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Blickpunkt Musical 06-23 - Ausgabe 126 mit Saisonvorschau 2023-24

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<strong>Ausgabe</strong> <strong>126</strong> (<strong>06</strong>/20<strong>23</strong>)<br />

€ 7,00 (DE) • € 7,50 (EU)<br />

ISSN 1619-9421<br />

www.blickpunktmusical.de<br />

Abenteuerland<br />

Das <strong>Musical</strong> <strong>mit</strong> den Hits von »PUR«<br />

Der Medicus München<br />

Close-Up: The Twiggy <strong>Musical</strong> London<br />

DMA <strong>Musical</strong>preisverleihung Berlin<br />

Pferd frisst Hut Basel<br />

Rent Dortmund<br />

Rock Me Amadeus Wien


13.02.<strong>24</strong><br />

16.02.<strong>24</strong><br />

17.02.<strong>24</strong><br />

19.+20.02.<strong>24</strong><br />

21.02.<strong>24</strong><br />

<strong>23</strong>.02.<strong>24</strong><br />

<strong>24</strong>.+25.02.<strong>24</strong><br />

26.02.<strong>24</strong><br />

28.+29.02.<strong>24</strong><br />

01.03.<strong>24</strong><br />

02.03.<strong>24</strong><br />

FRANKFURT<br />

AUGSBURG<br />

MANNHEIM<br />

MÜNCHEN<br />

FÜSSEN<br />

DÜREN<br />

DUISBURG<br />

HAMBURG<br />

HANNOVER<br />

BREMEN<br />

LINGEN<br />

03.03.<strong>24</strong><br />

04.03.<strong>24</strong><br />

<strong>06</strong>.03.<strong>24</strong><br />

08.03.<strong>24</strong><br />

10.03.<strong>24</strong><br />

11.03.<strong>24</strong><br />

<strong>23</strong>.03.<strong>24</strong><br />

<strong>24</strong>.03.<strong>24</strong><br />

25.03.<strong>24</strong><br />

26.03.<strong>24</strong><br />

28.+30.03.<strong>24</strong><br />

WETZLAR<br />

LEIPZIG<br />

NÜRNBERG<br />

KIEL<br />

BIELEFELD<br />

BERLIN<br />

BOCHUM<br />

SAARBRÜCKEN<br />

STUTTGART<br />

HEILBRONN<br />

WIEN<br />

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Tickets:


Galt MacDermot<br />

HAIR<br />

THE AMERICAN TRIBAL<br />

LOVE-ROCK MUSICAL<br />

bis 2. 1. 20<strong>24</strong> / Landestheater<br />

Nacio Herb Brown<br />

SINGIN’ IN<br />

THE RAIN<br />

Ab 2. 12. 20<strong>23</strong> / Landestheater<br />

Richard Rodgers / Oscar Hammerstein II<br />

Jeff Lynne und John Farrar<br />

Ab 5. 1. 20<strong>24</strong> / Landestheater<br />

Ab 1. 6. 20<strong>24</strong> / Eisarena Salzburg<br />

TICKETS: Salzburger Landestheater / +43 (0)662 / 87 15 12 - 222 / www.salzburger-landestheater.at


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Generalintendant<br />

Alfons Haider<br />

MARK<br />

SeIbErt<br />

als Professor Higgins<br />

DAS MUSICAL<br />

11. Juli bis 17. August 20<strong>24</strong><br />

Nach GEORGE BERNARD SHAWS „Pygmalion“ I Musik von FREDERICK LOEWE


Inhalt<br />

Inhalt<br />

<strong>Ausgabe</strong> <strong>126</strong>, Nr. <strong>06</strong>/20<strong>23</strong><br />

... kurz vorweg<br />

Topthema<br />

27<br />

Liebe Leserinnen und Leser,<br />

liebe Abonnentinnen und Abonnenten,<br />

vor uns liegt die Weihnachtzeit, landauf<br />

und landab begeistern nun <strong>Musical</strong>darsteller<br />

<strong>mit</strong> ihren Weihnachtsprogrammen,<br />

zum Teil schon gut erprobt,<br />

da sie alle Jahre wieder gespielt und<br />

gesungen werden – teilweise aber<br />

auch <strong>mit</strong> ganz neuen Ideen, die sehr<br />

verheißungsvoll klingen. Wir hoffen,<br />

dass Sie Teil des einen oder anderen<br />

wunderbaren Abends sein werden<br />

und hierdurch noch mehr von dem<br />

Charme dieser Jahreszeit aufsaugen<br />

können.<br />

Vielleicht haben Sie ja auch das eine<br />

oder andere <strong>Musical</strong>erlebnis, Ihre<br />

Traumbesetzung oder ein besonderes<br />

Stück auf Ihrem Wunschzettel. Wir<br />

drücken auf jeden Fall die Daumen,<br />

dass aus den Wünschen Wirklichkeit<br />

wird und <strong>mit</strong> dem Jahreswechsel nicht<br />

nur ein neues Jahr, sondern auch 366<br />

neue Möglichkeiten warten, um für<br />

Sie zu einmaligen Erlebnissen und lebenslangen<br />

Erinnerungen zu werden.<br />

Da<strong>mit</strong> dieses passiert, steht auf unserem<br />

Wunschzettel, dass wir Ihnen und<br />

Ihrer Familie Gesundheit wünschen,<br />

denn diese ist die Basis für alles, was<br />

unser Leben ausmacht.<br />

Im Namen der gesamten Redaktion<br />

und all der Helferlein im Hintergrund<br />

wünsche ich Ihnen ein wunderschönes,<br />

besinnliches Weihnachtsfest und<br />

einen guten Rutsch in ein gesundes,<br />

glückliches neues Jahr voller <strong>Musical</strong>momente.<br />

Herzliche Grüße,<br />

Sabine Haydn<br />

Chefredaktion der blickpunkt musical<br />

6 UA Abenteuerland Capitol Theater Düsseldorf<br />

<strong>Musical</strong>s in Deutschland<br />

22 UA A Tale of Two Cities Theater Hof<br />

40 Der Mann, der Sherlock Holmes war Theater Bielefeld<br />

36 DSE Der Medicus Deutsches Theater München<br />

34 Heiße Ecke – Geburtstagsshow<br />

Schmidts Tivoli Hamburg<br />

16 DSE Jason und die Argonauten Atze Musiktheater Berlin<br />

20 Marlene Renaissance-Theater Berlin<br />

14 Rent Oper Dortmund<br />

10 UA Schäl Sick Story Scala Theater Köln<br />

26 UA Showtime! Konzertaula Kamen<br />

27 UA SIXties Girls Capitol Theater Düsseldorf<br />

31 The Producers Musikalische Komödie Leipzig<br />

39 Titanic Freies <strong>Musical</strong>-Ensemble Münster<br />

42 Neues aus der <strong>Musical</strong>welt<br />

<strong>Musical</strong>s in Österreich<br />

54 I Love You, You're Perfect, Now Change<br />

Freie Bühne Wieden<br />

55 SL Jenseits der Masken Vindobona Wien<br />

48 UA Lizzy Carbon und der Klub der Verlierer<br />

Theater der Jugend Wien<br />

52 UA Pauline – Mut verändert die Welt Stadthalle Wien<br />

44 UA Rock Me Amadeus – Das Falco <strong>Musical</strong><br />

Ronacher Wien<br />

51 tick, tick... BOOM! Volksoper Wien<br />

<strong>Musical</strong>s in Europa<br />

56 UA Pferd frisst Hut Theater Basel<br />

59 CHEA tick, tick... BOOM! Theater am Hechtplatz Zürich<br />

<strong>Musical</strong>s in Großbritannien<br />

84 UA Close-Up: The Twiggy <strong>Musical</strong><br />

Menier Chocolate Factory London<br />

80 Guys and Dolls Bridge Theater London<br />

86 UA The Time Traveler's Wife Apollo Theatre London<br />

<strong>Musical</strong>s in den USA<br />

79 UA Gutenberg! The <strong>Musical</strong><br />

James Earl Jones Theater New York<br />

76 UA Here We Are The Shed's Griffin Theatre New York<br />

Einblick<br />

74 Patricia Meeden zu »Wish«, Disney Film<br />

66 Moira Ross & David Tench über<br />

»Hannah Waddingham: Home for Christmas«, Apple TV<br />

Konzerte & Entertainment<br />

62 Ein Abend für Caspar Richter Vindobona Wien<br />

64 Hannah Waddingham: Home for Christmas Apple TV<br />

81 Stephen Sondheims Old Friends<br />

Gielgud Theatre London<br />

Filme & Serien<br />

70 Girl You Know It's True im Kino<br />

68 Trolls 3 Kino Universal Pictures<br />

72 Wish Disney im Kino<br />

Rubriken<br />

69 In Memoriam: Stefan Huber<br />

60 Einspielungen<br />

82 Impressum & Ausblick<br />

87 Abonnenten-Infos<br />

Abb. von oben:<br />

1. »SIXties Girls« Düsseldorf<br />

Foto: Ray Entertainment / Jost Salzmann<br />

2. »Guys and Dolls« London<br />

Foto: Matthew Murphy<br />

3. »Rock Me Amadeus – Das Falco <strong>Musical</strong>« Wien<br />

Foto: VBW / Deen van Meer<br />

4. »Girl You Know It´s True« Kino<br />

Foto: Gordon Timpen / LEONINE Studios / Wiedemann & Berg Film<br />

Titelfoto:<br />

»Abenteuerland« Düsseldorf, Hannes Staffler (Robert) li.,<br />

Carolin Soyka (Petra) re.<br />

Foto: Jochen Quast<br />

80<br />

44<br />

70<br />

blickpunkt musical <strong>06</strong>/20<strong>23</strong><br />

5


Topthema<br />

Abenteuerleben <strong>mit</strong> der Familie von Nebenan<br />

Uraufführung von »Abenteuerland« – Das <strong>Musical</strong> <strong>mit</strong> den Hits von »PUR«<br />

Abb. oben:<br />

Zu Gast in der Wohnküche von Familie<br />

Schirmer – (v.l.): Anna (Mascha Volmershausen),<br />

Oma Lena (Bärbel Röhl),<br />

Alex (Johann Zumbült), Petra (Carolin<br />

Soyka), Robert (Hannes Staffler)<br />

Abb. unten:<br />

Anna (Mascha Volmershausen) ›Allein<br />

vor dem Spiegel‹<br />

Fotos (2): Jochen Quast<br />

Seit dem 22. Oktober 20<strong>23</strong> hat Deutschland ein<br />

neues Compilation-<strong>Musical</strong>, diesmal <strong>mit</strong> 30 Songs<br />

der Band »PUR«. Als Schülerband »Crusade« 1975 von<br />

Ingo Reindl und Roland Bless gegründet, stößt ein<br />

Jahr später der 15-jährige Hartmut Engler als Sänger<br />

dazu, und bis 1980 wächst die Band <strong>mit</strong> Jo Crawford<br />

und Rudi Buttas weiter. Mit deutschen Songtexten aus<br />

der Feder von Hartmut Engler über Zwischenmenschliches<br />

nennt sich die Band nun »Opus« und produziert<br />

selbstfinanziert zwei Alben. Da ihnen eine andere<br />

österreichische Gruppe gleichen Namens <strong>mit</strong> dem Hit<br />

›Live Is Life‹ dazwischenfunkt, nennen sie sich fortan<br />

»PUR«. 1986 gewinnt »PUR« den Bundesrock-Wettbewerb<br />

gegen 3.000 weitere Teilnehmer, sie bekommen<br />

den ersten Plattenvertrag und landen 1990 <strong>mit</strong> dem<br />

Song ›Lena‹ ihren ersten Nummer-Eins-Hit in den<br />

Single-Charts. Das Album »Abenteuerland« verkauft<br />

sich 1995 zwei Millionen Mal und »PUR« wird die<br />

erfolgreichste deutsche Pop-Band. Am <strong>24</strong>. September<br />

2022 feierte »PUR« ihr 40. Band-Jubiläum und kann<br />

auf zahlreiche Auszeichnungen <strong>mit</strong> mehr als 20 Platin-<br />

Alben zurückblicken.<br />

Die Idee, aus diesem Schatz deutscher Pop-Kultur<br />

ein <strong>Musical</strong> zu machen, hatte Produzent Martin Flohr<br />

bereits im Jahr 2013, als er praktisch nur <strong>mit</strong> der Musik<br />

von »PUR« im Gepäck den Jakobsweg ging. Die tiefgründigen<br />

Texte der Band sah er bereits damals als<br />

Grundlage einer Familiengeschichte über drei Generationen<br />

<strong>mit</strong>ten aus dem Leben. 2018 unterbreitete Martin<br />

Flohr dem Management von »PUR« einen ersten<br />

Entwurf, und Martin Engler faszinierte die Idee eines<br />

<strong>Musical</strong>s, es sollte aber auf jeden Fall Tiefgang haben.<br />

Die Trigger-Warnung im Theater, dass das <strong>Musical</strong><br />

Szenen enthält, die einen Selbstmord thematisieren,<br />

und auch ungewollte Schwangerschaften Handlungsschwerpunkt<br />

sind, stimmen auf einen Theaterabend<br />

ein, der neben einer Menge Situationskomik auch<br />

wirklich ernste Aspekte aufgreift. Das fertige Produkt<br />

»Abenteuerland« präsentieren »PUR« und BB Promotion<br />

ab Ende Oktober 20<strong>23</strong> im von der Ambassador<br />

Theatre Group übernommenen Capitol Theater in<br />

Düsseldorf, dessen letzte En-Suite-Produktion <strong>mit</strong><br />

»Shrek« bereits 9 Jahre zurückliegt.<br />

Als Compilation-<strong>Musical</strong> muss sich »Abenteuerland«<br />

nun eingliedern neben <strong>Musical</strong>s wie »Mamma<br />

Mia!«, bei dem jeder Song so perfekt in die Handlung<br />

eingebunden ist, als sei er exklusiv für das <strong>Musical</strong> von<br />

»Abba« neu geschrieben worden, oder meinem persönlichen<br />

Negativ-Beispiel für Juke-Box-<strong>Musical</strong>s »We<br />

Will Rock You«, bei dem die grandiosen Welthits von<br />

»Queen« <strong>mit</strong> Gewalt in eine abstruse Handlung hineingepresst<br />

wurden, bei der Sänger singen, dass ihnen<br />

das Singen verboten ist. Vergleiche zu Biopic-<strong>Musical</strong>s<br />

wie »TINA – Das Tina Turner <strong>Musical</strong>« oder »On<br />

Your Feet!« muss man nicht ziehen, da das <strong>Musical</strong><br />

<strong>mit</strong> den Hits von »PUR« eine rein fiktive Handlung<br />

erzählt und nicht die Lebensgeschichte eines Showstars<br />

thematisiert.<br />

Bei Familie Schirmer ist immer etwas los. Vater<br />

Robert arbeitet viel, um seiner Familie einen hohen<br />

Lebensstandard bieten zu können, fährt in seiner Freizeit<br />

viel Fahrrad und vergisst dabei auch schon mal den<br />

Geburtstag seiner Frau Petra, der 20 Jahre »Makiha«<br />

(Mann, Kinder, Haushalt) nicht mehr genug sind<br />

und die sich <strong>mit</strong> Freundin Beate eine Auszeit nimmt<br />

und beim Tanzen auch einem Flirt nicht abgeneigt<br />

ist. Oma Lena fühlt sich als Witwe einsam, geht im<br />

Internet bei Dating-Portalen auf Rentnerfang und<br />

meint, in Fußballfan Karl eine gute Partie gefunden<br />

zu haben. Abiturient und Mädchenschwarm Alex, der<br />

gerade eine neue Beziehung <strong>mit</strong> der streng erzogenen<br />

Amira beginnt, träumt <strong>mit</strong> seinem besten Freund Tom<br />

6<br />

blickpunkt musical <strong>06</strong>/20<strong>23</strong>


Topthema<br />

von einer Karriere als Popstar und meldet seine Band<br />

bei einem Wettbewerb an, ohne dass Texter Tom einen<br />

fertigen Song auf Lager hat. Alex´ jüngere Schwester<br />

Anna hat es schwer in der Schule, da sie als Außenseiterin<br />

gehänselt wird. Heimlich ist sie in Tom verliebt und<br />

schreibt ihm ein Liebesgedicht, das sie in seine Tasche<br />

steckt, wo es Alex findet und fälschlicherweise für<br />

Toms neuen Songtext für das Lied hält, das seine Band<br />

beim Wettbewerb anschließend präsentiert. Für Anna,<br />

die bei Tom abgeblitzt ist, weil Tom heimlich in Alex<br />

verknallt ist, bricht eine Welt zusammen, zumal auch<br />

niemand ihr Talent beim Verfassen des Gewinnersongs<br />

erkennt. Dann trifft Anna einen folgenschweren<br />

Entschluss, der die ganze Familie auf eine harte Probe<br />

stellt …<br />

Nachdem sich die vier quadratischen Projektions-<br />

Elemente <strong>mit</strong> dem Heißluftballon des »PUR«-Plattencovers<br />

zu »Abenteuerland« bei der besuchten Vorstellung<br />

am 3. November 20<strong>23</strong> geöffnet haben, startet die<br />

Show etwas mystisch <strong>mit</strong> Erzähler Mr X (Kim-David<br />

Hammann), der die Hauptpersonen in 6 leuchtenden<br />

Spiegelrahmen im namensgebenden Titelsong<br />

vorstellt. Mr X ist eine vielschichtige Figur, die einige<br />

schicksalsbestimmende Rollen im Stück übernimmt und<br />

u. a. Lehrer, Wettbewerbs-Moderator oder heimlicher<br />

Verehrer ist. Die Bühne von Stephan Prattes verwandelt<br />

sich in eine gemütliche Wohnküche der Familie<br />

Schirmer. Alle folgenden Szenenwechsel werden dank<br />

Drehbühne sehr harmonisch und fließend umgesetzt<br />

und zeigen <strong>mit</strong> unglaublich plastischen und extrem<br />

hell leuchtenden Video-Projektionen von Leo Flint im<br />

stimmigen Licht-Design von Ben Cracknell die unterschiedlichsten<br />

Spielorte inklusive eines Bahnhofs, bei<br />

dem auf den seitlichen Wänden des Saales neben den<br />

Zuschauern Züge einfahren, Schatten von Zuschauern<br />

der Band zujubeln oder im Finale des ersten Aktes zum<br />

Song ›Drachen sollen fliegen‹ diese Kinderspielzeuge<br />

kunterbunt über die Wände flattern. Dies zieht die<br />

echten Zuschauer im Theatersaal in die Handlung<br />

hinein und wirkt plastisch und beinahe real.<br />

Wir lernen <strong>mit</strong> Carolin Soyka eine starke und<br />

aufopferungsvolle Mutter Petra kennen, die ihren<br />

Geburtstag <strong>mit</strong> ›Ein graues Haar‹ als Wendepunkt sieht<br />

und <strong>mit</strong> der immer quirligen und bestens aufgelegten<br />

Jana Stelley als Freundin Beate nicht mehr Ehemann<br />

und beinahe erwachsene Kinder in ihren Lebens<strong>mit</strong>telpunkt<br />

stellen will, sondern nach abgebrochenem<br />

Studium mal wieder etwas für sich selbst tun möchte<br />

(›Endlich ich‹). Hannes Staffler spielt ihren Businessbezogenen<br />

Ehemann Robert, der <strong>mit</strong>ten in der Midlife-<br />

Crisis steckt und, ohne es wirklich zu bemerken, seine<br />

Familie emotional vernachlässigt, obwohl er in seinen<br />

Augen natürlich alles in seiner Macht Stehende tut, um<br />

als Alpha-Männchen erfolgreich zu sein. Sein erstgeborener<br />

Sohn Alex (Johann Zumbült) ist ganz Papas<br />

Ebenbild und als Band-Sänger nicht nur ›Herzbeben‹-<br />

Mädchenschwarm in seiner Abiturklasse, sondern auch<br />

noch heimliche Liebe seines besten Freundes Tom<br />

(klischeefrei gespielt von Christian Bock). Alex´ neuer<br />

›Verboten schön‹-Schwarm Amira (Elvin Karakurt)<br />

Abenteuerland – Das <strong>Musical</strong><br />

<strong>mit</strong> den Hits von »PUR«<br />

Hartmut Engler / Ingo Reindl /<br />

Martin Flohr<br />

BB Promotion<br />

Capitol Theater Düsseldorf<br />

Uraufführung: 22. Oktober 20<strong>23</strong><br />

Regie ...................... Dominik Flaschka<br />

Musikalische Leitung .... Jeff Frohner &<br />

Dan Tomkinson<br />

<strong>Musical</strong> Supervision &<br />

Arrangements ...........Richard Morris &<br />

Gary Hickeson<br />

Choreographie ............. Jonathan Huor<br />

Bühnenbild ................. Stephan Prattes<br />

Kostüme ............................. Irina Hofer<br />

Lichtdesign ................... Ben Cracknell<br />

Videodesign .......................... Leo Flint<br />

Anna .............. Mascha Volmershausen<br />

Alex ........................... Johann Zumbült<br />

Amira ............................ Elvin Karakurt<br />

Tom ........................... Christian Bock /<br />

Lukas Baeskow<br />

Petra ............................. Carolin Soyka<br />

Robert ......................... Hannes Staffler<br />

Beate ................................ Jana Stelley<br />

Oma Lena ...................... Bärbel Röhl /<br />

Regina Venus<br />

Karl .................................. Harrie Poels<br />

Mr X ................ Kim-David Hammann<br />

Vanessa ................... Pauline Schubert<br />

Walk-in Cover Karl.................................<br />

Frank Bahrenberg<br />

In weiteren Rollen:<br />

Clarissa Gundlach, Matthias Graf,<br />

Lea Marie Hansche, Florian Karnatz,<br />

Jessica Kessler, Nadine Lauterbach,<br />

Pascal Pfeiler, Lena-Sophie Pudenz,<br />

Anja Quinter, Julia Waldmayer (Dance<br />

Captain), Marcel Walther,<br />

Jakob Wirnsberger, Andreas Wolfram<br />

Abb. von links oben:<br />

1. Tom (Lukas Baeskow, i.d.bes.Vorst.<br />

Christian Bock) wäre gerne mehr für<br />

Alex (Johann Zumbült)<br />

2. Zarte Liebe zwischen Alex<br />

(Johann Zumbült, r.) und Amira (Elvin<br />

Karakurt, r.) über den Dächern<br />

3. Quatsch im Kassenzimmer – Amira<br />

(Elvin Karakurt, 2.v.l.), Alex (Johann<br />

Zumbült, Mitte) und Klassenkameraden<br />

(Ensemble)<br />

4. Weil der Ehemann den Geburtstag<br />

der eigenen Frau vergisst, feiert<br />

Mutter Petra (Carolin Soyka, r.) eben<br />

feucht-fröhlich <strong>mit</strong> der besten<br />

Freundin Beate (Jana Stelley, l.)<br />

Fotos (4): Jochen Quast<br />

blickpunkt musical <strong>06</strong>/20<strong>23</strong><br />

7


Topthema<br />

Abb. unten von oben links:<br />

1. Happy End für die ältere Generation:<br />

Oma Lena (Bärbel Röhl) <strong>mit</strong> Freund<br />

Karl (Harrie Poels, i.d.bes.Vorst. Frank<br />

Bahrenberg) auf dem Motorrad<br />

2. ›Drachen sollen fliegen‹ – Ensemble<br />

3. Alex´ (Johann Zumbült, Mitte) Band<br />

»Opus« (Ensemble) beim Wettbewerb<br />

4. Mr X (Kim-David Hammann,<br />

Mitte) stellt im mystischen Intro<br />

die Hauptpersonen (Ensemble) der<br />

Geschichte vor<br />

Fotos (4): Jochen Quast<br />

hat strenge Eltern, die Sex vor der Ehe prinzipiell nicht<br />

dulden – eine echte ›Prinzessin‹ <strong>mit</strong> potenziellem Migrationshintergrund.<br />

Mascha Volmershausen spielt das<br />

›Allein vor dem Spiegel‹-Nesthäkchen und gleichzeitig<br />

16-jährige Pubertäts-Problemkind Anna eindringlich<br />

überzeugend. Die eigentlichen Sympathieträger der<br />

Show sind jedoch unangefochten Bärbel Röhl als fitte<br />

und Internet-erprobte Oma ›Lena‹ <strong>mit</strong> ihrem neuen<br />

›Wenn sie diesen Tango hört‹-Verehrer Frank Bahrenberg<br />

als 11-Freunde-Fan Karl. Im weiteren Ensemble<br />

beleben die Bühne Pauline Schubert, Nadine Lauterbach,<br />

Florian Karnatz, Jessica Kessler, Pascal Pfeiler,<br />

Lena-Sophie Pudenz, Anja Quinter, Marcel Walther,<br />

Julia Waldmayer und Jakob Wirnsperger, die in der<br />

szenengerechten Choreographie von Jonathan Huor<br />

auch Körpereinsatz zeigen dürfen.<br />

Die »PUR«-Songs, <strong>mit</strong> ordentlichem Wumms live<br />

von einer 6-köpfigen unsichtbaren Band unter der<br />

musikalischen Leitung von Jeff Frohner gespielt, erzählen<br />

die Geschichte tatsächlich <strong>mit</strong> den originalen Songtexten,<br />

die hartgesottene »PUR«-Fans im Publikum<br />

während der Show auch mal wie in einem Live-Konzert<br />

<strong>mit</strong>singen. Dabei sind die Hits entweder als kompletter<br />

Song oder auch oft durchbrochen <strong>mit</strong> Dialogpassagen<br />

zu hören, ohne dabei als Fremdkörper in der<br />

Handlung zu wirken. Und für die Lieder, die partout<br />

nicht in die Handlung passen wollen, gibt es noch<br />

die Albtraum-Sequenz ›Seiltänzertraum‹ zu Beginn<br />

des zweiten Aktes sowie die Band-Auftritte von Alex<br />

& Co., deren Bandname sich an der Entstehungsgeschichte<br />

von »PUR« orientiert, wobei »PUR« im Stück<br />

für die eingeritzten Initialen von P(etra)U(nd)R(obert)<br />

auf der Parkbank steht. Und da<strong>mit</strong> die Fans der Band<br />

auch ›Funkelperlenaugen‹ bekommen, krönt den<br />

Abend das Finale der Show <strong>mit</strong> einem »PUR«-Mega-<br />

Mix als Zugabe.<br />

Vielleicht hinkt der <strong>Musical</strong>-Vergleich etwas, aber<br />

was »Ich war noch niemals in New York« für Udo-<br />

Jürgens-Fans ist, kann »Abenteuerland« für »PUR«-<br />

Anhänger werden, denn beide Stücke transportieren<br />

bekannte Hits in einen völlig neuen Handlungskontext,<br />

ohne dabei zu sehr konstruiert zu wirken, und<br />

das funktioniert dank guter Regiearbeit von Dominik<br />

Flaschka beim »PUR«-<strong>Musical</strong> sogar noch etwas besser<br />

als auf dem Ozeantrip der drei Generationen der Udo-<br />

Jürgens-Show, wobei beide Compilation-<strong>Musical</strong>s bei<br />

näherer Betrachtung einige Parallelen aufweisen. Wer<br />

hingegen bisher wenig <strong>mit</strong> der Musik von »PUR« in<br />

Berührung kam, erlebt trotzdem einen Abend perfekt<br />

inszenierter Unterhaltung <strong>mit</strong> einer Familie von<br />

Nebenan.<br />

Stephan Drewianka<br />

8<br />

blickpunkt musical <strong>06</strong>/20<strong>23</strong>


Jetzt<br />

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Produktionssponsor<br />

In Zusammenarbeit <strong>mit</strong> der Falco Privatstiftung<br />

CAMERON MACKINTOSHS<br />

SPEKTAKULÄRE NEUPRODUKTION<br />

VON<br />

ANDREW LLOYD WEBBERS<br />

PREMIERE MÄRZ 20<strong>24</strong><br />

Produktionssponsor<br />

#WeAre<strong>Musical</strong><br />

WWW.MUSICALVIENNA.AT


<strong>Musical</strong>s in Deutschland<br />

Pointenreiches Spektakel <strong>mit</strong> Botschaft<br />

Uraufführung der »Schäl Sick Story« im Scala Theater Köln<br />

Abb. oben:<br />

›Karneval‹ – Zum Kostümball im<br />

Gürzenich schmeißen sich alle<br />

mächtig in Schale (Ensemble)<br />

Foto: Léon M. Gruß<br />

Schäl Sick Story<br />

Diverse / Udo Müller / Ralf Borgartz<br />

Scala Theater Köln<br />

Uraufführung: 14. September 20<strong>23</strong><br />

Regie ............................. Ralf Borgartz<br />

Musikalische Leitung ...........................<br />

Christian Wilke<br />

Choreographie ............. Svenja Schulte<br />

Bühnenbild ................... Tom Grasshof<br />

Kostüme ......................... Sergio Abajur<br />

Lichtdesign .................. Jonas Ander &<br />

Oliver Schell<br />

Ton................................ Ben Streibig &<br />

Markus Hausmann<br />

Kölsch Coaching ..................................<br />

Inge von der Lohe & Rudi Meier<br />

Tünnes Stippefott ..... Arne Hoffmann /<br />

Maximilian Wieler<br />

Marie Kappes ............... Kirstin Hesse /<br />

Maxi Dörner<br />

Willi Kallendresser / Jupp Kappes ........<br />

Ralf Borgartz / Oliver Nell<br />

Bätes Botteram / Marizebill Kappes .....<br />

Sophie Russel / Barbara Nöske<br />

Jeyn-Baptist vun Memmestipp /<br />

Mandy Stöpsel ......................................<br />

Barbara Nöske / Vera Passý<br />

Johnny Turetti / Jacko Pütz ...................<br />

Beka Bediana / Maximilian Wieler<br />

Stellen Sie sich einmal folgendes Showkonstrukt<br />

vor: ein kunterbunt-schrilles, zugegebenermaßen<br />

zuweilen recht derbes Gag-Spektakel, aberwitzig,<br />

pointenreich, von Zeit zu Zeit wider Erwarten tiefgründig,<br />

dazu ein clever konstruierter Plot, schrullig<br />

liebenswerte Charaktere, schwungvolle Tanzeinlagen,<br />

Gesang auf Profiniveau und jede Menge kölsche<br />

Tön(e) …<br />

Können Sie es sehen? Na dann: Herzlich willkommen<br />

im Scala Theater! Seit 20 Jahren schon begeistert<br />

das am Kölner Hohenzollernring beheimatete »Lustspielhaus«<br />

seine stetig wachsende Fangemeinde aus nah<br />

und fern.<br />

Kein Wunder also, dass ein Großteil der Vorstellungen<br />

bis Jahresende bereits vor Premiere des neuen<br />

Stücks »Schäl Sick Story« restlos ausverkauft ist. Die<br />

hier gezahlten Vorschusslorbeeren sind tatsächlich<br />

nicht umsonst investiert, denn auch <strong>mit</strong> seiner nunmehr<br />

zwanzigsten Eigenproduktion – davon das achte<br />

Stück aus der Feder von Ralf Borgartz – gelingt dem<br />

kleinen Theater wieder der ganz große Wurf.<br />

Sicherlich lässt der Stücktitel, der übrigens einer<br />

Idee des früheren, vor einigen Jahren verstorbenen<br />

Theaterchefs Walter Bockmayer zu verdanken ist,<br />

vermuten, wohin die inhaltliche Reise geht. Wer<br />

allerdings eine kölsche Adaption der »West Side Story«<br />

erwartet, liegt größtenteils falsch, auch wenn sich<br />

Autor und Regisseur Ralf Borgartz bei der tragischen<br />

Liebesgeschichte um Tünnes (Arne Hoffmann) und<br />

Marie (Kirstin Hesse) sowohl vom Leonard-Bernstein-<strong>Musical</strong><br />

selbst als auch von dessen klassischer<br />

Vorlage »Romeo und Julia« inspirieren ließ. Vollkommen<br />

neu und raffiniert erdacht sind allerdings die<br />

Umstände, die sich der Liebe der beiden Hauptprotagonisten<br />

entgegenstellen: Denn Tünnes lebt nicht<br />

nur auf der geächteten »Schäl Sick« (scheelen/falschen<br />

[Rhein-]seite) Kölns, er ist auch noch ein Heinzelmännchen!<br />

Zwischen den kleinen, aus einer alten<br />

Kölner Volkssage bekannten Hausgeistern und den<br />

Menschen auf der »Schick Sick« (schicken/richtigen<br />

[Rhein-]seite) herrscht nämlich eine langjährige Feindschaft,<br />

die schlussendlich zur Vertreibung der Heinzelmännchen<br />

auf die andere Rheinseite geführt hat.<br />

Seitdem steht ein mehr oder weniger streng bewachter<br />

»Checkpoint Heinzel« auf der einzigen Verbindungsbrücke<br />

Tünnes’ ganz großem Traum entgegen,<br />

einmal auf der »Schick Sick« nackt über den Neumarkt<br />

zu gehen. Als er sich dennoch eines Abends in einem<br />

unbewachten Moment auf die andere Seite wagt, verliebt<br />

er sich dort auf einem Kostümball Hals über Kopf<br />

in seine Karnevalsprinzessin Marie. Die ist jedoch<br />

nicht nur die Tochter von Kölns berühmtesten Erbsenfabrikanten<br />

(und Heinzelmännchen haben einer alten<br />

Kölner Volkssage nach ganz schlechte Erfahrungen <strong>mit</strong><br />

Erbsen gemacht), sondern auch – zumindest, wenn es<br />

nach ihren Eltern geht – bereits dem »Kosmoproleten«<br />

Jacko Pütz (Beka Bediana) versprochen. Marie jedoch<br />

widersetzt sich dem Willen ihres Vaters Jupp Kappes<br />

(Ralf Borgartz) und ihrer Mutter Marizebill Kappes<br />

(Sophie Russel) und heiratet stattdessen Tünnes. Nur<br />

Nachbarin Mandy Stöpsel (Barbara Nöske) zeigt Verständnis<br />

für das junge Paar, doch auch sie kann nicht<br />

10<br />

blickpunkt musical <strong>06</strong>/20<strong>23</strong>


<strong>Musical</strong>s in Deutschland<br />

verhindern, dass die beiden Liebenden ins Düsseldorfer<br />

Exil verbannt werden. Da sie dort nicht leben wollen,<br />

es aufgrund der langjährigen Feindschaft zwischen<br />

den »Schäl Sickern« und »Schick Sickern« aber auch<br />

keine gemeinsame Zukunft in ihrem geliebten Köln<br />

zu geben scheint, sehen Tünnes und Marie am Ende<br />

nur noch einen Ausweg und machen sich auf den Weg<br />

zu den Zuggleisen, um im Tode auf ewig vereint zu<br />

sein …<br />

Bei aller vermeintlich gebotenen Dramatik (das<br />

Ende wird nicht verraten) ist die »Schäl Sick Story«<br />

natürlich in erster Linie wieder eine für das Scala<br />

Theater typische, laute Chaos-Komödie <strong>mit</strong> ganz viel<br />

Herz und noch mehr Musik. Jedoch – und das ist<br />

neu – gibt es diesmal auch einige leise Zwischentöne,<br />

die zum Nachdenken anregen. Das Scala Theater ist im<br />

Laufe der letzten zwanzig Jahre erwachsener geworden<br />

und es hat – bei allem Klamauk – auch etwas zu sagen.<br />

Nicht nur deshalb bezeichnet Autor Ralf Borgartz die<br />

»Schäl Sick Story« als sein bisher persönlichstes Stück,<br />

verarbeitet er hier doch eigene Erfahrungen der Ausgrenzung,<br />

Ablehnung und was es heißt, den falschen<br />

Menschen zu lieben. Stärker als in den vergangenen<br />

Stücken setzt das Scala Theater ein deutliches Zeichen<br />

gegen Vorurteile, Ignoranz und Feindschaft und stellt<br />

dem in leider zu vielen Köpfen verankerten Schwarz-<br />

Weiß-Denken eine kunterbunte Vielfalt entgegen.<br />

Dies spiegelt sich sowohl in den wunderschönen<br />

und fantasievollen Kostümen von Sergio Abajur wider<br />

als auch in der Liedauswahl, die dieses Mal so ziemlich<br />

alle Musikrichtungen abgreift. Egal ob Schlager,<br />

Hip-Hop, Pop-Balladen, Mambo, Rap oder einfach<br />

Schunkelmusik: Für so ziemlich jeden Musikgeschmack<br />

ist etwas passendes dabei. Gekonnt abgemischt und<br />

bisweilen neu arrangiert wird nicht zuletzt dank des<br />

musikalischen Leiters Christian Wilke aus dem musikalischen<br />

Tohuwabohu – manchmal <strong>mit</strong> bis zu drei<br />

verschiedenen Musikstilen in einem Medley – ein toll<br />

klingendes und völlig schlüssiges Gesamtkunstwerk.<br />

Besonders sei dabei erwähnt, dass <strong>mit</strong> ›Ihrefeld‹ (statt<br />

›America‹) und ›Marieche‹ (im Original ›Maria‹) sogar<br />

zwei Titel aus der »West Side Story« ihren Weg in die<br />

»Schäl Sick Story« gefunden haben und auch in der<br />

kölschen Übersetzung bestens funktionieren. Ein<br />

ganz besonderes, wenn auch inhaltlich nicht ernstzunehmendes<br />

Schmankerl ist jedoch das eigens vom<br />

Autor des befreundeten Hänneschen Theater, Udo<br />

Müller, geschriebene Lied ›Futzjlöcklich‹, das in der<br />

kommenden Spielzeit Abend für Abend sowohl in der<br />

berühmten Kölner Puppenbühne als auch im Scala<br />

Theater zu hören sein wird und so einen musikalischen<br />

Bogen vom Hohenzollernring über die Stadt bis zum<br />

Eisenmarkt spannt.<br />

Brücken schlagen, auf den anderen zugehen, dabei<br />

Abb. unten von links oben:<br />

1. Zum Entsetzen ihrer Nachbarin<br />

Mandy (Barbara Nöske, r.), testet<br />

Marizebill (Sophie Russel, l.) schon<br />

mal die Schwiegersohnqualitäten<br />

von Jacko Pütz (Beka Bediana,<br />

Mitte)<br />

2. ›Scharf wie Mostert‹ – Jacko<br />

Pütz (Beka Bediana) findet sich<br />

unwiderstehlich<br />

3. Zusammen <strong>mit</strong> Kumpel Willi<br />

(Ralf Borgartz, l.) lässt Tünnes (Arne<br />

Hoffmann, r.) auf dem Heumarkt der<br />

»Schick Sick« die Hüllen fallen<br />

4. ›Futzjlöcklich‹ – Um auf die<br />

»Schick Sick« zu kommen, geben die<br />

Heinzelmänner vor, eine Dreimannkapelle<br />

auf Tournee zu sein<br />

Fotos (4): Léon M. Gruß<br />

blickpunkt musical <strong>06</strong>/20<strong>23</strong><br />

11


<strong>Musical</strong>s in Deutschland<br />

Abb. oben:<br />

›So eine Liebe gibt es einmal nur‹ –<br />

Tünnes (Arne Hoffmann, r.) und<br />

Marie (Kirstin Hesse, l.) schwören<br />

sich ewige Liebe<br />

Abb. unten von oben links:<br />

1. Einer der großen Showstopper<br />

des Abends: Die Tanznummer<br />

›Ihrefeld‹ (Ensemble)<br />

2. ›Niemols em Läve‹ – Marie<br />

(Kirstin Hesse) hat Schmetterlinge<br />

im Bauch, wenn sie an Tünnes<br />

denkt<br />

3. ›Ich will alles‹ – Marizebill (Sophie<br />

Russel) strebt nach Erfolg und Macht<br />

als Frau von Kölns mächtigstem<br />

Erbsenfabrikanten<br />

4. Da bleibt bestimmt kein Auge<br />

trocken: Bei den Heinzelmännchen<br />

(Ensemble) auf der »Schäl Sick« gibt es<br />

viel zu lachen<br />

Fotos (5): Léon M. Gruß<br />

auch mal die Perspektive wechseln und Dinge von<br />

der anderen Seite sehen … Diese Botschaft zieht sich<br />

durch die »Schäl Sick Story« wie ein roter Faden und<br />

wird auch im Bühnenbild von Tom Grasshof deutlich.<br />

Denn das Herzstück der Bühne bildet eine überdimensionale,<br />

auf zwei Ebenen bespielbare Brücke, die die<br />

rechtsrheinische »Schäl Sick« <strong>mit</strong> der linksrheinischen<br />

»Schick Sick« verbindet, wenn auch in ganz ungewohnter<br />

Perspektive: Bei der »Schäl Sick Story« werden<br />

beide Seiten nämlich bewusst spiegelverkehrt angeordnet<br />

und so die Ordnung in manch lokalpatriotischem<br />

Zuschauerkopf ganz schön durcheinander gewirbelt.<br />

Letztendlich ist es aber ohnehin egal, auf welcher Seite<br />

man steht, geht es in dem Stück am Ende doch, wie<br />

im finalen Medley besungen, um die Verbindung aller<br />

Menschen: ›Mir künnte Fründe weede‹ (»Bläck Fööss«),<br />

denn ›Mer sind eins‹ (»Kasalla«).<br />

Den Löwenanteil zum Erfolg der Show trägt sicherlich<br />

das exzellente Ensemble bei. Jeweils sechs Darsteller<br />

stehen dabei am Abend gemeinsam auf der Bühne,<br />

obwohl es tatsächlich zehn Charaktere zu spielen gilt.<br />

Die Lösung: Bis auf die beiden Hauptprotagonisten<br />

Tünnes und Marie sind alle in einer Doppelrolle zu<br />

sehen und verkörpern jeweils einen Charakter auf der<br />

»Schäl Sick« und einen auf der »Schick Sick«. Ralf Borgartz,<br />

Barbara Nöske, Sophie Russel und Beka Bediana<br />

haben dabei sichtlich Spaß und füllen ihre jeweiligen<br />

Figuren <strong>mit</strong> gekonntem Spiel, bestem (Gag-)Timing<br />

und vor allem ganz viel Herz. Bei aller Verschrobenheit<br />

muss man die von ihnen dargestellten Charaktere<br />

einfach lieben.<br />

Publikumslieblinge des Abends sind natürlich<br />

trotzdem Arne Hoffmann als Tünnes und Kirstin<br />

Hesse als Marie. Beide überzeugen <strong>mit</strong> wunderschönen<br />

Stimmen, weshalb Arne Hoffmanns ›Mariechen‹ und<br />

Kirstin Hesses ›Niemols im Lääve‹ zweifelsohne zu den<br />

Showstoppern des Abends gehören.<br />

Weiteres Highlight im ersten Akt ist die Ensemblenummer<br />

›Ihrefeld‹, weshalb die <strong>mit</strong>reißende Choreographie<br />

von Svenja Schulte spätestens hier ebenfalls<br />

nicht unerwähnt bleiben darf. Durch den effektvollen<br />

Einsatz von bunten Tüchern wirkt die Bühne deutlich<br />

voller und wird zum rauschenden Farbenmeer.<br />

Auch wenn es bereits in früheren Artikeln erwähnt<br />

wurde: Wer einen »seriösen« Theaterabend erwartet,<br />

ist beim Scala Theater fehl am Platze, und ganz sicher<br />

hilft es bei einem Besuch, wenn man den kölschen<br />

Dialekt einigermaßen versteht (man denke da nur an<br />

die zahlreichen Gags, die man sonst versäumen würde).<br />

Die Tatsache aber, dass viele nicht aus dem Rheinland<br />

stammende Zuschauer selbst bei mangelndem Dialektverständnis<br />

zu Wiederholungstätern werden, beweist,<br />

dass es den Darstellern trotzdem immer wieder aufs<br />

Neue gelingt, den berühmten Funken auf so ziemlich<br />

jeden Besucher überspringen zu lassen und das rüber<br />

zu bringen, was das Scala Theater seit nunmehr 20 Jahren<br />

ganz klar ausmacht: Lust am Spiel, ganz viel Herz<br />

und vor allem jede Menge (kölsches) »Jeföhl«.<br />

Susanne Baum<br />

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blickpunkt musical <strong>06</strong>/20<strong>23</strong>


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<strong>Musical</strong>s in Deutschland<br />

Mit Rockmusik ins Hier und Jetzt<br />

Premiere des <strong>Musical</strong>s »Rent« im Theater Dortmund<br />

Abb oben:<br />

Eröffnen wir ein Restaurant in ›Santa<br />

Fe‹ – (v.l.): Mark (Christof Messner),<br />

Collins (Alex Snova) und Angel<br />

(Lukas Mayer) träumen von einem<br />

Leben fernab der Upper East Side<br />

Foto: Thomas M. Jauk<br />

Rent<br />

Jonathan Larson / Billy Aronson<br />

Deutsch von Wolfgang Adenberg<br />

Theater Dortmund<br />

Premiere: 30. September 20<strong>23</strong><br />

Regie .............................. Gil Mehmert<br />

Musik. Leitung ........... Jürgen Grimm &<br />

Karsten Scholz<br />

Choreographie ................ Melissa King<br />

Bühnenbild ......................... Jens Kilian<br />

Kostüme ............................. Falk Bauer<br />

Lichtdesign ............. Michael Grundner<br />

Sounddesign ............ Joerg Grünsfelder<br />

Mark Cohen ............ Christof Messner /<br />

Dominik Hees<br />

Roger Davis ................... David Jakobs<br />

Tom Collins ........................ Alex Snova<br />

Benjamin Coffin III ....... Pedro Reichert<br />

Joanne Jefferson ........ Amani Robinson<br />

Angel Dumott Schunard .......................<br />

Lukas Mayer<br />

Mimi Marquez ........... Patricia Meeden<br />

Maureen Johnson ......... Bettina Mönch<br />

In weiteren Rollen:<br />

Max Aschenbrenner, Yara Hassan<br />

(Dance Captain), Antonia Kalinowski,<br />

Tamara Köhn, Til Ormeloh,<br />

Jadelene Panésa, Julius Störmer,<br />

Richard-Salvador Wolff,<br />

Friederike Zeidler<br />

So ziemlich jeder »Renthead« (wie eingefleischte<br />

Fans von »Rent« oft genannt werden) könnte<br />

bestimmt aus dem Stegreif mehr als 525.600 Gründe<br />

nennen, wieso das <strong>Musical</strong> aus der Feder von Jonathan<br />

Larson so besonders und fast schon einzigartig ist –<br />

allerdings würde das hier den Rahmen sprengen. Wer<br />

aber auch nur einen Bruchteil der Gründe selbst (neu)<br />

entdecken möchte, kommt aktuell an der Inszenierung<br />

am Theater Dortmund in der Regie von Gil Mehmert<br />

nicht vorbei. Denn die bei einem dortigen Besuch zu<br />

investierenden rund 180 Minuten (aus den im Opener<br />

des zweiten Aktes, ›Seasons of Love‹, besungenen<br />

525.600 Minuten eines Jahres) sind tatsächlich jede<br />

Sekunde wert.<br />

Seit vielen Jahren bekannt für sein glückliches<br />

Händchen bei der Stückauswahl setzt das Theater<br />

Dortmund für die laufende Spielzeit auf ein Rockmusical,<br />

das bis dato in Deutschland leider viel zu wenig<br />

Beachtung gefunden hat.<br />

Unverdientermaßen, denn »Rent« hat es bei seiner<br />

Uraufführung im Jahr 1996 am New Yorker Off-<br />

Broadway (und anschließender zwölfjähriger Spielzeit<br />

am Broadway ohne Unterbrechung) geschafft, das bis<br />

zu diesem Zeitpunkt eher konservativ traditionelle<br />

<strong>Musical</strong>theater gehörig aufzumischen.<br />

Die pulsierende Dynamik des Stücks, die <strong>mit</strong>reißende<br />

(bis dahin eher <strong>Musical</strong>-untypische)<br />

Rockmusik, und die recht unkonventionelle, aber<br />

durchaus realitätsnahe Geschichte über den täglichen<br />

Überlebenskampf einer befreundeten Künstlerclique<br />

im New Yorker East Village machten »Rent« zum<br />

bahnbrechenden <strong>Musical</strong> der 90er Jahre. Die Rock-<br />

Oper spricht bis heute die Sprache der jungen Leute<br />

und zieht hierdurch auch viel neues, jugendliches<br />

Publikum in die Theater.<br />

An dieses Phänomen anknüpfend ist dem Theater<br />

Dortmund ein ganz besonderer Coup gelungen: Mit<br />

nur einer Woche Unterschied feierte nämlich auf<br />

derselben Bühne (in nur leicht abweichenden Kulissen<br />

aufgrund der verschiedenen Handlungsorte New<br />

York und Paris) die vom selben Regieteam inszenierte<br />

Oper »La Bohème« von Giacomo Puccini, an deren<br />

Geschichte und teilweise Figuren sich »Rent« orientiert,<br />

Premiere. Durch den an manchen Terminen<br />

sogar kurz hintereinander möglichen Besuch beider<br />

Stücke bietet das Theater den eigentlich gegensätzlichen<br />

Zielgruppen von Rockmusical und traditioneller<br />

Oper auf diese Weise nicht nur die Möglichkeit des<br />

direkten Vergleichs, sondern auch eine Chance, hier<br />

mal einen Blick ins jeweils andere Musikgenre zu<br />

riskieren.<br />

Doch natürlich sorgt Gil Mehmerts Interpretation<br />

von »Rent« auch ohne Parallele zur zeitgleichen<br />

Operninszenierung für einen unvergesslichen<br />

<strong>Musical</strong>abend.<br />

Einziger Wermutstropfen: die Entscheidung, das<br />

<strong>Musical</strong> in deutscher Sprache (Übersetzung: Wolfgang<br />

Adenberg) aufzuführen.<br />

An vielen Stellen textlich schlichtweg überfrachtet<br />

und teilweise auch nicht wirklich passend zur Melodie,<br />

kann die deutsche Fassung den Spirit des englischen<br />

Originals leider nur sehr eingeschränkt widerspiegeln<br />

und wirkt vielleicht deshalb oftmals zu bemüht,<br />

das sprachmelodische Manko trotzdem irgendwie<br />

ausgleichen zu wollen. Nicht nur, weil besonders in<br />

den Up-tempo-Nummern das Textverständnis hierunter<br />

erheblich leidet, wäre das Belassen der englischen<br />

Sprache (unter Zuhilfenahme von Obertiteln)<br />

14<br />

blickpunkt musical <strong>06</strong>/20<strong>23</strong>


<strong>Musical</strong>s in Deutschland<br />

vielleicht die bessere Wahl gewesen. Sei es drum, denn<br />

trotz der genannten, übersetzungsgeschuldeten Einbußen<br />

erwartet den Zuschauer eine energiegeladene<br />

Show, die beim anfangs verhaltenen Premierenpublikum<br />

bereits kurz nach dem ersten Showstopper ›Rent‹<br />

für anhaltend tosenden Applaus sorgte.<br />

Was folgt, sind 525.600 Minuten im Zeitraffer:<br />

Ein Jahr im Leben von Mark, Roger, Collins, Angel,<br />

Maureen, Joanne und Mimi, einer Clique junger Bohemiens,<br />

deren Freundschaft am Heiligabend in einem<br />

heruntergekommenen Block im New Yorker East<br />

Village ihren Anfang findet und im Verlauf der Handlung<br />

zum einzigen Lichtblick wird in einem Alltag von<br />

drohender Wohnungslosigkeit, Drogenmissbrauch, Rassismus<br />

und Verlustangst der eigenen Werte.<br />

Über allem schwebt die Krankheit AIDS, denn ein<br />

Großteil der Clique ist HIV-positiv. Ihren eigenen,<br />

individuellen Ängsten setzen die Protagonisten ihre<br />

Kreativität und – trotz diverser Rückschläge – ihren<br />

unerschütterlichen Glauben an die Freundschaft und<br />

die Kraft der Liebe entgegen.<br />

Der Blick in eine ungewisse, in manchen Fällen nur<br />

noch (krankheitsbedingt) kurze Zukunft verschiebt<br />

dabei den Fokus ins Hier und Jetzt. ›Es zählt nur<br />

das Jetzt‹ wird neben der »Rent«-Hymne ›Seasons of<br />

Love‹ (die abweichend vom Rest im englischen Original<br />

gesungen wird) zum aussagekräftigsten Song des<br />

Abends und hallt auch nach Vorstellungsbesuch lange<br />

nach.<br />

Ohnehin ist es die vielschichtige Musik von Jonathan<br />

Larson, die neben der berührenden Geschichte<br />

lange im Gedächtnis bleibt. Begleitet von einer bestens<br />

aufgelegten, fünfköpfigen Band unter abwechselnder<br />

musikalischer Leitung von Jürgen Grimm und Karsten<br />

Scholz wird bei »Rent« ähnlich wie bei vielen Opern<br />

nahezu komplett durchgesungen. Auch hier gibt es<br />

in einigen Liedern thematische Anleihen bei »La<br />

Bohème«: der ›Tango Maureen‹ und ›Feuer für die<br />

Kerze‹ werden so zu musikalischen Verbeugungen vor<br />

Puccinis Werk.<br />

Besonders zu erwähnen ist spätestens an dieser<br />

Stelle das hervorragende Ensemble, das den Drive und<br />

den Spirit von Jonathan Larsons Werk bestens auf<br />

das Publikum zu übertragen weiß. Die hochkarätige<br />

Besetzung der Hauptrollen Roger, Mimi und Maureen<br />

durch die bekannten <strong>Musical</strong>darsteller David Jacobs,<br />

Patricia Meeden und Bettina Mönch ließ bereits im<br />

Vorfeld Großes erwarten … und tatsächlich wird man<br />

nicht enttäuscht. Im Gegenteil, alle drei überzeugen<br />

<strong>mit</strong> enormer Bühnenpräsenz, differenzierten Rollenporträts,<br />

tollem Spiel und ausdrucksstarken Stimmen.<br />

Genauso eindrucksvoll verstanden es auch Christof<br />

Messner als Mark, Amani Robinson als Joanne und Alex<br />

Snova als Collins, in ihren jeweiligen Rollen zu begeistern.<br />

Die unterschiedlichen Nebencharaktere werden<br />

dank einer seit vielen Jahren bestehenden Kooperation<br />

<strong>mit</strong> der Essener Folkwang Universität der Künste <strong>mit</strong><br />

dort studierenden Nachwuchsdarsteller:innen besetzt.<br />

Die Chance, erste Bühnenerfahrungen in professionellen<br />

Engagements zu sammeln, haben die jungen<br />

Künstler:innen jedenfalls genutzt und wussten ihre<br />

jeweiligen, wenn auch noch kleinen, Rollen bestens<br />

auszufüllen.<br />

Wohin die musi(c)alische Karriere nach der Ausbildung<br />

an der Folkwang Universität schlussendlich<br />

führen kann, zeigte am Premierenabend ziemlich<br />

eindrucksvoll ein Darsteller, der selbst erst vor wenigen<br />

Jahren in einer noch ganz kleinen Rolle in der<br />

Dortmunder Inszenierung der »West Side Story« zu<br />

sehen gewesen war und nun als klarer Publikumsliebling<br />

des Abends brillierte: Lukas Mayer, der <strong>mit</strong><br />

der vielschichtigen Rolle des Angel die Herzen vieler<br />

Zuschauer:innen berührte und so einen weiteren Meilenstein<br />

in seiner bereits vielversprechenden Laufbahn<br />

als <strong>Musical</strong>darsteller setzen konnte.<br />

Ob »Rent« in Deutschland nun wieder mehr in die<br />

Köpfe und Herzen der <strong>Musical</strong>zuschauer zurückkehrt<br />

und dank vielleicht auch weiterer Produktionen den<br />

ihm gebührenden Erfolg verbuchen wird, wird die Zeit<br />

zeigen. Ein Besuch der gegenwärtigen Inszenierung im<br />

Theater Dortmund lohnt sich allemal.<br />

Susanne Baum<br />

Abb unten von links:<br />

1. ›Raus heut‘ Nacht‹ – Mimi<br />

(Patricia Meeden) verdient ihr Geld als<br />

Go-go-Tänzerin im Cat Scratch Club<br />

(Ensemble)<br />

2. ›Kontakt‹ – Angel (Lukas Mayer)<br />

kämpft gegen die tödlichen Folgen<br />

seiner AIDS-Erkrankung … und verliert<br />

Fotos (2): Thomas M. Jauk<br />

blickpunkt musical <strong>06</strong>/20<strong>23</strong><br />

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<strong>Musical</strong>s in Deutschland<br />

