausverkaufte Halle in Paris und erschossen<br />
90 Menschen. Der Terror war<br />
in der Musikszene angekommen. März<br />
2017, Manchester: Ein Selbstmordattentäter<br />
sprengt sich nach dem Konzert<br />
von Ariana Grande in die Luft und reißt<br />
23 Menschen in den Tod, darunter Kinder<br />
und Jugendliche. Im Juni desselben<br />
Jahres wird in Deutschland das Musikfestival<br />
„Rock am Ring“ aufgrund einer<br />
Terrorwarnung unterbrochen. Rund<br />
85.000 Menschen verlassen binnen<br />
15 Minuten das Gelände, während sie<br />
„You’ll Never Walk Alone“ singen. Später<br />
gibt es in der Pressekonferenz Entwarnung:<br />
Unstimmigkeiten zwischen<br />
den Namen von Sicherheitsbeauftragten<br />
und den angegebenen Namen auf<br />
deren Ausweisen lösten den Alarm aus.<br />
Der Veranstalter des Festivals Marek<br />
Lieberberg reagierte in der Konferenz<br />
danach überemotionalisiert und zeigte<br />
sich enttäuscht über die Schnelligkeit<br />
des Beschlusses. Trotz allem stellte er<br />
fest, dass Sicherheit für ihn an erster<br />
Stelle steht und für kommerzielle Interessen<br />
in solch einer Situation kein Platz<br />
ist.<br />
Safety first<br />
Wie Marek Lieberberg in einem Interview<br />
mit der „Süddeutschen Zeitung“<br />
(3.6.2017) darlegt, haben sich die Sicherheitsvorkehrungen<br />
für Musikveranstaltungen<br />
in vielen Fällen verschärft.<br />
So beantragte laut ihm die namhafte<br />
Band „Green Day“ aus Eigeninteresse<br />
für ihren Auftritt im Münchner Olympiastadion<br />
Polizeischutz, auch wurden<br />
die Kontrollen von BesucherInnen bei<br />
jenem Konzert im Eingangsbereich verstärkt<br />
durchgeführt. Harry Jenner bestätigt<br />
im <strong>SUMO</strong>-Interview Ähnliches:<br />
Beim „FM4 Frequency Festival“ im August<br />
2017 wurden betreffs der 140.000<br />
BesucherInnen die Sicherheitsbestimmungen<br />
strikt eingehalten. Da jene im<br />
Eingangsbereich jedoch bereits schon<br />
weitaus länger strenggehalten werden,<br />
hatte es aufgrund der Terrorbedrohungen<br />
in diesem Bereich keinen<br />
Bedarf an einer Verstärkung gegeben.<br />
Eine Gewährleistung von Sicherheit<br />
war aufgrund der Menschenmasse seit<br />
jeher von großer Bedeutung und Notwendigkeit.<br />
Bei den Eingängen werden<br />
schon seit Jahren Body Checks und<br />
Taschenkontrollen durchgeführt. „Die<br />
Leute nehmen da ihr halbes Leben mit<br />
– wenn nichts mehr erlaubt ist, ist das<br />
einfach nicht mehr cool“, äußert sich<br />
Jenner dazu. Es handle sich hierbei um<br />
eine Frage der Sinnhaftigkeit. Würde<br />
man Kontrollen so wie sie am Flughafen<br />
üblich sind einführen, so entstünde<br />
dadurch eine weitaus längere Wartezeit<br />
für BesucherInnen. „Und selbst dann<br />
kann immer noch was passieren“, so Jenner.<br />
Dass MusikerInnen Polizeischutz<br />
für ihre Auftritte anfordern, ist beim<br />
„FM4 Frequency Festival“ eine<br />
Quelle: pexels<br />
Bomben auf die Kunstfreiheit<br />
31
Harry Jenner. Quelle: Privat<br />
Seltenheit. „Und wenn sie das wollen,<br />
dann erkläre ich ihnen, dass es hier<br />
nicht notwendig ist“, meint der Veranstalter.<br />
Da für MusikerInnen eigene Eingänge<br />
und Bereiche dienen und sie sich<br />
größtenteils backstage aufhalten, sehe<br />
er für die Bands selbst ein eher geringes<br />
Gefahrenpotential. Laut ihm waren jedoch<br />
die Behörden seit der Terrorgefahr<br />
präsenter: Die Polizei errichtete in den<br />
vergangenen Jahren Straßensperren,<br />
eine Überwachung des Geländes per<br />
Drohnen fand statt und das Einsatzkommando<br />
Cobra trat vor Ort vermehrt<br />
in Erscheinung. Sowohl die Behörden<br />
als auch VeranstalterInnen selbst sind<br />
darum bemüht, Sicherheit gewährleisten<br />
zu können. Jenner bekräftigt dies:<br />
