Baumeister 10/2023
Fassaden
Fassaden
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B<strong>10</strong><br />
B A U<br />
Oktober 23<br />
120. JAHRGANG<br />
Das Architektur-<br />
Magazin<br />
MEISTER<br />
Umhüllt<br />
und<br />
aufgerüstet<br />
4 194673 017505<br />
<strong>10</strong><br />
D 17,50 €<br />
A,L 19,95 €<br />
CH 2 4 , 9 0 S F R
COVERFOTO: MARC TRAN/STOCKSY<br />
B<strong>10</strong><br />
Liebe Leserinnen<br />
und Leser,<br />
Editorial<br />
nicht zuletzt wegen der zahlreichen Krisen,<br />
in die wir mitunter seit dem Ausbruch des russischen<br />
Angriffskriegs auf die Ukraine hineingeschlittert<br />
sind, beschäftigen wir uns<br />
immer tiefgreifender mit dem Thema Energie.<br />
Im Falle von Bauprojekten wird oft über<br />
Energiegewinnung auf dem Dach hin- und<br />
hergerechnet: Ab wann lohnen sich entsprechende<br />
Installationen auf den Dächern der<br />
Republik, welche Gebäudenutzung macht<br />
die Sonne zum idealen Energielieferanten,<br />
und wann rentiert sich die zusätzliche Investition<br />
für Bauherren weniger? Viele der<br />
großen Fragen der Energiegewinnung auf<br />
Dächern sind bereits ausgiebig diskutiert.<br />
Viel spannender ist da doch die Fassade.<br />
Blickt man von außen auf ein Gebäude,<br />
dann bestimmt meist weniger das Dach als<br />
die Fassade den Eindruck. Da es unserer<br />
Zivilisation chronisch an Energie zu fehlen<br />
scheint, könnte das Fassadenkraftwerk doch<br />
eine passable (Teil-)Lösung sein, oder?<br />
Dieses Heft widmen wir deswegen nicht nur<br />
der Gebäudehülle im Allgemeinen, sondern<br />
und ganz besonders der weiterführenden<br />
Nutzung einer Fassade. So verlockt die Idee,<br />
mit der Fassade Sonnenenergie einzufan -<br />
gen und eben diese Energie zugänglich zu<br />
machen, sehr. Die großen Herausforderungen,<br />
vor die uns Solarfassaden stellen, sind<br />
zwar inzwischen lösbar, aber die Umsetzung<br />
ist nach wie vor komplex und oft teuer. Insbesondere<br />
Verschattung und Brandschutz<br />
bestimmen aktuell die Diskussion rund um<br />
Fassadenkraftwerke. Nahestehende Gebäude<br />
werfen ihre Schatten auf die in Solarpaneele<br />
gehüllten – meist – Neubaupro -<br />
jekte und sorgen teilweise sogar für einen<br />
Totalausfall des gesamten Systems. Nicht<br />
immer, aber noch zu oft. Außerdem benötigt<br />
man aufwendige Computerberechnungen,<br />
um eine Solarfassade auch wirklich auszulasten.<br />
Und dann gibt es eben noch den<br />
Brandschutz. Brennende Paneele sind kein<br />
Spaß. Weder für uns noch für die Feuerwehr.<br />
Mehr dazu lesen Sie im Heft.<br />
Deutlich mehr Spaß als eine brennende Fassade<br />
macht mir meine neue und zusätzliche<br />
Rolle. Obgleich ich bereits seit Mitte 2020<br />
alle Magazinmarken des Verlags als Chief<br />
Content Officer inhaltlich leite, habe ich im<br />
August diesen Jahres zusätzlich die Chefredaktion<br />
des <strong>Baumeister</strong> übernommen. Die<br />