Wenn Götter sich einmischen<br />

Deutschsprachige Erstaufführung von »Jason und die Argonauten« in Berlin<br />

Abb. oben:<br />

Jason (Daniel Brennecke, Mitte) und<br />

die Argonauten (Ensemble) haben ihr<br />

Ziel erreicht: das goldene Vlies und<br />

seine Wächter<br />

Foto: Rajasiman Srinivasan<br />

Dem deutschen Theaterpublikum war »Jason und<br />

die Argonauten« bis Ende September dieses Jahres<br />

unbekannt. Bis auf die Uraufführung im April 2016<br />

im Bridewell Theatre in London ist bisher keine weitere<br />

Produktion zu verzeichnen gewesen. Eher kennt<br />

man höchstens noch den gleichnamigen Fantasyfilm<br />

von 1963. Das hat die Berliner Stage Company zum<br />

Glück geändert! An vier Tagen war das Stück zu sehen<br />

und es war wieder einmal staunenswert, was für eine<br />

großartige Produktion ein Verein <strong>mit</strong> Herzblut, Talent<br />

und Engagement auf die Bühne bringen kann.<br />

Das <strong>Musical</strong> aus der Feder von Tim Sanders,<br />

Charles Miller und Paul Carpenter eignet sich hervorragend<br />

für jedes Publikum und passt perfekt zu<br />

einem Kern aus zumeist jüngeren Vereins<strong>mit</strong>gliedern.<br />

Sanders schrieb zum Konzept von Paul Carpenter<br />

(zusätzliche Liedtexte) ein humorvolles Buch und<br />

Liedtexte für einen kurzweiligen, spannenden Theaterabend<br />

<strong>mit</strong> viel Raum zur Ausgestaltung von Humor.<br />

Der deutsche Regisseur und Übersetzer Hartmut H.<br />

Forche hat dafür gesorgt, dass die deutschen Dialoge<br />

und Liedtexte Sinn machen, dennoch gut und gegenwärtig<br />

klingen sowie der Humor nicht im Boden<br />

versinkt. Spaß machen die eingewebten Referenzen<br />

auf Theater und darstellendes Spiel oder einfach nur<br />

amüsante Zwischenkommentare »von oben herab«<br />

zum Geschehen, etwa wenn Artemis bekundet, dass<br />

sie Medea sowas von nervig findet, Heras: »Ich dreh<br />

die Handlung um« oder wenn der selbstgefällige Pelias<br />

hysterisch aufschreit: »Das war mein Satz!«<br />

Die Musik von Charles Miller bietet mal <strong>Musical</strong>-<br />

Balladen, mal hervorragend eingesetzte Ensemblesongs,<br />

rockige Anleihen oder jazzig-gospel-inspirierte Musik<br />

und scoreartig unterlegte Szenen. Musikalische Motive<br />

erkennt man ebenfalls und so manches schleicht sich in<br />

die Gehörgänge, wie der eindringliche »Pelias!«-Chor.<br />

Die Songtexte sind oft bildsprachlich und geben Einblick<br />

ins Innere der Charaktere, etwa wenn Jason entschlossen<br />

»Jetzt stoppt mich keiner mehr« beteuert oder<br />

Hera vom Eingesperrtsein in der Ehe singt, wenngleich<br />

sie eine mächtige Göttin ist.<br />

Die in ihrer Ehe gelangweilte und genervte Hera<br />

(Ségolène Bouvret) hält es nicht mehr aus. Sie steht<br />

unter dem Pantoffel ihres Götterehemanns Zeus und<br />

will ihren eigenen Spaß. Dazu sucht sie sich den Menschen,<br />

den »Goldenen Griechensohn«, Jason aus, den<br />

sie vor seinem Tod bewahrt und von dem Zentauren<br />

Chiron (Robin Stasch-Lungwitz) erziehen und bilden<br />

lässt. Als Göttermutter manipuliert sie die Schicksale<br />

der Menschen und macht Jason zu ihrem Toyboy. An<br />

seinem 18. Geburtstag wird ihm offenbart, dass seine<br />

Mutter noch lebt, in Iolcus am Hof weilt und König<br />

Pelias geheiratet hat, der Jasons Vater einst umgebracht<br />

hat. Jason mischt sich bei den »Paradise Heights« unters<br />

Volk, offenbart sich Pelias und fordert von ihm seinen<br />

rechtmäßigen Anspruch auf den Thron. Dieser verlacht<br />

ihn jedoch und fordert, ihm das sagenumwobene<br />

Goldene Vlies zu bringen. Jason nimmt die Herausforderung<br />

an und gewinnt eine treue Mannschaft für<br />

seine Argonautenfahrt. Auf seiner Heldenfahrt zum<br />

Goldenen Vlies lässt Zeus, der hinter die geheimen<br />

Spielchen seiner Ehefrau gekommen ist, einen gefährlichen<br />

Sturm aufziehen. Zudem erreicht Jason Kolchis,<br />

wo Aetes, Apsyrtus und Medea ihre eigenen Pläne<br />

16<br />

blickpunkt musical <strong>06</strong>/20<strong>23</strong>


<strong>Musical</strong>s in Deutschland<br />

gegen die Bedrohung durch Jason schmieden. Doch<br />

dann verliebt sich Medea in Jason. Apsyrtus verübt<br />

bei der Hochzeit der beiden auf Geheiß des Vaters ein<br />

Attentat auf Jason, das jedoch vereitelt werden kann.<br />

Hera bezichtigt Aphrodite des Liebeszaubers zwischen<br />

den beiden, jedoch stellt sich heraus, dass Jason und<br />

Medea sich wirklich lieben. Das Goldene Vlies kann<br />

Jason auch erobern und demontiert erst einmal die<br />

Legende von Schlangen und Stieren in der Höhle des<br />

Goldenen Vlies. Zurück in Iolcus, schickt ihn Medea<br />

<strong>mit</strong> einer List für ewig in die Höllenwelt. Das Goldene<br />

Vlies jedoch erfüllt Jason seinen Herzenswunsch am<br />

Totenbett der Mutter, sie erwacht von den Toten.<br />

Hera, unzufrieden <strong>mit</strong> dem Ende, das Zeus letztendlich<br />

eingerichtet hat, sinnt auf eine Fortsetzung ihrer<br />

Spielchen.<br />

Tontechnik und Lichttechnik (Licht: Michael Plog)<br />

setzen die Darsteller in passende Stimmung und sorgen<br />

<strong>mit</strong> klarem, lautem Sound für verständliche Dialoge<br />

und gesungene Worte. In der Eröffnungsnummer<br />

werden durch die Vereins<strong>mit</strong>glieder Beziehungen und<br />

zu erwartende Handlungen angedeutet. Unter der<br />

Leitung von Toni Schmidt spielt die Band feinsinnig<br />

langsame und schnelle Melodien und Rhythmen, <strong>mit</strong><br />

denen das Publikum an diesem Abend eins wird. Die<br />

musikalische Leitung hatten Ségolène Bouvret und<br />

Jörn Wübker inne. Das Bühnenbild und die Requisite<br />

besorgten Fabian Menzel und Bruno Wilkening. Ein<br />

Schiffsgelände wird angedeutet, Segel im Hintergrund<br />

markieren die Argonautenfahrt, Tücher und Stoffbahnen<br />

verbildlichen Blut, Meer und andere darzustellenden<br />

Flüssigkeiten und Konsistenzen. Unzählige Requisiten<br />

und Bühnenbildteile bilden die verschiedenen<br />

Handlungsorte und -räumlichkeiten ab. Die rosaroten<br />

Liebesbrillen sind ein zündender Gag sowie bei einem<br />

genaueren Hinblick die Lektüre der Göttinnen, Styleund<br />

Lifestyle-Magazine <strong>mit</strong> Untertiteln wie »Entdecke<br />

die Göttin in dir«. Buchstabenaufsteller auf der Bühne<br />

bilden mal das Wort »Jason«, mal »Ja« und »No«<br />

(Heirat) oder auch humorvoll die Verunglimpfung<br />

des Namens als »Jonas«. Das Kostümbild von Vivian<br />

Fuchs und Yara Lucie Kramer und das Bühnenbild<br />

und die Requisite sind äußerst stimmig und ergänzen<br />

sich wunderbar. Es gibt helle und dunklere griechische<br />

Wickelkleidung und Sandalen, an die Antike und einen<br />

theatralischen griechischen Chor erinnernd, es gibt die<br />

Gothic-inspirierte Kleidung der Kolchis <strong>mit</strong> schwarzen<br />

Stoffen und schwarzen Boots, die Kleidungsgepflogenheiten<br />

am Hofe und die strahlenden, Tunika-inspirierten<br />

Kleider für die Göttinnen auf High Heels. Jene<br />

tragen auch ein göttliches Make-up (Maske: Vanessa<br />

Gstettenbauer, Solveigh Anu Rügamer, Katie Steggall)<br />

inklusive passender göttlicher Stirnbemalung. So<strong>mit</strong><br />

werden die Gruppierungen in dieser Geschichte kontrastreich<br />

voneinander abgegrenzt.<br />

Regie führt Simon Chevrel, <strong>mit</strong> Assistenz von<br />

Daniel Bogacki und Maj Weidlich. Die Dialoge<br />

sind kurzweilig und sehr prägnant intoniert, die einstudierten<br />

Bewegungsabläufe auf der Bühne sitzen.<br />

Die Rollenanlagen ziehen das Publikum <strong>mit</strong>samt<br />

dem Zauber des Bühnen- und Kostümbilds und der<br />

abwechslungsreichen, das Tempo der Szenen bestimmenden<br />

Musik in ihren Bann. An der Choreographie<br />

hat wieder das interne Dreamteam aus Annika Braun,<br />

Vivian Fuchs und Anika Stasch gearbeitet und so<br />

begeistern zum Beispiel die Ensemble-Choreographie<br />

von Jasons Argonautenfahrt an Bord der Argo oder<br />

die Tänze auf der Charity-Gala »Paradise Heights«<br />

sowie bei Hofe. Bei Bedarf wird auch mal vom Publikumsraum<br />

aus gesungen. Wunderschön gestaltet sich<br />

ein Rundgang von den Seiten zur Bühne, in denen<br />

lampionartige Lichter getragen werden. Wenn Castor<br />

und Pollux, die beiden Puppen, eine Geschichte<br />

erzählen, dann werden sie von akrobatischen Einlagen<br />

Jason und die Argonauten<br />

Charles Miller / Paul Carpenter /<br />

Tim Sanders<br />

Deutsch von Hartmut H. Forche<br />

Berliner Stage Company<br />

Atze Musiktheater Berlin<br />

Deutschsprachige Erstaufführung:<br />

21. September 20<strong>23</strong><br />

Regie ........................... Simon Chevrel<br />

Musikalische Leitung ...........................<br />

Ségolène Bouvret &<br />

Jörn Wübker<br />

Choreographie .............. Annika Braun,<br />

Vivian Fuchs,<br />

Anika Stasch<br />

Bühnenbild .............. Fabian Menzel &<br />

Bruno Wilkening<br />

Kostüme ...................... Vivian Fuchs &<br />

Yara Lucie Kramer<br />

Maske ............ Vanessa Gstettenbauer,<br />

Solveigh Anu Rügamer,<br />

Katie Steggall<br />

Lichtdesign .................... Michael Plog<br />

Jason ..................... Daniel Brennecke /<br />

Alexander Anders<br />

Hera ..................... Ségolène Bouvret /<br />

Vanessa Gstettenbauer<br />

Chiron / Apsyrtus .................................<br />

Robin Stasch-Lungwitz /<br />

Jona Arava<br />

Pelias ....................... Kevin Flemming /<br />

Daniel Bogacki<br />

Medea ...... Elisa Schütz / Vivian Fuchs<br />

Zeus / Aetes ................. Michael Plog /<br />

Marco Lindstaedt<br />

Artemis ......................... Anika Stasch /<br />

Johanna Elisabeth Clemens<br />

Athene ................. Yara Lucie Kramer /<br />

Maj Weidlich<br />

Aphrodite ..... Solveigh Anu Rügamer /<br />

Christin Matthus<br />

Königin Polymele ...... Judith Gilleßen /<br />

Minka K. Gaber<br />

Orpheus ....................... Patrick Dreier<br />

Lynceus .................... Bruno Wilkening<br />

Atalanta ......................... Annika Braun<br />

Herkules ........... Jean-Frederic Alscher<br />

Castor & Pollux (Puppen) /<br />

Argo............................... Fabian Menzel<br />

Abb. von links oben:<br />

1. Die Argonauten (Ensemble)<br />

befahren und bewältigen die Meere<br />

2. Jason (Alexander Anders, Mitte,<br />

i.d.bes.Vorst: Daniel Brennecke) und<br />

die Argonauten (Ensemble) setzen<br />

die Segel<br />

3. Jason (Alexander Anders, 2.v.r.,<br />

i.d.bes.Vorst: Daniel Brennecke) und<br />

Medea (Vivian Fuchs, r., i.d.bes.<br />

Vorst. Elisa Schütz) empfinden<br />

wahre Liebe füreinander<br />

4. Jasons Onkel Pelias (Kevin<br />

Flemming, <strong>mit</strong> Ensemble) ist an der<br />

Macht, nachdem dieser Jasons Vater<br />

Aison tötete<br />

Foto 1+3: Frolleinjj<br />

Foto 2+4: Rajasiman Srinivasan<br />

blickpunkt musical <strong>06</strong>/20<strong>23</strong><br />

17


<strong>Musical</strong>s in Deutschland<br />

Abb. unten von links oben:<br />

1. Jason (Alexander Anders, 3.v.r.,<br />

i.d.bes.Vorst: Daniel Brennecke)<br />

und seine Reisegefährten, die<br />

Argonauten (Ensemble)<br />

2. Im Himmel ist auch nicht alles<br />

Friede, Freude, Eierkuchen: Zeus<br />

(Marco Lindstaedt, i.d.bes.Vorst.<br />

Michael Plog) und Hera (Vanessa<br />

Gstettenbauer, i.d.bes.Vorst.<br />

Ségolène Bouvret)<br />

3. Polymele träumt vom Ertrinken<br />

ihres Sohnes (Daniel Brennecke,<br />

unten, <strong>mit</strong> Ensemble) in den Fluten<br />

4. Hera (Ségolène Bouvret, Mitte,<br />

<strong>mit</strong> Ensemble) spielt <strong>mit</strong> den<br />

Menschen als ihren Untertanen<br />

Foto 1+2: Frolleinjj<br />

Foto 3+4: Rajasiman Srinivasan<br />

zweier Vereins<strong>mit</strong>glieder bildhaft unterstützt, die dafür<br />

zurecht tosenden Applaus bekommen.<br />

Bei der Premiere spielte Daniel Brennecke den<br />

»Goldenen Griechensohn« Jason gar nicht so dümmlich,<br />

aber auf der Suche nach sich selbst und seinen<br />

Wurzeln. Sein Gesang berührte und die Rolle gefällt<br />

als menschlicher Held <strong>mit</strong> Fehlern, Schwächen, <strong>mit</strong><br />

Gefühlen und Zweifeln. Robin-Stasch Lungwitz<br />

gefällt sehr <strong>mit</strong> seiner <strong>Musical</strong>tenorstimme und als<br />

gutmütiger, liebevoller Zentaur Chiron, in seiner Darstellung<br />

unterstützt <strong>mit</strong> dem stabilen Pferdekörper <strong>mit</strong><br />

Draht und hinterherschwingenden Füßen. Was für<br />

eine Wirkung! Als Apsyrtus aus Kolchis darf er dann<br />

im zweiten Teil des <strong>Musical</strong>s seine schwarze Seele<br />

befreien, spielt cool <strong>mit</strong> einem Messer und offenbart<br />

hinter der draufgängerischen Pose einen Kern der<br />

Zurückweisung durch den Vater. Als seine Schwester<br />

Medea ist am Premierenabend Elisa Schütz zu sehen,<br />

teils düster-verrückt, teils einfach sehr süß, in dem<br />

Moment, wenn sie Jason erblickt und sich unsterblich<br />

in ihn verliebt – obwohl er ein Dorn im Auge ihrer<br />

Familie und von Kolchis ist. Ihr Vater Aetes wird von<br />

Michael Plog verkörpert, streng, wuterfüllt und auf<br />

einen dunklen Plan sinnend.<br />

Auf einen Plan sinnt auch Zeus, in dessen Rolle<br />

Michael Plog ebenfalls schlüpft, die Hosen anhabend<br />

im Hause von Zeus und Hera, immer für einen Gag<br />

gut, wenn seine Stimme aus dem Off seine Ehefrau ruft<br />

und an ihre Pflichten erinnert. Ségolène Bouvret als<br />

Zeus´ Ehefrau hat jedoch anderes im Kopf, sorgt <strong>mit</strong><br />

ihrer Selbstberuhigungsstrategie für Schmunzler und<br />

hat auch ansonsten immer eine scharfe Gegenantwort<br />

und Idee auf Lager. Die unterwürfige und sich gleichzeitig<br />

ihren Spielchen hingebende launische, temperamentvolle<br />

Hera ist eine interessante Figur und mischt<br />

sich meist von der Seite der Bühne aus ein, hat aber<br />

auch ihre großen Momente in der Bühnen<strong>mit</strong>te, wie in<br />

ihrem Song ›Die Welt liegt mir zu Füßen‹, den Ségolène<br />

Bouvret einfach mal dahinschmettert. Immer an ihrer<br />

Seite sind die Göttinnen Artemis (direkt und ehrlich:<br />

Anika Stasch), Athene (spielfreudig: Yara Lucie Kramer)<br />

und Aphrodite (herzige Liebesstifterin: Solveigh<br />

Anu Rügamer). Die augenzwinkernde Darstellung der<br />

Götter gefällt und die vier Göttinnen klingen polyphon<br />

einfach himmlisch, was aber genauso für die vielen<br />

Ensemblenummern gilt. Der bereits beschriebene<br />

»Pelias«-Chor klingt bedrohlich und neckend zugleich,<br />

das trifft auch auf den König zu, den Kevin Flemming<br />

wunderbar wahnsinnig, hämisch und ironisch spielt.<br />

Wer ihn schon einmal spielen erlebt hat, der findet,<br />

dass diese Rolle wie für ihn gemacht ist. Judith Gilleßen<br />

überzeugt als Königin Polymele trotz jungen Alters,<br />

dafür <strong>mit</strong> umso mehr Schmerz und eindringlicher Forderung<br />

nach dem Verständnis ihres Sohnes.<br />

Patrick Dreier als Orpheus, Bruno Wilkening als<br />

Lynceus, Annika Braun als sexy Atalanta und Jean-<br />

Frederic Alscher als die Frauen zum Kreischen bringender<br />

Herkules, Fabian Menzel als Argo (<strong>mit</strong> Castor<br />

und Pollux) und das Ensemble – jeder von ihnen trägt<br />

ebenfalls wesentlich dazu bei, diesen Abend zu einem<br />

ganz besonderen zu machen, <strong>mit</strong> viel Spielfreude,<br />

Herzblut, Können und Gemeinschaftsgefühl. Auch<br />

diese Show der Berliner Stage Company kann <strong>mit</strong><br />

Liebe zu Details im Rollenspiel, in choreographischer<br />

und bühnenbildnerischer sowie Kostümarbeit aufs<br />

Höchste überzeugen und weiterhin gespannt auf Kommendes<br />

machen.<br />

Rosalie Rosenbusch<br />

18<br />

blickpunkt musical <strong>06</strong>/20<strong>23</strong>


<strong>Musical</strong>s in Deutschland<br />

›Wenn ich mir ´was wünschen dürfte ...‹<br />

»Marlene« im Berliner Renaissance-Theater<br />

Abb. oben:<br />

Die große Dietrich (Sven Ratzke) blickt<br />

zurück auf ihre Karriere<br />

Foto: Ann-Marie Schwanke Siegersbusch<br />

Marlene<br />

Pam Gems / Connie Palmen<br />

Deutsch von Angela Kingsford Röhl<br />

Renaissance-Theater Berlin<br />

Premiere: 8. Oktober 20<strong>23</strong><br />

Regie ......................... Guntbert Warns<br />

Musikalische Leitung ...... Jetse de Jong<br />

Kostüme ........................... Ian Griffiths<br />

Lichtdesign .................. Carl Bergerard<br />

Bühnenbild ................... Ezio Toffolutti<br />

Marlene ........................... Sven Ratzke<br />

Viv ................................ Johanna Asch<br />

enneth Tynan, Theaterkritiker, Autor und vor<br />

K allem Freund von Marlene Dietrich, sagte einst<br />

über die Ikone: »Sie hat Sexappeal, aber keine klare<br />

Geschlechtsidentität.« So sehr dies auf sie als Person<br />

wohl zutraf, so sehr könnte man genau dies über das<br />

Stück von Pam Gems sagen, welches unter der Regie<br />

von Guntbert Warns <strong>mit</strong> Sven Ratzke in der Hauptrolle<br />

entstanden ist.<br />

Geboren als Maria Magdalena kämpfte sie<br />

da<strong>mit</strong>, sich als diese auch zu identifizieren. Sie<br />

wurde zwischenzeitlich auf eigenen Wunsch als<br />

Junge angesprochen, bevor sie dann ihre Namen<br />

kombinierte und die Kunstfigur Marlene erschuf.<br />

Sie lebte ein großes, aufregendes Leben, lernte alle<br />

erdenklichen Showgrößen und Politiker kennen,<br />

filmte einen Blockbuster nach dem anderen und<br />

wurde in den verschiedensten Ländern der Welt<br />

verehrt – in ihrer Heimat Deutschland <strong>mit</strong>unter<br />

aber auch verachtet, weil sie sich angeblich <strong>mit</strong> ihrer<br />

klaren Haltung gegen Hitler und ihrem noch rechtzeitigen<br />

Wechsel der Staatsbürgerschaft auch gegen<br />

Deutschland, insbesondere Deutschlands Soldaten,<br />

gestellt habe. Selbst viele Jahrzehnte später wurde<br />

ihr hierfür bei Konzerten in Deutschland noch<br />

Hass entgegengebracht, dem sie aber selbstbewusst<br />

trotzte. Nach einem Oberschenkelhalsbruch <strong>mit</strong> 75<br />

Jahren zog sie sich dann erst von der Bühne, drei<br />

Jahre später auch von den Kameras vollständig<br />

zurück. Nur sehr wenige Menschen durften sie<br />

überhaupt noch in ihrer Pariser Wohnung besuchen,<br />

während sie sich dem Alkohol immer mehr hingab<br />

und letztendlich das Bett nicht mehr verließ. Genau<br />

zu diesem Zeitpunkt ihres Lebens spielt also der<br />

erste Akt. Leider erschließen sich viele Momente<br />

nicht, wenn man nicht ein Kenner der Biographie<br />

Dietrichs ist. Bis zum Schluss bleibt unklar, ob sie<br />

zum Beispiel an Demenz litt, ob es wirklich nur<br />

ihre Alkoholprobleme waren, die für die Verwirrtheit<br />

sorgten, ob tatsächlich ein Konzert geplant war<br />

oder letztendlich alles nur Einbildung sein soll. Die<br />

Dietrich hangelt sich von ihrem Bett aus von einer<br />

Anekdote zur nächsten, viele berührende Momente<br />

sind dabei, insbesondere wenn sie sich ihres Alters<br />

und ihrer Vergänglichkeit bewusst wird. Den<br />

Zuschauer beschleicht das traurige, beklemmende<br />

Gefühl, jemanden gerade beim Untergang beobachten<br />

zu müssen. Jemand, der einst ganz oben war,<br />

verliert sich selbst, verliert den Kampf gegen seinen<br />

Kopf und gegen seinen Körper. Kaum hat man sich<br />

also dem Schicksal ergeben und sich <strong>mit</strong> dem zum<br />

Teil sehr poetischen Weltbeobachten der vor sich<br />

hinsiechenden Dietrich angefreundet, verändert der<br />

zweite Akt alles. Hier findet nun ein Konzert statt,<br />

all ihre großen Hits (u. a. ›Lili Marleen‹, ›Sag mir wo<br />

die Blumen sind‹ und natürlich auch ›Ich bin von<br />

Kopf bis Fuß auf Liebe eingestellt‹) werden nun in<br />

Gänze gesungen. Charmant umgarnt sie das Publikum,<br />

von der Person des ersten Aktes, vor allem aber<br />

von dessen Stimmung ist nichts mehr spürbar, bis sie<br />

zum Schluss den Weg von der großen Bühne in ihr<br />

Bett findet und stirbt.<br />

Sowohl der erste als auch der zweite Akt haben<br />

ihr Für und Wider, aber was es wirklich schwierig<br />

macht, ist dieser enorme Kontrast. Das mag zu der<br />

Person Marlene Dietrich vielleicht sogar passen,<br />

etwas zu kreieren, was nicht eindeutig <strong>Musical</strong>,<br />

Schauspiel <strong>mit</strong> Musik oder doch Konzert ist. Als<br />

Zuschauer verlässt man allerdings <strong>mit</strong>unter zweimal<br />

20<br />

blickpunkt musical <strong>06</strong>/20<strong>23</strong>


<strong>Musical</strong>s in Deutschland<br />

ratlos den Theatersaal – einmal nach dem ersten Akt<br />

und einmal nach dem zweiten. Und das ist leider<br />

einmal zu viel.<br />

Anders als das Stück selbst ist Sven Ratzke in seiner<br />

Rolle sehr klar, sehr differenziert im Ausdruck<br />

und <strong>mit</strong> einem hohen Maß an perfektioniertem<br />

Einsatz der Emotionen. Wunderbar auch, dass er nie<br />

versucht, sich <strong>mit</strong> BH zu einer Frau zu machen, nein,<br />

hier ist immer sichtbar, dass ein Mann auf der Bühne<br />

steht, was eine sehr begrüßenswerte Entscheidung<br />

ist. Im zweiten Akt kann er auch gesanglich vollends<br />

überzeugen und beherrscht das Spiel <strong>mit</strong> dem Publikum<br />

hervorragend. Diese Besetzungsentscheidung<br />

ist definitiv gelungen!<br />

Als Assistentin Viv steht, bzw. wirbelt, Johanna<br />

Asch immer wieder charmant über die Bühne. Rollenbedingt<br />

hat sie leider nicht viel zu bieten, sie ist<br />

immer nur die Ja-Sagerin und die, die versucht, die<br />

Dietrich in allem zu verstehen, zu unterstützen. Dies<br />

hinterlässt beim Publikum leider den Eindruck, dass<br />

man noch mehr Mitleid <strong>mit</strong> der Frau haben muss.<br />

Zumal auch hier das Buch offen lässt, was oder wer<br />

diese Person für die Dietrich eigentlich ist.<br />

Wunderbar intelligent, denn schlicht und trotzdem<br />

ganz und gar nicht einfach, ist das Bühnenbild<br />

von Ezio Toffolutti. Die verspiegelten Wände bieten<br />

die Möglichkeit, die Dietrich auch von vorn zu<br />

sehen, selbst wenn sie dramaturgisch dem Publikum<br />

den Rücken zukehrt. Zudem ist es Grundlage des<br />

wunderbaren Lichtdesigns von Carl Bergerard,<br />

welches man durchaus als kleinen Star des Abends<br />

bezeichnen kann. Hier entstehen im Zusammenspiel<br />

höchst ästhetische Bilder, und auch wenn<br />

fotografieren grundsätzlich im Theater verboten<br />

ist, so hat man hier doch immer wieder Verständnis<br />

für diejenigen, die sich hieran nicht halten wollen.<br />

Zu schön ist der eine oder andere Moment, um ihn<br />

nicht nur im Gedächtnis behalten zu wollen. In dieses<br />

Gesamtwerk fließen auch die Kostüme von Ian<br />

Griffiths ein, die Sven Ratzke vermutlich auf den<br />

Leib geschneidert wurden.<br />

Die Regieleistung von Guntbert Warns ist sehr<br />

detailliert. Eine Show, die so auf eine Person fokussiert<br />

ist, muss genau von dieser Person dann auch<br />

minutiös erwarten, dass das ganze Spektrum an<br />

Emotionen abgeliefert wird. Hier haben er und Sven<br />

Ratzke sichtlich viel Zeit <strong>mit</strong>einander verbracht, um<br />

aus jedem Moment das Beste herauszuholen.<br />

Der wirkliche Star des Abends aber sind weder<br />

Darsteller noch Bühne, sondern er sitzt am Klavier.<br />

Virtuos, gefühlvoll, voller Leidenschaft und <strong>mit</strong><br />

bewundernswertem Anschlag lässt Jetse de Jong<br />

die Musik erklingen, die zum Teil ungewöhnlich<br />

arrangiert wurde, daher einen Hauch mehr bietet<br />

und dennoch immer wieder zurückkehrt zu den<br />

wohligen, bekannten Klängen der Melodien, die<br />

Vertrautheit auslösen.<br />

»Wenn ich mir was wünschen dürfte, käm ich<br />

in Verlegenheit …« Es wäre wohl der Wunsch nach<br />

einer Überarbeitung des Buches, da<strong>mit</strong> dieses all den<br />

im Renaissance-Theater <strong>mit</strong> viel Liebe und Können<br />

geschaffenen Bildern und Klängen des Abends gerecht<br />

werden würde.<br />

Sabine Haydn<br />

Abb. oben:<br />

»Wenn ich mir was wünschen<br />

dürfte, möchte ich etwas glücklich<br />

sein. Denn wenn ich gar zu<br />

glücklich wär, hätt ich Heimweh<br />

nach dem Traurigsein«<br />

Abb. unten von links:<br />

1. Marlene (Sven Ratzke) ist ›Von<br />

Kopf bis Fuß auf Liebe eingestellt‹<br />

2. Viv (Johanna Asch) ist Marlenes<br />

(Sven Ratzke) einzige Vertraute<br />

3. »So woll’n wir uns da wieder<br />

seh’n, bei der Laterne wollen wir<br />

steh’n, wie einst Lili Marleen«<br />

Fotos (4): Ann-Marie Schwanke<br />

Siegersbusch<br />

blickpunkt musical <strong>06</strong>/20<strong>23</strong><br />

21


<strong>Musical</strong>s in Deutschland<br />

Die Uraufführung eines <strong>mit</strong> Spannung geladenen<br />

Klassikers<br />

»A Tale of Two Cities« im Theater Hof<br />

Sidney Carton (Jannik Harneit, l.) gratuliert Lucie Manette (Birgit Reutter) und Charles Darnay (Stefan Reil, r.)<br />

zu ihrer Hochzeit<br />

Foto: H. Dietz Fotografie<br />

A Tale of Two Cities<br />

Paul Graham Brown / Reinhardt Friese<br />

Deutsch von Moritz Staemmler<br />

Theater Hof – Großes Haus<br />

Uraufführung: 27. Oktober 20<strong>23</strong><br />

Regie ............................... Uwe Kröger<br />

Co-Regie &<br />

Choreographie ................Timo Radünz<br />

Musikalische Leitung ...... Michael Falk<br />

Orchesterarrangements<br />

& Chorleitung ....................Lucia Birzer<br />

Bühnenbild ........... Herbert Buckmiller<br />

Kostüme .............. Annette Mahlendorf<br />

Lichtdesign ......... Henry Paul Rehberg<br />

Charles Darnay .................. Stefan Reil<br />

Sydney Carton ............. Jannik Harneit<br />

Lucie Manette ................ Birgit Reutter<br />

Doktor Manette ...................................<br />

Yngve Gasoy-Romdal<br />

Miss Pross .................... Stefanie Rhaue<br />

Ernest Defarge .......... Thilo Andersson<br />

Madame Defarge ........ Yvonne Prentki<br />

Jarvis Lorry ....... Maurice Daniel Ernst /<br />

Andrii Chakov<br />

Jerry Cruncher .............. Tamás Mester<br />

Marquis d´Evrémonde ..... Ralf Hocke /<br />

Michal Rudzinski<br />

Stryver ...................... Christiane Seidel<br />

John Barsad .................... Ralf Hocke /<br />

Michal Rudzinski<br />

Gabelle ................ Hans-Peter Pollmer<br />

Richter ...................... Christiane Seidel<br />

Opernchor des Theater Hof<br />

Ganze 518 Seiten umfasst die deutsche Version von<br />

Charles Dickens´ »Eine Geschichte aus zwei Städten«<br />

(»A Tale of Two Cities«). Und weil der Vergleich<br />

unweigerlich fallen muss, ob der ähnlichen Problematik<br />

<strong>mit</strong> einer französischen Revolution, der Menge an<br />

möglichen Charakteren und Nebensträngen: Victor<br />

Hugos »Die Elenden« (»Les Misérables«) kommt auf<br />

1344 Seiten. Wenn man nun also eine Vorlage nimmt,<br />

die so einen großen, bunten Strauß an Möglichkeiten<br />

bietet, ist es immer im Auge des Schaffenden zu entscheiden,<br />

wo die Schwerpunkte liegen sollen, welche<br />

Momente aus dem Roman eine so große Relevanz<br />

haben, dass sie <strong>mit</strong> einem Song bedacht werden können,<br />

und wo man etwas zusammenkürzt.<br />

»A Tale of Two Cities« wurde bereits <strong>mit</strong> zwei<br />

<strong>Musical</strong>s bedacht. Jill Santoriellos Version lief u. a.<br />

am Broadway und wurde bei verschiedenen Preisverleihungen<br />

<strong>mit</strong> Nominierungen und Auszeichnungen<br />

bedacht. Eine deutlich freiere Version schuf Howard<br />

Goodall, der die Handlung von Paris nach St. Petersburg<br />

verlegte, um sich so<strong>mit</strong> auch von dem Vergleich<br />

<strong>mit</strong> »Les Misérables« freischaufeln zu können. Nun<br />

folgt also die Version von Paul Graham Brown, dessen<br />

Texte von Moritz Staemmler übersetzt wurden.<br />

Dem Programmheft ist zu entnehmen, dass auch Uwe<br />

Kröger als Regisseur maßgeblichen Einfluss auf die<br />

Geschichte genommen hat.<br />

Diese beginnt 1775, Jarvis Lorry besucht die da<br />

18-jährige Lucie Manette, welche nach dem irrtümlich<br />

festgestellten Tod ihres Vaters, Doktor Alexander<br />

Manette, von Paris nach London gebracht wird und<br />

dort unter der Obhut von Miss Pross aufwächst.<br />

Gemeinsam reisen sie alle nach Paris und finden den<br />

völlig verstörten Vater im Haus von Ernest und Thérèse<br />

Defarge wieder. Lucie beschließt, sich der Pflege<br />

ihres Vaters anzunehmen, und so kehren sie nach<br />

London zurück. Fünf Jahre später müssen Lorry, Doktor<br />

Manette und Lucie als Zeugen bei einem Prozess<br />

gegen Charles Darnay aussagen. Dieser wird freigesprochen,<br />

verliebt sich sofort in Lucie und besucht<br />

sie immer wieder. Bei diesen Besuchen baut er auch<br />

eine freundschaftliche Beziehung zu Doktor Manette<br />

auf, der die Beziehung zwischen Darnay und seiner<br />

Tochter unterstützt, von dessen Vergangenheit aber<br />

nichts wissen will. Der auch bei dem Prozess anwesende<br />

Sidney Carton verfällt ebenfalls Lucies Charme,<br />

muss jedoch erkennen, dass er als Alkoholiker nicht<br />

der Mann ist, den sie verdient. Er gesteht ihr zwar<br />

seine Liebe, muss sich aber <strong>mit</strong> der Rolle des guten<br />

Freundes zufriedengeben. Bevor Darnay seiner Lucie<br />

einen Heiratsantrag macht, fährt er nach Frankreich,<br />

um dort seinen Onkel, den Marquis d´Evrémonde, zu<br />

besuchen. Darnay macht unmissverständlich klar, dass<br />

er von dem herrschenden Ständesystem nichts hält.<br />

In derselben Nacht wird der Marquis von einem aufgebrachten<br />

Vater ermordet, dessen Tochter bei einem<br />

Unfall <strong>mit</strong> der Kutsche des Marquis´ ums Leben kam.<br />

Dies alles trägt zum Ausbruch der Revolution bei, von<br />

der Darnay lange nicht betroffen ist, bis 1792 dann ein<br />

Brief von dem Verwalter des Schlosses seines Onkels<br />

bei ihm in London eintrifft. Jener wurde unrechtmäßig<br />

verhaftet und bittet Darnay nun um Hilfe. Dieser<br />

macht sich sofort auf den Weg nach Frankreich, seine<br />

Frau, samt Baby und Vater, folgt ihm. Vor Ort erfahren<br />

22<br />

blickpunkt musical <strong>06</strong>/20<strong>23</strong>


<strong>Musical</strong>s in Deutschland<br />

sie die ganze Wahrheit über die Herkunft von Darnay,<br />

der wiederum selbst inzwischen verhaftet wurde. Lucie<br />

möchte ihren Mann unterstützen und stellt sich, trotz<br />

der Gefahren, täglich an einen Ort, an dem er sie vom<br />

Fenster des Gefängnisses aus betrachten kann. Doktor<br />

Manette, beim Volk besonders angesehen durch seine<br />

Fehlverurteilung einige Jahre zuvor, erweist sich als<br />

großer Fürsprecher und schafft es, dass Darnay freigesprochen<br />

wird. Thérèse Defarge als Anführerin der<br />

Revolution lässt dieser Freispruch keine Ruhe und so<br />

sorgt sie dafür, dass er erneut angeklagt wird. Ausgerechnet<br />

durch einen Brief von Manette, welchen dieser<br />

noch im Gefängnis verfasst hatte, wird Darnay schwer<br />

belastet und nun doch zum Tode verurteilt. Sydney<br />

steht ihm und Lucie heldenhaft bei und stellt sein gutes<br />

Herz unter Beweis.<br />

Diese kurze Zusammenfassung kann nicht annähernd<br />

all das zeichnen, was noch an Nebeninformationen<br />

auf der Bühne passiert. Und das, was auf der<br />

Bühne passiert, kann fast nur schemenhaft zusammenfassen,<br />

was alles in Dickens´ Roman geschrieben steht.<br />

Gekürzt werden muss für die Bühne immer, der Teufel<br />

steckt hier leider im Detail, denn durch die vielen Kürzungen<br />

und Zusammenfassungen von Geschehnissen<br />

gehen leider viele Momente unter bzw. führen beim<br />

Zuschauer durchaus zu Verwirrungen. Leider wird auch<br />

immer wieder auf tiefergehende Emotionalität zugunsten<br />

schneller Erzählweise verzichtet. So findet, als<br />

Beispiel, fast nahtlos die Abhandlung statt, dass Lucie<br />

keinen Sinn in einer Heirat erkennt, dann aber doch<br />

durch einen plötzlichen Sinneswandel Darnay heiratet<br />

und noch nach der ersten Strophe des Hochzeitsliedes<br />

das neugeborene Baby in den Händen hält. Hier muss<br />

unbedingt erwähnt werden, dass das Ineinander-Verlieben<br />

der beiden Figuren von Kröger sehr schön und<br />

klar inszeniert wurde; auch die Freundschaft zwischen<br />

Doktor Manette und Darnay wurde <strong>mit</strong> gutem Blick<br />

für das Detail herausgearbeitet. Entsprechend fallen<br />

dann so plötzliche Schnitte auch umso mehr auf. Was<br />

ebenfalls verblüfft, ist die Geschichte der Defarges, für<br />

die sich gefühlt an den falschen Stellen Zeit genommen<br />

wird. So erinnern sie unweigerlich immer wieder an<br />

die Thénardiers aus »Les Misérables«, wenngleich nicht<br />

ganz so auf Kalauer gemacht – dass aber Thérèses ganzer<br />

Hass und Handeln in der Vergangenheit begründet<br />

liegen, erschließt sich schwerlich und erst ganz am<br />

Schluss. Dies ist natürlich für den Spannungsbogen<br />

wichtig, allerdings bleibt dann keine Zeit mehr, um<br />

der Problematik den ihr eigentlich zustehenden Raum<br />

zu geben. Es wäre schön, wenn das Stück noch einmal<br />

überarbeitet werden würde, denn das Potenzial für ein<br />

großes, spannendes und emotionales Theatererlebnis<br />

ist zweifellos spürbar.<br />

Auch ohne den Feinschliff am Buch erleben die<br />

Zuschauer einen sehr schönen Abend in Hof, was allen<br />

voran an der wirklich sehr gut besetzten Cast liegt.<br />

Stefan Reil als Charles Darnay bringt die nötige Stärke<br />

und Durchsetzungskraft <strong>mit</strong>, die die Figur braucht,<br />

um sich glaubhaft gegen das herrschende System in<br />

Frankreich zu stellen und da<strong>mit</strong> seine eigene Familie<br />

Abb. unten von links oben:<br />

1. (v.l.): Lucie Manette (Birgit<br />

Reutter) <strong>mit</strong> ihrem Vater Doktor<br />

Manette (Yngve Gasoy-Romdal)<br />

und ihrer großen Liebe Charles<br />

Darnay (Stefan Reil)<br />

2. Sidney Carton (Jannik Harneit, r.)<br />

hilft Charles Darnay (Stefan Reil, l.)<br />

vor Gericht<br />

3. Lucie Manette (Birgit Reutter,<br />

5.v.r.) freut sich <strong>mit</strong> allen anderen<br />

(Ensemble) <strong>mit</strong> dem frisch freigesprochenen<br />

Charles Darnay (Stefan<br />

Reil, 4.v.r.)<br />

4. Doktor Manette (Yngve Gasoy-<br />

Romdal) macht sich <strong>mit</strong> Lucie (Birgit<br />

Reutter) auf den Weg nach Paris<br />

Fotos (4): H. Dietz Fotografie<br />

blickpunkt musical <strong>06</strong>/20<strong>23</strong><br />

<strong>23</strong>


<strong>Musical</strong>s in Deutschland<br />

Abb.unten von links oben:<br />

1. Lucie Manette (Birgit Reutter)<br />

heiratet glücklich Charles Darnay<br />

(Stefan Reil)<br />

2. Jarvis Lorry (Andrii Chakov, l.)<br />

und Jerry Cruncher (Tamás Mester,<br />

r.) weisen Sidney Carton (Jannik<br />

Harneit, Mitte) auf seine Unzulänglichkeiten<br />

hin<br />

3. Doktor Manette (Yngve Gasoy-<br />

Romdal, vorne l.) bricht zusammen,<br />

als er die Verantwortung für<br />

Charles Darnays (Stefan Reil, Mitte,<br />

<strong>mit</strong> Ensemble) weitere Anklage<br />

übernehmen muss<br />

4. Lucie Manette (Birgit Reutter, l.) und<br />

Charles Darnay (Stefan Reil, r.) helfen<br />

Doktor Manette (Yngve Gasoy-<br />

Romdal, Mitte) bei der Verarbeitung<br />

seelischer Wunden<br />

Fotos (4): H. Dietz Fotografie<br />

zu verraten. Zum anderen aber überzeugt er vor allem<br />

auch <strong>mit</strong> seiner Liebenswürdigkeit, die zu dem Vertrauen<br />

von Lucie und Doktor Manette führt. Ihm<br />

optisch tatsächlich sehr ähnlich, wie vom Buch vorgegeben<br />

und für die Story wichtig, spielt sich Jannik Harneit<br />

als Sydney Carton in die Herzen der Zuschauer.<br />

Er stellt den leicht vertrottelten, <strong>mit</strong> den Süchten<br />

kämpfenden und dennoch die Hoffnung auf ein besseres<br />

Leben und Dasein nicht aufgebenden Carton<br />

sehr präzise und stark ausgearbeitet dar. Jede Gefühlsregung<br />

und jeder Entschluss scheinen tatsächlich aus<br />

ihm herauszukommen. Auch gesanglich überzeugt er,<br />

ihm gehören die schönsten musikalischen Momente<br />

und diese weiß er zu nutzen. Mit sehr klarer, schöner<br />

Stimme macht auch Birgit Reutter als Lucie Manette<br />

auf sich aufmerksam. Dies macht bei den Gesangsstücken<br />

schon sehr viel Freude, kommt aber vor allem bei<br />

den Dialogen sehr positiv zur Geltung. Ihr zur Seite als<br />

kranker Vater steht Yngve Gasoy-Romdal, der hier nur<br />

sehr kurz singen darf, dafür aber ein schauspielerisches<br />

Glanzstück auf die Bühne bringt. Den alten, gebrochenen<br />

Mann stellt er <strong>mit</strong> großer Präzision dar, immer<br />

rollenkonform auch in den Auf- und Abgängen von der<br />

Bühne. Stefanie Rhaue als Miss Pross beweist ebenfalls<br />

ihr Talent, stimmlich und schauspielerisch überzeugen<br />

auch Thilo Andersson und Yvonne Prentki als Ehepaar<br />

Defarge sowie Tamás Mester als Jerry Cruncher. Publikumsliebling<br />

war Ralf Hocke, der insbesondere als<br />

Marquis d´Evrémonde für Unterhaltung sorgte.<br />

Alles in allem darf man sagen, dass hier wirklich<br />

ein sehr sorgfältig ausgewähltes Ensemble auf der<br />

Bühne steht, welches <strong>mit</strong> sehr feiner Klinge geschliffenes<br />

Schauspiel aufweist. Das Lob hierfür gebührt<br />

Regisseur Uwe Kröger, der sicherlich <strong>mit</strong> seinen vielen<br />

Jahren als Darsteller entsprechendes Wissen <strong>mit</strong>bringt,<br />

dieses aber auch exzellent umsetzt. An seiner Seite steht<br />

Timo Radünz als Co-Regisseur und Choreograph.<br />

Die Bühne ist sehr schlicht gehalten, Herbert Buckmiller<br />

hat <strong>mit</strong> zwei fahrbaren Podesten sowie zwei<br />

Treppen viel Raum für das gelassen, was gut gemachtes<br />

Theater kann: die Vorstellungskraft der Zuschauer<br />

nutzen. Unterstützt von wenigen Requisiten und Projektionen,<br />

vor allem aber vom Lichtdesign von Henry<br />

Paul Rehberg, gelingt es, den Zuschauer mühelos von<br />

Paris nach London und zurück zu bringen. Die Kostüme<br />

von Annette Mahlendorf sind zeitgemäß gestaltet<br />

und passen da<strong>mit</strong> gut in das Gesamtkonzept der<br />

Inszenierung.<br />

Brown hat musikalisch fast filmisch gearbeitet, er<br />

spannt große Bögen und arbeitet einzelne Themen<br />

immer wieder geschickt ein, so dass es ein rundes<br />

Erlebnis wird. Dass die Musik Freude macht, liegt auch<br />

an dem Orchester unter der Leitung von Michael Falk.<br />

Dieser legt, wie schon die Darsteller auf der Bühne,<br />

sehr viel wert auf die Feinheiten. So kommen die großen,<br />

wuchtigen Momente ebenso klar zum Ausdruck<br />

wie die Schönheit der zarten Töne.<br />

Es ist sicherlich schwierig, so einen sehr detailreichen<br />

Stoff bühnenkonform umzuschreiben, und es<br />

wäre wünschenswert, wenn man in Deutschland mehr<br />

Zeit für Previews und Überarbeitungen hätte, denn es<br />

sind hier nur Kleinigkeiten, die das Stück als Gesamterlebnis<br />

runder machen würden. Nichtsdestotrotz: Der<br />

Weg nach Hof lohnt einmal mehr, insbesondere wegen<br />

der wirklich hervorragenden Besetzung.<br />

Sabine Haydn<br />

<strong>24</strong><br />

blickpunkt musical <strong>06</strong>/20<strong>23</strong>


News<br />

12/20<strong>23</strong> – 01/20<strong>24</strong><br />

CHINA GIRL<br />

Save the Date<br />

Auch in 20<strong>24</strong> geht die Stage<br />

School <strong>mit</strong> 9 Terminen in 7 Städten<br />

in Deutschland, Österreich<br />

und der Schweiz auf Tour. Nach<br />

dem großen Erfolg der letzten<br />

Jahre freuen sich Casting-Direktorin<br />

Anja Launhardt und ihr Team<br />

wieder <strong>mit</strong> zahlreichen Talenten<br />

im Rahmen der Castingtour in Einzelcoachings<br />

zu arbeiten und die<br />

Aufnahmeprüfung abzunehmen.<br />

Alle Infos und Anmeldung unter<br />

stageschool.de/ausbildung/<br />

casting-tour<br />

Das Beste aus zwei Welten: <strong>Musical</strong> trifft Akrobatik.<br />

Atemberaubendes Acrobatical <strong>mit</strong> der Musik von David Bowie ab dem 26. Januar 20<strong>24</strong> im First Stage Theater.<br />

Mit einer Neuinszenierung holt First Stage Chef Dennis Schulze die spektakuläre Show CHINA GIRL des Chinesischen Nationalcircus<br />

<strong>mit</strong> den Welthits von David Bowie erstmalig nach Hamburg. Bereichert wird das ACROBATICAL in der Hamburger<br />

Fassung exklusiv durch eine Erweiterung des Ensembles <strong>mit</strong> den hochkarätigen <strong>Musical</strong>profis aus dem First Stage Theater. Als<br />

Musikalischer Leiter konnte der international erfolgreiche Adrian Werum gewonnen werden. Die ergreifende Handlung dieses<br />

atemberaubenden Events verlegt die Kulisse von Shakespeares legendärem Klassiker Romeo und Julia ins heutige New<br />

York. EAST MEETS WEST in einem Show-Spektakel, das nicht nur Tanz, Gesang, <strong>Musical</strong> und Akrobatik vereint, sondern<br />

auch <strong>mit</strong> bildgewaltigen LED-Projektionen modernste Technik zum Einsatz bringt. firststagehamburg.de<br />

Absolvent:innen auf Erfolgskurs<br />

Die Absolvent:innen der Stage School sind gefragte Profis in nationalen und internationalen Bühnenproduktionen: Qualität,<br />

Professionalität und Ausdauer sind ihr Markenzeichen. Hier nur einige Beispiele aus den aktuellen deutschen Produktionen:<br />

Foto: Wolfgang Werner<br />

Abenteuerland -<br />

Das PUR <strong>Musical</strong><br />

(Capitol Düsseldorf)<br />

Florian Karnatz,<br />

Lena Pudenz<br />

Marcel Walther<br />

Pauline Schubert<br />

China Girl<br />

(First Stage Hamburg)<br />

Nathalie Schöning<br />

Tabitha Eugling<br />

Thea Busch<br />

Fiorina Bogatu<br />

Falling In Love<br />

(Friedrichstadtpalast Berlin)<br />

Sophie Alter<br />

Jara Buczynski<br />

Harry Potter<br />

(Mehr! Theater Hamburg)<br />

Alexander Plein<br />

Michael Clauder<br />

Johannes Gratz<br />

Marco Heinrich<br />

Stephan R. Przywara<br />

Michael B. Sattler<br />

Moulin Rouge<br />

(<strong>Musical</strong> Dome Köln)<br />

Olivia I. Grassner<br />

Alexandra Nikolina<br />

Disneys Die Eiskönigin<br />

(Theater an der Elbe Hamburg)<br />

Meltem Ürküt<br />

Tina - Das Tina Turner <strong>Musical</strong><br />

(Apollo Stuttgart)<br />

Lisa Wissert<br />

Alice Wittmer<br />

Tarzan<br />

(Palladium Stuttgart)<br />

Hannah Leser<br />

Mamma Mia!<br />

(Neue Flora Hamburg)<br />

Robin Apostel<br />

René Siepen<br />

Nadine Baas<br />

Eiko Keller<br />

Tanz der Vampire<br />

(Operettenhaus Hamburg)<br />

Till Jochheim<br />

Alexander Ruttig<br />

König der Löwen<br />

(Theater am Hafen Hamburg)<br />

Cedric Jonathan Nayna<br />

Romeo & Julia<br />

(Theater des Westens Berlin)<br />

Steffi Irmen<br />

Edwin Parzefall<br />

Melanie Kastaun<br />

Monika Schweighofer<br />

Marius Bingel<br />

Der Zauberer von Oz<br />

(Stadttheater Kiel)<br />

Anna Luca Faradi<br />

Lara Schitto<br />

Tim Grimme<br />

Die Weihnachtsbäckerei<br />

(Schmidts Tivoli Hamburg)<br />

Aliosha Jorge Ungur<br />

Fynn Duer-Koch<br />

Peter Lehmann<br />

Lorena Dehmelt<br />

Zugewinn:<br />

<strong>Musical</strong>profi Willi Welp<br />

Schon während seiner Ausbildung an der Theaterschule des legendären Professor<br />

Peter Weck, engagierten ihn die Vereinigten Bühnen Wien für „A Chorus Line“.<br />

Er stand in unzähligen <strong>Musical</strong>-Produktionen erfolgreich als Darsteller auf der Bühne.<br />

Doch auch als Regisseur und vor allem als künstlerischer Leiter machte sich Willi Welp<br />

einen Namen, zuletzt bei der Stage Entertainment Produktion „König der Löwen“. Jetzt<br />

konnte die Stage School den erfahrenen <strong>Musical</strong>-Profi als Dozent für Schauspiel und<br />

Liedinterpretation gewinnen.<br />

Chancen<br />

Schenken<br />

Wer noch ein ganz besonderes<br />

Weihnachtsgeschenk für seinen<br />

Nachwuchs sucht, wird <strong>mit</strong> einem<br />

Gutschein für die bundesweit<br />

stattfindenden Intensiv- Workshops<br />

sicher einen Volltreffer landen.<br />

Alle Termine und Daten unter<br />

stageschool.de<br />

Doch auch die Erwachsenen<br />

kommen nicht zu kurz:<br />

Aufgrund der großen Nach frage<br />

bietet die Stage School in 20<strong>24</strong><br />

wieder zahlreiche „<strong>Musical</strong>workshops<br />

für Erwachsene“ an.<br />

33plus.info<br />

Die Personality-Coaching-Seminare<br />

eignen sich ebenfalls hervorragend<br />

als Geschenk.<br />

personality-coaching.info


<strong>Musical</strong>s in Deutschland<br />

Die dunklen Schatten des Showbusiness<br />

Weltpremiere von »Showtime!« in Kamen<br />

Abb. oben von links:<br />

1. Für Showstar Jack (Julian<br />

Groeger, Mitte) heißt es in<br />

Kamen jetzt Showtime!<br />

2. Journalist Eckbert Feuerstack<br />

(Alexander Janacek, Mitte) verbreitet<br />

Klatsch über Showstar Jack<br />

Fotos (2): Stephan Drewianka<br />

Showtime!<br />

Robin Lindemann<br />

Lindemann Entertainment<br />

Konzertaula Kamen<br />

Uraufführung: 27. Oktober 20<strong>23</strong><br />

Regie..........................Florian Hinxlage<br />

Musikalische Leitung ............................<br />

Robin Lindemann<br />

Arrangements .......................................<br />

Christian David Rheber<br />

Choreographie .................... Lia Martin<br />

Jack ................................ Julian Groeger<br />

Anna ...................... Nora Isabel Schöpe<br />

Claire .................................... Lia Martin<br />

Schatten ........................... Daniel Sprint<br />

Eckbert Feuerstack .................................<br />

Alexander Janacek<br />

Fred .................................. Daniel Metz<br />

Tütü ......................... Sofia Elena Coretti<br />

Jolene ..................... Estelle Céline Klein<br />

Olaf ............................. Markus Streubel<br />

Ingrid .............................. Katrin Claßen<br />

In weiteren Rollen:<br />

Astrid Gutscher<br />

Robin Lindemann, <strong>Musical</strong>darsteller (»Radio Ruhrpott«),<br />

Musiker und Journalist, erfüllte sich den<br />

Traum eines eigenen <strong>Musical</strong>s für seine Heimatstadt<br />

Kamen im Ruhrgebiet. Als Autor, Komponist und<br />

Produzent stemmte er <strong>mit</strong> seiner Partnerin Ann-<br />

Sophie Schubert als Stage-Managerin innerhalb von 3<br />

Jahren das ambitionierte <strong>Musical</strong>projekt »Showtime!«<br />

für die rund 860 Zuschauer fassende Konzertaula<br />

Kamen, in der bereits Legenden wie Udo Jürgens oder<br />

Duke Ellington auftraten. Vom 27. Oktober 20<strong>23</strong><br />

standen an drei Wochenenden sechs Vorstellungen der<br />

Show auf dem Spielplan. Unter der Regie von Florian<br />

Hinxlage spielen 11 professionelle <strong>Musical</strong>darsteller<br />

<strong>mit</strong> einem 11-köpfigen Live-Orchester 19 abwechslungsreiche<br />

Songs in den Stilrichtungen Jazz, Rock<br />

und romantische Balladen, arrangiert von Christian<br />

David Rheber.<br />

Der erfolgreiche Showstar Jack (Julian Groeger)<br />

plant <strong>mit</strong> Manager Olaf (Markus Streubel) seine<br />

neue Revue. Doch das glamouröse Bühnenleben hat<br />

auch seine dunklen Seiten. Klatschreporter Eckbert<br />

Feuerstack (Alexander Janacek) setzt <strong>mit</strong> seinem<br />

tollpatschigen Praktikanten Fred (Daniel Metz)<br />

alles daran, Jacks düstere Geheimnisse aufzudecken.<br />

Dann taucht auch noch die mysteriöse Stalkerin<br />

Claire (Lia Martin) auf, die Jack <strong>mit</strong> kompro<strong>mit</strong>tierenden<br />

Fotos seiner Tablettensucht erpresst und<br />

nicht nur als seine neue Freundin in den Medien präsentiert<br />

werden will, sondern auch die Hauptrolle in<br />

Jacks neuer Show haben möchte. Ebenfalls beworben<br />

auf diese Rolle hat sich ausgerechnet Jacks verflossene<br />

Jugendliebe Anna (Nora Isabel Schöpe), die zudem<br />

auch eine talentierte Sängerin ist und perfekt in Jacks<br />

neues Stück passen würde. Doch bevor Jack erkennt,<br />

wer tatsächlich alle Fäden hinter den Kulissen zieht,<br />

ist es für den von Angststörungen in Gestalt seines<br />

Schattens (Daniel Sprint) bis hin zu Selbstmordgedanken<br />

geplagten Schauspieler beinahe zu spät…<br />

Lindemann Entertainment liefert <strong>mit</strong> dem Erstlingswerk<br />

»Showtime!« tatsächlich eine professionelle<br />

Bühnenshow ab, die musikalisch durch das recht große<br />

Live-Orchester, das während eines Songs sogar per Video<br />

auf der Projektionsleinwand würdig präsentiert wird,<br />

überzeugen kann. ›10 Finger‹ charakterisiert humorvoll<br />

inklusive kleiner Stepp-Einlage (Choreographie: Lia Martin)<br />

die Methoden der Boulevardpresse. Das fünfteilige<br />

›Schatten‹-Epos entwickelt sich musikalisch wie optisch<br />

kontinuierlich weiter bis zum eindringlichen ›Ich gehör´<br />

nur mir‹-Finale (ohne dabei etwas von einer österreichischen<br />

Kaiserin zu zitieren). Die eingängigen Balladen<br />

›Sternenstaub‹ und ›An den Mond‹ <strong>mit</strong> Spieluhr laden<br />

zum Träumen ein, während ›Mein verrücktes Liebeslied‹<br />

Claires gestörtes Verhältnis zu Jack widerspiegelt. Tatsächlich<br />

werden einige Songs als Reprisen immer wieder<br />

aufgenommen, ein gängiges Stil<strong>mit</strong>tel, welches auch<br />

andere erfolgreiche Komponisten wie Andrew Lloyd<br />

Webber nutzen. Als Kritikpunkt können die leider zu langen<br />

Umbauphasen genannt werden. Da die Konzertaula<br />

weder Schnürboden noch Drehbühne besitzt, müssen<br />

die Bühnen-Requisiten von den Darstellern hereingetragen<br />

werden, und auch wenn diese Umbauten <strong>mit</strong> Musik<br />

unterlegt sind, stören sie leider den dramatischen Fluss der<br />

Geschichte.<br />

Obwohl »Showtime!« bereits eine »runde Sache« ist, die<br />

durch ihre Professionalität durchaus überrascht, könnte das<br />

<strong>Musical</strong> sicherlich noch optimiert werden, das Publikum<br />

wird sogar ausdrücklich um Feedback nach der Vorstellung<br />

gebeten. Auch wenn die Premierenshows Anfang November<br />

abgespielt waren, sind neue Termine ab Ende Februar<br />

20<strong>24</strong> bereits zum Ticketverkauf freigeschaltet. Vielleicht<br />

etabliert sich Kamen ja tatsächlich auch für andere<br />

<strong>Musical</strong>produktionen als neue Spielstätte im Ruhrgebiet.<br />

Stephan Drewianka<br />

26<br />

blickpunkt musical <strong>06</strong>/20<strong>23</strong>


<strong>Musical</strong>s in Deutschland<br />

Sechs Damen <strong>mit</strong> Powerstimmen<br />

Uraufführung von »SIXties Girls« in Düsseldorf<br />

Am 2. Oktober feierte die <strong>Musical</strong>-Revue »SIXties<br />

Girls« im Club des Capitol Theaters in Düsseldorf ihre<br />

Uraufführung. Wer allerdings eine wirkliche Geschichte<br />

zwischen den Songs erwartet hatte, wurde enttäuscht.<br />

Für Konzept, Buch, Regie und <strong>Musical</strong> Staging zeichnen<br />

Jutta Elenz und Steve Ray, der <strong>mit</strong> seiner Produktionsfirma<br />

das Stück auch auf die Bühne bringt, verantwortlich. Die<br />

Musik besteht aus bekannten Songs der 60er Jahre, <strong>mit</strong><br />

Ausnahme des Titelsongs ›SIXties Girls‹, der eigens für<br />

diese Revue von Paul Glaser, bekannt als Komponist für<br />

Theater, Film und Fernsehen, geschrieben wurde. Unter<br />

der musikalischen Leitung von Christoph Bönecker spielte<br />

die 5-köpfige Band <strong>mit</strong> vollem Sound (Martin Otte) auf.<br />

Aber beginnen wir <strong>mit</strong> dem Positiven dieser Revue und<br />

das sind die »SIXties Girls«: Bianca Baylor als Darlene,<br />

Coreena Brown (Patti), Ceanté Emiko (Ronnie), Maeva<br />

Feitelson (Sherri), Charlie Weldon (Tammy) und Rebecca<br />

Williamson als Nancy. Alle sechs Darstellerinnen sind <strong>mit</strong><br />

Powerstimmen ausgestattet, die den Originalstimmen in<br />

nichts nachstehen, singen sie doch Songs von Showgrößen<br />

wie Aretha Franklin, Janis Joplin, Tina Turner, Petula<br />

Clark, Carol King, Dusty Springfield, Diana Ross und<br />

»The Supremes«. Eine der Protagonistinnen herauszustellen<br />

bietet sich hier nicht an, alle haben wunderbare, wenn auch<br />

sehr unterschiedliche Stimmen, die sie verstehen einzusetzen.<br />

Würde man die Augen schließen bei der Darbietung<br />

<strong>mit</strong> den Songs der »The Supremes« (u. a. ›Stop in the Name<br />

of Love‹, ›Baby Love‹), performt von Bianca Baylor, Coreena<br />

Brown und Ceanté Emiko, wäre kein Unterschied zum<br />

Original zu erkennen. Maeva Feitelsons Janis Joplin ist<br />

nicht nur in der Stimmlage identisch, sondern auch ihre<br />

Aufmachung lässt die viel zu jung verstorbene Künstlerin<br />

auferstehen. Von ihrer gefühlvollen Seite zeigen sich Charlie<br />

Weldon und ihre Kolleginnen Rebecca Williamson und<br />

Maeva Feitelson <strong>mit</strong> dem Song ›Will You Still Love Me<br />

Tomorrow‹, ehemals ein Hit von »The Shirelles«.<br />

Die wenig vorhandene Moderation übernimmt charmant<br />

Bianca Baylor und da<strong>mit</strong> auch die Anleitungen zu<br />

zwei Partyspielen: »The Name Game« und den »High<br />

School Dance Wettbewerb«. Beides wirkt wie ein Fremdkörper<br />

zwischen den dargebotenen Songs und es zieht sich<br />

entsprechend in die Länge, da die Damen immer Gäste<br />

aus dem Publikum finden müssen, die sich freiwillig den<br />

Challenges stellen wollen. Am Premierenabend hatte man<br />

ein wenig das Gefühl, dass sich auch die »SIXties Girls«<br />

nicht so ganz wohl fühlten bei den Spielen. Vielleicht hatte<br />

man in den 60er Jahren Spaß an solchen Spielen, heute<br />

wirkt es aus der Zeit gefallen und passt irgendwie nicht zur<br />

restlichen Performance.<br />

Wie schon erwähnt gibt es keine durchgängige Geschichte<br />

rund um die sechs Damen, sondern es wird eine<br />

Zeitreise durch die 60er Jahre abgebildet, in die die Lieder<br />

eingestreut sind. Die Ereignisse dieses Jahrzehnts werden<br />

<strong>mit</strong> Hilfe von Fotos, Videos und <strong>mit</strong> Zeitungsartikeln im<br />

