Blickpunkt Musical 06-23 - Ausgabe 126 mit Saisonvorschau 2023-24
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<strong>Ausgabe</strong> <strong>126</strong> (<strong>06</strong>/20<strong>23</strong>)<br />
€ 7,00 (DE) • € 7,50 (EU)<br />
ISSN 1619-9421<br />
www.blickpunktmusical.de<br />
Abenteuerland<br />
Das <strong>Musical</strong> <strong>mit</strong> den Hits von »PUR«<br />
Der Medicus München<br />
Close-Up: The Twiggy <strong>Musical</strong> London<br />
DMA <strong>Musical</strong>preisverleihung Berlin<br />
Pferd frisst Hut Basel<br />
Rent Dortmund<br />
Rock Me Amadeus Wien
13.02.<strong>24</strong><br />
16.02.<strong>24</strong><br />
17.02.<strong>24</strong><br />
19.+20.02.<strong>24</strong><br />
21.02.<strong>24</strong><br />
<strong>23</strong>.02.<strong>24</strong><br />
<strong>24</strong>.+25.02.<strong>24</strong><br />
26.02.<strong>24</strong><br />
28.+29.02.<strong>24</strong><br />
01.03.<strong>24</strong><br />
02.03.<strong>24</strong><br />
FRANKFURT<br />
AUGSBURG<br />
MANNHEIM<br />
MÜNCHEN<br />
FÜSSEN<br />
DÜREN<br />
DUISBURG<br />
HAMBURG<br />
HANNOVER<br />
BREMEN<br />
LINGEN<br />
03.03.<strong>24</strong><br />
04.03.<strong>24</strong><br />
<strong>06</strong>.03.<strong>24</strong><br />
08.03.<strong>24</strong><br />
10.03.<strong>24</strong><br />
11.03.<strong>24</strong><br />
<strong>23</strong>.03.<strong>24</strong><br />
<strong>24</strong>.03.<strong>24</strong><br />
25.03.<strong>24</strong><br />
26.03.<strong>24</strong><br />
28.+30.03.<strong>24</strong><br />
WETZLAR<br />
LEIPZIG<br />
NÜRNBERG<br />
KIEL<br />
BIELEFELD<br />
BERLIN<br />
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LOVE-ROCK MUSICAL<br />
bis 2. 1. 20<strong>24</strong> / Landestheater<br />
Nacio Herb Brown<br />
SINGIN’ IN<br />
THE RAIN<br />
Ab 2. 12. 20<strong>23</strong> / Landestheater<br />
Richard Rodgers / Oscar Hammerstein II<br />
Jeff Lynne und John Farrar<br />
Ab 5. 1. 20<strong>24</strong> / Landestheater<br />
Ab 1. 6. 20<strong>24</strong> / Eisarena Salzburg<br />
TICKETS: Salzburger Landestheater / +43 (0)662 / 87 15 12 - 222 / www.salzburger-landestheater.at
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SeIbErt<br />
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DAS MUSICAL<br />
11. Juli bis 17. August 20<strong>24</strong><br />
Nach GEORGE BERNARD SHAWS „Pygmalion“ I Musik von FREDERICK LOEWE
Inhalt<br />
Inhalt<br />
<strong>Ausgabe</strong> <strong>126</strong>, Nr. <strong>06</strong>/20<strong>23</strong><br />
... kurz vorweg<br />
Topthema<br />
27<br />
Liebe Leserinnen und Leser,<br />
liebe Abonnentinnen und Abonnenten,<br />
vor uns liegt die Weihnachtzeit, landauf<br />
und landab begeistern nun <strong>Musical</strong>darsteller<br />
<strong>mit</strong> ihren Weihnachtsprogrammen,<br />
zum Teil schon gut erprobt,<br />
da sie alle Jahre wieder gespielt und<br />
gesungen werden – teilweise aber<br />
auch <strong>mit</strong> ganz neuen Ideen, die sehr<br />
verheißungsvoll klingen. Wir hoffen,<br />
dass Sie Teil des einen oder anderen<br />
wunderbaren Abends sein werden<br />
und hierdurch noch mehr von dem<br />
Charme dieser Jahreszeit aufsaugen<br />
können.<br />
Vielleicht haben Sie ja auch das eine<br />
oder andere <strong>Musical</strong>erlebnis, Ihre<br />
Traumbesetzung oder ein besonderes<br />
Stück auf Ihrem Wunschzettel. Wir<br />
drücken auf jeden Fall die Daumen,<br />
dass aus den Wünschen Wirklichkeit<br />
wird und <strong>mit</strong> dem Jahreswechsel nicht<br />
nur ein neues Jahr, sondern auch 366<br />
neue Möglichkeiten warten, um für<br />
Sie zu einmaligen Erlebnissen und lebenslangen<br />
Erinnerungen zu werden.<br />
Da<strong>mit</strong> dieses passiert, steht auf unserem<br />
Wunschzettel, dass wir Ihnen und<br />
Ihrer Familie Gesundheit wünschen,<br />
denn diese ist die Basis für alles, was<br />
unser Leben ausmacht.<br />
Im Namen der gesamten Redaktion<br />
und all der Helferlein im Hintergrund<br />
wünsche ich Ihnen ein wunderschönes,<br />
besinnliches Weihnachtsfest und<br />
einen guten Rutsch in ein gesundes,<br />
glückliches neues Jahr voller <strong>Musical</strong>momente.<br />
Herzliche Grüße,<br />
Sabine Haydn<br />
Chefredaktion der blickpunkt musical<br />
6 UA Abenteuerland Capitol Theater Düsseldorf<br />
<strong>Musical</strong>s in Deutschland<br />
22 UA A Tale of Two Cities Theater Hof<br />
40 Der Mann, der Sherlock Holmes war Theater Bielefeld<br />
36 DSE Der Medicus Deutsches Theater München<br />
34 Heiße Ecke – Geburtstagsshow<br />
Schmidts Tivoli Hamburg<br />
16 DSE Jason und die Argonauten Atze Musiktheater Berlin<br />
20 Marlene Renaissance-Theater Berlin<br />
14 Rent Oper Dortmund<br />
10 UA Schäl Sick Story Scala Theater Köln<br />
26 UA Showtime! Konzertaula Kamen<br />
27 UA SIXties Girls Capitol Theater Düsseldorf<br />
31 The Producers Musikalische Komödie Leipzig<br />
39 Titanic Freies <strong>Musical</strong>-Ensemble Münster<br />
42 Neues aus der <strong>Musical</strong>welt<br />
<strong>Musical</strong>s in Österreich<br />
54 I Love You, You're Perfect, Now Change<br />
Freie Bühne Wieden<br />
55 SL Jenseits der Masken Vindobona Wien<br />
48 UA Lizzy Carbon und der Klub der Verlierer<br />
Theater der Jugend Wien<br />
52 UA Pauline – Mut verändert die Welt Stadthalle Wien<br />
44 UA Rock Me Amadeus – Das Falco <strong>Musical</strong><br />
Ronacher Wien<br />
51 tick, tick... BOOM! Volksoper Wien<br />
<strong>Musical</strong>s in Europa<br />
56 UA Pferd frisst Hut Theater Basel<br />
59 CHEA tick, tick... BOOM! Theater am Hechtplatz Zürich<br />
<strong>Musical</strong>s in Großbritannien<br />
84 UA Close-Up: The Twiggy <strong>Musical</strong><br />
Menier Chocolate Factory London<br />
80 Guys and Dolls Bridge Theater London<br />
86 UA The Time Traveler's Wife Apollo Theatre London<br />
<strong>Musical</strong>s in den USA<br />
79 UA Gutenberg! The <strong>Musical</strong><br />
James Earl Jones Theater New York<br />
76 UA Here We Are The Shed's Griffin Theatre New York<br />
Einblick<br />
74 Patricia Meeden zu »Wish«, Disney Film<br />
66 Moira Ross & David Tench über<br />
»Hannah Waddingham: Home for Christmas«, Apple TV<br />
Konzerte & Entertainment<br />
62 Ein Abend für Caspar Richter Vindobona Wien<br />
64 Hannah Waddingham: Home for Christmas Apple TV<br />
81 Stephen Sondheims Old Friends<br />
Gielgud Theatre London<br />
Filme & Serien<br />
70 Girl You Know It's True im Kino<br />
68 Trolls 3 Kino Universal Pictures<br />
72 Wish Disney im Kino<br />
Rubriken<br />
69 In Memoriam: Stefan Huber<br />
60 Einspielungen<br />
82 Impressum & Ausblick<br />
87 Abonnenten-Infos<br />
Abb. von oben:<br />
1. »SIXties Girls« Düsseldorf<br />
Foto: Ray Entertainment / Jost Salzmann<br />
2. »Guys and Dolls« London<br />
Foto: Matthew Murphy<br />
3. »Rock Me Amadeus – Das Falco <strong>Musical</strong>« Wien<br />
Foto: VBW / Deen van Meer<br />
4. »Girl You Know It´s True« Kino<br />
Foto: Gordon Timpen / LEONINE Studios / Wiedemann & Berg Film<br />
Titelfoto:<br />
»Abenteuerland« Düsseldorf, Hannes Staffler (Robert) li.,<br />
Carolin Soyka (Petra) re.<br />
Foto: Jochen Quast<br />
80<br />
44<br />
70<br />
blickpunkt musical <strong>06</strong>/20<strong>23</strong><br />
5
Topthema<br />
Abenteuerleben <strong>mit</strong> der Familie von Nebenan<br />
Uraufführung von »Abenteuerland« – Das <strong>Musical</strong> <strong>mit</strong> den Hits von »PUR«<br />
Abb. oben:<br />
Zu Gast in der Wohnküche von Familie<br />
Schirmer – (v.l.): Anna (Mascha Volmershausen),<br />
Oma Lena (Bärbel Röhl),<br />
Alex (Johann Zumbült), Petra (Carolin<br />
Soyka), Robert (Hannes Staffler)<br />
Abb. unten:<br />
Anna (Mascha Volmershausen) ›Allein<br />
vor dem Spiegel‹<br />
Fotos (2): Jochen Quast<br />
Seit dem 22. Oktober 20<strong>23</strong> hat Deutschland ein<br />
neues Compilation-<strong>Musical</strong>, diesmal <strong>mit</strong> 30 Songs<br />
der Band »PUR«. Als Schülerband »Crusade« 1975 von<br />
Ingo Reindl und Roland Bless gegründet, stößt ein<br />
Jahr später der 15-jährige Hartmut Engler als Sänger<br />
dazu, und bis 1980 wächst die Band <strong>mit</strong> Jo Crawford<br />
und Rudi Buttas weiter. Mit deutschen Songtexten aus<br />
der Feder von Hartmut Engler über Zwischenmenschliches<br />
nennt sich die Band nun »Opus« und produziert<br />
selbstfinanziert zwei Alben. Da ihnen eine andere<br />
österreichische Gruppe gleichen Namens <strong>mit</strong> dem Hit<br />
›Live Is Life‹ dazwischenfunkt, nennen sie sich fortan<br />
»PUR«. 1986 gewinnt »PUR« den Bundesrock-Wettbewerb<br />
gegen 3.000 weitere Teilnehmer, sie bekommen<br />
den ersten Plattenvertrag und landen 1990 <strong>mit</strong> dem<br />
Song ›Lena‹ ihren ersten Nummer-Eins-Hit in den<br />
Single-Charts. Das Album »Abenteuerland« verkauft<br />
sich 1995 zwei Millionen Mal und »PUR« wird die<br />
erfolgreichste deutsche Pop-Band. Am <strong>24</strong>. September<br />
2022 feierte »PUR« ihr 40. Band-Jubiläum und kann<br />
auf zahlreiche Auszeichnungen <strong>mit</strong> mehr als 20 Platin-<br />
Alben zurückblicken.<br />
Die Idee, aus diesem Schatz deutscher Pop-Kultur<br />
ein <strong>Musical</strong> zu machen, hatte Produzent Martin Flohr<br />
bereits im Jahr 2013, als er praktisch nur <strong>mit</strong> der Musik<br />
von »PUR« im Gepäck den Jakobsweg ging. Die tiefgründigen<br />
Texte der Band sah er bereits damals als<br />
Grundlage einer Familiengeschichte über drei Generationen<br />
<strong>mit</strong>ten aus dem Leben. 2018 unterbreitete Martin<br />
Flohr dem Management von »PUR« einen ersten<br />
Entwurf, und Martin Engler faszinierte die Idee eines<br />
<strong>Musical</strong>s, es sollte aber auf jeden Fall Tiefgang haben.<br />
Die Trigger-Warnung im Theater, dass das <strong>Musical</strong><br />
Szenen enthält, die einen Selbstmord thematisieren,<br />
und auch ungewollte Schwangerschaften Handlungsschwerpunkt<br />
sind, stimmen auf einen Theaterabend<br />
ein, der neben einer Menge Situationskomik auch<br />
wirklich ernste Aspekte aufgreift. Das fertige Produkt<br />
»Abenteuerland« präsentieren »PUR« und BB Promotion<br />
ab Ende Oktober 20<strong>23</strong> im von der Ambassador<br />
Theatre Group übernommenen Capitol Theater in<br />
Düsseldorf, dessen letzte En-Suite-Produktion <strong>mit</strong><br />
»Shrek« bereits 9 Jahre zurückliegt.<br />
Als Compilation-<strong>Musical</strong> muss sich »Abenteuerland«<br />
nun eingliedern neben <strong>Musical</strong>s wie »Mamma<br />
Mia!«, bei dem jeder Song so perfekt in die Handlung<br />
eingebunden ist, als sei er exklusiv für das <strong>Musical</strong> von<br />
»Abba« neu geschrieben worden, oder meinem persönlichen<br />
Negativ-Beispiel für Juke-Box-<strong>Musical</strong>s »We<br />
Will Rock You«, bei dem die grandiosen Welthits von<br />
»Queen« <strong>mit</strong> Gewalt in eine abstruse Handlung hineingepresst<br />
wurden, bei der Sänger singen, dass ihnen<br />
das Singen verboten ist. Vergleiche zu Biopic-<strong>Musical</strong>s<br />
wie »TINA – Das Tina Turner <strong>Musical</strong>« oder »On<br />
Your Feet!« muss man nicht ziehen, da das <strong>Musical</strong><br />
<strong>mit</strong> den Hits von »PUR« eine rein fiktive Handlung<br />
erzählt und nicht die Lebensgeschichte eines Showstars<br />
thematisiert.<br />
Bei Familie Schirmer ist immer etwas los. Vater<br />
Robert arbeitet viel, um seiner Familie einen hohen<br />
Lebensstandard bieten zu können, fährt in seiner Freizeit<br />
viel Fahrrad und vergisst dabei auch schon mal den<br />
Geburtstag seiner Frau Petra, der 20 Jahre »Makiha«<br />
(Mann, Kinder, Haushalt) nicht mehr genug sind<br />
und die sich <strong>mit</strong> Freundin Beate eine Auszeit nimmt<br />
und beim Tanzen auch einem Flirt nicht abgeneigt<br />
ist. Oma Lena fühlt sich als Witwe einsam, geht im<br />
Internet bei Dating-Portalen auf Rentnerfang und<br />
meint, in Fußballfan Karl eine gute Partie gefunden<br />
zu haben. Abiturient und Mädchenschwarm Alex, der<br />
gerade eine neue Beziehung <strong>mit</strong> der streng erzogenen<br />
Amira beginnt, träumt <strong>mit</strong> seinem besten Freund Tom<br />
6<br />
blickpunkt musical <strong>06</strong>/20<strong>23</strong>
Topthema<br />
von einer Karriere als Popstar und meldet seine Band<br />
bei einem Wettbewerb an, ohne dass Texter Tom einen<br />
fertigen Song auf Lager hat. Alex´ jüngere Schwester<br />
Anna hat es schwer in der Schule, da sie als Außenseiterin<br />
gehänselt wird. Heimlich ist sie in Tom verliebt und<br />
schreibt ihm ein Liebesgedicht, das sie in seine Tasche<br />
steckt, wo es Alex findet und fälschlicherweise für<br />
Toms neuen Songtext für das Lied hält, das seine Band<br />
beim Wettbewerb anschließend präsentiert. Für Anna,<br />
die bei Tom abgeblitzt ist, weil Tom heimlich in Alex<br />
verknallt ist, bricht eine Welt zusammen, zumal auch<br />
niemand ihr Talent beim Verfassen des Gewinnersongs<br />
erkennt. Dann trifft Anna einen folgenschweren<br />
Entschluss, der die ganze Familie auf eine harte Probe<br />
stellt …<br />
Nachdem sich die vier quadratischen Projektions-<br />
Elemente <strong>mit</strong> dem Heißluftballon des »PUR«-Plattencovers<br />
zu »Abenteuerland« bei der besuchten Vorstellung<br />
am 3. November 20<strong>23</strong> geöffnet haben, startet die<br />
Show etwas mystisch <strong>mit</strong> Erzähler Mr X (Kim-David<br />
Hammann), der die Hauptpersonen in 6 leuchtenden<br />
Spiegelrahmen im namensgebenden Titelsong<br />
vorstellt. Mr X ist eine vielschichtige Figur, die einige<br />
schicksalsbestimmende Rollen im Stück übernimmt und<br />
u. a. Lehrer, Wettbewerbs-Moderator oder heimlicher<br />
Verehrer ist. Die Bühne von Stephan Prattes verwandelt<br />
sich in eine gemütliche Wohnküche der Familie<br />
Schirmer. Alle folgenden Szenenwechsel werden dank<br />
Drehbühne sehr harmonisch und fließend umgesetzt<br />