„Das Prinzip ,Safety first’ ist und bleibt<br />
das Wichtigste.“<br />
„Gemacht wird, was notwendig und<br />
möglich ist“<br />
„Wenn es eine berechtigte Annahme<br />
gäbe, dann würden wir unsere Sicherheitsvorkehrungen<br />
natürlich ausbauen“,<br />
wendet der Veranstalter im Interview<br />
ein. Mit dem Besuch eines Festivals<br />
gehe der Spaß einher und genau dieser<br />
würde ausbleiben, wenn man das<br />
Sicherheitsniveau noch erhöhe. Was<br />
würde passieren? Jenner verdeutlicht:<br />
„Dann darf man nichts mehr mitnehmen<br />
und muss alles am Festivalgelände<br />
kaufen. Ein Zelt steht schon dort<br />
und nicht einmal das eigene Bier kann<br />
mitgebracht werden.“ Security Checks<br />
mit Metalldetektoren und Gepäckscans<br />
sind theoretisch betrachtet einführbar,<br />
doch neben der Frage der Kosten<br />
würde sich das auf die Wartezeiten im<br />
Eingangsbereich auswirken und diese<br />
enorm verlängern. Jenner betont jedoch<br />
wiederholt, Änderungen der Sicherheitsbestimmungen<br />
vornehmen<br />
zu werden, falls dies als notwendig<br />
erachtet wird. Sicherheit hätte bei seinen<br />
Veranstaltungen immer Priorität.<br />
Auch „Rock am Ring“-Veranstalter Lieberberg<br />
konstatiert im Interview mit<br />
der „Frankfurter Allgemeine Zeitung“<br />
(12.6.2017), dass die Sicherheit aller<br />
Beteiligten sowie die Freiheit der Kunst<br />
stets erstrangig stehen.<br />
Einschränkungen durch Bedrohungen?<br />
Ob und inwiefern Musikfans sich durch<br />
die aktuelle Alarmsituation bei Konzertbesuchen<br />
einschränken lassen sollen,<br />
ist Jenner zufolge „schon fast eine<br />
philosophische Frage“. Eine hundertprozentige<br />
Sicherheit kann nicht garantiert<br />
werden – weder bei Konzerten,<br />
noch in anderen Bereichen: „Du kannst<br />
dich entweder nur daheim einsperren,<br />
dann bist du sicher und dann kann<br />
immer noch der Gasherd explodieren.<br />
Oder du lebst dein Leben vernünftig<br />
weiter.“ In Bezug auf eine Abschirmung<br />
von BesucherInnen aufgrund der Gefahrenlage<br />
differenziert er: Menschen,<br />
die nach dem Motto „Jetzt erst recht!“<br />
agieren und weiterhin uneingeschränkt<br />
Festivals besuchen und jene, welche<br />
aufgrund der Bedrohungen lieber große<br />
Veranstaltungen meiden. Darüber<br />
hinaus könne man sich als BesucherIn<br />
selbst achtsamer verhalten, ohne dabei<br />
ganz auf den Festivalbesuch verzichten<br />
zu müssen. So schlägt er all jenen vor,<br />
die eine Gefahrensituation befürchten,<br />
beispielsweise beim Festival nicht zu<br />
den Hauptzeiten anzureisen. Er persönlich<br />
tendiere dazu, sich auch im privaten<br />
Bereich nicht einschränken lassen<br />
zu wollen. Dies taten ihm im Sommer<br />
2017 hunderttausende Musikbegeisterte<br />
gleich, im Sinne von: „Here we are<br />
now – entertain us!“<br />
von Chiara Sergi<br />
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*lt. MA 2016: NRW|ZG 14+|gestern<br />
32<br />
Bomben auf die Kunstfreiheit
Radikalisierung 2.0 – Extremismus<br />
in modernen Medien<br />
<strong>SUMO</strong> im Gespräch mit Thomas Schmidinger, Politikwissenschafter und<br />
Sozial- und Kulturanthropologe..<br />
Dass das Internet seine dunklen Seiten<br />
hat, ist seit der Digitalisierung der 70er<br />
Jahre kein Geheimnis mehr. Das „Deep<br />
Web“ bezeichnet all jene Websites des<br />
Internets, die mithilfe gewöhnlicher<br />
Suchmaschinen nicht auffindbar und in<br />
Zusammenhang mit illegalen Machenschaften<br />
stehen. Waffen-, Drogen-, und<br />
Menschenhandel, Auftragsmörder und<br />
Industriespionage sind alles gewöhnliche<br />
Bestandteile des Deep Webs. Die<br />
daraus resultierende Annahme, dass<br />
Terrororganisationen ihre SympathisantInnen<br />
und Mitglieder über ähnliche<br />