Redaktion und ich freuen uns, mit viel Mut<br />
und vor allem Neugierde ein neues Kapitel<br />
des <strong>Baumeister</strong> aufzuschlagen.<br />
An dieser Stelle möchte ich Fabian Peters für<br />
sein Engagement danken. Er war während<br />
der letzten drei Jahre als Chefredakteur des<br />
<strong>Baumeister</strong> für uns unterwegs, und zusammen<br />
haben wir zahlreiche wichtige Weichen<br />
für die Zukunft des Magazins gestellt. Ich blicke<br />
zurück auf eine aufregende gemeinsame<br />
Zeit und freue mich auf die nächsten<br />
Monate und Jahre mit dem <strong>Baumeister</strong>.<br />
Ohne Sie, verehrte Leser, gäbe es den <strong>Baumeister</strong><br />
aber gar nicht. Deshalb möchte ich<br />
Sie herzlich einladen: Treten Sie mit mir und<br />
uns digital und auf Veranstaltungen in Kontakt.<br />
Per Newsletter und soziale Medien informieren<br />
wir Sie, natürlich neben dem Heft,<br />
über bevorstehende Möglichkeiten des Austauschs.<br />
Ich freue mich schon sehr auf Sie.<br />
Herzlichst,<br />
Tobias Hager<br />
t.hager@georg-media.de<br />
@baumeister_architekturmagazin
Ideen<br />
Fragen<br />
Lösungen<br />
5<br />
8<br />
Einführung:<br />
Fassade als<br />
Kraftwerk<br />
14<br />
Textiles Entwicklungszentrum<br />
in Reutlingen<br />
28<br />
Albert-Kahn-<br />
Museum<br />
in Paris<br />
42<br />
Stadtteilschule<br />
in Hamburg-<br />
Niendorf<br />
54<br />
Archiv der<br />
Zukunft<br />
in Lichtenfels<br />
80<br />
Liebe oder<br />
Last?<br />
Baustelle<br />
Denkmal<br />
83<br />
Kein Ende<br />
des Steinbruchsterbens<br />
in Sicht?<br />
88<br />
Branchenfeature:<br />
Fassadensanierungen<br />
92<br />
Fassade<br />
<strong>10</strong>2<br />
Licht<br />
RUBRIKEN<br />
68<br />
DAV-Bundesgeschäftsstelle<br />
in München<br />
T E<br />
I<br />
.<br />
W E B S<br />
M E H R<br />
U N S E R E R<br />
Z U M<br />
A U F<br />
T H E M A<br />
BAU<br />
MEISTER.<br />
DE<br />
Laufend spannende Projekte finden Sie auch auf<br />
unserer Webseite. Selbstverständlich mit interessanten<br />
Fassaden: mehr auf baumeister.de/theme/fassade<br />
I E<br />
S<br />
L E S E N<br />
26<br />
SONDERFÜHRUNG<br />
40<br />
KLEINE WERKE<br />
66<br />
UNTERWEGS<br />
78<br />
BAUMEISTER.DE<br />
<strong>10</strong>5<br />
IMPRESSUM + VORSCHAU<br />
<strong>10</strong>6<br />
P O R T F O L I O :<br />
OBJEKT IM FOKUS<br />
114<br />
KOLUMNE
6
Einführung<br />
7<br />
Gestaltungsfreiheit<br />
Fassaden vereinen Ästhetik, Technik und Funk tion.<br />
Zwar müssen sie auf vielfältige Anforder un gen<br />
reagieren, sollen inzwischen auch als Kraft -<br />
werk dienen (siehe den folgenden Beitrag), es<br />
ent stehen jedoch durch technische und methodische<br />
Weiterentwicklungen auch neue Gestaltungsmöglichkeiten:<br />
sei es als robotergestricktes<br />
Kleid, Lärmschutzbarriere zur lauten Stadtautobahn,<br />
leichter Filter zum Garten oder Lowtech-<br />
Lösung für die Be- und Entlüftung von Schulen und<br />
Büro häusern.