Hintergrund des Einheitsbühnenbilds (Phil R. Daniels)<br />

eingeblendet. Dazu gehören u. a. Fotos von John F. Kennedy<br />

und Martin Luther King sowie Videos z.B. von »The<br />

Beatles« bei ihrer Ankunft auf dem New Yorker Flughafen<br />

1964. Ansonsten werden den Kapiteln entsprechende Fotos<br />

projiziert wie ein rosarotes Barbie-Zimmer in der Szenenfolge<br />

»Pyjama-Weihnachts-Party« <strong>mit</strong> mehreren Songs,<br />

u. a. ›It´s My Party‹ und ›Rockin´ Around the Christmas<br />

Tree‹.<br />

Die Kostüme und Perücken (Charles Cusick S<strong>mit</strong>h)<br />

sind vielfältig, der Zeit angepasst und sehen wertig aus. Die<br />

Sängerinnen werden von S<strong>mit</strong>h in 46 Kostüme eingehüllt,<br />

die eine bekannte Düsseldorfer Kostüm-Schmiede nach<br />

seinen Entwürfen geschneidert hat.<br />

Das Bühnenbild besteht aus der Hauptbühne <strong>mit</strong><br />

einem Steg weiter oben, von dem die Darstellerinnen rechts<br />

und links über zwei Wendeltreppen nach unten gelangen.<br />

Unterstützt wird dieses von einem ausgefeilten Lichtdesign<br />

von Chris Moylan, der <strong>mit</strong> 60 Moving Lights und über<br />

500 einzeln ansteuerbaren LED-Glühbirnen die Bühne<br />

einschließlich der Darstellerinnen zum Glitzern und Blinken<br />

bringt.<br />

Fazit des Abends: Wer kein <strong>Musical</strong> <strong>mit</strong> einer<br />

Geschichte erwartet, aber die Musik der 60er Jahre und<br />

großartige Stimmen liebt, wird diesen Revue-Abend <strong>mit</strong><br />

den »SIXties Girls« genießen.<br />

Birgit Bernds<br />

Abb. oben von links:<br />

1. Die »SIXties Girls« (v.l.: Charlie<br />

Weldon, Bianca Baylor, Rebecca<br />

Williamson, Maeva Feitelson,<br />

Coreena Brown und Ceanté Emiko)<br />

träumen ›My Boyfriend´s Back‹<br />

2. Maeva Feitelson als Janis Joplin<br />

<strong>mit</strong> ›Me and Bobby McGee‹<br />

Fotos (2): Ray Entertainment / Jost Salzmann<br />

SIXties Girls<br />

Diverse / Paul Glaser / Jutta Elenz /<br />

Steve Ray<br />

Ray Entertainment Meerbusch<br />

Capitol Theater Düsseldorf – Club<br />

Uraufführung: 2. Oktober 20<strong>23</strong><br />

Regie & <strong>Musical</strong> Staging ......................<br />

Jutta Elenz & Steve Ray<br />

Musikalische Leitung ............................<br />

Christoph Bönecker<br />

Arrangements ................. Jon Mortimer<br />

Bühnenbild .................. Phil R. Daniels<br />

Kostüme & Perücken ............................<br />

Charles Cusick S<strong>mit</strong>h<br />

Lichtdesign ..................... Chris Moylan<br />

Sounddesign ..................... Martin Otte<br />

Darlene ......................... Bianca Baylor<br />

Patti............................. Coreena Brown<br />

Ronnie .......................... Ceanté Emiko<br />

Sherri ......................... Maeva Feitelson<br />

Tammy ....................... Charlie Weldon<br />

Nancy ................. Rebecca Williamson<br />

Cover Nancy,<br />

Sherri & Tammy ......... Maja Dickmann<br />

Cover alle Rollen ....... Cynthia Kouassi<br />

blickpunkt musical <strong>06</strong>/20<strong>23</strong><br />

27


<strong>Musical</strong>s in Deutschland<br />

Auszeichnungen, <strong>Musical</strong>liebe und Menschliches<br />

Deutscher <strong>Musical</strong> Theater Preis 20<strong>23</strong> im Theater des Westens Berlin<br />

Abb oben:<br />

Das große Finale der Vergabe des<br />

Deutschen <strong>Musical</strong> Theater Preis 20<strong>23</strong><br />

Abb unten:<br />

Katharine Mehrling führte charmant<br />

durch den Abend<br />

Fotos (2): Morris Mac Matzen<br />

Theaterliebhaber, passionierte Theatermacher, Kulturver<strong>mit</strong>tler:<br />

Die Deutsche <strong>Musical</strong> Akademie<br />

besteht seit 2014, seit 2015 versammelt sie einmal jährlich<br />

Kulturschaffende, eine ausgewählte Fachjury und<br />

interessiertes Fachpublikum zum Deutschen <strong>Musical</strong><br />

Theater Preis, im letzten Jahr im Schmidts Tivoli in<br />

Hamburg, dieses Jahr im Theater des Westens in Berlin.<br />

Dabei werden nicht nur Preise in der Sparte <strong>Musical</strong><br />

vergeben, um darstellerische oder kreative Leistungen<br />

auszuzeichnen, sondern es geht ums Ganze:<br />

gebührende Anerkennung und Aufmerksamkeit für<br />

das Genre <strong>Musical</strong> sowie die Etablierung als professionelles,<br />

aber auch gesellschaftlich wichtiges Bindeglied<br />

in der Kultur zwischen Gesellschaft und Kunst.<br />

Dieses Jahr wurden in 16 Preiskategorien Produktionen<br />

und deren Stellvertretende ausgezeichnet. Neu<br />

hinzu kamen <strong>mit</strong> »Bestes Lichtdesign« und »Bestes<br />

Sounddesign« zwei neue Kategorien, die Kategorie<br />

»Bestes Musikalisches Arrangement« wurde zu »Bestes<br />

Musikalisches Gesamtbild«. Die Gewinner:innen<br />

wurden von elf Fachjuroren sowie den Mitgliedern der<br />

Akademie in einem Online-Verfahren gewählt. Bewerben<br />

konnten sich alle deutschsprachigen <strong>Musical</strong>-<br />

Uraufführungen und Neuinszenierungen von original<br />

deutschsprachigen <strong>Musical</strong>s aus Deutschland, Österreich<br />

sowie der Schweiz.<br />

Die Bühne für den diesjährigen Deutschen <strong>Musical</strong><br />

Theater Preis bot ein Rednerpult und ein Podest.<br />

Prominent an der Seite ins Bühnenbild integriert<br />

war die Band unter der Leitung von Tom van Hasselt,<br />

die die Showacts, die Preisbekanntgaben sowie<br />

Übergänge begleitete. Zahlreiche Scheinwerfer und<br />

Beleuchtungseinsätze boten eine stimmungsvolle<br />

Lichtshow. Zu Beginn kündigten Benno Lehmann<br />

und Anne Hoth aus dem Off die Moderatorin des<br />

Abends an. Katharine Mehrling, nicht nur für <strong>Musical</strong>,<br />

sondern auch für Chanson, Brecht- und Weill-<br />

Interpretationen bekannt, war als echte Berliner Institution<br />

eine sehr gute Wahl für die Preisverleihung im<br />

geschichtsträchtigen Theater des Westens. Charmant,<br />

lebendig und augenzwinkernd witzig bezauberte sie<br />

auch die Gäste auf der Bühne. Ihr zur Seite als Preisbotin<br />

des Abends war Dragqueen Marcella Rockefeller zu<br />

sehen. Kultursenator und Schirmherr des Abends, Joe<br />

Chialo, grüßte via Videoübertragung.<br />

Danach ging es <strong>mit</strong> den ersten Preisverleihungen<br />

los. In der Kategorie »Bestes Bühnenbild« rief Denise<br />

Obedekah den Gewinner Charles Quiggin für seine<br />

Arbeit an »Dällebach Kari« bei den Thunerseespielen<br />

aus. Der Gewinner für »Bestes Kostüm- & Maskenbild«<br />

war ebenfalls »Dällebach Kari« <strong>mit</strong> der kostümund<br />

maskenbildnerischen Arbeit von Olivia Sieber,<br />

Ronald Fahm & Aleš Valášek.<br />

Preispatin Annett Louisan hob die Bedeutung und<br />

Wirkung der Musik in <strong>Musical</strong>s hervor und lobte die<br />

drei Nominierten in der Kategorie »Beste Komposition«<br />

dafür, diese Gratwanderung zwischen Innovation und<br />

dem Druck, die Produktion verkaufen zu müssen, <strong>mit</strong><br />

Mut gemeistert zu haben: Gisle Kverndokk konnte sich<br />

<strong>mit</strong> »Briefe von Ruth« (<strong>Musical</strong> Frühling in Gmunden)<br />

durchsetzen. Louisan beschrieb dann für die<br />

neugestalteten Preiskategorie »Bestes Musikalisches<br />

Gesamtbild« die Arbeit der musikalischen Leitung.<br />

Zum ersten Mal in dieser Form gewannen den Preis<br />

28<br />

blickpunkt musical <strong>06</strong>/20<strong>23</strong>


<strong>Musical</strong>s in Deutschland<br />

Marian Lux & Markus Syperek für »Mary Shelleys<br />

Frankenstein« (Luisenburg-Festspiele Wunsiedel).<br />

Aus »Scholl – Die Knospe der Weißen Rose« war<br />

dann der erste Showact des Abends zu hören, ›Gemeinsam‹<br />

sangen und berührten Sandra Leitner und Alexander<br />

Auler als das Geschwisterpaar Scholl <strong>mit</strong> zusätzlicher<br />

Bandbegleitung von Hui-Fang Lee-Kronenberg<br />

und Robert Paul. Dann kündigte eine Präsentation<br />

dessen, wie missglückte Tontechnik klingt und was für<br />

Probleme eine schlecht ausgeleuchtete Bühne bringen<br />

kann, die Preisvergabe für »Bestes Sounddesign« und<br />

»Bestes Lichtdesign« <strong>mit</strong> Preispate Claudio Maniscalco<br />

an. Raphael-Aaron Moss (Lichtdesign für »Scholl«)<br />

und Florentin Adolf (Sounddesign für »Romeo &<br />

Julia – Liebe ist alles«), konnten die beiden neuen<br />

Preise entgegennehmen.<br />

Josephin Busch würdigte die oftmals doch<br />

immense, intensive Arbeit von in Nebenrollen besetzten<br />

Darstellern. Der gekrönte »Beste(r) Darsteller in<br />

einer Nebenrolle« Nico Went, der seit März als Mercutio<br />

in »Romeo & Julia« im Gastgebertheater begeistert,<br />

konnte seinen Gewinn gar nicht fassen.<br />

»Beste Darstellerin in einer Nebenrolle« Tamara<br />

Pascual (Gunvor Hofmo in »Briefe von Ruth«) hatte<br />

für den Fall eine Dankesrede vorbereitet, die nun<br />

verlesen wurde, da sie erst vor einigen Tagen Mutter<br />

geworden war. Dann war es aber auch Zeit, aus diesem<br />

Mehrfach-Preisträger-<strong>Musical</strong> etwas zu hören: ›All<br />

die Tage werden hell‹ von Jasmina Sakr, die zudem in<br />

der Kategorie »Beste Darstellerin in einer Hauptrolle«<br />

nominiert war und ihre stimmgewaltige Präsenz zeigen<br />

konnte.<br />

In der zweiten Stunde des ersten Showteils wurde<br />

der neu zu vergebende Preis in Gedenken an Craig<br />

Simmons vorgestellt. DMA-Vorsitzende Birgit Simmler<br />

sprach über das bisherige Sein und Wirken der<br />

Deutschen <strong>Musical</strong> Akademie und der Vorsitzende<br />

Marco Jung erklärte, was es <strong>mit</strong> dem Craig-Simmons-<br />

Preis auf sich hat: Mit ihm können auch Verdienste<br />

im Genre <strong>Musical</strong> ausgezeichnet werden, die nicht<br />

original deutschsprachig sind, keine Uraufführung<br />

und kein Revival in der deutschen <strong>Musical</strong>landschaft<br />

darstellen, jedoch von enormer Wichtigkeit und enormer<br />

Triebkraft für die Entwicklung dieses speziellen<br />

kulturellen Bereichs sind. Den allerersten Craig-Simmons-Preis<br />

für eine Institution darf das Landestheater<br />

Linz <strong>mit</strong>nehmen für Matthias Davids´ und Arne<br />

Beekers Bemühungen, die in Deutschland wenig<br />

bekannten <strong>Musical</strong>s »Fun Home« und »Natasha, Pierre<br />

und der große Komet von 1812« als deutschsprachige<br />

Erstaufführungen einem musicalaffinen Publikum zu<br />

präsentieren. Die Produktion von »Hamilton« wurde<br />

für ihre herausragende deutschsprachige Produktion,<br />

Übersetzung sowie den produzentischen Mut <strong>mit</strong> dem<br />

Craig-Simmons-Preis geehrt. Als drittes wurde Sophie<br />

Berner für ihre maßgebliche Rollenarbeit an der<br />

stimmlich und darstellerisch herausfordernden Satine<br />

in »Moulin Rouge!« ausgezeichnet.<br />

Weiter ging es <strong>mit</strong> dem Deutschen <strong>Musical</strong> Theater<br />

Preis für »Bestes Revival« für »Dällebach Kari« (die<br />

Thunerseespiele gewannen insgesamt vier Preise) <strong>mit</strong><br />

Preispate Klaus Wowereit. Sophia Euskirchen und<br />

Martin Gerke stellten dem Publikum <strong>mit</strong> ›Manfreds<br />

Traum‹ und ›Wir sind der Leuchtturm‹ das <strong>Musical</strong><br />

»Der geteilte Himmel« vor.<br />

Jury-Mitglied Dominik Flaschka durfte als Laudator<br />

den Sonderpreis der Jury an »Das fliegende Klassenzimmer«<br />

am Salzburger Landestheater verkünden, um<br />

den beeindruckenden künstlerischen Ernst, die Arbeit<br />

und Entwicklung des jungen Ensembles zu würdigen.<br />

Als es Zeit für die Preiskategorie »Beste Regie«<br />

war, machte Laudator Jannik Schümann humorvoll<br />

Abb. unten von links oben:<br />

1. »Beste Choreographie«: Jonathan<br />

Huor<br />

2. »Beste Komposition«: Gisle<br />

Kverndokk<br />

3. »Bestes Musikalisches Gesamtbild«:<br />

Markus Syperek & Marian<br />

Lux<br />

4. Craig-Simmons-Preis: Sophie<br />

Berner<br />

5. »Bestes Lichtdesign«: Raphael-<br />

Aaron Moss<br />

6. »Bestes Kostüm- & Maskenbild«:<br />

Aleš Valášek & Olivia Sieber<br />

7. Ehrenpreis der Deutschen <strong>Musical</strong><br />

Akademie: Stefan Huber (Mitte) <strong>mit</strong><br />

seinem Mann Alen Hodzovic, l., und<br />

Holk Freytag, Intendant der Bad<br />

Hersfelder Festspiele, r.<br />

Fotos (7): Morris Mac Matzen<br />

blickpunkt musical <strong>06</strong>/20<strong>23</strong><br />

29


<strong>Musical</strong>s in Deutschland<br />

Abb. unten von oben links:<br />

1. »Beste Regie«: Aslı Kışlal<br />

2. »Beste Darstellerin in einer<br />

Hauptrolle«: Jasmina Sakr<br />

3. Craig-Simmons-Preis: Arne<br />

Beeker<br />

4. »Bestes Sounddesign«:<br />

Florentin Adolf<br />

5. »Bester Darsteller in einer<br />

Hauptrolle«: Rolf Sommer<br />

6. »Bester Darsteller in einer<br />

Nebenrolle«: Nico Went<br />

7. »Bestes <strong>Musical</strong>«: »Briefe von Ruth«<br />

Fotos (7): Morris Mac Matzen<br />

als Tollpatsch vor, <strong>mit</strong> was für Regieanweisungen in<br />

Textform sich Darsteller beschäftigen. Mit Aslı Kışlal<br />

für die Produktion »Stella – Das blonde Gespenst vom<br />

Kurfürstendamm« am Theater für Niedersachsen (Hildesheim)<br />

gewann den Regie-Preis zum ersten Mal eine<br />

Frau. Bei der Vergabe des Preises für die »Beste Choreographie«<br />

ging Jonathan Huor für seine Arbeit an<br />

»Romeo & Julia – Liebe ist alles«, der sich für weiteres<br />

Mutigsein, Offenheit und andere Herangehensweisen<br />

aussprach, als Gewinner hervor.<br />

Moderatorin Katharine Mehrling zählte zur humoresken<br />

Demontierung des Glaubens an ein scheinbar<br />

glamouröses Leben im <strong>Musical</strong>betrieb harte Realitätsfakten<br />

auf und besang <strong>mit</strong> ›Castrop-Rauxel‹ (»Am<br />

Rande der Nacht«) charmant chansonartig den Alltag<br />

in der deutschen <strong>Musical</strong>-Provinz.<br />

Die zweite Hälfte des Abends eröffnete <strong>mit</strong> einer<br />

Songauswahl aus »Romeo & Julia«: Die Berliner Produktionscast<br />

präsentierte das Lebensgeister weckende<br />

›Es lebe der Tod‹ und die für das <strong>Musical</strong> arrangierte<br />

Version von ›Liebe ist alles‹. Katharine Mehrling<br />

träumte zu ruhiger Lounge-Musik von mehr Aufmerksamkeit<br />

für <strong>Musical</strong>, zum Beispiel im TV, oder von<br />

Spielplänen, auf denen nicht nur »Jesus Christ Superstar«<br />

steht. Sie machte aber auch klar: Ohne <strong>Musical</strong>-<br />

Geschichte kann es keine <strong>Musical</strong>-Gegenwart geben,<br />

und sie begrüßte neue Triebkräfte.<br />

Der <strong>mit</strong> dem Theater des Westens geschichtlich verbundene<br />

Choreograph, Ballettdirektor und Regisseur<br />

Jürg Burth verkündete die Preisträger für »Beste Liedtexte«<br />

(Gewinner: Miriam Schwan & Carola Söllner<br />

für »Sie rufen außerhalb der Sprechzeiten an — Ein<br />

Psychical« am Brandenburger Theater) sowie »Bestes<br />

Buch« (Gewinner: Peter Lund <strong>mit</strong> »Frankensteins<br />

Braut« am Stadttheater Ingolstadt). Im Anschluss hielt<br />

der Bad Hersfelder Festspiele-Intendant Holk Freytag<br />

die Laudatio für den Ehrenpreis der Deutschen<br />

<strong>Musical</strong> Akademie. Der als Darsteller, Autor, Übersetzer<br />

und vor allem als Regisseur bekannte Stefan Huber<br />

erschien, schwer von seiner Krankheit gezeichnet,<br />

unterstützt von seinem Ehemann Alen Hodzovic, der<br />

auch dessen Dankesrede für ihn vorlas.<br />

In einer musikalischen Pause vor den letzten Preisverleihungen<br />

trug Gino Emnes <strong>mit</strong> seiner unverkennbaren<br />

Stimme ›Warte noch‹ aus »Hamilton« vor. Im<br />

Anschluss daran war als »Bester Darsteller in einer<br />

Hauptrolle« Rolf Sommer (»Dällebach Kari«, Thunerseespiele)<br />

zu Tränen gerührt. Er bedankte sich herzlich<br />

bei seinem Ensemble, <strong>mit</strong> dem er nach Bekanntgabe<br />

der »Beste(n) Darstellerin in einer Hauptrolle« (Jasmina<br />

Sakr für »Briefe von Ruth«) gleich noch live <strong>mit</strong><br />

›Stern über Bern‹ überzeugen und zeigen konnte, dass<br />

Sprachbarrieren im <strong>Musical</strong> nicht unüberwindbar sein<br />

müssen. Zuletzt verlas noch Katja Ebstein die Produktion,<br />

die als »Bestes <strong>Musical</strong>« gewählt worden ist:<br />

»Briefe von Ruth«, <strong>mit</strong> dem der <strong>Musical</strong> Frühling in<br />

Gmunden insgesamt gleich vier Preise gewonnen hat.<br />

Der diesjährige <strong>Musical</strong> Theater Preis bestand aus<br />

glücklichen Gewinnern, humorigen, unterhaltsamen<br />

Moderationen und Laudationen. Er bestand aber auch<br />

aus gesellschaftlich und gesellschaftspolitisch wichtigen<br />

<strong>Musical</strong>stoffen, aus fortschrittlichen Herangehensweisen,<br />

aus Wünschen und Träumen für die Zukunft<br />

des <strong>Musical</strong>s. Vor allem aber hat die Veranstaltung<br />

Interessierte und Passionierte zusammengeführt und<br />

den einen oder anderen Einblick in die Branche und<br />

die Arbeit <strong>mit</strong> Leidenschaft oder in den persönlichen<br />

Lebensalltag gegeben. Ambitioniertes <strong>Musical</strong><br />

kann man nur <strong>mit</strong> Herzblut machen und vor allem:<br />

gemeinsam.<br />

Rosalie Rosenbusch<br />

30<br />

blickpunkt musical <strong>06</strong>/20<strong>23</strong>


<strong>Musical</strong>s in Deutschland<br />

Headline Schwarzer Humor, verpackt in bunte Vielfalt<br />

Subline »The Producers« an der Musikalischen Komödie Leipzig<br />

Max Bialystock (Patrick Rohbeck), einst ein gefeierter<br />

Broadway-Produzent, trauert seinen erfolgreichen<br />

Jahren hinterher, nachdem seine letzten Werke<br />

floppten. Unerschütterlich hält er an dem Glauben<br />

fest, zu altem Glanz und alter Glorie zurückzufinden.<br />

Neben dem Suhlen in Selbst<strong>mit</strong>leid und der Hingabe<br />

an goldene Zukunftsträume muss er sich um seine<br />

altehrwürdigen Investorinnen kümmern – schließlich<br />

kann er ohne »Scheckis« keine umjubelten »Stückis«<br />

produzieren. Der unangekündigte und allumfassend<br />

ungebetene Besuch seines Buchhalters Leo Bloom<br />

(Nick Körber) macht ihm beinahe einen Strich durch<br />

die Rechnung, bis eben jener einen Gedanken äußert,<br />

der Max hellhörig werden lässt: Ein Flop könnte finanziell<br />

lukrativer sein als ein Hit, wenn man geschickt<br />

<strong>mit</strong> den Zahlen umzugehen weiß. Gesagt, getan, und<br />

ehe er sichs versieht, geht der schüchterne Jungspund<br />

keinem tristen Bürojob mehr nach, sondern folgt seinem<br />

Traum, selbst zu einem erfolgreichen Producer<br />

aufzusteigen.<br />

Bialystock hat für die gemeinsame Unternehmung<br />

inzwischen einen Plan aufgestellt. Im ersten Schritt<br />

quälen sie sich auf der Suche nach dem schlechtesten<br />

Stück durch Unmengen an Manuskripten. Kurz vor<br />

der absoluten Verzweiflung stehend, werden sie fündig:<br />

»Frühling für Hitler« soll ihren (Miss-)Erfolg sichern.<br />

Mit Überzeugungskraft und dem Leisten eines Schwures<br />

schafft es das ungleiche Paar, vom Autor, Alt-Nazi<br />

Franz Liebkind (Michael Raschle), die Rechte zur Aufführung<br />

zu erhalten. Ihren ganzen Charme setzen sie<br />

in Schritt zwei ein und verpflichten den miserabelsten<br />

Regisseur der Stadt, Roger deBris (Andreas Rainer).<br />

Jetzt fehlen für den Flop des Jahrhunderts nur noch<br />

die untalentiertesten Schauspieler. Hierbei stolpert<br />

ihnen die Schwedin Ulla (Olivia Delauré) in die Arme,<br />

die bis zu den Proben kurzerhand als Sekretärin angestellt<br />

wird. Während sich zwischen ihr und Leo eine<br />

zarte Liebe entwickelt, sammelt Max bei seinen alten<br />

Damen die 2 Millionen Investitionsgelder ein. Mit<br />

diesen wollen sie sich im Anschluss an die erfolglose<br />

Premiere nach Rio absetzen.<br />

Leider gestaltet sich das Auffinden einer geeigneten<br />

Besetzung des Adolf Hitler nervenaufreibender<br />

als zunächst angenommen. Niemand wird den<br />

Ansprüchen von Franz Liebkind gerecht, so dass er<br />

selbst kurzerhand für die Hauptrolle requiriert wird.<br />

Der Erstaufführung steht nichts mehr im Weg. Zum<br />

Schrecken aller wünscht Leo Bloom vor Beginn den<br />

Beteiligten ›Viel Glück!‹. Zackig wird ihm <strong>mit</strong>geteilt,<br />

dass üblicherweise der Ausspruch »Hals- und Beinbruch«<br />

am Broadway als guter Wunsch genutzt wird.<br />

Nun, Franz nimmt sich das wortwörtlich zu Herzen<br />

und bricht sich auf dem Weg zur Bühne ein Bein. Da<br />

Regisseur Roger deBris die Rolle ebenso verinnerlicht<br />

hat, springt er kurzerhand ein. Max Bialystock ist sich<br />

sicher, dass ein durch und durch schwuler Adolf Hitler<br />

zum erfolgreichsten Flop seiner Karriere führen wird.<br />

Oder?<br />

Garantiert kein Misserfolg wurde der Film »Frühling<br />

für Hitler« von Mel Brooks aus dem Jahre 1968, auf<br />

dem das <strong>Musical</strong> »The Producers« basiert. Der jüdische<br />

Theaterproduzent komponierte eigens dafür die Musik<br />

und schrieb ebenso die Liedtexte. Gemeinsam <strong>mit</strong> Co-<br />

Autor Thomas Meehan brachte er das Werk 2001 am<br />

Abb. oben:<br />

Leo Bloom (Nick Körber, l.) und Max<br />

Bialystock (Patrick Rohbeck, r.) geben<br />

alles, um Roger deBris (Andreas<br />

Rainer, Mitte) davon zu überzeugen,<br />

die Regie bei ihrem neuen Werk zu<br />

übernehmen<br />

Abb. unten:<br />

Ulla (Olivia Delauré, Mitte) hat sich<br />

selbst zum Vorstellungsgespräch bei<br />

Leo Bloom (Nick Körber, l.) und Max<br />

Bialystock (Patrick Rohbeck, r.)<br />

eingeladen und gibt alles, um<br />

die beiden Männer von sich zu<br />

überzeugen<br />

Fotos (2): Kirsten Nijhof<br />

blickpunkt musical <strong>06</strong>/20<strong>23</strong><br />

31


<strong>Musical</strong>s in Deutschland<br />

The Producers<br />

Mel Brooks / Thomas Meehan<br />

Deutsch von Nina Schneider<br />

In Übereinkunft <strong>mit</strong> StudioCanal<br />

Oper Leipzig<br />

Musikalische Komödie<br />

Premiere: 14. Oktober 20<strong>23</strong><br />

Regie ................... Dominik Wilgenbus<br />

Musik. Leitung ......... Michael Nündel /<br />

Christoph-Johannes Eichhorn<br />

Choreinstudierung ...............................<br />

Mathias Drechsler<br />

Choreographie ................. Mirko Mahr<br />

Step-Choreographie ...... Illia Bukharov<br />

Bühnenbild ....................... Peter Engel<br />

Kostüme ........................... Uschi Haug<br />

Lichtdesign ............ Björn Sundermann<br />

Videotechnik ............... Wolfgang Witt<br />

Ton .................. Holger Hammermann<br />

Max Bialystock ......... Patrick Rohbeck<br />

Leo Bloom ....................... Nick Körber<br />

Leo Bloom Tanzdouble ........................<br />

Pietro Pelleri<br />

Ulla ...... Olivia Delauré / Nora Lentner<br />

Franz Liebkind ........ Michael Raschle /<br />

Dominik Wilgenbus<br />

Roger deBris ............... Andreas Rainer<br />

Carmen Ghia ............... Jeffery Krueger<br />

Grabsch-mich-Tatsch-mich /<br />

Stalin / Richter .............Angela Mehling<br />

Stoß-mich-Kos´-mich /<br />

Churchill /<br />

Officer Rosenbaum /<br />

Mister Marks .................. Sabine Töpfer<br />

Küss-mich-Spür-mich /<br />

Chaplin ................... Martina Mühlnikel<br />

Sturmtruppenmann .......... Ivo Kovrigar<br />

Platzanweiserinnen ..............................<br />

Nicola Heinecker,<br />

Cornelia Rosenthal<br />

Nonnen ................ Selma Dettenborn,<br />

Tina Lender, Maike Wolff<br />

Theaterarbeiter ...... Alexander Range /<br />

Anton Strötzel /<br />

Sascha Strötzel<br />

Zeitungsverkäufer ...... Anton Strötzel /<br />

Sascha Strötzel<br />

Taubenpuppenspieler ..........................<br />

Selma Dettenborn /<br />

Tina Lender /<br />

Maike Wolff /<br />

Alexander Range<br />

Schäferhund ................. Anton Strötzel<br />

Sergeant Eichmann ........ Maike Wolff /<br />

Selma Dettenborn<br />

Gefängniswärter ...... Alexander Range<br />

Ballett, Chor und Extrachor der<br />

Musikalischen Komödie<br />

St. James Theatre in New York zur Uraufführung. Mit<br />

insgesamt 12 Tony Awards ist es das <strong>Musical</strong>, welches<br />

bis heute die meisten dieser begehrten Trophäen sein<br />

Eigen nennen kann. Wenige Jahre später erhielt der Film<br />

eine Neuauflage, die an den früheren Erfolg anknüpfen<br />

konnte. Die deutschsprachige Fassung des <strong>Musical</strong>s startete<br />

ihren Siegeszug im Juni 2008 im Wiener Ronacher.<br />

Keine 365 Tage danach zeigte der Berliner Admiralspalast<br />

die Produktion. Ihre unorthodoxe Werbung – an<br />

nationalsozialistische Flaggen erinnernde Banner und<br />

Fahnen <strong>mit</strong> schwarzer Brezel auf rot-weißem Grund –<br />

sorgte national und international für große Furore.<br />

Damals wie heute stellt sich die Frage, ob und wie<br />

über diese Thematik gelacht werden darf und sollte. Die<br />

Musikalische Komödie Leipzig hat »The Producers« in<br />

der aktuellen Spielzeit in ihr Programm aufgenommen.<br />

Der Betriebsdirektor des Hauses, Torsten Rose, sagte<br />

vor Beginn der Premiere: »Lachen wird die Welt nicht<br />

verändern, aber Lachen verbindet. Lassen Sie uns heute<br />

Abend zusammen lachen, lassen Sie uns verbinden und<br />

haben Sie vor allem einen unterhaltsamen Abend«, und<br />

gab da<strong>mit</strong> eine gute Antwort auf ebenjene Überlegung.<br />

Ebenso sprach er sich deutlich gegen Antise<strong>mit</strong>ismus<br />

aus. Etwas, das die Produktion gleichermaßen verdeutlicht,<br />

wenn zum Ende Hakenkreuzbinden und der<br />

Nazi-uniformierte Sturmtruppenmann im Mülleimer<br />

Abb. von links oben:<br />

1. Leo Bloom (Nick Körber, l.) und Max<br />

Bialystock (Patrick Rohbeck, r.) zeigen<br />

vollen Körpereinsatz, um von Franz<br />

Liebkind (Michael Raschle, Mitte) die<br />

Aufführungsrechte seines Stücks zu<br />

bekommen<br />

2. Max Bialystock (Patrick Rohbeck, r.),<br />

auf ihm Grabsch-mich-Tatsch-mich<br />

(Angela Mehling, l.), hat Mühe, seiner<br />

nymphomanischen Investorin den<br />

nächsten Scheck abzuluchsen<br />

3. ›Premiere heut´ Nacht‹: Die Zuschauer<br />

(Chor der Musikalischen Komödie) tun<br />

ihren Unmut über die neue Produktion<br />

von Max Bialystock kund<br />

Fotos (3): Kirsten Nijhof<br />

verschwinden.<br />

Nach 10-jähriger Leipzig-Pause kehrt Dominik<br />

Wilgenbus als Regisseur an die Musikalische Komödie<br />

zurück und inszeniert eine Fassung des Mel-Brooks-<br />

<strong>Musical</strong>s, die dessen schwarzen Humor in all seiner<br />

bunten Vielfalt punktgenau einfängt und vor der Nutzung<br />

aktueller Anspielungen nicht zurückschreckt.<br />

Zudem schafft er es, die Szenen cineastisch wechseln<br />

zu lassen, wo<strong>mit</strong> er nicht nur dem zugrundeliegenden<br />

Film Tribut zollt, sondern Tempo erzeugt, welches eine<br />

Herausforderung an die Bühnentechnik <strong>mit</strong> sich bringt.<br />

Peter Engel (Bühnenbild) hat sich der Schwierigkeit<br />

angenommen und sie bravourös gemeistert. Durch einen<br />

offenen Raum und der Hand-in-Hand-Arbeit <strong>mit</strong> dem<br />

Lichtdesign (Björn Sundermann) gelingen die Wechsel<br />

mühelos. Gleichzeitig unterstreichen Kleinigkeiten, wie<br />

das Umfallen der Fackel der Freiheitsstatue in Bialystocks<br />

Büro, einzelne Szenen. Eine Toilette war vermutlich<br />

noch nie ein so exzeptioneller Schauplatz in einem<br />

<strong>Musical</strong>, wie er hier teilweise süperb eingeflochten wird.<br />

Obwohl Kostüme (Uschi Haug) und Choreographie<br />

(Mirko Mahr) seitens der Rechtevergabe wenig Spielraum<br />

haben, bringen sie dennoch Persönlichkeit in das<br />

Stück <strong>mit</strong> ein, die die gesamte Inszenierung abrundet.<br />

Besonders die energiegeladene Step-Choreographie von<br />

Illia Bukharov gibt dem Ballett die Möglichkeit, sein<br />

32<br />

blickpunkt musical <strong>06</strong>/20<strong>23</strong>


<strong>Musical</strong>s in Deutschland<br />

Headline<br />

Können in voller Gänze auszuspielen. Und spätestens,<br />

wenn die würdevoll gealterten Tänzerinnen <strong>mit</strong> ihren<br />

Gehilfen das Parkett für sich einnehmen, weint das<br />

Publikum Subline vor Lachen.<br />

Neben dem hervorragenden Tanzensemble ist<br />

auch die Auswahl der Darsteller meisterhaft geglückt.<br />

Patrick Rohbeck kann nicht nur singen und tanzen,<br />

sondern stellt jede Situationskomik pointiert dar. Als<br />

Max Bialystock schafft er den Spagat zwischen frustriert-verzweifeltem<br />

Alt-Broadway-Star-Produzenten<br />

und dem gerissenen geld- und erfolgsgierigen Producer,<br />

der auch vor dem Tragen einer glitzernden Hakenkreuzbinde<br />

nicht Halt macht, um sein Ziel zu erreichen.<br />

Spätestens <strong>mit</strong> seiner Ein-Mann-Performance<br />

zum Song ›Verrat‹ holt er den letzten Zuschauer ab.<br />

Mit der gerafften Zusammenfassung der bisherigen<br />

Handlung vereinigt er Gesangs-, Schauspiel- und<br />

Komödiantentalent in einem.<br />

Der ebenso als Gast verpflichtete Nick Körber steht<br />

in seiner Rolle des Leo Bloom seinem Kollegen in<br />

nichts nach. Glaubhaft entwickelt er seine Figur vom<br />

schnuffeltuchabhängigen Buchhalter, der sich strikt an<br />

Regeln hält, zum souveränen Mann, der den wahren<br />

Sinn von Freundschaft verstanden hat und <strong>mit</strong> einem<br />

gesunden Selbstbewusstsein den Broadway erobert.<br />

Stimmlich harmoniert er nicht nur <strong>mit</strong> Patrick Rohbeck<br />

in ihren gemeinsamen Liedern ›Wir zusammen‹<br />

oder ›Wie ist das passiert?‹, sondern weiß auch in den<br />

Soli ›Der Blick‹ und ›Vor ihm‹ gesanglich zu überzeugen.<br />

Den Glücksspruch »Hals- und Beinbruch« hat<br />

Nick Körber selbst etwas zu wörtlich genommen und<br />

sich vor der Premiere den rechten Zeh gebrochen. Seiner<br />

Darbietung hat man dies nicht angesehen. Zudem<br />

wurde sein Tanzdouble Pietro Pelleri so geschickt eingearbeitet,<br />

dass es wie zum Stück gehörend wirkte und<br />

es eigentlich schade für all jene Zuschauer ist, die das<br />

gegebenenfalls nicht mehr erleben dürfen.<br />

›Wenn Du´s drüf hast, zeig´ es!‹ – und wie sie es<br />

drauf hat, zeigt Olivia Delauré als Ulla . Nicht nur <strong>mit</strong><br />

ihrem Gesang, sondern auch ihrem lieblichen Tanz<br />

lässt sie den Puls von Leo Bloom höher schlagen. Dazu<br />

ein koketter Augenaufschlag und die restlichen Herzen<br />

sind im Sturm erobert. Ebenso versteht sie es, <strong>mit</strong> ihrer<br />

Mimik eine individuelle Komik einzubringen, und<br />

das Durchhalten des schwedischen Akzents bis zum<br />

Schluss verdient Anerkennung.<br />

Darüber hinaus trägt das weitere Haus-Ensemble<br />

zum Erfolg der Aufführung bei. Michael Raschle gibt<br />

einen dümmlichen bayrischen Alt-Nazi Franz Liebkind,<br />

der trotz seiner ideologischen Ansichten nicht<br />

nur witzig, sondern fast ein kleines bisschen liebenswert<br />

daher kommt. Etliche Lacher haben Andreas<br />

Rainer als tuntiger Regisseur Roger deBris und sein<br />

aufgrund von Eifersucht gern mal Gift und Galle spuckender<br />

Assistent Carmen Ghia, gespielt von Jeffery<br />

Krueger, auf ihrer Seite. Besonders Erstgenannter kann<br />

als schwuler Hitler im Stück im Stück das Publikum<br />

für sich einnehmen. Angela Mehling und Sabine Töpfer<br />

kommen als charmant gealterte, nymphomanische<br />

Investorinnen <strong>mit</strong> viel Witz daher und verstehen es im<br />

weiteren Verlauf gekonnt, in den kleineren Rollen den<br />

Humor des <strong>Musical</strong>s darzubieten.<br />

Nicht nur auf der Bühne werden Glanzleistungen<br />

vollbracht. Das Orchester der Musikalischen Komödie<br />

wird beschwingt von Michael Nündel dirigiert und<br />

lässt die Kompositionen von Mel Brooks voluminös<br />

erklingen, ohne dabei die Darsteller zu übertönen.<br />

Dadurch kann sich die Gesamtheit von Musik und<br />

Gesang im Saal voll entfalten und ist ein wahrer<br />

Genuss für die Ohren.<br />

Insgesamt schafft Dominik Wilgenbus <strong>mit</strong> seiner<br />

Inszenierung von »The Producers« einen Abend, an<br />

dem man vor Lachen die Tristesse des Alltags vergessen<br />

kann. Verdientermaßen gab es zur Premiere<br />

Standing Ovations. Dort, wo Max Bialystock alles<br />

falsch machen wollte, hat man an der Musikalischen<br />

Komödie in Leipzig alles richtig gemacht und einen<br />

anerkennenswerten Erfolg feiern dürfen.<br />

Eva Baldauf<br />

Abb. oben:<br />

›Frühling für Hitler‹: Roger deBris<br />

(Andreas Rainer, Mitte, <strong>mit</strong> Chor der<br />

Musikalischen Komödie) springt als<br />

Adolf Hitler ein, nachdem sich Franz<br />

Liebkind auf dem Weg zur Bühne ein<br />

Bein gebrochen hat<br />

Abb. unten von oben links:<br />

1. (v.l.): Stoß-mich-Kos-mich (Sabine<br />

Töpfer), Grabsch-mich-Tatsch-mich<br />

(Angela Mehling) und Küss-mich-<br />

Spür-mich (Martina Mühlnikel) sind<br />

die besten Investorinnen von Max<br />

Bialystock, die nicht ahnen, dass er<br />

sie hintergehen wird<br />

2. Endlich ist Leo Bloom (Nick Körber)<br />

am Ziel seiner Träume: Er ist ein<br />

Producer<br />

3. Mister Marks (Sabine Töpfer, auf<br />

dem Tisch) erklärt Leo Bloom (Nick<br />

Körber, hinten 5.v.r.), dass er viel<br />

Wert auf Pünktlichkeit und akkurates<br />

Arbeiten legt und niemand aus der<br />

Reihe tanzen sollte<br />

Fotos (4): Kirsten Nijhof<br />

blickpunkt musical <strong>06</strong>/20<strong>23</strong><br />

33


<strong>Musical</strong>s in Deutschland<br />

Auch nach 20 Jahren noch ultrascharf?<br />

20 Jahre »Heiße Ecke – Das <strong>Musical</strong>«<br />

Abb. oben:<br />

Ein ultra-scharfes Finale <strong>mit</strong> allen<br />

Beteiligten<br />

Foto: Morris Mac Matzen<br />

Heiße Ecke –<br />

Das St. Pauli <strong>Musical</strong><br />

Martin Lingnau / Heiko Wohlgemuth /<br />

Thomas Matschoß<br />

Schmidts Tivoli Hamburg<br />

Geburtstagsshow:<br />

18. September 20<strong>23</strong><br />

Regie .......................... Corny Littmann<br />

Musikalische Leitung ....... Markus Voigt<br />

Choreographie ................. Laris Gec &<br />

Silvia Varelli<br />

Bühnenbild .................. Bader El Hindi<br />

Kostüme ................... Silke Löhmann &<br />

Frank Kuder<br />

Licht ................. Ano Nickl, Jörg Peters,<br />

Dirk Wierwille<br />

Ton ........................ Dominik Siemßen,<br />

Tilman van der Leeden,<br />

Holger Kress<br />

Ensemble:<br />

Robin Brosch, Kathi Damerow,<br />

Udo Eickelmann, Ulrike Figgener,<br />

Jasmin Fihlon, Kristin Hölck,<br />

Jogi Kaiser, Stefan Leonard,<br />

Maik Lohse, Kristian Lucas,<br />

Anja Majeski, Laura Pfister,<br />

Karim Plett, Evangelos Sargantzo,<br />

Stefanie Schwendy,<br />

Alexander Soehnle, Petra Staginnus,<br />

Katrin Taylor, Tiziana Turano,<br />

Maraile Woehe, Heiko Wohlgemuth,<br />

Benjamin Zobrys<br />

Die Luft knisterte aufgeregt, als der Hamburger<br />

Kultursenator Dr. Carsten Brosda in Hamburgs<br />

schönem Privattheater Schmidts Tivoli eine ganz einmalige<br />

Vorstellung anmoderierte. Die 5.205. Show,<br />

zum 20-jährigen Jubiläum der Hamburger <strong>Musical</strong>institution:<br />

»Heiße Ecke«. Die <strong>Musical</strong>produktion ist so<br />

erfolgreich, dass sie schon an mehreren anderen Theatern<br />

nachgespielt wurde. Besonderer Beliebtheit erfreut<br />

sie sich bei Sommer-Open-Air-Produktionen und ist<br />

so weit über die Grenzen Hamburgs hinaus populär<br />

geworden.<br />

Ein Besuch lohnt auch heute noch und ist aktuell<br />

wie eh und je, entführt die Bühnenproduktion die<br />

Zuschauer doch <strong>mit</strong>ten rein ins Kiezleben und die dort<br />

stattfindenden zwischenmenschlichen Beziehungen.<br />

In St. Pauli trifft man sich am Imbiss »Heiße Ecke«:<br />

Die Pinneberger Jungs Mikie, Frankie und Pitter, das<br />

Liebespaar Straube, der Hehler Henning, Hannelore<br />

von der Nachtschicht oder die Prostituierten Nadja,<br />

Sylvie und Martina, die von Aldi-Computern träumen<br />

und von wirklich »dicken Dingern« berichten, sind<br />

genauso am Start wie Straßenkehrer, Würstchen-<br />

Fachverkäufer, Polizisten, Zuhälter, Spielsüchtige,<br />

Hamburg-Touristen und andere kuriose Gestalten. In<br />

22 Songs erlebt der Zuschauer <strong>24</strong> Stunden des bunten<br />

Lebens auf der Reeperbahn. Die Darsteller des wunderbar<br />

spielfreudigen Ensembles springen dabei in<br />

verschiedenste Rollen und Charaktere und berichten<br />

aus ihrem Leben.<br />

In der Galavorstellung war alles etwas anders, denn<br />

in die bestehende Handlung wurden gekonnt Prominente<br />

eingewoben, was die Vorstellung zu einem einmaligen<br />

Erlebnis machte. Annett Louisan, Tim Mälzer,<br />

Stefan Gwildis, Tetje Mierendorf, Ralph Morgenstern,<br />

David Harrington und andere wurden elegant in<br />

kleine Szenenmomente, zum Beispiel als Touristen<br />

aus Paderborn oder lüsterne Touris, in die Aufführung<br />

<strong>mit</strong> eingebaut. Das funktionierte mehr als genial und<br />

nahm dem Spielfluss (bis auf den recht langen Beitrag<br />

von Gwildis) keinen Flow! Eine wahnsinnige, künstlerisch<br />

toll ausgedachte Produktions-Teamleistung,<br />

denn auch die doppelt besetzten Darsteller:innen<br />

spielten diesmal teilweise zeitgleich <strong>mit</strong>. Prominente<br />

Gratulanten waren unter anderem Schauspielerin<br />

Hannelore Hoger, die Kölner Band »Kasalla«, die<br />

ehemalige Tagesschau-Sprecherin Dagmar Berghoff,<br />

Moderator Lou Richter, Bestseller-Autor Tommy<br />

Jaud, TV-Jurorin Bettina Schliephake-Burchardt<br />

(»Das große Backen«), »Deine Freunde«-Sänger Lukas<br />

Nimscheck, Sängerin und Schauspielerin Carolin<br />

Fortenbacher, FC-St.-Pauli-Trainer Fabian Hürzeler,<br />

Schauspieler Matthias Schloo, Dragqueen Fanny<br />

Funtastic und Kiezpfarrer Karl Schultz, der als Überraschungsgast<br />

in einer rührenden Liebesduett-Szene<br />

<strong>mit</strong>spielte und auch toll <strong>mit</strong>sang. Schmidt-Theaterchef<br />

(und »Heiße Ecke«-Regisseur) Corny Littmann, der<br />

zur Feier des Tages den ›Engel von St. Pauli‹ gab, sagte:<br />

»Dieses <strong>Musical</strong> ist ein unglaublicher Erfolg, der uns<br />

selbst immer wieder überrascht und überwältigt!«<br />

Gestartet war der Abend <strong>mit</strong> einem stilechten Bierempfang,<br />

dazu gab es Currywurst, die zugunsten von<br />

Hamburg Leuchtfeuer e. V. verkauft wurde. Die Gäste<br />

konnten sich am Boxautomaten und am Glücksrad<br />

versuchen und am »Heiße Ecke«-Fotoautomaten<br />

Erinnerungsbilder schießen. Während der Show, in<br />

der statt der üblichen neun Darsteller:innen das komplette<br />

aktuelle Ensemble auf der Bühne stand, kamen<br />

Gesangsbücher zum Mitschmettern von Ohrwürmern<br />

wie ›Reeperbahn‹ zum Einsatz. Einzelne Personen<br />

hier zu nennen wäre diesmal unfair, denn wirklich alle<br />

34<br />

blickpunkt musical <strong>06</strong>/20<strong>23</strong>


<strong>Musical</strong>s in Deutschland<br />

Beteiligten auf der Bühne haben Vollgas gegeben!<br />

Wie praktisch, dass die Produktion zeitgleich zum<br />

Jubiläum auch eine neue Live-Mitschnittaufnahme<br />

zum Kauf als CD oder zum Streamen veröffentlicht hat.<br />

Nach dem großen Finale überreichte Hamburgs Erster<br />

Bürgermeister Dr. Peter Tschentscher noch Blumen auf<br />

der Bühne, u. a. an die <strong>Musical</strong>schöpfer Martin Lingnau,<br />

Heiko Wohlgemuth und Thomas Matschoß – und<br />

an Kathi Damerow, die bereits seit der Uraufführung<br />

2003 als Imbisswirtin Margot und in anderen Rollen<br />

in »Heiße Ecke« auf der Bühne steht.<br />

Die <strong>Musical</strong>-Songs von Martin Lingnau gehen<br />

stark ins Ohr. Besonders ›Engel von St. Pauli‹ oder die<br />

Ballade ›Gib mir noch Zeit‹, ›Nie wieder Ti amo‹ oder<br />

›Morgen‹ und die immer wieder aufkommende Reprise<br />

›Reeperbahn‹ machen einen Livebesuch dieser Show<br />

eben doch zu etwas ganz Besonderem. Auch wenn<br />

vor 20 Jahren noch ein kleines Tivoli-Orchester live<br />

gespielt hat, kommt die Orchestermusik inzwischen<br />

vom Band. Dank eines guten Tonmeisters wurden aber<br />

die Gesangsstimmen heute auf die guten Playbacks<br />

optimal feinjustiert.<br />

Hamburgs Kieztheater Nr. 1 und seine Mannschaft<br />

bieten auch diesmal wieder mehr als nur »eine alte<br />

Knackwurst« an. Es kommt zum Jubiläum unglaublich<br />

scharf und sehr gut gewürzt und künstlerisch sehr wertvoll<br />

daher, und ein wiederholter Besuch der »Heiße(n) Ecke«<br />

bleibt auch in Zukunft einfach unverzichtbar.<br />

Stefan Schön<br />

Abb. unten von oben links:<br />

1. Ralph Morgenstern und Tetje<br />

Mierendorf als abgezockte<br />

Kieztouristen<br />

2. Tim Mälzer, Anja Majeski und<br />

Kathi Damerow sprechen nicht<br />

nur über Würstchen<br />

3. Hamburgs Erster Bürgermeister<br />

Dr. Peter Tschentscher überreicht<br />

Blumen an Kathi Damerow, die von<br />

Anfang an als Darstellerin Teil der<br />

Produktion ist<br />

4. Annett Louisan wurde in den<br />

Ablauf eingebaut, im Hintergrund<br />

Anja Majeski<br />

5. Tiziana Turano, Kathi Damerow,<br />

Reinhold Beckmann – ›Geb’ mir<br />

noch Zeit‹<br />

6. Corny Littmann mal lammfromm:<br />

Er spielt und singt den ›Engel von<br />

St. Pauli‹<br />

7. Maraile Woehe und Kiezpfarrer<br />

Karl Schultz haben einen herzzerreißenden<br />

Liebesmoment, im<br />

Hintergrund: Stefanie Schwendy,<br />

Stefan Leonard<br />

Fotos (7): Morris Mac Matzen<br />

blickpunkt musical <strong>06</strong>/20<strong>23</strong><br />

35


<strong>Musical</strong>s in Deutschland<br />

Liebe und Leid in Isfahan<br />

Deutschsprachige Erstaufführung von »Der Medicus« in München<br />

Avicenna (Alexander Bellinkx, 2.v.l.) erteilt seinen Schülern Mirdim (Georg Hasenzagl, l.), Rob (Bosse Vogt, 2.v.r.) und Karim (Lukas Müller, r.) Verhaltensmaßregeln<br />

