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Restauro 6/2023

UNESCO-Welterbe

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Magazin zur Erhaltung des Kulturerbes<br />

N O 6<br />

<strong>2023</strong><br />

Arbeit am UNESCO-Welterbe<br />

Wie wir es für die kommenden<br />

Generationen erhalten<br />

JUBILÄUM<br />

25 Jahre<br />

Hornemann Institut<br />

KULTURPOLITIK<br />

Die neue<br />

Kulturinitiative Bayern<br />

ZÜRICH<br />

Besuch der<br />

Villa Patumbah


Liebe Leserin, lieber Leser,<br />

EDITORIAL<br />

über 50 Natur- und Kulturerbestätten in Deutschland sind in die UNESCO-Welterbeliste eingeschrieben.<br />

Aber wer leistet heute einen Beitrag zum Welterbe? Wem kommt eine herausgehobene<br />

Rolle beim Schutz, Erhalt und der Vermittlung zu? Welche Herausforderungen und<br />

Chancen ergeben sich dabei? Wie sehen denkmalpflegerische Konzepte aus? Und wie können<br />

wir künftig für einen nachhaltigen Umgang mit den Natur- und Kulturerbestätten sensibilisieren?<br />

Seit Juni <strong>2023</strong> ist Dipl.-Ing. Alexandra Lotz M. A. M. Sc. Leiterin des Welterbe-Büros<br />

der Stadt Augsburg. Wir sprachen mit der frisch bestellten Welterbe-Managerin über Verantwortung,<br />

Ziele der UNESCO, Networking sowie künftige Pläne und Ziele (Seite 26). Disaster<br />

Risk Management und Kulturerbe sind Forschungsschwerpunkte von Dr. Matthias Ripp, Welterbe-Koordinator<br />

der Stadt Regensburg. Für den Experten steht fest: Es gilt, andere Rollen<br />

von Kulturerbe in urbanen Transformationsprozessen zu entdecken, darunter Kulturerbe als<br />

Ressource für nachhaltige Entwicklung, als Identifikationsort für Bürgerinnen und Bürger<br />

oder als Ressource für physische und psychische Gesundheit (Seite 16). Mit der Professur<br />

„Welterbe und Kulturgüterschutz“ (Universität für Weiterbildung Krems) will Peter Strasser<br />

das kulturelle Erbe in neue Kontexte setzen und den Fokus auf Konfliktbeilegung richten,<br />

wie Sie ab Seite 32 erfahren. Denn kriegerische Auseinandersetzungen weltweit, aber<br />

auch konfligierende Interessen bedrohen immer öfter Welterbestätten. Die Gründung des<br />

Jiří Toman-Zentrums soll dabei den Weg zu Lösungen eröffnen und das Erbe des Völkerrechtsexperten<br />

und maßgeblichen Mitgestalters des zweiten Protokolls zum Haager Abkommen,<br />

Jiří Toman, wahren.<br />

Ausflugstipp:<br />

Ein Meisterwerk des Historismus ist die 1885 erbaute Villa Patumbah. Mit ihrem prachtvollen<br />

Park gehört sie zu den wichtigsten Villenanlagen des ausgehenden 19. Jahrhunderts<br />

der Stadt Zürich. Von 2010 bis 2013 wurden das Gebäude und seine zahlreichen Dekorationsmalereien<br />

sorgfältig restauriert. Heute ist es Sitz des Schweizer Heimatschutzzentrums.<br />

RESTAURO war dort zu Besuch (Seite 48).<br />

RESTAURO-Serie:<br />

Boulle-Möbel in Dresdener Paradeappartements – ihr Weg nach Sachsen, ihre Bedeutung<br />

für die Paradeappartements, ihre Erforschung und Restaurierung. In dieser Ausgabe lesen<br />

Sie Teil 3 unserer RESTAURO-Serie (Seite 56).<br />

Wir wünschen Ihnen viel Freude beim Entdecken dieser Ausgabe.<br />

Dr. Ute Strimmer<br />

Editor in Chief RESTAURO<br />

Folgen Sie uns auf Facebook (www.facebook.com/restauro) und Instagram und bleiben<br />

Sie auf dem Laufenden!<br />

6/<strong>2023</strong><br />

3


INHALT<br />

UNESCO-WELTERBE<br />

6 Baustellen-Besuch auf der Museumsinsel in Berlin<br />

Nordöstlich der Alten Nationalgalerie auf der Berliner Museumsinsel, seit 1999<br />

UNESCO-Welterbestätte, liefen seit 2021 die Restaurierung und Wiederherstellung<br />

der historischen Kolonnaden. NÜTHEN Restaurierungen übernahm die<br />

Restaurierungsarbeiten. Wir trafen Bauleiter Frank Meise vor Ort<br />

Univ. Prof. Mag. Mag. Dr. Dr. Peter Strasser, LL.M<br />

widmet sich den unterschiedlichen Perspektiven auf<br />

das kulturelle Erbe der Menschheit und wie dieses<br />

geschützt werden kann<br />

16 Zur Rolle des Kulturerbes beim Umgang mit Krisen und klimabedingten<br />

Veränderungsprozessen<br />

Disaster Risk Management und Kulturerbe sind Forschungsschwerpunkte<br />

von Dr. Matthias Ripp, Welterbe-Koordinator der Stadt Regensburg<br />

22 Restaurierungsstau aufgelöst<br />

Neue Nutzungen nach langem Leerstand: Der Welterbetitel für den Naumburger<br />

Dom verändert auch die Stadt<br />

26 Allianzen schmieden und mehr<br />

Seit Juni <strong>2023</strong> ist Dipl.-Ing. Alexandra Lotz M. A. M. Sc. Leiterin des Welterbe-<br />

Büros der Stadt Augsburg. RESTAURO sprach mit der Welterbe-Managerin<br />

32 Brückenschlag zwischen Welterbe und Humanitätsrecht<br />

Mit der Professur „Welterbe und Kulturgüterschutz“ (Universität für Weiterbildung<br />