und zeigen <strong>mit</strong> unglaublich plastischen und extrem<br />
hell leuchtenden Video-Projektionen von Leo Flint im<br />
stimmigen Licht-Design von Ben Cracknell die unterschiedlichsten<br />
Spielorte inklusive eines Bahnhofs, bei<br />
dem auf den seitlichen Wänden des Saales neben den<br />
Zuschauern Züge einfahren, Schatten von Zuschauern<br />
der Band zujubeln oder im Finale des ersten Aktes zum<br />
Song ›Drachen sollen fliegen‹ diese Kinderspielzeuge<br />
kunterbunt über die Wände flattern. Dies zieht die<br />
echten Zuschauer im Theatersaal in die Handlung<br />
hinein und wirkt plastisch und beinahe real.<br />
Wir lernen <strong>mit</strong> Carolin Soyka eine starke und<br />
aufopferungsvolle Mutter Petra kennen, die ihren<br />
Geburtstag <strong>mit</strong> ›Ein graues Haar‹ als Wendepunkt sieht<br />
und <strong>mit</strong> der immer quirligen und bestens aufgelegten<br />
Jana Stelley als Freundin Beate nicht mehr Ehemann<br />
und beinahe erwachsene Kinder in ihren Lebens<strong>mit</strong>telpunkt<br />
stellen will, sondern nach abgebrochenem<br />
Studium mal wieder etwas für sich selbst tun möchte<br />
(›Endlich ich‹). Hannes Staffler spielt ihren Businessbezogenen<br />
Ehemann Robert, der <strong>mit</strong>ten in der Midlife-<br />
Crisis steckt und, ohne es wirklich zu bemerken, seine<br />
Familie emotional vernachlässigt, obwohl er in seinen<br />
Augen natürlich alles in seiner Macht Stehende tut, um<br />
als Alpha-Männchen erfolgreich zu sein. Sein erstgeborener<br />
Sohn Alex (Johann Zumbült) ist ganz Papas<br />
Ebenbild und als Band-Sänger nicht nur ›Herzbeben‹-<br />
Mädchenschwarm in seiner Abiturklasse, sondern auch<br />
noch heimliche Liebe seines besten Freundes Tom<br />
(klischeefrei gespielt von Christian Bock). Alex´ neuer<br />
›Verboten schön‹-Schwarm Amira (Elvin Karakurt)<br />
Abenteuerland – Das <strong>Musical</strong><br />
<strong>mit</strong> den Hits von »PUR«<br />
Hartmut Engler / Ingo Reindl /<br />
Martin Flohr<br />
BB Promotion<br />
Capitol Theater Düsseldorf<br />
Uraufführung: 22. Oktober 20<strong>23</strong><br />
Regie ...................... Dominik Flaschka<br />
Musikalische Leitung .... Jeff Frohner &<br />
Dan Tomkinson<br />
<strong>Musical</strong> Supervision &<br />
Arrangements ...........Richard Morris &<br />
Gary Hickeson<br />
Choreographie ............. Jonathan Huor<br />
Bühnenbild ................. Stephan Prattes<br />
Kostüme ............................. Irina Hofer<br />
Lichtdesign ................... Ben Cracknell<br />
Videodesign .......................... Leo Flint<br />
Anna .............. Mascha Volmershausen<br />
Alex ........................... Johann Zumbült<br />
Amira ............................ Elvin Karakurt<br />
Tom ........................... Christian Bock /<br />
Lukas Baeskow<br />
Petra ............................. Carolin Soyka<br />
Robert ......................... Hannes Staffler<br />
Beate ................................ Jana Stelley<br />
Oma Lena ...................... Bärbel Röhl /<br />
Regina Venus<br />
Karl .................................. Harrie Poels<br />
Mr X ................ Kim-David Hammann<br />
Vanessa ................... Pauline Schubert<br />
Walk-in Cover Karl.................................<br />
Frank Bahrenberg<br />
In weiteren Rollen:<br />
Clarissa Gundlach, Matthias Graf,<br />
Lea Marie Hansche, Florian Karnatz,<br />
Jessica Kessler, Nadine Lauterbach,<br />
Pascal Pfeiler, Lena-Sophie Pudenz,<br />
Anja Quinter, Julia Waldmayer (Dance<br />
Captain), Marcel Walther,<br />
Jakob Wirnsberger, Andreas Wolfram<br />
Abb. von links oben:<br />
1. Tom (Lukas Baeskow, i.d.bes.Vorst.<br />
Christian Bock) wäre gerne mehr für<br />
Alex (Johann Zumbült)<br />
2. Zarte Liebe zwischen Alex<br />
(Johann Zumbült, r.) und Amira (Elvin<br />
Karakurt, r.) über den Dächern<br />
3. Quatsch im Kassenzimmer – Amira<br />
(Elvin Karakurt, 2.v.l.), Alex (Johann<br />
Zumbült, Mitte) und Klassenkameraden<br />
(Ensemble)<br />
4. Weil der Ehemann den Geburtstag<br />
der eigenen Frau vergisst, feiert<br />
Mutter Petra (Carolin Soyka, r.) eben<br />
feucht-fröhlich <strong>mit</strong> der besten<br />
Freundin Beate (Jana Stelley, l.)<br />
Fotos (4): Jochen Quast<br />
blickpunkt musical <strong>06</strong>/20<strong>23</strong><br />
7
Topthema<br />
Abb. unten von oben links:<br />
1. Happy End für die ältere Generation:<br />
Oma Lena (Bärbel Röhl) <strong>mit</strong> Freund<br />
Karl (Harrie Poels, i.d.bes.Vorst. Frank<br />
Bahrenberg) auf dem Motorrad<br />
2. ›Drachen sollen fliegen‹ – Ensemble<br />
3. Alex´ (Johann Zumbült, Mitte) Band<br />
»Opus« (Ensemble) beim Wettbewerb<br />
4. Mr X (Kim-David Hammann,<br />
Mitte) stellt im mystischen Intro<br />
die Hauptpersonen (Ensemble) der<br />
Geschichte vor<br />
Fotos (4): Jochen Quast<br />
hat strenge Eltern, die Sex vor der Ehe prinzipiell nicht<br />
dulden – eine echte ›Prinzessin‹ <strong>mit</strong> potenziellem Migrationshintergrund.<br />
Mascha Volmershausen spielt das<br />
›Allein vor dem Spiegel‹-Nesthäkchen und gleichzeitig<br />
16-jährige Pubertäts-Problemkind Anna eindringlich<br />
überzeugend. Die eigentlichen Sympathieträger der<br />
Show sind jedoch unangefochten Bärbel Röhl als fitte<br />
und Internet-erprobte Oma ›Lena‹ <strong>mit</strong> ihrem neuen<br />
›Wenn sie diesen Tango hört‹-Verehrer Frank Bahrenberg<br />
als 11-Freunde-Fan Karl. Im weiteren Ensemble<br />
beleben die Bühne Pauline Schubert, Nadine Lauterbach,<br />
Florian Karnatz, Jessica Kessler, Pascal Pfeiler,<br />
Lena-Sophie Pudenz, Anja Quinter, Marcel Walther,<br />
Julia Waldmayer und Jakob Wirnsperger, die in der<br />
szenengerechten Choreographie von Jonathan Huor<br />
auch Körpereinsatz zeigen dürfen.<br />
Die »PUR«-Songs, <strong>mit</strong> ordentlichem Wumms live<br />
von einer 6-köpfigen unsichtbaren Band unter der<br />
musikalischen Leitung von Jeff Frohner gespielt, erzählen<br />
die Geschichte tatsächlich <strong>mit</strong> den originalen Songtexten,<br />
die hartgesottene »PUR«-Fans im Publikum<br />
während der Show auch mal wie in einem Live-Konzert<br />
<strong>mit</strong>singen. Dabei sind die Hits entweder als kompletter<br />
Song oder auch oft durchbrochen <strong>mit</strong> Dialogpassagen<br />
zu hören, ohne dabei als Fremdkörper in der<br />
Handlung zu wirken. Und für die Lieder, die partout<br />
nicht in die Handlung passen wollen, gibt es noch<br />
die Albtraum-Sequenz ›Seiltänzertraum‹ zu Beginn<br />
des zweiten Aktes sowie die Band-Auftritte von Alex<br />
& Co., deren Bandname sich an der Entstehungsgeschichte<br />
von »PUR« orientiert, wobei »PUR« im Stück<br />
für die eingeritzten Initialen von P(etra)U(nd)R(obert)<br />
auf der Parkbank steht. Und da<strong>mit</strong> die Fans der Band<br />
auch ›Funkelperlenaugen‹ bekommen, krönt den<br />
Abend das Finale der Show <strong>mit</strong> einem »PUR«-Mega-<br />
Mix als Zugabe.<br />
Vielleicht hinkt der <strong>Musical</strong>-Vergleich etwas, aber<br />
was »Ich war noch niemals in New York« für Udo-<br />
Jürgens-Fans ist, kann »Abenteuerland« für »PUR«-<br />
Anhänger werden, denn beide Stücke transportieren<br />
bekannte Hits in einen völlig neuen Handlungskontext,<br />
ohne dabei zu sehr konstruiert zu wirken, und<br />
das funktioniert dank guter Regiearbeit von Dominik<br />
Flaschka beim »PUR«-<strong>Musical</strong> sogar noch etwas besser<br />
als auf dem Ozeantrip der drei Generationen der Udo-<br />
Jürgens-Show, wobei beide Compilation-<strong>Musical</strong>s bei<br />
näherer Betrachtung einige Parallelen aufweisen. Wer<br />
hingegen bisher wenig <strong>mit</strong> der Musik von »PUR« in<br />
Berührung kam, erlebt trotzdem einen Abend perfekt<br />
inszenierter Unterhaltung <strong>mit</strong> einer Familie von<br />
Nebenan.<br />
Stephan Drewianka<br />
8<br />
blickpunkt musical <strong>06</strong>/20<strong>23</strong>
Jetzt<br />
Tickets<br />
sichern<br />
Produktionssponsor<br />
In Zusammenarbeit <strong>mit</strong> der Falco Privatstiftung<br />
CAMERON MACKINTOSHS<br />
SPEKTAKULÄRE NEUPRODUKTION<br />
VON<br />
ANDREW LLOYD WEBBERS<br />
PREMIERE MÄRZ 20<strong>24</strong><br />
Produktionssponsor<br />
#WeAre<strong>Musical</strong><br />
WWW.MUSICALVIENNA.AT
<strong>Musical</strong>s in Deutschland<br />
Pointenreiches Spektakel <strong>mit</strong> Botschaft<br />
Uraufführung der »Schäl Sick Story« im Scala Theater Köln<br />
Abb. oben:<br />
›Karneval‹ – Zum Kostümball im<br />
Gürzenich schmeißen sich alle<br />
mächtig in Schale (Ensemble)<br />
Foto: Léon M. Gruß<br />
Schäl Sick Story<br />
Diverse / Udo Müller / Ralf Borgartz<br />
Scala Theater Köln<br />
Uraufführung: 14. September 20<strong>23</strong><br />
Regie ............................. Ralf Borgartz<br />
Musikalische Leitung ...........................<br />
Christian Wilke<br />
Choreographie ............. Svenja Schulte<br />
Bühnenbild ................... Tom Grasshof<br />
Kostüme ......................... Sergio Abajur<br />
Lichtdesign .................. Jonas Ander &<br />
Oliver Schell<br />
Ton................................ Ben Streibig &<br />
Markus Hausmann<br />
Kölsch Coaching ..................................<br />
Inge von der Lohe & Rudi Meier<br />
Tünnes Stippefott ..... Arne Hoffmann /<br />
Maximilian Wieler<br />
Marie Kappes ............... Kirstin Hesse /<br />
Maxi Dörner<br />
Willi Kallendresser / Jupp Kappes ........<br />
Ralf Borgartz / Oliver Nell<br />
Bätes Botteram / Marizebill Kappes .....<br />
Sophie Russel / Barbara Nöske<br />
Jeyn-Baptist vun Memmestipp /<br />
Mandy Stöpsel ......................................<br />
Barbara Nöske / Vera Passý<br />
Johnny Turetti / Jacko Pütz ...................<br />
Beka Bediana / Maximilian Wieler<br />
Stellen Sie sich einmal folgendes Showkonstrukt<br />
vor: ein kunterbunt-schrilles, zugegebenermaßen<br />
zuweilen recht derbes Gag-Spektakel, aberwitzig,<br />
pointenreich, von Zeit zu Zeit wider Erwarten tiefgründig,<br />
dazu ein clever konstruierter Plot, schrullig<br />
liebenswerte Charaktere, schwungvolle Tanzeinlagen,<br />
Gesang auf Profiniveau und jede Menge kölsche<br />
Tön(e) …<br />
Können Sie es sehen? Na dann: Herzlich willkommen<br />
im Scala Theater! Seit 20 Jahren schon begeistert<br />
das am Kölner Hohenzollernring beheimatete »Lustspielhaus«<br />
seine stetig wachsende Fangemeinde aus nah<br />
und fern.<br />
Kein Wunder also, dass ein Großteil der Vorstellungen<br />
bis Jahresende bereits vor Premiere des neuen<br />
Stücks »Schäl Sick Story« restlos ausverkauft ist. Die<br />
hier gezahlten Vorschusslorbeeren sind tatsächlich<br />
nicht umsonst investiert, denn auch <strong>mit</strong> seiner nunmehr<br />
zwanzigsten Eigenproduktion – davon das achte<br />
Stück aus der Feder von Ralf Borgartz – gelingt dem<br />
kleinen Theater wieder der ganz große Wurf.<br />
Sicherlich lässt der Stücktitel, der übrigens einer<br />
Idee des früheren, vor einigen Jahren verstorbenen<br />
Theaterchefs Walter Bockmayer zu verdanken ist,<br />
vermuten, wohin die inhaltliche Reise geht. Wer<br />
allerdings eine kölsche Adaption der »West Side Story«<br />
erwartet, liegt größtenteils falsch, auch wenn sich<br />
Autor und Regisseur Ralf Borgartz bei der tragischen<br />
Liebesgeschichte um Tünnes (Arne Hoffmann) und<br />
Marie (Kirstin Hesse) sowohl vom Leonard-Bernstein-<strong>Musical</strong><br />
selbst als auch von dessen klassischer<br />
Vorlage »Romeo und Julia« inspirieren ließ. Vollkommen<br />
neu und raffiniert erdacht sind allerdings die<br />
Umstände, die sich der Liebe der beiden Hauptprotagonisten<br />
entgegenstellen: Denn Tünnes lebt nicht<br />
nur auf der geächteten »Schäl Sick« (scheelen/falschen<br />
[Rhein-]seite) Kölns, er ist auch noch ein Heinzelmännchen!<br />
Zwischen den kleinen, aus einer alten<br />
Kölner Volkssage bekannten Hausgeistern und den<br />
Menschen auf der »Schick Sick« (schicken/richtigen<br />
[Rhein-]seite) herrscht nämlich eine langjährige Feindschaft,<br />
die schlussendlich zur Vertreibung der Heinzelmännchen<br />
auf die andere Rheinseite geführt hat.<br />
Seitdem steht ein mehr oder weniger streng bewachter<br />
»Checkpoint Heinzel« auf der einzigen Verbindungsbrücke<br />
Tünnes’ ganz großem Traum entgegen,<br />
einmal auf der »Schick Sick« nackt über den Neumarkt<br />
zu gehen. Als er sich dennoch eines Abends in einem<br />
unbewachten Moment auf die andere Seite wagt, verliebt<br />
er sich dort auf einem Kostümball Hals über Kopf<br />
in seine Karnevalsprinzessin Marie. Die ist jedoch<br />
nicht nur die Tochter von Kölns berühmtesten Erbsenfabrikanten<br />
(und Heinzelmännchen haben einer alten<br />
Kölner Volkssage nach ganz schlechte Erfahrungen <strong>mit</strong><br />
Erbsen gemacht), sondern auch – zumindest, wenn es<br />
nach ihren Eltern geht – bereits dem »Kosmoproleten«<br />
Jacko Pütz (Beka Bediana) versprochen. Marie jedoch<br />
widersetzt sich dem Willen ihres Vaters Jupp Kappes<br />
(Ralf Borgartz) und ihrer Mutter Marizebill Kappes<br />
(Sophie Russel) und heiratet stattdessen Tünnes. Nur<br />
Nachbarin Mandy Stöpsel (Barbara Nöske) zeigt Verständnis<br />
für das junge Paar, doch auch sie kann nicht<br />
10<br />
blickpunkt musical <strong>06</strong>/20<strong>23</strong>
<strong>Musical</strong>s in Deutschland<br />
verhindern, dass die beiden Liebenden ins Düsseldorfer<br />
Exil verbannt werden. Da sie dort nicht leben wollen,<br />
es aufgrund der langjährigen Feindschaft zwischen<br />
den »Schäl Sickern« und »Schick Sickern« aber auch<br />
keine gemeinsame Zukunft in ihrem geliebten Köln<br />
zu geben scheint, sehen Tünnes und Marie am Ende<br />
nur noch einen Ausweg und machen sich auf den Weg<br />
zu den Zuggleisen, um im Tode auf ewig vereint zu<br />
sein …<br />
Bei aller vermeintlich gebotenen Dramatik (das<br />
Ende wird nicht verraten) ist die »Schäl Sick Story«<br />
natürlich in erster Linie wieder eine für das Scala<br />