Foto: Ingrid Kernbach<br />

Der Medicus<br />

Iván Macías / Félix Amador<br />

Deutsch von Hartmut H. Forche &<br />

Jaime Roman-Briones<br />

Manfred Hertlein<br />

Veranstaltungs Gmbh<br />

Deutsches Theater München<br />

Deutschsprachige Erstaufführung:<br />

20. Oktober 20<strong>23</strong><br />

Regie ............................... Stanislav Moša<br />

Musikalische Leitung ....... Dan Kalousek<br />

Choreographie .................. Michal Matěj<br />

Bühnenbild ................ Christoph Weyers<br />

Kostüme ..................... Andrea Kučerova<br />

Rob Cole ............................... Bosse Vogt<br />

Mary .......................... Miriam Neumaier<br />

Avicena .................... Alexander Bellinkx<br />

Schah ................................. Chris Murray<br />

Bader ................................ Lénárd Kókai<br />

Merlin / Qandrasseh ............... Jiří Horký<br />

Frita / Karim ....................... Lukas Müller<br />

Mirdim / Meier............ Georg Hasenzagl<br />

Agnes ............................... Barbara Weiß<br />

Simon ........................... Ondřej Kominek<br />

Rob als Kind .................. Jana Luisa Band<br />

In weiteren Rollen:<br />

Noraleen Amhausend, Laura Birte,<br />

Tomasz Dziecielski, Kristine Emde,<br />

Melanie Engl, Patrik Földeši,<br />

Lilia Höfling, Sarah Laminger,<br />

Jasmin Reif, Marvin Schütt,<br />

Jáchym Šíma,<br />

Julia Werbick (Dance Captain)<br />

Warum ist das eine deutschsprachige Erstaufführung,<br />

so fragte sich der eine oder andere Leser,<br />

gab es doch bereits bei spotlight musicals in Fulda eine<br />

Produktion gleichen Namens. Die Frage ist einfach zu<br />

beantworten: Bei dem Münchner <strong>Musical</strong> handelt es<br />

sich um die Version von Iván Macías (Musik) <strong>mit</strong> den<br />

Texten von Félix Amador, die in Spanien (Uraufführung<br />

am 17. Oktober 2018 in Madrid) und danach<br />

auch in Tschechien (Brno 2022) <strong>mit</strong> großem Erfolg lief<br />

und die, so wollten es auch die Erben des Schriftstellers,<br />

sich mehr an dem Buch orientiert.<br />

Zur Premiere war dann auch das ganze spanische<br />

Original-Kreativ-Team angereist, um zu sehen, wie das<br />

Stück in Deutsch in der Übersetzung von Hartmut<br />

H. Forche und Jaime Roman-Briones klingen würde.<br />

Aus Tschechien übernommen wurden Bühnenbild,<br />

Choreographie, Kostüme, Orchester und musikalische<br />

Leitung. Das alles fügte Regisseur Stanislav Moša <strong>mit</strong><br />

bewundernswerter Ruhe zusammen.<br />

Alles beginnt <strong>mit</strong> einem Jungen, der im London des<br />

11. Jahrhunderts lebt und dessen Mutter bei der Geburt<br />

ihres jüngsten Kindes stirbt. So kommt es, dass er von<br />

seinen Geschwistern getrennt wird. Während seine<br />

kleineren Geschwister von anderen Familien aufgenommen<br />

werden, will den 9-jährigen Jungen niemand<br />

außer einem Bader (ein herumziehender Naturheiler,<br />

Kurpfuscher, Zahnarzt usw.) aufnehmen. Er erkennt,<br />

dass Rob eine ganz besondere Gabe besitzt: Wenn seine<br />

Hände die Hände anderer berühren, erkennt er, ob<br />

jemand sterben wird.<br />

Von diesem Bader lernt Rob viel, auch das Einrenken<br />

ausgekugelter Schultern und das Herstellen von<br />

»Panazea Universal«, einem Trank, der angeblich alles<br />

heilt, aber eigentlich nur aus Honigwasser und ein paar<br />

Kräutern besteht. Gemeinsam reisen sie durch England,<br />

doch Rob möchte zurück zu seinen Geschwistern nach<br />

London. Als sie endlich wieder in London sind, muss<br />

Rob feststellen, dass alle Geschwister gestorben sind.<br />

Eines Tages kommt ein vermeintlich blinder Mann<br />

zum Bader, der jedoch von diesem weggeschickt wird,<br />

<strong>mit</strong> der Begründung, er könne ihm nicht helfen. Rob<br />

ist enttäuscht, muss aber feststellen, dass ein jüdischer<br />

Medicus namens Merlin die Augen des Mannes retten<br />

kann, indem er den Grauen Star operiert. Neugierig<br />

und ungeduldig zugleich, will Rob wissen, wo man dies<br />

lernen kann. So erfährt er von Avicenna, dem Meister<br />

der Ärzte, in Isfahan (Iran / Persien). Vom Bader, dessen<br />

Tod er voraussieht, erhält er dessen Eigentum, um<br />

die Reise zu finanzieren, und so macht er sich auf den<br />

Weg.<br />

Unterwegs trifft er auf eine Karawane. Er lernt seine<br />

große Liebe, die Schottin Mary Cullen, kennen. Rob<br />

hat erfahren, dass nur Juden und Moslems, nicht aber<br />

Christen in Isfahan studieren dürfen, daher gibt er sich<br />

als englischer Jude aus. Bei der Karawane ist auch eine<br />

Gruppe jüdischer Händler, der er sich anschließt und<br />

im Umgang <strong>mit</strong> ihnen jüdische Lebensformen lernt.<br />

Obwohl er sich in Mary verliebt hat, trennen sich ihre<br />

Wege, da Rob seinen Weg nach Isfahan fortsetzen will.<br />

Kaum dort angekommen stolpert Rob direkt vor die<br />

Füße des Großwesirs, woraufhin dieser ihn verhaften<br />

und dem Schah vorführen lässt. Der Wesir hofft, dass<br />

der Schah den fremden Juden töten lässt, doch dieser<br />

gestattet Rob aus einer Laune heraus, beim großen<br />

36<br />

blickpunkt musical <strong>06</strong>/20<strong>23</strong>


<strong>Musical</strong>s in Deutschland<br />

Avicenna Medizin zu studieren. Der Schah ist fasziniert<br />

von dem »exotischen« Juden aus England.<br />

Als in Persien die Pest ausbricht, schickt Avicenna<br />

Rob und zwei andere seiner Schüler dort hin, um zu<br />

helfen. In<strong>mit</strong>ten der Toten und Kranken begegnen<br />

sich Rob und Mary wieder. Sie heiraten und der Schah<br />

schenkt ihnen zur Hochzeit ein großes Haus.<br />

Die Lage spitzt sich zu, als der Schah <strong>mit</strong> Mary<br />

um ihrer roten Haare willen eine Nacht verbringen<br />

möchte. Der Wesir erinnert den Schah daran, dass sie<br />

im Krieg seien und das dies viel wichtiger sei als die<br />

Gier nach Vergnügen. Doch der Schah befiehlt, Mary<br />

holen zu lassen. Um Schlimmeres zu verhindern, greift<br />

Avicenna ein und lockt Rob <strong>mit</strong> einer List aus dem<br />

Haus.<br />

Als Preis für ihre und Robs Sicherheit ist Mary<br />

gezwungen, die Nacht <strong>mit</strong> dem Schah zu verbringen,<br />

was Rob nie erfahren soll. Doch jemand erzählt ihm,<br />

dass der Schah immer süße Melonen verschickt, wenn<br />

er <strong>mit</strong> einer Frau geschlafen hat, und ausgerechnet,<br />

als Rob begeistert feststellt, dass Mary schwanger ist,<br />

erscheint ein Bote des Schahs <strong>mit</strong> eben diesen süßen<br />

Früchten.<br />

Mirdin, Robs Freund, hat gehört, dass Mary Christin<br />

sei. Als er Rob zur Rede stellt, muss dieser zugeben,<br />

dass auch er Christ ist. Mirdin ist bitter enttäuscht,<br />

doch sein Sohn (Laura Birte) versucht, zwischen den<br />

beiden zu ver<strong>mit</strong>teln (›Shalom‹) – eines der schönsten<br />

Lieder des Stücks, das spontane Bravorufe hervorrief,<br />

sicher auch der aktuellen politischen Situation<br />

geschuldet.<br />

Mirdins Sohn ist an der Seitenkrankheit erkrankt<br />

und stirbt kurze Zeit später. Rob bittet Avicenna um<br />

Erlaubnis, die Leiche öffnen zu dürfen. Doch dies ist<br />

im muslimischen Glauben strengstens verboten, da die<br />

Toten unversehrt vor ihren Gott, Allah, treten müssen.<br />

Rob widersetzt sich dem Verbot, obduziert die Leiche<br />

des Kindes und entdeckt dabei das Geheimnis der Seitenkrankheit,<br />

den Wurmfortsatz am Blinddarm.<br />

Währenddessen kommt es auch zwischen dem<br />

Schah und seinem Großwesir zum Eklat. Der Schah<br />

ist noch immer davon überzeugt, unbesiegbar zu sein,<br />

doch der Großwesir macht ihm klar, dass die feindlichen<br />

Truppen Isfahan bereits umzingelt haben. Als<br />

der Schah befielt, den Großwesir zu töten, wenden sich<br />

seine eigenen Wachen gegen ihn.<br />

Mitten hinein in den Streit platzt Rob, das Skalpell<br />

in der Hand und bereit, den Schah dafür umzubringen,<br />

dass er Mary gezwungen hat, <strong>mit</strong> ihm zu schlafen.<br />

Der Schah leistet nur wenig Widerstand, denn ihm<br />

scheint die aussichtslose Lage, in der er sich befindet,<br />

inzwischen klar geworden zu sein. Doch Avicenna<br />

verhindert, dass Rob den Schah tötet. Bevor der Großwesir<br />

eintrifft, bittet der Schah Rob und Mary, aus der<br />

Abb. unten von links oben:<br />

1. Der Schah (Chris Murray) gibt<br />

sich gerne den weltlichen Genüssen<br />

von Wein und Frauen hin<br />

2. Der Bader (Lénárd Kókai, Mitte<br />

erhöht) und sein Assistent Rob (Jana<br />

Luisa Band, Mitte sitzend auf der<br />

Kiste) haben die Menge <strong>mit</strong> ihrem<br />

Mittel »Panazea universalis« voll im<br />

Griff<br />

3. Während er im Gefängnis von<br />

Isfahan auf seinen Prozess wartet,<br />

sieht Rob (Bosse Vogt, 2.v.r.) vor<br />

seinem geistigen Auge alle die, die<br />

in seinem Leben wichtig waren:<br />

Den Bader (Lénárd Kókai, l.), seine<br />

geliebte Mary (Miriam Neumaier,<br />

Mitte) und sein jüngeres Ich (Jana<br />

Luisa Brand, r.)<br />

4. Mary (Miriam Neumaier, Mitte)<br />

wird von den Haremsdamen<br />

(Ensemble) für ihre Nacht <strong>mit</strong> dem<br />

Schah eingekleidet<br />

Fotos (4): Ingrid Kernbach<br />

blickpunkt musical <strong>06</strong>/20<strong>23</strong><br />

37


<strong>Musical</strong>s in Deutschland<br />

Abb. oben:<br />

Der Schah (Chris Murray) bedroht<br />

Mary (Miriam Neumaier), während<br />

Rob, ihr Mann, ihn angreift<br />

Abb. unten von oben links:<br />

1. Die Studenten in der Akademie<br />

des Avicenna (Ensemble) nehmen<br />

Rob (Bosse Vogt, 2.v.r.) auf<br />

2. Rob (Bosse Vogt) und Mary<br />

(Miriam Neumaier) bekennen ihre<br />

Liebe zueinander<br />

3. Der Großwesir (Jiří Horký, l.) will<br />

den Schah (Chris Murray, r.) unter<br />

Druck setzen. Dieser lehnt jede<br />

Einflussnahme empört ab<br />

4. Vergeblich fleht Rob (Bosse Vogt,<br />

kniend) den stellvertretenden Leiter<br />

(Marvin Schütt, r.) der medizinischen<br />

Akademie an, dort studieren zu dürfen<br />

Fotos (5): Ingrid Kernbach<br />

Stadt zu fliehen.<br />

Die Musik, die zwischen unterschiedlichen Stilrichtungen<br />

schwankt, ist teils nachdenklich, teils fröhlich.<br />

So hat der Bader (Lénárd Kókai) seinem Lehrling viel<br />

zu sagen: ›Aber gut wirst du nur‹ und ›Der Bader ist<br />

nun da‹. Großartig sind die Soli des jungen Rob (Jana<br />

Luisa Band): ›Ich bin kein Kind mehr‹ und ›Heut sag<br />

ich leb wohl‹. Bei ›Ai di di dai‹ hat das Publikum sogar<br />

die Gelegenheit zum Mitklatschen. Und das Lied<br />

›Geschrieben steht es in den Sternen‹ erweckt den Eindruck<br />

eines Titelsongs und taucht als Motiv der Liebe<br />

zwischen Rob und Mary mehrfach auf.<br />

Chris Murray als Schah ist stimmlich wie darstellerisch<br />

gefordert. Seine Lieder verlangen einiges an<br />

Stimmgewalt. Sein ›Das Spiel des Schahs‹ klingt schon<br />

fast ein bisschen nach einer Puccini-Oper und geht<br />

gewaltig unter die Haut.<br />

Ein weiterer bekannter Name ist Alexander<br />

Bellinkx als Avicenna. Wunderschön klingt hier seine<br />

die Ballade ›Ab jetzt bist du ein Medicus‹.<br />

Die Münchnerin Miriam Neumaier (Mary) bringt<br />

hier viel Gefühl auf die Bühne, auch Bosse Vogt als<br />

Rob überzeugt.<br />

Der gebürtige Ungar Lénárd Kókai, der als Bader in<br />

München auf der Bühne steht, kann Begeisterung für<br />

sich und sein Schauspiel hervorrufen.<br />

Besonders erwähnen sollte man auch noch Jana<br />

Luisa Band, die bezaubernd Rob als Kind singt und<br />

spielt.<br />

Insgesamt ist das Ensemble großartig, sowohl<br />

gesanglich als auch schauspielerisch und tänzerisch.<br />

Das Bühnenbild, für das Christoph Weyers verantwortlich<br />

zeichnet, ist im ersten Teil eher dunkel,<br />

besonders wenn das Stück in London spielt. Die Kutsche<br />

des Baders bewegt sich vor einer Videoprojektion<br />

nahezu realistisch. Auch die Wanderung der Karawane<br />

durch die Wüste ist durch eine Projektion optisch<br />

verstärkt.<br />

Ganz anders der zweite Teil <strong>mit</strong> der Farbenpracht<br />

des Orients. Der Palast des Schahs ist prunkvoll anzuschauen<br />

und wenn er sich <strong>mit</strong> seinem Harem zeigt,<br />

dann zwischen vielen bunten Kissen. Dagegen wirkt<br />

die Szene, in der er Mary zu sich holen lässt, besonders<br />

durch die in Wellen herabfallenden Tücher dramatisch.<br />

Auch die Kostüme von Andrea Kučerová passen<br />

gut in die Zeit. Besonders schön anzuschauen sind die<br />

Haremsdamen und der Schah in seinen prunkvollen<br />

Gewändern.<br />

»Der Medicus« im Deutschen Theater München,<br />

präsentiert von der Manfred Hertlein Veranstaltungs<br />

GmbH, ist ein wunderbares <strong>Musical</strong>, das sich durch<br />

großartige Musik und wunderschöne Bühnenbilder,<br />

aber auch durch eine fantastische Besetzung auszeichnet.<br />

Ein Besuch ist absolut empfehlenswert.<br />

Ingrid Kernbach<br />

38<br />

blickpunkt musical <strong>06</strong>/20<strong>23</strong>


<strong>Musical</strong>s in Deutschland<br />

Headline Ich muss auf dieses Schiff!<br />

Subline »Titanic« vom FME Münster<br />

In der ersten Klasse tanzt man den neuesten Ragtime.<br />

Das freie <strong>Musical</strong>ensemble Münster, kurz FME,<br />

wurde bereits 1999 vom musikalischen Leiter<br />

Ingo Budweg gegründet. Nach dem Erstlingswerk<br />

»Anatevka« wurden bereits 18 Produktionen in mehr<br />

als 175 Aufführungen <strong>mit</strong> über 60.000 Zuschauern<br />

in Münster präsentiert. Unter den gezeigten <strong>Musical</strong>s<br />

gab es spektakuläre deutsche Erstaufführungen wie<br />

»Parade« (2017), »Dracula« (2011), »Eine Geschichte<br />

aus zwei Städten« (2012) und »Imagine This« (2016),<br />

aber auch bekannte Stücke wie »Jekyll & Hyde«<br />

(2005), »Scrooge« (2008, 2010, 2013 und 2018) oder<br />

»3 Musketiere« (2015).<br />

Das Drama-<strong>Musical</strong>-Meisterwerk »Titanic« von<br />

Maury Yeston (Musik & Liedtexte) und Peter Stone<br />

(Buch) in der Übersetzung von Wolfgang Adenberg<br />

aus dem Jahr 1997 über den Untergang des Ozeanriesen<br />

und die tragischen Schicksale der Passagiere der<br />

ersten, zweiten und dritten Klasse steht nach 2009<br />

und 2019 zum dritten Mal vom 20. Oktober bis zum<br />

12. November 20<strong>23</strong> in insgesamt 12 Vorstellungen<br />

auf dem Spielplan des FME. Dank des 50-köpfigen<br />

symphonischen Orchesters und des 85 Personen<br />

starken Ensembles des FME wird »Titanic« im Konzertsaal<br />

der Freien Waldorfschule Münster zu einem<br />

Genuss für <strong>Musical</strong>-Liebhaber, der schnell vergessen<br />

lässt, dass im Orchestergraben und auf der Bühne nur<br />

Laiendarsteller stehen, die ihr Geld in ganz anderen<br />

Berufen verdienen. Die symphonische Partitur <strong>mit</strong><br />

den grandiosen Songs für einen gigantischen Chor<br />

ist bei Ingo Budweg in besten Dirigenten-Händen,<br />

und wo anders als in Münster kann man dieses Stück<br />

<strong>mit</strong> rekordverdächtigen 135 aktiv Beteiligten sehen?<br />

Bereits die ausgedehnte Eröffnungssequenz, bei der<br />

die Passagiere vorgestellt werden, während sie über die<br />

Gangway zum Schiff flanieren, bereitet Gänsehaut.<br />

Überzeugend sind aber auch die ruhigeren Momente,<br />

wenn z.B. Heizer Frederick Barrett beim Funker ein<br />

Telegramm für seine Geliebte aufgeben möchte oder<br />

Kapitän, Architekt und Schiffseigner ›Die Schuldfrage‹<br />

am Untergang untereinander ausfechten. Auch das<br />

für die deutsche Erstaufführung in der Neuen Flora<br />

in Hamburg (Dezember 2002 bis Oktober 2003)<br />

komponierte zusätzliche Liebesduett ›Drei Tage‹ ist im<br />

zweiten Akt zu hören.<br />

Nach der Corona-Krise, die dem Verein finanziell<br />

und personell arg zu schaffen machte, präsentiert sich<br />

das FME wieder in alter Qualität, und auch die neuen<br />

Vereins<strong>mit</strong>glieder fügen sich gesanglich wie darstellerisch<br />

harmonisch zu den »älteren Hasen«, die bereits<br />

zwei Fahrten der »Titanic« in Münster überlebt haben.<br />

Die gesamte Cast ist durchweg talentiert, hier einzelne<br />

Darsteller hervorzuheben ist eigentlich unfair allen<br />

anderen gegenüber, trotzdem gefallen Felix Albert<br />

als Erster-Klasse-Steward Henry Samuel Etches und<br />

natürlich die stimmlich wunderschön harmonisierenden<br />

drei Kates Chiara Bonventre, Anne Greve und<br />

Lara Welter besonders gut.<br />

Verglichen <strong>mit</strong> den früheren Inszenierungen ist die<br />

drei Stockwerke umfassende Bühne von Sonja Roeske<br />

in kleinen Details sogar noch imposanter geworden<br />

inklusive eines Kristallleuchters an der Decke der Aula.<br />

Die Kostüme waren und sind ein Augenschmaus.<br />

Auch wenn die Leichtigkeit der flotten Seereise des<br />

ersten Aktes <strong>mit</strong> sehenswerten Choreographien von<br />

Katie Laukemper im zweiten Teil tragischer Untergangsstimmung<br />

weichen muss, die unter der Regie<br />

von Canan Toksoy wirklich beklemmend wirkt, ist<br />

die Produktion in Münster allerbeste <strong>Musical</strong>unterhaltung<br />

vom Feinsten und die über drei Stunden<br />

Spielzeit vergehen wie im Flug. Kein Wunder, dass<br />

bereits zur Premiere alle folgenden Vorstellungen der<br />

Show restlos ausgebucht waren. Alle, die kein Ticket<br />

für die »Titanic« ergattern konnten, sollten sich für die<br />

nächste spektakuläre <strong>Musical</strong>-Inszenierung des FME<br />

im Herbst 20<strong>24</strong> frühzeitig um Karten kümmern, eine<br />

Reise ins Münsterland lohnt sich immer!<br />

Stephan Drewianka<br />

Abb. unten:<br />

Leinen los für die Titanic: Das FME<br />

spielt auf einer dreistöckigen Bühne.<br />

Fotos (2): Stephan Drewianka<br />

Titanic<br />

Maury Yeston / Peter Stone<br />

Deutsch von Wolfgang Adenberg<br />

Freies <strong>Musical</strong>-Ensemble Münster<br />

Konzertsaal der Freien Waldorfschule<br />

Premiere: 20. Oktober 20<strong>23</strong><br />

Regie ............................ Canan Toksoy<br />

Musikalische Leitung ....... Ingo Budweg<br />

Choreographie .....................................<br />

Katharina Laukemper<br />

Ausstattung .................... Sonja Roeske<br />

Alle Rollen:<br />

Mitglieder des Freien<br />

<strong>Musical</strong>-Ensemble Münster<br />

blickpunkt musical <strong>06</strong>/20<strong>23</strong><br />

39


<strong>Musical</strong>s in Deutschland<br />

Ein besonderer Fall … von Identitätsdiebstahl<br />

»Der Mann, der Sherlock Holmes war« am Theater Bielefeld<br />

Abb. oben:<br />

Geschwister in Not: Mary und<br />

Jane Berry (Karen Müller, Mitte l.,<br />

Charlotte Katzer, Mitte r.) erhalten<br />

Hilfe von Sherlock (Merlin Fargel, l.)<br />

und Watson (Markus Schneider, r.)<br />

Foto: Bettina Stöß<br />

Abb. unten:<br />

Milady ist zurück: Lady Ganymare<br />

(Cornelie Isenbürger) zieht bei dunklen<br />

Geschäften alle Strippen<br />

Foto: Sarah Jonek<br />

Auf deutschen Bühnen sind »<strong>Musical</strong>s made in<br />

Germany« leider rar, da sie sich oft lieber auf den<br />

Erfolg von britischen oder amerikanischen Importen<br />

verlassen. Einige <strong>Musical</strong>s, die tatsächlich komplett in<br />

Deutschland entstanden sind, stammen aus der Feder<br />

des deutschen <strong>Musical</strong>komponisten Marc Schubring.<br />

Nach seinem Erstlingswerk »Fletch – Saturday Bite<br />

Fever« von 1993 bereicherte er erfolgreich die deutsche<br />

Theaterlandschaft <strong>mit</strong> Stücken wie »Moulin Rouge<br />

Story« (2008), »Zum Sterben schön« (2011), »Gefährliche<br />

Liebschaften« (2015) und »Mata Hari« (20<strong>23</strong>).<br />

Weiterhin komponierte er zahlreiche Kinder- und<br />

Märchen-<strong>Musical</strong>s für die Brüder Grimm Festspiele<br />

Hanau. Seine Musik belebt Schubring gern <strong>mit</strong> den<br />

Texten des Autors Wolfgang Adenberg. Das Team<br />

arbeitete auch 2009 gemeinsam an einem Projekt, das<br />

die Staatsoperette Dresden gerne zur Uraufführung<br />

bringen wollte. Für die Auftragsarbeit begeisterte das<br />

Autorenteam das Theater sehr schnell für ihre persönliche<br />

<strong>Musical</strong>adaption eines alten UFA-Films von Karl<br />

Hartel <strong>mit</strong> Hans Albers und Heinz Rühmann von<br />

1937: »Der Mann, der Sherlock Holmes war«.<br />

In London stehen 1910 die Privatdetektive Morris<br />

Flynn und Mackie McMacpherson vor dem finanziellen<br />

Ruin, weil ihnen die Aufträge ausbleiben. Mit dem<br />

letzten Firmenkapital kauft Morris einige Utensilien,<br />

die die beiden wie Sherlock Holmes und Doktor Watson<br />

aussehen lassen. Als sie den Zug zur Weltausstellung<br />

nach Brüssel anhalten, fliehen zwei zwielichtige<br />

Gestalten beim Anblick der vermeintlichen Super-<br />

Detektive. Morris und Mackie konfiszieren daraufhin<br />

deren Zugabteil und beginnen ihre »Er<strong>mit</strong>tlungen«,<br />

die sie schnell zu den beiden Näherinnen Mary und<br />

Jane Berry ins benachbarte Abteil führen, die eine<br />

beachtliche Erbschaft ihres toten Onkels antreten<br />

wollen und beinahe zum Ziel der Gauner geworden<br />

wären. Die geflohenen Verbrecher Jules und Jacques<br />

sind im Auftrag der dubiosen Lady Ganymare hinter<br />

einem Geheimnis im Schloss des verstorbenen Onkels<br />

her, dessen Rätsel zu einem versteckten Vermögen sie<br />

aber unmöglich lösen können, und so macht sich die<br />

Lady an das Detektiv-Duo heran. Auch Mary und<br />

Jane erkennen, dass ihre Erbschaft ohne gelöstes Rätsel<br />

wertlos ist, und sie erinnern sich gerne an die netten<br />

Detektive aus dem Zug. Aber Morris und Flynn werden<br />

bereits von der Brüsseler Polizei um Hilfe gebeten,<br />

als sich die wertvollen Exponate der Weltausstellung,<br />

zwei Blaue-Mauritius-Briefmarken, als Fälschungen<br />

entpuppen. Es gibt also viel zu tun und das Verbrechen<br />

schläft nicht, zumal sich Jules und Jacques längst bei<br />

Mary und Jane als Butler im Schloss eingeschlichen<br />

haben. Oder hängen am Ende sogar alle mysteriösen<br />

Vorkommnisse irgendwie zusammen?<br />

Nach der recht erfolgreichen Uraufführung des<br />

<strong>Musical</strong>s in Dresden folgten einige kleinere Inszenierungen.<br />

Erst 14 Jahre später wagte sich das Stadttheater<br />

Bielefeld unter der Regie von Sandra Wissmann erneut<br />

an eine große Umsetzung von »Der Mann, der Sherlock<br />

Holmes war«, die am 3. September 20<strong>23</strong> Premiere<br />

feierte.<br />

Das bekannte Rühmann/Albers-Duett aus dem<br />

Film »Jawohl, meine Herrn, so haben wir´s gern«<br />

wird im <strong>Musical</strong> nicht zitiert. Schubring orientiert<br />

sich am Musikstil der 1930er Jahre, wie er zur Zeit<br />

40<br />

blickpunkt musical <strong>06</strong>/20<strong>23</strong>


<strong>Musical</strong>s in Deutschland<br />

der Filmvorlage von Komponisten wie Benatzky und<br />

Kálmán in Operetten, aber auch im Cabaret gespielt<br />

wurde. Wer aber nun angestaubte Melodien aus dem<br />

Grammophon erwartet, wird bereits von der spritzigen<br />

Ouvertüre, die William Ward Murta als musikalischer<br />

Leiter der üppig besetzten Bielefelder Philharmoniker<br />

locker aus dem Handgelenk dirigiert, eines Besseren<br />

belehrt. Eingängige Duette prägen als Leitmotiv die<br />

schmissige Partitur.<br />

Markus Schneider als elegant-pfiffiger Morris<br />

Flynn, der kleinkariert adrett in die Rolle von Sherlock<br />

Holmes schlüpft, harmoniert schauspielerisch und<br />

gesanglich perfekt <strong>mit</strong> Merlin Fargel als Mackie /<br />

Dr. Watson. Der Identitätsdiebstahl geht beiden<br />

locker-flockig und ohne viel Reue von der Hand,<br />

aber welcher Zuschauer kann diesen Betrug zwei<br />

so sympathischen Sunnyboys lange übelnehmen,<br />

zumal die Intention dahinter ja durchaus positivehrenvoll<br />

in der Verbrechensaufklärung liegt?<br />

Echte Gauner und zugleich das Komiker-Duo<br />

sind Nikolaj Alexander Brucker als Jacques und<br />

Alexander von Hugo als Jules, die <strong>mit</strong> perfektem<br />

Timing viele humorvolle Höhepunkte setzen und<br />

denen das Autorenteam für die Bielefelder Inszenierung<br />

den Song ›Soviel Zeit muss sein‹ aus der<br />

Hamburger Fassung überarbeitet und auf den Leib<br />

geschrieben hat. Dieser beschreibt pointenreich<br />

ihre finsteren Absichten und düsteren Charaktere.<br />

Als strahlend schöner Gegenpart glänzen Karen Müller<br />

und Charlotte Katzer als Geschwister Jane und<br />

Mary Berry. Als Näherinnen dürfen sie eine Step-<br />

Choreographie von Alexander von Hugo hinlegen, die<br />

wunderbar an klassische Broadway-<strong>Musical</strong>s erinnert.<br />

Cornelie Isenbürger ist als Gangsterboss Colette<br />

Ganymare der einzige Solo-Charakter im Stück – ein<br />

weiblicher James Moriarty als Sherlocks Gegenspielerin.<br />

Ihr moderner schwarzer Leder-Look erinnert an<br />

Milady de Winter aus »3 Musketiere«, und auch ihr<br />

gesamtes Auftreten als männermordender Vamp, der<br />

Sherlock in einem erotischen Tango (Choreographie:<br />

Yara Hassan) zum Duell herausfordert, um ihn danach<br />

wie in »50 Shades of Grey« zu foltern, unterstreicht<br />

die Rolle eines emanzipierten Marvel-Bösewichts.<br />

Carlos Horacio Rivas und Lutz Laible schlüpfen<br />

in viele kleinere Charakterrollen, die allesamt<br />

ein Schmunzeln wert sind. Der Bielefelder<br />

Opernchor bevölkert die Bühne <strong>mit</strong> Leben und<br />

ist selbst <strong>mit</strong> Tanzschritten nicht überfordert.<br />

Sollten Morris und Mackie nicht eigentlich das Rätsel<br />

um verschwundene Briefmarken aufklären? Irgendwie<br />

schon, aber eigentlich steht doch die Love-Story der<br />

Detektive zu den Schwestern im Vordergrund, so dass<br />

sich zum Happy End zwei neue Duett-Pärchen finden.<br />

Die verschlungenen Handlungsstränge entwirren<br />

sich auf einer vielseitigen Drehbühne (Bühne und<br />

Kostüme: Britta Tönne), die die unterschiedlichsten<br />

Orte präsentiert: In Zugabteilen schlagen slapstickhaft<br />

Waggontüren zu, in Schloss-Bibliotheken öffnen sich<br />

Geheimtüren, in einer Fabrik rattern Nähmaschinen,<br />

in einem Hotel herrscht elegante Partystimmung, bis<br />

die Hebebühne eine dunkle Kanalisation zum Showdown<br />

präsentiert.<br />

»Der Mann, der Sherlock Holmes war« am Theater<br />

Bielefeld ist gute <strong>Musical</strong>unterhaltung <strong>mit</strong> charmanten,<br />

charismatischen und cleveren Charakteren im Doppelpack,<br />

nostalgisch und trotzdem modern <strong>mit</strong> Feel-Good-<br />

Garantie. Wer sich an Compilation-<strong>Musical</strong>s sattgesehen<br />

hat, findet in diesem erfrischenden »<strong>Musical</strong> made in<br />

Germany« vielleicht eine willkommene Abwechslung.<br />

Stephan Drewianka<br />

Der Mann, der<br />

Sherlock Holmes war<br />

Marc Schubring / Wolfgang Adenberg<br />

Theater Bielefeld<br />

Stadttheater<br />

Premiere: 3. September 20<strong>23</strong><br />

Regie ...................... Sandra Wissmann<br />

Musikalische Leitung ............................<br />

William Ward Murta<br />

Choreographie ................. Yara Hassan<br />

Step-Choreographie .............................<br />

Alexander von Hugo<br />

Dance-Captain ................. Paul Janicke<br />

Ausstattung ...................... Britta Tönne<br />

Morris Flynn, Privatdetektiv .................<br />

Markus Schneider<br />

Mackie McMacpherson,<br />

Privatdetektiv ............... Merlin Fargel /<br />

Andreas Schneider<br />

Jane Berry, Näherin ........ Karen Müller<br />

Mary Berry, Näherin ............................<br />

Charlotte Katzer<br />

Colette Ganymare,<br />

Gangsterboss ..... .. Cornelie Isenbürger<br />

Jacques, Ganymares Gehilfe ................<br />

Nikolaj Alexander Brucker<br />

Jules, Ganymares Gehilfe .....................<br />

Alexander von Hugo<br />

Mr Dimbleby / Mrs Crouch u. a. ..........<br />

Carlos Horacio Rivas<br />

Onkel Berry /<br />

Kriminalpolizist u. a. ........Lutz Laible /<br />

Ramon Riemarzik<br />

Schaffnerin 3 ..... Christín Enke-Mollnar<br />

Page ........................... Elena Schneider<br />

Bielefelder Opernchor<br />

Abb. unten von oben links:<br />

1. Lady Ganymare (Cornelie<br />

Isenbürger, r.) versucht <strong>mit</strong> allen<br />

Mitteln, hinter das Geheimnis von<br />

Sherlock (Markus Schneider, l.) zu<br />

kommen<br />

2. Der letzte Kunde (Carlos H.<br />

Rivas, Mitte) für Morris Flynn<br />

(Markus Schneider, l.) und Mackie<br />

McMacpherson (Merlin Fargel, r.),<br />

bevor sie sich als Holmes & Watson<br />

ausgeben<br />

3. Auge in Auge <strong>mit</strong> dem Feind:<br />

Sherlock (Markus Schneider) wagt<br />

einen Tango <strong>mit</strong> Lady Ganymare<br />

(Cornelie Isenbürger)<br />

4. Das Gaunerpärchen Jules<br />

(Alexander von Hugo) und Jacques<br />

(Nikolaj Alexander Brucker)<br />

bekommt in Bielefeld einen neuen<br />

Song spendiert<br />

Fotos (3): Bettina Stöß<br />

Foto Nr.2: Sarah Jonek<br />

blickpunkt musical <strong>06</strong>/20<strong>23</strong><br />

41


Neues aus der <strong>Musical</strong>welt<br />

Neues aus der <strong>Musical</strong>welt<br />

zusammengestellt von Birgit Bernds & Sabine Haydn<br />

• Eliza in »My Fair Lady« in Mörbisch<br />

bekanntgegeben<br />

Anna Rosa Döller – <strong>mit</strong> ihren gerade einmal<br />

21 Jahren schon fast ein alter Hase bei den<br />

Seefestspielen – darf auch 20<strong>24</strong> wieder auf die<br />

Bühne am Neusiedlersee. Neben Mark Seibert<br />

als Professor Higgins wird sie die Eliza spielen.<br />

In diesem Jahr verkörperte sie Sophie in<br />

der Mörbischer Erfolgsproduktion »Mamma<br />

Mia!«, im kommenden Jahr darf sie nun wieder<br />

die Zuschauer verzaubern. Autor und Kabarettist<br />

Johannes Glück überarbeitet das etwas in<br />

die Jahre gekommene Stück und setzt es in das<br />

Anna Rosa Döller und Alfons Haider<br />

Foto: Seefestspiele Mörbisch<br />

Jahr 2020 – entsprechend divers, wie auch die<br />

Bewohner der Londoner Metropole selbst, verspricht<br />

Intendant Alfons Haider die Auswahl<br />

an Darstellern im Ensemble. Das Stück inszeniert<br />

Simon Eichenberger, der ebenfalls einige<br />

Erfahrung <strong>mit</strong> der Bühne sammeln durfte. Mit<br />

bereits verkauften sowie reservierten Tickets<br />

knackten die Seefestspiele schon jetzt, rund<br />

8 Monate vor der Premiere, die Grenze von<br />

100.000 Zuschauern.<br />

• »Das Phantom der Oper« ab März 20<strong>24</strong> im<br />

Wiener Raimund Theater<br />

Die Vereinigten Bühnen Wien haben bei einer<br />

großen Pressekonferenz die Besetzung für die<br />

kommende Produktion von »Das Phantom<br />

der Oper« bekanntgegeben. Anton Zetterholm<br />

wird die Titelrolle in der Neuproduktion von<br />

Andrew Lloyd Webbers (Musik) <strong>Musical</strong> übernehmen,<br />

die bereits in Großbritannien, den<br />

USA und Australien (wo sie im Sydney Opera<br />

House zu sehen und restlos ausverkauft war)<br />

zu erleben war. Ihm zur Seite stehen Lisanne<br />

Clémence Veeneman als Christine Daaé und<br />

Roy Goldman als Raoul, Vicomte de Chagny.<br />

Auch die weiteren Hauptrollen wurden prominent<br />

besetzt: Thomas Sigwald als Monsieur<br />

Firmin, Rob Pelzer als Monsieur André,<br />

Milica Jovanović als Carlotta Guidicelli, Greg<br />

Castiglioni als Ubaldo Piangi, Patricia Nessy<br />

als Madame Giry und Laura May Croucher<br />

als Meg Giry. Einen ausführlichen Bericht,<br />

(v.l.): Anton Zetterholm (Phantom), Lisanne<br />

Clémence Veeneman (Christine), Christian<br />

Struppeck und Roy Goldman (Raoul)<br />

Foto: Stefanie Steindl<br />

inklusive Videoausschnitt, finden Sie auch auf<br />

unserem Partnerportal unitedmusicals.de. Das<br />

Stück <strong>mit</strong> einem Buch von Richard Stilgoe &<br />

Andrew Lloyd Webber sowie Liedtexten von<br />

Stilgoe und Charles Hart wird in der deutschen<br />

Übersetzung von Michael Kunze am 15. März<br />

20<strong>24</strong> Premiere feiern.<br />

• »Robin Hood – Das <strong>Musical</strong>« als Sommergastspiel<br />

20<strong>24</strong> in Linz<br />

Die Legende vom König der Diebe kommt in<br />

einer fesselnden <strong>Musical</strong>-Neuinterpretation erstmals<br />

nach Österreich. Mit Musik von Weltstar<br />

Chris de Burgh, Musik, Buch & Liedtexten von<br />

Dennis Martin und zusätzlichen Liedtexten von<br />

Christoph Jilo & Kevin Schroeder hat Matthias<br />

Davids, <strong>Musical</strong>chef am Landestheater Linz,<br />

zusammen <strong>mit</strong> den virtuosen Choreographien<br />

von Kim Duddy 2022 in Fulda ein aufregendes<br />

Gesamtkunstwerk inszeniert, das <strong>mit</strong>ten ins<br />

Herz des Publikums trifft. Vom 9. Juli bis zum<br />

28. Juli 20<strong>24</strong> im Großen Saal des Musiktheaters.<br />

• »Mamma Mia!« auf Tour 20<strong>24</strong>/2025<br />

Die englische Originalversion des <strong>Musical</strong>s <strong>mit</strong><br />

den Songs der Gruppe »ABBA« wird 20<strong>24</strong>/2025<br />

durch Deutschland und Österreich touren. Das<br />

Feel-Good-<strong>Musical</strong> von Björn Ulvaeus & Benny<br />

Andersson (Musik & Liedtexte) und Catherine<br />

Johnson (Buch) gastiert 20<strong>24</strong> im November und<br />

Dezember in München, Wien, Stuttgart und<br />

Berlin und im Januar des darauffolgenden Jahres<br />

in Bremen und Frankfurt. Da<strong>mit</strong> feiern die Produzenten<br />

das 25-jährige Jubiläum von »Mamma<br />

Mia!« seit der Premiere in London im April<br />

1999.<br />

• »Chris Murray <strong>Musical</strong> Christmas –<br />

Willkommen zurück!«<br />

Nach mehreren Jahren, in denen Weihnachtskonzerte<br />

nur eingeschränkt, im Stream oder<br />

gar nicht möglich waren, können Chris Murray,<br />

Philipp Polzin und ihre Gäste in diesem Jahr<br />

wieder live aus dem Vollen schöpfen und ihre<br />

beliebte Weihnachtsreihe wieder aufnehmen.<br />

Wie immer wird es einen weihnachtlichen Mix<br />

aus <strong>Musical</strong>songs, Weihnachtsliedern, Filmsongs<br />

und Lesungen geben, die vor allem eines<br />

Chris Murray (r.) <strong>mit</strong> Philipp Polzin und Noelle Murray<br />

Foto: Ingrid Kernbach<br />

sollen: Weihnachtliche Stimmung verbreiten<br />

und in die Hektik der Vorweihnachtszeit etwas<br />

Besinnlichkeit, Entspannung und Herzlichkeit<br />

bringen. Die Konzerte finden am 2. Dezember<br />

in Köln, am 3. Dezember in Pforzheim sowie<br />

am 16. Dezember in Berlin statt. Das erste Konzert<br />

der Serie wird aufgezeichnet und ab Mitte<br />

Dezember als Stream käuflich zu erwerben sein.<br />

Logo: Thunerseespiele<br />

• »Mary Poppins«-Kreativ-Team bei den<br />

Thunerseespielen veröffentlicht<br />

Vom 10. Juli bis <strong>24</strong>. August 20<strong>24</strong> präsentieren<br />

die Thunerseespiele als erste Veranstalterin in<br />

der Schweiz »Mary Poppins« in neuem Gewand.<br />

»Wir sind stolz, unserem Publikum dieses fantastische<br />

<strong>Musical</strong> in einer Neuinszenierung<br />

zeigen zu dürfen«, so Oliver Burger, Mitinhaber<br />

der Thunerseespiele. »Mary Poppins« ist eine<br />

Geschichte für Jung und Alt. Eine unterhaltsame,<br />

temporeiche Show <strong>mit</strong> eindrücklichen<br />

Ohrwürmern. Das fliegende Kindermädchen<br />

passt wunderbar auf die Seebühne und in die<br />

malerische Kulisse am Fuß von Eiger, Mönch<br />

und Jungfrau. Ab sofort sind die Tickets für<br />

Sommer 20<strong>24</strong> erhältlich. »Die Rückmeldungen<br />

42<br />

blickpunkt musical <strong>06</strong>/20<strong>23</strong>


Neues aus der <strong>Musical</strong>welt<br />

nach der Bekanntgabe der Stückwahl waren sehr<br />

positiv. Wir sind deshalb sehr optimistisch in die<br />

Vorbereitungen fürs nächste Jahr gestartet«, so<br />

Burger weiter.<br />

Für die Umsetzung der Thuner Neuinszenierung<br />

wurde Regisseur Matthias Davids engagiert.<br />

Davids ist seit Dezember 2012 künstlerischer<br />

Leiter der Sparte <strong>Musical</strong> am Landestheater<br />

Linz und verantwortet in dieser Funktion jährlich<br />

vier bis sechs Inszenierungen. Neben seiner<br />

Tätigkeit in Linz inszeniert Davids an großen<br />

Theatern überall im deutschsprachigen Raum.<br />

An Davids´ Seite stehen Choreographin Kim<br />

Duddy (Regie und Choreographie für »Cats«<br />

2017 in Thun), Bühnenbildner Andrew Edwards<br />

und Kostümbildner Aleš Valášek (Deutscher<br />

<strong>Musical</strong> Theater Preis für das Kostümbild von<br />

»Dällebach Kari« 20<strong>23</strong> in Thun, Bericht in<br />

dieser <strong>Ausgabe</strong>). Die musikalische Leitung von<br />

»Mary Poppins« hat Iwan Wassilevski inne. Die<br />

Cast wird zu einem späteren Zeitpunkt bekannt<br />

gegeben.<br />

• Hamilton wird Hercules<br />

Wenn sich im März für die Uraufführung von<br />

Disneys »Hercules« der Vorhang hebt, wird ein<br />

<strong>mit</strong>tlerweile in Hamburg bekanntes Gesicht die<br />

Hauptrolle übernehmen: Benét Monteiro, der bisher<br />

als Hamilton im gleichnamigen <strong>Musical</strong> für<br />

Begeisterung bei den deutschen <strong>Musical</strong>zuschauern<br />

sorgte, hat sich im internationalen Casting<br />

durchgesetzt und die Rolle bekommen. Ein erstes<br />

Benét Monteiro<br />

Foto: Stage Entertainment / Morris Mac Matzen<br />

Musikvideo wurde auch direkt <strong>mit</strong> dieser Nachricht<br />

veröffentlicht – wer sich schon in Vorfreude<br />

auf die Produktion einstimmen möchte, kann<br />

dies auf www.stage-entertainment.de/musicalsshows/disneys-hercules-hamburg/musik<br />

tun. Das<br />

Stück <strong>mit</strong> Musik von Alan Menken, Liedtexten<br />

von David Zippel und Buch von Robert Horn &<br />

Kwame Kwei Armah, in deutscher Übersetzung<br />

von Kevin Schroeder & Ruth Deny, feiert am <strong>24</strong>.<br />

März 20<strong>24</strong> Uraufführung.<br />

• Prominente Besetzung bei<br />

»Les Misérables« in St. Gallen / München<br />

Unter der Regie von Josef E. Köpplinger und der<br />

musikalischen Leitung von Koen Schoots findet<br />

endlich wieder »Les Misérables« den Weg in die<br />

deutschen Theater. Die Premiere in St. Gallen ist<br />

am 9. Dezember, nach der Spielzeit dort kommt<br />

es ab dem 22. März 20<strong>24</strong> ins Staatstheater am<br />

Gärtnerplatz nach München.<br />

Viele bekannte Gesichter finden sich dann<br />

auf den Bühnen wieder: Armin Kahl / Filippo<br />

Strocchi (Jean Valjean), Filippo Strocchi /<br />

Daniel Gutmann (Javert), Wietske van Tongeren<br />

(Fantine), Jogi Kaiser / Alexander Franzen<br />

(Thénardier), Dagmar Hellberg / Carin Filipčič<br />

(Madame Thénardier), Kristine Emde / Julia<br />

Sturzlbaum (Cosette), Barbara Obermeier / Katia<br />

Bischoff (Éponine), Thomas Hohler / Matteo<br />

Ivan Rašić (Marius) und Merlin Fargel (Enjolras).<br />

Die Solisten zum Probenbeginn (v.L.): Merlin<br />

Fargel, Kristine Emde, Thomas Hohler, Katia<br />

Bischoff, Filippo Strocchi, Armin Kahl, Wietske<br />

van Tongeren, Alexander Franzen, Dagmar<br />

Hellberg, Jogi Kaiser, Carin Filipčić)<br />

Foto: Marie-Laure Briane<br />

• Tecklenburg verkündet alle drei Stücke für<br />

die kommende Sommersaison<br />

Neben dem Kassenknaller »Mamma Mia!« (Premiere<br />

14. Juni) und dem sehr beliebten Kindermusical<br />

»Madagascar« (Premiere 12. Mai) wurde<br />

nun bekannt, dass das <strong>Musical</strong> »3 Musketiere«<br />

von Rob & Ferdi Bolland auf dem Spielplan der<br />

Freilichtspiele steht. Premiere hierfür ist der 19.<br />

Juli 20<strong>24</strong>.<br />

• <strong>Musical</strong>sstars bei »Disney in Concert« 20<strong>24</strong><br />

»Believe in Magic« ist der Titel der kommenden<br />

Tournee, <strong>mit</strong> der Disney wieder Fans in die Hallen<br />

und vor die Freilichtbühnen locken möchte.<br />

Der Plan wird sicherlich im deutschsprachigen<br />

Raum schon aufgrund der beeindruckenden<br />

Cast aufgehen – als Solisten stehen Willemijn<br />

Verkaik, Judith Caspari, Patricia Medeen, Drew<br />

Sarich, Andreas Bongard und Gino Emnes auf<br />

der Bühne.<br />

»Disney in Concert« 20<strong>23</strong><br />

Foto: Milan Schmalenbach / Harlotssyndicate<br />

• »Sister Act« <strong>mit</strong> Ralph Morgenstern in der<br />

Vulkaneifel<br />

Vom 4. bis 8. September 20<strong>24</strong> können Zuschauer<br />

das beliebte <strong>Musical</strong> <strong>mit</strong> prominenter Besetzung<br />

in Darscheid erleben. Ralph Morgenstern,<br />

bekannt aus dem Fernsehen, wird die Rolle des<br />

Monsignore O´Hara übernehmen. Weitere Rollen<br />

übernehmen Denise Lucia Aquino (Deloris<br />

Van Cartier) und Sarah Matberg (Mutter<br />

Oberin).<br />

Ralph Morgenstern<br />

Foto: Stephan Pick<br />

• »Skiverliebt – Das <strong>Musical</strong>« anlässlich der<br />

Ski-Weltmeisterschaft 2025 im Salzburger<br />

Landestheater<br />

Ein <strong>Musical</strong> über die Faszination Skifahren,<br />

den da<strong>mit</strong> verbundenen Leistungsdruck und<br />

die österreichische Gastfreundlichkeit soll<br />

den Markt erobern. Die Zusammenarbeit des<br />

Salzburger Landestheaters <strong>mit</strong> dem Tourismusverband<br />

Saalbach Hinterglemm und dem<br />

SalzburgerLand Tourismus stellt unter anderem<br />

Protagonisten wie Skilehrer-Musi, Sportler,<br />

Touristen, Gastarbeiter und ein Pistenraupen-<br />

Ballett in Aussicht. An dem Buch arbeitet Anna<br />

Lukasser-Weitlander <strong>mit</strong>, die auch kritische<br />

Aspekte, wie zum Beispiel den Klimawandel und<br />

dessen Auswirkungen, verspricht. Die Musik<br />

schreibt Martin Lingnau, der, ebenso wie der<br />

Songtexter Frank Ramond, bereits Erfahrungen<br />

<strong>mit</strong> einem Sportmusical feiern durfte – aus ihren<br />

Federn stammt auch »Das Wunder von Bern«.<br />

• »Wolf – Das Mystical« wird am <strong>23</strong>. Mai<br />

20<strong>24</strong> Uraufführung feiern<br />

Das Stück, welches anlässlich des 1.100-jährigen<br />

Geburtstags des heiligen Wolfgang entsteht,<br />

bekommt eine eigens dafür errichtete Seebühne<br />

in St. Wolfgang. Franzobel verfasst das Libretto,<br />

die Musik stammt von dem Südtiroler Komponisten<br />

Gerd Hermann Ortler. Im Mittelpunkt<br />

wird der 1052 heiliggesprochene Bischof stehen,<br />

inklusive seiner Wunder, seiner Begegnung <strong>mit</strong><br />

dem Teufel oder seinem Axtwurf von der Höhe<br />

des Falkensteins bis zu jener Stelle, an der heute<br />

die Kirche steht. Die geplante Seebühne soll 800<br />

Sitzplätze bieten.<br />

blickpunkt musical <strong>06</strong>/20<strong>23</strong> 43


<strong>Musical</strong>s in Österreich<br />

»In Wien muss man sterben, da<strong>mit</strong> sie Dich hochleben<br />

lassen. Aber dann lebst lang!«<br />

Uraufführung von »Rock Me Amadeus – Das Falco <strong>Musical</strong>« in Wien<br />

Abb. oben:<br />

Der innere Kampf zwischen Hans<br />

(Moritz Mausser, vorne) und seinem<br />

Alter Ego (Alex Melcher, hinten<br />

oben) beginnt<br />

Abb. unten:<br />

Immer wieder versucht sein Alter<br />

Ego (Alex Melcher, r.), Hans (Moritz<br />

Mausser, l.) vom verruchten Popstar-<br />

Dasein zu überzeugen<br />

Fotos (2): VBW / Deen van Meer<br />

chon in einem seiner letzten veröffentlichten<br />

S Hits – ›Out of the Dark‹ – fragt Popstar Falco<br />

prophezeiend: »Muss ich denn sterben, um zu<br />

leben?« Nach einem längeren Tief war er Ende<br />

der 90er Jahre zurück in der Erfolgsspur, war<br />

wieder in den Charts, wollte zeigen, dass er an<br />

alte Erfolge anknüpfen konnte. Wenig später, am<br />

6. Februar 1998, starb er bei einem Autounfall in<br />

der Dominikanischen Republik. Bis heute ranken<br />

sich Selbstmordgerüchte um seinen Tod. Hinter<br />

dem damals 40-jährigen Johann »Hans« Hölzel,<br />

so der bürgerliche Name, lag ein turbulentes<br />

Leben. Goldene Schallplatten, Drogen und Alkohol<br />

pflasterten seinen Weg. »Ich lebe nur einmal,<br />

und so, wie ich lebe, ist einmal auch genug«, sagte<br />

er einst selbst. Aufgewachsen in ärmlichen Verhältnissen<br />

schaffte er es in den 80ern selbst in den<br />

USA <strong>mit</strong> ›Rock Me Amadeus‹ an die Spitze der<br />

Charts. Doch der Ruhm war vergänglich, das war<br />

Falco bewusst. »Was mich fertig macht, ist, dass<br />

unser Geschäft Schall und Rauch ist. Der letzte<br />

Ton ist verklungen, die Leute gehen nach Hause«,<br />

resümierte Falco kurz vor seinem Tod – doch<br />

sein Tod war es, der ihn endgültig zur Legende<br />

werden ließ. Tausende Menschen kamen am<br />

14. Februar 1998 zu seiner Beerdigung auf den<br />

Wiener Zentralfriedhof. Jetzt, 25 Jahre später,<br />

gibt es ein <strong>Musical</strong>, das den Lebensweg des Künstlers<br />

nachzeichnet. Am 7. Oktober feierte »Rock<br />

Me Amadeus – Das Falco <strong>Musical</strong>« im Wiener<br />

Ronacher seine Uraufführung.<br />

Christian Struppeck, Intendant der Vereinigten<br />

Bühnen Wien und Buchautor des <strong>Musical</strong>s,<br />

ist aber nicht der Erste, der auf die Idee kam, Falco<br />

nach seinem Tod auf der Bühne ein Denkmal zu<br />

setzen. Unter dem Titel »Falco Meets Amadeus«<br />

war der Lebensweg des österreichischen Sängers<br />

schon im Jahr 2000, nur zwei Jahre nach seinem<br />

Tod, im Berliner Theater des Westens zu sehen.<br />

Genau wie beim neuen Werk waren auch damals<br />

die legendären Songs der niederländischen Brüder<br />

Rob und Ferdi Bolland zu hören, die einst für<br />

Falcos weltweiten Erfolg sorgten. Nach mehreren<br />

Stationen verschwand es aber in der medialen<br />

Versenkung. Auch »Falco – das <strong>Musical</strong>« hat vor<br />

einigen Jahren die Hits <strong>mit</strong> einer Handlung verwoben.<br />

Und in Wien, sogar im Ronacher selbst,<br />

lief bereits »Falco – A Cyber Show«, welches<br />

öffentlich kein <strong>Musical</strong> sein wollte, aber strenggenommen<br />

dennoch genau dies war. Nun also<br />

jetzt diese Version, und die Vereinigten Bühnen<br />

rühmen sich dessen, bei dieser Eigenproduktion<br />

eines Jukebox-<strong>Musical</strong>s nicht eine fiktive Handlung<br />

zu verwenden, wie zum Beispiel bei »I Am<br />

From Austria«, sondern sich so nah an wahren<br />

Begebenheiten zu orientieren wie noch nie ein<br />

Falco-<strong>Musical</strong> zuvor.<br />

Hier liegt bereits das erste Manko des Stücks.<br />

Falco mag ein bewegtes und wechselvolles Leben<br />

gehabt haben, die Handlung und die Dialoge des<br />

<strong>Musical</strong>s bleiben hingegen über weite Teile flach.<br />

Dass ab dem zweiten Akt plötzlich Falcos Alter<br />

44<br />

blickpunkt musical <strong>06</strong>/20<strong>23</strong>


<strong>Musical</strong>s in Österreich<br />

Ego (dargestellt von Alex Melcher) auftaucht,<br />

ergibt leider wenig Sinn und die Rolle hätte besser<br />

ins gesamte <strong>Musical</strong> eingebettet werden müssen.<br />

Die innere Zerrissenheit und der Kampf zwischen<br />

Falco und Hans werden hier zwar eingeflochten,<br />

aber nicht konsequent umgesetzt. Ein anderer<br />

Konterpart hätte dem schwachen Buch sicher<br />

gutgetan.<br />

Die Geschichte beginnt in Falcos Schulzeit.<br />

Wie so viele träumt der Schüler davon, später<br />

einmal berühmt zu sein. Schon in früher Kindheit<br />

war er ein Ausnahmetalent, hatte ein absolutes<br />

Gehör und konnte Melodien, die er einmal gehört<br />

hatte, auf dem Klavier nachspielen. Die Lehrer<br />

und seine Mutter versuchen, ihn mal mehr, mal<br />

weniger behutsam davon abzubringen. Einzig und<br />

allein sein bester Freund Billy – hier hinreißend<br />

und stimmlich hervorragend von Kinderdarsteller<br />

Elias Osmanovic dargestellt – stärkt ihm <strong>mit</strong> dem<br />

Song ›Leb deinen Traum‹ den Rücken.<br />

Der Kinderdarsteller ist nur ein Teil der<br />

fantastischen Cast. Die Darsteller:innen sind das<br />

Highlight der Inszenierung. Allen voran Moritz<br />

Mausser als Falco. Nur selten bietet ihm allerdings<br />

die vom rappigen Sprechgesang des Hans<br />

Hölzel geprägte Partitur die Gelegenheit, sein<br />

gesangliches Talent in vollem Umfang zu präsentieren.<br />

Zum Verwechseln echt wirken jedoch die<br />

markante Mimik und Gestik. Hut ab vor dem<br />

jungen Darsteller, der eigentlich noch <strong>mit</strong>ten in<br />

seinem Musiktheater-Studium an der MUK in<br />

Wien steckt. Fast ununterbrochen ist er auf der<br />

Bühne und zeigt alle Facetten des österreichischen<br />

Popidols. Doch die vielen Provokationen,<br />

das nicht angepasste Verhalten Falcos wirken in<br />

einer von Individualismus geprägten YouTube-<br />

Welt nicht mehr so schockierend wie noch in<br />

den 80ern oder zu Beginn der 90er Jahre. Auch<br />

Isabella, der Charakter seiner Bühnenpartnerin,<br />

ist eher farblos, doch Katharina Gorgi kann bei<br />

ihren Solo-Songs ihre starke Stimme präsentieren.<br />

Ein Juwel für die Inszenierung ist Tania Golden,<br />

die Falcos Mutter Maria Hölzel verkörpert. Die<br />

Frau muss ein wahres Original gewesen sein. Der<br />

österreichische TV-Sender ORF widmete der<br />

außergewöhnlichen Beziehung zwischen dem<br />

Sänger und seiner alleinerziehenden Mutter eine<br />

eigene Dokumentation. »Dirigent ist Falco nicht<br />

geworden, aber so was Ähnliches«, sagte Falcos<br />

Mutter einst über ihren berühmten Spross, den<br />

einzigen Überlebenden von Drillingen. Dieser trockene,<br />

manchmal vielleicht unfreiwillige Humor<br />

findet sich auch in der <strong>Musical</strong>-Version wieder.<br />

Jede Szene <strong>mit</strong> ihr zündet. Tania Golden verleiht<br />

der Figur einen humorvollen Charakter <strong>mit</strong> echtem<br />

Wiener Schmäh. Leider kann sie keinen großen<br />

Song präsentieren, und auch die Figuren von<br />

Manager Horst Bock (Andreas Lichtenberger) und<br />

Berater Markus Spiegel (Franz Frickel) sind zwar<br />

präsent, haben aber wenig Gelegenheit, gesanglich<br />

in Erscheinung zu treten. Die meisten Szenen sind<br />

– einem Konzert gleich – frontal zum Publikum<br />

inszeniert und Moritz Mausser singt und rappt mal<br />

mehr, mal weniger vom Chor des Ensembles unterstützt,<br />

als Solokünstler.<br />

Die Songs sind schwungvoll, kommen aber<br />

nicht an das akzentuierte Original heran – was bei<br />

einer Live-Version und Orchestrierung durch das<br />

VBW-Orchester unter der Leitung von Michael<br />

Römer fast zu erwarten war, jedoch nicht an<br />

der Qualität des Orchesters liegt. Bei manchen<br />

Liedern hätte es durchaus einer modernen Bearbeitung<br />

bedurft oder man hätte <strong>mit</strong> Hilfe neuer<br />

Arrangements ein paar Highlights setzen können.<br />

Auch einige neue Songs wurden von den<br />

Bolland-Brüdern, den Original-Falco-Produzenten,<br />

zum Teil in Zusammenarbeit <strong>mit</strong> Justin Dylan<br />

Bolland, für das neue <strong>Musical</strong> beigesteuert – diese<br />

klingen allerdings weniger nach Falco-Konzert und<br />

dafür mehr nach <strong>Musical</strong>. In dem Song ›Ein weißes<br />

Blatt Papier‹ lernt der Zuschauer die Stimme von<br />

Moritz Mausser von einer anderen Seite kennen.<br />

Gerade an diesen emotionalen Stellen, wo es ein wenig<br />

in die Tiefe geht und der innere Konflikt erkennbar<br />

wird, hätte das Buch noch ein wenig dranbleiben<br />

müssen – hier wird immer wieder zu schnell auf<br />

das Konzert- und Tourleben Falcos umgeschwenkt.<br />

Ein Highlight ist hingegen das Bühnenbild –<br />

optisch bleiben beim Jukebox-<strong>Musical</strong> keine Wünsche<br />

offen. Stephan Prattes (Bühnenbild) arbeitet<br />

<strong>mit</strong> vielen Spiegeln, Würfeln und Quadraten;<br />

Ecken und Kanten bestimmen das Bühnenbild.<br />

Ob an der Theaterdecke, auf dem Bühnenboden<br />

oder schwebend in der Luft, überall tauchen die<br />

Rock Me Amadeus –<br />

Das Falco <strong>Musical</strong><br />

Rob & Ferdi Bolland /<br />

Justin Dylan Bolland / Johann Hölzel /<br />

Christian Struppeck<br />

Deutsche Songtexte neue Lieder von<br />

Wolfgang Adenberg<br />

Vereinigte Bühnen Wien<br />

Ronacher<br />

Uraufführung: 7. Oktober 20<strong>23</strong><br />

Regie ........................ Andreas Gergen<br />

Musikalische Leitung ...........................<br />

Michael Römer<br />

<strong>Musical</strong> Arrangements,<br />

Orchestrierung<br />

& Supervision ................ Michael Reed<br />

Orchestrierung .................. Roy Moore<br />

Choreographie ...... Anthony Van Laast<br />

Bühnenbild ................. Stephan Prattes<br />

Kostüme .... Uta Loher & Conny Lüders<br />

Lichtdesign .............. Howard Harrison<br />

Videodesign .......... Douglas O´Connell<br />

Sounddesign .............. Thomas Strebel<br />

Hans (Falco) ............... Moritz Mausser<br />

Alter Ego ........................ Alex Melcher<br />

Isabella ...................... Katharina Gorgi<br />

Horst .............. Andreas Lichtenberger<br />

Markus ............................ Franz Frickel<br />

Maria ............................. Tania Golden<br />

Billy.......................... Simon Stockinger<br />

Hansi .......................... Martin Enenkel<br />

Kleiner Hans ........ Jakob Blaimschein /<br />

Valentin Lehnert / Elias Pakla /<br />

Nikolaus Schmudermaier<br />

Kleiner Billy ............ Elias Osmanovic /<br />

Matteo Enzo Brezina /<br />

Matteo Haudek /<br />

Niklas Petzer<br />

Walk-in Cover Horst ....... Kai Peterson<br />

Walk-in Cover Maria .... Shlo<strong>mit</strong> Butbul<br />

In weiteren Rollen:<br />

Sophie Aigner, Clemens Otto Bauer,<br />

Anna Carina Buchegger,<br />

Barbara Castka, Andrea Luca Cotti,<br />

Anneka Dacres, Klaudia Dodes,<br />

Valentina Inzko Fink, Peter Knauder,<br />

Sarah Kornfeld, Peter Kratochvil,<br />

Charles Kreische, Jan-Eike Majert,<br />

Jonathan Metu, Stefan Mosonyi,<br />

Paula Niederhofer,<br />

Steven Armin Novak,<br />

Stefan Poslovski, Georg Prohazka<br />

(Dance Captain), Jo Lucy Rackham,<br />

Fabian Lukas Raup,<br />

David Rodriguez-Yanez,<br />

Bettina Schurek, Benedikt Solle,<br />

Zoe Staubli, Mark van Beelen,<br />

Yuri Yoshimura<br />

Abb. von links:<br />

1. (v.l.): ›Tango the Night‹ – Hans<br />

(Moritz Mausser, vorne l.) und<br />

Isabella (Katharina Gorgi, vorne r.)<br />

lernen sich beim Tanzen in der Bar<br />

kennen (Ensemble)<br />

2. Falco (Moritz Mausser) bei einem<br />

seiner ersten großen Auftritte<br />

Fotos (2): VBW / Deen van Meer<br />

blickpunkt musical <strong>06</strong>/20<strong>23</strong><br />

45


<strong>Musical</strong>s in Österreich<br />

Abb. unten von oben links:<br />

1. Hans (Moritz Mausser) setzt sich,<br />

auch <strong>mit</strong> Hilfe von seinem Freund<br />

Hansi (Martin Enenkel), <strong>mit</strong> seiner<br />

Musik durch<br />

2. Freunde fürs Leben – (v.l.): Billy<br />

(Simon Stockinger), Hans (Moritz<br />

Mausser) und Hansi (Martin Enenkel)<br />

3. ›Rock Me Amadeus‹ – Mit diesem<br />

Hit stürmt Falco (Moritz Mausser <strong>mit</strong><br />

Ensemble) auch an die Spitze der<br />

US-Charts<br />

4. Falcos Produzent Markus Spiegel<br />

(Franz Frickel) und Manager Horst<br />

Bock (Andreas Lichtenberger) wollen<br />

Falco so gut es geht vorwärtstreiben<br />

5. Mutter Maria (Tania Golden,<br />

2.v.r.) hätte ihren Sohn Hans (Moritz<br />

Mausser, r.) lieber bei der Pensionsversicherungsanstalt<br />

gesehen<br />

6. ›Du bist mein Zuhaus‹ – Falco<br />

(Moritz Mausser) wünscht sich nichts<br />

sehnlicher als ein normales Leben <strong>mit</strong><br />

seiner Isabella (Katharina Gorgi)<br />

Fotos (6): VBW / Deen van Meer<br />

kubischen Formen und Spiegel auf oder werden<br />

wie an Hochregalen aus der Seitenbühne geschoben.<br />

Als der erste glasartige Kasten vom Bühnenhimmel<br />

kommt, fragt man sich kurz – ist es<br />

ein Bild oder sitzt da eine echte Darstellerin am<br />

Küchentisch? Diese Formen, gepaart <strong>mit</strong> Neonröhren,<br />

verleihen dem Ganzen eine tolle 80er-<br />

Jahre-Atmosphäre und lassen durch die vielen<br />

Spiegelungen Raum für andere Blickwinkel und<br />

Lichteffekte. Ein Hingucker ist auch das riesige,<br />

detailliert gestaltete Falco-Gehirn, aus dem sein<br />

Alter Ego entsteigt. Die Kostüme (Uta Loher &<br />

Conny Lüders) bieten ein breites Spektrum: Vom<br />

schwarzen Smoking über die Rock-Leder Kombi<br />

bis hin zum Glitzer-Dragqueen-Outfit bleiben<br />

keine Wünsche offen. Das große Ensemble auf<br />

der Bühne, alle in weiße Anzüge gekleidet, soll<br />

an einen griechischen Chor erinnern – dennoch<br />

wirken einige Ensemble<strong>mit</strong>glieder teilweise<br />

arbeitslos und dürfen neben dem Gesang nur die<br />

verspiegelten Würfel umherschieben. Alles ist<br />

eben auf Superstar Falco und dessen Bühnenshow<br />

ausgerichtet. Leider fehlen Hits wie ›Mutter, der<br />

Mann <strong>mit</strong> dem Koks ist da‹, und das, obwohl der<br />

Drogendealer auf der Bühne des Öfteren präsent<br />

ist, oder auch ›Kann es Liebe sein‹. Dadurch<br />

verstreicht die Gelegenheit zu zeigen, dass Falco<br />

mehr als ›Der Kommissar‹ hinterlassen hat.<br />

Nach drei Stunden gibt es vom Premierenpublikum<br />

Standing Ovations. Etwas anderes war<br />

auch nicht zu erwarten, nachdem der Jubel schon<br />

ausbrach, als die Figur des Falco die Bühne betrat.<br />

Die Kritiken sind gemischt, das Publikum ist hinund<br />

hergerissen. Das Biographie-<strong>Musical</strong> erzählt<br />

realistisch die Geschichte des Austro-Musikers,<br />

aber ob das genügt, um ein Publikum, das Falco<br />

niemals live erlebt hat, zu erreichen, bleibt fraglich.<br />

In Wien ist 25 Jahre nach seinem Tod eine<br />

Diskussion um das Erbe des Musikers entbrannt.<br />

Mina Piston<br />

46<br />

blickpunkt musical <strong>06</strong>/20<strong>23</strong>


<strong>Musical</strong>s in Österreich<br />

»Ich will nicht, dass das so eine<br />

<strong>Musical</strong>scheiße wird!«<br />

Uraufführung von »Lizzy Carbon und der Klub der Verlierer« in Wien<br />

Abb. oben:<br />

Das Ensemble (v.l.: Stefan Rosenthal,<br />

Shirina Granmayeh, Curdin Caviezel,<br />

Lilly Rottensteiner, Ursula Anna<br />

Baumgartner) zieht schnell die<br />

Aufmerksamkeit des Publikums auf sich<br />

Foto: Rita Newman / Theater der Jugend<br />

Das <strong>Musical</strong> feierte am 17. Oktober 20<strong>23</strong> seine<br />