Krems) setzt Peter Strasser das kulturelle Erbe in neue Kontexte und richtet<br />

den Fokus auf Konfliktbeilegung<br />

Auf dem Berliner Dom der Museumsinsel: Kärcher unterzog<br />

mit dem Dombaubüro die Figuren der Propheten<br />

Moses und Johannes des Täufers einer restauratorischen<br />

Reinigung<br />

36 Giant´s Causway: Ein Guide bei Wind und Wetter für das UNESCO-Welterbe<br />

Der Damm aus Basaltsäulen an der Küste der Grafschaft Antrim gilt als ein Symbol<br />

für Nordirland. Damit sich Besucher:innen unfallfrei im Gelände bewegen<br />

können, lieferte die Berliner Firma tonwelt einen Hands-Free Audioguide<br />

KULTURERBE<br />

38 Ein Faden durch die Geschichte<br />

Ein Team um den Architekten Andrea Piscopo erweckte ein historisches<br />

Ensemble auf der apulischen Halbinsel Salento zu neuem Leben. Aus Nachhaltigkeitsgründen<br />

entschieden sich die Experten für die umweltfreundlichen<br />

Mörtel und Putze der Trentiner Firma Calchèra San Giorgio<br />

42 Preisgekröntes Schmuckstück<br />

Die Villa Nordstern im niedersächischen Lehrte hat eine bewegte Historie<br />

und wäre fast abgerissen worden. Ein Investor ließ sie instandsetzen. Dabei<br />

spielten mineralische Produkte von Keimfarben eine wichtige Rolle<br />

Disaster Risk Management und Kulturerbe: Forschungsschwerpunkte<br />

von Dr. Matthias Ripp, Welterbe-Koordinator<br />

der Stadt Regensburg<br />

Das historische Fabrikgelände „The Valley“ zwischen Winterthur<br />

und Zürich soll saniert werden. Bei diesem Projekt<br />

werden alle alten Fenster durch das TIKANA® Restaurierungsglas<br />

von der Firma SCHOTT (Mainz) ausgetauscht<br />

46 Engagement und Ziele der Initiative Kulturzukunft Bayern<br />

Die Initiative Kulturzukunft Bayern lud die kulturpolitischen Sprecher der<br />

bayerischen Landtagsfraktionen Mitte Juli <strong>2023</strong> zum Gespräch ein. Seit November<br />

2022 macht der neue Zusammenschluss von mittlerweile 36 Förderund<br />

Freundeskreisen bayerischer Kulturinstitutionen Politik, Medien sowie<br />

die breite Öffentlichkeit auf die Missstände im kulturpolitischen Betrieb aufmerksam<br />

48 Besuch in der Villa Patumbah<br />

Die Zürcher Villa Patumbah – ein Meisterwerk des Historismus – ist Sitz des<br />

Schweizer Heimatschutzzentrums. RESTAURO traf dort Leiterin Judith Schubiger<br />

und Barbara Diethelm von Lascaux Colours & <strong>Restauro</strong>. Die Farbexpertin<br />

war von Anfang an durch ihre Produkte in die Maßnahmen miteingebunden<br />

54 Goldschatz von Manching teilweise eingeschmolzen?<br />

Kunstminister Markus Blume und das Bayerische Landeskriminalamt informierten<br />

Ende Juli <strong>2023</strong> auf einer Pressekonferenz in München über den aktuellen<br />

Ermittlungsstand des Goldschatz-Diebstahls im oberbayerischen<br />

Manching<br />

SERIE BOULLE-MÖBEL<br />

56 Boulle-Möbel<br />

Boulle-Möbel in Dresdener Parademappartements – ihre Bedeutung, ihre Erforschung<br />

und Restaurierung. Eine RESTAURO-Serie in vier Teilen – Teil 3<br />

Fotos: © UWK Walter Skokanitsch; Kärcher SHELTER 2019, 76; © SCHOTT<br />

4<br />

6/<strong>2023</strong>


4<br />

Baustellen-Besuch auf der<br />

Museumsinsel in Berlin<br />

Nordöstlich der Alten Nationalgalerie auf der Berliner Museumsinsel, seit 1999<br />

UNESCO-Welterbestätte, liefen seit 2021 die Restaurierung und Wiederherstellung<br />

der historischen Kolonnaden. Diese sollten ihr ursprüngliches Erscheinungsbild<br />

zurück erhalten. NÜTHEN Restaurierungen – das Unternehmen gehört<br />

deutschlandweit seit über 20 Jahren zu den großen Spezialisten, wenn es um Konservierung<br />

und Restaurierung von Naturstein und historischer Bausubstanz geht –<br />

übernahm die Restaurierungsarbeiten. RESTAURO traf Bauleiter Frank Meise noch<br />