Theater typische, laute Chaos-Komödie <strong>mit</strong> ganz viel<br />
Herz und noch mehr Musik. Jedoch – und das ist<br />
neu – gibt es diesmal auch einige leise Zwischentöne,<br />
die zum Nachdenken anregen. Das Scala Theater ist im<br />
Laufe der letzten zwanzig Jahre erwachsener geworden<br />
und es hat – bei allem Klamauk – auch etwas zu sagen.<br />
Nicht nur deshalb bezeichnet Autor Ralf Borgartz die<br />
»Schäl Sick Story« als sein bisher persönlichstes Stück,<br />
verarbeitet er hier doch eigene Erfahrungen der Ausgrenzung,<br />
Ablehnung und was es heißt, den falschen<br />
Menschen zu lieben. Stärker als in den vergangenen<br />
Stücken setzt das Scala Theater ein deutliches Zeichen<br />
gegen Vorurteile, Ignoranz und Feindschaft und stellt<br />
dem in leider zu vielen Köpfen verankerten Schwarz-<br />
Weiß-Denken eine kunterbunte Vielfalt entgegen.<br />
Dies spiegelt sich sowohl in den wunderschönen<br />
und fantasievollen Kostümen von Sergio Abajur wider<br />
als auch in der Liedauswahl, die dieses Mal so ziemlich<br />
alle Musikrichtungen abgreift. Egal ob Schlager,<br />
Hip-Hop, Pop-Balladen, Mambo, Rap oder einfach<br />
Schunkelmusik: Für so ziemlich jeden Musikgeschmack<br />
ist etwas passendes dabei. Gekonnt abgemischt und<br />
bisweilen neu arrangiert wird nicht zuletzt dank des<br />
musikalischen Leiters Christian Wilke aus dem musikalischen<br />
Tohuwabohu – manchmal <strong>mit</strong> bis zu drei<br />
verschiedenen Musikstilen in einem Medley – ein toll<br />
klingendes und völlig schlüssiges Gesamtkunstwerk.<br />
Besonders sei dabei erwähnt, dass <strong>mit</strong> ›Ihrefeld‹ (statt<br />
›America‹) und ›Marieche‹ (im Original ›Maria‹) sogar<br />
zwei Titel aus der »West Side Story« ihren Weg in die<br />
»Schäl Sick Story« gefunden haben und auch in der<br />
kölschen Übersetzung bestens funktionieren. Ein<br />
ganz besonderes, wenn auch inhaltlich nicht ernstzunehmendes<br />
Schmankerl ist jedoch das eigens vom<br />
Autor des befreundeten Hänneschen Theater, Udo<br />
Müller, geschriebene Lied ›Futzjlöcklich‹, das in der<br />
kommenden Spielzeit Abend für Abend sowohl in der<br />
berühmten Kölner Puppenbühne als auch im Scala<br />
Theater zu hören sein wird und so einen musikalischen<br />
Bogen vom Hohenzollernring über die Stadt bis zum<br />
Eisenmarkt spannt.<br />
Brücken schlagen, auf den anderen zugehen, dabei<br />
Abb. unten von links oben:<br />
1. Zum Entsetzen ihrer Nachbarin<br />
Mandy (Barbara Nöske, r.), testet<br />
Marizebill (Sophie Russel, l.) schon<br />
mal die Schwiegersohnqualitäten<br />
von Jacko Pütz (Beka Bediana,<br />
Mitte)<br />
2. ›Scharf wie Mostert‹ – Jacko<br />
Pütz (Beka Bediana) findet sich<br />
unwiderstehlich<br />
3. Zusammen <strong>mit</strong> Kumpel Willi<br />
(Ralf Borgartz, l.) lässt Tünnes (Arne<br />
Hoffmann, r.) auf dem Heumarkt der<br />
»Schick Sick« die Hüllen fallen<br />
4. ›Futzjlöcklich‹ – Um auf die<br />
»Schick Sick« zu kommen, geben die<br />
Heinzelmänner vor, eine Dreimannkapelle<br />
auf Tournee zu sein<br />
Fotos (4): Léon M. Gruß<br />
blickpunkt musical <strong>06</strong>/20<strong>23</strong><br />
11
<strong>Musical</strong>s in Deutschland<br />
Abb. oben:<br />
›So eine Liebe gibt es einmal nur‹ –<br />
Tünnes (Arne Hoffmann, r.) und<br />
Marie (Kirstin Hesse, l.) schwören<br />
sich ewige Liebe<br />
Abb. unten von oben links:<br />
1. Einer der großen Showstopper<br />
des Abends: Die Tanznummer<br />
›Ihrefeld‹ (Ensemble)<br />
2. ›Niemols em Läve‹ – Marie<br />
(Kirstin Hesse) hat Schmetterlinge<br />
im Bauch, wenn sie an Tünnes<br />
denkt<br />
3. ›Ich will alles‹ – Marizebill (Sophie<br />
Russel) strebt nach Erfolg und Macht<br />
als Frau von Kölns mächtigstem<br />
Erbsenfabrikanten<br />
4. Da bleibt bestimmt kein Auge<br />
trocken: Bei den Heinzelmännchen<br />
(Ensemble) auf der »Schäl Sick« gibt es<br />
viel zu lachen<br />
Fotos (5): Léon M. Gruß<br />
auch mal die Perspektive wechseln und Dinge von<br />
der anderen Seite sehen … Diese Botschaft zieht sich<br />
durch die »Schäl Sick Story« wie ein roter Faden und<br />
wird auch im Bühnenbild von Tom Grasshof deutlich.<br />
Denn das Herzstück der Bühne bildet eine überdimensionale,<br />
auf zwei Ebenen bespielbare Brücke, die die<br />
rechtsrheinische »Schäl Sick« <strong>mit</strong> der linksrheinischen<br />
»Schick Sick« verbindet, wenn auch in ganz ungewohnter<br />
Perspektive: Bei der »Schäl Sick Story« werden<br />
beide Seiten nämlich bewusst spiegelverkehrt angeordnet<br />
und so die Ordnung in manch lokalpatriotischem<br />
Zuschauerkopf ganz schön durcheinander gewirbelt.<br />
Letztendlich ist es aber ohnehin egal, auf welcher Seite<br />
man steht, geht es in dem Stück am Ende doch, wie<br />
im finalen Medley besungen, um die Verbindung aller<br />
Menschen: ›Mir künnte Fründe weede‹ (»Bläck Fööss«),<br />
denn ›Mer sind eins‹ (»Kasalla«).<br />
Den Löwenanteil zum Erfolg der Show trägt sicherlich<br />
das exzellente Ensemble bei. Jeweils sechs Darsteller<br />
stehen dabei am Abend gemeinsam auf der Bühne,<br />
obwohl es tatsächlich zehn Charaktere zu spielen gilt.<br />
Die Lösung: Bis auf die beiden Hauptprotagonisten<br />
Tünnes und Marie sind alle in einer Doppelrolle zu<br />
sehen und verkörpern jeweils einen Charakter auf der<br />
»Schäl Sick« und einen auf der »Schick Sick«. Ralf Borgartz,<br />
Barbara Nöske, Sophie Russel und Beka Bediana<br />
haben dabei sichtlich Spaß und füllen ihre jeweiligen<br />
Figuren <strong>mit</strong> gekonntem Spiel, bestem (Gag-)Timing<br />
und vor allem ganz viel Herz. Bei aller Verschrobenheit<br />
muss man die von ihnen dargestellten Charaktere<br />
einfach lieben.<br />
Publikumslieblinge des Abends sind natürlich<br />
trotzdem Arne Hoffmann als Tünnes und Kirstin<br />
Hesse als Marie. Beide überzeugen <strong>mit</strong> wunderschönen<br />
Stimmen, weshalb Arne Hoffmanns ›Mariechen‹ und<br />
Kirstin Hesses ›Niemols im Lääve‹ zweifelsohne zu den<br />
Showstoppern des Abends gehören.<br />
Weiteres Highlight im ersten Akt ist die Ensemblenummer<br />
›Ihrefeld‹, weshalb die <strong>mit</strong>reißende Choreographie<br />
von Svenja Schulte spätestens hier ebenfalls<br />
nicht unerwähnt bleiben darf. Durch den effektvollen<br />
Einsatz von bunten Tüchern wirkt die Bühne deutlich<br />
voller und wird zum rauschenden Farbenmeer.<br />
Auch wenn es bereits in früheren Artikeln erwähnt<br />
wurde: Wer einen »seriösen« Theaterabend erwartet,<br />
ist beim Scala Theater fehl am Platze, und ganz sicher<br />
hilft es bei einem Besuch, wenn man den kölschen<br />
Dialekt einigermaßen versteht (man denke da nur an<br />
die zahlreichen Gags, die man sonst versäumen würde).<br />
Die Tatsache aber, dass viele nicht aus dem Rheinland<br />
stammende Zuschauer selbst bei mangelndem Dialektverständnis<br />
zu Wiederholungstätern werden, beweist,<br />
dass es den Darstellern trotzdem immer wieder aufs<br />
Neue gelingt, den berühmten Funken auf so ziemlich<br />
jeden Besucher überspringen zu lassen und das rüber<br />
zu bringen, was das Scala Theater seit nunmehr 20 Jahren<br />
ganz klar ausmacht: Lust am Spiel, ganz viel Herz<br />
und vor allem jede Menge (kölsches) »Jeföhl«.<br />
Susanne Baum<br />
12<br />
blickpunkt musical <strong>06</strong>/20<strong>23</strong>
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Mit Rockmusik ins Hier und Jetzt<br />
Premiere des <strong>Musical</strong>s »Rent« im Theater Dortmund<br />
Abb oben:<br />
Eröffnen wir ein Restaurant in ›Santa<br />
Fe‹ – (v.l.): Mark (Christof Messner),<br />
Collins (Alex Snova) und Angel<br />
(Lukas Mayer) träumen von einem<br />
Leben fernab der Upper East Side<br />
Foto: Thomas M. Jauk<br />
Rent<br />
Jonathan Larson / Billy Aronson<br />
Deutsch von Wolfgang Adenberg<br />
Theater Dortmund<br />
Premiere: 30. September 20<strong>23</strong><br />
Regie .............................. Gil Mehmert<br />
Musik. Leitung ........... Jürgen Grimm &<br />
Karsten Scholz<br />
Choreographie ................ Melissa King<br />
Bühnenbild ......................... Jens Kilian<br />
Kostüme ............................. Falk Bauer<br />
Lichtdesign ............. Michael Grundner<br />
Sounddesign ............ Joerg Grünsfelder<br />
Mark Cohen ............ Christof Messner /<br />
Dominik Hees<br />
Roger Davis ................... David Jakobs<br />
Tom Collins ........................ Alex Snova<br />
Benjamin Coffin III ....... Pedro Reichert<br />
Joanne Jefferson ........ Amani Robinson<br />
Angel Dumott Schunard .......................<br />
Lukas Mayer<br />
Mimi Marquez ........... Patricia Meeden<br />
Maureen Johnson ......... Bettina Mönch<br />
In weiteren Rollen:<br />
Max Aschenbrenner, Yara Hassan<br />
(Dance Captain), Antonia Kalinowski,<br />
Tamara Köhn, Til Ormeloh,<br />
Jadelene Panésa, Julius Störmer,<br />
Richard-Salvador Wolff,<br />
Friederike Zeidler<br />
So ziemlich jeder »Renthead« (wie eingefleischte<br />
Fans von »Rent« oft genannt werden) könnte<br />
bestimmt aus dem Stegreif mehr als 525.600 Gründe<br />
nennen, wieso das <strong>Musical</strong> aus der Feder von Jonathan<br />
Larson so besonders und fast schon einzigartig ist –<br />
allerdings würde das hier den Rahmen sprengen. Wer<br />
aber auch nur einen Bruchteil der Gründe selbst (neu)<br />
entdecken möchte, kommt aktuell an der Inszenierung<br />
am Theater Dortmund in der Regie von Gil Mehmert<br />
nicht vorbei. Denn die bei einem dortigen Besuch zu<br />
investierenden rund 180 Minuten (aus den im Opener<br />
des zweiten Aktes, ›Seasons of Love‹, besungenen<br />
525.600 Minuten eines Jahres) sind tatsächlich jede<br />
Sekunde wert.<br />
Seit vielen Jahren bekannt für sein glückliches<br />
Händchen bei der Stückauswahl setzt das Theater<br />
Dortmund für die laufende Spielzeit auf ein Rockmusical,<br />
das bis dato in Deutschland leider viel zu wenig<br />
Beachtung gefunden hat.<br />
Unverdientermaßen, denn »Rent« hat es bei seiner<br />
Uraufführung im Jahr 1996 am New Yorker Off-<br />
Broadway (und anschließender zwölfjähriger Spielzeit<br />
am Broadway ohne Unterbrechung) geschafft, das bis<br />
zu diesem Zeitpunkt eher konservativ traditionelle<br />
<strong>Musical</strong>theater gehörig aufzumischen.<br />
Die pulsierende Dynamik des Stücks, die <strong>mit</strong>reißende<br />
(bis dahin eher <strong>Musical</strong>-untypische)<br />
Rockmusik, und die recht unkonventionelle, aber<br />
durchaus realitätsnahe Geschichte über den täglichen<br />
Überlebenskampf einer befreundeten Künstlerclique<br />
im New Yorker East Village machten »Rent« zum<br />
bahnbrechenden <strong>Musical</strong> der 90er Jahre. Die Rock-<br />
Oper spricht bis heute die Sprache der jungen Leute<br />
und zieht hierdurch auch viel neues, jugendliches<br />
Publikum in die Theater.<br />
An dieses Phänomen anknüpfend ist dem Theater<br />
Dortmund ein ganz besonderer Coup gelungen: Mit<br />
nur einer Woche Unterschied feierte nämlich auf<br />
derselben Bühne (in nur leicht abweichenden Kulissen<br />
aufgrund der verschiedenen Handlungsorte New<br />
York und Paris) die vom selben Regieteam inszenierte<br />
Oper »La Bohème« von Giacomo Puccini, an deren<br />
Geschichte und teilweise Figuren sich »Rent« orientiert,<br />
Premiere. Durch den an manchen Terminen<br />
sogar kurz hintereinander möglichen Besuch beider<br />
Stücke bietet das Theater den eigentlich gegensätzlichen<br />
Zielgruppen von Rockmusical und traditioneller<br />
Oper auf diese Weise nicht nur die Möglichkeit des<br />
direkten Vergleichs, sondern auch eine Chance, hier<br />
mal einen Blick ins jeweils andere Musikgenre zu<br />
riskieren.<br />
Doch natürlich sorgt Gil Mehmerts Interpretation<br />
von »Rent« auch ohne Parallele zur zeitgleichen<br />
Operninszenierung für einen unvergesslichen<br />
<strong>Musical</strong>abend.<br />
Einziger Wermutstropfen: die Entscheidung, das<br />
<strong>Musical</strong> in deutscher Sprache (Übersetzung: Wolfgang<br />
Adenberg) aufzuführen.<br />
An vielen Stellen textlich schlichtweg überfrachtet<br />
und teilweise auch nicht wirklich passend zur Melodie,<br />
kann die deutsche Fassung den Spirit des englischen<br />
Originals leider nur sehr eingeschränkt widerspiegeln<br />
und wirkt vielleicht deshalb oftmals zu bemüht,<br />
das sprachmelodische Manko trotzdem irgendwie<br />
ausgleichen zu wollen. Nicht nur, weil besonders in<br />
den Up-tempo-Nummern das Textverständnis hierunter<br />
erheblich leidet, wäre das Belassen der englischen<br />
Sprache (unter Zuhilfenahme von Obertiteln)<br />
14<br />
blickpunkt musical <strong>06</strong>/20<strong>23</strong>
<strong>Musical</strong>s in Deutschland<br />
vielleicht die bessere Wahl gewesen. Sei es drum, denn<br />
trotz der genannten, übersetzungsgeschuldeten Einbußen<br />
erwartet den Zuschauer eine energiegeladene<br />
Show, die beim anfangs verhaltenen Premierenpublikum<br />
bereits kurz nach dem ersten Showstopper ›Rent‹<br />
für anhaltend tosenden Applaus sorgte.<br />
Was folgt, sind 525.600 Minuten im Zeitraffer:<br />
Ein Jahr im Leben von Mark, Roger, Collins, Angel,<br />
Maureen, Joanne und Mimi, einer Clique junger Bohemiens,<br />
deren Freundschaft am Heiligabend in einem<br />
heruntergekommenen Block im New Yorker East<br />
Village ihren Anfang findet und im Verlauf der Handlung<br />
zum einzigen Lichtblick wird in einem Alltag von<br />
drohender Wohnungslosigkeit, Drogenmissbrauch, Rassismus<br />
und Verlustangst der eigenen Werte.<br />
Über allem schwebt die Krankheit AIDS, denn ein<br />
Großteil der Clique ist HIV-positiv. Ihren eigenen,<br />
individuellen Ängsten setzen die Protagonisten ihre<br />
Kreativität und – trotz diverser Rückschläge – ihren<br />
unerschütterlichen Glauben an die Freundschaft und<br />
die Kraft der Liebe entgegen.<br />
Der Blick in eine ungewisse, in manchen Fällen nur<br />
noch (krankheitsbedingt) kurze Zukunft verschiebt<br />
dabei den Fokus ins Hier und Jetzt. ›Es zählt nur<br />