Uraufführung im Wiener Theater im Zentrum<br />

und wird vom Theater der Jugend präsentiert. Als Vorlage<br />

dient der gleichnamige Roman von Mario Fesler<br />

(sein Debütroman wurde im Rahmen der Frankfurter<br />

Buchmesse im Oktober 2017 <strong>mit</strong> dem Deutschen<br />

Jugendliteraturpreis ausgezeichnet). Thomas Zaufke<br />

komponierte die Musik und Peter Lund, der auch<br />

Regie führte, schrieb die Texte.<br />

Es geht um die Loser einer Schule, Mobbing, Ungerechtigkeit<br />

und Vorurteile. Also kein leichter Stoff,<br />

aber das sei schon mal verraten: Es gelingt dem ganzen<br />

Team hervorragend, dies alles in gute Unterhaltung<br />

zu verwandeln und so eine außergewöhnliche Aufführung<br />

zu bieten.<br />

Die Reise in die Story für das eher junge Publikum<br />

(empfohlen ab 11 Jahren) und deren erwachsenen<br />

Begleitern beginnt bereits im Foyer des Theaters. Von<br />

der Garderobe an bis zum Theatersaal findet man Programme<br />

von einem Schulfest, Fotos von Schülergruppen<br />

<strong>mit</strong> hingeschmierten Notizen und Werbeplakate.<br />

An der Bar gibt es Kekse nach »Mama Arifs Rezept«.<br />

Zugegeben, vor der Vorstellung wirft das noch Fragen<br />

auf, in der Pause sieht man diese Details aber schon <strong>mit</strong><br />

ganz anderen Augen.<br />

Das sehr kurzweilige Stück nimmt schnell an Fahrt<br />

auf und bringt das Publikum rasch in eine gespannte<br />

Stimmung. So sind die ersten Minuten der Vorstellung<br />

praktisch schon das Ende, man erfährt, dass es ein<br />

voller Erfolg war und die Projektgruppe der Gewinner<br />

des Schulfestes ist, aber dann fängt die Story eigentlich<br />

erst von vorne an: Lizzy erzählt in die Handylinse ihrer<br />

Freundin Sara die Erfolgsgeschichte vom Klub der<br />

Verlierer und das Publikum wird praktisch in die Zeit<br />

davor versetzt.<br />

Das Stück handelt von einer Hand voll gewöhnlich<br />

ungewöhnlichen Jugendlichen, hier die Spezies Außenseiter.<br />

Alle suchen ihren Platz in der Gesellschaft, sind<br />

auf der Suche nach dem (richtigen?) Weg ins Erwachsenwerden.<br />

Dabei begegnet ihnen auch das Thema<br />

Mobbing, wobei sie da auf der Opferseite stehen.<br />

Im Mittelpunkt der Geschichte steht Lizzy, knapp 14<br />

Jahre alt, die in einem Anfall von Gerechtigkeitswahn<br />

wieder einmal zu laut ihren Gefühlen nachgegeben<br />

und ihre Meinung gesagt hat, da sie sich nicht alles<br />

gefallen lässt. Dass sie es genau in dem Moment sagt,<br />

als es wundersamerweise auf einmal still war in der<br />

Schule und sie so<strong>mit</strong> alle bei der Besprechung zum<br />

Schulfest hören konnten, ist blödes Pech. So findet sich<br />

Lizzy, von der Schulleitung zu einem eigenen Projekt<br />

für das Schulfest verdonnert, im ehemaligen Physiklabor<br />

ohne Tageslicht im Keller der Schule wieder.<br />

Zusammen <strong>mit</strong> den anderen Outsidern der Schule,<br />

die alle von der Gemeinschaft ausgeschlossen und <strong>mit</strong><br />

der gleichen Thematik beschäftigt sind: ›Wie werde ich<br />

beliebt?‹ Spätestens nach diesem Song ist das Publikum<br />

schon von der Story gefesselt und fiebert <strong>mit</strong> nach der<br />

Lösung für ein gelungenes Projekt – wie schaffen es die<br />

48<br />

blickpunkt musical <strong>06</strong>/20<strong>23</strong>


<strong>Musical</strong>s in Österreich<br />

Fünf, auf der Beliebtheitsskala nach oben zu klettern?<br />

Nach einer längeren Themensuche entscheidet sich die<br />

Gruppe für das »Projekt Dunkelrestaurant«, sie wollen<br />

den Mitschülern ein Essen im Dunkeln servieren. Blöd<br />

nur, dass niemand kochen kann – und das wird nicht<br />

das einzige Problem bleiben, an dem der »Klub der Verlierer«,<br />

wie die Truppe schnell in der Schule genannt<br />

wird, zu knabbern hat…<br />

Die Musik von Thomas Zaufke nimmt die<br />

Zuschauer:innen und Zuhörer:innen auf eine Reise<br />

<strong>mit</strong> ins Ohr gehenden Melodien <strong>mit</strong>, die sich rasch<br />

zum Ohrwurm entwickeln. Und es ist schade, dass<br />

man diese nicht noch irgendwo nachhören kann, weil<br />

jeder Song besonders ist und – wie das ganze Stück<br />

– mehr Aufmerksamkeit verdient als ein paar wenige<br />

Vorstellungen in dem eher kleinen Theatersaal im<br />

Souterrain des Theaters im Zentrum im Wiener Ersten<br />

Bezirk.<br />

Die Liedtexte von Peter Lund passen perfekt zum<br />

Zielpublikum. Sie haben jetzt vielleicht nicht immer<br />

ein besonders hohes Niveau – als Beispiel sei hier ›Verlogene<br />

Scheiße‹ genannt, wo fast der gesamte Liedtext<br />

aus diesen beiden Wörtern besteht. Aber in Summe<br />

passen Musik und Text zu dem gerade heranwachsenden<br />

Publikum, und sicherlich findet sich der eine<br />

oder andere Erwachsene auch immer wieder in seine<br />

früheren Jahre zurückversetzt. Sei es in Songs wie<br />

›Witzfigur‹, ›Der Klub der Verlierer‹, ›Voll gegen die<br />

Wand‹ oder ›Ich wollte dabei sein‹ oder im ganz großen<br />

Ohrwurm ›Erlaubt ist, was schmeckt‹.<br />

Der Inhalt ist ein Spiel zwischen und <strong>mit</strong> Klischees<br />

wie den Zeugen Jehovas und der türkischen Familienehre,<br />

Nerds, der Entstehung von neuen Freundschaften<br />

sowie deren teilweise oberflächliche Bedeutung,<br />

dem Zerfall von Beziehungen und eben dem Mobbing.<br />

Hervorragend umgesetzt, ohne <strong>mit</strong> dem Zeigefinger<br />

zu drohen, sondern anregend, das Verhalten zu<br />

reflektieren.<br />

Die Hauptfigur Lizzy wurde <strong>mit</strong> Ursula Anna<br />

Baumgartner hervorragend besetzt. Ihre Leichtigkeit<br />

in der Rolle, die zwischen Euphorie für etwas Neues<br />

und der eigenen Angst, als Außenseiterin immer wieder<br />

unverhofft in verschiedene Situation des Lebens<br />

zu geraten, ständig wechselt: Sie hat die Energie,<br />

Neues aufzubauen und andere <strong>mit</strong>zureißen, wird<br />

dann aber unsicher und vertraut sich dabei ihrem<br />

Tagebuch an. Mit diesem hat sie immer wieder innige<br />

Auseinandersetzungen, was den Zuschauern leicht fällt<br />

zu verfolgen, da das Tagebuch eine eigene Stimme aus<br />

dem Off hat (Isabel Weicken). Das Tagebuch wird auch<br />

mal als Handpuppe im Song ›Selbstvertrauen‹ sozusagen<br />

zum Leben erweckt. Es macht dem Publikum<br />

Freude, Baumgartner zuzusehen und die unterschiedlichen<br />

Lebenssituationen ihrer Rolle <strong>mit</strong>zuerleben. Sie<br />

transportiert ihre Figur sehr authentisch in die Szenen<br />

des Stücks, spielt auch nur diesen einen Charakter –<br />

denn alle anderen Darsteller:innen wechseln die Rollen<br />

mehrfach.<br />

Curdin Caviezel spielt in erster Linie den Loser<br />

Arif, der seine eigene Identität noch nicht gefunden<br />

hat und sehr unter dem Machtscheffel seiner Familie<br />

steht, aber bereit ist, dagegen anzukämpfen. Und sein<br />

Mut wird letztendlich auch belohnt. Außerdem spielt<br />

Caviezel noch Ramira, ein It-Girl der Schule, und vor<br />

allem Max, den arroganten Bruder von Lizzy. Und hier<br />

gelingt es ihm auffallend gut, den Charakter durch<br />

Wortbetonung und Körpersprache zu wechseln, indem<br />

er äußerlich eigentlich nur eine andere Jacke anzieht,<br />

um zu Max zu werden – der unbedingt Schulsprecher<br />

werden will und Lizzys Art und vor allem die neue<br />

Projektgruppe einfach peinlich findet – oder <strong>mit</strong> einem<br />

gelben Putzmob auf dem Kopf zum It-Girl wird.<br />

Shirina Granmayeh spielt die verschieden angelegten<br />

Seiten ihrer Figur Krissi, die doch so gerne zu den<br />

Beliebten in der Schule zählen möchte und hin- und<br />

hergerissen ist zwischen den It-Girls, die auf einmal<br />

Interesse an ihr zeigen, und der Freundschaft zu Lizzy.<br />

Nicht nur durch ihre aussagekräftige Mimik und Gestik<br />

ist sie sehr überzeugend und abwechslungsreich.<br />

Besonders gut kommt sie als Klassenlehrer Dr. Wenz<br />

rüber und wechselt hier nur durch das Aufsetzten einer<br />

Brille den Charakter.<br />

Stefan Rosenthal darf auch in drei Rollen schlüpfen:<br />

Lizzys Vater, Alexa, die Obermobberin aus Lizzys<br />

Klasse (er darf einen rosa Putzmob tragen…), seine<br />

Hauptrolle ist allerdings Carsten, der Spielenerd und<br />

Einzelgänger. Dieser wird auf Grund seines Hobbys,<br />

dem Nasenbohren, auch Popelino genannt. Da er dazu<br />

steht und das Popeln auch in der Schule ausübt, wird<br />

er eher von den anderen gemieden. Seinem Hobby<br />

ist auch ein eigener Song gewidmet: ›Erlaubt ist, was<br />

schmeckt‹. Allerdings zählt zu Carstens Stärken, dass<br />

er viel Positives sieht, wo die anderen im Klub der Verlierer<br />

nur negative Aspekte entdecken.<br />

Lizzy Carbon und der<br />

Klub der Verlierer<br />

Thomas Zaufke / Peter Lund<br />

Theater der Jugend Wien<br />

Theater im Zentrum<br />

Uraufführung: 12. Oktober 20<strong>23</strong><br />

Regie ................................. Peter Lund<br />

Musikalische<br />

Einstudierung ............... Béla Fischer jr.<br />

Orchesteraufnahme .... Thomas Zaufke<br />

Ausstattung ................ Ulrike Reinhard<br />

Licht ..... Peter Lund & Ulrike Reinhard<br />

Lizzy ........... Ursula Anna Baumgartner<br />

Krissi / Dr. Wenz ..................................<br />

Shirina Granmayeh<br />

Sara / Lizzys Mutter /<br />

Arifs Mutter . ............Lilly Rottensteiner<br />

Carsten / Lizzys Vater /<br />

Alexa ........................ Stefan Rosenthal<br />

Arif / Ramira / Max,<br />

Lizzys Bruder ............ Curdin Caviezel<br />

Tagebuch (Stimme) ...... Isabel Weicken<br />

Kinderchor:<br />

Dani Alexander Allkoud,<br />

Dima Al Enaizi, Obadah Janoudi,<br />

Sham Madi, Gaafr Shebli<br />

Abb. von links:<br />

1. Lizzy (Ursula Anna Baumgartner)<br />

und ihr arroganter Bruder Max<br />

(Curdin Caviezel), welcher zu den<br />

Mobbern gehört<br />

2. Krissi (Shirina Granmayeh, l.) und<br />

Sara (Lilly Rottensteiner, r.) treffen<br />

alle Töne<br />

Foto 1: Sophie Menegaldo<br />

Foto 2: Rita Newman / Theater der<br />

Jugend<br />

blickpunkt musical <strong>06</strong>/20<strong>23</strong><br />

49


<strong>Musical</strong>s in Österreich<br />

Abb. unten von oben links:<br />

1. Der Klub der Verlierer – (v.l.): Carsten<br />

(Stefan Rosenthal), Lizzy (Ursula Anna<br />

Baumgartner), Krissi (Shirina Granmayeh),<br />

Sara (Lilly Rottensteiner) und Lizzys<br />

Bruder (Curdin Caviezel) – versucht sich<br />

an an der Rezeptentwicklung für das<br />

Dunkelrestaurant<br />

2. Carsten (Stefan Rosenthal) ist der<br />

Nerd der Schule – er versteht nicht,<br />

warum Popeln alle anwidert<br />

3. Nachdem Lizzy (Ursula Anna<br />

Baumgartner) bemerkt hat, dass ihre<br />

Mutter ihr Tagebuch liest, versucht<br />

sie, diese <strong>mit</strong> ihren Eintragungen zu<br />

beeinflussen<br />

4. Krissi (Shirina Granmayeh) freut sich<br />

über die Aufmerksamkeit der It-Girls in<br />

ihrer Klasse<br />

5. Lizzy (Ursula Anna Baumgartner)<br />

ist verzweifelt und greift zur Trost-<br />

Schokolade<br />

6. Krissi (Shirina Granmayeh, l.) und Lizzy<br />

(Ursula Anna Baumgartner, r.)<br />

freuen sich über den Erfolg des<br />

Projekts und dass sie die Mobber alle<br />

ausgeschaltet haben<br />

Fotos 1+3 Sophie Menegaldo<br />

Fotos 2+4+5+6 Rita Newman /<br />

Theater der Jugend<br />

Lilly Rottensteiner spielt neben Lizzys Mutter<br />

(die heimlich das Tagebuch ihrer Tochter liest und<br />

krampfhaft versucht, ihre Tochter zu unterstützen,<br />

sie aber <strong>mit</strong> ihrer Fürsorge geradezu erstickt),<br />

und für eine Szene auch Arifs Mutter, – hauptsächlich<br />

Sara. Eine Einzelgängerin auf der Suche<br />

nach Freunden, ist sie bereit, dafür alles zu tun.<br />

Rottensteiner sprüht vor positiver Ausstrahlung, leider<br />

geben ihre Figuren ihr zu wenig Möglichkeit, ihre Vielseitigkeit<br />

auszuspielen, und eine größere Rolle wäre da<br />

sicher noch ein Gewinn.<br />

In Summe sind die Darsteller wirklich ein großer<br />

Faktor des Stücks, sie sind voller Energie beim Spiel<br />

und haben tolle Leistungen im Gesanglichen gezeigt.<br />

Die Choreographie passt ebenso zur Inszenierung wie<br />

das eher einfach gehaltene und doch <strong>mit</strong> Überraschungen<br />

gespickte Bühnenbild. Die Ausstattung stammt<br />

von Ulrike Reinhard, die gemeinsam <strong>mit</strong> Peter Lund<br />

auch für das Licht gesorgt hat. Die musikalische Einstudierung<br />

und Korrepetition stammt von Béla Fischer jr.<br />

und die Dramaturgie von Gerald Maria Bauer.<br />

Zu erleben ist das Stück noch bis Anfang Dezember<br />

im Theater der Jugend. Es ist alles andere als »<strong>Musical</strong>scheiße«<br />

geworden und sei allen ans Herz gelegt,<br />

die auch einmal jung waren. Oder um es <strong>mit</strong> Lizzys<br />

Worten zu sagen: »Das hier ist kein <strong>Musical</strong>, das ist<br />

mein Leben!«<br />

Steffen Wagner<br />

50<br />

blickpunkt musical <strong>06</strong>/20<strong>23</strong>


<strong>Musical</strong>s in Österreich<br />

An der Volksoper macht es Boom!<br />

»tick, tick... BOOM!« an der Volksoper Wien<br />

Die erste <strong>Musical</strong>premiere der Saison 20<strong>23</strong>/20<strong>24</strong> am<br />

Haus am Gürtel mag vielleicht auf den ersten Blick<br />

etwas ungewöhnlich klingen, denn <strong>mit</strong> Jonathan Larsons<br />

»tick, tick... BOOM!« hat wohl niemand gerechnet, aber<br />

nach einer umjubelten Premiere samt Standing Ovations<br />

wurde das Wiener Publikum eines Besseren belehrt.<br />

Das Stück, das zunächst als Solostück konzipiert und<br />

1989 uraufgeführt wurde und erst 2001, sieben Jahre nach<br />

Larsons Tod, als Drei-Personen-Stück von David Auburn<br />

adaptiert wurde, wird hier <strong>mit</strong> deutschen Dialogen von<br />

Timothy Roller und englischen Liedtexten in einer Inszenierung<br />

von Frédéric Buhr präsentiert.<br />

Besetzungstechnisch hat man zu drei absoluten Publikumslieblingen<br />

gegriffen: In die Rolle des Jon schlüpft der<br />

stimmgewaltige Jakob Semotan. Von der ersten Minute<br />

an hat er das Publikum im Griff, zeigt sich sympathisch,<br />

teilweise humorvoll und begeistert gesanglich. Ebenso<br />

begeistert Oliver Liebl als Michael und schlüpft außerdem<br />

gemeinsam <strong>mit</strong> Juliette Khalil in etliche andere kleine Rollen,<br />

was zwar meistens wunderbar funktioniert, aber wenn<br />

sie Jons Agentin spielt und wenige Minuten später wieder<br />

als seine Freundin Susan zu sehen ist, wirkt das auf den ersten<br />

Blick verwirrend, ist allerdings das Konzept des Stücks.<br />

Die Harmonie zwischen Juliette Khalil und Jakob<br />

Semotan ist nicht zu übersehen, vor allem in den Songs<br />

›Green Green Dress‹ und ›Therapy‹ merkt man, wie wunderbar<br />

ihre Stimmen harmonieren. Aber auch darstellerisch<br />

passen sie hervorragend zusammen, vor allem wenn es<br />

um Konflikte geht – schließlich leidet ihre Beziehung unter<br />

den Vorbereitungen des langersehnten Workshops von<br />

»Superbia«. Juliette Khalil begeistert auch <strong>mit</strong> dem Titel<br />

›Come to Your Senses‹, bei dem sie sich von einer völlig<br />

neuen Seite zeigt. Meistens kennt man die Sopranistin für<br />

ihre Darbietungen in Operetten, Opern und klassischen<br />

<strong>Musical</strong>s, aber hier zeigt sie sich vielleicht erstmals von der<br />

rockigen Seite und überzeugt. Auch als Trio glänzen die<br />

drei jungen Darsteller, vor allem <strong>mit</strong> der großen Nummer<br />

›Louder Than Words‹, die unter die Haut geht.<br />

Das Bühnenbild von Agnes Hasun wechselt vom Diner,<br />

in dem Jon arbeitet, und seiner Wohnung. Das Besondere<br />

ist, dass dank einer Leiter auf mehreren Ebenen gespielt<br />

werden kann, wie etwa bei ›Louder Than Words‹, wo Susan<br />

und Michael zunächst oben sind und Jon aber weiterhin<br />

unten singt. Das ist gut gelöst. Alles sonst ist minimalistisch<br />

gehalten, funktioniert aber, und man weiß immer<br />

genau, wo die Handlung spielt. Allerdings wirkt das Licht<br />

etwas düster, was bei einem Off-Theater kein Problem darstellen<br />

würde, aber auf einer größeren Bühne wie der der<br />

Volksoper überdacht werden sollte.<br />

Ein weiterer wichtiger Bestandteil dieser Produktion ist<br />

die musikalische Begleitung. Normalerweise wird hier ein<br />

hauseigenes Orchester eingesetzt. Aber was passiert, wenn<br />

man hier ein Rockmusical spielt? Dann müssen eine Rockband<br />

und ein geeigneter musikalischer Leiter her. In beiden<br />

Fällen hätte die Volksoper diese nicht besser besetzen können.<br />

Der musicalaffine Christian Frank hat dieser Produktion<br />

den nötigen Rockschliff verpasst und ist außerdem am<br />

Klavier zu hören. Bei einigen Stellen wirkt die Musik etwas<br />

zu laut, speziell bei den sehr rockigen Nummern, trotzdem<br />

bleiben die Darsteller gut verständlich.<br />

Tara Randell wurde als Choreographin verpflichtet.<br />

Dieses Stück mag zwar kein Tanzmusical sein, aber dennoch<br />

schafft sie es, einige gute Choreographien in Titeln<br />

wie ›Therapy‹ oder ›30/90‹ einfließen zu lassen. Da beweist<br />

sie ein gutes Gespür für die Musikalität des Stücks.<br />

Regisseur Frédéric Buhr schafft es, ein Off-<strong>Musical</strong> an<br />

ein großes Haus zu bringen und das <strong>mit</strong> wenigen Mitteln,<br />

aber dafür <strong>mit</strong> einer erstklassigen Besetzung und einer<br />

großartigen Band. Das Publikum war am Premierenabend<br />

sichtbar jünger als sonst für dieses Haus üblich. Vielleicht<br />

kann man <strong>mit</strong> solchen Stücken in der Tat auch die jüngere<br />

Generation ins Theater locken.<br />

Ludovico Luchesi Palli<br />

Abb. oben:<br />

Das große Finale ›Louder Than<br />

Words‹ berührt jeden im Publikum:<br />

(v.l.) Susan (Juliette Khalil), Jon (Jakob<br />

Semotan), Michael (Oliver Liebl)<br />

Abb. unten:<br />

Jon (Jakob Semotan, Mitte) arbeitet<br />

tagsüber in einem Diner, um <strong>mit</strong><br />

den Gästen (v.l.: Juliette Khalil,<br />

Oliver Liebl) seinen Lebensunterhalt<br />

zu verdienen<br />

Fotos (2): Barbara Pálffy / Volksoper Wien<br />

tick, tick... BOOM!<br />

Jonathan Larson<br />

Songs in englischer Sprache<br />

Deutsche Dialoge von Timothy Roller<br />

Volksoper Wien<br />

Premiere: 28. Oktober 20<strong>23</strong><br />

Regie ............................. Frédéric Buhr<br />

Musik. Leitung ............ Christian Frank<br />

Choreographie ................. Tara Randell<br />

Ausstattung .................... Agnes Hasun<br />

Licht ..................................... Alex Brok<br />

Sounddesign ............. Martin Lukeschk<br />

Jon ............................... Jakob Semotan<br />

Susan ............................. Juliette Khalil<br />

Michael ............................ Oliver Liebl<br />

blickpunkt musical <strong>06</strong>/20<strong>23</strong><br />

51


<strong>Musical</strong>s in Österreich<br />

In christlicher Mission<br />

»Pauline – Mut verändert die Welt« in der Stadthalle Wien<br />

Abb. oben:<br />

›Es ist schön zu tanzen‹ – Schnell merkt<br />

Pauline (Rahel Minichmayr, Mitte <strong>mit</strong><br />

Ensemble), dass schöne Bälle nicht<br />

alles sind im Leben, sie fragt nach dem<br />

tieferen Sinn<br />

Abb. unten:<br />

›Wie schön, wie wunderschön‹ – Alle<br />

(Ensemble) bewundern das jüngste<br />

Kind der Familie Jaricot: Pauline Marie<br />

(Bernadette Tomanek, Mitte)<br />

Fotos (2): Simon Kupferschmied<br />

Die Seidenfabrikanten-Tochter Pauline Marie Jaricot<br />

aus Lyon hat ihr Leben im 19. Jahrhundert<br />

den Armen gewidmet. Mit kreativen Ideen versuchte<br />

sie, Geld für diese zu sammeln und den christlichen<br />

Glauben zu verbreiten. Ihr Erbe führt die Mission in<br />

Österreich fort, <strong>mit</strong> ebenso phantasievollen Ansätzen.<br />

Seit mehreren Monaten tourt das Familien-<strong>Musical</strong><br />

»Pauline – Mut verändert die Welt«, welches sich <strong>mit</strong><br />

dem Leben der 2022 seliggesprochenen Missionarin<br />

beschäftigt, durch die Alpenrepublik.<br />

Beim Besuch stellt sich die Frage, wonach man<br />

ein <strong>Musical</strong> beurteilen soll. Hier gibt es zum Beispiel<br />

die üblichen Kriterien, beispielsweise die Klarheit des<br />

Gesangs oder die Synchronizität der Choreographie.<br />

Beim Familienmusical »Pauline« ist es eine Laiengruppe,<br />

vorwiegend aus Kindern und Jugendlichen,<br />

die sich zusammengefunden haben. Die jüngste<br />

Darstellerin auf der Bühne ist erst vier Jahre alt. Birgit<br />

Minichmayr hat das Stück über die Tochter aus<br />

reichem Hause geschrieben und komponiert. Es ist<br />

bereits ihr zwölftes <strong>Musical</strong>, das sie entwickelt hat,<br />

und sie bringt es <strong>mit</strong> den »KISI – God’s Singing Kids«<br />

(junge Darstellerinnen und Darstellern aus jedem<br />

Winkel Österreichs) auf die Bühne. Insgesamt sind<br />

es 77 Mitwirkende, davon 50 auf der Bühne und 27<br />

im Hintergrund. Für das Familienmusical werden<br />

auf der Homepage »raffinierte Bühnentechnik, aufwändige<br />

Kostüme und <strong>mit</strong>reißende Choreographien«<br />

angekündigt, doch wenn man die üblichen Maßstäbe<br />

anlegt, kann dieses Versprechen nicht vollumfänglich<br />

eingelöst werden. Weiße Stoffbahnen, die zwar gut in<br />

das Ambiente einer Seidenfabrikanten-Tochter passen<br />

und immer wieder neu arrangiert werden, bilden die<br />

Kulisse. Sie passen nicht nur zum Hintergrund der<br />

Figur, sondern auch zu ihrer Reinheit und Unschuld,<br />

wirken aber nicht sehr kreativ. Die Kostüme orientieren<br />

sich an historischen Vorlagen des 19. Jahrhunderts<br />

und wurden in mühsamer, stundenlanger Arbeit <strong>mit</strong><br />

viel Liebe hergestellt, wirken aber nicht so üppig wie<br />

versprochen. Die Choreographien sind weder gewagt<br />

noch spektakulär. In der Stadthalle kommt die Musik<br />

vom Band. Die Songs, häufig Balladen, erinnern teilweise<br />

an Gebete.<br />

Doch andererseits sollte ein <strong>Musical</strong> nach dem<br />

Erfolg und der Kreativität – nach der Idee dahinter –<br />

beurteilt werden. Bei »Pauline – Mut verändert die<br />

Welt« steht vielmehr die Geschichte im Fokus. Die<br />

junge Pauline Marie Jaricot spürt einen göttlichen<br />

Auftrag und will den Armen helfen. Mit 17 Jahren<br />

beginnt sie, ihr gesamtes Vermögen, inklusive Kleidern<br />

und Schmuck, den Arbeitern, Kranken und Notleidenden<br />

zu schenken. Der Zuschauer folgt der mutigen<br />

Frau auf ihrem steinigen Weg gegen wahrhafte Widersacher,<br />

aber auch gegen sich selbst. Leider schafft es<br />

die Hauptdarstellerin Rahel Minichmayr nicht, der<br />

Figur darüber hinaus weiteren Glanz zu verleihen.<br />

Doch das ist nicht das, was das begeisterte Publikum<br />

fasziniert. In den Reihen finden sich neben sehr vielen<br />

Kindern auch Priester, Nonnen und andere Geistliche.<br />

Sie lassen sich <strong>mit</strong>reißen von der wechselvollen<br />

Geschichte der Pauline Marie Jaricot. Sie haben für<br />

die Handlung vermutlich mehr Verständnis als andere<br />

Zuschauer. Die Geschichte ist es vermutlich auch,<br />

die dann dazu geführt hat, dass das Stück ein Erfolg<br />

wurde, und schließlich zu einer fast ausverkauften<br />

Zusatzvorstellung in Wien geführt hat. Selten haben<br />

Darsteller:innen <strong>mit</strong> so viel Freude getanzt und gesungen,<br />

waren selbst so überzeugt von der Geschichte, die<br />

sie auf der Bühne erzählen. Besonders stark sind jene<br />

Songs, bei denen das ganze Ensemble zusammen singt.<br />

52<br />

blickpunkt musical <strong>06</strong>/20<strong>23</strong>


<strong>Musical</strong>s in Österreich<br />

Dann harmoniert die Cast und findet auch wieder die<br />

richtigen Töne. Der Song ›Voilà‹ ist <strong>mit</strong>reißend und<br />

motivierend. Auch die große Marktszene im italienischen<br />

Mugnano ist mehr als gelungen. Hierher reist<br />

die schwerkranke Pauline und wird durch Gebete zur<br />

heiligen Philomena völlig gesund.<br />

Letztendlich ver<strong>mit</strong>telt das <strong>Musical</strong> Selbstvertrauen,<br />

denn auch Pauline Marie Jaricot wird im Verlaufe des<br />

Stücks immer wieder von Selbstzweifeln geplagt, die<br />

auf der Bühne durch die Figur des Monsieur Discourage<br />

– dem Entmutiger – dargestellt werden. Stellenweise<br />

erinnert das innere Zwiegespräch ein bisschen an<br />

Elisabeth und den Tod aus dem gleichnamigen Kunze/<br />

Levay-<strong>Musical</strong>. Begleitet von seinem Diener, Fledermaus<br />

Ferdinand, versucht der Entmutiger, Pauline<br />

immer wieder aufs Neue von ihrem Weg abzubringen.<br />

Michael Garz, der Puppenspieler, der der Handpuppe<br />

von Fledermaus Ferdinand Leben einhaucht, ist der<br />

heimliche Star der Inszenierung. Man würde sich wünschen,<br />

dass die Liebe, die beim Schreiben des Buches<br />

in diese Figur <strong>mit</strong> dem sympathischen hölzernen<br />

Sprachfehler geflossen ist, auch beim Rest der Dialoge<br />

zu spüren wäre. Der junge Puppenspieler und Darsteller<br />

schafft es, Ferdinand einen unverwechselbaren und<br />

zugleich hinreißenden Charakter zu verleihen, und<br />

überrascht <strong>mit</strong> einer klaren, kräftigen Stimme.<br />

Ferdinand ist es auch schließlich, der sich von seinem<br />

Meister löst, die Seiten wechselt und sich, wie alle<br />

anderen, der Mission Pauline Marie Jaricots anschließt.<br />

Sie selbst bleibt sich schlussendlich trotz der Selbstzweifel<br />

und Anfeindungen treu und ist sich sicher, dass<br />

sie <strong>mit</strong> ein wenig Mut die Welt verändern kann. Sie<br />

spendet ihren Schmuck und ihre Kleider, gründet die<br />

Gebetsgemeinschaft »lebendiger Rosenkranz«, sammelt<br />

<strong>mit</strong> der »1-Sou-Initiative« Kleinstbeträge und beweist<br />

so, dass man auch <strong>mit</strong> wenig Einsatz viel bewegen<br />

kann. Sie versucht die Lage der Arbeiter zu verbessern<br />

und eine eigene Fabrik zu gründen. Das historische<br />

Vorbild starb verarmt am 9. Januar 1862 in Lyon, doch<br />

bis heute lebt ihr Geist in päpstlichen Missionswerken<br />

der katholischen Kirche fort.<br />

Der ergreifendste Moment – selbst für Atheisten<br />

und Agnostiker – ist gekommen, als der Vorhang fällt.<br />

Emmanuel Tran ist extra aus Frankreich angereist.<br />

Er hat keinen Zweifel: Pauline Marie Jaricot hat ein<br />

Wunder vollbracht und 150 Jahre nach ihrem Tod seine<br />

Tochter geheilt. Diese hatte sich 2012 bei einer Feier<br />

verschluckt und bekam kaum noch Luft. Als die Ärzte<br />

eintrafen, konnten sie nur wenig für das Kind tun. Seine<br />

Tochter Mayline galt als hirntot und lag im Koma. Die<br />

Mediziner hatten keine Hoffnung mehr, doch ohne das<br />

Wissen von Maylines Eltern begannen die Kinder im<br />

Kindergarten, den das kleine Mädchen besuchte, und<br />

die Schüler der zugehörigen Lyoner Schule <strong>mit</strong> einer<br />

Novene – einem neuntägigen Gebet zu Pauline Marie<br />

Jaricot. Was keiner mehr für möglich gehalten hatte<br />

und sich später keiner erklären konnte, wurde wahr:<br />

Mayline ging es von Tag zu Tag besser, nach einem Jahr<br />

war sie komplett genesen und konnte in Wien am Ende<br />

des <strong>Musical</strong>s, schüchtern, aber gesund, lächelnd auf der<br />

Bühne stehen. Auch den Pontifex hat diese Geschichte<br />

überzeugt: 2022 sprach Papst Franziskus Pauline Marie<br />

Jaricot nach diesem Wunder selig.<br />

Mina Piston<br />

Abb. von oben links:<br />

1. ›Bella Italia‹ – Im italienischen<br />

Mugnano hat man von der Ankunft<br />

des schwerkranken französischen<br />

Fräuleins gehört und man (Ensemble)<br />

versammelt sich vor der Statue<br />

der heiligen Philomena<br />

2. Immer wieder taucht der Entmutiger<br />

(Georg Hatter, r.) zusammen <strong>mit</strong><br />

Fledermaus Ferdinand<br />

(Michael Garz, l.) auf, um in Pauline<br />

Selbstzweifel zu säen<br />

3. ›Voilà‹ – Pauline (Rahel<br />

Minichmayr, Mitte) gründet eine<br />

Gruppe verarmter adeliger Damen<br />

(Ensemble), die zusammen ihren<br />

Lebensunterhalt verdienen<br />

Fotos (3): Simon Kupferschmied<br />

Pauline – Mut verändert die<br />

Welt<br />

Birgit Minichmayr<br />

KISI – God’s Singing Kids<br />

Stadthalle Wien<br />

Uraufführung: 15. April 20<strong>23</strong><br />

Besuchte Vorstellung:<br />

1. Oktober 20<strong>23</strong><br />

Regie ............................ Patricia Nessy<br />

Arrangements ........... Cornelius Schock<br />

Choreographie .....................................<br />

Magdalena Kritzinger<br />

Bühnenbild ................ Hanna Penatzer<br />

Kostüme .......................... Eva Butzkies<br />

Lichtdesign .................... Stephanie Erb<br />

Sounddesign ..... Johannes Minichmayr<br />

Pauline Marie Jaricot ............................<br />

Rahel Minichmayr<br />

Entmutiger ..................... Georg Hatter<br />

Ferdinand, die Fledermaus ...................<br />

Michael Garz<br />

Sophie Geneviève ...... Juliana Pipiorke<br />

Rosa / Obstverkäuferin .........................<br />

Trixi Grossauer<br />

Abbé Würtz / Vater Antoine /<br />

Pfarrer von Ars .... Hannes Minichmayr<br />

Paul.................................. Simon Aures<br />

Marie Meliquiond / Christine ...............<br />

Tessa Altmüller<br />

Junge Pauline ...... Bernadette Tomanek<br />

Phileas / Kind Bac ................................<br />

Benjamin Schmidt<br />

Narzisse / Zeitungsjunge / Simon .........<br />

Severin Tuppa<br />

Junge Geneviève / Bäckermädchen ......<br />

Anna Unger<br />

Marie Laurence / Inès / Léa ..................<br />

Maria Selinger<br />

Angélique .................... Miriam Schierl<br />

Antoinette ......................... Anna Diem<br />

Bernadette / Sophie Germaine .............<br />

Rebecca Wutkewicz<br />

Lilou ............................. Hemma Küng<br />

Monique ....................... Sara Altmüller<br />

Louise .............................. Jenifer Kefer<br />

Claire / Félicité / Engel .........................<br />

Judith Winkler<br />

Dominique ............... Terézia Lovásová<br />

Florence ....................... Klara Tomanek<br />

Valentine ............... Katharina Selinger<br />

Verehrer Gaston / Zacharie /<br />

Herr Bac .......................... Adam Ditzl<br />

Nichte von Pauline / Kind Bac ..............<br />

Noemi Schmidt<br />

Ensemble:<br />

Tamara Aures, Debora Feuerbach,<br />

Marie Küng, Leticia Küng,<br />

Vinzenz Küng, Annamária Lieskovská,<br />

Leonora Lindenberg,<br />

Aimee Miriam Lovásová,<br />

Paula Lovásová,<br />

Maria Bakhita Moshammer,<br />

Valerie Noé, Helena Rauch,<br />

Anna Selinger, Elisabeth Selinger,<br />

Magdalena Selinger, Veronika Selinger,<br />

Mirjam Stadlbauer, Valerie Stangl-Kraft,<br />

Anna Sutter, Barbara Tomanek,<br />

Sebastian Wagner,<br />

Daniel Wanzenböck,<br />

Sara Wanzenböck, Marietta Windhofer<br />

blickpunkt musical <strong>06</strong>/20<strong>23</strong><br />

53


<strong>Musical</strong>s in Österreich<br />

Ein musikalisches Liebeschaos<br />

»I Love You, You´re Perfect, Now Change« an der Freien Bühne Wieden<br />

Abb. oben von links:<br />

1. Eigentlich haben die Eltern<br />

(Benjamin Rufin, 2.v.l. und Sophie<br />

Blümel, 2.v.r.) auf freudige Nachrichten<br />

gehofft, doch das einstige<br />

Traumpaar (Katharina Lochmann, l.,<br />

und Fin Holzwart, r.) kündigt seine<br />

Trennung an<br />

2. Der etwas andere Single-<br />

Workshop <strong>mit</strong> (v.l.): Fin Holzwart,<br />

Benjamin Rufin und Sophie Blümel<br />

Fotos (2): Tanja Schwind / ts. pictureworld<br />

I Love You, You´re Perfect,<br />

Now Change<br />

Jimmy Roberts / Joe DiPietro<br />

Deutsch von Alexander Kuchinka<br />

Sophie Blümel und Katharina Lochmann<br />

Freie Bühne Wieden Wien<br />

Premiere: 14. September 20<strong>23</strong><br />

Regie .............................. Rita Sereinig<br />

Musikalische Leitung & Klavier ............<br />

Walter Lochmann<br />

Geige ......................... Katharina Cerny<br />

Mit:<br />

Sophie Blümel, Fin Holzwart,<br />

Katharina Lochmann, Benjamin Rufin<br />

Die beiden <strong>Musical</strong>darstellerinnen Katharina Lochmann<br />

und Sophie Blümel haben sich einen lang ersehnten<br />

Traum erfüllt und den Off-Broadway-Hit »I Love You,<br />

You´re Perfect, Now Change« von Joe DiPietro (Buch &<br />

Liedtexte) und Jimmy Roberts (Musik) für drei Vorstellungen<br />

an die Freie Bühne Wieden gebracht. Die Übersetzung<br />

stammt von Alexander Kuchinka. Rita Sereinig inszeniert,<br />

die musikalische Leitung hat Walter Lochmann inne.<br />

Das Stück zeigt in etwa 20 Szenen und Liedern die<br />

verschiedenen Etappen der Liebe: Vom ersten Date und<br />

Fauxpas beim Erstellen von Dating Videos bis zu den Problemen,<br />

die in einer Beziehung passieren, wenn man Kinder<br />

hat, oder wie man sich als Single fühlt, wenn die besten<br />

Freunde auf einmal weniger Zeit haben, weil sie Eltern<br />

geworden sind.<br />

Katharina Lochmann und Sophie Blümel sind hier<br />

nicht nur als Produzentinnen involviert, sondern schlüpfen<br />

gleichzeitig <strong>mit</strong> ihren Bühnenkollegen Ben Rufin und<br />

Fin Holzwarth in rund 20 verschiedene Rollen. Alle zeigen<br />

dabei nicht nur, dass sie stimmlich gut harmonieren,<br />

sondern vor allem auch ihr komödiantisches Talent. Ben<br />

Rufin beispielsweise beweist als überdrehter Werbesprecher<br />

eines Sex-Gadgets seine komödiantische Vielfalt, aber auch<br />

Sophie Blümel zeigt, dass sie nicht nur gesanglich, sondern<br />

auch darstellerisch punkten kann, wie etwa in der Szene,<br />

in der sie auf den Anruf ihres Schwarms wartet. Katharina<br />

Lochmann performt ebenfalls vielfältig und kann als<br />

Marion in der Begräbnisszene ihr komödiantisches Talent<br />

beweisen. Sie harmoniert wunderbar <strong>mit</strong> Fin Holzwarth<br />

beim Tango, bei dem dieser übrigens sowohl darstellerisch<br />

als auch gesanglich begeistert. Ebenso gelungen sind die<br />

Ensembleszenen, allen voran die, in der Ben Rufin und<br />

Sophie Blümel als Eltern zu sehen sind, die auf die Verlobung<br />

des Sohnes (Fin Holzwarth) <strong>mit</strong> seiner Freundin<br />

(Katharina Lochmann) hoffen, aber stattdessen erfahren,<br />

dass sie sich trennen möchten. Hier sieht man, wie großartig<br />

diese vier Darsteller:innen als Ensemble <strong>mit</strong>einander<br />

harmonieren. Ein weiterer Höhepunkt ist der Singles-<br />

Workshop, wo ein verrückter Mann den Teilnehmern<br />

Tipps geben soll. Hier kann vor allem Ben Rufin <strong>mit</strong> seiner<br />

komödiantischen Ader punkten.<br />

Unter der Regie von Rita Sereinig wird dieses humorvolle<br />

<strong>Musical</strong>juwel <strong>mit</strong> wenig Aufwand in Szene gesetzt,<br />

dennoch funktioniert es, denn die Pointen sind alle an den<br />

richtigen Stellen, und trotz der teilweise kurzen Szenen geht<br />

es niemals zu schnell, was bei diesem Stück leicht passieren<br />

könnte. Das Bühnenbild besteht primär aus schwarzen<br />

Hockern, die ganz unterschiedlich verwendet werden.<br />

Außerdem ist es der Regisseurin gelungen, einige Choreographien<br />

einzubauen, die sehr gut funktionieren, wie etwa<br />

bei dem Song über das erste Date oder bei der Titelnummer.<br />

Des Weiteren ist die Verwendung von Taschenlampen<br />

beim Prolog und beim Epilog besonders eindrucksvoll und<br />

effektiv.<br />

Die musikalische Leitung hat Walter Lochmann inne.<br />

Er ist am Klavier zu hören und schafft es, gemeinsam <strong>mit</strong><br />

Katharina Cerny an der Geige, diesem Stück einen intimen<br />

Klang zu geben, der ideal ist.<br />

Alexander Kuchinkas Übersetzung funktioniert meistens<br />

einwandfrei, auch wenn es komisch klingt, wenn »Ich<br />

bin ein Girl« gesungen wird, oder dass die Namen der<br />

Figuren nicht geändert wurden. Außerdem wurde auch der<br />

Titel der Titelnummer nicht übersetzt, aber das stört nicht<br />

allzu sehr. Trotzdem ist das Stück auch in dieser Übersetzung<br />

besonders humorvoll, was ja nicht immer der Fall ist.<br />

In einer Stadt wie Wien, die eigentlich für ihre großen<br />

<strong>Musical</strong>s bekannt ist, sind kleinere <strong>Musical</strong>produktionen<br />

eine Seltenheit. Es ist also schön zu sehen, dass<br />

es doch noch mutige Theatermacher gibt, die sich auch<br />

abseits der großen Bühnen trauen, etwas auf die Beine<br />

zu stellen. Schade, dass es nur drei Vorstellungen waren.<br />

Ludovico Lucchesi Palli<br />

54<br />

blickpunkt musical <strong>06</strong>/20<strong>23</strong>


<strong>Musical</strong>s in Österreich<br />

Auf der Suche nach der Muse<br />

Szenische Lesung von »Jenseits der Masken« in Wien<br />

Es ist ein langer Weg, bis ein <strong>Musical</strong> das Licht der<br />

Welt erblickt. Aus ersten Ideen werden einzelne<br />

Textzeilen, dann ganze Songs. Nach Screenings vor<br />

einem Testpublikum und Überarbeitungen folgt dann<br />

erst die Uraufführung. Rory Six, belgischer <strong>Musical</strong>darsteller<br />

und Komponist, geht gerade diesen Weg. Für<br />

sein neuestes <strong>Musical</strong> hat er am 19. September 20<strong>23</strong> im<br />

Wiener Vindobona zu einer szenischen und musikalischen<br />

Lesung Publikum zugelassen.<br />

Österreich um 1850: Der Kunststudent Josef<br />

bricht nach drei Jahren sein Studium an der Wiener<br />

Akademie der Künste ab und kehrt frustriert in sein<br />

Elternhaus zurück, wo er nicht von allen <strong>mit</strong> offenen<br />

Armen empfangen wird. Seine hochtrabenden<br />

künstlerischen Träume und Visionen prallen auf<br />

familiäre und gesellschaftliche Hindernisse. Das ist<br />

die Ausgangslage des brandneuen <strong>Musical</strong>s »Jenseits<br />

der Masken« aus der Feder von Rory Six. Der Komponist<br />

sitzt bei dieser Vorführung selbst am Klavier<br />

und begleitet den Sänger und die drei Sängerinnen.<br />

Für diesen Abend hat er <strong>mit</strong> ihnen eine Woche lang<br />

geprobt, neue Songs hinzugefügt, die ursprünglichen<br />

Texte umgeschrieben und auch viele Passagen aus der<br />

ersten Version gestrichen. Ohne Kostüme und Bühnenbild<br />

präsentieren die Darsteller:innen die neuen<br />

emotionalen Songs, die teilweise sehr poetische Texte<br />

aufweisen. Eine kleine visuelle Unterstützung gibt es<br />

fürs Publikum – schwarz-weiße Projektionen helfen<br />

dabei, sich die Wohnstube der Familie, den Laden<br />

oder Josefs Zimmer vorzustellen. Schon <strong>mit</strong> »Wenn<br />

Rosenblätter fallen« bewies Six erfolgreich, dass ihm<br />

besonders Familiendramen liegen.<br />

Auch das neue Stück lässt sich in dieses Genre<br />

einordnen. Mutter Theresa versteht nichts von Kunst<br />

und möchte, dass ihr Sohn wieder im Familiengeschäft<br />

Masken an die zahlende Kundschaft verkauft. Mutter<br />

und Sohn geraten oft aneinander, da das Studium viel<br />

Geld gekostet und der Spross <strong>mit</strong> seiner unerwarteten<br />

Rückkehr Schande über die Familie gebracht hat. Josef<br />

hingegen ist verzweifelt, weil sein Kunstverständnis<br />

und das der Kunstakademie in Wien nicht zusammenpassen.<br />

Er malt lieber <strong>mit</strong> dem Herzen als nach den<br />

Regeln. Zwischen ihm und seiner Mutter stehen seine<br />

Schwester Marie und die Tante, die versuchen, die<br />

Wogen zu glätten. Marie glaubt fest daran, dass Josef<br />

seine Muse noch treffen wird. Doch alle drei machen<br />

sich Sorgen, sind hilflos und können nur daneben stehen.<br />

Der Einzige, der den Sohn wirklich versteht, ist<br />

Vater Josef, was beim Song ›Pa‹ deutlich zum Ausdruck<br />

kommt. Der Vater ist aber Alkoholiker, sagt gar nichts<br />

mehr und wird im Verlauf des Stückes von reichen<br />

Bewohnern des Ortes getötet. Hier wird er von einem<br />

Stuhl <strong>mit</strong> Jackett dargestellt.<br />

Florian Peters singt den Part der Hauptfigur <strong>mit</strong><br />

sehr viel Herzblut und Emotionen. Der Zuschauer<br />

spürt Josefs Verzweiflung und seine Wut auf die Bourgeoisie.<br />

Peters transportiert die Gefühle des jungen<br />

Künstlers durch seine klare Stimme und haucht der<br />

Figur auch ohne Kostüm und Requisite viel Leben ein.<br />

Ihm gelingt es, das Publikum auf Josefs Suche nach<br />

sich selbst und seiner eigenen Position <strong>mit</strong>zunehmen.<br />

Auch Katja Berg schafft es ohne Probleme, den Zwiespalt,<br />

in dem die Mutter sich befindet, darzustellen.<br />

Einerseits gefühlvoll steht ihr liebevolles Mutterherz<br />

für einen Moment still, andererseits sieht sie sich<br />

gezwungen, ihren Sohn aus dem Haus zu schmeißen,<br />

als dieser ihr vorwirft, sie habe ihren Ehemann in den<br />

Tod getrieben. Amelie Polak besticht durch ihre starke<br />

Stimme und ihre Wandelbarkeit in ihren Rollen als<br />

Schwester und Muse. Stimmlich ebenfalls tadellos<br />

komplettiert Bettina Bogdany als Tante das Quartett<br />

<strong>mit</strong> ihrer tollen Mimik, ihrem Charme und einer Portion<br />

Witz. Die drei Sängerinnen schlüpfen im Verlauf<br />

des Abends auch in andere Rollen wie z.B. Freunde<br />

von Josef, Professoren an der Kunstuniversität oder<br />

Modelle, die Josef malt.<br />

Die Arbeit am Stück ist noch lange nicht getan. Die<br />

Besucher wurden gebeten, einen Fragebogen auszufüllen,<br />

so erhofft sich Rory Six, das Stück noch weiter verbessern<br />

zu können. Wir sind gespannt, ob das <strong>Musical</strong><br />

auch als Vollversion zu sehen sein wird – das Potenzial<br />

dazu ist da.<br />

Mina Piston<br />

Abb. oben von links:<br />

1. Bruder (Florian Peters) und<br />

Schwester (Amelie Polak) träumen<br />

von der Liebe und der Muse<br />

2. Katja Berg schlüpft neben der<br />

Mutter auch in diverse andere<br />

Rollen wie hier in einen Professor<br />

der Wiener Kunstakademie<br />

Abb. unten:<br />

Komponist und Texter Rory Six<br />

am Klavier<br />

Fotos (3): Tanja Schwind /<br />

ts. Pictureworld<br />

Jenseits der Masken<br />

Rory Six<br />

Theatercouch Wien<br />

Vindobona<br />

Szenische Lesung:<br />

19. September 20<strong>23</strong><br />

Josef ............................... Florian Peters<br />

Mutter Theresa .................... Katja Berg<br />

Tante ......................... Bettina Bogdany<br />

Schwester Marie ............. Amelie Polak<br />

Klavier ................................... Rory Six<br />

Jilly .................. Tanja Marie Rathbauer<br />

blickpunkt musical <strong>06</strong>/20<strong>23</strong><br />

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<strong>Musical</strong>s in Europa<br />