vor Ort. Kurz vor Druck wurden die Maßnahmen erfolgreich abgeschlossen und<br />

das Gebäude fertiggestellt<br />

1<br />

Blick in die Kolonnaden<br />

nach Wiederherstellung<br />

und Montage des Kopfbaus<br />

1<br />

6/<strong>2023</strong><br />

7


2<br />

Seit Mai 2021 restaurierte NÜTHEN Restaurierungen<br />

– das im Jahr 2000 gegründete Unternehmen<br />

mit Stammsitz in Erfurt gehört<br />

deutschlandweit zu den Marktführern, wenn<br />

es um Konservierung und Restaurierung von<br />

Naturstein und historischer Bausubstanz geht<br />

– die Kolonnaden aus dem 19. Jahrhundert auf<br />

der Museumsinsel in Berlin, seit 1999<br />

UNESCO-Welterbestätte. Kurz vor Druck wurden<br />

die Maßnahmen erfolgreich abgeschlossen<br />

und das Gebäude fertiggestellt.<br />

Die ersten Säulengänge entstanden zwischen<br />

1853 und 1860 nach Entwurf von Friedrich<br />

August Stüler. Zusammen bilden sie, mit<br />

den Säulengängen am Spreeufer und nördlich<br />

der Alten Nationalgalerie (erbaut 1876<br />

und 1878), ein verbindendes Element. So entstand<br />

ein Ensemble aus Galerien und Museen,<br />

das von den Kolonnaden zusammenführt<br />

wird. Ein Großteil dieser beeindruckenden Anlage<br />

wurde bereits gemäß des Masterplans<br />

Museumsinsel in den letzten Jahren instandgesetzt.<br />

Das Projekt wurde unter der Leitung<br />

des Bundesamtes für Bauwesen und Raumordnung<br />

(BBR) umgesetzt (bauleitende Architekten:<br />

Architekten Petersen – Gesellschaft<br />

von Architekten mbH). NÜTHEN Restaurierungen<br />

wurde mit dem letzten Bauabschnitt<br />

hinter der Alten Nationalgalerie betraut.<br />

Der Zustand vor der Restaurierung war von<br />

Kriegsschäden und Umnutzung gezeichnet:<br />

Die Zwischenräume zwischen den Säulen<br />

waren vermauert, wie Frank Meise, seit vielen<br />

Jahren Bauleiter bei NÜTHEN Restaurierungen<br />

(Niederlassung Ost) berichtet. „1911<br />

baute man den Säulengang aus, um zusätzliche<br />

Räume auf der Museumsinsel zu schaffen.<br />

Zwischendecken wurden eingezogen,<br />

Fenster eingebaut. Es gab dort Büro- und Archivräume,<br />

außerdem wurde hier Kulturgut<br />

gelagert." Viele Jahre befand sich hier zudem<br />

die Skulpturen-Restaurierungswerkstatt der<br />

Alten Nationalgalerie.<br />

Durch die ufernahe Bebauung gerieten die<br />

Säulen mit der Zeit in Schieflage. Vor allem die<br />

spreeseitige Säulenreihe war gravierend beschädigt.<br />

Zu den Schadensbildern zählten der<br />

Verlust vollständiger Bauteile, statisch relevante<br />

Risse, Fehlstellen und Ausbrüche sowie<br />

Einschusslöcher aus dem Zweiten Weltkrieg.<br />

NÜTHEN Restaurierungen setzte die Kolonnaden<br />

wieder in ihren ursprünglichen Zustand<br />

zurück. Darüber hinaus fand eine Neuherstellung<br />

des Kolonnaden-Kopfbaus als Gebäudeabschluss<br />

und „Tor“ zu den Museen<br />

statt. Anspruchsvoll war hier vor allem die<br />

Herstellung eines Architravs aus Warthauer<br />

Sandstein mit einer ungewöhnlich großen<br />

Spannweite von rund 5,50 Metern.<br />

Die Restaurierungsmaßnahmen von NÜT-<br />

8 6/<strong>2023</strong>


XXXXXX<br />

1 2<br />

Zur Rolle des Kulturerbes beim Umgang mit Krisen<br />

und klimabedingten Veränderungsprozessen<br />

Disaster Risk Management und Kulturerbe sind einer der Forschungsschwerpunkte von Dr. Matthias Ripp, Welterbe-<br />

Koordinator der Stadt Regensburg. Für den Experten steht fest: Es gilt, andere Rollen von Kulturerbe in urbanen Transformationsprozessen<br />

zu entdecken, darunter Kulturerbe als Ressource für nachhaltige Entwicklung, als Identifikationsort für Bürgerinnen<br />

und Bürger oder als Ressource für physische und psychische Gesundheit. Krisen laufen eher graduell ab – etwa extremheiße<br />

Tage in Städten – oder plötzliche Katastrophe wie etwa Starkregenereignisse, Erdbeben oder Kriege<br />