das Jetzt‹ wird neben der »Rent«-Hymne ›Seasons of<br />
Love‹ (die abweichend vom Rest im englischen Original<br />
gesungen wird) zum aussagekräftigsten Song des<br />
Abends und hallt auch nach Vorstellungsbesuch lange<br />
nach.<br />
Ohnehin ist es die vielschichtige Musik von Jonathan<br />
Larson, die neben der berührenden Geschichte<br />
lange im Gedächtnis bleibt. Begleitet von einer bestens<br />
aufgelegten, fünfköpfigen Band unter abwechselnder<br />
musikalischer Leitung von Jürgen Grimm und Karsten<br />
Scholz wird bei »Rent« ähnlich wie bei vielen Opern<br />
nahezu komplett durchgesungen. Auch hier gibt es<br />
in einigen Liedern thematische Anleihen bei »La<br />
Bohème«: der ›Tango Maureen‹ und ›Feuer für die<br />
Kerze‹ werden so zu musikalischen Verbeugungen vor<br />
Puccinis Werk.<br />
Besonders zu erwähnen ist spätestens an dieser<br />
Stelle das hervorragende Ensemble, das den Drive und<br />
den Spirit von Jonathan Larsons Werk bestens auf<br />
das Publikum zu übertragen weiß. Die hochkarätige<br />
Besetzung der Hauptrollen Roger, Mimi und Maureen<br />
durch die bekannten <strong>Musical</strong>darsteller David Jacobs,<br />
Patricia Meeden und Bettina Mönch ließ bereits im<br />
Vorfeld Großes erwarten … und tatsächlich wird man<br />
nicht enttäuscht. Im Gegenteil, alle drei überzeugen<br />
<strong>mit</strong> enormer Bühnenpräsenz, differenzierten Rollenporträts,<br />
tollem Spiel und ausdrucksstarken Stimmen.<br />
Genauso eindrucksvoll verstanden es auch Christof<br />
Messner als Mark, Amani Robinson als Joanne und Alex<br />
Snova als Collins, in ihren jeweiligen Rollen zu begeistern.<br />
Die unterschiedlichen Nebencharaktere werden<br />
dank einer seit vielen Jahren bestehenden Kooperation<br />
<strong>mit</strong> der Essener Folkwang Universität der Künste <strong>mit</strong><br />
dort studierenden Nachwuchsdarsteller:innen besetzt.<br />
Die Chance, erste Bühnenerfahrungen in professionellen<br />
Engagements zu sammeln, haben die jungen<br />
Künstler:innen jedenfalls genutzt und wussten ihre<br />
jeweiligen, wenn auch noch kleinen, Rollen bestens<br />
auszufüllen.<br />
Wohin die musi(c)alische Karriere nach der Ausbildung<br />
an der Folkwang Universität schlussendlich<br />
führen kann, zeigte am Premierenabend ziemlich<br />
eindrucksvoll ein Darsteller, der selbst erst vor wenigen<br />
Jahren in einer noch ganz kleinen Rolle in der<br />
Dortmunder Inszenierung der »West Side Story« zu<br />
sehen gewesen war und nun als klarer Publikumsliebling<br />
des Abends brillierte: Lukas Mayer, der <strong>mit</strong><br />
der vielschichtigen Rolle des Angel die Herzen vieler<br />
Zuschauer:innen berührte und so einen weiteren Meilenstein<br />
in seiner bereits vielversprechenden Laufbahn<br />
als <strong>Musical</strong>darsteller setzen konnte.<br />
Ob »Rent« in Deutschland nun wieder mehr in die<br />
Köpfe und Herzen der <strong>Musical</strong>zuschauer zurückkehrt<br />
und dank vielleicht auch weiterer Produktionen den<br />
ihm gebührenden Erfolg verbuchen wird, wird die Zeit<br />
zeigen. Ein Besuch der gegenwärtigen Inszenierung im<br />
Theater Dortmund lohnt sich allemal.<br />
Susanne Baum<br />
Abb unten von links:<br />
1. ›Raus heut‘ Nacht‹ – Mimi<br />
(Patricia Meeden) verdient ihr Geld als<br />
Go-go-Tänzerin im Cat Scratch Club<br />
(Ensemble)<br />
2. ›Kontakt‹ – Angel (Lukas Mayer)<br />
kämpft gegen die tödlichen Folgen<br />
seiner AIDS-Erkrankung … und verliert<br />
Fotos (2): Thomas M. Jauk<br />
blickpunkt musical <strong>06</strong>/20<strong>23</strong><br />
15
<strong>Musical</strong>s in Deutschland<br />
Wenn Götter sich einmischen<br />
Deutschsprachige Erstaufführung von »Jason und die Argonauten« in Berlin<br />
Abb. oben:<br />
Jason (Daniel Brennecke, Mitte) und<br />
die Argonauten (Ensemble) haben ihr<br />
Ziel erreicht: das goldene Vlies und<br />
seine Wächter<br />
Foto: Rajasiman Srinivasan<br />
Dem deutschen Theaterpublikum war »Jason und<br />
die Argonauten« bis Ende September dieses Jahres<br />
unbekannt. Bis auf die Uraufführung im April 2016<br />
im Bridewell Theatre in London ist bisher keine weitere<br />
Produktion zu verzeichnen gewesen. Eher kennt<br />
man höchstens noch den gleichnamigen Fantasyfilm<br />
von 1963. Das hat die Berliner Stage Company zum<br />
Glück geändert! An vier Tagen war das Stück zu sehen<br />
und es war wieder einmal staunenswert, was für eine<br />
großartige Produktion ein Verein <strong>mit</strong> Herzblut, Talent<br />
und Engagement auf die Bühne bringen kann.<br />
Das <strong>Musical</strong> aus der Feder von Tim Sanders,<br />
Charles Miller und Paul Carpenter eignet sich hervorragend<br />
für jedes Publikum und passt perfekt zu<br />
einem Kern aus zumeist jüngeren Vereins<strong>mit</strong>gliedern.<br />
Sanders schrieb zum Konzept von Paul Carpenter<br />
(zusätzliche Liedtexte) ein humorvolles Buch und<br />
Liedtexte für einen kurzweiligen, spannenden Theaterabend<br />
<strong>mit</strong> viel Raum zur Ausgestaltung von Humor.<br />
Der deutsche Regisseur und Übersetzer Hartmut H.<br />
Forche hat dafür gesorgt, dass die deutschen Dialoge<br />
und Liedtexte Sinn machen, dennoch gut und gegenwärtig<br />
klingen sowie der Humor nicht im Boden<br />
versinkt. Spaß machen die eingewebten Referenzen<br />
auf Theater und darstellendes Spiel oder einfach nur<br />
amüsante Zwischenkommentare »von oben herab«<br />
zum Geschehen, etwa wenn Artemis bekundet, dass<br />
sie Medea sowas von nervig findet, Heras: »Ich dreh<br />
die Handlung um« oder wenn der selbstgefällige Pelias<br />
hysterisch aufschreit: »Das war mein Satz!«<br />
Die Musik von Charles Miller bietet mal <strong>Musical</strong>-<br />
Balladen, mal hervorragend eingesetzte Ensemblesongs,<br />
rockige Anleihen oder jazzig-gospel-inspirierte Musik<br />
und scoreartig unterlegte Szenen. Musikalische Motive<br />
erkennt man ebenfalls und so manches schleicht sich in<br />
die Gehörgänge, wie der eindringliche »Pelias!«-Chor.<br />
Die Songtexte sind oft bildsprachlich und geben Einblick<br />
ins Innere der Charaktere, etwa wenn Jason entschlossen<br />
»Jetzt stoppt mich keiner mehr« beteuert oder<br />
Hera vom Eingesperrtsein in der Ehe singt, wenngleich<br />
sie eine mächtige Göttin ist.<br />
Die in ihrer Ehe gelangweilte und genervte Hera<br />
(Ségolène Bouvret) hält es nicht mehr aus. Sie steht<br />
unter dem Pantoffel ihres Götterehemanns Zeus und<br />
will ihren eigenen Spaß. Dazu sucht sie sich den Menschen,<br />
den »Goldenen Griechensohn«, Jason aus, den<br />
sie vor seinem Tod bewahrt und von dem Zentauren<br />
Chiron (Robin Stasch-Lungwitz) erziehen und bilden<br />
lässt. Als Göttermutter manipuliert sie die Schicksale<br />
der Menschen und macht Jason zu ihrem Toyboy. An<br />
seinem 18. Geburtstag wird ihm offenbart, dass seine<br />
Mutter noch lebt, in Iolcus am Hof weilt und König<br />
Pelias geheiratet hat, der Jasons Vater einst umgebracht<br />
hat. Jason mischt sich bei den »Paradise Heights« unters<br />
Volk, offenbart sich Pelias und fordert von ihm seinen<br />
rechtmäßigen Anspruch auf den Thron. Dieser verlacht<br />
ihn jedoch und fordert, ihm das sagenumwobene<br />
Goldene Vlies zu bringen. Jason nimmt die Herausforderung<br />
an und gewinnt eine treue Mannschaft für<br />
seine Argonautenfahrt. Auf seiner Heldenfahrt zum<br />
Goldenen Vlies lässt Zeus, der hinter die geheimen<br />
Spielchen seiner Ehefrau gekommen ist, einen gefährlichen<br />
Sturm aufziehen. Zudem erreicht Jason Kolchis,<br />
wo Aetes, Apsyrtus und Medea ihre eigenen Pläne<br />
16<br />
blickpunkt musical <strong>06</strong>/20<strong>23</strong>
<strong>Musical</strong>s in Deutschland<br />
gegen die Bedrohung durch Jason schmieden. Doch<br />
dann verliebt sich Medea in Jason. Apsyrtus verübt<br />
bei der Hochzeit der beiden auf Geheiß des Vaters ein<br />
Attentat auf Jason, das jedoch vereitelt werden kann.<br />
Hera bezichtigt Aphrodite des Liebeszaubers zwischen<br />
den beiden, jedoch stellt sich heraus, dass Jason und<br />
Medea sich wirklich lieben. Das Goldene Vlies kann<br />
Jason auch erobern und demontiert erst einmal die<br />
Legende von Schlangen und Stieren in der Höhle des<br />
Goldenen Vlies. Zurück in Iolcus, schickt ihn Medea<br />
<strong>mit</strong> einer List für ewig in die Höllenwelt. Das Goldene<br />
Vlies jedoch erfüllt Jason seinen Herzenswunsch am<br />
Totenbett der Mutter, sie erwacht von den Toten.<br />
Hera, unzufrieden <strong>mit</strong> dem Ende, das Zeus letztendlich<br />
eingerichtet hat, sinnt auf eine Fortsetzung ihrer<br />
Spielchen.<br />
Tontechnik und Lichttechnik (Licht: Michael Plog)<br />
setzen die Darsteller in passende Stimmung und sorgen<br />
<strong>mit</strong> klarem, lautem Sound für verständliche Dialoge<br />
und gesungene Worte. In der Eröffnungsnummer<br />
werden durch die Vereins<strong>mit</strong>glieder Beziehungen und<br />
zu erwartende Handlungen angedeutet. Unter der<br />
Leitung von Toni Schmidt spielt die Band feinsinnig<br />
langsame und schnelle Melodien und Rhythmen, <strong>mit</strong><br />
denen das Publikum an diesem Abend eins wird. Die<br />
musikalische Leitung hatten Ségolène Bouvret und<br />
Jörn Wübker inne. Das Bühnenbild und die Requisite<br />
besorgten Fabian Menzel und Bruno Wilkening. Ein<br />
Schiffsgelände wird angedeutet, Segel im Hintergrund<br />
markieren die Argonautenfahrt, Tücher und Stoffbahnen<br />
verbildlichen Blut, Meer und andere darzustellenden<br />
Flüssigkeiten und Konsistenzen. Unzählige Requisiten<br />
und Bühnenbildteile bilden die verschiedenen<br />
Handlungsorte und -räumlichkeiten ab. Die rosaroten<br />
Liebesbrillen sind ein zündender Gag sowie bei einem<br />
genaueren Hinblick die Lektüre der Göttinnen, Styleund<br />
Lifestyle-Magazine <strong>mit</strong> Untertiteln wie »Entdecke<br />
die Göttin in dir«. Buchstabenaufsteller auf der Bühne<br />
bilden mal das Wort »Jason«, mal »Ja« und »No«<br />
(Heirat) oder auch humorvoll die Verunglimpfung<br />
des Namens als »Jonas«. Das Kostümbild von Vivian<br />
Fuchs und Yara Lucie Kramer und das Bühnenbild<br />
und die Requisite sind äußerst stimmig und ergänzen<br />
sich wunderbar. Es gibt helle und dunklere griechische<br />
Wickelkleidung und Sandalen, an die Antike und einen<br />
theatralischen griechischen Chor erinnernd, es gibt die<br />
Gothic-inspirierte Kleidung der Kolchis <strong>mit</strong> schwarzen<br />
Stoffen und schwarzen Boots, die Kleidungsgepflogenheiten<br />
am Hofe und die strahlenden, Tunika-inspirierten<br />
Kleider für die Göttinnen auf High Heels. Jene<br />
tragen auch ein göttliches Make-up (Maske: Vanessa<br />
Gstettenbauer, Solveigh Anu Rügamer, Katie Steggall)<br />
inklusive passender göttlicher Stirnbemalung. So<strong>mit</strong><br />
werden die Gruppierungen in dieser Geschichte kontrastreich<br />
voneinander abgegrenzt.<br />
Regie führt Simon Chevrel, <strong>mit</strong> Assistenz von<br />
Daniel Bogacki und Maj Weidlich. Die Dialoge<br />
sind kurzweilig und sehr prägnant intoniert, die einstudierten<br />
Bewegungsabläufe auf der Bühne sitzen.<br />
Die Rollenanlagen ziehen das Publikum <strong>mit</strong>samt<br />
dem Zauber des Bühnen- und Kostümbilds und der<br />
abwechslungsreichen, das Tempo der Szenen bestimmenden<br />
Musik in ihren Bann. An der Choreographie<br />
hat wieder das interne Dreamteam aus Annika Braun,<br />
Vivian Fuchs und Anika Stasch gearbeitet und so<br />
begeistern zum Beispiel die Ensemble-Choreographie<br />
von Jasons Argonautenfahrt an Bord der Argo oder<br />
die Tänze auf der Charity-Gala »Paradise Heights«<br />
sowie bei Hofe. Bei Bedarf wird auch mal vom Publikumsraum<br />
aus gesungen. Wunderschön gestaltet sich<br />
ein Rundgang von den Seiten zur Bühne, in denen<br />
lampionartige Lichter getragen werden. Wenn Castor<br />
und Pollux, die beiden Puppen, eine Geschichte<br />
erzählen, dann werden sie von akrobatischen Einlagen<br />
Jason und die Argonauten<br />
Charles Miller / Paul Carpenter /<br />
Tim Sanders<br />
Deutsch von Hartmut H. Forche<br />
Berliner Stage Company<br />
Atze Musiktheater Berlin<br />
Deutschsprachige Erstaufführung:<br />
21. September 20<strong>23</strong><br />
Regie ........................... Simon Chevrel<br />
Musikalische Leitung ...........................<br />
Ségolène Bouvret &<br />
Jörn Wübker<br />
Choreographie .............. Annika Braun,<br />
Vivian Fuchs,<br />
Anika Stasch<br />
Bühnenbild .............. Fabian Menzel &<br />
Bruno Wilkening<br />
Kostüme ...................... Vivian Fuchs &<br />
Yara Lucie Kramer<br />
Maske ............ Vanessa Gstettenbauer,<br />
Solveigh Anu Rügamer,<br />
Katie Steggall<br />
Lichtdesign .................... Michael Plog<br />
Jason ..................... Daniel Brennecke /<br />
Alexander Anders<br />
Hera ..................... Ségolène Bouvret /<br />
Vanessa Gstettenbauer<br />
Chiron / Apsyrtus .................................<br />
Robin Stasch-Lungwitz /<br />
Jona Arava<br />
Pelias ....................... Kevin Flemming /<br />
Daniel Bogacki<br />
Medea ...... Elisa Schütz / Vivian Fuchs<br />
Zeus / Aetes ................. Michael Plog /<br />
Marco Lindstaedt<br />
Artemis ......................... Anika Stasch /<br />
Johanna Elisabeth Clemens<br />
Athene ................. Yara Lucie Kramer /<br />
Maj Weidlich<br />
Aphrodite ..... Solveigh Anu Rügamer /<br />
Christin Matthus<br />
Königin Polymele ...... Judith Gilleßen /<br />
Minka K. Gaber<br />
Orpheus ....................... Patrick Dreier<br />
Lynceus .................... Bruno Wilkening<br />
Atalanta ......................... Annika Braun<br />
Herkules ........... Jean-Frederic Alscher<br />
Castor & Pollux (Puppen) /<br />
Argo............................... Fabian Menzel<br />
Abb. von links oben:<br />
1. Die Argonauten (Ensemble)<br />
befahren und bewältigen die Meere<br />
2. Jason (Alexander Anders, Mitte,<br />
i.d.bes.Vorst: Daniel Brennecke) und<br />
