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Nutzloses Glück<br />
von Carolin Emcke<br />
Kunst, Theater, Musik und Literatur bieten<br />
dringend notwendige Freiräume der Fantasie.<br />
Wer sie verzwecken will, demontiert<br />
sie.<br />
Es gab einmal eine Zeit, da war eine Blase nur<br />
eine Blase. Ein kugeliger Hohlraum, etwas, das<br />
beim Backen im Teig oder beim Wandern in zu<br />
engen Schuhen entstehen konnte. Blasen waren<br />
etwas, das mit Seifenschaum zu tun hatte, sie<br />
konnten im Licht farbig schimmern und<br />
zerplatzen. Sie waren lustig<br />
oder nervig, schmerzend oder<br />
bezaubernd, aber ganz sicher<br />
nichts, was gegen einen verwendet<br />
wurde. Das ist vorbei.<br />
Inzwischen sind Blasen<br />
Hohlräume, die nicht aufgehen,<br />
nicht schillern und auch<br />
nicht zerplatzen. Blasen sind<br />
mutmasslich<br />
geschlossene<br />
Kontexte und soziale Milieus,<br />
mit nichts gefüllt ausser dem Eigenen.<br />
Blasen gibt es nur noch verkoppelt mit<br />
Vorwürfen. „Aber bleibt das nicht wieder nur in<br />
der eigenen Blase?“, ist die allseits wiederholte<br />
Formel, die fragend daherkommt, aber nicht fragend<br />
gemeint ist. „Die eigene Blase“, das ist jetzt<br />
die Chiffre, mit der diskreditiert wird, was vorgeblich<br />
nicht ausreichend Wirkung bei Andersdenkenden<br />
erzielt.<br />
Besonders virulent ist dieser Blasen-Vorwurf als<br />
Abwertung in der Kultur. Auf einmal zählt nicht die<br />
ästhetische Erfahrung, es zählt nicht das, was ein<br />
Wenn Kunst<br />
mehrheitsfähig sein<br />
muss, um akzeptiert<br />
zu werden, ist sie<br />
erledigt.<br />
Werk erzählt, was es anrührt, aufweckt, auslöst.<br />
„Das ist doch nur für die eigene Blase“ - zack,<br />
und alle Bedeutung gelöscht. Eine witzige, einfallsreiche<br />
Inszenierung von Shakespeares „Sommernachtstraum“,<br />
eine investigativ aufwendig recherchierte<br />
Dokumentation über die historischen<br />
Verstrickungen deutscher Unternehmen in die<br />
Ausbeutung von Zwangsarbeitern, ein literarischer<br />
Text, der mit Formsprache etwas neu auseinandernimmt<br />
oder zusammenfügt, sollen irrelevant<br />
sein, weil sie nicht andere Menschen<br />
erreichen als diejenigen, die sie<br />
erreichen. Die Kultur soll nicht<br />
mehr allein jene Menschen berühren,<br />
die sich ihr aussetzen<br />
wollen, sondern sie soll diejenigen<br />
berühren, die sich ihr<br />
nicht aussetzen wollen.<br />
Konsens? Den kann es in der<br />
Kunst nicht geben<br />
Das ist zunächst einmal eine<br />
grandiose Respektlosigkeit dem Publikum<br />
gegenüber. Als seien diejenigen, die<br />
sich für Kultur interessieren, das falsche Publikum,<br />
schon allein deshalb, weil sie sich bereits interessieren.<br />
Als seien Positionen und Argumente,<br />
als seien Theater und Musik nur dann relevant,<br />
wenn sie auch konsensfähig in jeden sozialen,<br />
kulturellen, politischen Kontext hineinstrahlen.<br />
Das ist eine eigentümlich unscharfe Vorstellung<br />
einer pluralen, ausdifferenzierten Gesellschaft.<br />
Aber wenn Kunst mehrheitsfähig sein muss, um<br />
akzeptiert zu werden, ist sie erledigt. Wenn Kunst<br />
und Kultur permanent gedrängt werden, sich an-<br />
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