1. Kontext<br />

Der Klimawandel hat als Metaherausforde-<br />

sich darauf vorzubereiten. Leider ist der Katastrophenschutz<br />

und generell die Stärkung der<br />

rung eine Dimension angenommen, die auch<br />

städtischen Widerstandskraft noch viel zu oft<br />

wir als Kulturerbeexpertinnen und -experten<br />

ohne ausreichende Beteiligung und Integrati-<br />

nicht ignorieren können und wollen. Derzeit<br />

on des Kulturerbesektors organisiert.<br />

gibt es auf lokaler, regionaler, nationaler oder<br />

ABSTRACT<br />

europäischer Ebene kaum ein Projekt, kaum<br />

eine Konferenz, in der das Thema nicht aufge-<br />

griffen wird. Reduziert man die Diskussion al-<br />

2. Bisherige Rolle von Kulturerbe bei<br />

Katastrophen und Krisen<br />

Traditionell beschränkt sich die Diskussion auf<br />

On the role of cultural heritage in dealing with<br />

crises and climate-induced change processes<br />

Disaster risk management and cultural heritage are<br />

one the main research areas of Dr Matthias Ripp,<br />

World Heritage Coordinator of the City of Regensburg.<br />

For the expert, one thing is certain: it is necessary<br />

to dis- cover other roles of cultural heritage in<br />

urban trans- formation processes, including cultural<br />

heritage as a resource for sustainable development,<br />

as a place of identification for citizens or as a resource<br />

for physical and mental health. Crises tend to<br />

be gradual - such as extremely hot days in cities - or<br />

sudden catastro- phes such as heavy rainfall events,<br />

earthquakes or wars.<br />

lerdings auf die Auswirkungen des Klimawan-<br />

dels und indirekt klimawandelbedingte Krisen,<br />

nimmt man lediglich einen Ausschnitt der<br />

komplexen Transformationsprozesse, inmit-<br />

ten derer wir uns auch mit unserem Kulturer-<br />

be befinden, in den Blick. Es wird heißer, tro-<br />

ckener, der Niederschlag bleibt aus oder<br />

kommt ungleich verteilt – immer öfter auch in<br />

Form von Starkregen. Extremwetterereignisse<br />

nehmen generell in Mitteleuropa zu (vgl. Jigya-<br />

su et al. 2013; IPCC <strong>2023</strong>) und die Städte und<br />

Institutionen haben alle Hände voll zu tun, um<br />

Beeinträchtigungen und Schäden, die das<br />

(meist: gebaute) Kulturerbe durch die direkten<br />

negativen Einflüsse des Klimawandels erleidet.<br />

Das Verständnis von Kulturerbe entspricht<br />

hier vornehmlich traditionellen Definitionen<br />

wie sie z. B. auch der UNESCO-Welterbekonvention<br />

(vgl. UNESCO 1972) zugrunde liegen.<br />

Neben dem materiellen („tangible“) Kulturerbe,<br />

also Bauten und seit den 50er-Jahren Ensembles,<br />

werden hier auch das immaterielle<br />

Kulturerbe („intangible“) oder das Dokumentenerbe<br />

(„Memory of the World“) als eigene Ka-<br />

Fotos: © Bilddokumentation Stadt Regensburg (1, 2, 3)<br />

16 6/<strong>2023</strong>


3<br />

tegorien beschrieben. Mit den damit einhergehenden<br />

internationalen Konventionen entwickelte<br />

sich auch ein Verwaltungsapparat auf<br />

den unterschiedlichen staatlichen Ebenen,<br />

der diese Aufteilung als Arbeitsgrundlage hat.<br />

Auch in den Städten sind diese unterschiedlichen<br />

Schutzgüter üblicherweise getrennt verwaltet,<br />

auch wenn es durchaus einen Trend<br />

zur Zusammenlegung gibt.<br />

Es gab allerdings schon immer deutliche<br />

Hinweise, dass eine isolierte Betrachtung z. B.<br />

von Baudenkmälern wichtige Aspekte außer<br />

Betracht lässt. So ist bereits in der Charta von<br />

Venedig, Artikel 7, zu lesen:<br />

„Das Denkmal ist untrennbar mit der Geschichte<br />

verbunden, von der es Zeugnis ablegt,<br />

sowie mit der Umgebung, zu der es gehört.<br />

Demzufolge kann eine Translozierung<br />

des ganzen Denkmals oder eines Teiles nur<br />

dann geduldet werden, wenn dies zu seinem<br />

Schutz unbedingt erforderlich ist oder bedeutende<br />

nationale oder internationale Interessen<br />

dies rechtfertigen.“ (Monumenta I, 49)<br />

Wenn man jüngere Diskussionen zum Thema<br />

„Klimaanpassung und Denkmalschutz“<br />

verfolgt, entsteht der Eindruck, dass genau diese<br />

Beschränkung auf das einzelne Gebäude<br />

häufig die Standardherangehensweise ist, so<br />

z. B. beim Thema Nachhaltigkeit (siehe Solar<br />

und Denkmalpflege), Energieverbrauch u. a.<br />

3. Neues Verständnis: Kulturerbe als<br />

System und Prozess<br />

Der Zeit angemessener und zugleich Erfolg<br />

versprechender sind diejenigen Ansätze,<br />

welche im englischen Sprachraum unter<br />

dem Begriff „New Heritage“ subsummiert<br />

werden. Sie sind davon geprägt, dass es anstelle<br />

von neuen Kategorien und einer immer<br />

weiteren Ausdifferenzierung von Denkmal-/<br />

Kulturerbeklassen eine Rückbesinnung auf<br />

deren Verbindung und eine ganzheitliche Betrachtung<br />

braucht. Denn kein solitäres Kulturerbeelement,<br />

sei es ein Baudenkmal, eine<br />

kulturelle Tradition oder ein Dokument, existiert<br />

für sich genommen. Sie alle werden „geschaffen“,<br />

„gebraucht“, „mit Bedeutung versehen“,<br />

„gepflegt“. Als physische Objekte unterliegen<br />

sie der ständigen Veränderung, die<br />

im negativen Fall eine „Beschädigung“ oder<br />

„Zerstörung“ bedeutet. Ein realistischeres<br />

Konzept von Kulturerbe, das sich gerade am<br />

Wissenschaftshorizont abzeichnet, ist, Kulturerbe<br />

als System und Prozess zu verstehen<br />

(vgl. Ripp 2018). Teile dieses Systems sind<br />

neben Objekten (z. B. Baudenkmälern) auch<br />

die Menschen, die Baudenkmäler nutzen<br />

und beleben, Werte, Prozesse und vieles<br />

mehr. Konsequent zu Ende gedacht, könnte<br />

man formulieren: Ohne Menschen gibt es<br />

auch kein Kulturerbe. Oder anders: nur der<br />

1<br />

Hochwasser am Salzstadel in Regensbrug<br />

2<br />

Karavan-Denkmal und Dom (Regensburg)<br />

3<br />

Porta Praetoria in Regensburg<br />

6/<strong>2023</strong><br />

17


XXXXXX<br />

1<br />

1<br />

Restaurierungsstau aufgelöst<br />

Neue Nutzungen nach langem Leerstand: Der Welterbetitel für den Naumburger Dom verändert auch die Stadt<br />