die Argonauten (Ensemble) setzen<br />
die Segel<br />
3. Jason (Alexander Anders, 2.v.r.,<br />
i.d.bes.Vorst: Daniel Brennecke) und<br />
Medea (Vivian Fuchs, r., i.d.bes.<br />
Vorst. Elisa Schütz) empfinden<br />
wahre Liebe füreinander<br />
4. Jasons Onkel Pelias (Kevin<br />
Flemming, <strong>mit</strong> Ensemble) ist an der<br />
Macht, nachdem dieser Jasons Vater<br />
Aison tötete<br />
Foto 1+3: Frolleinjj<br />
Foto 2+4: Rajasiman Srinivasan<br />
blickpunkt musical <strong>06</strong>/20<strong>23</strong><br />
17
<strong>Musical</strong>s in Deutschland<br />
Abb. unten von links oben:<br />
1. Jason (Alexander Anders, 3.v.r.,<br />
i.d.bes.Vorst: Daniel Brennecke)<br />
und seine Reisegefährten, die<br />
Argonauten (Ensemble)<br />
2. Im Himmel ist auch nicht alles<br />
Friede, Freude, Eierkuchen: Zeus<br />
(Marco Lindstaedt, i.d.bes.Vorst.<br />
Michael Plog) und Hera (Vanessa<br />
Gstettenbauer, i.d.bes.Vorst.<br />
Ségolène Bouvret)<br />
3. Polymele träumt vom Ertrinken<br />
ihres Sohnes (Daniel Brennecke,<br />
unten, <strong>mit</strong> Ensemble) in den Fluten<br />
4. Hera (Ségolène Bouvret, Mitte,<br />
<strong>mit</strong> Ensemble) spielt <strong>mit</strong> den<br />
Menschen als ihren Untertanen<br />
Foto 1+2: Frolleinjj<br />
Foto 3+4: Rajasiman Srinivasan<br />
zweier Vereins<strong>mit</strong>glieder bildhaft unterstützt, die dafür<br />
zurecht tosenden Applaus bekommen.<br />
Bei der Premiere spielte Daniel Brennecke den<br />
»Goldenen Griechensohn« Jason gar nicht so dümmlich,<br />
aber auf der Suche nach sich selbst und seinen<br />
Wurzeln. Sein Gesang berührte und die Rolle gefällt<br />
als menschlicher Held <strong>mit</strong> Fehlern, Schwächen, <strong>mit</strong><br />
Gefühlen und Zweifeln. Robin-Stasch Lungwitz<br />
gefällt sehr <strong>mit</strong> seiner <strong>Musical</strong>tenorstimme und als<br />
gutmütiger, liebevoller Zentaur Chiron, in seiner Darstellung<br />
unterstützt <strong>mit</strong> dem stabilen Pferdekörper <strong>mit</strong><br />
Draht und hinterherschwingenden Füßen. Was für<br />
eine Wirkung! Als Apsyrtus aus Kolchis darf er dann<br />
im zweiten Teil des <strong>Musical</strong>s seine schwarze Seele<br />
befreien, spielt cool <strong>mit</strong> einem Messer und offenbart<br />
hinter der draufgängerischen Pose einen Kern der<br />
Zurückweisung durch den Vater. Als seine Schwester<br />
Medea ist am Premierenabend Elisa Schütz zu sehen,<br />
teils düster-verrückt, teils einfach sehr süß, in dem<br />
Moment, wenn sie Jason erblickt und sich unsterblich<br />
in ihn verliebt – obwohl er ein Dorn im Auge ihrer<br />
Familie und von Kolchis ist. Ihr Vater Aetes wird von<br />
Michael Plog verkörpert, streng, wuterfüllt und auf<br />
einen dunklen Plan sinnend.<br />
Auf einen Plan sinnt auch Zeus, in dessen Rolle<br />
Michael Plog ebenfalls schlüpft, die Hosen anhabend<br />
im Hause von Zeus und Hera, immer für einen Gag<br />
gut, wenn seine Stimme aus dem Off seine Ehefrau ruft<br />
und an ihre Pflichten erinnert. Ségolène Bouvret als<br />
Zeus´ Ehefrau hat jedoch anderes im Kopf, sorgt <strong>mit</strong><br />
ihrer Selbstberuhigungsstrategie für Schmunzler und<br />
hat auch ansonsten immer eine scharfe Gegenantwort<br />
und Idee auf Lager. Die unterwürfige und sich gleichzeitig<br />
ihren Spielchen hingebende launische, temperamentvolle<br />
Hera ist eine interessante Figur und mischt<br />
sich meist von der Seite der Bühne aus ein, hat aber<br />
auch ihre großen Momente in der Bühnen<strong>mit</strong>te, wie in<br />
ihrem Song ›Die Welt liegt mir zu Füßen‹, den Ségolène<br />
Bouvret einfach mal dahinschmettert. Immer an ihrer<br />
Seite sind die Göttinnen Artemis (direkt und ehrlich:<br />
Anika Stasch), Athene (spielfreudig: Yara Lucie Kramer)<br />
und Aphrodite (herzige Liebesstifterin: Solveigh<br />
Anu Rügamer). Die augenzwinkernde Darstellung der<br />
Götter gefällt und die vier Göttinnen klingen polyphon<br />
einfach himmlisch, was aber genauso für die vielen<br />
Ensemblenummern gilt. Der bereits beschriebene<br />
»Pelias«-Chor klingt bedrohlich und neckend zugleich,<br />
das trifft auch auf den König zu, den Kevin Flemming<br />
wunderbar wahnsinnig, hämisch und ironisch spielt.<br />
Wer ihn schon einmal spielen erlebt hat, der findet,<br />
dass diese Rolle wie für ihn gemacht ist. Judith Gilleßen<br />
überzeugt als Königin Polymele trotz jungen Alters,<br />
dafür <strong>mit</strong> umso mehr Schmerz und eindringlicher Forderung<br />
nach dem Verständnis ihres Sohnes.<br />
Patrick Dreier als Orpheus, Bruno Wilkening als<br />
Lynceus, Annika Braun als sexy Atalanta und Jean-<br />
Frederic Alscher als die Frauen zum Kreischen bringender<br />
Herkules, Fabian Menzel als Argo (<strong>mit</strong> Castor<br />
und Pollux) und das Ensemble – jeder von ihnen trägt<br />
ebenfalls wesentlich dazu bei, diesen Abend zu einem<br />
ganz besonderen zu machen, <strong>mit</strong> viel Spielfreude,<br />
Herzblut, Können und Gemeinschaftsgefühl. Auch<br />
diese Show der Berliner Stage Company kann <strong>mit</strong><br />
Liebe zu Details im Rollenspiel, in choreographischer<br />
und bühnenbildnerischer sowie Kostümarbeit aufs<br />
Höchste überzeugen und weiterhin gespannt auf Kommendes<br />
machen.<br />
Rosalie Rosenbusch<br />
18<br />
blickpunkt musical <strong>06</strong>/20<strong>23</strong>
<strong>Musical</strong>s in Deutschland<br />
›Wenn ich mir ´was wünschen dürfte ...‹<br />
»Marlene« im Berliner Renaissance-Theater<br />
Abb. oben:<br />
Die große Dietrich (Sven Ratzke) blickt<br />
zurück auf ihre Karriere<br />
Foto: Ann-Marie Schwanke Siegersbusch<br />
Marlene<br />
Pam Gems / Connie Palmen<br />
Deutsch von Angela Kingsford Röhl<br />
Renaissance-Theater Berlin<br />
Premiere: 8. Oktober 20<strong>23</strong><br />
Regie ......................... Guntbert Warns<br />
Musikalische Leitung ...... Jetse de Jong<br />
Kostüme ........................... Ian Griffiths<br />
Lichtdesign .................. Carl Bergerard<br />
Bühnenbild ................... Ezio Toffolutti<br />
Marlene ........................... Sven Ratzke<br />
Viv ................................ Johanna Asch<br />
enneth Tynan, Theaterkritiker, Autor und vor<br />
K allem Freund von Marlene Dietrich, sagte einst<br />
über die Ikone: »Sie hat Sexappeal, aber keine klare<br />
Geschlechtsidentität.« So sehr dies auf sie als Person<br />
wohl zutraf, so sehr könnte man genau dies über das<br />
Stück von Pam Gems sagen, welches unter der Regie<br />
von Guntbert Warns <strong>mit</strong> Sven Ratzke in der Hauptrolle<br />
entstanden ist.<br />
Geboren als Maria Magdalena kämpfte sie<br />
da<strong>mit</strong>, sich als diese auch zu identifizieren. Sie<br />
wurde zwischenzeitlich auf eigenen Wunsch als<br />
Junge angesprochen, bevor sie dann ihre Namen<br />
kombinierte und die Kunstfigur Marlene erschuf.<br />
Sie lebte ein großes, aufregendes Leben, lernte alle<br />
erdenklichen Showgrößen und Politiker kennen,<br />
filmte einen Blockbuster nach dem anderen und<br />
wurde in den verschiedensten Ländern der Welt<br />
verehrt – in ihrer Heimat Deutschland <strong>mit</strong>unter<br />
aber auch verachtet, weil sie sich angeblich <strong>mit</strong> ihrer<br />
klaren Haltung gegen Hitler und ihrem noch rechtzeitigen<br />
Wechsel der Staatsbürgerschaft auch gegen<br />
Deutschland, insbesondere Deutschlands Soldaten,<br />
gestellt habe. Selbst viele Jahrzehnte später wurde<br />
ihr hierfür bei Konzerten in Deutschland noch<br />
Hass entgegengebracht, dem sie aber selbstbewusst<br />
trotzte. Nach einem Oberschenkelhalsbruch <strong>mit</strong> 75<br />
Jahren zog sie sich dann erst von der Bühne, drei<br />
Jahre später auch von den Kameras vollständig<br />
zurück. Nur sehr wenige Menschen durften sie<br />
überhaupt noch in ihrer Pariser Wohnung besuchen,<br />
während sie sich dem Alkohol immer mehr hingab<br />
und letztendlich das Bett nicht mehr verließ. Genau<br />
zu diesem Zeitpunkt ihres Lebens spielt also der<br />
erste Akt. Leider erschließen sich viele Momente<br />
nicht, wenn man nicht ein Kenner der Biographie<br />
Dietrichs ist. Bis zum Schluss bleibt unklar, ob sie<br />
zum Beispiel an Demenz litt, ob es wirklich nur<br />
ihre Alkoholprobleme waren, die für die Verwirrtheit<br />
sorgten, ob tatsächlich ein Konzert geplant war<br />
oder letztendlich alles nur Einbildung sein soll. Die<br />
Dietrich hangelt sich von ihrem Bett aus von einer<br />
Anekdote zur nächsten, viele berührende Momente<br />
sind dabei, insbesondere wenn sie sich ihres Alters<br />
und ihrer Vergänglichkeit bewusst wird. Den<br />
Zuschauer beschleicht das traurige, beklemmende<br />
Gefühl, jemanden gerade beim Untergang beobachten<br />
zu müssen. Jemand, der einst ganz oben war,<br />
verliert sich selbst, verliert den Kampf gegen seinen<br />
Kopf und gegen seinen Körper. Kaum hat man sich<br />
also dem Schicksal ergeben und sich <strong>mit</strong> dem zum<br />
Teil sehr poetischen Weltbeobachten der vor sich<br />
hinsiechenden Dietrich angefreundet, verändert der<br />
zweite Akt alles. Hier findet nun ein Konzert statt,<br />
all ihre großen Hits (u. a. ›Lili Marleen‹, ›Sag mir wo<br />
die Blumen sind‹ und natürlich auch ›Ich bin von<br />
Kopf bis Fuß auf Liebe eingestellt‹) werden nun in<br />
Gänze gesungen. Charmant umgarnt sie das Publikum,<br />
von der Person des ersten Aktes, vor allem aber<br />
von dessen Stimmung ist nichts mehr spürbar, bis sie<br />
zum Schluss den Weg von der großen Bühne in ihr<br />
Bett findet und stirbt.<br />
Sowohl der erste als auch der zweite Akt haben<br />
ihr Für und Wider, aber was es wirklich schwierig<br />
macht, ist dieser enorme Kontrast. Das mag zu der<br />
Person Marlene Dietrich vielleicht sogar passen,<br />
etwas zu kreieren, was nicht eindeutig <strong>Musical</strong>,<br />
Schauspiel <strong>mit</strong> Musik oder doch Konzert ist. Als<br />
Zuschauer verlässt man allerdings <strong>mit</strong>unter zweimal<br />
20<br />
blickpunkt musical <strong>06</strong>/20<strong>23</strong>
<strong>Musical</strong>s in Deutschland<br />
ratlos den Theatersaal – einmal nach dem ersten Akt<br />
und einmal nach dem zweiten. Und das ist leider<br />
einmal zu viel.<br />
Anders als das Stück selbst ist Sven Ratzke in seiner<br />
Rolle sehr klar, sehr differenziert im Ausdruck<br />
und <strong>mit</strong> einem hohen Maß an perfektioniertem<br />
Einsatz der Emotionen. Wunderbar auch, dass er nie<br />
versucht, sich <strong>mit</strong> BH zu einer Frau zu machen, nein,<br />
hier ist immer sichtbar, dass ein Mann auf der Bühne<br />
steht, was eine sehr begrüßenswerte Entscheidung<br />
ist. Im zweiten Akt kann er auch gesanglich vollends<br />
überzeugen und beherrscht das Spiel <strong>mit</strong> dem Publikum<br />
hervorragend. Diese Besetzungsentscheidung<br />
ist definitiv gelungen!<br />
Als Assistentin Viv steht, bzw. wirbelt, Johanna<br />
Asch immer wieder charmant über die Bühne. Rollenbedingt<br />
hat sie leider nicht viel zu bieten, sie ist<br />
immer nur die Ja-Sagerin und die, die versucht, die<br />
Dietrich in allem zu verstehen, zu unterstützen. Dies<br />
hinterlässt beim Publikum leider den Eindruck, dass<br />
man noch mehr Mitleid <strong>mit</strong> der Frau haben muss.<br />
Zumal auch hier das Buch offen lässt, was oder wer<br />
diese Person für die Dietrich eigentlich ist.<br />
Wunderbar intelligent, denn schlicht und trotzdem<br />
ganz und gar nicht einfach, ist das Bühnenbild<br />
von Ezio Toffolutti. Die verspiegelten Wände bieten<br />
die Möglichkeit, die Dietrich auch von vorn zu<br />
sehen, selbst wenn sie dramaturgisch dem Publikum<br />
den Rücken zukehrt. Zudem ist es Grundlage des<br />
wunderbaren Lichtdesigns von Carl Bergerard,<br />
welches man durchaus als kleinen Star des Abends<br />
bezeichnen kann. Hier entstehen im Zusammenspiel<br />
höchst ästhetische Bilder, und auch wenn<br />
fotografieren grundsätzlich im Theater verboten<br />
ist, so hat man hier doch immer wieder Verständnis<br />
für diejenigen, die sich hieran nicht halten wollen.<br />
Zu schön ist der eine oder andere Moment, um ihn<br />
nicht nur im Gedächtnis behalten zu wollen. In dieses<br />
Gesamtwerk fließen auch die Kostüme von Ian<br />
Griffiths ein, die Sven Ratzke vermutlich auf den<br />
Leib geschneidert wurden.<br />
Die Regieleistung von Guntbert Warns ist sehr<br />
detailliert. Eine Show, die so auf eine Person fokussiert<br />
ist, muss genau von dieser Person dann auch<br />
minutiös erwarten, dass das ganze Spektrum an<br />
Emotionen abgeliefert wird. Hier haben er und Sven<br />
Ratzke sichtlich viel Zeit <strong>mit</strong>einander verbracht, um<br />
aus jedem Moment das Beste herauszuholen.<br />
Der wirkliche Star des Abends aber sind weder<br />
Darsteller noch Bühne, sondern er sitzt am Klavier.<br />
Virtuos, gefühlvoll, voller Leidenschaft und <strong>mit</strong><br />
bewundernswertem Anschlag lässt Jetse de Jong<br />
die Musik erklingen, die zum Teil ungewöhnlich<br />
arrangiert wurde, daher einen Hauch mehr bietet<br />
und dennoch immer wieder zurückkehrt zu den<br />
wohligen, bekannten Klängen der Melodien, die<br />
Vertrautheit auslösen.<br />
»Wenn ich mir was wünschen dürfte, käm ich<br />
in Verlegenheit …« Es wäre wohl der Wunsch nach<br />
einer Überarbeitung des Buches, da<strong>mit</strong> dieses all den<br />
im Renaissance-Theater <strong>mit</strong> viel Liebe und Können<br />
geschaffenen Bildern und Klängen des Abends gerecht<br />
werden würde.<br />
Sabine Haydn<br />
Abb. oben:<br />
»Wenn ich mir was wünschen<br />
dürfte, möchte ich etwas glücklich<br />
sein. Denn wenn ich gar zu<br />
glücklich wär, hätt ich Heimweh<br />
nach dem Traurigsein«<br />
Abb. unten von links:<br />
1. Marlene (Sven Ratzke) ist ›Von<br />
Kopf bis Fuß auf Liebe eingestellt‹<br />
2. Viv (Johanna Asch) ist Marlenes<br />
(Sven Ratzke) einzige Vertraute<br />
3. »So woll’n wir uns da wieder<br />