Kanäle anwerben, ist jedoch nur die<br />
halbe Wahrheit. Bereits seit den 90er<br />
Jahren werden das Internet und andere<br />
moderne Medien für terroristische<br />
Zwecke genutzt. Die Möglichkeiten der<br />
Rekrutierung, Radikalisierung und Planung<br />
haben sich seit der Digitalisierung<br />
vervielfacht. Nicht nur, dass die Nutzung<br />
sozialer Netzwerke kostengünstig<br />
ist, sie gewährt auch Zugang zu einem<br />
globalen Publikum, wie es vor wenigen<br />
Jahren noch nicht möglich gewesen<br />
wäre. Doch wie genau laufen diese Prozesse<br />
ab? Wie agieren Terrororganisationen<br />
im Internet und was bedeutet<br />
dieser Kontakt für die restliche Bevölkerung?<br />
Das Agieren von terroristischen Organisationen<br />
und deren Aktivismus<br />
Quelle: pexels<br />
Radikalisierung 2.0 - Extremismus in modernen Medien<br />
33
eschränkt sich nicht auf das Deep Web<br />
und schwer zugängliche gesicherte<br />
Quellen. Ein Video im Internet - mehrere<br />
US-Soldaten vergewaltigen eine<br />
muslimische Irakerin. Bei dem Clip handelt<br />
es sich um einen Ausschnitt des<br />
Spielfilms „Redacted“, welcher zwar<br />
auf einer wahren Begebenheit basiert,<br />
allerdings gezielt für djihadistische Propagandazwecke<br />
bearbeitet und hochgeladen<br />
wurde. So oder ähnlich werden<br />
junge Männer und Frauen im Internet<br />
für einen Krieg emotionalisiert, bei dem<br />
es in Wirklichkeit weder um sie selbst<br />
noch um die entfremdete Darstellung<br />
des Islams geht. Meist handelt es sich<br />
bei den Zielpersonen um junge Männer,<br />
welchen unter dem Deckmantel<br />
des Glaubens eine verzerrte Realität<br />
vorgegaukelt wird. Eine Realität in der<br />
sie als junge Menschen ohne Zukunft,<br />
ohne Alternativen und ohne Unterstützung<br />
leben. In einer Gesellschaft, die<br />
sie belügt, manipuliert und sich gegen<br />
sie verschworen hat. Dass Jugendliche<br />
ohne Halt und mit eingetrübtem<br />
moralischen Kompass sich an Terrororganisationen<br />
wenden ist die Folge<br />
daraus. Sie finden Anschluss an eine<br />
Gruppe, in der es klare Regeln gibt, in<br />
der ihre Arbeit gebraucht und (scheinbar)<br />
gewürdigt wird und in der sie sogar<br />
als Helden angesehen werden. Denn in<br />
sozialen Netzwerken und im Internet<br />
wird ihnen vermittelt, dass sie von ihrer<br />
Gemeinschaft gebraucht werden, dass<br />
Glaubensbrüder und Schwestern misshandelt<br />
und getötet werden und dass<br />
es diese zu rächen gilt. Veranschaulicht<br />
wird dies mit teilweise echten, aber<br />
auch gestelltem Bild- und Videomaterial.<br />
Diese Art von Inhalten wird jedoch<br />
meistens von SympathisantInnen und<br />
privaten Einzelpersonen bearbeitet und<br />
hochgeladen.<br />
Die Vorgehensweise des Islamisches<br />
Staates<br />
Im Interview mit <strong>SUMO</strong> erläutert Thomas<br />
Schmidinger vorweg, dass sich<br />
djihadistische Terrororganisationen<br />
(IS, Al Kaida) in ihren medialen Vorgehensweisen<br />
deutlich von anderen Terrorgruppen<br />
unterscheiden und es diese<br />
abzugrenzen gilt.<br />
Sprachen erscheinen sorgen für eine<br />
interne Verbreitung des Gedankenguts.<br />
Ein Beispiel dafür ist das Online Magazin<br />
„Rumiyah“ (früher Dabiq), welches<br />
unter anderem auf Englisch, Russisch,<br />
Deutsch und Französisch erschien. In<br />
zahlreichen Berichten werden Kampfhandlungen<br />
mit grausamen Bildern<br />
illustriert und sehr gegensätzlich wird<br />
ein idealisiertes Bild vom Leben im sogenannten<br />
Kalifat dargestellt.<br />
In der zweiten Ebene werden diese<br />
professionell produzierten Bilder und<br />
Videos öffentlich agierenden Medienorganisationen<br />
zur Verfügung gestellt,<br />
welche diese in Berichterstattungen<br />