1<br />

Blick auf die UNESCO-Welterbe-Stadt<br />

Naumburg<br />

Fast zwanzig Jahre dauerte es, bis der Naumburger<br />

Dom in die Welterbeliste aufgenommen<br />

wurde. Seit 2018 steht das hochmittelal-<br />

mehr Besucher – auch aus dem Ausland.<br />

Diese schöne Entwicklung, die 2018 einsetzte,<br />

war durch Corona abrupt zu Ende – wie<br />

2<br />

Chorographia Territorii Naumburgo-<br />

Citiensis, Karte aus dem Jahr 1732<br />

von Johann George Schreiber. Dargestellt<br />

sind Dörfer und Höfe und einzelne<br />

Herrschaften und Territorien, 1740<br />

Quelle: Atlas Selectus von allen Königreichen<br />

und Ländern der Welt, Zum<br />

bequemen Gebrauch in Schulen, auf<br />

Reisen und bey dem Lesen der Zeitungen,<br />

1740, 2. Auflage<br />

ABSTRACT<br />

Restoration backlog cleared<br />

New uses after a long period of vacancy: The World<br />

Heritage title for Naumburg Cathedral is also changing<br />

the city<br />

terliche Kirchengebäude mit den berühmten<br />

Stifterfiguren des Naumburger Meisters auf<br />

der exklusiven Liste. Wegen eines neu aufgestellten<br />

„Marienaltars“ wurde bis vor kurzem<br />

darüber diskutiert, ob der Dom den Titel wieder<br />

verliert. Der Streit zwischen den Vereinigten<br />

Domstiftern zu Merseburg und Naumburg<br />

und des Kollegiatstifts Zeitz ist vorerst<br />

beendet. Am Domplatz entsteht jetzt das<br />

Welterbezentrum in einem historischen Gebäude.<br />

RESTAURO hat mit Stiftsdirektor Holger<br />

Kunde über neue Besucher:innen, Probleme<br />

mit alten Mauern und neuen Gemälden<br />

gesprochen.<br />

RESTAURO: Der Naumburger Dom trägt seit<br />

2018 den Welterbetitel. Was hat sich seit der<br />

Verleihung verändert?<br />

Holger Kunde: Wir können feststellen, dass<br />

wir durch den Welterbetitel eine wesentlich<br />

breitere Wahrnehmung erfahren. Es kamen<br />

überall in den Kultureinrichtungen. Jetzt sind<br />

wir bemüht, den Anschluss an das „goldene“<br />

Jahr 2019 wiederherzustellen.<br />

Wie viele Besucher:innen kamen 2019?<br />

Es waren 150.000, Tendenz ansteigend. Eine<br />

interessante Entwicklung konnten wir 2021<br />

beobachten. Wegen der Reisebeschränkungen<br />

kamen vor allem Menschen aus dem Inland<br />

zu uns, viele aus den westlichen Bundesländern,<br />

die bis dahin noch nie in den Osten<br />

gereist waren.<br />

Wo Welterbe draufsteht, gehen die<br />

Besucher:innen vermehrt hin?<br />

Wir hatten natürlich immer ausländische Besucher.<br />

Doch die Zahlen haben sich deutlich<br />

erhöht, zum Beispiel bei Besuchern aus<br />

Amerika oder dem asiatischen Raum. Wir<br />

hoffen, dass der Effekt wiederkehrt, denn<br />

momentan spüren wir durch die Preiserhö-<br />

Fotos: © Wikimedia Commons / Wolkenkratzer (1); .Urheber:<br />

Johann George Schreiber / Wikimedia Commons (2)<br />

22 6/<strong>2023</strong>


UNESCO-WELTERBE<br />

2<br />

2<br />

hungen und das politische Klima eine größere<br />

Zurückhaltung. Auch der Bustourismus<br />

hat deutlich nachgelassen, denn viele Unternehmen<br />

sind insolvent.<br />

Ein weiterer positiver Effekt des Welterbetitels<br />

sind die vielen baulichen Aktivitäten, die<br />

um den Dom herum stattgefunden haben<br />

und stattfinden.<br />

An Privathäusern?<br />

Es sind vor allem Immobilien, die zum Bestand<br />

der Vereinigten Domstifter gehören.<br />

Sie hatten einen jahrzehntelangen Restaurierungsstau<br />

und es wurde für sie ebenso lange<br />

nach einer neuen Nutzung gesucht.<br />

Diese neue Nutzung gibt es nun mit dem<br />

Welterbetitel? Für welche Gebäude?<br />

Zum Beispiel für das Gebäude mit dem historischen<br />

Schriftzug „Domkirchner“. Dieses<br />

bisher leerstehende Gebäude wird nun die<br />

Heimat des regionalen Saale-Unstrut Tourismusverbandes.<br />

Das zweite Gebäude ist eine<br />

neue Pension am Dom, die wir als Vereinigte<br />

Domstifter betreiben. Sie hat den Namen „Alter<br />

Bischofshof“. Damit gibt es einen historischen<br />

Bezug zum Gebäude, denn die Naumburger<br />

Bischöfe siedelten im späten 13. Jahrhundert<br />

wieder nach Zeitz um. In Naumburg<br />

hatten sie noch eine Kurie direkt am Dom.<br />

Auf diesem Gelände steht das Pensionsgebäude,<br />

das in seinen Ursprüngen ins 12.<br />

Jahrhundert zurückreicht.<br />

Hatte der Welterbetitel den Effekt, dass Sie<br />

Geldgeber und Politiker, einfacher überzeugen<br />

konnten, Geld zu investieren?<br />

In Sachsen-Anhalt gibt es eine engagierte<br />

Kulturpolitik, die langfristig angelegt ist. Bis<br />

unser Welterbeantrag positiv entschieden<br />

wurde, hat es fast 20 Jahre gedauert. Diesen<br />

Prozess hat die Politik aktiv begleitet. Es wurde<br />

viel vorbereitet, verändert und bereits geplant,<br />

wie man das wunderbare Ensemble um<br />

den Dom weiterentwickeln kann, um den<br />

Leerstand zu beseitigen und die Gebäude behutsam<br />

zu modernisieren.<br />

Wir haben auch, wie andere ostdeutsche Bundesländer,<br />

von den so genannten PMO-Mitteln<br />

profitiert. Das ist das Geld der DDR-Parteien<br />

und Massenorganisationen, das 1990 in die<br />

Schweiz überführt wurde. Die Bundesregierung<br />

konnte es zu einem großen Teil zurückfordern.<br />

Es ist ein Segen, dass diese Mittel für<br />

bauliche Modernisierungen in Sachsen-Anhalt<br />

und im ganzen Land zur Verfügung stehen.<br />

Und eine schöne Volte der Geschichte, dass<br />

es nun auch für eine Kirche ausgegeben<br />

wird. Wie viel Geld war das für Naumburg?<br />

Für die Vereinigten Domstifter sind es knapp<br />

vier Millionen.<br />

Sie bauen aktuell ein Welterbezentrum. Welche<br />

Aufgaben wird es haben?<br />

Das Zentrum, dessen Einrichtung von der<br />

UNESCO gefordert wurde, hat die Aufgabe,<br />

der zentrale Empfangspunkt für die Touristen<br />

der Saale-Unstrut-Region zu sein. Das heißt,<br />

sie werden in diesem Zentrum auch über die<br />

Kulturlandschaft an Saale und Unstrut – in<br />

Sachsen-Anhalt, Sachsen und Thüringen –<br />

6/<strong>2023</strong><br />

23


XXXXXX<br />

2<br />

1<br />

3<br />

Giant´s Causway: Ein Guide bei Wind und<br />

Wetter für das UNESCO-Welterbe<br />

Seit Jahrhunderten fasziniert der Giant’s Causeway Wissenschaftler:innen und Künstler:innen gleichermaßen. Der Damm<br />

aus polygonalen Basaltsäulen an der Küste der Grafschaft Antrim gilt als ein Symbol für Nordirland und zählt zum UNESCO-<br />

Welterbe. Entsprechend viele Besucher:innen lockt dieser ungewöhnliche Ort an. Damit diese sich unfallfrei im Gelände bewegen<br />