seh’n, bei der Laterne wollen wir<br />
steh’n, wie einst Lili Marleen«<br />
Fotos (4): Ann-Marie Schwanke<br />
Siegersbusch<br />
blickpunkt musical <strong>06</strong>/20<strong>23</strong><br />
21
<strong>Musical</strong>s in Deutschland<br />
Die Uraufführung eines <strong>mit</strong> Spannung geladenen<br />
Klassikers<br />
»A Tale of Two Cities« im Theater Hof<br />
Sidney Carton (Jannik Harneit, l.) gratuliert Lucie Manette (Birgit Reutter) und Charles Darnay (Stefan Reil, r.)<br />
zu ihrer Hochzeit<br />
Foto: H. Dietz Fotografie<br />
A Tale of Two Cities<br />
Paul Graham Brown / Reinhardt Friese<br />
Deutsch von Moritz Staemmler<br />
Theater Hof – Großes Haus<br />
Uraufführung: 27. Oktober 20<strong>23</strong><br />
Regie ............................... Uwe Kröger<br />
Co-Regie &<br />
Choreographie ................Timo Radünz<br />
Musikalische Leitung ...... Michael Falk<br />
Orchesterarrangements<br />
& Chorleitung ....................Lucia Birzer<br />
Bühnenbild ........... Herbert Buckmiller<br />
Kostüme .............. Annette Mahlendorf<br />
Lichtdesign ......... Henry Paul Rehberg<br />
Charles Darnay .................. Stefan Reil<br />
Sydney Carton ............. Jannik Harneit<br />
Lucie Manette ................ Birgit Reutter<br />
Doktor Manette ...................................<br />
Yngve Gasoy-Romdal<br />
Miss Pross .................... Stefanie Rhaue<br />
Ernest Defarge .......... Thilo Andersson<br />
Madame Defarge ........ Yvonne Prentki<br />
Jarvis Lorry ....... Maurice Daniel Ernst /<br />
Andrii Chakov<br />
Jerry Cruncher .............. Tamás Mester<br />
Marquis d´Evrémonde ..... Ralf Hocke /<br />
Michal Rudzinski<br />
Stryver ...................... Christiane Seidel<br />
John Barsad .................... Ralf Hocke /<br />
Michal Rudzinski<br />
Gabelle ................ Hans-Peter Pollmer<br />
Richter ...................... Christiane Seidel<br />
Opernchor des Theater Hof<br />
Ganze 518 Seiten umfasst die deutsche Version von<br />
Charles Dickens´ »Eine Geschichte aus zwei Städten«<br />
(»A Tale of Two Cities«). Und weil der Vergleich<br />
unweigerlich fallen muss, ob der ähnlichen Problematik<br />
<strong>mit</strong> einer französischen Revolution, der Menge an<br />
möglichen Charakteren und Nebensträngen: Victor<br />
Hugos »Die Elenden« (»Les Misérables«) kommt auf<br />
1344 Seiten. Wenn man nun also eine Vorlage nimmt,<br />
die so einen großen, bunten Strauß an Möglichkeiten<br />
bietet, ist es immer im Auge des Schaffenden zu entscheiden,<br />
wo die Schwerpunkte liegen sollen, welche<br />
Momente aus dem Roman eine so große Relevanz<br />
haben, dass sie <strong>mit</strong> einem Song bedacht werden können,<br />
und wo man etwas zusammenkürzt.<br />
»A Tale of Two Cities« wurde bereits <strong>mit</strong> zwei<br />
<strong>Musical</strong>s bedacht. Jill Santoriellos Version lief u. a.<br />
am Broadway und wurde bei verschiedenen Preisverleihungen<br />
<strong>mit</strong> Nominierungen und Auszeichnungen<br />
bedacht. Eine deutlich freiere Version schuf Howard<br />
Goodall, der die Handlung von Paris nach St. Petersburg<br />
verlegte, um sich so<strong>mit</strong> auch von dem Vergleich<br />
<strong>mit</strong> »Les Misérables« freischaufeln zu können. Nun<br />
folgt also die Version von Paul Graham Brown, dessen<br />
Texte von Moritz Staemmler übersetzt wurden.<br />
Dem Programmheft ist zu entnehmen, dass auch Uwe<br />
Kröger als Regisseur maßgeblichen Einfluss auf die<br />
Geschichte genommen hat.<br />
Diese beginnt 1775, Jarvis Lorry besucht die da<br />
18-jährige Lucie Manette, welche nach dem irrtümlich<br />
festgestellten Tod ihres Vaters, Doktor Alexander<br />
Manette, von Paris nach London gebracht wird und<br />
dort unter der Obhut von Miss Pross aufwächst.<br />
Gemeinsam reisen sie alle nach Paris und finden den<br />
völlig verstörten Vater im Haus von Ernest und Thérèse<br />
Defarge wieder. Lucie beschließt, sich der Pflege<br />
ihres Vaters anzunehmen, und so kehren sie nach<br />
London zurück. Fünf Jahre später müssen Lorry, Doktor<br />
Manette und Lucie als Zeugen bei einem Prozess<br />
gegen Charles Darnay aussagen. Dieser wird freigesprochen,<br />
verliebt sich sofort in Lucie und besucht<br />
sie immer wieder. Bei diesen Besuchen baut er auch<br />
eine freundschaftliche Beziehung zu Doktor Manette<br />
auf, der die Beziehung zwischen Darnay und seiner<br />
Tochter unterstützt, von dessen Vergangenheit aber<br />
nichts wissen will. Der auch bei dem Prozess anwesende<br />
Sidney Carton verfällt ebenfalls Lucies Charme,<br />
muss jedoch erkennen, dass er als Alkoholiker nicht<br />
der Mann ist, den sie verdient. Er gesteht ihr zwar<br />
seine Liebe, muss sich aber <strong>mit</strong> der Rolle des guten<br />
Freundes zufriedengeben. Bevor Darnay seiner Lucie<br />
einen Heiratsantrag macht, fährt er nach Frankreich,<br />
um dort seinen Onkel, den Marquis d´Evrémonde, zu<br />
besuchen. Darnay macht unmissverständlich klar, dass<br />
er von dem herrschenden Ständesystem nichts hält.<br />
In derselben Nacht wird der Marquis von einem aufgebrachten<br />
Vater ermordet, dessen Tochter bei einem<br />
Unfall <strong>mit</strong> der Kutsche des Marquis´ ums Leben kam.<br />
Dies alles trägt zum Ausbruch der Revolution bei, von<br />
der Darnay lange nicht betroffen ist, bis 1792 dann ein<br />
Brief von dem Verwalter des Schlosses seines Onkels<br />
bei ihm in London eintrifft. Jener wurde unrechtmäßig<br />
verhaftet und bittet Darnay nun um Hilfe. Dieser<br />
macht sich sofort auf den Weg nach Frankreich, seine<br />
Frau, samt Baby und Vater, folgt ihm. Vor Ort erfahren<br />
22<br />
blickpunkt musical <strong>06</strong>/20<strong>23</strong>
<strong>Musical</strong>s in Deutschland<br />
sie die ganze Wahrheit über die Herkunft von Darnay,<br />
der wiederum selbst inzwischen verhaftet wurde. Lucie<br />
möchte ihren Mann unterstützen und stellt sich, trotz<br />
der Gefahren, täglich an einen Ort, an dem er sie vom<br />
Fenster des Gefängnisses aus betrachten kann. Doktor<br />
Manette, beim Volk besonders angesehen durch seine<br />
Fehlverurteilung einige Jahre zuvor, erweist sich als<br />
großer Fürsprecher und schafft es, dass Darnay freigesprochen<br />
wird. Thérèse Defarge als Anführerin der<br />
Revolution lässt dieser Freispruch keine Ruhe und so<br />
sorgt sie dafür, dass er erneut angeklagt wird. Ausgerechnet<br />
durch einen Brief von Manette, welchen dieser<br />
noch im Gefängnis verfasst hatte, wird Darnay schwer<br />
belastet und nun doch zum Tode verurteilt. Sydney<br />
steht ihm und Lucie heldenhaft bei und stellt sein gutes<br />
Herz unter Beweis.<br />
Diese kurze Zusammenfassung kann nicht annähernd<br />
all das zeichnen, was noch an Nebeninformationen<br />
auf der Bühne passiert. Und das, was auf der<br />
Bühne passiert, kann fast nur schemenhaft zusammenfassen,<br />
was alles in Dickens´ Roman geschrieben steht.<br />
Gekürzt werden muss für die Bühne immer, der Teufel<br />
steckt hier leider im Detail, denn durch die vielen Kürzungen<br />
und Zusammenfassungen von Geschehnissen<br />
gehen leider viele Momente unter bzw. führen beim<br />
Zuschauer durchaus zu Verwirrungen. Leider wird auch<br />
immer wieder auf tiefergehende Emotionalität zugunsten<br />
schneller Erzählweise verzichtet. So findet, als<br />
Beispiel, fast nahtlos die Abhandlung statt, dass Lucie<br />
keinen Sinn in einer Heirat erkennt, dann aber doch<br />
durch einen plötzlichen Sinneswandel Darnay heiratet<br />
und noch nach der ersten Strophe des Hochzeitsliedes<br />
das neugeborene Baby in den Händen hält. Hier muss<br />
unbedingt erwähnt werden, dass das Ineinander-Verlieben<br />
der beiden Figuren von Kröger sehr schön und<br />
klar inszeniert wurde; auch die Freundschaft zwischen<br />
Doktor Manette und Darnay wurde <strong>mit</strong> gutem Blick<br />
für das Detail herausgearbeitet. Entsprechend fallen<br />
dann so plötzliche Schnitte auch umso mehr auf. Was<br />
ebenfalls verblüfft, ist die Geschichte der Defarges, für<br />
die sich gefühlt an den falschen Stellen Zeit genommen<br />
wird. So erinnern sie unweigerlich immer wieder an<br />
die Thénardiers aus »Les Misérables«, wenngleich nicht<br />
ganz so auf Kalauer gemacht – dass aber Thérèses ganzer<br />
Hass und Handeln in der Vergangenheit begründet<br />
liegen, erschließt sich schwerlich und erst ganz am<br />
Schluss. Dies ist natürlich für den Spannungsbogen<br />
wichtig, allerdings bleibt dann keine Zeit mehr, um<br />
der Problematik den ihr eigentlich zustehenden Raum<br />
zu geben. Es wäre schön, wenn das Stück noch einmal<br />
überarbeitet werden würde, denn das Potenzial für ein<br />
großes, spannendes und emotionales Theatererlebnis<br />
ist zweifellos spürbar.<br />
Auch ohne den Feinschliff am Buch erleben die<br />
Zuschauer einen sehr schönen Abend in Hof, was allen<br />
voran an der wirklich sehr gut besetzten Cast liegt.<br />
Stefan Reil als Charles Darnay bringt die nötige Stärke<br />
und Durchsetzungskraft <strong>mit</strong>, die die Figur braucht,<br />
um sich glaubhaft gegen das herrschende System in<br />
Frankreich zu stellen und da<strong>mit</strong> seine eigene Familie<br />
Abb. unten von links oben:<br />
1. (v.l.): Lucie Manette (Birgit<br />
Reutter) <strong>mit</strong> ihrem Vater Doktor<br />
Manette (Yngve Gasoy-Romdal)<br />
und ihrer großen Liebe Charles<br />
Darnay (Stefan Reil)<br />
2. Sidney Carton (Jannik Harneit, r.)<br />
hilft Charles Darnay (Stefan Reil, l.)<br />
vor Gericht<br />
3. Lucie Manette (Birgit Reutter,<br />
5.v.r.) freut sich <strong>mit</strong> allen anderen<br />
(Ensemble) <strong>mit</strong> dem frisch freigesprochenen<br />
Charles Darnay (Stefan<br />
Reil, 4.v.r.)<br />
4. Doktor Manette (Yngve Gasoy-<br />
Romdal) macht sich <strong>mit</strong> Lucie (Birgit<br />
Reutter) auf den Weg nach Paris<br />
Fotos (4): H. Dietz Fotografie<br />
blickpunkt musical <strong>06</strong>/20<strong>23</strong><br />
<strong>23</strong>
<strong>Musical</strong>s in Deutschland<br />
Abb.unten von links oben:<br />
1. Lucie Manette (Birgit Reutter)<br />
heiratet glücklich Charles Darnay<br />
(Stefan Reil)<br />
2. Jarvis Lorry (Andrii Chakov, l.)<br />
und Jerry Cruncher (Tamás Mester,<br />
r.) weisen Sidney Carton (Jannik<br />
Harneit, Mitte) auf seine Unzulänglichkeiten<br />
hin<br />
3. Doktor Manette (Yngve Gasoy-<br />
Romdal, vorne l.) bricht zusammen,<br />
als er die Verantwortung für<br />
Charles Darnays (Stefan Reil, Mitte,<br />
<strong>mit</strong> Ensemble) weitere Anklage<br />
übernehmen muss<br />
4. Lucie Manette (Birgit Reutter, l.) und<br />
Charles Darnay (Stefan Reil, r.) helfen<br />
Doktor Manette (Yngve Gasoy-<br />
Romdal, Mitte) bei der Verarbeitung<br />
seelischer Wunden<br />
Fotos (4): H. Dietz Fotografie<br />
zu verraten. Zum anderen aber überzeugt er vor allem<br />
auch <strong>mit</strong> seiner Liebenswürdigkeit, die zu dem Vertrauen<br />
von Lucie und Doktor Manette führt. Ihm<br />
optisch tatsächlich sehr ähnlich, wie vom Buch vorgegeben<br />
und für die Story wichtig, spielt sich Jannik Harneit<br />
als Sydney Carton in die Herzen der Zuschauer.<br />
Er stellt den leicht vertrottelten, <strong>mit</strong> den Süchten<br />
kämpfenden und dennoch die Hoffnung auf ein besseres<br />
Leben und Dasein nicht aufgebenden Carton<br />
sehr präzise und stark ausgearbeitet dar. Jede Gefühlsregung<br />
und jeder Entschluss scheinen tatsächlich aus<br />
ihm herauszukommen. Auch gesanglich überzeugt er,<br />
ihm gehören die schönsten musikalischen Momente<br />
und diese weiß er zu nutzen. Mit sehr klarer, schöner<br />
Stimme macht auch Birgit Reutter als Lucie Manette<br />
auf sich aufmerksam. Dies macht bei den Gesangsstücken<br />
schon sehr viel Freude, kommt aber vor allem bei<br />
den Dialogen sehr positiv zur Geltung. Ihr zur Seite als<br />
kranker Vater steht Yngve Gasoy-Romdal, der hier nur<br />
sehr kurz singen darf, dafür aber ein schauspielerisches<br />
Glanzstück auf die Bühne bringt. Den alten, gebrochenen<br />
Mann stellt er <strong>mit</strong> großer Präzision dar, immer<br />
rollenkonform auch in den Auf- und Abgängen von der<br />
Bühne. Stefanie Rhaue als Miss Pross beweist ebenfalls<br />
ihr Talent, stimmlich und schauspielerisch überzeugen<br />
auch Thilo Andersson und Yvonne Prentki als Ehepaar<br />
Defarge sowie Tamás Mester als Jerry Cruncher. Publikumsliebling<br />
war Ralf Hocke, der insbesondere als<br />
Marquis d´Evrémonde für Unterhaltung sorgte.<br />
Alles in allem darf man sagen, dass hier wirklich<br />
ein sehr sorgfältig ausgewähltes Ensemble auf der<br />
Bühne steht, welches <strong>mit</strong> sehr feiner Klinge geschliffenes<br />
Schauspiel aufweist. Das Lob hierfür gebührt<br />
Regisseur Uwe Kröger, der sicherlich <strong>mit</strong> seinen vielen<br />
Jahren als Darsteller entsprechendes Wissen <strong>mit</strong>bringt,<br />
dieses aber auch exzellent umsetzt. An seiner Seite steht<br />
Timo Radünz als Co-Regisseur und Choreograph.<br />
Die Bühne ist sehr schlicht gehalten, Herbert Buckmiller<br />
hat <strong>mit</strong> zwei fahrbaren Podesten sowie zwei<br />
Treppen viel Raum für das gelassen, was gut gemachtes<br />
Theater kann: die Vorstellungskraft der Zuschauer<br />
nutzen. Unterstützt von wenigen Requisiten und Projektionen,<br />
vor allem aber vom Lichtdesign von Henry<br />
Paul Rehberg, gelingt es, den Zuschauer mühelos von<br />
Paris nach London und zurück zu bringen. Die Kostüme<br />
von Annette Mahlendorf sind zeitgemäß gestaltet<br />
und passen da<strong>mit</strong> gut in das Gesamtkonzept der<br />
Inszenierung.<br />
Brown hat musikalisch fast filmisch gearbeitet, er<br />
spannt große Bögen und arbeitet einzelne Themen<br />
immer wieder geschickt ein, so dass es ein rundes<br />
Erlebnis wird. Dass die Musik Freude macht, liegt auch<br />
an dem Orchester unter der Leitung von Michael Falk.<br />
Dieser legt, wie schon die Darsteller auf der Bühne,<br />