Eine turbulente Hochzeit<br />

Uraufführung »Pferd frisst Hut« am Theater Basel<br />

Abb. oben:<br />

Der Florentinerhut wurde von<br />

Fadinard (Christopher Nell, oben)<br />

und (v.l.): Emile Tavernier (Florian<br />

Anderer), Beauperthuis (Raphael<br />

Clamer), Maurice (Jonathan Fink),<br />

Felix (Julius Engelbach), Nonancourt<br />

(Hubert Wild), Clara (Sarah<br />

Bauerett), Hélène (Cécilia Roumi),<br />

Bobin (Jasmin Etezadzadeh),<br />

Virginie (Emily Dilewski), Vezinet<br />

(Gottfried Breitfuss), Anais (Nanny<br />

Friebel, r.) gefunden<br />

Foto: Thomas Aurin<br />

In Bochum lernten sich vor der Corona-Pandemie<br />

2020 der Regisseur Herbert Fritsch und Herbert<br />

Grönemeyer bei der Zusammenarbeit für das Stück<br />

»Herbert« kennen. Im Mittelpunkt des Stücks stehen<br />

die Texte und Musik von Herbert Grönemeyer, die<br />

Herbert Fritsch etwas verfremdet. Das Werk kam am<br />

Schauspielhaus Bochum nie zur Aufführung, da vier<br />

Tage vor der Premiere wegen des ersten Lockdowns<br />

die Theater geschlossen wurden. Herbert Grönemeyer<br />

arbeitete in den 1970er Jahren als Theatermusiker und<br />

Schauspieler am Schauspielhaus Bochum, bis ihm 1984<br />

<strong>mit</strong> dem Album »4630 Bochum« der Durchbruch als<br />

Solokünstler gelang.<br />

Als das Theater Basel auf Herbert Grönemeyer und<br />

Herbert Fritsch zukam <strong>mit</strong> der Anfrage, ob sie nicht<br />

zusammen ein Stück entwickeln wollten, entstand die<br />

Idee für das Stück »Pferd frisst Hut«. Die Grundlage<br />

dafür ist das Vaudeville-Stück »Ein Florentinerhut«<br />

von Eugène Labiche (1815-1888), welches 1851 Premiere<br />

feierte. Diese erfolgreiche Boulevardkomödie des<br />

französischen Autors wurde von Theatern adaptiert,<br />

neuinszeniert sowie verfilmt.<br />

Für die Neuinszenierung von Herbert Fritsch am<br />

Theater Basel bearbeitete Sabrina Zwach den Text.<br />

Die Uraufführung fand am 4. November 20<strong>23</strong> statt<br />

und ist eine Koproduktion <strong>mit</strong> der Komischen Oper<br />

Berlin in Kooperation <strong>mit</strong> der Ruhrtriennale. Herbert<br />

Grönemeyer komponierte die Musik für das Ensemble<br />

aus Schauspielern, Opernsängern, Chor und Orchester.<br />

Zudem schrieb er die mal hintersinnigen, mal lustigen<br />

Liedtexte. Die Musik ist ein gelungener Mix aus Oper,<br />

Broadway- und Popballaden im Stil von Grönemeyer<br />

ohne Schlagzeug, die von Thomas Meadowcroft bestens<br />

für das Sinfonieorchester Basel arrangiert wurden.<br />

Mit flotten, opulenten Rhythmen, durchsetzt<br />

<strong>mit</strong> träumerischen Melodien, stimmt die Ouvertüre,<br />

gespielt vom großartigen Sinfonieorchester unter der<br />

hervorragenden musikalischen Leitung von Thomas<br />

Wise, auf die musikalische Komödie ein. Das Orchester<br />

musiziert im Orchestergraben. Die Melodien erinnern<br />

an Filmmelodien der 1930er Jahre. Langsam hebt<br />

sich der rote Vorhang im Theater Basel, gibt den Blick<br />

frei auf ein blau und weiss gemustertes Pferd, das über<br />

den gelben Bühnenboden zu den Klängen der Musik<br />

taumelt. Im Bühnenhintergrund befindet sich eine<br />

gelbe Treppe, die zu einer bunten Drehtür führt. In die<br />

linke grüne und rechte rote Bühnenwand sind mehrere<br />

farbige Türen eingelassen (Bühnenbild: Herbert<br />

Fritsch).<br />

Fadinard, der Herr des Hauses, kommt am Morgen<br />

seines Hochzeittages vom Ausritt nach Hause. Er<br />

erzählt dem eben erschienenen tauben Onkel der Braut<br />

vom Missgeschick auf seinem Ausritt: Sein Pferd riss<br />

aus, als er abstieg, um die Reitpeitsche aufzuheben. Er<br />

fand es im Wald, einen Florentinerhut fressend, der<br />

einer Dame gehörte, die gerade <strong>mit</strong> einem Polizisten<br />

ein Techtelmechtel hatte.<br />

Als Fadinard (Christopher Nell) von seiner Braut<br />

schwärmt (›Von Hélènes Schönheit‹), stürmt ein Mann<br />

in Uniform in Begleitung einer Frau auf die Bühne.<br />

Der Fremde reißt wütend alle Türen auf, will den verblüfften<br />

Fadinard sprechen. Dazu kommt es nicht, da<br />

sich das junge Paar vor dem hereinplatzenden, festlich<br />

gekleideten Schwiegervater Fadinards und Hélène<br />

im Brautkleid hinter einer Tür verstecken muss. Die<br />

vielen Türen sind ein wichtiges Element in der temporeichen<br />

Inszenierung von Herbert Fritsch. Hinter<br />

diesen Türen erscheint singend der Chor, verstecken<br />

sich unerwünschte Gäste, werden Leute vergebens<br />

gesucht, gegen diese Türen wird gelaufen, sie werden<br />

56<br />

blickpunkt musical <strong>06</strong>/20<strong>23</strong>


<strong>Musical</strong>s in Europa<br />

vor den Kopf geschlagen, ständig sind die vielen Türen<br />

in Bewegung. Zugleich wird über die Treppenstufen<br />

gestolpert, gestürzt, so<strong>mit</strong> ein grandioser Bühnenauftritt<br />

ins Absurde geführt.<br />

Sturzbetrunken sinkt Hélène in die Arme ihres<br />

Bräutigams, der sie stützt und gleichzeitig begehrt. Mit<br />

großer Stimme interpretiert Cécilia Roumi in der Rolle<br />

der betrunkenen Braut die Popballade ›Lied vom Kater‹.<br />

Fadinards etwas trotteliger Schwiegervater Nonancourt<br />

(Hubert Wild) leidet unter Minderwertigkeitskomplexen,<br />

da er vom Land kommt, wie er im badischen Dialekt<br />

erklärt. Mit seinem Song im Walzertakt ›Taxilied‹ drängt<br />

er das Brautpaar zur Fahrt auf das Standesamt. Plötzlich<br />

erscheint das junge Paar aus dem Wald auf der Bühne.<br />

Anais de Beauperthuis (Nanny Friebel) und ihr Liebhaber<br />

Emile Tavernier (Florian Anderer) haben große Angst<br />

vor dem eifersüchtigen Ehemann von Anais, deshalb<br />

muss Fadinard sofort einen gleichen Ersatzhut besorgen,<br />

da<strong>mit</strong> der rachsüchtige Ehemann keinen Verdacht<br />

schöpft. ›Eifersuchtstrio‹: Mit vor Angst schlotternden<br />

Beinen singen Anais, Fadinard und Tavernier über die<br />

Eifersucht.<br />

Das temporeiche Stück lebt von den skurrilen<br />

Haupt- und Nebenrollen, die durch die Schauspieler<br />

und Sänger <strong>mit</strong> übertriebener Gestik und Mimik, Slapstick,<br />

Artistik und Pantomime bestens dargestellt werden.<br />

Herausragend ist Christopher Nell als Fadinard.<br />

Er ist fast in jeder Szene auf der Bühne präsent, eilt<br />

perfekt singend, tanzend, schauspielernd von Ort zu<br />

Ort auf der Jagd nach dem Hut, selbst gejagt von der<br />

Hochzeitsgesellschaft.<br />

›Los los los‹: Mit großer Stimme singt Sarah Bauerett<br />

in der Rolle der attraktiven Hutmacherin Clara,<br />

begleitet von Damen des Chors, in einer eindrücklichen<br />

Showszene über ihren Geschäftserfolg. Der herbeieilende<br />

Fadinard erhofft sich hier einen Ersatzhut.<br />

Doch Clara erkennt in ihm einen verflossenen Geliebten,<br />

der sich vor langer Zeit ohne ein Abschiedswort<br />

aus dem Staub gemacht hat (›Im Hutladen‹). Die Hochzeitsgesellschaft<br />

verfolgt Fadinard in den Hutladen<br />

und glaubt auf dem Standesamt zu sein. Rasch stellt<br />

Fadinard Clara seinem Schwiegervater als Cousine<br />

vor. Fadinard verschwindet, da er von Clara erfuhr,<br />

dass das letzte Exemplar des Florentinerhuts an zwei<br />

Baroninnen verkauft wurde. Der Braut ist übel, sie hat<br />

Durst, der Schwiegervater klagt über die zu kleinen<br />

Lackschuhe. Bobin (Jasmin Etezadzadeh), der Cousin<br />

der Braut, glaubt sich für einen kurzen Moment<br />

am Ziel seiner Träume, begehrt er doch die Braut seit<br />

Kindheitstagen. ›Von Bobins kurzem Triumph‹: Mit<br />

grandioser Stimme interpretiert die Mezzosopranistin<br />

Jasmin Etezadzadeh eindrücklich die Arie. Währenddessen<br />

liegt die Braut schlafend auf dem Boden und<br />

ihr Bräutigam ist auf der Jagd nach dem Hut. Verfolgt<br />

Pferd frisst Hut<br />

Herbert Grönemeyer / Sabrina Zwach<br />

Koproduktion <strong>mit</strong> der<br />

Komischen Oper Berlin<br />

In Kooperation <strong>mit</strong> der Ruhrtriennale<br />

Theater Basel<br />

Uraufführung: 4. November 20<strong>23</strong><br />

Regie & Bühnenbild .... Herbert Fritsch<br />

Musikalische Leitung ............................<br />

......................................Thomas Wise &<br />

.................................Christian Rombach<br />

Chorleitung ................... Michael Clark<br />

Arrangements ......................................<br />

Thomas Meadowcroft<br />

Kostüme ................... Geraldine Arnold<br />

Lichtdesign ........... Cornelius Hunziker<br />

Fadinard .................... Christopher Nell<br />

Nonancourt .................... Hubert Wild<br />

Emile Tavernier .......... Florian Anderer<br />

Vezinet .................. Gottfried Breitfuss<br />

Tardiveau / Beauperthuis .....................<br />

Raphael Clamer<br />

Clara ............................ Sarah Bauerett<br />

Baroninnen von Champigny ................<br />

Florian Anderer &<br />

Gottfried Breitfuss<br />

Bobin ................... Jasmin Etezadzadeh<br />

Anais ............................ Nanny Friebel<br />

Felix .......................... Julius Engelbach<br />

Maurice ........................ Jonathan Fink<br />

Hélène .......................... Cécilia Roumi<br />

Virginie ........................ Emily Dilewski<br />

Chor des Theater Basel<br />

Abb. von links oben:<br />

1. ›Von Bobins kurzem Triumph‹ –<br />

(v.l.): Bobin (Jasmin Etezadzadeh),<br />

Hélène (Cécilia Roumi), Fadinard<br />

(Christopher Nell)<br />

2. ›Von der Ehe‹ – Vezinet<br />

(Gottfried Breitfuss, 4.v.l.),<br />

Hélène (Cécilia Roumi, Mitte l.),<br />

Fadinard (Christopher Nell, Mitte r.),<br />

Nonancourt (Hubert Wild, 2.v.r.),<br />

Bobin (Jasmin Etezadzadeh, r.),<br />

Hochzeitsgesellschaft (Chor)<br />

3. Der eifersüchtige Beauperthuis<br />

(Raphael Clamer) und Virginie<br />

(Emily Dilewski)<br />

Fotos (3): Thomas Aurin<br />

blickpunkt musical <strong>06</strong>/20<strong>23</strong><br />

57


<strong>Musical</strong>s in Europa<br />

Abb. unten von oben links:<br />

1. ›Von der Erschöpfung‹ – Nonancourt<br />

(Hubert Wild, l.), Hélène<br />

(Cécilia Roumi, Mitte),<br />

Bobin (Jasmin Etezadzadeh, r.),<br />

Hochzeitsgäste (Chor)<br />

2. Das Pferd von Fadinard (Ensemble)<br />

3. ›Von der Ehe‹ – (v.l.): Beauperthuis<br />

(Raphel Clamer), Felix (Julius<br />

Engelbach), Maurice (Jonathan<br />

Fink), Fadinard (Christopher Nell),<br />

Clara (Sarah Bauerett), Nonancourt<br />

(Hubert Wild), Hélène (Cécilia<br />

Roumi), Bobin (Jasmin Etezadzadeh),<br />

Virginie (Emily Dilewski),<br />

Vezinet (Gottfried Breitfuss),<br />

Anais (Nanny Friebel)<br />

4. ›Lied vom Kater‹ – Hélène (Cécilia<br />

Roumi, l.), Fadinard (Christopher<br />

Nell, r.), Emile Tavernier (Florian<br />

Anderer, hinten)<br />

Fotos (4): Thomas Aurin<br />

von der Hochzeitsgesellschaft (Chor und Ensemble)<br />

trifft Fadinard im Haus der Baroninnen ein, die auf<br />

einen italienischen Startenor warten, für den sie ein<br />

Buffet ausgerichtet haben. Im Finale des 1. Aktes<br />

mimt Fadinard den Startenor, um endlich den Hut<br />

zu erhalten, gleichzeitig plündert die Hochzeitsgesellschaft<br />

das Buffet. Der Hut ist nicht da, er wurde von<br />

den Baroninnen an deren Patentochter verschenkt. Die<br />

Inszenierung hat vor allem im 1. Akt Längen, wodurch<br />

die Spannung nachlässt.<br />

Schwungvoll stimmt die kurze Ouvertüre das<br />

Theaterpublikum auf den 2. Akt ein. Eine Badewanne<br />

steht auf der in gelbes Licht getauchten Bühne. Ein<br />

eifersüchtiger Mann, bekleidet <strong>mit</strong> Badehose, Badekappe<br />

und Taucherbrille sitzt in der Wanne. Beauperthuis<br />

(Raphael Clamer) vermisst seine Frau Anais,<br />

die vor 12 Stunden das Haus verlassen hat, um schwedische<br />

Wildlederhandschuhe zu kaufen. Nichtsahnend<br />

kommt der gehetzte Fadinard zu Beauperthuis, verlangt<br />

ungeduldig den Hut, erzählt dem Eifersüchtigen<br />

die Ereignisse im Wald von dem Liebespaar, das sich<br />

jetzt in Fadinards Wohnung versteckt. Wütend auf<br />

Rache sinnend eilt Beauperthuis zur Wohnung von<br />

Fadinard. Die Hochzeitsgesellschaft wartet ebenfalls<br />

dort. Die Braut ist müde, ihr ist schlecht, sie sucht<br />

ihren Mann (›Von der Erschöpfung‹). Hier erfährt<br />

der Schwiegervater vom Diener, dass sich eine fremde<br />

Frau in der Wohnung aufhält, und will Fadinard zur<br />

Rede stellen. Außerdem verlangt er die Herausgabe der<br />

Hochzeitsgeschenke. Unter den Geschenken wird ein<br />

Florentinerhut entdeckt. Dieser ist die Rettung für die<br />

Ehre von Anais vor dem eifersüchtigen Gatten. ›Von<br />

der Ehe‹ (Finale): In der üppigen Chor- und Ensembleszene<br />

finden die Paare zueinander. Alle sind glückselig,<br />

bis Clara erscheint und ein heftiger Streit zwischen der<br />

ehemaligen Geliebten Fadinards und Hélène ausbricht,<br />

der in einem riesigen Tumult auf der Bühne endet.<br />

Die Musikalische Komödie »Pferd frisst Hut« ist ein<br />

herrlicher Klamauk unter der ideenreichen Regie von<br />

Herbert Fritsch, bei dem man Herbert Grönemeyer als<br />

vielseitigen Theaterkomponisten kennenlernen kann.<br />

Martina Friedrich<br />

58<br />

blickpunkt musical <strong>06</strong>/20<strong>23</strong>


<strong>Musical</strong>s in Europa<br />

Lebe deine Träume<br />

»tick, tick… BOOM!« Schweizer Erstaufführung in Zürich<br />

Vor dem roten Bühnenvorhang am Piano sitzend begrüßt<br />

Jon <strong>mit</strong> einem »Hi!« das Theaterpublikum. Zugleich hört<br />

man das Ticken einer unsichtbaren Uhr, die das rasche Vergehen<br />

der Zeit bis zu Jons 30. Geburtstag symbolisiert. Jon hat<br />

Angst vor diesem Geburtstag, da er einen Wendepunkt in seinem<br />

Leben darstellt, das Ende der Jugend. Zudem verfolgt er<br />

das ehrgeizige Ziel, vor diesem Geburtstag den Durchbruch<br />

als <strong>Musical</strong>komponist zu feiern, schreibt er doch schon seit<br />

fünf Jahren an dem <strong>Musical</strong> »Superbia«. Dieses Werk soll in<br />

wenigen Tagen in einem Workshop dem Publikum in New<br />

York präsentiert werden. Stephen Sondheim ist das große<br />

Vorbild von Jon, seine Agentin hat den namhaften Komponisten<br />

zur Präsentation von »Superbia« eingeladen. Wird er<br />

kommen? Zudem hat Jon Beziehungsprobleme <strong>mit</strong> seiner<br />

Freundin Susan. Sie erwartet eine Entscheidung über den<br />

zukünftigen gemeinsamen Wohnort, da sie ein Jobangebot<br />

erhalten hat. Sie ist zermürbt vom stressigen Leben in New<br />

York und sieht in der lukrativen Festanstellung am Meer eine<br />

große berufliche Chance für sich. Doch Jon drückt sich vor<br />

der Entscheidung, obwohl er weiß, dass er als Komponist nur<br />

in New York berufliche Chancen hat. Schließlich trennt sich<br />

Susan von ihm, um ihre eigenen Träume zu erfüllen.<br />

Michael, Jons homosexueller Freund seit Kindertagen, ist<br />

aus der gemeinsamem WG ausgezogen, da er einen lukrativen<br />

Job in der Marktforschung gefunden hat. Zuvor arbeitete er<br />

als Schauspieler. Dagegen hält sich Jon <strong>mit</strong> einem schlecht<br />

bezahlten Job als Kellner knapp über Wasser und beneidet<br />

Michael um seinen neuen Wohlstand. Diese Tatsachen vertiefen<br />

die Selbstzweifel von Jon. In Monologen und Songs<br />

zu Rock- und Popmusik erzählen die drei Protagonisten<br />

Jon (Jendrik Sigwart), Susan (Jessica Trocha) und Michael<br />

(Vikrant Subramanian) von ihren Gefühlen, Träumen,<br />

weitreichenden Entscheidungen. Alle Drei verstehen es ausgezeichnet,<br />

<strong>mit</strong> ihrem intensiven Schauspiel, Gesang und Tanz<br />

das Publikum in den lebendigen Alltag, die Beziehungen und<br />

Gedanken ihrer Figuren eintauchen zu lassen.<br />

Spannend ist es <strong>mit</strong>zuerleben, wie Jon unter einer Schreib-<br />

blockade leidet, die sich erst durch die Trennung von seiner<br />

Freundin löst, da er es im emotionalen Notstand schafft,<br />

einen wichtigen <strong>Musical</strong>song zu vollenden. Ebenso berührend<br />

ist seine Trauer um den baldigen Verlust des an HIV<br />

erkrankten Freundes Michael. Zugleich versucht Michael sich<br />

<strong>mit</strong> Lebensmut gegen die tiefgreifende Diagnose zu stellen,<br />

genießt <strong>mit</strong> Jon auf einer Autotour das Nachtleben von New<br />

York. Das Publikum verfolgt die Fahrt <strong>mit</strong>tels Videoprojektionen<br />

(Markus Ludstock) von New Yorker Straßenszenen,<br />

die auf einer halbtransparenten Leinwand, die die Bühnenrückwand<br />

bedeckt, gezeigt werden. Je nach Szene erkennt<br />

man schemenhaft die Musiker:innen der Band, die hinter dieser<br />

Leinwand leidenschaftlich musizieren. Das Bühnenbild<br />

besteht aus dunklen Podesten in verschieden Größen, die sich<br />

<strong>mit</strong> wenigen Requisiten, wie zum Beispiel einem Bücherregal,<br />

Tisch und zwei Stühlen, in eine Wohnung, ein Restaurant<br />

oder eine Probebühne verwandeln lassen (Bühnenbild: Gabor<br />

Nemeth, Simon Schmidmeister, Julie Steen Nielsen). Die<br />

Kostüme von Julie Steen Nielsen zeigen die Mode der 1990er<br />

Jahre, der Entstehungszeit des autobiographischen Werks<br />

von Jonathan Larson, dem Autor des erfolgreichen <strong>Musical</strong>s<br />

»Rent«. Tragischerweise erlebte Jonathan Larson (4. Februar<br />

1960 – 25. Januar 1996) den Erfolg von »Rent« nicht mehr, da<br />

er am Tag der Premiere an den Folgen eines Aneurysmas verstarb.<br />

Die neue deutsche Fassung von Timothy Roller (2022)<br />

von »tick, tick… BOOM!« ist die erste <strong>Musical</strong>-Produktion<br />

von studio beyeler, einem Team von Nachwuchstalenten und<br />

jungen Kulturschaffenden. Das junge Team hat das Ziel, eine<br />

ungewöhnlichere Art von <strong>Musical</strong>s in Zürich zu etablieren.<br />

Mit der ersten Produktion wollen sie zeigen, dass das Genre<br />

<strong>Musical</strong> tiefgründig, politisch relevant und fernab vom klassischen<br />

Happy End sein kann. Das gelingt dem Team, da<br />

die ehrliche, energiegeladene, einfühlsame Inszenierung von<br />

Livio Beyeler vom begeisterten Theaterpublikum im Theater<br />

am Hechtplatz <strong>mit</strong> Standing Ovations gefeiert wird.<br />

Martina Friedrich<br />

Abb. oben:<br />

Jon (Jendrik Sigwart, Mitte) erzählt<br />

Susan (Jessica Trocha, r.) und<br />

Michael (Vikrant Subramanian, l.)<br />

von seinen künstlerischen Träumen<br />

Foto: Tanja Dorendorf / T+T Fotografie<br />

tick, tick... BOOM!<br />

Jonathan Larson<br />

Deutsch von Timothy Roller<br />

Koproduktion <strong>mit</strong> studio beyeler<br />

Zürich<br />

Theater am Hechtplatz<br />

Schweizer Erstaufführung:<br />

28. September 20<strong>23</strong><br />

Regie........... ................... Livio Beyeler<br />

Musik. Leitung ......Angelo Canonico &<br />

Elia Aregger<br />

Choreographie .... Isabelle Flachsmann<br />

Kostüme & Bühnenbild ........................<br />

Julie Steen Nielsen<br />

Bühnenbild & Lichtdesign ....................<br />

Simon Schmidmeister<br />

Bühnenbild & Requisiten .....................<br />

Gabor Nemeth<br />

Videogestaltung....... Markus Ludstock<br />

Susan ............................ Jessica Trocha<br />

Jon .............................. Jendrik Sigwart<br />

Michael ............. Vikrant Subramanian<br />

blickpunkt musical <strong>06</strong>/20<strong>23</strong><br />

59


Mit Unterstützung von sound of music<br />

Einspielungen<br />

Einspielungen<br />

zusammengestellt von Sabine Haydn, Ludovico Lucchesi Palli & Merit Murray<br />

Back to the Future<br />

Original London Cast 2021<br />

Deluxe-Double-CD<br />

»Back to the Future« ist seit 2021 einer der großen Hits<br />

am Londoner West End und seit 20<strong>23</strong> auch am Broadway,<br />

wo es <strong>mit</strong> über einer Million Dollar Einnahmen<br />

pro Woche zu den Kassenschlagern zählt.<br />

Nun hat man in London eine Deluxe-Version herausgebracht,<br />

die neben dem originalen Cast-Album (vergl.<br />

blimu 01/20<strong>23</strong>) auch die Demo-Aufnahmen von Mitschöpfer<br />

Glenn Ballard enthält. Diese gewähren einen<br />

interessanten Einblick in die Komponistenwerkstatt,<br />

wo man die ursprüngliche Vision kennenlernt. So<br />

zeigt sich bei Martys erstem Song ›It´s Only a Matter<br />

of Time‹, wie viel mehr Drive er in der Show hat, und<br />

das die übersprudelnde Energie auf der Bühne eine der<br />

großen Pluspunkte der Show ist. Im Gegensatz dazu<br />

ist die Version des schönen Duetts ›Wherever We´re<br />

Going‹ in der Show bzw. der Cast-CD deutlich lyrischer,<br />

ohne bombastisches Finale <strong>mit</strong> Background-Sängern<br />

und eingefügten hohen Tönen, und das bekommt der<br />

Nummer deutlich besser – schließlich ist Jennifer keine<br />

Diva, sondern ein junges Mädchen. Bei ›Hello, Is Anybody<br />

Home?‹ kann man sehen, wie sich der Charakter<br />

einer Rolle weiterentwickeln kann von der eher ruhigen<br />

Version in der Demo zu dem leicht hysterischen Rufen,<br />

das George McFly in der Show sofort als etwas trottelig<br />

kennzeichnet.<br />

›It Works‹ ist in der Demo-Version noch ein einfacher<br />

Song <strong>mit</strong> Hintergrundchor. Im Vergleich dazu ist in der<br />

fertigen Show eine gute Portion der Selbstironie hinzugekommen,<br />

die die Show so liebenswert macht, wenn<br />

Marty beim ersten Einsatz der Backgroundsänger:innen<br />

fragt: »Who are they?« und Doc antwortet: »I don´t<br />

know, they just show up everytime I start singing«. Es<br />

sind Momente wie diese, wo aus einem ganz netten<br />

Song in der Demo ein komödiantisches Feuerwerk auf<br />

der Bühne wird, natürlich auch durch Roger Bart. So ist<br />

›For the Dreamers‹ in der Showversion ungleich beeindruckender,<br />

weil die weichere Instrumentierung und der<br />

leisere Gesang eine intimere Stimmung schaffen. Der<br />

Song zeigt auch, wie sich die Interpretation eines Sängers<br />

<strong>mit</strong> der Zeit weiter verändert: In der Show Anfang 20<strong>23</strong><br />

in London legte er den Song noch weit intimer und<br />

introspektiver (und auch langsamer) an, und ihm gelang<br />

gerade deswegen in einer Show, die sonst vor Energie<br />

strotzt, der emotionale Höhepunkt des Abends.<br />

Die Deluxe-Version ist ein interessanter Einblick, der<br />

deutlich zeigt, wie aus der Rohversion eines Stücks<br />

vor allem durch die Umsetzung auf der Bühne <strong>mit</strong><br />

ganz anderer Dynamik und natürlich hervorragenden<br />

Sängern etwas erwachsen kann, was auf einem ganz<br />

anderen Level funktioniert. Gerade diese Show, die von<br />

ihrem Gesamtpaket aus Musik, Texten und Bühnenspektakel<br />

lebt, profitiert wahnsinnig von der szenischen<br />

Umsetzung – aus gutem Rohmaterial <strong>mit</strong> Luft nach<br />

oben wurde ein veritabler Hit, der auf der Bühne einfach<br />

nur Spaß macht. Da die Version kaum teurer ist als die<br />

Originalaufnahme, lohnt es sich allemal, denn hier kann<br />

man viel über die Entstehung eines <strong>Musical</strong>s lernen.<br />

MM<br />

CD 1: 26 Titel, 73 min 58 sec<br />

CD 2: 13 Titel, 46 min 59 sec<br />

Doppel-Jewel-CD-Case <strong>mit</strong> 40-seitigem<br />

Booklet <strong>mit</strong> allen Beteiligten,<br />

Produktionsfotos und Hintergrundinformationen<br />

zu den Songs und<br />

der Entstehung des <strong>Musical</strong>s<br />

A Collective Cy: Jeff Harnar Sings<br />

Cy Coleman<br />

Solo-Album von Jeff Harnar<br />

Nach dem Erfolg des Vorgängeralbums »I Know<br />

Things Now: My Life in Sondheim´s Words«, das<br />

sich ausschließlich Sondheim-Titeln widmete,<br />

meldet sich Jeff Harnar <strong>mit</strong> einem neuen Album<br />

zurück. Dieses trägt den Titel »A Collective Cy:<br />

Jeff Harnar Sings Cy Coleman« und widmet sich<br />

dem Komponisten, der u. a. für Stücke wie »Sweet<br />

Charity« oder »City of Angels« bekannt ist. Aber<br />

Cy Coleman war viel mehr als das und dieses<br />

Album ist der Beweis dafür, denn neben ›My Personal<br />

Property‹, einer gekürzten Version von ›If My<br />

Friends Could See Me Now‹ als Abschlussnummer<br />

und ›With Every Breath I Take‹ sind auch weniger<br />

bekannte Titel und Jazznummern zu hören, die gar<br />

nicht aus <strong>Musical</strong>s stammen. Neben den bereits<br />

erwähnten Titeln gehören das Duett <strong>mit</strong> Liz Callaway<br />

›Our Private World‹ aus dem Stück »On the<br />

20th Century« oder das charmante ›Some Kind of<br />

Music‹ (<strong>mit</strong> einem Text von Carolyn Leigh) und die<br />

berühmte Jazznummer ›The Best Is Yet to Come‹<br />

zu den Höhepunkten dieses außergewöhnlichen<br />

Albums. Einerseits zeigt dieses Album die musikalische<br />

Bandbreite des 2004 verstorbenen Komponisten,<br />

andererseits zeigt es auch das vielseitige Talent<br />

von Jeff Harnar, der hier stimmlich glänzt, ganz egal<br />

ob bei einer gefühlvollen Ballade wie ›With Every<br />

Breath I Take‹ oder einer Up-tempo-Nummer wie<br />

›Rythm of Life‹ (<strong>mit</strong> den Gästen Nicolas King und<br />

Danny Bacher). Er ist durch und durch ein echter<br />

Interpret des Great American Songbook und wird<br />

hier von seinem langjährigen musikalischen Leiter<br />

Alex Rybeck samt 10-köpfiger Band musikalisch<br />

begleitet. LLP<br />

14 Titel<br />

47 min<br />

Jewel-CD-Case <strong>mit</strong> 10-seitigem<br />

Booklet <strong>mit</strong> Bildern und persönlichem<br />

Anschreiben von Jeff<br />

Harnar sowie von David Zippel<br />

Evergreens Celebrating Six Decades<br />

on Columbia Records<br />

Solo-Album von Barbra Streisand<br />

Pünktlich zur Weihnachtszeit gibt es ein neues<br />

Album von Barbra Streisand, vollgepackt <strong>mit</strong><br />

ihren persönlichen Lieblingssongs aus 60 Jahren<br />

gemeinsamer Musikgeschichte <strong>mit</strong> Columbia<br />

Records. Diese 22 Songs – einer von jedem<br />

erschienenen Album – wurden von ihr selbst<br />

ausgewählt und zu jedem einzelnen erzählt sie<br />

im Booklet auch eine persönliche Anekdote. Das<br />

Album ist für Musikfans vor allem deswegen so<br />

spannend, weil es eben nicht auf die alten Klassiker<br />

zurückgreift. Stattdessen bekommen Interessierte,<br />

die nicht jedes Album kennen, die Möglichkeit<br />

geboten, auch mal ganz andere Seiten und Songs<br />

von ihr kennenzulernen. Zusammen <strong>mit</strong> dem<br />

ausführlichen Booklet bietet das eine ungewohnte<br />

Tiefe zwischen all den typischen »Best of« CDs,<br />

die es am Markt – auch von ihr selbst – gibt.<br />

Echte Streisand-Fans werden sicherlich bemängeln,<br />

dass es bis auf die Neuinterpretation von<br />

›Evergreen‹ und das bisher nicht veröffentlichte<br />

›I Believe‹ nichts für sie zu entdecken gibt. Aber für<br />

alle anderen, die nicht jede einzelne CD oder LP<br />

bereits in ihrer Sammlung haben, ist dieses Album<br />

auf jeden Fall eine Beschäftigung da<strong>mit</strong> wert. SH<br />

22 Titel<br />

78 min 58 sec<br />

Digipack <strong>mit</strong> 20-seitigem Booklet<br />

<strong>mit</strong> allen Beteiligten, Songliste,<br />

persönlichen Worte zu jedem<br />

Song und Fotos der Künstlerin<br />

60<br />

blickpunkt musical <strong>06</strong>/20<strong>23</strong>


Ein <strong>Musical</strong> von<br />

TITUS HOFFMANN & THOMAS BORCHERT<br />

„Das Wagnis, den<br />

Widerstandskampf gegen<br />

den Nationalsozialismus in<br />

ein <strong>Musical</strong> zu packen,<br />

ist gelungen.“<br />

BAYERISCHER RUNDFUNK<br />

„Ein neues <strong>Musical</strong>,<br />

das alles<br />

richtig macht.“<br />

MUSICALS -<br />

DAS MUSICALMAGAZIN<br />

„Vorbehalte gegen<br />

die Erzählung in Form<br />

eines <strong>Musical</strong>s<br />

verfliegen schnell.<br />

Allein schon die<br />

Gedichte von<br />

Hans Scholl geben einen<br />

anrührend lyrischen<br />

Rahmen ab.“<br />

BAYERISCHE STAATSZEITUNG<br />

„Ein würdiges <strong>Musical</strong><br />

über eine Handvoll<br />

Menschen, die<br />

es verdienen.“<br />

NÜRNBERGER NACHRICHTEN<br />

„Intensive,<br />

sprachgewaltige<br />

Komposition<br />

voller Menschlichkeit“<br />

BLICKPUNKT MUSICAL<br />

DAS LIVE ALBUM<br />

<strong>mit</strong> 32-seitigem Booklet<br />

schollmusical.com


Konzerte & Entertainment<br />

»Üben! Üben! Üben!«<br />

Ein besonderer Abend für und über Caspar Richter im Wiener Vindobona<br />

Abb. oben von links:<br />

1. Jesper Tydén <strong>mit</strong> ›Wenn ich dein<br />

Spiegel wär´‹ aus »Elisabeth« - er<br />

sprang spontan für Lukas Perman ein.<br />

2. Carmen Wiederstein und Marcel<br />

Philip Kraml beswingen das Publikum<br />

<strong>mit</strong> Cole Porters »I love Paris«<br />

Fotos (2). Steffen Wagner<br />

Am 16. September 20<strong>23</strong> fand im Vindobona in<br />

Wien ein besonderer Abend statt: Ein Konzert in<br />

Gedenken an den im Februar 20<strong>23</strong> plötzlich verstorbenen<br />

Caspar Richter. Der 16. September war auch<br />

der Geburtstag von Caspar Richter; er hatte für diesen<br />

Abend (seinen 79. Geburtstag) bereits ein Konzert im<br />

Vindobona in Planung – zu diesem ist es leider nicht<br />

mehr gekommen. So wurde dieser Abend als eine<br />

Hommage an den ehemaligen Chefdirigenten der<br />

Vereinigten Bühnen Wien – der viele Produktionen<br />

dort geleitet und maßgeblich <strong>mit</strong>geprägt hat – gestaltet.<br />

Für Vindobona-Betreiber Wolfang Ebner und die<br />

künstlerische Leitung rund um Rita Sereinig war dies<br />

eine ehrenvolle Aufgabe, die sie gerne umsetzten. Auf<br />

Sereinigs Initiative wurde der Reinerlös des Abends<br />

verwendet, um den Verein Nestwärme Österreich zu<br />

unterstützen. Geplant ist, <strong>mit</strong> dem Projekt »Theatertanten«<br />

Familien, die sich sonst keine Theaterbesuche<br />

leisten können, zu unterstützen.<br />

Caspar Richter wurde 1944 in Lübeck geboren und<br />

startete seine musikalische Laufbahn am Klavier <strong>mit</strong><br />

nur 5 Jahren. Er studierte Dirigieren, Klavier, Schlagzeug<br />

und Komposition an der Hamburger Musikhochschule.<br />

Mit 25 Jahren begann seine berufliche Karriere<br />

an der Deutschen Oper Berlin, wo er hauptsächlich<br />

Opern dirigierte. Diesem Metier blieb er sein Leben lang<br />

treu, so war er bei Opern- und Ballettaufführungen in<br />

Wien an der Staatsoper und der Volksoper tätig, wie<br />

auch zuletzt an der Oper und der Philharmonie Brünn.<br />

Im Rahmen seiner Tätigkeit als Chefdirigent für die VBW<br />

(Vereinigte Bühnen Wien) war er <strong>23</strong> Jahre lang für eine<br />

Vielzahl von Erst- und Uraufführungen <strong>mit</strong>verantwortlich.<br />

Viele Künstlerinnen und Künstler wurden im Vorfeld<br />

für den Gedenk-Abend »Caspar Richter – Ein Abend<br />

<strong>mit</strong> und für die Musik« auf der Website des Vindobona<br />

angekündigt. Nicht alle waren an dem Abend<br />

letztendlich auch anwesend, etliche sendeten aber sehr<br />

persönliche Videobotschaften – <strong>mit</strong> Erinnerungen an<br />

die gemeinsame Zeit und die besonderen Momente. In<br />

Summe erzählten mehr als 20 Personen an dem Abend<br />

auf der Bühne ihre Erlebnisse <strong>mit</strong> dem Verstorbenen.<br />

Es wurde viel gelacht, aber auch so manche Tränen<br />

sind im Publikum, auf und besonders wohl hinter der<br />

Bühne geflossen. Das Publikum wurde sehr engagiert,<br />

gefühlvoll und voller Wertschätzung für Caspar Richter<br />

vom Moderatorenduo Marjan Shaki und André Bauer<br />

durch den Abend begleitet. Beide haben sehr eng in<br />

unterschiedlichen Produktionen <strong>mit</strong> Richter zusammengearbeitet,<br />

wobei auch Freundschaften entstanden.<br />

Nicht nur <strong>mit</strong> diesen beiden, sondern, wie man im<br />

Publikum spüren konnte, <strong>mit</strong> vielen der anwesenden<br />

Künstler:innen.<br />

Marjan Shaki erzählte, dass es sie immer<br />

wieder persönlich getroffen habe, wenn Caspar<br />

Richter bei Proben zu ihr sagte: »Marjan,<br />

du musst üben! Üben! Üben!«. Bis sie feststellte,<br />

dass er das praktisch allen immer wieder sagte.<br />

Er war immer sehr genau bei den Proben und hat auch<br />

Darsteller:innen, die eine Rolle schon einige hundert<br />

Mal gespielt hatten und dann bei der ersten Probe in<br />

der Wiener Produktion unter seiner Leitung standen,<br />

gesagt, dass sie das singen sollten, was und genau wie<br />

es in den Noten stehe. Er duldete keine Ungenauigkeit.<br />

In seiner kühlen norddeutschen Art, die er auch nach<br />

vielen Jahren in Wien nicht ablegte, war er immer<br />

100%ig dem Konzept treu. Er legte hohe Qualitätsmaßstäbe<br />

an seine Arbeit und an alle, die <strong>mit</strong> ihm<br />

zusammenarbeiteten. Er schaffte es wohl aber auch,<br />

die Künstlerfamilie beisammenzuhalten, meldete sich<br />

immer wieder bei den Darsteller:innen oder beriet und<br />

unterstützte sie beispielsweise bei Auditions.<br />

Musikalisch eröffnet wurde die Darbietung von<br />

Miruna Mihailescu, die ›Unusual Way‹ aus »Nine«<br />

sang und für Gänsehaut in den ersten Minuten des<br />

Abends sorgte.<br />

Es gab einige besondere Highlights im Programm:<br />

André Bauer, der wohl sehr eng <strong>mit</strong> Caspar Richter<br />

befreundet war, sang aus dessen Lieblingsmusical »Les<br />

Misérables« ›Bring ihn heim‹. Dieses Lied hatte sich<br />

die Familie von Caspar Richter von Bauer bei der Beisetzung<br />

gewünscht, dieser konnte es da aber aus emotionalen<br />

Gründen nicht singen und holte es so<strong>mit</strong> an<br />

diesem Abend nach. Aus demselben Stück konnte das<br />

Publikum sich noch im Verlauf des Konzerts an dem<br />

62<br />

blickpunkt musical <strong>06</strong>/20<strong>23</strong>


Konzerte & Entertainment<br />

Song ›Dunkles Schweigen an den Tischen‹, gesungen<br />

von Felix Martin, erfeuen und wieder einer großen,<br />

ausdrucksstarken Stimme lauschen und dabei spüren,<br />

wie sehr eine Erzählung oder die Geschichte eines<br />

<strong>Musical</strong>s die Stimmung ins wahre Leben übertragen<br />

kann.<br />

Jacqueline Braun schuf einen weiteren großen<br />

Moment des Abends. Sie sang <strong>mit</strong> voller Stimme und<br />

Power ›Both Sides Now‹, ein Stück, das ihr vor vielen<br />

Jahren Caspar Richter für eine Weihnachtsshow der<br />

Vereinigten Bühnen Wien einfach zugeteilt hatte. Wie<br />

es häufig wohl so vorkam, meist <strong>mit</strong> den Worten: »Entweder<br />

DU singst es oder keiner wird es singen.«<br />

Kerstin Ibald reihte sich in die Highlightparade<br />

des Abends ein und brachte <strong>mit</strong> viel Gefühl, kraftvoller<br />

Stimme und einer ruhigen und dennoch ausdrucksvollen<br />

Gestik und Mimik ›Glaub dran‹ aus<br />

»The Secret Garden«.<br />

Ariane Swoboda, derzeit in »Rebecca« bei den VBW<br />

zu sehen, erzählte eine besonders amüsante Geschichte:<br />

Sie spielte bei »Die Schöne und das Biest« <strong>mit</strong>; die Vorstellungen<br />

wurden häufig von Caspar Richter dirigiert.<br />

Und das Tempo war dann oft ein wenig schneller, als<br />

wenn jemand anderes dirigierte. Sie fragte, warum er<br />

das machen würde, seine Antwort: »Ihr habt so schöne<br />

schwere und weite Röcke, und wenn ihr euch schneller<br />

auf der Bühne dreht, dann bekommen wir im Orchestergraben<br />

mehr Luft, denn es ist – besonders im Sommer<br />

– oft sehr stickig da unten«. Ariane Swoboda sang<br />

für Caspar Richter gemeinsam <strong>mit</strong> Arthur Buescher<br />

den Song ›You´re the Top‹ aus »Anything Goes«.<br />

Lukas Perman konnte leider an diesem Abend nicht<br />

auftreten – er musste sich um die vier Kinder kümmern,<br />

von denen wohl eines krank war. Seine Gattin<br />

Marjan Shaki hatte an dem Abend den deutlich größeren<br />

Part durch die Moderation, was sie persönlich sehr<br />

freute und wofür sie gerne den Papa die Kinder hüten<br />

ließ. Für Perman sprang dann spontan Jesper Tydén<br />

ein und sang aus »Elisabeth« ›Wenn ich dein Spiegel<br />

wär´‹.<br />

Carmen Wiederstein und Marcel-Philip Kraml<br />

brachten <strong>mit</strong> ›I Love Paris‹ von Cole Porter eine sehr<br />

beschwingte Stimmung ins Publikum. Lisa Antoni<br />

sang ›Somwhere Over the Rainbow‹ in einer neu<br />

arrangierten Variante und Caroline Vasicek brachte<br />

›Moonriver‹ zu Gehör. Vasicek erzählte von ihrer<br />

letzten Begegnung <strong>mit</strong> Caspar Richter im Dezember<br />

an der Bühne Baden, wo er sie überraschte und in der<br />

Pause anrief und sie ihm sagte, dass er Glück habe, sie<br />

zu erreichen, weil sie gerade Pause bei »Robin Hood«<br />

habe. Er sagte nur: »Ich weiß, ich sitze im Publikum.«<br />

Sie haben sich dann spontan kurz nach der Show noch<br />

gesehen und ein Treffen im neuen Jahr ausgemacht, zu<br />

dem es nicht mehr kam.<br />

Martin Berger sang zusammen <strong>mit</strong> Jesper Tydén<br />

›Simple Song‹ aus »Mass«, was bei diesen beiden starken<br />

Stimmen ein Fest für die Ohren der Zuschauerinnen<br />

und Zuschauer war. Der Neffe von Caspar Richter,<br />

Markus Syperek, spielte zum Gedenken an seinen<br />

Onkel ›Jesus bleibet meine Freude‹ von Bach, was sehr<br />

gut in den Ablauf des Abends passte und für ein paar<br />

ruhige Momente im Publikum sorgte.<br />

Sándor Rácz, ein langjähriger Kollege von Caspar<br />

Richter, hatte einige Geschichten zu erzählen und holte<br />

auch spontan die im Publikum sitzende Sylvia Halwax<br />

auf die Bühne. Beide berichteten aus der Opern- und<br />

Ballettzeit, was abgerundet wurde durch eine Balletteinlage<br />

von Thalia Egerházi und Gyula József Sárközi,<br />

die <strong>mit</strong> einem Stück von Bach das Ende des ersten Teils<br />

einleiteten.<br />

In der Pause sah man einige Zusammenkünfte von<br />

Besucher:innen und Künstler:innen; es lag eine besondere<br />

Stimmung in der Luft. Marjan Shaki und André<br />

Bauer eröffneten den zweiten Teil des Abends <strong>mit</strong> ›The<br />

Prayer‹, wobei der italienische Teil von Bauer gesungen<br />

wurde.<br />

Es gab auch einige Videogrußbotschaften, unter<br />

anderem von Walter Lochmann, Silke Braas-Wolter<br />

und Mark Seibert. Carin Filipčić fand nicht nur schöne<br />

Worte, sondern sendete aus Lübeck, wo sie derzeit in<br />

»Sweeney Todd« auf der Bühne steht, einen musikalischen<br />

Gruß <strong>mit</strong> einem Lieblingslied von Caspar Richter:<br />

›I Remember‹ von Stephen Sondheim. Übertroffen<br />

wurde dies nur von einem Video von Thomas Borchert,<br />

der die für ihn typischen Momente <strong>mit</strong> Caspar Richter<br />

in einen eigenen Song verpackte. Der Song hieß ›Nordisch<br />

by Nature‹ und sorgte, obwohl es nur ein Video<br />

war, für besondere Stimmung im Theatersaal.<br />

Das große Finale des Abends war dann eine Nummer,<br />

die alles, was an dem Abend gebracht wurde,<br />

überstrahlte! Alle Künstler:innen sangen ›Gabriellas<br />

Song‹ aus »Wie im Himmel«, wohl Richters Lieblingslied.<br />

Jesper Tydén sang den Hauptpart des Songs in<br />

seiner (und des Films) Muttersprache Schwedisch, die<br />

anderen Künstler waren der Chor. Gänsehaut pur und<br />

ein toller, gefühlvoller Abschluss des Abends.<br />

Caspar Richter hat eine große Lücke hinterlassen,<br />

aber auch viele tolle Momente geschaffen, die man sich<br />

immer wieder anhören kann.<br />

Steffen Wagner<br />

Abb. unten von oben links:<br />

1. Kerstin Ibald, ein großes Highlight<br />

des Abends, sang <strong>mit</strong> viel Gefühl,<br />

kraftvoller Stimme und einer<br />

ruhigen und dennoch ausdrucksvollen<br />

Gestik ›Glaub dran‹ aus »The<br />

Secret Garden«<br />

2. Jacqueline Braun - <strong>mit</strong> voller<br />

Stimme und voller Power ›Both<br />

sides now‹, ein Weihnachtssong,<br />

den sie sehr <strong>mit</strong> Caspar Richter<br />

verbindet.<br />

3. Martin Berger zusammen <strong>mit</strong><br />

Jesper Tydén <strong>mit</strong> ›Simple Song‹ aus<br />

»MASS«<br />

4. Fast alle Künstler des Abends<br />

brachten zum Finale ›Gabriellas<br />

Song‹ aus »Wie im Himmel«,<br />

Caspar Richters Lieblingslied<br />

Fotos (4). Steffen Wagner<br />

blickpunkt musical <strong>06</strong>/20<strong>23</strong><br />

63


Konzerte & Entertainment<br />

Weihnachtsfeeling live aus dem London Coliseum<br />

»Hannah Waddingham: Home for Christmas«<br />

Abb. oben:<br />

Hannah Waddingham (Mitte) und<br />

das Orchester in einem wunderschönen<br />

Bühnenbild<br />

Foto: Apple TV+<br />

Der Winter hat begonnen und in den Geschäften<br />

läuten schon lange Schokoladenweihnachtsmänner<br />

und Dekorationen die Weihnachtszeit ein. In vielen<br />

Theatern beginnen Weihnachtsshows. Wer am liebsten<br />

vom Sofa aus einer Show folgen möchte, während er<br />

an Plätzchen knabbert und an einem heißen Punsch<br />

nippt, der kann sich seit dem 22. November 20<strong>23</strong><br />

<strong>mit</strong> der wunderbar stimmungsvollen Show »Hannah<br />

Waddingham: Home for Christmas« beim Streamingdienst<br />

Apple TV+ auf die bevorstehenden Feiertage<br />

einstimmen.<br />

Die schönsten, weihnachtlichen Sehenswürdigkeiten<br />

Londons werden bei einer Autofahrt durch<br />

die Stadt eingefangen, bevor die Limousine vor dem<br />

London Coliseum hält. Hannah Waddingham, britische<br />

<strong>Musical</strong>darstellerin (»Monty Python´s Spamalot«<br />

(Verfilmung), »Into the Woods«), Sängerin und Schauspielerin<br />

(»Les Misérables«) sowie Emmy-Gewinnerin,<br />

steigt in einem weißen Mantel aus und begibt sich<br />

ins Theater. Mit einem Strahlen im Gesicht und<br />

Stevie Wonders Weihnachtsklassiker ›What Christmas<br />

Means to Me‹ auf den Lippen durchquert sie das Foyer<br />

des Theaters und begrüßt ihre Mitstreiter, die diese<br />

Show live on stage zu etwas ganz Besonderem machen<br />

werden.<br />

Stimmungsvoller Weihnachtsschmuck und festliche<br />

Weihnachtsbäume stimmen bereits optisch<br />

auf die Show ein. Kaum hebt sich der Vorhang und<br />

Waddingham betritt die Bühne, findet man sich<br />

in einem anmutigen Weihnachtszimmer wieder.<br />

Das Orchester zu beiden Seiten der Bühne und die<br />

Backgroundsänger:innen (Emily und Gavin Holligan<br />

sowie Hayley Sanderson) rechts verschmelzen <strong>mit</strong> der<br />

Bühnendekoration, die das Auge verwöhnt. Waddingham<br />

in einem goldfarbenen Kleid (Kostüme: Vicky<br />

Gill), umtanzt von Tänzern in roten Outfits, sorgt für<br />

ordentlichen Schwung auf der Bühne.<br />

Nach diesem schwungvollen Auftakt begrüßt Waddingham<br />

das Publikum in ihrem »Zuhause«. Im Publikum<br />

befinden sich Freunde und Bekannte, die die<br />

Gastgeberin vom West End, vom Broadway, von einer<br />

kleinen »Show <strong>mit</strong> Drachen« (»Game of Thrones«,<br />

Anm. d. Red.) sowie der TV-Serie »Ted Lasso« kennen.<br />

Während sie noch ausführt, dass sie bei dieser Show<br />

auf die Unterstürzung all dieser wunderbaren Menschen<br />

hofft, um das wahre Feeling des Winter Wonderland<br />

heraufzubeschwören, wird sie von Schauspieler<br />

Nick Mohammed (»Ted Lasso«), der während der Show<br />

als ihr Assistent agieren soll, unterbrochen. Der Kunstschnee<br />

soll seiner Meinung nach für Stimmung sorgen,<br />

wird von Waddingham und zur Belustigung des<br />

Publikums jedoch nicht in dem Maße gewürdigt wie<br />

geplant. Nach einer augenzwinkernden Abmahnung<br />

wendet sie sich der Bedeutung ihrer schwulen Freunde<br />

zu, die für sie von großer Wichtigkeit sind, weil man<br />

sie auf jeder Bühne findet. Der London Gay Men´s<br />

Chorus erhebt sich dankbar auf den ersten Reihen<br />

des ersten Rangs und präsentiert <strong>mit</strong> ›We Wish You a<br />

Merry Christmas‹ seine Stimmkraft, bevor die Männer<br />

<strong>mit</strong> einem abgewandelten Text Waddingshams Outfit<br />

loben, was auch das Publikum <strong>mit</strong> Applaus honoriert.<br />

Beim Klassiker ›The Man With the Bag‹ wird die Sängerin<br />

von Männern im Smoking umgarnt, darunter<br />

ihre Schauspielkollegen aus der Serie »Ted Lasso«, die<br />

versuchen, ihr die Show zu stehlen, was das Publikum<br />

erheitert bemerkt.<br />

Um den vorlauten Nick Mohammed außer Gefecht<br />

zu setzen, lässt die Sängerin ihn kurzerhand an einem<br />

Seil befestigt an die Decke ziehen und dort baumeln,<br />

um zumindest im weiteren Verlauf nicht mehr von ihm<br />

gestört zu werden. Das Herablassen des Vorhangs verbirgt<br />

ihn, auch wenn er immer wieder seinen Unmut<br />

lautstark verkündet, was zum Running Gag der Show<br />

wird.<br />

64<br />

blickpunkt musical <strong>06</strong>/20<strong>23</strong>


Konzerte & Entertainment<br />

Zusammen <strong>mit</strong> Leslie Odom Jr, bekannt aus »Hamilton«,<br />

schlägt Waddingham anschließend im Duett<br />

›Coming Home for Christmas‹ die leisen Weihnachtstöne<br />

an.<br />

Die Begrüßung ihrer Mutter Melodie, die im Haus<br />

mehr als 30 Jahre im Chor sang, in Begleitung von<br />

Waddinghams Vater, ist anrührend. Für die Familie<br />

war das Coliseum immer eine Art Wohnzimmer, wie<br />

sie betont. Aus einer ganz bestimmten Loge heraus<br />

hat sie seit ihrem 8. Lebensjahr immer ihre Mutter<br />

auf der Bühne bestaunt. Nun, Jahre später, nimmt<br />

Waddinghams Tochter Kitty diesen Platz ein und folgt<br />

ihrer Weihnachtsshow, was ihr sehr viel bedeutet. ›Oh<br />

Holy Night‹ widmet sie daher ihrer Tochter und ihrer<br />

Mutter. Mit klarer Stimme und glänzenden Augen<br />

sorgt sie, <strong>mit</strong> Unterstützung des English National<br />

Opera Chorus, für Gänsehaut und rührt ihren Vater<br />

zu Tränen. Das Publikum dankt es allen <strong>mit</strong> Standing<br />

Ovations. Während sich Waddingham für einen Kostümwechsel<br />

verabschiedet, unterhält der Gay Chorus<br />

das Publikum.<br />

In einem atemberaubenden roten Minikleid kommt<br />

die Sängerin wieder auf die Bühne und begrüßt den<br />

britischen Sänger und Songwriter Sam Ryder, den sie<br />

das erste Mal beim Eurovison Song Contest 2022 in<br />

Turin traf, als er dort sein Land vertrat. Mit tosendem<br />

Applaus und der rockigen Stimme Ryders beschert<br />

das Duett von Chuck Berry ›Run Rudolph Run‹ dem<br />

Coliseum einen Rockkonzert-Moment, der auch Dave<br />

Tench und seiner fantastischen Band zu verdanken ist,<br />

die den Abend über für stimmungsvolle Musik sorgen.<br />

Scott Baker und Patrick Davey, bekannt als »The<br />

Fabulous Lounge Swingers«, betreten als nächstes<br />

die Bühne. Phil Dunster, der sich verspätet hat und<br />

heimlich auf seinen Sitzplatz schleichen will, wird kurzerhand<br />

ebenfalls auf die Bühne gebeten zu ›A Merry<br />

Littte Christmas‹.<br />

Während des zweiten Kostümwechsels versucht<br />

Brendan Hunt (»Ted Lasso«) sie backstage von einem<br />

Duett <strong>mit</strong> ihm zu überzeugen, was sie dankend<br />

ablehnt. Dass in ihrer Garderobe Brett Goldstein auf<br />

sie wartet, überrascht sie ebenso. Die kurze Auszeit<br />

entspannt Waddingham, sodass sie fast vergisst, wieder<br />

auf die Bühne zu eilen. Gerade rechtzeitig erscheint<br />

sie in einem glitzernden weißen Traum aus Tüll, um<br />

zusammen <strong>mit</strong> Schauspieler Luke Evans das ›Winter<br />

Wonderland‹ zu zelebrieren. Ihre zwanzigjährige<br />

Freundschaft offenbart sich dem Publikum durch die<br />

innige Harmonie, die sich sofort zwischen ihnen ergibt.<br />

Einem persönlichen Bedürfnis nachgebend singt Waddingham<br />

›It´s the Most Wonderful Time of the Year‹<br />

und läutet da<strong>mit</strong> das große Finale ein. The London<br />

Gay Men´s Chorus schließt sich ihr auf der Bühne an,<br />

während auch alle anderen Gäste zur Verabschiedung<br />

auf die Bühne kommen und selbst Nick wieder von der<br />

Decke heruntergelassen wird.<br />

»Hannah Waddingham: Home for Christmas«<br />

von Produzentin Moira Ross und unter der Regie von<br />

Hamish Hamilton ist eine mehr als gelungene Show.<br />

Mit viel Herz und Humor führt Hannah Waddingham<br />

durch die Show, die sie <strong>mit</strong> ihren Freunden zu<br />

einem unvergesslichen Erlebnis werden lässt. <strong>Musical</strong><br />

Director David Tench, der an dem Abend persönlich<br />

den Platz am Piano eingenommen hat und zusammen<br />

<strong>mit</strong> der 18-köpfigen House Band spielt, verantwortet<br />

zusammen <strong>mit</strong> der Gastgeberin die Songauswahl.<br />

Als die Lichter im Coliseum ausgehen, verlässt<br />

Waddingham das Theater. In einem Taxi, dessen gutgelaunter<br />

Fahrer (Schauspieler Jason Sudeikis) sich von<br />

den Feiertagen <strong>mit</strong>reißen lässt (›Jingle Bells‹), findet<br />

die wundervolle Weihnachtsshow <strong>mit</strong> einem letzten<br />

kleinen Duett ihr Ende. Alle, die einfach nicht genug<br />

bekommen können, dürfen sich ab dem 22. November<br />

auch über die CD zur Show freuen.<br />

Sandy Kolbuch<br />

Abb. unten von oben links:<br />

1. ›Winter Wonderland‹ – Luke<br />

Evans und Hannah Waddingham<br />

2. Hannah Waddingham und Sam<br />

Ryder: ›Run Rudolph Run‹<br />

3. Hannah Waddingham wird von<br />

Tänzern umgarnt, rechts David<br />

Tench am Piano: ›The Man With<br />

the Bag‹<br />

4. (v.l.): James Lance, Brendan<br />

Hunt, Billy Harris, Kola Bokinni,<br />

Hannah Waddingham, Phil Dunster,<br />

Luke Evans und Sam Ryder im<br />

Finale<br />

Fotos (4): Apple TV+<br />

blickpunkt musical <strong>06</strong>/20<strong>23</strong><br />

65


Einblick<br />

Hannah ist eine unglaublich talentierte Person<br />

Interview <strong>mit</strong> Moira Ross und David Tench<br />

Hannah Waddingham<br />

Foto: Apple TV+<br />

Anlässlich der Weihnachtsshow »Hannah<br />

Waddingham: Home for Christmas« konnte<br />

die blickpunkt musical <strong>mit</strong> Moira Ross (Executive<br />

Producer) und David Tench (<strong>Musical</strong><br />

Director) sprechen.<br />

blickpunkt musical: Es ist mir eine<br />

Freude, <strong>mit</strong> Ihnen sprechen zu dürfen. Die<br />

Show ist sehr gelungen und sorgt für die perfekte<br />

Weihnachtsstimmung.<br />

Moria Ross: Herzlichen Dank.<br />

blimu: Können Sie mir verraten, wann die<br />

Show aufgezeichnet wurde?<br />

MR: Das war im Sommer. David, kannst<br />

Du Dich noch daran erinnern, wann genau?<br />

David Tench: Es war definitiv im Sommer.<br />

(lacht)<br />

MR: Ja, es war seltsam, als wir am Abend<br />

der Aufnahme das Theater verließen, um in<br />

einen lauen Londoner Abend zu gehen. Nirgends<br />

eine Spur von ›Jingle Bells‹ und schon<br />

gar kein Schnee.<br />

blimu: Wie haben Sie es geschafft, <strong>mit</strong>ten<br />

im Sommer Weihnachtsflair zu erzeugen?<br />

Hat die Dekoration ausgereicht oder was war<br />

noch von Nöten, um in die richtige Stimmung<br />

zu kommen?<br />

MR: Ich denke, dass es vor allem auf das<br />

Design ankam. Das Bühnenbild spielte eine<br />

sehr große Rolle dabei. Es hat dazu beigetragen,<br />

dass wir tatsächlich das Gefühl hatten,<br />

dass wir uns in der Weihnachtszeit befinden.<br />

Auch die Musik hat eine große Rolle gespielt.<br />

Wir hatten ein Live-Publikum von 3000<br />

Personen und alle haben ihren Beitrag dazu<br />

geleistet, um das Gefühl von Weihnachten<br />

zu ver<strong>mit</strong>teln. David, der live auf der Bühne<br />

war, kann Ihnen sagen, wie diese Atmosphäre<br />

war. Aber ich denke, wir sind alle so überzeugend<br />

gewesen, als ob es der <strong>24</strong>. Dezember<br />

gewesen wäre.<br />

blimu: Was ist bei einer Liveshow dieser<br />

Dimension die größte Herausforderung?<br />

DT: Das Live-Publikum hilft! Bei den<br />

Proben im Vorfeld haben wir lange daran<br />

gearbeitet, die Show bis zum Ende durchzuplanen,<br />

und es fühlte sich damals nicht<br />

allzu weihnachtlich an. Aber an dem Tag,<br />

an dem wir es tatsächlich gedreht haben und<br />

dann, als, wie Moira sagte, das Publikum<br />

hereinkam, da waren plötzlich Tausende von<br />

Menschen und alle bemühten sich, da<strong>mit</strong> das<br />

Gefühl von Weihnachten entstand. Es war so<br />

schön. Wir haben dieses Jahr zweimal Weihnachten,<br />

bzw. wir werden es haben.<br />

blimu: Die Ausstattung ist wirklich sehr<br />

atmosphärisch. Das Orchester verschmilzt<br />

<strong>mit</strong> dem Hintergrund. Was war Ihnen während<br />

des Produktionsprozesses wichtig? Welche<br />

Elemente im Besonderen?<br />

MR: Ich denke, wichtig bei der Gestaltung<br />

der Show war, dass wir das Gefühl<br />

hatten, dass es sich wirklich um Hannahs<br />

Show handelte und dass wirklich alles der<br />

Wahrheit entsprechen musste. Dies war also<br />

unser Ausgangspunkt. Um die Wahrheit dessen<br />

zu bestätigen, mussten wir klären, warum<br />

wir die Show im London Coliseum machen.<br />

Warum ist dieser Ort so besonders? Er ist für<br />

Hannah etwas Besonderes, denn er war wirklich<br />

ihr Zuhause als Kind. Das war also ein<br />

erstaunlicher Ausgangspunkt, von dem aus<br />

wir angefangen haben, uns über ihr Leben<br />

und ihre Liebe zur Musik und ihre Träume<br />

Gedanken zu machen, darüber zu diskutieren<br />

und eine Show zu entwickeln. Und dann<br />

war der nächste große Schritt natürlich die<br />

Musik. Wir mussten die richtigen Songs finden,<br />

das hat einige Zeit gedauert. Während<br />

wir auf die Zusagen der Gäste für die Show<br />

gewartet haben, haben wir alle Details und<br />

Elemente wie ein Puzzle zusammengesetzt.<br />

DT: Ja, genau so war es. Manches ging<br />

schnell, manches dauerte länger. Hannah<br />

ist eine unglaublich talentierte Person und<br />

ihre Arbeitsweise ist sehr methodisch. Sie ist<br />

sehr professionell. Während wir die Show<br />

kreierten, kam sie zu mir und wir haben<br />

66<br />

blickpunkt musical <strong>06</strong>/20<strong>23</strong>


Einblick<br />

eng zusammengearbeitet <strong>mit</strong> einem kleineren<br />

Team, um die Musik besser unter die<br />

Lupe nehmen zu können. Lange bevor das<br />

Showkonzept fertig war, das Bühnenbild<br />

und ihre Kleider feststanden, hat sie sich<br />

bereits Gedanken darüber gemacht, wie sie<br />

die Songs performen wollte. Die Zusammenarbeit<br />

<strong>mit</strong> ihr war eine Herausforderung in<br />

der bestmöglichen Art und Weise, wenn Sie<br />

verstehen, was ich meine. Sie ist wirklich so<br />

gut und professionell <strong>mit</strong> dem, was sie tut.<br />

blimu: Es ist ein sehr anrührender<br />

Moment, wenn Hannah während der Show<br />

ihre Tochter vorstellt und ihre Mutter, die<br />

mehr als 30 Jahre im Chor des Coliseum<br />

gesungen hat. Hannah hat als Kind ihrer<br />

Mutter von einer bestimmten Loge aus zugesehen,<br />

aus der ihre Tochter nun ihre Weihnachtsshow<br />

verfolgt hat. Das Publikum und<br />

die Zuschauer haben dadurch das Gefühl, als<br />

würden sie Hannah Waddingham bei ihr zu<br />

Hause besuchen...<br />

MR: Wissen Sie, zu genau dieser Loge<br />

gibt es eine interessante kleine Geschichte:<br />

Als ich <strong>mit</strong> Hamish Hamilton, dem Regisseur,<br />

durch das Theater gegangen bin, um<br />

zu schauen, wo wir die besten Blickwinkel<br />

bekommen würden und in welcher Loge wir<br />

die Kleine unterbringen könnten, gingen wir<br />

in die kleine Loge an der Seite der Bühne<br />

und sagten: »Wäre das nicht großartig, wenn<br />

Kitty hier sitzen würde?« Und dann gingen<br />

wir zurück und erzählten es Hannah und sie<br />

meinte: »Das ist genau der Platz, an dem ich<br />

früher gesessen habe.« Und es fühlte sich so<br />

magisch an, dass das ein Zufall war, weil es<br />

in diesem Theater so viele Logen gab, die wir<br />

hätten auswählen können. Dass es sich tatsächlich<br />

um den Ort ihrer Kindheit handelte,<br />

an dem sie saß und ihrer Mutter zusah und<br />

von wo aus nun ihre Tochter sie beobachtete,<br />

ist großartig.<br />

blimu: Dies ist wirklich ein magischer<br />

Moment. Haben sie jemals daran gedacht,<br />

ein Konzert anstatt einer derartigen Show zu<br />

machen?<br />

MR: Ja, ich denke, wir haben viele dieser<br />

Gespräche geführt, nicht wahr? (lacht)<br />

DT: Ja, das haben wir. Ja Ja Ja. Aber es ist<br />

halt die Art und Weise, wie Hannah arbeitet.<br />

Sie hat so viel Theater- und Lebenserfahrung.<br />

Obwohl wir ein TV-Special drehten, fühlte es<br />

sich an, als wäre sie dazu bereit, acht Shows<br />

pro Woche aufzuführen.<br />

blimu: Hannah Waddingham lässt ihren<br />

ganz persönlichen Humor in die Show<br />

einfließen.<br />

MR: Ja, das tut sie. Der andere Kernpunkt<br />

der Show sind die Freundschaften und Beziehungen<br />

zu ihren Gästen. Es handelt sich nicht<br />

nur um echte Freundschaften, die sie <strong>mit</strong> all<br />

diesen Gästen pflegt, sondern sie wollte auch<br />

eine Plattform schaffen, auf der sie teilen<br />

kann, was diese erreicht und erlebt haben. Es<br />

war ihr sehr wichtig, auch diese Menschen in<br />

den Mittelpunkt stellen zu können.<br />

blimu: Wer hat die Entscheidungen<br />

getroffen, welche Gäste eingeladen werden?<br />

MR: Hannah hatte eine klare Vision von<br />

der Show und ich denke, das Besondere an<br />

der Show ist, dass man erkennen kann, dass<br />

sie authentisch ist und dass es ihre Geschichte<br />

ist. Es wurde nichts dazu erfunden.Wir haben<br />

auf der Grundlage ihrer Geschichte all diese<br />

unterschiedlichen Ideen kreiert. Sie spielte<br />

eine wichtige Rolle dabei. Hannah ist keine<br />

Frau, der man etwas aufdrängen kann. Daher<br />

haben wir auch keine Gäste vorgeschlagen,<br />

sondern sie die Entscheidung treffen lassen.<br />

blimu: Es erweckt den Anschein, als ob<br />

jede/r große Künstler:in seine eigene Weihnachtsshow<br />

hat oder ein eigenes Weihnachtsalbum<br />

herausbringt.<br />

DT: Ja, auf jeden Fall. Ich denke, es ist<br />

zwar auch international, aber insbesondere in<br />

Großbritannien und in den USA so, dass viele<br />

Künstler davon träumen, Weihnachtsprojekte<br />

zu realisieren. Im Fall von Hannah haben wir<br />

die »dreifache Belohnung«, weil sie so viele<br />

Dinge tun kann, wie eine Art Chamäleon.<br />

Man hört Hannah als Künstlerin in ihrem Stil<br />

vom Anfang bis zum Ende, was in Ordnung,<br />

schön und großartig ist. Ich habe es wirklich<br />

genossen, dies <strong>mit</strong>zuerleben. In einer Minute<br />

spielt sie Rock, in der nächsten Jazz-Swing<br />

Moira Ross<br />

Foto: Mark Johnson<br />

und dann klassische, fast opernhafte Musik...<br />

blimu: Die Show besitzt einen ganz<br />

besonderen Humor...<br />

MR: Das Gesamterlebnis sollte berühren:<br />

Es gibt emotionale Momente und schöne<br />

Erinnerungen, aber das Lachen ist ein wichtiger<br />

Teil des Stücks. Aufgrund der vielen<br />

unterschiedlichen Gäste hat sich dies natürlich<br />

weiterentwickelt. Wir wollten sicherstellen,<br />

dass wir ein Musikstück haben, das auch<br />

Spaß macht, sozusagen eine Versatzkomödie.<br />

Unserer Meinung nach ist dies auch ganz gut<br />

gelungen.<br />

blimu: Wird es im kommenden Jahr eine<br />

weitere Weihnachtsshow geben?<br />

MR: Die müssten wir ja dann schon im<br />

Sommer aufzeichnen. (lacht)<br />

DT: Ich hätte Lust auf eine weitere Show<br />

dieser Art.<br />

blimu: Das wäre sehr wünschenswert.<br />

Herzlichen Dank für Ihre Zeit und dieses<br />

vorweihnachtliche Interview.<br />

DT: Wir bedanken uns.<br />

MR: Frohe Weihnachten.<br />

David Tench<br />

Foto: Apple TV<br />

Das Interview führte Sandy Kolbuch<br />

blickpunkt musical <strong>06</strong>/20<strong>23</strong> 67


Filme & Serien<br />

Zum dritten Mal sorgen die singenden Trolle<br />

für gute Laune<br />

»Trolls – Gemeinsam stark« im Kino<br />

Abb. oben:<br />

»BroZone« <strong>mit</strong> ›Perfect‹<br />

Foto: Universal Pictures<br />

Trolls – Gemeinsam stark<br />

Trolls Band Together<br />

Universal Pictures<br />

USA 20<strong>23</strong><br />

Kinostart: 19. Oktober 20<strong>23</strong><br />

FSK 0<br />

Länge: 91 min<br />

Regie ........... Walt Dohrn & Tim Heitz<br />

Drehbuch ................. Elizabeth Tippet<br />

Idee ............................... Thomas Dam<br />

Musik ...................... Theodore Shapiro<br />

Produktionsdesign ...............................<br />

Ruben Perez Reynoso<br />

Sounddesign .................. Peter D. Lago<br />

Produktion .......................... Gina Shay<br />

Königin Poppy ........... Anna Kendrick /<br />

Lena Meyer-Landrut<br />

Branche ................. Justin Timberlake /<br />

Mark Forster<br />

John Dory ........................ Eric André /<br />

Martin Kautz,<br />

Toby Heinz (Gesang)<br />

Clay .................. Kid Cudi/Nico Sablik,<br />

Ron van Lankeren (Gesang)<br />

Spruce ........................ Daveed Diggs /<br />

Asad Schwarz,<br />

Pat Lawson (Gesang)<br />

Veneer ................... Andrew Rannells /<br />

Michael Ernst,<br />

Pat Lawson (Gesang)<br />

Velvet .......................... Amy Schumer/<br />

Giuliana Jakobeit,<br />

Debby van Dooren (Gesang)<br />

Floyd .... Troye Sivan / Jerome Weinert,<br />

Tommy Amper (Gesang)<br />

Tiny Diamond ....... Kenan Thompson /<br />

Julien Haggége<br />

Bridget .................. Zooey Deschanel /<br />

Frederike Walke,<br />

Pia Allgaier (Gesang)<br />

König Gristle ........................................<br />

Christopher Mintz-Plasse /<br />

Nic Romm<br />

2016 brachte Universal Pictures unter der Regie von Mike<br />

Mitchell und Walt Dohrn die Animations-Musik-Komödie<br />

»Trolls« auf die Kinoleinwand. Basierend auf den Zaubertrollen,<br />

die der dänische Fischer und Holzschnitzer Thomas<br />

Dam in den 1960er Jahren erdachte und die der Spielzeughersteller<br />

Hasbro in den 90ern Jahren vertrieb, erlebten die Wesen<br />

<strong>mit</strong> den bunten Haaren einen neuen Hype. Die singenden<br />

Trolle, denen in der deutschen Fassung Lena Meyer-Landrut<br />

und Mark Forster ihre Stimmen liehen, feierten 2020 <strong>mit</strong><br />

»Trolls World Tour« eine Fortsetzung. Mit dem dritten Teil<br />

»Trolls – Gemeinsam stark« erobern Poppy, Branch und ihre<br />

Freunde seit dem 19. Oktober erneut die Leinwand.<br />

Einst wurden die Brüder Floyd, John Dory, Spruce, Clay und<br />

Baby Branch als erfolgreiche Band »BroZone« gefeiert. Doch nach<br />

einem missglückten Auftritt, bei dem es ihnen nicht gelang, die<br />

perfekte Familienharmonie zu erzeugen (›Perfect‹), kam es zum<br />

Streit. Die Brüder gingen ihre eigenen Wege. Die Jahre sind vergangen<br />

und der <strong>mit</strong>tlerweile erwachsene Branch denkt nur noch<br />

gelegentlich an die Vergangenheit. Als Bridget und König Gristle<br />

heiraten (›Let´s Get Married‹), erscheint ein unerwarteter Gast,<br />

der Einspruch einlegt. Der Fremde entpuppt sich als Branchs<br />

ältester Bruder John Dory, der <strong>mit</strong> einem wichtigen Anliegen<br />

zurückgekehrt ist: Er hat von Floyd, der gefangen gehalten wird,<br />

einen Hilferuf bekommen. Als er diesem nachgegangen ist, hat er<br />

Floyd in der Gewalt des gefeierten Pop-Geschwister-Duos Velvet<br />

und Veneer (›Watch Me Work‹) gefunden, die ihm sein Talent<br />

aussaugen. Gefangen in einem Kristall kann Floyd nur durch die<br />

perfekte Familienharmonie befreit werden. Poppy redet Branch<br />

gut zu: Die Band muss wieder zueinanderfinden. Gemeinsam<br />

brechen die Brüder auf, um die anderen zu finden. Begleitet von<br />

Poppy und Tiny Diamond landen sie auf der Ferieninsel (›Vacay<br />

Island‹), die von Spruce betrieben wird. Als Ehemann und<br />

Familienvater muss er beweisen, dass er einst Band<strong>mit</strong>glied war:<br />