können, lieferte die Berliner Firma tonwelt einen Hands-Free Audioguide<br />

Der Giant’s Causeway im Norden Irlands ist<br />

enden. Spektakulär sind Ausmaße und Form:<br />

Der britische National Trust besitzt und ver-<br />

ein Magnet für Touristen aus aller Welt: Im<br />

Etwa die Hälfte der bis zu zwölf Meter hohen<br />

waltet das 70 Hektar große Gelände des<br />

Jahr besuchen ihn etwa eine Million Men-<br />

Säulen hat einen sechseckigen Querschnitt.<br />

Giant’s Causeway, wobei ein System von<br />

schen, an Spitzentagen sind es bis zu 422.000<br />

Die Gesteinsschicht ist bis zu 25 m dick. For-<br />

überwachten Wanderwegen zur Küste führt.<br />

(Stand 2022). Seit 1986 ist der „Damm der<br />

scher gehen davon aus, dass die Landschaft<br />

Ein Großteil des Gebietes, das unter anderem<br />

Riesen“ UNESCO-Welterbestätte.<br />

durch vulkanische Aktivitäten während des<br />

als „Causeway Coast Area of Outstanding Na-<br />

Der Ort ist tief verankert in der keltischen<br />

Tertiärs, also vor etwa 50 bis 60 Millionen Jah-<br />

tural Beauty“ gewürdigt wird, steht unter Na-<br />

Mythologie: Der Legende nach hatte der iri-<br />

ren, entstanden ist.<br />

turschutz.<br />

sche Riese Fionn mac Cumhaill seinen schot-<br />

Formationen senkrechter Basaltsäulen kön-<br />

Der von der Berliner Firma tonwelt gelieferte<br />

tischen Giganten Benandonner zum Kräfte-<br />

nen bei sehr langsamer und gleichmäßiger Ab-<br />

Audioguide bringt den in immer größerer Zahl<br />

messen herausgefordert. Fionn riss während<br />

des Wettbewerbs ein Stück aus der Küste von<br />

Antrim heraus und erbaute damit eine Landbrücke<br />

zur Nachbarinsel.<br />

An die 40.000 gleichmäßig geformte massive<br />

schwarze Basaltsäulen ziehen sich an der<br />

„Naturstätte von außerordentlicher Schönheit“<br />

die Klippen entlang, bevor sie im Meer<br />

kühlung von Lava entstehen. Die Säulenstruktur<br />

bildet sich dabei aus Spannungsrissen, die<br />

langsam in das Material hineinlaufen. Sie entstehen,<br />

wenn sich das Material abkühlt und<br />

schrumpft, und breiten sich senkrecht zur Abkühlungsfläche<br />

aus. Der Vulkan, dessen Lava<br />

zur Formation des Damms führte, existiert nicht<br />

mehr; er wurde durch Erosion abgetragen.<br />

anreisenden Tourist:innen die Geschichte,<br />

Geografie und Bedeutung des Ortes auf niederschwellige<br />

Weise näher. „Direkt am tosenden<br />

Meer gelegen war das eine große Herausforderung“,<br />

resümiert Philipp Hinz, Projektleiter<br />

bei tonwelt.<br />

Eine weitere Herausforderung bestand darin,<br />

dass sich der Auftraggeber ein Bedienkon-<br />

Fotos: © Giant's Causeway / tonwelt<br />

36 6/<strong>2023</strong>


XXXXXX<br />

5<br />

4<br />

6<br />

zept wünschte, das die Tourist:innen sowohl<br />

durch das Besucherzentrum als auch auf ihrem<br />

Outdoor-Weg hin zur Wasserkante leitet.<br />

„Eine Hands off-Audioführung mit konsequent<br />

automatischer Auslösung hat sich hier<br />

angeboten“, erläutert Hinz. Das Unternehmen<br />

lieferte den supraGuide ECO, ein Gerät, das<br />

schnell, sicher und intuitiv zu bedienen ist –<br />

im Inneren des Besucherzentrums ebenso<br />

wie auf den Wegen zu den Klippen, wo Informationen<br />

zu Giant’s Causeway automatisch<br />

abgerufen werden können.<br />

Der Guide bezieht auch diverse bereits bestehende<br />

Videostationen in der Ausstellung<br />

mit ein. Dies hat den Vorteil, dass sich der Geräuschpegel<br />

in der offenen Halle erheblich reduziert.<br />

Eine Visualisierung etwa zeigt, wie die<br />

Bewegungen tektonischer Platten zu der besonderen<br />

Formation der Steine geführt haben.<br />

„Wir vermitteln die Inhalte in elf Sprachen,<br />

um sicherzugehen, dass unsere Besucher<br />

etwas mitnehmen“, betont Alastair Walker,<br />

Site Manager des Giant’s Causeway.<br />

Zuvor wurden die Erläuterungen auf Lautsprechern<br />

nur auf Englisch abgespielt. Mit dem<br />

neuen System wird der Videoton nun auf die<br />

Audioguides gesynched und kann zudem in<br />

meheren Sprachen abgerufen werden. „Die<br />

Besucher:innen aus aller Welt sollen eine Erfahrung<br />

machen, die einer UNESCO-Welterbestätte<br />

würdig ist“, so Walker. Besonders gefällt<br />

ihm, dass die Besucher:innen den Guide<br />

nicht halten müssen. Und dies auch bei starkem<br />

Wind oder glitschigem Boden. „Sie können<br />

ihn einfach um den Hals baumeln lassen<br />

und die Eindrücke des Gesehenen und Vermittelten<br />

auf sich wirken lassen.“<br />

ABSTRACT<br />

Dr. Inge Pett<br />

Giant's Causway: A guide in wind and weather for<br />

the UNESCO World Heritage Site<br />

For hundred of years, the Giant's Causeway has fascinated<br />

scientists and artists alike. The causeway of<br />

polygonal basalt columns on the coast of County Antrim<br />

is considered a symbol of Northern Ireland and<br />

is a UNESCO World Heritage Site. This unusual place<br />

attracts a large number of visitors. To enable them to<br />

move around the site without accidents, the Berlinbased<br />

company tonwelt has delievered a hands-free<br />

audio guide.<br />

1 / 2 / 3 / 4 / 5<br />

Im Giant's Causeway Visitor<br />

Centre in Nordirland<br />

können Besucher:innen<br />

die Geschichte kennenlernen,<br />

die mit dieser<br />

UNESCO-Welterbestätte<br />

untrennbar verbunden ist.<br />

Im Mittelpunkt steht Der<br />

irische Riese Fionn mac<br />

Cumhaill, der es mit seinem<br />

schottischen Gegenstück<br />

Benandonner aufgenommen<br />

hat, ein Stück aus<br />

der Küste von Antrim herausgerissen<br />

hat und damit<br />

eine Landbrücke zur Nachbarinsel<br />

erbaut hat<br />

6<br />

Für die UNESCO-Welterbestätte<br />

Giant’s Causeway<br />

entwickelte den supraGuide<br />

ECO, ein Gerät, das<br />

schnell, sicher und intuitiv<br />

zu bedienen ist – im Inneren<br />

des Besucherzentrums<br />

ebenso wie auf den Wegen<br />

zu den Klippen, wo an<br />

nummerierten Stelen Informationen<br />

zu Giant’s Causeway<br />

abrufbar sind<br />

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XXXXXX<br />

1<br />

Preisgekröntes Schmuckstück<br />

Die Villa Nordstern hat eine bewegte Historie und wäre fast abgerissen worden. Ein Lehrter Investor ließ<br />

sie instand setzen. Dabei spielten mineralische Produkte von KEIMFARBEN eine wichtige Rolle<br />