sehr viel wert auf die Feinheiten. So kommen die großen,<br />
wuchtigen Momente ebenso klar zum Ausdruck<br />
wie die Schönheit der zarten Töne.<br />
Es ist sicherlich schwierig, so einen sehr detailreichen<br />
Stoff bühnenkonform umzuschreiben, und es<br />
wäre wünschenswert, wenn man in Deutschland mehr<br />
Zeit für Previews und Überarbeitungen hätte, denn es<br />
sind hier nur Kleinigkeiten, die das Stück als Gesamterlebnis<br />
runder machen würden. Nichtsdestotrotz: Der<br />
Weg nach Hof lohnt einmal mehr, insbesondere wegen<br />
der wirklich hervorragenden Besetzung.<br />
Sabine Haydn<br />
<strong>24</strong><br />
blickpunkt musical <strong>06</strong>/20<strong>23</strong>
News<br />
12/20<strong>23</strong> – 01/20<strong>24</strong><br />
CHINA GIRL<br />
Save the Date<br />
Auch in 20<strong>24</strong> geht die Stage<br />
School <strong>mit</strong> 9 Terminen in 7 Städten<br />
in Deutschland, Österreich<br />
und der Schweiz auf Tour. Nach<br />
dem großen Erfolg der letzten<br />
Jahre freuen sich Casting-Direktorin<br />
Anja Launhardt und ihr Team<br />
wieder <strong>mit</strong> zahlreichen Talenten<br />
im Rahmen der Castingtour in Einzelcoachings<br />
zu arbeiten und die<br />
Aufnahmeprüfung abzunehmen.<br />
Alle Infos und Anmeldung unter<br />
stageschool.de/ausbildung/<br />
casting-tour<br />
Das Beste aus zwei Welten: <strong>Musical</strong> trifft Akrobatik.<br />
Atemberaubendes Acrobatical <strong>mit</strong> der Musik von David Bowie ab dem 26. Januar 20<strong>24</strong> im First Stage Theater.<br />
Mit einer Neuinszenierung holt First Stage Chef Dennis Schulze die spektakuläre Show CHINA GIRL des Chinesischen Nationalcircus<br />
<strong>mit</strong> den Welthits von David Bowie erstmalig nach Hamburg. Bereichert wird das ACROBATICAL in der Hamburger<br />
Fassung exklusiv durch eine Erweiterung des Ensembles <strong>mit</strong> den hochkarätigen <strong>Musical</strong>profis aus dem First Stage Theater. Als<br />
Musikalischer Leiter konnte der international erfolgreiche Adrian Werum gewonnen werden. Die ergreifende Handlung dieses<br />
atemberaubenden Events verlegt die Kulisse von Shakespeares legendärem Klassiker Romeo und Julia ins heutige New<br />
York. EAST MEETS WEST in einem Show-Spektakel, das nicht nur Tanz, Gesang, <strong>Musical</strong> und Akrobatik vereint, sondern<br />
auch <strong>mit</strong> bildgewaltigen LED-Projektionen modernste Technik zum Einsatz bringt. firststagehamburg.de<br />
Absolvent:innen auf Erfolgskurs<br />
Die Absolvent:innen der Stage School sind gefragte Profis in nationalen und internationalen Bühnenproduktionen: Qualität,<br />
Professionalität und Ausdauer sind ihr Markenzeichen. Hier nur einige Beispiele aus den aktuellen deutschen Produktionen:<br />
Foto: Wolfgang Werner<br />
Abenteuerland -<br />
Das PUR <strong>Musical</strong><br />
(Capitol Düsseldorf)<br />
Florian Karnatz,<br />
Lena Pudenz<br />
Marcel Walther<br />
Pauline Schubert<br />
China Girl<br />
(First Stage Hamburg)<br />
Nathalie Schöning<br />
Tabitha Eugling<br />
Thea Busch<br />
Fiorina Bogatu<br />
Falling In Love<br />
(Friedrichstadtpalast Berlin)<br />
Sophie Alter<br />
Jara Buczynski<br />
Harry Potter<br />
(Mehr! Theater Hamburg)<br />
Alexander Plein<br />
Michael Clauder<br />
Johannes Gratz<br />
Marco Heinrich<br />
Stephan R. Przywara<br />
Michael B. Sattler<br />
Moulin Rouge<br />
(<strong>Musical</strong> Dome Köln)<br />
Olivia I. Grassner<br />
Alexandra Nikolina<br />
Disneys Die Eiskönigin<br />
(Theater an der Elbe Hamburg)<br />
Meltem Ürküt<br />
Tina - Das Tina Turner <strong>Musical</strong><br />
(Apollo Stuttgart)<br />
Lisa Wissert<br />
Alice Wittmer<br />
Tarzan<br />
(Palladium Stuttgart)<br />
Hannah Leser<br />
Mamma Mia!<br />
(Neue Flora Hamburg)<br />
Robin Apostel<br />
René Siepen<br />
Nadine Baas<br />
Eiko Keller<br />
Tanz der Vampire<br />
(Operettenhaus Hamburg)<br />
Till Jochheim<br />
Alexander Ruttig<br />
König der Löwen<br />
(Theater am Hafen Hamburg)<br />
Cedric Jonathan Nayna<br />
Romeo & Julia<br />
(Theater des Westens Berlin)<br />
Steffi Irmen<br />
Edwin Parzefall<br />
Melanie Kastaun<br />
Monika Schweighofer<br />
Marius Bingel<br />
Der Zauberer von Oz<br />
(Stadttheater Kiel)<br />
Anna Luca Faradi<br />
Lara Schitto<br />
Tim Grimme<br />
Die Weihnachtsbäckerei<br />
(Schmidts Tivoli Hamburg)<br />
Aliosha Jorge Ungur<br />
Fynn Duer-Koch<br />
Peter Lehmann<br />
Lorena Dehmelt<br />
Zugewinn:<br />
<strong>Musical</strong>profi Willi Welp<br />
Schon während seiner Ausbildung an der Theaterschule des legendären Professor<br />
Peter Weck, engagierten ihn die Vereinigten Bühnen Wien für „A Chorus Line“.<br />
Er stand in unzähligen <strong>Musical</strong>-Produktionen erfolgreich als Darsteller auf der Bühne.<br />
Doch auch als Regisseur und vor allem als künstlerischer Leiter machte sich Willi Welp<br />
einen Namen, zuletzt bei der Stage Entertainment Produktion „König der Löwen“. Jetzt<br />
konnte die Stage School den erfahrenen <strong>Musical</strong>-Profi als Dozent für Schauspiel und<br />
Liedinterpretation gewinnen.<br />
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Nachwuchs sucht, wird <strong>mit</strong> einem<br />
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stattfindenden Intensiv- Workshops<br />
sicher einen Volltreffer landen.<br />
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stageschool.de<br />
Doch auch die Erwachsenen<br />
kommen nicht zu kurz:<br />
Aufgrund der großen Nach frage<br />
bietet die Stage School in 20<strong>24</strong><br />
wieder zahlreiche „<strong>Musical</strong>workshops<br />
für Erwachsene“ an.<br />
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eignen sich ebenfalls hervorragend<br />
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<strong>Musical</strong>s in Deutschland<br />
Die dunklen Schatten des Showbusiness<br />
Weltpremiere von »Showtime!« in Kamen<br />
Abb. oben von links:<br />
1. Für Showstar Jack (Julian<br />
Groeger, Mitte) heißt es in<br />
Kamen jetzt Showtime!<br />
2. Journalist Eckbert Feuerstack<br />
(Alexander Janacek, Mitte) verbreitet<br />
Klatsch über Showstar Jack<br />
Fotos (2): Stephan Drewianka<br />
Showtime!<br />
Robin Lindemann<br />
Lindemann Entertainment<br />
Konzertaula Kamen<br />
Uraufführung: 27. Oktober 20<strong>23</strong><br />
Regie..........................Florian Hinxlage<br />
Musikalische Leitung ............................<br />
Robin Lindemann<br />
Arrangements .......................................<br />
Christian David Rheber<br />
Choreographie .................... Lia Martin<br />
Jack ................................ Julian Groeger<br />
Anna ...................... Nora Isabel Schöpe<br />
Claire .................................... Lia Martin<br />
Schatten ........................... Daniel Sprint<br />
Eckbert Feuerstack .................................<br />
Alexander Janacek<br />
Fred .................................. Daniel Metz<br />
Tütü ......................... Sofia Elena Coretti<br />
Jolene ..................... Estelle Céline Klein<br />
Olaf ............................. Markus Streubel<br />
Ingrid .............................. Katrin Claßen<br />
In weiteren Rollen:<br />
Astrid Gutscher<br />
Robin Lindemann, <strong>Musical</strong>darsteller (»Radio Ruhrpott«),<br />
Musiker und Journalist, erfüllte sich den<br />
Traum eines eigenen <strong>Musical</strong>s für seine Heimatstadt<br />
Kamen im Ruhrgebiet. Als Autor, Komponist und<br />
Produzent stemmte er <strong>mit</strong> seiner Partnerin Ann-<br />
Sophie Schubert als Stage-Managerin innerhalb von 3<br />
Jahren das ambitionierte <strong>Musical</strong>projekt »Showtime!«<br />
für die rund 860 Zuschauer fassende Konzertaula<br />
Kamen, in der bereits Legenden wie Udo Jürgens oder<br />
Duke Ellington auftraten. Vom 27. Oktober 20<strong>23</strong><br />
standen an drei Wochenenden sechs Vorstellungen der<br />
Show auf dem Spielplan. Unter der Regie von Florian<br />
Hinxlage spielen 11 professionelle <strong>Musical</strong>darsteller<br />
<strong>mit</strong> einem 11-köpfigen Live-Orchester 19 abwechslungsreiche<br />
Songs in den Stilrichtungen Jazz, Rock<br />
und romantische Balladen, arrangiert von Christian<br />
David Rheber.<br />
Der erfolgreiche Showstar Jack (Julian Groeger)<br />
plant <strong>mit</strong> Manager Olaf (Markus Streubel) seine<br />
neue Revue. Doch das glamouröse Bühnenleben hat<br />
auch seine dunklen Seiten. Klatschreporter Eckbert<br />
Feuerstack (Alexander Janacek) setzt <strong>mit</strong> seinem<br />
tollpatschigen Praktikanten Fred (Daniel Metz)<br />
alles daran, Jacks düstere Geheimnisse aufzudecken.<br />
Dann taucht auch noch die mysteriöse Stalkerin<br />
Claire (Lia Martin) auf, die Jack <strong>mit</strong> kompro<strong>mit</strong>tierenden<br />
Fotos seiner Tablettensucht erpresst und<br />
nicht nur als seine neue Freundin in den Medien präsentiert<br />
werden will, sondern auch die Hauptrolle in<br />
Jacks neuer Show haben möchte. Ebenfalls beworben<br />
auf diese Rolle hat sich ausgerechnet Jacks verflossene<br />
Jugendliebe Anna (Nora Isabel Schöpe), die zudem<br />
auch eine talentierte Sängerin ist und perfekt in Jacks<br />
neues Stück passen würde. Doch bevor Jack erkennt,<br />
wer tatsächlich alle Fäden hinter den Kulissen zieht,<br />
ist es für den von Angststörungen in Gestalt seines<br />
Schattens (Daniel Sprint) bis hin zu Selbstmordgedanken<br />
geplagten Schauspieler beinahe zu spät…<br />
Lindemann Entertainment liefert <strong>mit</strong> dem Erstlingswerk<br />
»Showtime!« tatsächlich eine professionelle<br />
Bühnenshow ab, die musikalisch durch das recht große<br />
Live-Orchester, das während eines Songs sogar per Video<br />
auf der Projektionsleinwand würdig präsentiert wird,<br />
überzeugen kann. ›10 Finger‹ charakterisiert humorvoll<br />
inklusive kleiner Stepp-Einlage (Choreographie: Lia Martin)<br />
die Methoden der Boulevardpresse. Das fünfteilige<br />
›Schatten‹-Epos entwickelt sich musikalisch wie optisch<br />
kontinuierlich weiter bis zum eindringlichen ›Ich gehör´<br />
nur mir‹-Finale (ohne dabei etwas von einer österreichischen<br />
Kaiserin zu zitieren). Die eingängigen Balladen<br />
›Sternenstaub‹ und ›An den Mond‹ <strong>mit</strong> Spieluhr laden<br />
zum Träumen ein, während ›Mein verrücktes Liebeslied‹<br />
Claires gestörtes Verhältnis zu Jack widerspiegelt. Tatsächlich<br />
werden einige Songs als Reprisen immer wieder<br />
aufgenommen, ein gängiges Stil<strong>mit</strong>tel, welches auch<br />
andere erfolgreiche Komponisten wie Andrew Lloyd<br />
Webber nutzen. Als Kritikpunkt können die leider zu langen<br />
Umbauphasen genannt werden. Da die Konzertaula<br />
weder Schnürboden noch Drehbühne besitzt, müssen<br />
die Bühnen-Requisiten von den Darstellern hereingetragen<br />
werden, und auch wenn diese Umbauten <strong>mit</strong> Musik<br />
unterlegt sind, stören sie leider den dramatischen Fluss der<br />
Geschichte.<br />
Obwohl »Showtime!« bereits eine »runde Sache« ist, die<br />
durch ihre Professionalität durchaus überrascht, könnte das<br />
<strong>Musical</strong> sicherlich noch optimiert werden, das Publikum<br />
wird sogar ausdrücklich um Feedback nach der Vorstellung<br />
gebeten. Auch wenn die Premierenshows Anfang November<br />
abgespielt waren, sind neue Termine ab Ende Februar<br />
20<strong>24</strong> bereits zum Ticketverkauf freigeschaltet. Vielleicht<br />
etabliert sich Kamen ja tatsächlich auch für andere<br />
<strong>Musical</strong>produktionen als neue Spielstätte im Ruhrgebiet.<br />
Stephan Drewianka<br />
26<br />
blickpunkt musical <strong>06</strong>/20<strong>23</strong>
<strong>Musical</strong>s in Deutschland<br />
Sechs Damen <strong>mit</strong> Powerstimmen<br />
Uraufführung von »SIXties Girls« in Düsseldorf<br />
Am 2. Oktober feierte die <strong>Musical</strong>-Revue »SIXties<br />
Girls« im Club des Capitol Theaters in Düsseldorf ihre<br />
Uraufführung. Wer allerdings eine wirkliche Geschichte<br />
zwischen den Songs erwartet hatte, wurde enttäuscht.<br />
Für Konzept, Buch, Regie und <strong>Musical</strong> Staging zeichnen<br />
Jutta Elenz und Steve Ray, der <strong>mit</strong> seiner Produktionsfirma<br />
das Stück auch auf die Bühne bringt, verantwortlich. Die<br />
Musik besteht aus bekannten Songs der 60er Jahre, <strong>mit</strong><br />
Ausnahme des Titelsongs ›SIXties Girls‹, der eigens für<br />
diese Revue von Paul Glaser, bekannt als Komponist für<br />
Theater, Film und Fernsehen, geschrieben wurde. Unter<br />
der musikalischen Leitung von Christoph Bönecker spielte<br />
die 5-köpfige Band <strong>mit</strong> vollem Sound (Martin Otte) auf.<br />
Aber beginnen wir <strong>mit</strong> dem Positiven dieser Revue und<br />
das sind die »SIXties Girls«: Bianca Baylor als Darlene,<br />
Coreena Brown (Patti), Ceanté Emiko (Ronnie), Maeva<br />
Feitelson (Sherri), Charlie Weldon (Tammy) und Rebecca<br />
Williamson als Nancy. Alle sechs Darstellerinnen sind <strong>mit</strong><br />
Powerstimmen ausgestattet, die den Originalstimmen in<br />
nichts nachstehen, singen sie doch Songs von Showgrößen<br />
wie Aretha Franklin, Janis Joplin, Tina Turner, Petula<br />
Clark, Carol King, Dusty Springfield, Diana Ross und<br />
»The Supremes«. Eine der Protagonistinnen herauszustellen<br />
bietet sich hier nicht an, alle haben wunderbare, wenn auch<br />
sehr unterschiedliche Stimmen, die sie verstehen einzusetzen.<br />
Würde man die Augen schließen bei der Darbietung<br />
<strong>mit</strong> den Songs der »The Supremes« (u. a. ›Stop in the Name<br />
of Love‹, ›Baby Love‹), performt von Bianca Baylor, Coreena<br />
Brown und Ceanté Emiko, wäre kein Unterschied zum<br />
Original zu erkennen. Maeva Feitelsons Janis Joplin ist<br />
nicht nur in der Stimmlage identisch, sondern auch ihre<br />
Aufmachung lässt die viel zu jung verstorbene Künstlerin<br />