›BroZone´s Back‹. Nachdem er sie von der Verwandtschaft überzeugt<br />

hat, darf sich Spruce seinen Brüdern bei der weiteren Suche<br />

anschließen. Sie stoßen auf einen verlassenen Golfplatz, der nach<br />

dem tragischen Überfall der Bergen zum Trolltopic wurde. Poppy<br />

erkennt in der Anführerin Viva ihre Schwester, von deren Existenz<br />

sie bisher nichts wusste: ›It Takes Two‹. In Vivas Clan finden sie<br />

auch Branchs Bruder Clay, der <strong>mit</strong>tlerweile als Steuerprüfer einem<br />

gesitteten Leben nachgeht. Auch er ist bereit, sich der Rettungsmission<br />

anzuschließen.<br />

Derweil spornt Velvet ihren Bruder zu immer größeren Konzerten<br />

an, während er Mitleid <strong>mit</strong> dem Troll entwickelt. Kurz vor<br />

ihrem größten Konzert gehen den Geschwistern Branch und seine<br />

Brüder in die Falle. Es kommt erneut zum Streit, doch Branch<br />

kann sie davon überzeugen, dass sie nur gemeinsam überleben<br />

können. Im Duell <strong>mit</strong> Velvet und Veneer gelingt es ihnen, die<br />

perfekte Familienharmonie zu erzeugen (›Better Place‹) und die<br />

Hochstapler zu entlarven.<br />

Der dritte Teil der musikalischen Trolls thematisiert die Bedeutung<br />

von Familie, Versöhnung, Verständnis und Heilung. Sowohl<br />

Poppy als auch Branch lernen, Familie neu zu definieren, während<br />

sie weiter zusammenwachsen und nun als Paar die Probleme angehen.<br />

Justin Timberlake, der in der Originalversion Branch seine<br />

Stimme leiht, stand <strong>mit</strong> seiner Boyband-Musikerfahrung auch<br />

Pate für die Hintergrundgeschichte der Figur. So war Timberlake<br />

auch erneut an der musikalischen Auswahl des Films beteiligt.<br />

Nicht nur Branch bekommt die Chance, wieder <strong>mit</strong> »BroZone«<br />

zusammenzukommen, sondern auch Timberlake hatte die Gelegenheit,<br />

seine Bandkollegen von »*NSYNC« zu treffen und <strong>mit</strong><br />

ihnen den Song ›Better Place‹ aufzunehmen – den ersten neuen<br />

Song der Band seit mehr als zwanzig Jahren! Die Musik unterstreicht<br />

und unterstützt die Handlung <strong>mit</strong> fünf Originalsongs von<br />

Justin Timberlake und Eric Andre, während weitere Covers und<br />

Medleys angespielt und angesungen werden.<br />

Neben der musikalischen Gestaltung überzeugen vor<br />

allem der Look dank des Produktionsdesigns von Ruben Perez<br />

Reynoso sowie die Animation unter der Leitung von Benjamin<br />

Willis und machen »Trolls – Gemeinsam stark« zu einem weiteren<br />

Familienerlebnis.<br />

Sandy Kolbuch<br />

68<br />

blickpunkt musical <strong>06</strong>/20<strong>23</strong>


In Memoriam<br />

In Memoriam<br />

Stefan Huber<br />

Am <strong>23</strong>. November musste die <strong>Musical</strong>welt<br />

von einem der wegweisenden Künstler<br />

im deutschsprachigen Raum Abschied nehmen:<br />

Stefan Huber, der in seiner Karriere fast<br />

alle Bereiche des Theaters durchlief – er war<br />

Darsteller, Autor, Übersetzer, insbesondere<br />

aber Regisseur. Er war unter seinen Kollegen<br />

und Mitstreitern gleichermaßen geachtet<br />

wie beliebt, denn insbesondere in der Regie<br />

kam ihm seine sehr genaue, intensive Arbeit<br />

<strong>mit</strong> den Stücken und den Darstellern sowie<br />

die Liebe zum Genre <strong>Musical</strong> sehr zugute.<br />

Hubers Regieeinfälle zeichneten sich<br />

immer wieder durch bis dahin einzigartige<br />

Ideen aus. So inszenierte er zum Beispiel<br />

»Die Fledermaus« im Theater Winterthur<br />

erstmalig <strong>mit</strong> einem schwulen Paar in der<br />

Hauptrolle: Christoph Marti und Tobias<br />

Bonn von den Geschwistern Pfister waren<br />

2018 Gabriel von Eisenstein und Rosalinde.<br />

Zuletzt feierte die Inszenierung auch an der<br />

Komischen Oper Berlin große Erfolge bei<br />

Presse und Publikum.<br />

Seine Sorgfalt bei den Inszenierungen<br />

und sein Ideenreichtum sorgten nicht nur für<br />

Begeisterung beim Publikum, sondern auch<br />

für mehrere Auszeichnungen, die er in der<br />

<strong>Musical</strong>branche verliehen bekam. So erhielt<br />

er den Da Capo-<strong>Musical</strong> Award für »Beste<br />

Regie« für »Sunset Boulevard« am Theater<br />

Magdeburg und der Schweizer Prix Walo<br />

ging sogar zweifach an ihn – seine Inszenierungen<br />

von »io senza te« und »Oh läck du<br />

mir« in Zürich wurden da<strong>mit</strong> ausgezeichnet.<br />

Die größte Auszeichnung durfte er dann<br />

Anfang Oktober im Theater des Westens<br />

annehmen: Er kam, schon schwer von seiner<br />

Krankheit gezeichnet und von seinem Mann<br />

gestützt, auf die Bühne, um den Ehrenpreis<br />

für sein Lebenswerk von der Deutschen<br />

<strong>Musical</strong> Akademie entgegenzunehmen.<br />

Wir sind sicher, dass sein Lebenswerk<br />

auf vielfältige Weise Menschen erreicht hat,<br />

auf direktem, aber oft auch auf indirektem<br />

Wege, denn die Theater und die Zuschauerräume<br />

sind groß und schaffen es immer<br />

wieder, Menschen, die bereit sind, sich auf<br />

das Abenteuer Vorstellung einzulassen, zu<br />

bewegen. Und dies auf, vor und hinter der<br />

Bühne. Unsere Gedanken sind daher bei<br />

allen Menschen, denen er etwas gegeben<br />

hat, insbesondere aber bei seinem Mann,<br />

seinen nächsten Verwandten und Freunden.<br />

Sabine Haydn<br />

Foto: BHF / S. Sennewald<br />

blickpunkt musical <strong>06</strong>/20<strong>23</strong> 69


Filme & Serien<br />

Vom Aufstieg und Fall eines Pop-Duos<br />

»Girl You Know It´s True« im Kino<br />

Abb. oben:<br />

»Milli Vanilli«, Rob (Tijan Njie)<br />

und Fab (Elan Ben Ali), bei einem<br />

MTV-Auftritt<br />

Foto: Gordon Timpen / LEONINE<br />

Studios / Wiedemann & Berg Film<br />

Girl You Know It´s True<br />

Leonine<br />

Deutschland 20<strong>23</strong><br />

Kinostart: 21. Dezember 20<strong>23</strong><br />

FSK 12<br />

Länge: 1<strong>24</strong> min<br />

Regie & Drehbuch ...............................<br />

Simon Verhoeven<br />

Kamera .................................. Jo Heim<br />

Filmschnitt .............. Alexander Berner,<br />

Felix Schmerbeck,<br />

Elena Schmidt<br />

Original-Soundtrack .... Segun Akinola<br />

Choreographie ................... Mike Mayr<br />

Produktionsdesign .......... Heike Lange<br />

Kostüme ..................... Ingken Benesch<br />

Hair & Make-up ....... Christina Baier &<br />

Alisza Pfeifer<br />

Produktion ...................... Quirin Berg,<br />

Max Wiedemann,<br />

Kirstin Winkler<br />

Frank Farian .... Matthias Schweighöfer<br />

Robert Pilatus ..................... Tijan Njie<br />

Fabrice Morvan ............... Elan Ben Ali<br />

Lisa ............................. Natasha Loring<br />

Milli ................................. Bella Dayne<br />

Todd Headlee ............. Graham Rogers<br />

Melly ............................... Mitsou Jung<br />

Karl Pilatus ................. Thomas Bading<br />

Anna Pilatus .................. Ulrike Arnold<br />

John Davis ............. Samuel S. Franklin<br />

Brad Howell ............... David Mayonga<br />

Musikproduzent Ralph Siegel produzierte 1988<br />

unter dem Bandnamen »Empire Bizarre«, für<br />

den die Tänzer Robert Pilatus und Fabrice Morvan<br />

engagiert wurden, die Single »Dansez«. Der Titel<br />

floppte. Frank Farian bot den beiden Interpreten die<br />

Mitarbeit an seinem Projekt »Milli Vanilli« an, für das<br />

er Coverversionen bereits existierender Songs als Playback<br />

produzierte. Trotz öffentlicher Hinweise der wahren<br />

Sänger hinter der Band, wie dem Rapper Charles<br />

Shaw, wuchs die Bekanntheit von »Milli Vanilli«. Erst<br />

nach einem Auftritt während der nicht von Farian<br />

abgesegneten US-Tour, bei dem das Playbackband<br />

stehen blieb und so dem Publikum offenbarte, dass<br />

die beiden Tänzer nicht selber sangen, kam es zum<br />

Skandal.<br />

Regisseur Simon Verhoeven erzählt nach seinem<br />

eigenen Drehbuch im Biopic »Girl You Know It´s<br />

True« von dem Skandal, der um die Welt ging. Der<br />

Film startet am 21. Dezember 20<strong>23</strong> im Kino.<br />

Robert »Rob« Pilatus, 1964 als Sohn eines USamerikanischen<br />

Vaters und einer deutschen Mutter<br />

geboren, wird im Alter von drei Jahren von dem<br />

Münchner Ehepaar Karl (Thomas Bading) und Anna<br />

Pilatus (Ulrike Arnold) adoptiert. Missbraucht als<br />

Prestigeobjekt für ihren selbstlosen Einsatz wächst<br />

Rob als einziger seiner Hautfarbe in der Gemeinschaft<br />

der Eltern als Sonderling heran. Seine Liebe zur Musik<br />

und die Leidenschaft für den Breakdance versucht der<br />

Vater zu unterdrücken. Eine Ausbildung als Einzelhandelskaufmann<br />

entspricht eher seiner Vorstellung,<br />

gegen die Rob (Tijan Njie) rebelliert. Als er 1986 für<br />

ein Musikvideo als Tänzer engagiert wird, lernt er<br />

den Franzosen Fabrice »Fab« Morvan (Elan Ben Ali)<br />

kennen, der als Choreograph agiert. Als ersten anderen<br />

Mann der gleichen Hautfarbe fühlt sich Rob <strong>mit</strong> ihm<br />

verbunden. Nach der gemeinsamen Arbeit entwickelt<br />

sich eine Freundschaft zwischen den Männern, die<br />

nach einem weiteren Streit zwischen Rob und seinem<br />

Vater zusammenziehen. Zusammen träumen sie davon,<br />

als Tänzer bekannt zu werden, und treten in Clubs auf.<br />

Zur gleichen Zeit gerät Musikproduzent Frank<br />

Farian in die Kritik: Boney M. ist als Tanzmarionette<br />

verschrien, der Farian seine Gesangsstimme leiht. Journalistin<br />

Ingrid »Milli« Segieth (Bella Dayne) heuert bei<br />

Fabian als Assistentin an. Sie soll nach neuen »Stars«<br />

Ausschau halten. Milli entdeckt Rob und Fab 1988 in<br />

einem Club und bringt sie <strong>mit</strong> Farian zusammen. Dieser<br />

beteuert, dass er weder Tänzer noch Sänger sucht,<br />

sondern lediglich »Stars«, die in seinem Interesse den<br />

Song ›Girl You Know It´s True‹ bekannt machen. Rob<br />

und Fab willigen - für eine Gage von 10.000 DM, eine<br />

moderne Wohnung sowie ein professionelles Makeover<br />

- in den Vertrag ein, unter dem Bandnamen »Milli<br />

Vanilli« aufzutreten. Als sie durch Freunde herausfinden,<br />

dass ihr Song, den sie stets als Playback performen,<br />

bereits existiert und von anderen Acts gesungen<br />

wurde, hinterfragen sie ihren Vertrag. Aber Farian<br />

kann ihnen glaubhaft machen, dass Coversongs eine<br />

legitime Kunstform der Branche sind und Playbacks<br />

von vielen Künstlern genutzt werden.<br />

Um die Fäden in der Hand zu behalten, lässt Farian<br />

eigenmächtig Demo-Platten pressen. Der erste Song<br />

wird auf MTV gespielt und landet in den Charts.<br />

Im Juni ´88 präsentieren »Milli Vanilli« in London<br />

ihre erste Single. Ihre Bekanntheit steigt. Farian produziert<br />

derweil im Münchner Studio ihren zweiten Hit<br />

›Baby, Don´t Forget My Number‹. John Davis (Samuel<br />

S. Franklin) und Brad Howell (David Mayonga), die<br />

Farians Meinung nach optisch nicht für die Fans und<br />

Medien taugen, singen den Song im Studio ein, welcher<br />

später von »Milli Vanilli« ebenfalls wieder lippensynchron<br />

»gesungen« wird.<br />

Arista Records wird auf die Band aufmerksam.<br />

Todd Headlee (Graham Rogers), Gary (James Flynn)<br />

70<br />

blickpunkt musical <strong>06</strong>/20<strong>23</strong>


Filme & Serien<br />

und Denise Milian (Darlene Tejeiro) wollen »Milli<br />

Vanilli« in Amerika groß rausbringen und organisieren<br />

eine US-Tour für sie. Schnell merken sie jedoch, dass<br />

die Künstler zwar das luxuriöse Leben genießen und<br />

ambitioniert sind, jedoch von der Branche nur wenig<br />

Ahnung haben. Noch immer davon überzeugt, dass sie<br />

eines Tages selbst singen werden, lassen sich Rob und<br />

Fab weiter für die Aktion des Labels vor den Karren<br />

spannen. Die Fangemeinde wächst und erstmals lernen<br />

die jungen Männer auch die Kehrseite der Medaille<br />

kennen. Drogen und Alkohol gehören bald zum Alltag.<br />

Dennoch erreichen sie Platz 1 der US-Charts und<br />

Farian hat bereits ihren nächsten Song ›Blaim It on the<br />

Rain‹ in petto. Der Erfolg steigt Fab und Rob zu Kopf.<br />

Stets high geben sie Interviews, die ihrem Image schaden,<br />

und landen zur Ausnüchterung im Krankenhaus.<br />

Milli versucht Rob und Fab wieder nach München<br />

zu zitieren, doch ihr Auftritt in Michigan (›Girl I´m<br />

Gonna Miss You‹) bringt ihnen eine Grammy-Nominierung<br />

ein. Beide planen, erstmals bei der Preisverleihung<br />

1990 in Los Angeles live zu singen, doch Gary<br />

organisiert für sie die Ausnahme: Sie dürfen Playback<br />

singen und nehmen den Preis <strong>mit</strong> nach Hause. Doch<br />

statt Freude über den Preis empfinden beide Scham<br />

und fühlen sich als Betrüger. Sie wollen der Öffentlichkeit<br />

die Wahrheit sagen und stimmen einer USA-<br />

Tour nur <strong>mit</strong> der Genehmigung, dass sie selbst singen<br />

dürfen, zu. Um sein eigenes Image fürchtend kommt<br />

ihnen Farian zuvor und offenbart im November bei<br />

einer Pressekonferenz in New York den Schwindel.<br />

Die Tournee wird sofort vom Label abgesagt und<br />

die Manager distanzieren sich von ihnen, ebenso wie<br />

die Fans. Rob und Fab werden von der Presse zerrissen,<br />

was ihr Leben prägt und verheerende Konsequenzen<br />

nach sich zieht.<br />

Der Film beginnt, nachdem die Wahrheit über ihre<br />

Karriere um die Welt ging. Rob und Fab berichten in<br />

Rückblenden von ihrem Aufstieg und Fall. Sie selbst<br />

nehmen kein Blatt vor den Mund und erzählen unverblümt<br />

von ihren Alkohol- und Drogenexzessen. Sie<br />

stellen sich bei ihren Ausführungen weder als Opfer<br />

der Branche noch als Betrüger hin, sondern versuchen<br />

stattdessen beide Seiten objektiv zu zeigen, sodass die<br />

Zuschauer selbst ihre eigenen Rückschlüsse ziehen können.<br />

Das Casting von Tijan Njie und Elan Ben Ali als<br />

Rob und Fab ist mehr als geglückt, erwecken sie doch<br />

den Anschein, man sähe die realen Gesichter von »Milli<br />

Vanilli« auf der Leinwand. Wer sich nach dem Kinofilm<br />

die alten originalen Videoclips der Band anschaut,<br />

wird verblüfft sein, <strong>mit</strong> welcher Detailgenauigkeit die<br />

Filmemacher gearbeitet haben. Fast 1:1 werden die<br />

Clips umgesetzt, die <strong>mit</strong> dem satten Sound den Kinosaal<br />

erfüllen.<br />

Dies ist auch dem Komponisten und Musiker des<br />

Original-Songs »Girl You Know It´s True«, Kevin Liles,<br />

zu verdanken, der als Executive Producer des Films<br />

fungiert. Sänger Brad Howell, Jasmin Davis (Tochter<br />

seines <strong>mit</strong>tlerweile verstorbenen musikalischen Partners<br />

John Davis), »Milli Vanillis« ehemaliger Assistent<br />

Todd Headlee sowie Rob Pilatus´ Schwester Carmen<br />

Pilatus fungieren als Associate Producers. Durch diesen<br />

Hintergrund ist davon auszugehen, dass trotz aller<br />

filmischen Freiheiten die Geschehnisse sehr eng <strong>mit</strong><br />

der tatsächlichen Wahrheit um die Band abgestimmt<br />

wurden.<br />

So<strong>mit</strong> ist »Girl You Know It´s True« ein interessantes<br />

sowie spannendes Stück Zeitgeschichte, das hinter die<br />

Kulissen der Musikbranche blickt und den Zuschauer<br />

dafür sensibilisiert, die Machenschaften hinter dem<br />

Offensichtlichen zu hinterfragen.<br />

Sandy Kolbuch<br />

Abb. unten von links oben:<br />

1. »Milli Vanilli« (Tijan Njie, Elan<br />

Ben Ali) freuen sich über ihre erste<br />

Goldene Schallplatte<br />

2. Matthias Schweighöfer spielt<br />

Frank Farian<br />

3. Milli (Bella Dayne) und Frank<br />

(Matthias Schweighöfer) sind ein<br />

Dream-Team<br />

4. Elan Ben Ali als Fabrice Morvan<br />

und Tijan Njie als Robert Pilatus<br />

Fotos (4): Gordon Timpen / LEONINE<br />

Studios / Wiedemann & Berg Film<br />

blickpunkt musical <strong>06</strong>/20<strong>23</strong><br />

71


Filme & Serien<br />

Sei vorsichtig, was du dir wünschst<br />

Disneys »Wish« ab dem 30. November im Kino<br />

Abb. oben:<br />

Mitten im Wald begegnet Asha und<br />

den Tieren ein Stern<br />

Abb. unten:<br />

Magnifico macht sich die dunkle<br />

Magie zu Nutzen<br />

Wish<br />

Fotos (2): Disney<br />

Disney<br />

USA 20<strong>23</strong><br />

Kinostart: 30. November 20<strong>23</strong><br />

FSK 0<br />

Länge: 95 min<br />

Regie ............................. Chris Buck &<br />

Fawn Veera Sunthorn<br />

Drehbuch ..................... Jennifer Lee &<br />

Allison Moore<br />

Score ............................ Dave Metzger<br />

Songs ........................ Julia Michaels &<br />

Benjamin Rice<br />

Filmschnitt .............. Jeff Draheim, ACE<br />

Produktionsdesign ...... Michael Giaimo,<br />

Lisa Keene,<br />

David Womersley<br />

Sounddesign .................... Nia Hansen<br />

Produktion ............... Peter Del Vecho,<br />

Juan Pablo Reyes Lancaster-Jones<br />

Asha ......................... Ariana DeBose /<br />

Patricia Meeden<br />

Magnifico ......................... Chris Pine /<br />

Alexander Doering<br />

Valentino .......................... Alan Tudyk<br />

Amaya ..................... Angelique Cabral<br />

Dahlia ................. Jennifer Kumiyama /<br />

Hazel Brugger<br />

Bazeema ...... Della Saba / Julia Beautx<br />

Wäre es nicht ganz wundervoll, wenn man jemandem<br />

seinen Herzenswunsch anvertraut und dieser<br />

eines Tages erfüllt werden würde? Oder weiß man<br />

einen erfüllten Wunsch mehr zu schätzen, wenn man<br />

ihn sich dank eigener Arbeit und Mühe selbst erfüllen<br />

konnte? Diesen Fragen geht ab dem 30. November<br />

der neue Walt Disney Animationsfilm »Wish« auf den<br />

Grund.<br />

Die 17-jährige Asha lebt zusammen <strong>mit</strong> ihrer Mutter<br />

und ihrem Großvater im Königreich von Rosas,<br />

einer Insel, die einst König Magnifico zusammen <strong>mit</strong><br />

seiner Frau, Königin Amaya, schuf. Als Fremdenführerin<br />

bringt Asha den Besuchern die Besonderheiten<br />

der Insel nahe: ›Welcome to Rosas/Die Stadt namens<br />

Rosas‹. Am 100. Geburtstag ihres Großvaters ist<br />

Asha besonders aufgeregt, weil sie den König, den<br />

Beschützer der Wünsche, interviewen darf. Der König<br />

ist dem Mädchen wohlgesonnen, kannte er doch<br />

ihren verstorbenen Vater, einen Philosophen. Voller<br />

Liebe denkt Asha an ihren Vater, der ihr das Malen<br />

beibrachte und den sie vor 5 Jahren verloren hat. Der<br />

König zeigt Asha den Raum, in dem er all die Wünsche<br />

aufbewahrt, die die Bewohner der Insel ihm nach<br />

ihrem 18. Geburtstag anvertrauen. Er erläutert Asha,<br />

dass er nur die Wünsche des Herzens erfüllt, die das<br />

Beste aus dem Menschen hervorbringen: ›At All Costs/<br />

Was auch kommt‹. Asha nutzt die Chance im Gespräch<br />

und bittet den König, den Wunsch ihres Großvaters<br />

anlässlich seines Geburtstags zu erfüllen, nachdem sie<br />

diesen <strong>mit</strong> eigenen Augen gesehen hat. Doch kaum hat<br />

sie Magnifico ihre Bitte vorgetragen, zeigt sich dieser<br />

erzürnt. Seine zuvor noch ruhige und liebenswerte Art<br />

bekommt einen sichtbaren Riss. Asha erkennt, dass<br />

Magnifico nicht nur seine Rolle bei der Erfüllung von<br />

Wünschen genießt, sondern vor allem auch die Kontrolle<br />

und Macht, die er darüber und so<strong>mit</strong> auch über<br />

die Bewohner Rosas hat. Er allein entscheidet, wem ein<br />

Wunsch erfüllt wird und wem nicht. Alle Wünsche,<br />

die zu groß, ambivalent oder auch nur entfernt bedrohlich<br />

für Magnifico sind, werden nicht erfüllt und<br />

sogar vernichtet. Das bedeutet, dass nur die wenigsten<br />

Menschen in Rosas überhaupt eine Chance haben,<br />

ihren Wunsch erfüllt zu bekommen. Enttäuscht über<br />

die Erkenntnis wendet sich Asha von ihm ab. Sie fühlt<br />

sich betrogen und läuft fort, um ihre Gedanken zu<br />

sammeln. An einem alten Baum, an dem sie immer<br />

Zeit <strong>mit</strong> ihrem Vater verbracht hat, wünscht sie sich<br />

von ganzem Herzen, einen Weg zu finden, um ihrem<br />

Großvater und den Bewohnern Rosas ihre Wünsche<br />

zurückgeben zu können. Mit ganzem Herzen schickt<br />

Asha ihren Wunsch gen Himmel (›The Wish/Ich habe<br />

diesen Wunsch‹) und beschwört da<strong>mit</strong> unbewusst<br />

einen Wunschstern zur Erde herab.<br />

Der kleine Wunschstern erkundet wissbegierig die<br />

ihm unbekannte Welt und hört sich Ashas Leid an. Er<br />

belebt die Tiere und Pflanzen des Waldes, wodurch<br />

Asha erkennt, dass jedes Lebewesen etwas ganz Besonderes<br />

ist: ›I´m a Star/Ein Star‹.<br />

Asha ahnt nicht, dass jeder auf der Insel, so wie<br />

sie selbst, bei der Ankunft des Sterns <strong>mit</strong> einem hoffnungsvollen<br />

Lichtschein gesegnet wurde. Auch Magnifico<br />

hat dies bemerkt und versucht, der Ursache dessen<br />

72<br />

blickpunkt musical <strong>06</strong>/20<strong>23</strong>


Filme & Serien<br />

auf den Grund zu gehen. Er macht sich dunkle Magie<br />

zu Nutze, um seine Herrschaft zu schützen. Während<br />

sich die Bewohner gegen den König auflehnen und<br />

von ihm verlangen, ihre Wünsche zu sehen, wächst<br />

seine Angst vor dem Machtverlust. Als er herausfindet,<br />

dass Asha im Besitz eines »Sterns« ist, ersinnt er<br />

einen Plan: Mit der Aussicht, weitere Wünsche zu<br />

erfüllen, bringt er seine Untertanen dazu, sich auf die<br />

Suche nach Asha zu machen, um sie ihm auszuliefern:<br />

›This Is the Thanks I Get?!/Das ist dafür der Dank‹.<br />

Derweil hat Asha ihre Erkenntnis ihrem Großvater<br />

und ihrer Mutter <strong>mit</strong>geteilt. Mit dem Versprechen,<br />

ihre Wünsche zu »befreien«, macht sie sich auf den<br />

Weg ins Schloss. Dort teilt sie sich auch ihren Freunden<br />

<strong>mit</strong>, die sich ihr im Kampf gegen den König<br />

anschließen. Die Freunde bekommen weitere, unerwartete<br />

Hilfe: ›Knowing What I Know Now/Ich weiß<br />

jetzt Bescheid‹.<br />

Ein Wettlauf <strong>mit</strong> der Zeit beginnt. Das Dunkle<br />

scheint zu siegen. Doch als alle Hoffnung bereits verloren<br />

scheint, reicht ein kleiner Funke, um sie wieder<br />

zu beleben und der Gemeinschaft zu zeigen, dass sie<br />

gemeinsam siegen können: ›This Wish (Reprise)/Ich<br />

habe diesen Wunsch‹.<br />

Der Film wirkt optisch wie eine Aquarellmalerei<br />

und erinnert an die alten Klassiker »Schneewittchen<br />

und die sieben Zwerge« (1937), »Pinocchio« (1940)<br />

und »Dornröschen« (1959). Die Papierstruktur ist der<br />

Kunstrichtung ähnlich und zieht sich von den Hintergründen<br />

über die Figuren im Vordergrund.<br />

Der Film ist eine Hommage an Disneys Vermächtnis,<br />

aber auch eine Reflexion der Gegenwart<br />

und Zukunft des Studios <strong>mit</strong> innovativen Bildern,<br />

einer Vielzahl kultureller Inspirationen und zeitgenössischer,<br />

fesselnder Musik. Für die sieben eigens<br />

für den Film geschriebenen und komponierten<br />

zeitlosen und zugleich zeitgemäßen Originalsongs<br />

zeichnen die für den Grammy nominierte Sängerin<br />

und Songwriterin Julia Michaels und der <strong>mit</strong> einem<br />

Grammy ausgezeichnete Produzent, Songwriter und<br />

Musiker Benjamin Rice, zusammen <strong>mit</strong> Komponist<br />

Dave Metzger, verantwortlich. Mit dem ersten Song<br />

›Welcome to Rosas‹ werden die Zuschauer in der Welt<br />

Ashas begrüßt, wo<strong>mit</strong> sich die Studios an den Intros<br />

von »Frozen/Die Eiskönigin« (›For the First Time in<br />

Forever‹) und »Encanto« (›The Family Madrigal‹) orientiert<br />

haben. Der Song vereint spanische Rhythmen<br />

des Flamenco, zeitgenössischen Tanz und klassisches<br />

Ballett und verdeutlicht das sorgenfreie Leben auf<br />

der Insel. Das Duett ›At All Costs‹ beschreibt im<br />

Stil eines Walzers die Ehrfurcht, die Magnifico und<br />

Asha gegenüber den Wünschen der Bürger von Rosas<br />

empfinden, während die Wünsche in einer magischen<br />

Choreographie zu tanzen scheinen. ›I´m A Star‹ kann<br />

als Hommage an all die singenden Tiere wie Balu<br />

(»Das Dschungelbuch«) oder Krabbe Sebastian (»Die<br />

kleine Meerjungfrau«) verstanden werden. Wenn die<br />

Pilze aus dem Boden sprießen und gemeinsam <strong>mit</strong><br />

den Bären, Vögeln, Hasen und Eichhörnchen <strong>mit</strong><br />

kurzen Rapeinlagen singen, wird dem Zuschauer<br />

warm ums Herz, bevor <strong>mit</strong> Magnificos Selbsterkenntnis<br />

›This Is the Thanks I Get?!‹ düstere Zeiten<br />

aufziehen. Das kraftvolle ›Knowing What I Know<br />

Now‹ birgt die Erkenntnis, dass sie nur gemeinsam<br />

den Kampf gewinnen können, und formt sie zu den<br />

Helden der Geschichte, die über ihre Ängste und Sorgen<br />

hinauswachsen. Abgerundet wird die musikalische<br />

Reise des Films durch den Finalsong ›When You<br />

Wish Upon A Star‹, der von Leigh Harline (Musik)<br />

und Ned Washington (Text) stammt. Im Original<br />

performt von Julia Michaels wird ›Weil der Wunsch<br />

es wert ist‹ in der deutschen Fassung von Helene<br />

Fischer gesungen. In der englischen Fassung leiht die<br />

Oscar-Gewinnerin Ariana DeBose Asha ihre Sprechund<br />

Gesangsstimme, in der deutschen Übersetzung<br />

übernimmt Patricia Meeden den Part.<br />

Mit »Wish« präsentieren die Walt Disney Animation<br />

Studios ein Feuerwerk der Gefühle, welche durch<br />

einen abwechslungsreichen Score und emotionsgeladene<br />

Songs getragen werden. Phantasievoll, euphorisch,<br />

entrüstet und hoffnungsvoll stimmt »Wish« auf<br />

die bevorstehenden Feiertage ein.<br />

Sandy Kolbuch<br />

Abb. oben:<br />

Asha im Raum der Wünsche<br />

Abb. unten von links oben:<br />

1. Valentino dirigiert den Hühnerchor:<br />

›I´m a Star‹<br />

2. Magnifico ist sich seiner Macht<br />

bewusst:<br />

›This Is the Thanks I Get?!‹<br />

3. Asha glaubt an die Güte von<br />

Magnifico: ›At All Costs‹<br />

4. Magnifico zeigt Asha die<br />

Wünsche: ›At All Costs‹<br />

Fotos (5): Disney<br />

blickpunkt musical <strong>06</strong>/20<strong>23</strong> 73


Einblick<br />

Jedes Kind (und jeder Erwachsene) braucht<br />

Disney<br />

Patricia Meeden im Interview über ihre Rolle in »Wish«<br />

<strong>Musical</strong>darstellerin, Schauspielerin<br />

und Sängerin Patricia Meeden, bekannt<br />

aus »Bodyguard« und »Pretty Woman«<br />

sowie aus der Krimiserie »Wilsberg«,<br />

leiht im neuesten Disney-Animationsfilm<br />

»Wish« der Hauptfigur Asha ihre Sprechund<br />

Gesangsstimme.<br />

blickpunkt musical: Disney ist dafür<br />

bekannt, dass die Sprecher immer sehr<br />

typspezifisch gecastet werden. Wie kam<br />

es zu Ihrer Kooperation <strong>mit</strong> Disney?<br />

Patricia Meeden: Also ich habe ja das<br />

Gefühl, dass die Macher von Disney mich<br />

sehr lange beobachtet haben und dann<br />

einfach jemanden gezeichnet haben, der<br />

so ist wie ich. (lacht) Ich habe noch nie<br />

eine Disney-Prinzessin erlebt, die so nah<br />

an mir dran ist und <strong>mit</strong> der ich mich so<br />

identifizieren kann. Deswegen glaube ich<br />

einfach, es sollte so sein! Auch dass ich<br />

das Glück habe, dass ich sie sprechen und<br />

singen darf, ist für mich die größte Erfüllung,<br />

denn man gibt der Rolle dann auch<br />

wirklich seinen »Stempel«. Ich bin schon<br />

sehr nahe an der Sprechstimme und oft<br />

auch an der Haltung von Ariana DeBose,<br />

der Originalstimme des Charakters. Für<br />

mich war das alles wirklich sehr sehr passend:<br />

die Rolle, die Vorgabe aus Amerika.<br />

Und da glaube ich wirklich ein bisschen<br />

an Schicksal. Ich musste lange warten<br />

und die perfekte Disney Prinzessin für<br />

mich ist gekommen: Asha.<br />

blimu: Dann brauche ich ja gar nicht<br />

mehr zu fragen, wie Sie sich in die Figur<br />

eingefühlt haben, wenn Sie selbst sagen,<br />

die Rolle ist sehr nahe an Ihnen dran.<br />

PM: Tatsächlich war es einfach. Ich<br />

habe angefangen zu sprechen und es<br />

fühlte sich einfach so selbstverständlich<br />

an, weil ich mich nicht so sehr verstellen<br />

und auch nicht meine Stimme ändern<br />

musste. Ich war einfach ICH. (lacht) So<br />

ein kleines rotzfreches Mädel, und das hat<br />

gepasst.<br />

blimu: Dann müssen wir alle auf eine<br />

Fortsetzung hoffen.<br />

Foto: Julian Freyberg<br />

Photography<br />

PM: Oh, das hoffe ich doch sehr. Das<br />

würde ich direkt mal hier platzieren.<br />

74<br />

blickpunkt musical <strong>06</strong>/20<strong>23</strong>


Einblick<br />

blimu: Die Songs unterscheiden sich alle<br />

vom Stil. Zu Beginn bei ›Die Stadt namens<br />

Rosas‹ hören wir Flamenco-Töne, ›Ich habe<br />

diesen Wunsch‹ ist eine tiefgründige Ballade,<br />

wenn Asha <strong>mit</strong> den Tieren im Wald<br />

›Ein Star‹ singt, erkennt man Rap- und<br />

Pop-Elemente, während ›Ich weiß jetzt<br />

Bescheid‹ eine richtige Kampfansage ist.<br />

War es schwer, in dem jeweiligen Song Ihre<br />

Stimmtiefe und -höhe zu finden?<br />

PM: Bei den Songs musste ich tatsächlich<br />

immer umdenken. Der Song,<br />

<strong>mit</strong> dem sie eine Kampfansage macht,<br />

fiel mir anfangs etwas schwerer. Der ist<br />

etwas tiefer und ich musste diese Kampfansage<br />

treffen. Ich habe davor einen Song<br />

aufgenommen, der sehr lyrisch war. Der<br />

Umschwung war etwas schwieriger, aber<br />

als es dann losging, war ich drin. Ich liebe<br />

an diesem Soundtrack, dass die Songs so<br />

viele Facetten haben, weil auch die Rolle<br />

so viele Facetten hat. Der Weg, den Asha<br />

im Film geht, ist so abwechslungsreich.<br />

Deswegen passen die Songs halt auch<br />

immer im richtigen Moment. Das Schöne<br />

ist, dass ich mich nicht mehr allzu viel<br />

inhaltlich vorbereiten musste, weil ich die<br />

Rolle auch spreche. Ich wusste also immer,<br />

warum bin ich jetzt in der Stimmung bei<br />

diesem Song. Das ist sauschwierig, wenn<br />

man nur die Songs macht, weil man die<br />

anderen Infos nicht hat. Die kriegt man<br />

zwar gesagt, aber in diesem Fall wusste ich<br />

genau, ich muss die Songs sehr emotional<br />

anfangen. Als Sängerin verfällt man ja<br />

immer in dieses melodische Singen, und<br />

man möchte einfach nur schöne Töne<br />

produzieren. Aber viel wichtiger ist beim<br />

Synchronisieren, dass die Stimme und die<br />

Emotionen gut rüber kommen. Das heißt,<br />

da muss man manchmal einfach weniger<br />

denken, dass der Ton perfekt sein muss,<br />

sondern sich darauf besinnen, was man<br />

gerade fühlt. Vielleicht kommt dann mal<br />

eine eher brüchige Stimme dabei heraus,<br />

die aber perfekt passt, denn da<strong>mit</strong> erreicht<br />

man die Zuschauer, ansonsten nicht. Wenn<br />

man einfach nur einen schönen Song hinklatscht,<br />

ist es auch in Ordnung, aber die<br />

Zuschauer/Zuhörer berührt es viel mehr,<br />

wenn sie die Emotionen in der Stimme<br />

spüren.<br />

blimu: Wie lange hat die Arbeit im Synchronstudio<br />

gedauert?<br />

PM: Dadurch, dass ich natürlich nebenbei<br />

gedreht habe, »Rent« geprobt und gespielt<br />

habe und dann auch noch ein Casting<br />

in München hatte ... uff ... ich glaube<br />

5 bis 6 Tage für die Dialoge und nur 4 Tage<br />

für das Einsingen der Songs. Es musste<br />

wirklich ratzfatz gehen.<br />

blimu: Gibt es einen Song, der Ihnen<br />

besonders am Herzen liegt?<br />

PM: ›Ich habe diesen Wunsch‹ spricht<br />

einfach mein Herz an, weil ich jemand bin,<br />

der so viele große Wünsche hat – immer<br />

noch –, wobei sich so viele schon erfüllt<br />

haben. Ich bin ein verträumter Mensch<br />

und glaube an die Kraft der Wünsche.<br />

Deswegen spricht der Song extrem zu mir.<br />

Und ich liebe ›Ich bin ein Star‹. Der macht<br />

so viel Spaß. Auch das Duett zwischen dem<br />

König und Asha finde ich wunderschön.<br />

Das ist ein ganz ganz tolles Pop-Duett.<br />

Ach, wir brauchen einfach ein »Wish«-<br />

<strong>Musical</strong>. (lacht) Bitte schnell, da<strong>mit</strong> ich<br />

dann die Rolle auch noch spielen darf.<br />

blimu: Weihnachten ist die Zeit der<br />

Wünsche. Was bedeutet also Weihnachten<br />

für Sie?<br />

PM: Zu Weihnachten wünsche ich mir<br />

tatsächlich immer nur, <strong>mit</strong> meiner Familie<br />

zusammen zu sein und meine Ruhe<br />

zu haben. Wir packen auch gar nicht die<br />

Riesengeschenke aus und Trallala, weil es<br />

mir um etwas ganz anderes geht. Ich bin<br />

soviel unterwegs in meinem Leben. In der<br />

besinnlichen Zeit möchte ich bei meiner<br />

Familie sein. Wir genießen ein schönes<br />

Essen, unterhalten uns, schauen zusammen<br />

tolle Weihnachtsfilme und da geht es komplett<br />

um Besinnlichkeit, um runterkommen<br />

und ankommen und ganz viel Essen.<br />

Da freue ich mich jetzt schon wieder drauf.<br />

blimu: Was bedeuten Ihnen Disneyfilme?<br />

PM: In den Disneyfilmen sieht man, wie<br />

sich Träume erfüllen und was man dafür<br />

machen muss. Ich finde, Disney hat einem<br />

die Tür zu der Erkenntnis geöffnet, dass<br />

sich Wünsche erfüllen können. Ich habe<br />

als Kind so viele tolle Disney-Prinzessinnen<br />

bewundert – war ein Riesenfan von Mulan<br />

und Pocahontas. Das sind einfach starke<br />

Frauen. Als Kind und Jugendliche war ich<br />

eher unsicher. Wenn man dann einen Disneyfilm<br />

sieht, in dem eine starke Frau ihren<br />

Weg geht und ihr Ziel erreicht und sich<br />

ihre Wünsche erfüllt, macht das etwas <strong>mit</strong><br />

einem. Das hat mir viel Kraft gegeben und<br />

inspiriert mich auch heute noch. Deswegen<br />

hat mich Disney schon früh geprägt. Ich<br />

habe es geliebt und liebe es noch immer,<br />

Disneyfilme zu sehen. Ich habe auch<br />

gezeichnet und schon früh da<strong>mit</strong> angefangen,<br />

die Figuren nachzuzeichnen. Es hat<br />

mich künstlerisch sehr beeinflusst. Disney<br />

wird es immer geben. Disneyfilme braucht<br />

jedes Kind und jeder Erwachsene. Für mich<br />

geht die Arbeit <strong>mit</strong> Disney auch weiter, denn<br />

ich werde nächstes Jahr <strong>mit</strong> »Disney in Concert«<br />

auf Tour gehen! So<strong>mit</strong> erfüllt sich ein<br />

weiterer Wunsch für mich!<br />

blimu: Herzlichen Dank für dieses tolle<br />

Gespräch.<br />

Das Interview führte Sandy Kolbuch<br />

Patricia Meeden spricht und singt Asha in »Wish«<br />

Foto: Disney<br />

blickpunkt musical <strong>06</strong>/20<strong>23</strong> 75


<strong>Musical</strong>s in den USA<br />

Ist die Apokalypse gekommen?<br />

Uraufführung von »Here We Are« am Off-Broadway<br />

Abb. oben:<br />

Die reisenden Freunde (Ensemble) in<br />

einem Restaurant<br />

Foto : Emilio Madrid<br />

Here We Are<br />

Stephen Sondheim / David Ives<br />

Stephen Sondheim Trust<br />

The Shed’s Griffin Theater<br />

Uraufführung: 22. Oktober 20<strong>23</strong><br />

Direction ........................ Joe Mantello<br />

Music Direction &<br />

Supervision .......Alexander Gemignani<br />

Orchestrations ............ Jonathan Tunick<br />

Choreography .............. Sam Pinkleton<br />

Set & Costume Design ...... David Zinn<br />

Lighting Design .............. Natasha Katz<br />

Sound Design ................ Tom Gibbons<br />

Man ................................ Denis O´Hare<br />

Woman .......................... Tracie Bennett<br />

Leo Brink .................. Bobby Cannavale<br />

Marianne Brink .......... Rachel Bay Jones<br />

Paul Zimmer ................. Jeremy Shamos<br />

Claudia Zimmer ................ Amber Gray<br />

Raffael Santello Di Santicci ...................<br />

Steven Pasquale<br />

Fritz ......................... Micaela Diamond<br />

Bischof ................... David Hyde Pierce<br />

Soldat ......................................... Jin Ha<br />

Colonel Martin ............ François Battiste<br />

In weiteren Rollen:<br />

Adante Carter,<br />

Lindsay Nicole Chambers,<br />

Bradley Dean, Mehry Eslaminia,<br />

Adam Harrington, Bligh Voth<br />

Dem letzten Musiktheaterwerk von Stephen<br />

Sondheim »Here We Are« eilen fast unerfüllbare<br />

Erwartungen voraus. Auf der einen Seite wird es intensiv<br />

geprüft, auf der anderen Seite steht die außerordentliche<br />

Liebe und Verehrung, die dem Gesamtwerk<br />

des verstorbenen Meisters entgegengebracht wird.<br />

Zweiundzwanzig Produzenten, eine absolutes Top-<br />

Kreativteam und elf Spitzensolisten in den Hauptrollen<br />

haben ihr Talent in dieses faszinierende, einmalige<br />

und doch unerfüllende Projekt einfließen lassen.<br />

Sondheim-Historiker, Enthusiasten, Intellektuelle,<br />

Studenten und Fans werden alle ihre Meinung dazu<br />

haben. Dafür sorgt schon allein der Inhalt: eine Verbindung<br />

von zwei Luis-Buñuel-Filmen, »Der diskrete<br />

Charme der Bourgeoisie« (Akt 1) und »Der Würgeengel«<br />

(Akt 2). Was als Sozialsatire über selbstgefälliges<br />

Anspruchsdenken beginnt, endet in einem schwer<br />

erträglichen Niedergang.<br />

Wenn man das The Shed <strong>mit</strong> seinen Sitzen an drei<br />

Seiten des Theaterraumes betritt, sieht man eine glänzende<br />

weiße Bühne, von Spiegeln umrandet. Sie wird<br />

von Denis O´Hare (im Programm nur »Man« genannt)<br />

und Tracie Bennett (»Woman«) pausenlos gestaubsaugt,<br />

poliert und sauber gemacht. Verschiedene Gäste<br />

erscheinen uneingeladen zum Brunch. Nominelle<br />

Gastgeber sind Leo und Marianne Brink (Bobby Cannavale,<br />

Rachel Bay Jones). Dazu erscheinen ihre engen<br />

Freunde Paul und Claudia Zimmer (Jeremy Shamos,<br />

Amber Gray), ein sexbesessener Diplomat namens<br />

Raffael Santello Di Santicci (Steven Pasquale) und<br />

Mariannes Schwester (Bruder?), Fritz (Micaela Diamond),<br />

ein/e desillusionierte/r Punk-Rebell/in. Da es<br />

kein Essen für die zusammengewürfelte Truppe gibt,<br />

fahren sie <strong>mit</strong> dem Auto zu verschiedenen exklusiven<br />

Restaurants, in denen nie etwas serviert wird, nicht<br />

einmal ein Glas Wasser. »Here We Are« provoziert<br />

immer wieder absichtlich den Vergleich zu verschiedenen<br />

anderen Sondheim-Shows und zitiert sie, musikalisch<br />

wie theatralisch. Zum Beispiel zitiert die Suche<br />

im Auto im 1. Akt (›The Road‹) den Song ›A Weekend<br />

in the Country‹ aus »A Little Night Music«.<br />

Alle diese sich selbst verherrlichenden und <strong>mit</strong> sich<br />

selbst beschäftigten Bourgeoisie-Menschen sind ein<br />

gefundenes Fressen für Sondheims spezielle im Staccato<br />

abgefeuerten zungenbrecherischen Texte. Voller Vergnügen<br />

erkennt das Publikum un<strong>mit</strong>telbar Zitate aus<br />

›The Little Things You Do Together‹ aus »Company«<br />

oder die Abfuhr, die Jacks Mutter Jack und Milky<br />

White in »Into the Woods« erteilt, um nur einige zu<br />

nennen. Duette und Ensembles fließen und halten<br />

an, stoppen und fangen wieder an, aber es gibt wenige<br />

große Soli, wenn überhaupt. Raffael wiederholt seine<br />

Verführungseinladungen an jede der Frauen. Fritz hat<br />

eine tolle Anti-Establishment-Tirade über seine/ihre<br />

Rolle in der kommenden Revolution. Denis O´Hare<br />

spielt mehrere Rollen und verkleidet sich als Kellner<br />

<strong>mit</strong> witzigen Antworten und Tracie Bennett spielt im<br />

Wesentlichen ein Dienstmädchen, das sich bückt und<br />

stumm ist. Sie hat ein überflüssiges Solo, wo sie sich<br />

anhört und aussieht wie eine einfache Kopie von Carol<br />

76<br />

blickpunkt musical <strong>06</strong>/20<strong>23</strong>


<strong>Musical</strong>s in den USA<br />

Channing (ein Broadway-Star der 60er Jahre).<br />

Im Gegensatz dazu enthält der zweite Akt, als »The<br />

Room« bezeichnet, so gut wie gar keine Songs, sondern<br />

nur ab und an orchestrale Untermalung. Raffael Santello<br />

Di Santicci lädt seine hungrige Truppe zu einer<br />

Mahlzeit ein, als Ort hierfür dient ein luxuriöses in<br />

Gold und Schwarz gestaltetes Zimmer in der Botschaft.<br />

Hier kommen verschiedene neue Charaktere<br />

dazu: ein Bischof (ein sehr amüsanter David Hyde<br />

Pierce), ein Soldat (Jin Ha), der sich auf der Stelle in<br />

Fritz verliebt, und Colonel Martin (François Battiste),<br />

der Beweise dafür entdeckt hat, dass die Brinks und<br />

die Zimmers ein Drogenkartell betreiben. Martin<br />

entdeckt außerdem, wer seine Eltern bei einem Raub,<br />

bei dem $26.15 erbeutet wurden, getötet hat. Wie im<br />

Film »Der Würgeengel« stellen die Charaktere fest, dass<br />

sie den Raum nicht verlassen können, und verbringen<br />

die Nacht auf Stühlen oder auf dem Boden. Wieder<br />

gibt es kaum Essen. Hunger und Verzweiflung provozieren<br />

Auseinandersetzungen, kleinlichen Verrat und<br />

wahnhafte Spekulationen. Eine alte Ming Vase wird zu<br />

einer improvisierten Toilette. Der Narzissmus der Charaktere<br />

wird offen gelegt und ihre Nutzlosigkeit und<br />

Oberflächlichkeit zeigt sich noch mehr in hysterischen<br />

Dialogen. Näher kommendes Dröhnen, Schüsse und<br />

Explosionen sind aus dem OFF zu hören.<br />

Der Kritiker fühlt sich an das Buch »Second Act<br />

Trouble« von Steven Suskin erinnert. »Here We Are«<br />

kommt arg ins Schlingern, nicht nur wegen des Mangels<br />

an Songs, sondern auch wegen der Frage, worüber man<br />

eigentlich singen sollte? Die Antwort: Nichts ... Die<br />

Herren Ives, Sondheim und Mantello haben sich sicher<br />

wochen- oder monatelang Gedanken über diese Herausforderung<br />

bzw. dieses Problem gemacht. Trotz ihrer<br />

Brillanz und die bestmögliche Cast wird die Show im<br />

zweiten Akt dröge und der Bogen der Story fängt an zu<br />

nerven. Wie kommt man aus diesem Dilemma heraus?<br />

In »Assassins« gab es an dieser Stelle ›Another National<br />

Anthem‹, aber hier gibt es weder eine Offenbarung,<br />

noch eine Katharsis, noch einen zündenden Funken.<br />

Selbst wenn Sondheim noch leben würde, wäre es<br />

zweifelhaft, ob er, Ives und Mantello die schlechte Idee<br />

hätten retten können. Dass »Der Würgeengel« dafür<br />

bekannt ist, dass er gerade keine Musik enthält, schien<br />

kein Hinweis auf die Untauglichkeit als <strong>Musical</strong>stoff<br />

gewesen zu sein.<br />

Ein großer Teil des Problems von »Here We Are«<br />

besteht darin, dass es sich bei den Charakteren um<br />

flache Archetypen <strong>mit</strong> beliebigem Benehmen handelt,<br />

auch wenn dies oft amüsant ist. So fühlt sich zum Beispiel<br />

Rachel Bay Jones als Marianne Brink wiederholt<br />

so schwindlig, dass sie sich nicht erinnern kann, was sie<br />

an diesem Morgen tun wollte – aber dafür sieht sie toll<br />

aus in ihrem blassblauen Bademantel. Anders als die<br />

Hauptrollen in anderen Sondheim-<strong>Musical</strong>s (»Follies«,<br />

»Into the Woods«, »Company«, »Passion«, »Anyone<br />

Can Whistle«) lernen weder die Zuschauer noch die<br />

Charaktere jemals irgendetwas. Das bisschen an Interesse,<br />

das man für die Brinks, Zimmers, Fritz etc. aufbringen<br />

kann, resultiert daraus, dass man den Darstellern<br />

auf der Höhe ihrer Kunst dabei zusehen kann, wie<br />

sie ein neues, unerprobtes Stück von Sondheim und<br />

Ives kreieren. Als Darsteller haben sie wahrscheinlich<br />

den Spaß ihres Lebens. Die Show endet, wie es sein<br />

muss, da<strong>mit</strong>, dass sich der schwarze Raum auflöst und<br />

die Spiegel und das helle Weiß zurückkehren und die<br />

Darsteller auf das Publikum zurennen. Blackout. Ist<br />

die Apokalypse gekommen? Wenn die Autoren »Here<br />

We Are« als existenziellen Abstieg in den Nihilismus<br />

gemeint haben, dann ist der Effekt sprunghaft, leer<br />

und nicht überzeugend.<br />

Im Rückblick auf den Abend fühlt sich der Rezensent<br />

an die Uraufführung von »Assassins« 1990 erinnert,<br />

als gerade der Golfkrieg anfing und das Publikum<br />

überhaupt nicht in der Stimmung war für das,<br />

was es sah. Die Trostlosigkeit von »Assassins« spiegelte<br />

die Trostlosigkeit der realen Welt wider. Genauso<br />

ist es bei »Here We Are«: ein neues <strong>Musical</strong>, dessen<br />

düsterer Blick auf das Leben sein reales Gegenstück<br />

findet in den Konflikten zwischen Russland und der<br />

Ukraine und Israel und der Hamas und den Millionen<br />

von Flüchtlingen überall auf der Welt, die verzweifelt<br />

versuchen, in die USA zu gelangen, während die<br />

Republikaner das Land zum Stillstand gebracht haben.<br />

Wenn wir über die gerade stattfindende Apokalypse im<br />

Zusammenhang <strong>mit</strong> dem Stück reden, bleibt vermutlich<br />

die Erkenntnis, dass Sondheim wie immer vieles<br />

klarer vorhergesehen hat, als wir es uns hätten vorstellen<br />

können, selbst wenn er das Stück schon vor einigen<br />

Jahren geschrieben hat.<br />

Vermutlich wird man, noch mehr als bei »Road<br />

Show«, »Here We Are« nicht in anderen Produktionen<br />

so überarbeiten können, wie es bei »Merrily We<br />

Roll Along« oder »Anyone Can Whistle« gelungen ist.<br />

Abb. unten von links:<br />

1. Der Bischof (David Hyde Pierce,<br />

Mitte) versucht, sich um die im<br />

Botschaftspalast gestrandeten<br />

Freunde (Ensemble) zu kümmern<br />

2. Das Ensemble beim Schlussapplaus<br />

(v.l.): Woman (Tracie<br />

Bennett), Man (Denis O´Hare),<br />

Raffael Santello Di Santicci (Steven<br />

Pasquale), Claudia Zimmer (Amber<br />

Gray), Paul Zimmer (Jeremy<br />

Shamos), Leo Brink (Bobby<br />

Cannavale), Marianne Brink (Rachel<br />

Bay Jones), Colonel Martin (François<br />

Battiste), Fritz (Micaela Diamond),<br />

der Soldat (Jin Ha) und der Bischof<br />

(David Hyde Pierce)<br />

Fotos (2): Emilio Madrid<br />

blickpunkt musical <strong>06</strong>/20<strong>23</strong><br />

77


<strong>Musical</strong>s in den USA<br />

Abb. unten von oben links:<br />

1. Der Soldat (Jin Ha, l.) ist vom<br />

nicht-binären Rebellen Fritz<br />

(Micaela Diamond, r.) fasziniert<br />

2. Die Stimmung wird zunehmend<br />

hysterischer<br />

3. Fritz (Micaela Diamond, l.) macht<br />

sich <strong>mit</strong> apokalytischen Ideen<br />

unbeliebt (Ensemble)<br />

4. Die Freunde in einem weiteren<br />

Restaurant, das kein Essen serviert.<br />

Die Auskunft des Kellners, »I´ll have<br />

to look into that«, wird <strong>mit</strong> jedem<br />

weiteren Restaurant ein Running<br />

Gag der Show<br />

5. Die Hauptrollen (v.l.): Raffael<br />

Santello Di Santicci (Steven<br />

Pasquale), Claudia Zimmer (Amber<br />

Gray), Paul Zimmer (Jeremy<br />

Shamos), Leo Brink (Bobby<br />

Cannavale), Marianne Brink (Rachel<br />

Bay Jones), Colonel Martin (François<br />

Battiste), Fritz (Micaela Diamond)<br />

und der Soldat (Jin Ha)<br />

6. Marianne Brink (Rachel Bay<br />

Jones, vorne r.) hat es eilig, sich an<br />

den endlich gedeckten Tisch in der<br />

Botschaft (Ensemble) zu setzen<br />

Fotos (6) : Emilio Madrid<br />

Auch wird die Show sich vermutlich nicht neu erfinden<br />

lassen wie »Sweeney Todd« oder »Into the Woods«.<br />

Bemerkenswert ist aber die überragende Cast, die<br />

uns <strong>mit</strong> Unterstützung von Ives, Mantello, Ausstatter<br />

David Zinn, Orchestrator Jonathan Tunick und Choreograph<br />

Sam Pinkleton die bestmögliche Version von<br />

»Here We Are« gegeben hat.<br />

Und was ist <strong>mit</strong> der Musik, werden Sie jetzt fragen?<br />

Es wird ein nettes Castalbum geben, wo wir den Witz,<br />

das Können und die Vorstellungskraft genießen können,<br />

<strong>mit</strong> der Sondheim an seine Werke herangegangen<br />

ist, um diese dann nochmal unter die Lupe nehmen zu<br />

können. Brooks Atkinson hat 1940 einmal über »Pal<br />

Joey« gesagt: »Can one draw sweet water from a foul<br />

well?« (dt.: »Kann man aus einem fauligen Brunnen<br />

klares Wasser schöpfen?«). 1952 nahm er es zurück.<br />

Vermutlich kann man es nicht. Das Publikum kann<br />

sehr wohl <strong>mit</strong> selbstsüchtigen, ärgerlichen und unsympathischen<br />