8<br />
( I )<br />
( II )<br />
I Amt für Umwelt und Energie in Basel von<br />
Jessenvollenweider Architektur<br />
II Geplanter Umbau des Postbank-Hochhauses<br />
in Berlin von Eike Becker Architekten. Seine<br />
schmale Südseite soll komplett mit<br />
Photovoltaikelementen bestückt werden.<br />
III Eingangsfassade des „Futuriums“ in Berlin<br />
von Richter Musikowski Architekten<br />
Fassadenplanung II + III: Werner Sobek AG<br />
raftw
Einführung<br />
9<br />
FOTO LINKS: ARCHIV ARCHITEKTEN; ILLUSTRATION MITTE: AESTHETICA STUDIO; RECHTS: SCHNEPP RENOU<br />
( III )<br />
als<br />
Text:<br />
Elina Kienle,<br />
Thomas<br />
Winterstetter<br />
erk
<strong>10</strong><br />
Die Fassade zur Stromgewinnung<br />
zu nutzen, ist eine gute Idee.<br />
Doch muss es immer ein unguter<br />
Kompromiss zwischen Gestaltungsanspruch<br />
und Effizienz sein?<br />
Wo liegen die Grenzen, wo die<br />
Möglichkeiten?<br />
Eine Zwischenbilanz<br />
Bekanntlich dient die Fassade als Corporate<br />
Identity für Architekten, Bauherren sowie Nutzer<br />
und übernimmt aus konstruktiver Sicht die Funktion<br />
der thermischen Hülle für Gebäude. Doch betrachtet<br />
man die Funktionen genauer, übernimmt<br />
sie weitaus mehr und gilt als echter Allrounder.<br />
Die Architekturhistorie zeigt, dass Fassaden bereits<br />
vor Jahrhunderten für unterschiedliche Funktionen<br />
genutzt wurden – beispielsweise die wärme -<br />
speichernden Außenwände für die Reifung von<br />
Weinreben im Mittelalter. In den letzten Jahrzehnten<br />
kam unter anderem die Erzeugung von Strom<br />
hinzu. Neben den Dachflächen bieten sich vor<br />
allem ungenutzte, opake Bereiche an der Fassade<br />
für die Belegung von PV-Modulen an. Laut<br />
einer Veröffentlichung zum Thema Flächennutzungsmonitoring<br />
liegt der theoretische Wert des<br />
vorhandenen Fassadenflächenpotenzials für<br />
Deutschland bei rund 12.000 Quadratkilometer<br />
[Poglitsch et al. 2018].<br />
Nach dem Erneuerbaren-Energie-Gesetz (EEG),<br />
das seit Anfang des Jahres <strong>2023</strong> in Kraft getreten<br />
ist, und den politischen Zielen soll der Ausbau der<br />
Solarenergie verstärkt werden. Gemäß der Bundesregierung<br />
soll der Bruttostromverbrauch bis<br />
2030 zu mindestens 80 Prozent aus erneuerbaren<br />
Energien gedeckt werden. Um diesen Ausbau<br />
so schnell wie möglich voranzutreiben, darf nicht<br />
nur an die Nutzung der horizontalen Flächen<br />
gedacht werden. Die Integration von Photovoltaik-Technik<br />
an der Fassade, also bauwerksintegrierte<br />
Photovoltaik (BIPV), kann trotz der Herausforderungen<br />
signifikant zur Energiegewinnung<br />
beitragen und den Ansprüchen an den Architekturentwurf<br />
gerecht werden.<br />
( I )<br />
Modularten<br />
Es gibt zwei verschiedene Arten von Modulen, die<br />
auf Basis ihres Zelltyps in Dick- und Dünnschichtmodule<br />
untergliedert werden. Dabei wird zwischen<br />
drei verschiedenen Zelltypen differenziert. Bei<br />
Dickschichtmodulen gibt es monokristalline und<br />
polykristalline Zellen, die sich sowohl optisch als<br />
auch in ihren technischen Eigenschaften unterscheiden.<br />
Früher vor allem wurden häufig Zellen<br />
aus polykristallinem Silizium verwendet, die eine<br />
blaue, unruhige Oberflächenstruktur besitzen.<br />
Sie haben eine Lebensdauer von etwa 25 bis<br />
30 Jahren, ohne Leistungseinbußen, und erzielen<br />