Die schlossähnliche Villa Nordstern im niedersächsischen<br />

Lehrte wäre fast abgerissen<br />

worden. Ein Investor ließ sie aufwendig sanieren<br />

und verwendete dabei mineralische<br />

Produkte von Keimfarben. Die innerhalb von<br />

14 Monaten restaurierte Villa belegte beim<br />

hannoverschen Fassadenwettbewerb 2022<br />

von Haus und Grund und der Maler- und Lackiererinnung<br />

den ersten Platz und wurde<br />

zum „schönsten Haus der Region Hannover“<br />

gekürt.<br />

Der Blick schweift über ein großes Gelände.<br />

Durch eine Toreinfahrt gelangt man zu<br />

der Prunkvilla mit der wieder instandgesetzten<br />

Außentreppe. Türmchen, Erker, Giebel<br />

und eine Stuckfassade verweisen auf den<br />

Reichtum des ersten Besitzers. Man trifft auf<br />

zwei hohe Stockwerke und ein Mansarddach.<br />

Ein umlaufendes Gebälk und die aufwendigen<br />

Fensterrahmen lassen den Bau als<br />

Entwurf im Stil der Neurenaissance erkennen.<br />

Eine repräsentative Eingangshalle empfängt<br />

die Besucher. Viele Räume sind mit<br />

reichhaltigem Stuck an den Decken, Bodenmosaiken<br />

und Säulen geschmückt. Der Erbauer<br />

Hermann Manske war ein erfolgreicher<br />

Industrieller und Pionier der Zementindustrie<br />

in Deutschland. Außerdem betrieb er<br />

auch noch einen Pferderennstall. Die Gründerzeitvilla<br />

auf dem 42.000 m² großen Grundstück<br />

am südwestlichen Stadtrand, in der er<br />

mit seiner Gattin und seinem Stiefsohn lebte,<br />

trug den Namen seines Lieblingspferds<br />

Nordstern.<br />

Der sozial engagierte Manske sorgte mit<br />

einer Betriebskrankenkasse, einer Kantine<br />

und Arbeiterwohnungen für seine Arbeiter<br />

und stiftete auch ein Krankenhaus für die<br />

Stadt Lehrte. Die Zeit des Aufstiegs fand<br />

durch die zunehmende Konkurrenz jedoch<br />

ein Ende, auch weil Manske den Absatzmarkt<br />

in Übersee falsch eingeschätzt hatte.<br />

1906 gründete er die Firma Portland-Cementfabrik<br />

Alemannia H. Manske & Co, die<br />

ihren Sitz in der Villa hatte. Bereits im Jahr<br />

1911 musste er Konkurs anmelden und in<br />

der Folge seinen Rennstall und das Haus<br />

verkaufen. Direkt danach diente die Nordstern-Villa<br />

als Kindererholungsheim und in<br />

ihrer weiteren Geschichte als Flüchtlingslager<br />

und Kinderheim. Seit den 1990er Jahren<br />

stand sie leer. Die Bausubstanz verfiel und<br />

das Grundstück verwilderte.<br />

Bald gab es Gerüchte, es spuke in ihr. Unbefugte<br />

drangen ein und drehten Videos. Irgendwann<br />

bekam das Gebäude im Internet<br />

den Namen „Gruselvilla“. Es drohte der Abriss,<br />

obwohl bereits 1987 ein Antrag auf<br />

Denkmalschutz erfolgreich gestellt worden<br />

ist. Seit 1993 gab es einen Privatmann als Ei-<br />

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XXXXXX<br />

2 3<br />

4 5<br />

gentümer, der die Villa als Wohnraum nutzen<br />

wollte, dieses Vorhaben aber nie umsetzte.<br />

Nach einer Unterschriftenaktion der Lehrter<br />

Einwohner, die ihn zum Verkauf oder einer<br />

denkmalgeschützten Sanierung aufforderten,<br />

fand sich 2018 schließlich ein denkmalerfahrener<br />

Investor, der die Gründerzeitvilla<br />

für eine Kita umbauen wollte. Der Lehrter<br />

Projektentwickler Rolf Neumann versprach<br />

auch die wertvolle Ausstattung zu erhalten.<br />

„Da die Villa schon seit 30 Jahren leer stand,<br />

fühlte ich mich verpflichtet, mich dieser Villa<br />

zu widmen, die ich bereits seit den 1990er<br />

Jahren im Auge hatte“, sagt der Investor. Teile<br />

des 42.000 Quadratmeter großen Grundstücks<br />

hat Neumann zur Finanzierung der<br />

Sanierung als Bauland weiterveräußert. Auf<br />

Anregung seiner Frau spielte vor allem der<br />

Mangel an Kindergartenplätzen in der Region<br />

eine Rolle. Deshalb wurde in der Villa ein<br />

Kindergarten eingerichtet, der im Februar<br />

2022, 18 Monate nach Baubeginn, eröffnet<br />

wurde.<br />

Mit dem Lehrter Sportverein fand sich<br />

schnell ein Betreiber und die Sport-Kita des<br />

Lehrter SV zog mit fünf Kindergartengruppen,<br />

drei für den Elementarbereich und zwei<br />

Krippen für die unter 3-jährigen, in die Villa<br />

ein. Allein der Bereich der fünf Gruppen ist<br />

mehr als 270 Quadratmeter groß und der Bewegungsraum<br />

umfasst 80 Quadratmeter.<br />

Das großzügige Außenareal mit Spielplatz<br />

und Fußballkäfig erreicht 1.500 Quadratmeter.<br />

Bei seinem Projekt hatte Neumann sowohl<br />

die nachhaltige zukünftige Nutzung als<br />

Kindertagesstätte als auch den Erhalt des<br />

Denkmals im Blick: „Mein Ziel war es, möglichst<br />

viel Originalsubstanz zu bewahren.“<br />

Viel Arbeit für Klaus Stuckert, Geschäftsführer<br />

des gleichnamigen Stuckateur- und Mal-<br />

1<br />

Die 1892 erbaute Villa Nordstern ist nach der Instandsetzung<br />

der Stuck- und Putzfassade der Villa<br />

sowie von Terrassenanlage und Treppenabgängen<br />

zu einem Schmuckstück geworden<br />

2<br />

Innerhalb von 14 Monaten war die Instandsetzung<br />

der Villa abgeschlossen. Hier das Eingangsportal<br />

nach Fertigstellung der Stuck- und Putzarbeiten<br />

3<br />

Das Farbkonzept sah einen hellockerfarbenen Anstrich<br />

für Stuckaturen, Gurtgesimse und Gauben, ein<br />

gebrochenes Weiß für die Balustrade, Gelbocker für<br />

die Fassade sowie Grau für den Sockel vor<br />

4<br />

Desolater Vorzustand: Nordansicht ohne Balustrade<br />

und gewendelte Treppenabgänge mit Feuchtigkeitsschäden<br />

an Mauerwerk und Stuckprofilen<br />

5<br />

Die Balustrade hebt sich nach den Malerarbeiten<br />

von dem in grau gestrichenen Sockel ab<br />

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43


1<br />

Besuch in der Villa Patumbah<br />

Sie ist ein Meisterwerk des Historismus: Die 1885 erbaute Villa Patumbah. Mit ihrem prachtvollen<br />

Park gehört sie zu den wichtigsten Villenanlagen des ausgehenden 19. Jahrhunderts der Stadt Zürich.<br />