Charakteren wie Joey Evans (»Pal Joey«),<br />

Franklin Shepard (»Merrily We Roll Along«), Harry<br />

Bogen (»I Can Get It for You Wholesale«) oder Mama<br />

Rose (»Gypsy«) umgehen. Nihilismus und der Weltuntergang<br />

sind keine sehr interessanten Themen, um<br />

darüber zu singen. Und selbst wenn – dann nicht von<br />

diesen Charakteren, dafür sind sie zu trivial.<br />

Aber – wer kann und will David Ives und Stephen<br />

Sondheim einen Vorwurf daraus machen, dass sie versucht<br />

haben, die Grenzen des Genres <strong>Musical</strong> auszuloten<br />

und vorantreiben zu wollen?<br />

Richard C. Norton<br />

Dt. von Merit Murray<br />

78<br />

blickpunkt musical <strong>06</strong>/20<strong>23</strong>


<strong>Musical</strong>s in den USA<br />

Wieso ein <strong>Musical</strong> über Gutenberg?<br />

»Gutenberg! The <strong>Musical</strong>«<br />

Josh Gad und Andrew Rannells, die ihren Durchbruch am<br />

Broadway in »The Book of Mormon« hatten, sind Darsteller<br />

und noch dazu solche, die einen finanziellen Erfolg<br />

versprechen. Das ist wohl die einzige Erklärung dafür, dass<br />

ein Off-Broadway-Stück von 20<strong>06</strong> namens »Gutenberg! The<br />

<strong>Musical</strong>!« Finanziers für eine Laufzeit am Broadway gefunden<br />

hat. In diesem Zwei-Personen-Stück (<strong>mit</strong> einer dürftigen<br />

Band aus drei Personen) spielen Gad Bud und Rannells Doug,<br />

zwei Tollpatsche aus New Jersey, die ein komisches <strong>Musical</strong><br />

über den Erfinder des Buchdrucks, Johannes Gutenberg,<br />

schreiben.<br />

Wieso ein <strong>Musical</strong> über Gutenberg? Diese Frage belastet<br />

die ganze Produktion. Wenn einige Bücherfreunde denken,<br />

dass das <strong>Musical</strong> in komödiantischer Weise die Erfindung<br />

der Druckpresse <strong>mit</strong> beweglichen Buchstaben beschreibt, so<br />

wie es »Something Rotten!« <strong>mit</strong> der Entwicklung von Shakespeares<br />

»Hamlet« tut, dann liegen sie falsch. Gutenberg ist hier<br />

ein Kelterer in einer fiktiven deutschen Kleinstadt, der das<br />

Problem des Analphabetismus lösen will. Gutenbergs Nemesis<br />

ist ein Mönch, der die Massen in Unwissenheit halten will,<br />

da<strong>mit</strong> er kontrollieren kann, was die Bibel sagt. (Tatsächlich<br />

bezogen Analphabeten in der Zeit vor dem Buchdruck, der<br />

eine massenhafte Verbreitung von Büchern ermöglichte, ihre<br />

Informationen über die (biblische) Welt hauptsächlich aus der<br />

malerischen Ausstattung von Kirchen.)<br />

Das Format des Zweiakters ist ein Liebesdienst von Bud<br />

und Doug am Autorenteam, sie präsentieren das Stück in<br />

Form einer »Backer´s Audition«. Darunter versteht man am<br />

Broadway eine Art Promo-Vorstellung, in der zwei oder drei<br />

Darsteller eine Show in provisorischer Ausstattung für potenzielle<br />

Geldgeber aufführen, indem sie alle Rollen übernehmen.<br />

Um alle drei Dutzend oder mehr Charaktere zu spielen,<br />

setzen sie Baseball-Caps auf <strong>mit</strong> dem Namen der jeweiligen<br />

Rolle. Eine der Rollen ist »das tote Baby«, was einem eine Idee<br />

gibt vom relativ niedrigen Niveau des Humors der Show. Die<br />

potenzielle Liebhaberin heißt Helvetica, wobei beide immer<br />

wieder einwerfen: »Ihr Name ist eine Schriftart« – was noch<br />

einer der amüsantesten One-Liners der Show ist.<br />

Es ist nicht so, dass die Autoren nicht anspruchsvoll<br />

wären. Relativ am Anfang der Show sagt einer der Möchtegern-Produzenten,<br />

als er erklärt, was die Investoren für den<br />

Publikumsgeschmack halten: »Wenn euer neues <strong>Musical</strong><br />

nicht schon ein Film, ein Buch oder ein Märchen ist, das aus<br />

der Perspektive der weiblichen Hauptfigur erzählt wird, dann<br />

werden die Leute nicht ihr Auto verkaufen, um es zu sehen.«<br />

Das ist eine Beschreibung der laufenden Broadway-Saison,<br />

wie sie akkurater nicht sein könnte.<br />

Solche Einsichten sind jedoch selten. Die Hut-auf-Hut-runter-Routine<br />

ermüdet schnell. Die Songs, die keinem erkennbaren<br />

<strong>Musical</strong>genre angehören und auch kaum wiedererkennbare<br />

Melodien haben, gehen undefinierbar ineinander über.<br />

Brown und King entwickelten die Show vor zwei Jahrzehnten<br />

als 45-minütigen Einakter <strong>mit</strong> der Comedy-Truppe »Upright<br />

Citizens Group«; konzeptionell mag damals die Sinnlosigkeit<br />

des Ganzen als respektloser und absurder Humor durchgegangen<br />

sein à la »Monty Python« oder »Second City«. Der<br />

Nichts-ist-heilig-Humor weht durch Themen wie Selbstmord<br />

und wiederkehrende Motive von Antise<strong>mit</strong>ismus, aber das<br />

Gutenberg-Thema geht dabei verloren. Es entwickelt sich<br />

nicht einmal zu einem zusammenhängenden Sketch.<br />

Das Problem der Show ist, dass das Konzept sich einer<br />

gelungenen Ausführung widersetzt. Buds und Dougs Buch<br />

soll sinnlos sein, die Liedtexte schlecht und die Ausführung<br />

amateurhaft. Das Buch ist jedoch nicht wirklich satirisch,<br />

und die professionelle Art der Aufführung lässt das Ganze<br />

übertrieben erscheinen.<br />

Der zweckmäßige Ansatz für Gad und Rannells ist es, das<br />

Material so weit wie möglich zu melken. Der erfahrene Regisseur<br />

Alex Timbers (»Here Lies Love«, »Moulin Rouge!«), der<br />

schon bei der originalen Off-Broadway-Version Regie geführt<br />

hatte, weiß, dass dieser Ansatz erfolgversprechend ist. Gad und<br />

Rannells wirken, als hätten sie sehr viel Spaß an der Sache, sie<br />

sind schmeichlerisch, sie beziehen das Publikum ironisch <strong>mit</strong><br />

ein – die ganze Palette. Das Publikum liebte es.<br />

Dan Dwyer<br />

Dt. von Merit Murray<br />

Abb. oben :<br />

Bud Davenport (Josh Gad) und<br />

Doug Simon (Andrew Rannells)<br />

spielen alle Rollen, indem sie sich<br />

Baseball-Caps <strong>mit</strong> dem Rollennamen<br />

aufsetzen<br />

Foto: Matthew Murphy<br />

Gutenberg! The <strong>Musical</strong>!<br />

Scott Brown / Anthony King<br />

James Earl Jones Theater New York<br />

Broadway-Premiere: 12. Oktober 20<strong>23</strong><br />

Direction ....................... Alex Timbers<br />

<strong>Musical</strong> Direction ......... Marco Paguia<br />

Music Supervision,<br />

Arrangements &<br />

Orchestration ................... T.O. Sterrett<br />

Vocal Supervision .............. Liz Caplan<br />

Movement ........... Nancy Renee Braun<br />

Scenic Design ..................... Scott Pask<br />

Costume Design .......... Emily Rebholz<br />

Lighting Design .................. Jeff Croiter<br />

Sound Design ........... Cody Spencer &<br />

M.L. Dogg<br />

Bud Davenport ..................... Josh Gad<br />

Doug Simon ............. Andrew Rannells<br />

In weiteren Rollen:<br />

Russell Daniels, Sam Hartley (Dance<br />

Captain)<br />

blickpunkt musical <strong>06</strong>/20<strong>23</strong><br />

79


<strong>Musical</strong>s in Großbritannien<br />

Von Anfang bis Ende ein absolutes Vergnügen<br />

»Guys and Dolls« im Bridge Theatre London<br />

Die Cast von »Guys and Dolls« in London, das Publikum stehend an allen Seiten der Bühne<br />

Foto: Manuel Harlan<br />

Guys & Dolls<br />

Frank Loesser / Jo Swerling /<br />

Abe Burrows<br />

Bridge Theatre London<br />

Premiere: 14. März 20<strong>23</strong><br />

Direction .................. Nicholas Hytner<br />

Music Direction .................... Jon Laird<br />

<strong>Musical</strong> Supervision &<br />

Arrangements ..................... Tom Brady<br />

Orchestration .................Charlie Rosen<br />

Choreography ..........Arlene Phillips &<br />

James Cousins<br />

Fight Direction ................. Kate Waters<br />

Scenic Design .............. Bunny Christie<br />

Costume Design ....... Bunny Christie &<br />

Deborah Andrews<br />

Wigs, Hair & Make-up .........................<br />

Campbell Young Associates<br />

Lighting Design .......... Paule Constable<br />

Sound Design .................... Paul Arditti<br />

Nathan Detroit ................. Daniel Mays<br />

Sky Masterson ...... Andrew Richardson /<br />

George Ioannides<br />

Miss Adelaide ............. Marisha Wallace<br />

Sarah Brown ...... Celinde Schoenmaker<br />

Nicely-Nicely Johnson ...........................<br />

Simon Anthony / Cedric Neal<br />

In weiteren Rollen:<br />

Iroy Abesamis, Lydia Bannister,<br />

Kathryn Barnes, Callum Bell,<br />

Cindy Belliot, Jack Butterworth,<br />

Jordan Castle, Cornelius Clarke,<br />

Petrelle Dias, Ike Fallon,<br />

Leslie Garcia Bowman,<br />

Cameron Johnson, Robbie McMillan,<br />

Saffi Needham, Perry O´Dea,<br />

Anthony O´Donnell, Mark Oxtoby,<br />

Ryan Pidgen, James Revell,<br />

Charlotte Scott, Katy Secombe,<br />

Tinovimbanashe Sibanda, Isabel Snaas,<br />

Sasha Wareham, Dale White (Dance<br />

Captain)<br />

Der britische Regisseur Nicholas Hytner hat es wieder<br />

getan: Er belebte eines der besten amerikanischen <strong>Musical</strong>s<br />

wieder und erweckte durch die Frische der Inszenierung<br />

den Anschein, als handele es sich um ein brandneues Stück.<br />

Hytner präsentiert »Guys and Dolls« als einen berauschenden<br />

Streifzug durch die Welt der liebenswerten Unterschicht im<br />

Manhattan der 1940er Jahre.<br />

Hytner und sein Produktionsteam haben das Bridge Theatre<br />

in die ausgelassene, raue und stürmische Welt des Times<br />

Square verwandelt. Die Sitze im Parkett wurden entfernt,<br />

wodurch eine Spielarena <strong>mit</strong> Sitzplätzen an allen vier Seiten<br />

entstand. Die Szenen spielen auf hydraulischen Plattformen,<br />

die in verschiedenen Konfigurationen aus dem Boden nach<br />

oben fahren. Leute aus dem Publikum, die gerne stehen<br />

wollen, werden Teil der Handlung und bevölkern den Times<br />

Square, wobei sie von Produktions<strong>mit</strong>arbeitern, die als altmodische,<br />

freundliche Polizisten kostümiert sind, angeleitet<br />

werden.<br />

Das Bühnenbild von Bunny Christie und das Lichtdesign<br />

von Paule Constable (viele umlaufende und auf- und<br />

abfahrende Technicolor-Neon-Restaurant- und Barschilder)<br />

kreieren einen Times Square wie aus dem Bilderbuch. Das<br />

Sounddesign von Paul Arditti rekreiert nicht nur Taxi-Hupen<br />

und die Geräusche einer stark frequentierten Kreuzung,<br />

sondern auch das Rumpeln der alten U-Bahn-Wagen, die vor<br />

Jahrzehnten ausrangiert wurden. Die Regie ist ein absolutes<br />

Juwel aus genialer Kreativität und technischer Ausführung.<br />

Interessanterweise überdeckt das Spektakel die Geschichte<br />

nicht, sondern macht das Stück von Frank Loesser aus den<br />

1950ern (<strong>mit</strong> einem Buch von Abe Burrows, basierend auf<br />

den Kurzgeschichten von Damon Runyon) eher noch stringenter.<br />

Nathan Detroit, der illegale Würfelspiele organisiert,<br />

vermeidet es seit 14 Jahren, seine Verlobte, die Nachtclubsängerin<br />

Miss Adelaide (Marisha Wallace), zu heiraten. Schwester<br />

Sarah (Celinde Schoenmaker) von der Heilsarmee will<br />

Seelen retten, verliebt sich aber unerwartet in den eleganten<br />

Berufsspieler Sky Masterson (Andrew Richardson).<br />

Die Besetzung der vier Hauptrollen ist genau auf den<br />

Punkt, aber was das Revival von »Guys and Dolls« wirklich<br />

außergewöhnlich macht, ist das Rollenporträt von Marisha<br />

Wallace als Adelaide. Traditionell wurde Adelaide <strong>mit</strong> einer<br />

babypuppenartigen, quietschstimmigen Sängerin besetzt,<br />

aber hier ist das ganz anders. Wallaces Adelaide ist eine<br />

große, vollbusige metallisch-stimmliche Naturgewalt und<br />

offensichtlich eine Stripperin. Wenn der Rest der Besetzung<br />

nicht so gut wäre, würde sie absolut die Show dominieren –<br />

sie hat den Showstopper ›Take Back Your Mink‹; und was sie<br />

hier zeigt, ist nicht niedliches Varieté, sondern rassiger Striptease<br />

(kein Spoiler, aber manchmal IST eine Karotte eine<br />

Zigarre). Später bringt Wallace das Haus zum Explodieren<br />

<strong>mit</strong> ›Adelaide´s Lament‹.<br />

In einer anderen Neuerung inhaltlicher Art enden Masterson<br />

und Sarah, die er überzeugt hat, <strong>mit</strong> ihm nach Kuba<br />

zu fahren, in einer Schwulenbar, wo die Trink- und Tanznummer<br />

›Havana‹ stattfindet und wo Masterson sich <strong>mit</strong><br />

einem muskelbepackten Gast einlässt. Sarah kommt hinzu,<br />

Chaos bricht aus und sie und Masterson entkommen gerade<br />

so der entstehenden Massenschlägerei. Die Choreographie<br />

von Arlene Phillips und James Cousins ist in der Nummer<br />

›Crapshooters´ Ballet‹ besonders körperbetont; es ist beeindruckend,<br />

wie sich das gesamte männliche Ensemble auf einer<br />

relativ kleinen und hochgefahrenen Plattform so athletisch<br />

bewegen kann.<br />

Der größte Publikumshit ist die Ensemblenummer ›Sit<br />

Down, You´re Rockin´ the Boat‹, angeführt von Simon<br />

Anthony, Zweitbesetzung von Nicely-Nicely in der besuchten<br />

Vorstellung. Das 14-köpfige Orchester ist wunderbar, genau<br />

wie die Arrangements (Loessers Partitur ist eh eine der besten<br />

<strong>Musical</strong>partituren überhaupt). Wenn man diese Produktion<br />

von »Guys and Dolls« auf einer London-Reise sieht – und das<br />

sollte man – sollte man bis nach dem Applaus bleiben. Die<br />

Party geht <strong>mit</strong> Tanz im Publikum <strong>mit</strong> einzelnen Cast<strong>mit</strong>gliedern<br />

weiter. Dieses »Guys and Dolls« ist von Anfang bis Ende<br />

ein absolutes Vergnügen.<br />

Dan Dwyer<br />

Dt. von Merit Murray<br />

80<br />

blickpunkt musical <strong>06</strong>/20<strong>23</strong>


Großbritannien in Concert<br />

Tribut an einen genialen Komponisten<br />

und Librettisten<br />

»Stephen Sondheim´s Old Friends« in London<br />

Die Welt kann immer wieder eine Sondheim-Revue<br />

gebrauchen, besonders eine, die noch der Meister<br />

selbst entworfen hatte. Mit »Old Friends« findet man<br />

diese am Gielgud Theatre in London. Die Entstehung<br />

des Projekts geht noch auf die Vor-Corona-Zeit zurück,<br />

als Sondheim dem britischen Theater- und <strong>Musical</strong>-<br />

Impresario Cameron Mackintosh vorschlug, dass es<br />

Zeit sei für eine dritte Revue (nach »Side by Side by<br />

Sondheim« (1976) und »Putting It Together« (1992),<br />

die ebenfalls beide von Mackintosh produziert wurden).<br />

Bedingt durch Sondheims Tod im vergangenen Jahr<br />

wurde »Old Friends« nicht nur ein Tribut an einen der<br />

größten Komponisten und Librettisten Amerikas, sondern<br />

auch eine elegante Reflexion eines staunenswerten<br />

Vermächtnisses an das Musiktheater, voll von Heiterkeit,<br />

Witz und Schärfe. Und Mackintosh, der die Show<br />

entwickelte, schafft eine brillante Version davon.<br />

Angemessen für diesen Anlass sind zwei der größten<br />

Diven der <strong>Musical</strong>welt die Stars der Show: Bernadette<br />

Peters und Lea Salonga. Peters ist eine prominente<br />

Figur im Sondheim-Universum <strong>mit</strong> unsterblichen<br />

Rollenporträts in »Sunday in the Park With George«<br />

und »Into the Woods«. Salongas Durchbruch war vor<br />

Jahrzehnten die Hauptrolle in »Miss Saigon« in der<br />

Produktion von Cameron Mackintosh. Wer könnte<br />

also eine bessere Perspektive auf Sondheims Werk werfen<br />

als diese beiden?<br />

Peters und Salonga werden von 13 erfahrenen<br />

West-End-Darstellern in der einwandfreien Regie von<br />

Matthew Bourne und Julia McKenzie, die selber in vielen<br />

Londoner Sondheim-Produktionen auf der Bühne<br />

gestanden haben, unterstützt. Die Choreographie<br />

stammt von Stephen Mear. Die Produktion enthält fast<br />

40 Sondheim-Songs, neue Arrangements von Stephen<br />

Metcalfe sind inspiriert von der Arbeit von Jonathan<br />

Tunick, der mehr Sondheim-Werke arrangiert hat als<br />

jeder andere.<br />

Man hatte sich weise dafür entschieden, Blöcke von<br />

Songs aus den prominentesten Sondheim-Stücken in<br />

halbszenischer Version zusammenzustellen. Die Blöcke<br />

waren mehr als Medleys, »Company«, »Sweeney Todd«,<br />

»Into the Woods« und »Follies« riefen Erinnerungen<br />

an die hinreißenden originalen Produktionen wach.<br />

Dazwischen sind lückenlos einfügt nicht nur Klassiker<br />

wie ›Comedy Tonight‹ (aus »A Funny Thing Happened<br />

on the Way to the Forum«) und ›Not a Day Goes By‹<br />

(aus »Merrily We Roll Along«), sondern auch unbekanntere<br />

Juwelen wie ›Live Alone and Like It‹ (aus dem<br />

Film-Soundtrack von »Dick Tracy«) und das überaus<br />

witzige ›The Boy From …‹ (aus »The Mad Show«).<br />

Jede Nummer bleibt in Erinnerung, aber am beeindruckendsten<br />

waren vier Höhepunkte: ›Loving You‹,<br />

vielleicht Sondheims einfachste und elegischste Komposition,<br />

ist eine sehr kurze Nummer aus »Passion«. Es<br />

wird hier von Salonga nicht nur unter die Haut gehend<br />

dargeboten, sondern erhält auch eine erweiterte Orchestrierung,<br />

die den lieblichen Schmerz seiner Melodie<br />

voll enthüllt. Ein weiterer Solist, Jason Pennycooke,<br />

lieferte die manischste und körperlichste Interpretation<br />

von ›Buddy´s Blues‹ (im »Follies«-Teil), die man je erlebt<br />

hat. ›You Gotta Get a Gimmick‹ (aus »Gypsy«) ist der<br />

komödiantische Höhepunkt der Show. Peters selbst<br />

»strump(s) with a trumpet« (dt. stampft <strong>mit</strong> der Trompete).<br />

Das beeindruckenste Solo von Peters ist eines der<br />

besten Liebeslieder, das je geschrieben wurde: ›Losing<br />

My Mind‹. Hier<strong>mit</strong> zieht sie das ganze Theater in ihren<br />

Bann.<br />

Das Bühnenbild von Matt Kinley ist genauso<br />

hochqualitativ wie das musikalische Material. Das<br />

14-köpfige Orchester sitzt auf einem Podest am oberen<br />

Ende einer kurzen ansteigenden Treppe. Verschiedene<br />

Vorhänge geben den verschiedenen Segmenten einen<br />

eigenen Rahmen. Die Bühne erinnert abwechselnd<br />

an eine Konzerthalle, ein Revue- oder ein Vaudeville-<br />

Theater, die die musikalischen Genres hervorgebracht<br />

haben, die Sondheim in seinen Werken verarbeitet hat.<br />

Das passende Finale ist das rauschhafte ›Side by Side<br />

by Side‹: Während das Publikum den Saal verlässt,<br />

hören wir eine Aufnahme von Sondheim, wie er ›Love<br />

Is in the Air‹ singt. Der Meister lebt weiter durch sein<br />

Vermächtnis.<br />

Dan Dwyer<br />

Dt. von Merit Murray<br />

Abb. oben:<br />

Die Solisten von »Stephen<br />

Sondheim´s Old Friends«<br />

Abb. unten:<br />

Stars der Show waren zwei der<br />

größten Diven der <strong>Musical</strong>welt: Lea<br />

Salonga und Bernadette Peters<br />

Fotos (2): Danny Kaan<br />

blickpunkt musical <strong>06</strong>/20<strong>23</strong><br />

81


Ausblick blickpunkt musical <strong>Ausgabe</strong> 127<br />

Die Weihnachtszeit bringt im deutschsprachigen Raum immer<br />

auch jede Menge Weihnachtsmusicals sowie Weihnachtsshows<br />

(zum Beispiel von Felix Martin, Chris Murray, Florian Hinxlage<br />

oder Kevin Tarte) <strong>mit</strong> sich.<br />

Einige davon werden wir für unitedmusicals.de besprechen, wenn<br />

sie allerdings so groß angelegt sind wie »Die Weihnachtsbäckerei«<br />

<strong>mit</strong> den Hits von Rolf Zuckowski, dann finden die Rezensionen<br />

selbstverständlich auch den Weg in unsere kommende<br />

Printausgabe.<br />

Außerdem feiert nach einigen Jahren Abstinenz »Les Misérables«<br />

wieder einmal Premiere, dieses Mal als Co-Produktion in St. Gallen<br />

und München. Sehr spannend wird auch die Uraufführung<br />

von »Kasimir und Karoline« in Hannover, genauso schauen wir<br />

natürlich nach Düsseldorf, wo das neue Chormusical »Bethlehem«<br />

erstmalig aufgeführt wird. Und in Berlin überrascht die BVG<br />

<strong>mit</strong> einer <strong>Musical</strong>show - »Tarifzone Liebe« wartet <strong>mit</strong> bekannten<br />

Sänger:innen auf und war innerhalb kürzester Zeit ausverkauft.<br />

In Österreich dürfen sich die Zuschauer u. a. auf die österreichische<br />

Erstaufführung der <strong>Musical</strong>komödie »Tootsie« in Linz, auf<br />

das schwungvolle »Crazy For You« in Graz, »Singin´ in the Rain«<br />

in Salzburg sowie auf »Sunset Boulevard« in Innsbruck freuen. Sie<br />

sehen, es werden spannende Wochen, die die Theaterwelt für uns<br />

bereithält und auf die wir uns bereits freuen!<br />

Singin´ in the Rain<br />

Foto: SLT / Anna-Maria Löffelberger<br />

Impressum<br />

UM Verlag und Medien GmbH<br />

Schütte-Lanz-Str. 34a<br />

12209 Berlin<br />

Abonnements<br />

Tel. +49 (0)30 50 59 69 59<br />

Herausgeber und Verlag<br />

UM Verlag und Medien GmbH<br />

office@umverlag.de<br />

Redaktion<br />

blickpunkt musical<br />

Schütte-Lanz-Str. 34a<br />

12209 Berlin<br />

redaktion@umverlag.de<br />

Chefredaktion<br />

Sabine Haydn<br />

sabine.haydn@umverlag.de<br />

Bildredaktion<br />

Birgit Bernds<br />

birgit.bernds@umverlag.de<br />

Layout<br />

Jürgen Kretten<br />

Mitarbeiter/innen<br />

Birgit Bernds<br />

Sandy Kolbuch<br />

Merit Murray<br />

Autorinnen und Autoren dieser <strong>Ausgabe</strong><br />

Eva Baldauf<br />

Susanne Baum<br />

Birgit Bernds<br />

Dr. Stephan Drewianka<br />

Dan Dwyer<br />

Sabine Haydn<br />

Martina Friedrich<br />

Ingrid Kernbach<br />

Sandy Kolbuch<br />

Merit Murray<br />

Richard C. Norton<br />

Ludovico Lucchesi Palli<br />

Mina Piston<br />

Rosalie Rosenbusch<br />

Sabine Schereck<br />

Stefan Schön<br />

Steffen Wagner<br />

Übersetzungen<br />

Merit Murray<br />

Versand<br />

Tina Wünsch<br />

Marketing/Anzeigen<br />

Oliver Wünsch (V.i.S.d.P)<br />

oliver.wuensch@umverlag.de<br />

Tel. +49 (0)30 50 59 69 59<br />

Es gilt unsere Anzeigenpreisliste<br />

Nr. 26 vom 1. Januar 20<strong>23</strong><br />

Abonnements-Bedingungen<br />

Preis der Zeitschrift im freien Verkauf:<br />

€ 7,00; Jahresabo: € 37,90. Abonnements können jederzeit<br />

zum Ablauf des jeweils laufenden Abonnementjahres<br />

gekündigt werden. Wird nicht zwei Monate vor Ablauf gekündigt,<br />

verlängert sich das Abonnement jeweils um ein<br />

weiteres Jahr.<br />

Ermäßigte Abonnementpreise für Schüler und Studenten<br />

unter Zusendung eines Nachweises und Anerkennung<br />

durch den Verlag. Näheres auf www.blickpunktmusical.de<br />

Urheber- und Nutzungsrechte<br />

Alle Rechte vorbehalten. Reproduktion, Übersetzung in<br />

fremde Sprachen, Mikroverfilmung und elektronische Verarbeitung<br />

sowie jede andere Art der Wiedergabe nur <strong>mit</strong><br />

schriftlicher Genehmigung des Verlages. Eine Verwertung<br />

ohne ausdrückliche Genehmigung ist strafbar. Namentlich<br />

gekennzeichnete Artikel stellen nicht in jedem Fall die<br />

Meinung der Redaktion dar. Für unverlangt eingesandte<br />

Manuskripte und Fotos wird keine Haftung übernommen.<br />

82<br />

blickpunkt musical <strong>06</strong>/20<strong>23</strong>


Richard O’Brien’s<br />

TICKETS<br />

AB SOFORT<br />

ERHÄLTLICH<br />

28.6.–7.7.<strong>24</strong><br />

Donau-Arena<br />

Tickets an der Theaterkasse oder<br />

online: www.theaterregensburg.de<br />

Mit freundlicher<br />

Unterstützung


<strong>Musical</strong>s in Großbritannien<br />

Mit revolutionärem Haarschnitt zum Weltruhm<br />

»Close-Up: The Twiggy <strong>Musical</strong>« uraufgeführt an der Menier Chocolate Factory<br />

Abb. oben:<br />

Twiggy (Elena Skye) hat einen<br />

neuen Haarschnitt, der zum<br />

Trendsetter wird und sie zur<br />

Modeikone macht<br />

Foto: Manuel Harlan<br />

Close-Up:<br />

The Twiggy <strong>Musical</strong><br />

Diverse / Ben Elton<br />

Menier Chocolate Factory London<br />

Uraufführung: 28. September 20<strong>23</strong><br />

Direction ............................. Ben Elton<br />

Music Direction,<br />

Orchestration &<br />

<strong>Musical</strong> Supervision ........Stuart Morley<br />

Choreography &<br />

Movement Direction ........Jacob Fearey<br />

Set Design .............................. Tim Bird<br />

Costume Design........ Jonathan Lipman<br />

Hair, Wigs & Make-up Design...............<br />

Diana Estrada Hudson<br />

Lighting Design........... Philip Gladwell<br />

Video Design.................... Tim Blazdell<br />

Sound Design............. Gregory Clarke<br />

Twiggy ................................. Elena Skye<br />

Nell Hornby .............. Hannah-Jane Fox<br />

Norman Hornby ............... Steven Serlin<br />

Cindy ................................ Aoife Dunne<br />

Sally ................................. Beth Devine<br />

Kay ........ Lauren Azania AJ King-Yombo<br />

Justin de Villeneuve ........... Matt Corner<br />

Michael Witney .................. Darren Day<br />

In weiteren Rollen:<br />

Emma-Katie Adcock, Liam Buckland,<br />

Harriet Bunton, Leanne Garretty,<br />

Luke Johnson, David McIntosh,<br />

Danny Nattrass, Sydney Spencer,<br />

Karen Walker<br />

Twiggy ist in Großbritannien die Stil-Ikone der 1960er<br />

Jahre. Der jungenhafte Kurzhaarschnitt und die großen<br />

Augen katapultierten sie 1967 zu Weltruhm, als sie auf dem<br />

Cover der Vogue erschien. Ein Jahr zuvor wurde sie zu »The<br />

Face of 1966« gewählt – da war sie gerade einmal 16 Jahre<br />

alt. Twiggy gehört zu den Lieblingen der Nation, und ihr<br />

Leben über ein <strong>Musical</strong> zu erzählen funktioniert großartig.<br />

Ben Elton schrieb das Buch und übernahm die Regie, sodass<br />

ein amüsanter Abend entstand, der ebenso zum Nachdenken<br />

anregt. Es gibt zwar keine eigens dafür geschriebene<br />

Musik, aber der Soundtrack der 1960er und 1970er Jahre<br />

bietet vertraute Pop-Melodien, darunter ›Downtown‹, ›Just<br />

One Look‹, ›Young Girl‹, ›You Don´t Own Me‹.<br />

Timothy Birds Bühnenbild bringt die Essenz der Story<br />

großartig auf mehreren Ebenen herüber, beispielsweise über<br />

die aus Quadraten bestehende Rückwand, die das quadratische<br />

Format der damaligen Fotoaufnahmen reflektiert.<br />

Gleichzeitig dient die Wand als Projektionsfläche oder<br />

erzeugt über Licht einen Ort der Londoner Szene. Davor<br />

ausgerollt ist ein weißer Papierhintergrund wie in einem<br />

Fotostudio. Für das Supermodel, das aus dem Teenager<br />

geworden ist, ein zentraler Ort – so beginnt auch die<br />

Geschichte <strong>mit</strong> den Sound- und Lichteffekten einer knipsenden<br />

Kamera.<br />

Das Besondere an Twiggys Geschichte ist, dass sie bereits<br />

in jungen Jahren in diese Supermodelwelt hineinrutscht –<br />

etwas, das sich ein Mädchen wie sie aus der Arbeiterklasse<br />

in London nie erträumt hätte. Zudem entsprach Twiggy<br />

<strong>mit</strong> ihrer bescheidenen Größe und ihrer schlanken-androgynen<br />

Figur allem anderen als dem damaligen Bild eines<br />

Supermodels.<br />

Das <strong>Musical</strong> zeichnet ihre Karriere nach und flicht ihr<br />

Leben abseits des Blitz- und Rampenlichts <strong>mit</strong> ein. Es gibt<br />

einen liebevollen Einblick in ihr Elternhaus, in dem sie im<br />

London der 1950er Jahre groß wird. Es sind warmherzige<br />

Eltern (Steven Serlin, Hannah-Jane Fox), wobei die Mutter<br />

unter psychischen Problemen leidet. Die häuslichen Dramen<br />

werden von Elton pointiert skizziert, sodass selbst in kurzen<br />

Szenen die ganze emotionale Welt, die sich dahinter<br />

erstreckt, nachzuempfinden ist, z.B. als Twiggys Mutter in<br />

die Klinik eingewiesen und <strong>mit</strong> Elektroschocks behandelt<br />

wird. Der Hinweis einer jungen Ärztin, dass die Ursache<br />

für den Zustand der Mutter woanders liegen könnte und<br />

dementsprechend behandelt werden sollte, wird von ihren<br />

männlichen Kollegen völlig ignoriert. Dieser kurze Wortwechsel,<br />

scheinbar am Rande, verdeutlicht eine weitere<br />

Stärke des Stücks: das Aufgreifen von Zeitgeschichte <strong>mit</strong><br />

Blick auf die Position der Frau in der Gesellschaft. Obwohl<br />

die Handlung in der Vergangenheit spielt, verliert Elton nie<br />

den Bezug zum heutigen Publikum, das andere Benimmregeln<br />

eingeprägt bekommt. So lässt Elton Twiggy (Elena<br />

Skye) zuweilen das Publikum direkt ansprechen und einiges<br />

erklären. Das gilt auch für ihre Freundinnen Cindy (Aoife<br />

Dunne) und Sally (Beth Devine). Schauplatz Schule: Cindy<br />

wird gehänselt, weil sie recht großzügige Körpermaße hat.<br />

Sie steht dazu und erklärt, dass man ja heute nicht mehr<br />

sagen würde, dass jemand fett (›Fat‹) sei. Aber damals war<br />

das so und sie nimmt den Begriff nüchtern hin, da er ihren<br />

Körper einfach und unverklärt beschreibt. Twiggy hingegen<br />

ist herablassenden Kommentaren ausgesetzt, die ihre<br />

spindeldürre Figur betreffen. Heute, darauf weisen beide<br />

Mädels hin, wäre dieses Verhalten als ›Body Shaming‹ verpönt.<br />

Besonders im Gedächtnis bleibt Twiggys erhellende<br />

Beobachtung, dass Frauen stets anhand ihres Körper bewertet<br />

werden. Dabei hat sie so einiges erlebt, obwohl sich ihr<br />

Körper per se gar nicht geändert hat. In der Schule wurde<br />

er missbilligt, als Model wurde er gefeiert und später von<br />

der Gesellschaft als kriminell (›Criminal‹) verurteilt, weil er<br />

junge Mädchen zur Magersucht verleite. Die bloßen Fotos<br />

von ihr verraten nicht, dass sie stets einen gesunden Appetit<br />

hatte bzw. hat, denn sie lebt noch. Weiter verweist sie darauf,<br />

wie sonderbar es ist, dass gewisse Figuren von Frauen mal in<br />

Mode und dann wieder aus der Mode kommen. Das zeigt<br />

sich ironischerweise an ihrer künstlerischen Laufbahn. 1971<br />

84<br />

blickpunkt musical <strong>06</strong>/20<strong>23</strong>


<strong>Musical</strong>s in Großbritannien<br />

spielte sie in dem Film »The Boy Friend« und 1983 in dem<br />

Broadway-<strong>Musical</strong> »My One and Only«, beides Stücke, die<br />

in den 1920er Jahren spielen, in denen eine schlanke androgyne<br />

Figur eben Mode war.<br />

Die wahre Geschichte und klugen Worte haben bereits<br />

ihren Reiz, aber es ist die temporeiche, humorvolle und<br />

charmante Umsetzung, die die Produktion sehenswert<br />

machen.<br />

Da lernen wir den Teenager Twiggy kennen, der sich<br />

für Mode interessiert und selbst Kleider näht, sogar für ihre<br />

Freundinnen. Sie träumt davon, Modedesignerin zu werden.<br />

Mit dem Geld, das sie als Model verdient, erfüllt sie sich<br />

den Traum. Enttäuscht muss sie dann feststellen, dass gar<br />

nicht die von ihr gewünschten Materialien und Schnitte<br />

verwendet werden und sich ihr Manager – wie soll es auch<br />

anders sein – übermäßig an ihr bereichert. Ihr Manager ist<br />

ihr Freund Justin de Villeneuve (Matt Corner). Sie ist 15,<br />

er 25 Jahre alt. Eigentlich heißt er Nigel Davies, aber sein<br />

neu angenommener Name lässt leicht erkennen, dass er als<br />

Geschäftsmann hoch hinaus möchte und viel von sich hält.<br />

Das wird in der Inszenierung bestens rübergebracht, als er<br />

noch vor seiner eigentlichen Einführung in die Handlung<br />

schon in die Szene platzt und später, nachdem er in Twiggys<br />

Leben buchstäblich keine Rolle mehr spielt, schwer von der<br />

Bühne zu bekommen ist. Solch eine selbstverliebte Figur hat<br />

man noch nicht gesehen, sie ist aber urkomisch.<br />

Eingebettet ist das Ganze ins Zeitkolorit der 1960er<br />

Jahre <strong>mit</strong> knalligen Farben, <strong>mit</strong> denen Aufbruchstimmung<br />

und Lebensfreude verdeutlicht wird. In den 1970er Jahren<br />

dominiert ein anderer Grundton, mehr Moll als Dur.<br />

Nach der Trennung von Justin folgt eine Filmkarriere in<br />

Amerika und die Beziehung zum viel älteren Schauspieler<br />

Michael Witney (Darren Day). Die Liebe sitzt tief, so auch<br />

die Schmerzen, als sie erkennt, dass er Alkoholiker ist. Sie<br />

flieht in eine Karriere als Sängerin und tritt regelmäßig in<br />

Großbritannien auf.<br />

Optisch werden die Jahrzehnte klar durch Jonathan<br />

Lipmans Kostüme unterschieden: Bonbonfarben und<br />

möglichst kurze Kleider in den 1960er Jahren, die stark <strong>mit</strong><br />

den gedämpften Farben und möglichst langen Kleidern der<br />

1970er Jahre kontrastieren. Natürlich kommen nun auch<br />

Hosen ins Spiel.<br />

Während der erste Teil viel zu geben hat, ist der zweite<br />

weniger berauschend. Er reicht bis in die 1980er Jahre<br />

hinein, als sie im <strong>Musical</strong> »My One and Only« auch ihre<br />

tänzerischen Fähigkeiten unter Beweis stellen muss. In diese<br />

Zeit fällt auch Michaels unerwarteter Tod, der sie sehr trifft.<br />

Natürlich endet das <strong>Musical</strong> auf einer positiven Note, nämlich<br />

<strong>mit</strong> all ihren weiteren Leistungen und Würdigungen,<br />

die Twiggy erhalten hat.<br />

Elena Skye gibt eine hervorragende Twiggy und überzeugt<br />

<strong>mit</strong> ihrer kräftigen Stimme. Darren Day als Michael<br />

nimmt man weder die Figur noch die Beziehung zu Twiggy<br />

ab. Dafür leuchten die Darstellerinnen Aoife Dunne, Beth<br />

Devine und später Lauren Azania AJ King-Yombo als Twiggys<br />

Freundinnen umso mehr. Das erstklassige Ensemble<br />

übernimmt bestens weitere Figuren.<br />

Trotz der Schwächen wäre es schön, das Stück auch<br />

über Englands Grenzen hinaus zu sehen, da die wahre<br />

Geschichte und das Thema heute viel zu sagen haben.<br />

Sabine Schereck<br />

Abb. unten von oben links:<br />

1. Twiggy (Elena Skye, Mitte) <strong>mit</strong><br />

ihren Freundinnen Sally (Beth<br />

Devine, l.) und Cindy (Aoife Dunne,<br />

r.), denen sie jeweils ein Kleid<br />

geschneidert hat<br />

2. Twiggy (Elena Skye) <strong>mit</strong> ihrem<br />

Mann, dem amerikanischen Schauspieler<br />

Michael Witney (Darren Day),<br />

der sich als Alkoholiker herausstellt<br />

3. Twiggys Mutter Nell Hornby<br />

(Hannah-Jane Fox, Mitte) kurz nach<br />

Twiggys Geburt, die <strong>mit</strong> anderen<br />

Müttern das optimistische ›I Believe‹<br />

singt<br />

4. Twiggy (Elena Skye, vorne Mitte<br />

r., <strong>mit</strong> Ensemble) in einem Modegeschäft<br />

<strong>mit</strong> Justin de Villeneuve<br />

(Matt Corner, vorne Mitte l.), der ihr<br />

Manager und erster Freund wird<br />

5. Twiggy (Elena Skye <strong>mit</strong> Ensemble)<br />

in den frühen 1960er Jahren<br />

Fotos (5): Manuel Harlan<br />

blickpunkt musical <strong>06</strong>/20<strong>23</strong><br />

85


<strong>Musical</strong>s Großbritannien<br />

Im Wirbel der Zeit<br />

»The Time Traveller´s Wife« am Apollo Theatre in London<br />

Abb. oben von links:<br />

1. Henry (David Hunter) <strong>mit</strong> dem<br />

befreundeten Paar Gomez (Tim Mahendran)<br />

und Charisse (Hiba Elchikhe) auf<br />

einer Ausstellung von Clares Kunst<br />

2. Die Bücherei, in der Clare (Joanna<br />

Woodward) und Henry (David Hunter)<br />

aufeinandertreffen<br />

Fotos (2): Johan Persson<br />

The Time Traveller´s Wife<br />

Joss Stone / Dave Stewart /<br />

Nick Finlow / Kait Kerrygan /<br />

Lauren Gunderson<br />

Apollo Theatre London<br />

Premiere: 1. November 20<strong>23</strong><br />

Direction ...................... Bill Buckhurst<br />

<strong>Musical</strong> Director...... Katharine Wooley<br />

<strong>Musical</strong> Supervision &<br />

Arrangements .................. Nick Finlow<br />

Orchestrations ......................................<br />

Malcolm Edmonstone<br />

Choreography............ Shelley Maxwell<br />

Production Design &<br />

Additional Illustrations.........................<br />

..................................... Anna Fleischle<br />

Wigs, Hair &<br />

Make Up Design.......... Susanna Peretz<br />

Video Design .......... Andrzej Goulding<br />

Illusions............................ Chris Fisher<br />

Lighting Design............. Rory Beaton &<br />

Lucy Carter<br />

Sound Design............. Richard Brooker<br />

& Pete Malkin<br />

Henry .............................. David Hunter<br />

Clare ........................ Joanna Woodward<br />

Dr Kendrick ....................... Helena Pipe<br />

Henrys Vater ...................... Ross Dawes<br />

Charisse .......................... Hiba Elchikhe<br />

Clares Vater ..................... Irfan Damani<br />

Clares Mutter ............... Alexandra Doar<br />

Gomez ....................... Tim Mahendran<br />

Henrys Mutter ................ Sorelle Marsh<br />

Jason / Mark ........................ Alex Lodge<br />

Old Clare ........................ Alwyne Taylor<br />

Young Clare / Alba .......... Ava Critchell /<br />

Lily Hanna / Poppy Pawson /<br />

Holly-Jade Roberts<br />

In weiteren Rollen:<br />

Billie Hardy, Daniel George-Wright,<br />

Serina Mathew, Nathaniel Purnell,<br />

Bobby Windebank<br />

Die inzwischen übliche Routine ist: Bestseller, Film,<br />

letztes Jahr eine TV-Serie, nun <strong>Musical</strong>: Basierend<br />

auf Audrey Niffeneggers gleichnamigen Roman<br />

von 2003 gibt hier der Titel bereits die Handlung<br />

vor: »Die Frau des Zeitreisenden«. Sie, Clare (Joanna<br />

Woodward), bleibt in ihrem Leben, das chronologisch<br />

in gewohnter Manier voranschreitet, während er,<br />

Henry (David Hunter), zeitlich unfreiwillig hin- und<br />

herspringt und immer wieder in ihr Leben hineinschneit.<br />

Interessanterweise tut er dies in verschiedenen<br />

Lebensjahren, mal jünger, mal älter. Bei ihrer ersten<br />

Begegnung ist sie 6 Jahre alt und malt friedlich auf<br />

einer Wiese, als er aus dem Nichts auftaucht und 36<br />

ist. Da er quasi aus der Zukunft kommt, weiß er, wie<br />

sich ihr Leben entwickelt. In ihren Gesprächen sickert<br />

auch von diesem Wissen immer wieder etwas durch.<br />

Geschickt werden hier Zeiten und Erlebnisse verwoben,<br />

die ausgeklügelte Geschichte erzählt sich über<br />

Momentaufnahmen, die sich zu einem Bild und einer<br />

Handlung zusammenfügen. Allerdings gibt es wenige<br />

Wendepunkte und kaum einen Spannungsbogen, der<br />

bis zum Ende <strong>mit</strong>fiebern lässt.<br />

Lauren Gunderson hat für die Bühne eine Version<br />

geschaffen, die die Handlung gut verdichtet und die<br />

Figuren stärker herausarbeitet, insbesondere Clare.<br />

Aus ihrer Perspektive wird erzählt – anders als im<br />

Buch, wo beide Seiten zu Wort kommen, oder im<br />

Film, wo aus seiner Sicht erzählt wird. Clares Arbeit<br />

als Künstlerin kommt mehr zur Geltung. Dies gibt ihr<br />

eine Identität, die über die der liebenden Frau hinausgeht.<br />

Auch ihre Freunde Gomez (Tim Mahendran)<br />

und Charisse (Hiba Elchikhe) haben mehr Profil, Präsenz<br />

und Lebendigkeit, und die Beziehung zwischen<br />

den Paaren ist so geschrieben, dass ihre Tiefe ohne<br />

große Worte auskommt. Es ist ebenso schön, dass Dr.<br />

Kendrick hier kein weißer Mann Mitte 50 ist, sondern<br />

eine schwarze Frau <strong>mit</strong> Kind, an die sich Henry wendet,<br />

um sein Zeitreisen zu verstehen.<br />

Um Henry aus dem Nichts erscheinen und verschwinden<br />

zu lassen, hat ein Dreier-Team daran<br />

gearbeitet: Anna Fleischle hat das grundlegende<br />

Bühnenbild und Video-Illustrationen geschaffen,<br />

Andrzej Goulding lieferte das Video-Design und<br />

Animationen und Chris Fisher die Illusionen. Dabei<br />

ist Fleischles Bühne eine Kombination aus tatsächlichen<br />

Möbeln und Projektionsfläche, die manchen<br />

Orten eine zusätzliche, oft emotionale Dimension<br />

gibt, beispielsweise in jenem Apartment, in dem Henrys<br />

Vater zurückgezogen und vergrämt wohnt. Da<br />

sind die grünen, verblassten Tapeten einerseits und im<br />

Hintergrund schwarz-weiß die Skyline einer City bei<br />

Nacht andererseits, was seine Einsamkeit noch stärker<br />

hervorhebt.<br />

Im Zentrum der Erzählung stehen natürlich Clare<br />

und Henry. Woodward und Hunter geben ein schönes<br />

Paar ab. Man wünscht sich jedoch für sie eine etwas<br />

inspiriertere Regie als die von Bill Buckhurst, die lediglich<br />

illustriert, aber nichts spüren lässt. Leider hilft die<br />

Musik von Dave Stewart und Joss Stone auch nicht.<br />

Beide sind zwar in der Popwelt etablierte Künstler<br />

(Dave Stewart war eine Hälfte der Band »Eurythmics«<br />

und Joss Stone schreibt fantastischen Soul), aber für<br />

ein <strong>Musical</strong> reichen ihre hierfür geschaffenen Songs<br />

nicht. Es sind primär Pop- und Rocksongs ohne eigenen<br />

Charakter <strong>mit</strong> banalen Zeilen wie »I don´t need to<br />

see tomorrow, to see your smile« in ›On and On‹. Es<br />

klingt konstruiert. Einzig das swingende ›A Woman´s<br />

Intuition‹ bringt etwas Leben hinein. Gerade bei einer<br />

Story, die sich über mehre Jahrzehnte erstreckt – ab<br />

den 1960er Jahren vorwärts – hätte man auf verschiedene<br />

Stile zurückgreifen können.<br />

Dennoch gibt es schöne Momente, wie am Ende,<br />

als Clare, Henry und ihre Tochter gemeinsam Kunst<br />

machen und selige Zeiten verbringen. Oder am<br />

Anfang, als Henry beim ersten Date ein Bündel Wiesenblumen<br />

<strong>mit</strong>bringt, obwohl er sie noch gar nicht<br />

kennt. Das passt besser als die Rosen, die im Roman<br />

stehen. Dankbar ist man auch für den Humor, der<br />

das Schauspiel durchzieht und dem Abend eine heitere<br />

Note verleiht. Darüber philosophieren, was solch<br />

ungewöhnliche Beziehung für ein Paar auf psychologischer<br />

Ebene bedeutet, kann man dann zu Hause.<br />

Sabine Schereck<br />

86<br />

blickpunkt musical <strong>06</strong>/20<strong>23</strong>


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blickpunkt musical <strong>06</strong>/20<strong>23</strong><br />

87


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6 Lizard Boy Hamburg<br />

8 Premierenübersicht<br />

Impressum<br />

In diesem Heft<br />

UM Verlag und Medien GmbH<br />

Schütte-Lanz-Str. 34a<br />

12209 Berlin<br />

Herausgeber und Verlag<br />

UM Verlag und Medien GmbH<br />

Redaktion<br />

redaktion@umverlag.de<br />

Redaktion, Grafik & Layout<br />

UM Verlag und Medien GmbH<br />

Oper Dortmund »RENT« Oben: Alex Snova, Patricia Meeden, Christof Messner, Bettina Mönch, David Jakobs, Lukas Mayer Unten: Julius Störmer,<br />

Antonia Kalinowski, Tamara Köhn, Friederike Zeidler, Jadelene Panésa, Richard-Salvador Wolff Foto: Thomas M. Jauk<br />

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Oliver Wünsch (V.i.S.d.P)<br />

oliver.wuensch@umverlag.de<br />

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Nr. 26 vom 1. Januar 20<strong>23</strong><br />

Urheber- und Nutzungsrechte<br />

Alle Rechte vorbehalten. Reproduktion, Übersetzung in fremde<br />

Sprachen, Mikroverfilmung und elektronische Verarbeitung<br />

sowie jede andere Art der Wiedergabe nur <strong>mit</strong> schriftlicher<br />

Genehmigung des Verlages. Eine Verwertung ohne ausdrückliche<br />

Genehmigung ist strafbar.<br />

Namentlich gekennzeichnete Artikel stellen nicht in jedem<br />

Fall die Meinung der Redaktion dar. Für unverlangt eingesandte<br />

Manuskripte und Fotos wird keine Haftung übernommen.<br />

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Für den Inhalt der Advertorials sind ausschließlich die jeweiligen<br />

Auftraggeber verantwortlich<br />

William A. Williams, Justin Huertas, Kiki deLohr<br />

Foto: Kevin Berne


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Dortmund<br />

»RENT«<br />

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Foto: Thomas M. Jauk<br />

Theater Dortmund<br />

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44137 Dortmund<br />

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Mo. - Sa. 10:00 Uhr - 18:30 Uhr<br />

ticketservice@theaterdo.de<br />

Gil Mehmerts Neuinszenierung des <strong>Musical</strong>-Welterfolgs<br />

»RENT« zaubert echtes Broadway-Feeling auf<br />

die Dortmunder Opernbühne. Jonathan Larson, der die<br />

Musik und das Textbuch zu »RENT« verfasste, ließ sich<br />

beim Schreiben seines <strong>Musical</strong>s stark von Giacomo Puccinis<br />

Opern-Klassiker »La Bohème« inspirieren. Auch wenn<br />

die beiden Stücke rund einhundert Jahre voneinander trennen,<br />

so erzählen sie doch – zumindest vordergründig – eine<br />

sehr ähnliche Geschichte: Junge (Lebens-)Künstler kämpfen<br />

in den Randbezirken der bürgerlichen Gesellschaft um<br />

ihre nackte Existenz. Doch anders als Puccinis Oper weist<br />

»RENT« einen ganz un<strong>mit</strong>telbaren Bezug zum Leben seines<br />

Verfassers auf: Denn genau wie die meisten Figuren im<br />

Stück, so stammte auch Jonathan Larson aus einfachsten<br />

Verhältnissen. Und genau wie sie, so hatte auch er sein gesamtes<br />

Leben intensiv der Kunst gewidmet. Mehr noch:<br />

Für fast alle wichtigen Figuren und Motive im Stück ließ<br />

sich der Autor un<strong>mit</strong>telbar von persönlichen Erlebnissen,<br />

eigenen Beziehungen und tatsächlichen Freundschaften inspirieren,<br />

denen er <strong>mit</strong> »RENT« ein Denkmal setzen wollte.<br />

Mit seinem <strong>Musical</strong> hoffte er gar das Gesicht des amerikanischen<br />

Musiktheaters grundlegend zu verändern, indem<br />

er darin seine Liebe zur Rockmusik und seine Liebe zum<br />

Broadway verband.<br />

Inhaltlich legte Larson <strong>mit</strong> »RENT« den Finger tief<br />

in die Wunden seiner eigenen Zeit, indem er darin schonungslos<br />

ökonomische Ungleichheit, Armut, Gentrifizierung,<br />

Obdachlosigkeit, Drogensucht und die »AIDS-Krise«<br />

der 1990er-Jahre thematisierte. Mit vollem Herzblut – und<br />

bis an den Rand der totalen Erschöpfung – widmete sich<br />

Larson der Verwirklichung seines Traums: »RENT« auf die<br />

Bühne zu bringen. Als es schließlich so weit war, sollte er<br />

den immensen Erfolg seines Stückes nicht mehr erleben:<br />

Kurz nach der allerersten Aufführung von »RENT« erlag<br />

Larson den Folgen eines Aortarisses, hervorgerufen durch<br />

einen Gendefekt und verhängnisvoll begünstigt durch die<br />

Anstrengungen bei der Realisierung seines Traums. So<strong>mit</strong><br />

lässt sich ohne weiteres sagen: Jonathan Larson ist an<br />

»RENT« gestorben. »RENT« hat ihn unsterblich gemacht.<br />

Oper Dortmund »La Bohème« Anna Sohn, Rinnat Moriah, Sergey Romanovsky, Mandla Mndebele, Morgan Moody,<br />

Denis Velev<br />

Foto: Björn Hickmann<br />

4<br />

Das am 25. Juni 1996 uraufgeführte <strong>Musical</strong>, das unter<br />

anderem <strong>mit</strong> einem Tony Award für das »Beste <strong>Musical</strong>«<br />

und einem Pulitzer-Preis für das »Beste Drama« ausgezeichnet<br />

wurde, lief bis 2008 ununterbrochen am Broadway und<br />

brachte es dort auf 5.1<strong>23</strong> Vorstellungen. Gil Mehmerts<br />

Neuinszenierung bringt »RENT« nun erstmals nach Dortmund.<br />

Mit dabei ist die erste Darstellerriege der deutschen<br />

<strong>Musical</strong>-Szene, so unter anderem David Jakobs als Roger<br />

Davis, Dominik Hees / Christof Messner als Mark Cohen,<br />

Patricia Meeden als Mimi Marquez und Bettina Mönch als<br />

blickpunkt musical <strong>Saisonvorschau</strong> 20<strong>23</strong>/<strong>24</strong>


Dortmund<br />

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Maureen Johnson. Begleitet wir das sechzehnköpfige <strong>Musical</strong>-Ensemble<br />

von einer Band, die Larsons Musikmix aus<br />

romantisch-leidenschaftlichen Balladen und rockig-elektrisierenden<br />

Songs schwungvoll auf die Bühne bringen wird.<br />

Hinweis: Am 10.12. ist »RENT« im Kombi-Ticket zusammen<br />

<strong>mit</strong> Puccinis Oper »La Bohème« am selben Tag auf<br />

der Dortmunder Opernbühne zu erleben. Außerdem findet<br />

im Anschluss an die »RENT«-Vorstellung am 1.12. – dem<br />

Tag der B-Premiere, in der Dominik Hees sein Debüt als<br />

Mark Cohen feiert – anlässlich des Welt-AIDS-Tags eine<br />

PRIDE NIGHT PARTY im Opernfoyer statt; in Kooperation<br />

<strong>mit</strong> der aidshilfe dortmund e.V.<br />

RENT<br />

Jonathan Larson / Billy Aronson<br />

Deutsch von Wolfgang Adenberg<br />

Oper Dortmund<br />

Premiere: 30. September 20<strong>23</strong><br />

Oper Dortmund »RENT« Christof Messner, Alex Snova, Lukas Mayer<br />

Foto: Thomas M. Jauk<br />

Regie ............................................................Gil Mehmert<br />

Musikalische Leitung ..... Jürgen Grimm & Karsten Scholz<br />

Choreographie.............................................. Melissa King<br />

Bühnenbild....................................................... Jens Kilian<br />

Kostüme .......................................................... Falk Bauer<br />

Lichtdesign ......................................... Michael Grundner<br />