Wirkungsgrade von 15 bis 20 Prozent.<br />
Gemäß dem aktuellen Stand der Technik werden<br />
mittlerweile jedoch überwiegend monokristalline<br />
Silizium-Zellen eingesetzt. Diese haben zwar den<br />
Nachteil eines minimalen Degradierungsgrads der<br />
Leistung ab etwa 25 Jahren, erreichen aber einen<br />
höheren Wirkungsgrad mit über 20 Prozent und<br />
sind ebenfalls bei diffusem Licht leistungsfähig. Sie<br />
bilden von Natur aus eine dunkle, einheitliche<br />
Oberfläche, so dass sie hier auch gestalterisch oftmals<br />
besser zu den Vorstellungen der Architekten<br />
passen.<br />
Der Modulaufbau besteht aus einem Frontglas,<br />
das je nach Gestaltung eine Farbbeschichtung erhalten<br />
kann, danach die Einbettungsschichten<br />
vor und hinter der Zelle, die entweder aus einer<br />
EVA-/PVB-Folie oder einer Silikoneinbettung bestehen<br />
kann, und dahinterliegend ein Rückseitenglas.<br />
Text Elina Kienle, Thomas Winterstetter / Werner Sobek AG
Einführung<br />
11<br />
Dünnschichtmodule bestehen aus amorphem<br />
Silizium oder einem anderen Halbleitermaterial<br />
aus CIGS (Kupfer-Indium-Gallium-Diselenid).<br />
Diese Schicht wird mit einer Dicke von 2 bis 3 µm (bei<br />
CIGS- Zellen) auf ein Trägermaterial aufgebracht.<br />
Dadurch verringern sich Materialaufwand und<br />
somit auch Fertigungskosten. Auch diese Module<br />
verfügen über hohe Leistungsfähigkeit bei diffusem<br />
Licht und hohen Temperaturen. Grundsätzlich<br />
ist der Wirkungsgrad mit unter 20 Prozent<br />
geringer als bei Dickschichtmodulen aus Siliziumzellen.<br />
( II )<br />
Gestaltungsmöglichkeiten<br />
Unabhängig von der Art des Moduls gibt es mittlerweile<br />
eine Vielzahl an Gestaltungsmöglichkeiten:<br />
etwa transparente Module, bei denen die<br />
Zellen sichtbar zwischen klaren Gläsern liegen,<br />
wodurch Tageslicht in den Raum dahinter fallen<br />
kann. Die Zellen können zudem neben der Stromerzeugung<br />
auch als Sonnenschutz anstelle üblicher<br />
Systeme genutzt werden. Der Zell-Bedeckungsgrad<br />
kann je nach Anforderung und Gestaltung<br />
frei gewählt werden. Alternativ dazu gibt<br />
es teilbedruckte Glas-Module, bei denen die<br />
Zellen noch sichtbar sind, so dass sich diese gestalterisch<br />
in das gewünschte Erscheinungsbild<br />
fügen; trotzdem wird der Nachhaltigkeitsgedanke<br />
nach außen kommuniziert. Die Bedruckung der<br />
Gläser wird an die schwarzen Solarzellen angepasst,<br />
dabei das Frontglas aber nicht oder teilbedruckt,<br />
um die Zelleneffizienz nicht zu mindern.<br />
Als weitere Option kann die PV-Technik durch<br />
eine vollflächige Bedruckung in unterschiedlichen<br />
Farben nahezu verschwinden, um den Architekturentwurf<br />
in den Vordergrund zu stellen. Hier -<br />
bei handelt es sich nur um einen sehr feinen<br />
Druck, der den Wirkungsgrad nur etwas verringert.<br />
Zusätzlich zur Bedruckung der Verglasung können<br />
die silbernen Leiterbändchen, sogenannte<br />
„Busbars“, abgedeckt werden. Dies bewirkt auch<br />
eine minimale Leistungsreduzierung, die aber<br />
praktisch vernachlässigt werden kann.<br />
Da die Zellen zwischen zwei Glasscheiben eingebettet<br />
werden, kann die Fassadengestaltung<br />
zusätzlich auch über die Auswahl der Gläser hinsichtlich<br />
Glanzgrad und Textur beeinflusst werden.<br />
Wichtig ist es, projektspezifisch passende<br />