verwenden, da ein Mangel an Informations-<br />
und Bildmaterial aus den Kriegsund<br />
Krisengebieten existiert. Eine<br />
journalistisch unabhängige Berichterstattung<br />
ist somit oft nicht gegeben.<br />
Das hat zur Folge, dass in öffentlichen<br />
Medien und im Internet IS-bekräftigendes<br />
Material gezeigt wird, welches<br />
SympathisantInnen in ihrem Denken<br />
bestärkt.<br />
Auf dritter Ebene befindet sich der Einsatz<br />
von sozialen Netzwerken wie „Facebook“,<br />
„Instagram“, „WhatsApp“ und<br />
„Twitter“, um Menschen aus aller Welt<br />
zu erreichen und in Kontakt zu treten.<br />
Chatten, das Verbreiten von Grafiken<br />
und die mögliche Akquirierung von potentiellen<br />
AnhängerInnen waren hier<br />
die Hauptaugenmerke.<br />
Ob, und wie gut diese medialen Aktivitäten<br />
die aktuellen militärischen Niederlagen<br />
des IS überdauern bleibt offen.<br />
Thomas Schmidinger meint dazu,<br />
dass viele dieser Medien durch den<br />
Zerfall des IS als Para-Staat nicht mehr<br />
erscheinen. Aufgrund von militärischen<br />
Niederlagen wurde der Islamische<br />
Staat in seinen Kommunikationswegen<br />
eingeschränkt. Schmidinger beschreibt<br />
Terrorismus auch als Kommunikationsstrategie,<br />
welche neben der Gewinnung<br />
von neuen Anhängerinnen, auf das<br />
Schaffen eines bedrohlichen Bilds in der<br />
Öffentlichkeit und einer Demonstration<br />
von Macht abzielt.<br />
von Julian Illsinger<br />
Thomas Schmidinger erläutert, dass<br />
der Islamische Staat eine unvergleichbare<br />
Professionalität im Umgang mit<br />
Medien an den Tag gelegt hat. Es wird<br />
auf drei voneinander abgrenzbaren<br />
Ebenen agiert: In erster Ebene befinden<br />
sich die eignen Medien des IS, die teilweise<br />
sehr professionell gemacht wurden<br />
bzw. einige wenige weiterhin noch<br />
produziert werden. Videos und Hochglanzmagazine,<br />
welche in mehreren<br />
Thomas Schmidinger: Quelle Privat<br />
Zur Person:<br />
Thomas Schmidinger ist Mitglied in der Österreichischen Gesellschaft<br />
für Politikwissenschaft und der Sudan Studies Association und verübt<br />
Gutachtertätigkeiten für die Österreichische Zeitschrift für Politikwissenschaft<br />
(ÖZP) , die Österreichische Zeitschrift für Soziologie (ÖZS)<br />
,NECSUS - European Journal of Media und viele weitere Fachzeitschriften.<br />
34 Radikalisierung 2.0 - Extremismus in modernen Medien
Impressum<br />
Medieninhaberin:<br />
Fachhochschule St. Pölten GmbH<br />
c/o <strong>SUMO</strong><br />
Matthias Corvinus-Straße 15<br />
A-3100 St. Pölten<br />
Telefon: +43(2742) 313 228 - 261<br />
Fachliche Leitung<br />
FH-Prof. Mag. Roland Steiner<br />
E-Mail: office@sumomag.at<br />
Telefon: +43(2742) 313 228 -425<br />
Fax: +43(2742) 313 228 -409<br />
www.sumomag.at<br />
Das Team der Ausgabe 30<br />
Oben, v. l. n. r.: Christina Guggenberger, Johanna Schinnerl, Lisa Bodingbauer, Jennifer Heckenast, Monika Sadoch,<br />
Maria Bucher, Merve Sahin<br />
Unten, v. l. n. r.: Victoria Ullrich, Alina Keglovits, Chiara Sergi, Julian Illsinger, Jessica Hirtl, FH-Prof. Mag. Roland Steiner,<br />
Zorana Maksimovic, Jennifer Marban, Alexander Belinger<br />
Nicht im Bild: Selina Koller, Julia Krammer, Dana Radl, Nadine Trocki<br />
SALES: Krammer (Ltg.), Bodingbauer, Heckenast, Keglovits, Maksimovic<br />
PRODUCTION: Belinger (Ltg.), Bodingbauer, Bucher, Illsinger, Sergi, Ullrich<br />
COMMUNICATION: Koller (Ltg.), Ullrich<br />
DISTRIBUTION: Trocki (Ltg.), Keglovits, Illsinger, Maksimovic,<br />
RELEASE: Radl (Ltg.), Hirtl, Sergi<br />
<strong>SUMO</strong>MAG: Guggenberger (Ltg.), Marban<br />
BILDREDAKTION Schinnerl (Ltg.), Hirtl, Marban, Sadoch, Sahin<br />
Drucken Sie auf Nummer sicher.<br />
Impressum Thema<br />
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36<br />
Thema