Von 2010 bis 2013 wurde das Gebäude und seine zahlreichen Dekorationsmalereien sorgfältig<br />

restauriert. Heute ist es Sitz des Schweizer Heimatschutzzentrums. RESTAURO traf dort Leiterin Judith<br />

Schubiger und Barbara Diethelm von Lascaux Colours & <strong>Restauro</strong>. Die Farbexpertin war von Anfang<br />

an durch ihre Produkte in die Maßnahmen mit eingebunden<br />

Den Blick für die gebaute Umwelt schärft<br />

das Schweizer Heimatschutzzentrum mit<br />

seinen Ausstellungen, Führungen, Workshops<br />

und vielen weiteren Vermittlungsangeboten.<br />

Der 1905 gegründete Heimatschutz<br />

mietet die Villa Patumbah im<br />

Zürcher Seefeld von der Stiftung Patumbah<br />

und betreibt darin seine Geschäftsstelle<br />

sowie sein Bildungszentrum. Die lokalen<br />

Architekten Alfred Chiodera und<br />

Theophil Tschudy – damals bekannt, ausgezeichnet<br />

aber auch kritisiert für ihr zum<br />

Teil exzentrisches Werk – hatten die Villa<br />

Patumbah 1883/1885 für Carl Fürchtegott<br />

Grob geplant und realisiert, der auf<br />

Sumatra mit kolonialen Geschäften zu<br />

Vermögen gekommen war. Die nach seinen<br />

Vorgaben aufwendig errichtete Villa<br />

– benannt ist das Anwesen übrigens<br />

nach einer von Grobs Tabakplantagen<br />

– vereint ganz im damals sehr beliebten<br />

Historismus Stilelemente der Renaissance<br />

und des Rokokos mit ostasiatischem<br />

Form- und Farbenreichtum zu einem<br />

repräsentativen Ganzen. Doch Eigentümerwechsel,<br />

Vernachlässigung<br />

und Verfall hatten der Villa im Laufe ihrer<br />

Geschichte stark zugesetzt.<br />

Daher wurde das Baudenkmal von 2010<br />

bis 2013 unter der Leitung der kantonalen<br />

Denkmalpflege Zürich in Zusammenarbeit<br />

mit den Zürcher Architekten Pfister,<br />

Schiess, Tropeano umfassend restauriert,<br />

erzählt Judith Schubiger, Leiterin des Heimatschutzzentrums.<br />

Die originalen Malereien<br />

waren unter späteren Anstrichen<br />

3<br />

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XXXXXX<br />

4<br />

2<br />

verschwunden, aufgrund ungünstiger klimatischer<br />

Verhältnisse hatten sich Feuchteschäden<br />

breitgemacht und die ornamentalen<br />

Verzierungen bröckelten an der Fassade,<br />

weiss die Kulturwissenschaftlerin. „1995<br />

gründete sich die Stiftung Patumbah, mit<br />

dem Ziel, das gesamte Ensemble von Villa<br />

und Park zu erhalten.“ 2010 wurde mit den<br />

ersten Befundarbeiten begonnen. „Ein Jahr<br />

später waren aufgrund der Voruntersuchungen<br />

an fast jeder Wand und Decke unter dem<br />

Anstrich farbige Original-Malereien zutage<br />

getreten – Motive aus der Tier- und Pflanzenwelt,<br />

aus der Mythologie oder auch Grotesken,“<br />

erzählt Barbara Diethelm von der renommierten<br />

Zürcher Farbenfirma Lascaux.<br />

Die Farbexpertin war von Anfang an durch<br />

ihre Produkte in die Maßnahmen mit eingebunden.<br />

Mit der Projektleitung der gesamten<br />

Restaurierungsarbeiten war die Ars Artis AG<br />

betraut, die für Konsolidierung der Hinterglasmalereien<br />

mit Lascaux Medium für Konsolidierung<br />

arbeitete. Bei Restaurator Andreas<br />

Franz kam bei den Dekorationsmalereien<br />

im Wintergarten und im Vestibül diverse Lascaux<br />

Produkte zum Einsatz, die Malschichtsicherung<br />

erfolgte mit Lascaux Medium für<br />

Konsolidierung, die Retusche mit Lascaux<br />

Studio Farben und Medium Glanz. Für die<br />

Erneuerung der zahlreichen dekorativen, ornamentierten<br />

Oberflächen verwendeten die<br />

Spezialisten von Fontana & Fontana AG<br />

Werkstätten für Malerei unter anderem auch<br />

Lascaux Artist Farben. Die Rapperswiller Firma<br />

bot diesen Sommer in der Villa Patumbah<br />

einen einmaligen Workshop zur Kunst der<br />

Schabloniertechnik an, anlässlich des<br />

60-jährigen Jubiläums von Lascaux. „Ohne<br />

die Mitarbeit fähiger Künstler und Handwerker<br />

wären Chiodera & Tschudi ein solches<br />

Gesamtkunstwerk allerdings nicht gelungen,“<br />

erläutert Barbara Diethelm, die selbst in<br />

den USA Malerei studiert hat. Zu den wichtigsten<br />

Zürcher Dekorationsmalern damals<br />

gehörten Johann Witt und Eugen Ott. Die beiden<br />

hatten schon vor der Errichtung der Villa<br />

Patumbah mit Chiodera & Tschudy zusammengearbeitet<br />

wie etwa an der „Renaissance-Stube“<br />

für die Pariser Weltausstellung<br />

1878. Freilegungen mit wesentlichen Ergänzungen<br />

und Rekonstruktionen wurden allerdings<br />

lediglich in Teilbereichen des Treppenhauses<br />

durchgeführt. Insgesamt erwiesen<br />

sich die Restaurierungsmaßnahmen auf-<br />

1 / 2<br />

Blick auf die Villa Patumbah in Zürich vom Park. Das<br />

Anwesen zählt zu den prachtvollsten historischen<br />

Villenbauten in der Schweiz. Von 2010 bis 2013 wurde<br />

es umfassend restauriert<br />

Der Schweizer Heimatschutz<br />

Seit 1905 setzt sich der Schweizer Heimatschutz gemeinsam<br />

mit seinen 25 kantonalen Sektionen für das<br />

gebaute Erbe ein und stösst Diskussionen zur nachhaltigen<br />

Entwicklung der gestalteten Umwelt an. Ein<br />

besonderer Fokus liegt aktuell auf den drei Bereichen<br />

„Umwelt und Nachhaltigkeit“, „Zivilgesellschaftliches<br />

Engagement“ und „Baukulturvermittlung“. Der<br />

Verein betreibt das Heimatschutzzentrum und sitzt<br />

seit 2013 in der Villa Patumbah.<br />

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