Module explizit für die Fassade auszuwählen. Da<br />
es sich bei diesen Modulen um eine VSG-Verglasung<br />
handelt, sind hier zwingend die Anforderungen<br />
aus der DIN 18008 zu berücksichtigen.<br />
Grundsätzlich ist bei der Auswahl der Module zu<br />
beachten, dass Farb- und Gestaltungsentscheidungen<br />
entsprechenden Einfluss auf die Leistung<br />
der Module haben. Je heller die Farbe, desto<br />
mehr ist mit Leistungseinbußen zu rechnen. So<br />
haben etwa aktuell verfügbare helle Module<br />
circa 140 bis 145 Wp/m2, während Module in Anthrazit<br />
bei circa 180 Wp/m2 liegen.<br />
( III )<br />
Herausforderungen<br />
Wenn eine Fassade zusätzliche Funktionen wie<br />
die Erzeugung von Strom übernehmen soll, zieht<br />
dies meist auch Herausforderungen bei der Planung<br />
mit sich. Bei der Integration von Photovoltaik<br />
sind neben klassischen Normen für Fassaden und<br />
vertikale Verglasungen – MBO/LBO; DIN 18008,<br />
etc. – außerdem diese Themen zu beachten:<br />
Verschattung<br />
Unabhängig von der platzierten Fläche kann bei<br />
der Integration von Photovoltaik die Verschattung<br />
einzelner Module zur Herausforderung werden.<br />
Bereits die Teilverschattung eines Photovoltaik-<br />
Moduls kann zu Ertragsverlusten führen. Die einzelnen<br />
Solarzellen sowie Module werden in sogenannten<br />
„Strings“ in Reihe geschaltet. Ist eine<br />
Solarzelle verschattet, wird der Stromfluss und somit<br />
die Leistung verringert.<br />
Daher beeinträchtigen Verschattungen die<br />
Stromausbeute der Anlage auf zwei Arten: zum<br />
einen durch das Verhindern beim Weiterleiten des<br />
vorgelagert produzierten Stroms und zum anderen<br />
durch die Verminderung der Stromerzeugung<br />
von nachgeschalteten Elementen. Wenn etwa<br />
das Element am Ende eines Strings verschattet<br />
wird, führt dies zur Blockierung des im gesamten<br />
Strang produzierten Stroms. Dabei unterscheidet<br />
man zwischen einer jahresbedingten Verschattung,<br />
deren Veränderung durch den jahreszeitlichen<br />
Sonnenstand beeinflusst wird, sowie der<br />
tageszeitab hängigen Verschattung.<br />
Mögliche Lösungen müssen bereits in der Planung<br />
berücksichtigt werden. Einzelne Strings sollten<br />
so gelegt werden, dass möglichst wenige von<br />
ihnen von der jeweiligen Verschattung betroffen<br />
sind und der Schatten nur Module an niedriger<br />
Stelle im String betrifft. Viele PV-Hersteller bieten<br />
eine Verschattungsanalyse mit detaillierten<br />
Berechnungen an und werten diese aus. Darauf<br />
WEITER
42<br />
Die über Jahrzehnte gewachsene, heterogene Struktur der Stadtteilschule erhielt eine neue Ordnung und eine klare Kante<br />
zur Stadt. Die mit der Tageszeit wechselnden Öffnungsgrade der Lamellenläden vermitteln ein lebendiges Bild.
Ideen<br />
43<br />
Architekten:<br />
me di um<br />
Text:<br />
Cornelia Krause<br />
Fotos:<br />
Klaus Frahm<br />
Als die Stadtteilschule<br />
Niendorf zu einer achtzügi -<br />
gen Ganztagsschule ausgebaut<br />
wurde, stand die hohe<br />
Aufenthaltsqualität in den<br />
neuen Räumen im Vordergrund.<br />
Viel Licht, gute Luft und<br />
Akustik und nicht zuletzt<br />
Offenheit für innovative räumliche<br />
Lehr- und Lernkonzepte<br />
sollten die Bedingungen<br />
sein, dass Schülerinnen und<br />
Schüler, Lehrerinnen und<br />
Lehrer effektiv arbeiten und<br />
lernen können und sich<br />
wohlfühlen.
46 Ideen<br />
Viele Schulen in Deutschland befinden sich seit<br />
Jahren schon in einem vernachlässigten baulichen<br />
Zustand – eine bedauerliche Tatsache, die nicht<br />
gerade die Freude am Lernen fördert. Glücklich<br />
schätzen können sich dagegen die Schüler der<br />
Niendorfer Stadtteilschule im gleichnamigen Stadtteil<br />
im Nordwesten Hamburgs. Sie spüren nicht nur<br />
die Annehmlichkeiten eines Neubaus, sie erfahren<br />
darüber hinaus ganz nebenbei auch viel über<br />
Nachhaltigkeit. Sie konnten miterleben, wie die<br />
unwirtschaftlich gewordene, ehemalige Gesamtschule<br />
sich über zwei Jahre in eine moderne, effiziente<br />
und gut organisierte Stadtteilschule verwandelte.<br />
Dieser Mammutaufgabe haben sich me di um<br />
Architekten gestellt, nachdem sie über ein VOB-<br />
Verfahren den Zuschlag erhielten. Das komplexe<br />
Programm umfasste eine städtebauliche Neuordnung,<br />
Freiraumgestaltung, räumliche Funktionsabläufe<br />
sowie ein energetisches Konzept – und das<br />
alles unter der Prämisse der Nachhaltigkeit. So<br />
betrachtet verwundert die Wahl des Hamburger Büros<br />
nicht, das seit seiner Gründung 1970 umweltbewusstes<br />
Bauen zu seinem Ziel erhebt und heute<br />
mehr denn je daran festhält. Die fünf jungen Architekten<br />
Thies Jentz, Uwe Kutzner, Jan Störmer, Peter<br />
Wiesner und Siegfried Zimmerman erkannten schon<br />
früh, dass der damals vorherrschende Hunger nach<br />
immer mehr Wachstum mit einer großen Verschwendung<br />
von Ressourcen einhergeht. So wandten<br />
sie sich an Spezialisten, wenn die Kenntnisse<br />
nicht ausreichten, ihre Ideen zur Energieeinsparung<br />
umzusetzen. Dieser trotz unüberhörbarer Mahnungen<br />
heute immer noch verbreiteten Gedankenlosigkeit<br />
etwas entgegenzusetzen, stellt me di um<br />
Architekten mit jedem neuen Gebäude unter<br />
Beweis.<br />
Lowtech als Vorbild<br />
Gerade die Schule ist ein guter Ort, um Umweltbewusstsein<br />
zu schärfen. Die Schüler in Niendorf<br />
lernen im täglichen Umgang, dass eine Fassade<br />
nicht nur die Bekleidung eines Gebäudes darstellen<br />
muss, sondern gleich mehrere Funktionen in<br />
einem übernehmen kann: Sonnenschutz, Be- und<br />
Entlüftung, Helligkeit – und das alles ohne großen<br />
technischen Aufwand.<br />
Mit der Neuordnung des Schulgeländes, der ein<br />
Großteil der alten Bausubstanz geopfert werden<br />
musste, entstand der 120 Mater lange, auf dem<br />
Vorgängerbau basierende, H-förmig angelegte<br />
Schulneubau, der bis an die Paul-Sorge-Straße verlängert<br />
wurde. Die übernommene, einhüftige Struktur<br />
ermöglicht eine hohe Tageslichtausbeute von<br />
beiden Längsseiten, was sich als Nebeneffekt – besonders<br />
in den Wintermonaten – günstig auf den<br />
Stromverbrauch auswirkt. Aufgrund der geringen<br />
Gebäudetiefe können die Klassenräume auch<br />
natürlich be- und entlüftet werden. Wie das funktioniert,<br />
ist einfach erklärt: Die Außenluft wird über<br />
schlitzartige, motorisch gesteuerte Luftdurchlässe<br />
oberhalb der Fenster in den Raum geführt. Beim Einströmen<br />
wird sie von der aufsteigenden Wärme der<br />
unter den Fenstern fest installierten, konventionellen<br />
Heizkörper vorgewärmt. Auf ihrem Weg durch<br />
den Klassenraum nimmt sie weiter Wärme auf (unter<br />
anderem auch die abgegebene Körperwärme der<br />
Schüler) und verlässt als verbrauchte Luft das Gebäude<br />
über einen Lüftungsschornstein auf dem<br />
Dach. Hierbei spielen vor allem die Betondecken<br />
mit ihrer hohen Speicherfähigkeit noch eine wichtige<br />
Rolle.<br />
Auffällig ist die Südfassade des zweigeschossigen<br />
Neubaus, die in der Lage ist, ihre Ansicht immer<br />
wieder zu verändern. Außerhalb der Unterrichtszeiten<br />
gibt sie sich in ihrer Länge und Geschlossenheit<br />
trotzig und wehrhaft und mag damit auch<br />
so manchen Langfinger von seiner Absicht fernhalten.<br />
Erst auf den zweiten Blick wird deutlich, dass<br />
die durchgängig mit Vierkanthölzern aus Lärche<br />
bekleidete Front sich in lauter bewegliche, geschosshohe<br />
und je nach Jahrgangshaus farbig<br />
gestrichene Stahlrahmen auflöst, die abhängig<br />
vom Wetter oder den Bedürfnissen der einzelnen<br />
Klassengruppen von innen gesteuert werden können.<br />
Während des Schulbetriebs sind die Elemente<br />
ständig in Bewegung. „Wie die Kiemen eines Fischs<br />
öffnen und schließen sie sich, um ein- und auszuatmen“,<br />
erklärt Klaus Roloff, verantwortlicher Partner<br />
von me di um Architekten. Aus der flächigen<br />
Fassade wird so ein Spiel mit der Dreidimensionalität.<br />
Dieses Prinzip zieht sich um das ganze Gebäude,<br />
wird aber je nach Himmelsrichtung offener<br />
oder geschlossener.<br />
Ressource Raum<br />
Nicht nur der Verzicht auf energiezehrende technische<br />
Lösungen macht die Arbeit von me di um<br />
Architekten aus, für Klaus Roloff ist auch nicht effektiv<br />
genutzter Raum eine Form der Verschwendung.<br />
So wird das Obergeschoss nur über zwei<br />
wetter geschützte Außentreppen erreicht, die<br />
gleich zeitig noch als Fluchtwege dienen. Die<br />
Erschließungs flure für die Klassenspangen sind<br />
auf die notwendige Verkehrsfläche reduziert, sodass<br />
entlang der Fensterfront noch helle Arbeitsplätze<br />
entstehen, die auf vielfältige Weise von<br />
Lehrenden und Lernenden genutzt werden können.<br />
Die fast schon „radikale Minimierung der Verkehrsflächen<br />
im Gebäude ermöglicht der Schule einen<br />
maximalen Gewinn an Gemeinschaftsflächen“, so<br />
das Konzept von me di um Architekten.
47<br />
Der Umstrukturierung mussten viele der im Laufe<br />
der Jahre immer wieder ergänzten Bauten verschiedener<br />
Architekten und Stile weichen, dennoch<br />
blieb Schützenswertes erhalten, das nach<br />
gründlicher Sanierung mit dem Neuen eine überzeugende<br />
Verbindung eingeht. Dazu gehören die<br />
stadtteilprägende Aula mit ihrer handwerklich<br />
hergestellten hölzernen Innenraumausstattung, die<br />
dahinterliegende Schülermensa, die von einer<br />
sehenswerten kleinen Kuppel aus Glasbausteinen<br />
überspannt wird, ebenso der kleine Solitär der Bibliothek<br />
im Innenhof und der ehemalige Verwaltungsbau<br />
mit dem Haupteingang. Zusammen mit<br />
dem Heranführen des Schulneubaus an die Straße<br />
entsteht jetzt ein baulich gefasster, offener Vorplatz,<br />
der den Haupteingang klar definiert und auf<br />
die Öffentlichkeit einladend wirkt – ein lang gehegter<br />
Wunsch der Schulleitung.<br />
Ein schönes Detail, das nicht unerwähnt bleiben<br />
darf, sind die Überreste von drei Pavillonbauten aus<br />
den 1960er-Jahren auf dem jetzt großzügigen<br />
Schulhof. Ihre Umfassungsmauern wurden bis auf<br />
Sitzhöhe heruntergebrochen. Sie dienen nicht nur<br />
der Erinnerung, sondern darüber hinaus noch als<br />
Regenwasserrückhaltebecken. Es sind die vielen,<br />
unspektakulären Eingriffe, die der jetzigen Niendorfer<br />
Gesamtschule so viel Gutes beschert haben.<br />
„Kiemenatmung“<br />
1 Revisionsöffnung<br />
2 Tragkonsole Stahl<br />
mit Thermostop<br />
3 Mineralwolle<br />
180 mm<br />
4 Rhombuslamelle<br />
33 x 27<br />
Abstand vertikal<br />
30 mm, sibirische<br />
Lärche<br />
5 Holz-Unterkonstruktion<br />
6 U-Profil,<br />
Weitere Pläne auf<br />
Seite 50 bis 52<br />
Aluminium<br />
8 Alu-Revisionsöffnung<br />
Motoren<br />
9 Holzelement mit<br />
drehbaren<br />
Lamellen, sibirische<br />
Lärche im<br />
Alu-Rahmen<br />
<strong>10</strong> Holz-Alu-Fenster<br />
11 Tragrohr aus<br />
Aluminium<br />
12 Rahmen Sonnenschutzelement<br />
13 Fensterbank<br />
14 StB-Brüstung<br />
Natürliche Belüftung<br />
11 80 2,64 29 80 2,64 28 69 22 5<br />
20 18 32<br />
20 18 32<br />
20 18 32<br />
53 5 5 2,<strong>10</strong> 4 5 1,53 5 4 2,<strong>10</strong> 5 5 1,63<br />
1<br />
2<br />
3<br />
4<br />
Revisionsöffnung 500 x 500<br />
Tragkonsole Stahl mit Thermos<br />
Mineralwolle 180 mm, mit Vlies<br />
Rhombuslamelle 33 x 27<br />
Abstand vertikal 30 mm, sibirisc<br />
5<br />
6<br />
5<br />
6<br />
Holz-Unterkonstruktion <strong>10</strong>0 x 5<br />
U-Profil 90 x 90 x 5, Aluminium<br />
Holz-Unterkonstruktion 70 x 70<br />
U-Profil, Aluminium<br />
7<br />
8<br />
2x L-Profil an Traglattung befes<br />
Alu-Revisionsöffnung Motoren,<br />
Paneelfüllung aus Holzlamellen<br />
Holzelement mit drehebaren La<br />
aus sibirischer Lärche, fc= 0,35<br />
Alu-Rahmen nach RAL, e=0,62<br />
9<br />
<strong>10</strong><br />
Holz-Alu Fenster<br />
Alu Deckschale nach RAL<br />
11<br />
9<br />
Tragrohr aus Aluminium, lackie<br />
Holzelement mit drehbaren Lam<br />
sibirischer Lärche<br />
12<br />
13<br />
Rahmen Sonnenschutzelemen<br />
Fensterbank, lackiert nach RAL<br />
2<br />
3<br />
14<br />
Tragkonsole Stahl mit Thermos<br />
Mineralwolle 180 mm, mit Vlies<br />
StB-Brüstung 200 mm<br />
5<br />
6<br />
5<br />
6<br />
Holz-Unterkonstruktion <strong>10</strong>0 x 5<br />
U-Profil 90 x 90 x 5, Aluminium<br />
Holz-Unterkonstruktion 70 x 70<br />
U-Profil, Aluminium<br />
7<br />
2x L-Profil an Traglattung befes<br />
8<br />
Alu-Revisionsöffnung Motoren,<br />
Paneelfüllung aus Holzlamellen<br />
Holzelement mit drehebaren La<br />
aus sibirischer Lärche, fc= 0,35<br />
Alu-Rahmen nach RAL, e=0,62<br />
9<br />
<strong>10</strong><br />
Holz-Alu Fenster<br />
Alu Deckschale nach RAL<br />
11<br />
9<br />
Tragrohr aus Aluminium, lackie<br />
Holzelement mit drehbaren Lam<br />
sibirischer Lärche<br />
12<br />
13<br />
Rahmen Sonnenschutzelemen<br />
Fensterbank, lackiert nach RAL<br />
5<br />
Holz-Unterkonstruktion <strong>10</strong>0 x 5<br />
4<br />
Rhombuslamelle 33 x 27<br />
Abstand vertikal 30 mm, sibirisc<br />
15<br />
Kleintierschutz<br />
7 L-Profil (2x),<br />
200 mm<br />
an Traglattung<br />
15 Kleintierschutz<br />
befestigt
ie Zukun<br />
Vergan<br />
54<br />
Aufsehenerregender neuer Mittelpunkt nahe dem Marktplatz. Das Grundmotiv der Weide, das Symbol<br />
für die Korbflechterei in der Stadt Lichtenfels, wurde in eine stählerne Skulptur verwandelt.
Ideen<br />
55<br />
ft der<br />
genheit<br />
Wie tief der Zukunft goldener<br />
Baum in der Vergangenheit<br />
wurzelt, ist an wenigen<br />
Orten so deutlich sichtbar wie<br />
am Marktplatz von Lichten -<br />
fels. Hängende, goldfarben<br />
beschichtete Stahläste überspannen<br />
einen auf raumhohe<br />
Glasfronten setzenden, dreistöckigen<br />
Pavillon mit Ausstellungs-,<br />
Veranstaltungs- und<br />
Büroräumen, den eine ortsansässige<br />
Spezialfirma für 3D-<br />
Druck-Technologien hier<br />
errichten ließ: das Archiv der<br />
Zukunft.<br />
Architekt:<br />
Peter Haimerl<br />
Interview:<br />
Claudia Teibler<br />
Fotos:<br />
Sebastian Kolm
56
Ideen<br />
57<br />
Der neue Anbau und die beiden „Weiden“ nehmen die Kubatur des Walmdachhauses auf,<br />
das zuvor an dieser Stelle lange leer stand und langsam verfiel.