auferstehen. Von ihrer gefühlvollen Seite zeigen sich Charlie<br />
Weldon und ihre Kolleginnen Rebecca Williamson und<br />
Maeva Feitelson <strong>mit</strong> dem Song ›Will You Still Love Me<br />
Tomorrow‹, ehemals ein Hit von »The Shirelles«.<br />
Die wenig vorhandene Moderation übernimmt charmant<br />
Bianca Baylor und da<strong>mit</strong> auch die Anleitungen zu<br />
zwei Partyspielen: »The Name Game« und den »High<br />
School Dance Wettbewerb«. Beides wirkt wie ein Fremdkörper<br />
zwischen den dargebotenen Songs und es zieht sich<br />
entsprechend in die Länge, da die Damen immer Gäste<br />
aus dem Publikum finden müssen, die sich freiwillig den<br />
Challenges stellen wollen. Am Premierenabend hatte man<br />
ein wenig das Gefühl, dass sich auch die »SIXties Girls«<br />
nicht so ganz wohl fühlten bei den Spielen. Vielleicht hatte<br />
man in den 60er Jahren Spaß an solchen Spielen, heute<br />
wirkt es aus der Zeit gefallen und passt irgendwie nicht zur<br />
restlichen Performance.<br />
Wie schon erwähnt gibt es keine durchgängige Geschichte<br />
rund um die sechs Damen, sondern es wird eine<br />
Zeitreise durch die 60er Jahre abgebildet, in die die Lieder<br />
eingestreut sind. Die Ereignisse dieses Jahrzehnts werden<br />
<strong>mit</strong> Hilfe von Fotos, Videos und <strong>mit</strong> Zeitungsartikeln im<br />
Hintergrund des Einheitsbühnenbilds (Phil R. Daniels)<br />
eingeblendet. Dazu gehören u. a. Fotos von John F. Kennedy<br />
und Martin Luther King sowie Videos z.B. von »The<br />
Beatles« bei ihrer Ankunft auf dem New Yorker Flughafen<br />
1964. Ansonsten werden den Kapiteln entsprechende Fotos<br />
projiziert wie ein rosarotes Barbie-Zimmer in der Szenenfolge<br />
»Pyjama-Weihnachts-Party« <strong>mit</strong> mehreren Songs,<br />
u. a. ›It´s My Party‹ und ›Rockin´ Around the Christmas<br />
Tree‹.<br />
Die Kostüme und Perücken (Charles Cusick S<strong>mit</strong>h)<br />
sind vielfältig, der Zeit angepasst und sehen wertig aus. Die<br />
Sängerinnen werden von S<strong>mit</strong>h in 46 Kostüme eingehüllt,<br />
die eine bekannte Düsseldorfer Kostüm-Schmiede nach<br />
seinen Entwürfen geschneidert hat.<br />
Das Bühnenbild besteht aus der Hauptbühne <strong>mit</strong><br />
einem Steg weiter oben, von dem die Darstellerinnen rechts<br />
und links über zwei Wendeltreppen nach unten gelangen.<br />
Unterstützt wird dieses von einem ausgefeilten Lichtdesign<br />
von Chris Moylan, der <strong>mit</strong> 60 Moving Lights und über<br />
500 einzeln ansteuerbaren LED-Glühbirnen die Bühne<br />
einschließlich der Darstellerinnen zum Glitzern und Blinken<br />
bringt.<br />
Fazit des Abends: Wer kein <strong>Musical</strong> <strong>mit</strong> einer<br />
Geschichte erwartet, aber die Musik der 60er Jahre und<br />
großartige Stimmen liebt, wird diesen Revue-Abend <strong>mit</strong><br />
den »SIXties Girls« genießen.<br />
Birgit Bernds<br />
Abb. oben von links:<br />
1. Die »SIXties Girls« (v.l.: Charlie<br />
Weldon, Bianca Baylor, Rebecca<br />
Williamson, Maeva Feitelson,<br />
Coreena Brown und Ceanté Emiko)<br />
träumen ›My Boyfriend´s Back‹<br />
2. Maeva Feitelson als Janis Joplin<br />
<strong>mit</strong> ›Me and Bobby McGee‹<br />
Fotos (2): Ray Entertainment / Jost Salzmann<br />
SIXties Girls<br />
Diverse / Paul Glaser / Jutta Elenz /<br />
Steve Ray<br />
Ray Entertainment Meerbusch<br />
Capitol Theater Düsseldorf – Club<br />
Uraufführung: 2. Oktober 20<strong>23</strong><br />
Regie & <strong>Musical</strong> Staging ......................<br />
Jutta Elenz & Steve Ray<br />
Musikalische Leitung ............................<br />
Christoph Bönecker<br />
Arrangements ................. Jon Mortimer<br />
Bühnenbild .................. Phil R. Daniels<br />
Kostüme & Perücken ............................<br />
Charles Cusick S<strong>mit</strong>h<br />
Lichtdesign ..................... Chris Moylan<br />
Sounddesign ..................... Martin Otte<br />
Darlene ......................... Bianca Baylor<br />
Patti............................. Coreena Brown<br />
Ronnie .......................... Ceanté Emiko<br />
Sherri ......................... Maeva Feitelson<br />
Tammy ....................... Charlie Weldon<br />
Nancy ................. Rebecca Williamson<br />
Cover Nancy,<br />
Sherri & Tammy ......... Maja Dickmann<br />
Cover alle Rollen ....... Cynthia Kouassi<br />
blickpunkt musical <strong>06</strong>/20<strong>23</strong><br />
27
<strong>Musical</strong>s in Deutschland<br />
Auszeichnungen, <strong>Musical</strong>liebe und Menschliches<br />
Deutscher <strong>Musical</strong> Theater Preis 20<strong>23</strong> im Theater des Westens Berlin<br />
Abb oben:<br />
Das große Finale der Vergabe des<br />
Deutschen <strong>Musical</strong> Theater Preis 20<strong>23</strong><br />
Abb unten:<br />
Katharine Mehrling führte charmant<br />
durch den Abend<br />
Fotos (2): Morris Mac Matzen<br />
Theaterliebhaber, passionierte Theatermacher, Kulturver<strong>mit</strong>tler:<br />
Die Deutsche <strong>Musical</strong> Akademie<br />
besteht seit 2014, seit 2015 versammelt sie einmal jährlich<br />
Kulturschaffende, eine ausgewählte Fachjury und<br />
interessiertes Fachpublikum zum Deutschen <strong>Musical</strong><br />
Theater Preis, im letzten Jahr im Schmidts Tivoli in<br />
Hamburg, dieses Jahr im Theater des Westens in Berlin.<br />
Dabei werden nicht nur Preise in der Sparte <strong>Musical</strong><br />
vergeben, um darstellerische oder kreative Leistungen<br />
auszuzeichnen, sondern es geht ums Ganze:<br />
gebührende Anerkennung und Aufmerksamkeit für<br />
das Genre <strong>Musical</strong> sowie die Etablierung als professionelles,<br />
aber auch gesellschaftlich wichtiges Bindeglied<br />
in der Kultur zwischen Gesellschaft und Kunst.<br />
Dieses Jahr wurden in 16 Preiskategorien Produktionen<br />
und deren Stellvertretende ausgezeichnet. Neu<br />
hinzu kamen <strong>mit</strong> »Bestes Lichtdesign« und »Bestes<br />
Sounddesign« zwei neue Kategorien, die Kategorie<br />
»Bestes Musikalisches Arrangement« wurde zu »Bestes<br />
Musikalisches Gesamtbild«. Die Gewinner:innen<br />
wurden von elf Fachjuroren sowie den Mitgliedern der<br />
Akademie in einem Online-Verfahren gewählt. Bewerben<br />
konnten sich alle deutschsprachigen <strong>Musical</strong>-<br />
Uraufführungen und Neuinszenierungen von original<br />
deutschsprachigen <strong>Musical</strong>s aus Deutschland, Österreich<br />
sowie der Schweiz.<br />
Die Bühne für den diesjährigen Deutschen <strong>Musical</strong><br />
Theater Preis bot ein Rednerpult und ein Podest.<br />
Prominent an der Seite ins Bühnenbild integriert<br />
war die Band unter der Leitung von Tom van Hasselt,<br />
die die Showacts, die Preisbekanntgaben sowie<br />
Übergänge begleitete. Zahlreiche Scheinwerfer und<br />
Beleuchtungseinsätze boten eine stimmungsvolle<br />
Lichtshow. Zu Beginn kündigten Benno Lehmann<br />
und Anne Hoth aus dem Off die Moderatorin des<br />
Abends an. Katharine Mehrling, nicht nur für <strong>Musical</strong>,<br />
sondern auch für Chanson, Brecht- und Weill-<br />
Interpretationen bekannt, war als echte Berliner Institution<br />
eine sehr gute Wahl für die Preisverleihung im<br />
geschichtsträchtigen Theater des Westens. Charmant,<br />
lebendig und augenzwinkernd witzig bezauberte sie<br />
auch die Gäste auf der Bühne. Ihr zur Seite als Preisbotin<br />
des Abends war Dragqueen Marcella Rockefeller zu<br />
sehen. Kultursenator und Schirmherr des Abends, Joe<br />
Chialo, grüßte via Videoübertragung.<br />
Danach ging es <strong>mit</strong> den ersten Preisverleihungen<br />
los. In der Kategorie »Bestes Bühnenbild« rief Denise<br />
Obedekah den Gewinner Charles Quiggin für seine<br />
Arbeit an »Dällebach Kari« bei den Thunerseespielen<br />
aus. Der Gewinner für »Bestes Kostüm- & Maskenbild«<br />
war ebenfalls »Dällebach Kari« <strong>mit</strong> der kostümund<br />
maskenbildnerischen Arbeit von Olivia Sieber,<br />
Ronald Fahm & Aleš Valášek.<br />
Preispatin Annett Louisan hob die Bedeutung und<br />
Wirkung der Musik in <strong>Musical</strong>s hervor und lobte die<br />
drei Nominierten in der Kategorie »Beste Komposition«<br />
dafür, diese Gratwanderung zwischen Innovation und<br />
dem Druck, die Produktion verkaufen zu müssen, <strong>mit</strong><br />
Mut gemeistert zu haben: Gisle Kverndokk konnte sich<br />
<strong>mit</strong> »Briefe von Ruth« (<strong>Musical</strong> Frühling in Gmunden)<br />
durchsetzen. Louisan beschrieb dann für die<br />
neugestalteten Preiskategorie »Bestes Musikalisches<br />
Gesamtbild« die Arbeit der musikalischen Leitung.<br />
Zum ersten Mal in dieser Form gewannen den Preis<br />
28<br />
blickpunkt musical <strong>06</strong>/20<strong>23</strong>
<strong>Musical</strong>s in Deutschland<br />
Marian Lux & Markus Syperek für »Mary Shelleys<br />
Frankenstein« (Luisenburg-Festspiele Wunsiedel).<br />
Aus »Scholl – Die Knospe der Weißen Rose« war<br />
dann der erste Showact des Abends zu hören, ›Gemeinsam‹<br />
sangen und berührten Sandra Leitner und Alexander<br />
Auler als das Geschwisterpaar Scholl <strong>mit</strong> zusätzlicher<br />
Bandbegleitung von Hui-Fang Lee-Kronenberg<br />
und Robert Paul. Dann kündigte eine Präsentation<br />
dessen, wie missglückte Tontechnik klingt und was für<br />
Probleme eine schlecht ausgeleuchtete Bühne bringen<br />
kann, die Preisvergabe für »Bestes Sounddesign« und<br />
»Bestes Lichtdesign« <strong>mit</strong> Preispate Claudio Maniscalco<br />
an. Raphael-Aaron Moss (Lichtdesign für »Scholl«)<br />
und Florentin Adolf (Sounddesign für »Romeo &<br />
Julia – Liebe ist alles«), konnten die beiden neuen<br />
Preise entgegennehmen.<br />
Josephin Busch würdigte die oftmals doch<br />
immense, intensive Arbeit von in Nebenrollen besetzten<br />
Darstellern. Der gekrönte »Beste(r) Darsteller in<br />
einer Nebenrolle« Nico Went, der seit März als Mercutio<br />
in »Romeo & Julia« im Gastgebertheater begeistert,<br />
konnte seinen Gewinn gar nicht fassen.<br />
»Beste Darstellerin in einer Nebenrolle« Tamara<br />
Pascual (Gunvor Hofmo in »Briefe von Ruth«) hatte<br />
für den Fall eine Dankesrede vorbereitet, die nun<br />
verlesen wurde, da sie erst vor einigen Tagen Mutter<br />
geworden war. Dann war es aber auch Zeit, aus diesem<br />
Mehrfach-Preisträger-<strong>Musical</strong> etwas zu hören: ›All<br />
die Tage werden hell‹ von Jasmina Sakr, die zudem in<br />
der Kategorie »Beste Darstellerin in einer Hauptrolle«<br />
nominiert war und ihre stimmgewaltige Präsenz zeigen<br />
konnte.<br />
In der zweiten Stunde des ersten Showteils wurde<br />
der neu zu vergebende Preis in Gedenken an Craig<br />
Simmons vorgestellt. DMA-Vorsitzende Birgit Simmler<br />
sprach über das bisherige Sein und Wirken der<br />
Deutschen <strong>Musical</strong> Akademie und der Vorsitzende<br />
Marco Jung erklärte, was es <strong>mit</strong> dem Craig-Simmons-<br />
Preis auf sich hat: Mit ihm können auch Verdienste<br />
im Genre <strong>Musical</strong> ausgezeichnet werden, die nicht<br />
original deutschsprachig sind, keine Uraufführung<br />
und kein Revival in der deutschen <strong>Musical</strong>landschaft<br />
darstellen, jedoch von enormer Wichtigkeit und enormer<br />
Triebkraft für die Entwicklung dieses speziellen<br />
kulturellen Bereichs sind. Den allerersten Craig-Simmons-Preis<br />
für eine Institution darf das Landestheater<br />
Linz <strong>mit</strong>nehmen für Matthias Davids´ und Arne<br />
Beekers Bemühungen, die in Deutschland wenig<br />
bekannten <strong>Musical</strong>s »Fun Home« und »Natasha, Pierre<br />
und der große Komet von 1812« als deutschsprachige<br />
Erstaufführungen einem musicalaffinen Publikum zu<br />
präsentieren. Die Produktion von »Hamilton« wurde<br />
für ihre herausragende deutschsprachige Produktion,<br />
Übersetzung sowie den produzentischen Mut <strong>mit</strong> dem<br />
Craig-Simmons-Preis geehrt. Als drittes wurde Sophie<br />
Berner für ihre maßgebliche Rollenarbeit an der<br />
stimmlich und darstellerisch herausfordernden Satine<br />
in »Moulin Rouge!« ausgezeichnet.<br />
Weiter ging es <strong>mit</strong> dem Deutschen <strong>Musical</strong> Theater<br />
Preis für »Bestes Revival« für »Dällebach Kari« (die<br />
Thunerseespiele gewannen insgesamt vier Preise) <strong>mit</strong><br />
Preispate Klaus Wowereit. Sophia Euskirchen und<br />
Martin Gerke stellten dem Publikum <strong>mit</strong> ›Manfreds<br />
Traum‹ und ›Wir sind der Leuchtturm‹ das <strong>Musical</strong><br />
»Der geteilte Himmel« vor.<br />
Jury-Mitglied Dominik Flaschka durfte als Laudator<br />
den Sonderpreis der Jury an »Das fliegende Klassenzimmer«<br />
am Salzburger Landestheater verkünden, um<br />
den beeindruckenden künstlerischen Ernst, die Arbeit<br />
und Entwicklung des jungen Ensembles zu würdigen.<br />
Als es Zeit für die Preiskategorie »Beste Regie«<br />
war, machte Laudator Jannik Schümann humorvoll<br />
Abb. unten von links oben:<br />
1. »Beste Choreographie«: Jonathan<br />
Huor<br />
2. »Beste Komposition«: Gisle<br />
Kverndokk<br />
3. »Bestes Musikalisches Gesamtbild«:<br />
Markus Syperek & Marian<br />
Lux<br />
4. Craig-Simmons-Preis: Sophie<br />
Berner<br />
5. »Bestes Lichtdesign«: Raphael-<br />
Aaron Moss<br />
6. »Bestes Kostüm- & Maskenbild«:<br />
Aleš Valášek & Olivia Sieber<br />
7. Ehrenpreis der Deutschen <strong>Musical</strong><br />
Akademie: Stefan Huber (Mitte) <strong>mit</strong><br />
seinem Mann Alen Hodzovic, l., und<br />
Holk Freytag, Intendant der Bad<br />
Hersfelder Festspiele, r.<br />
Fotos (7): Morris Mac Matzen<br />
blickpunkt musical <strong>06</strong>/20<strong>23</strong><br />
29
<strong>Musical</strong>s in Deutschland<br />
Abb. unten von oben links:<br />
1. »Beste Regie«: Aslı Kışlal<br />
2. »Beste Darstellerin in einer<br />
Hauptrolle«: Jasmina Sakr<br />
3. Craig-Simmons-Preis: Arne<br />
Beeker<br />
4. »Bestes Sounddesign«:<br />
Florentin Adolf<br />
5. »Bester Darsteller in einer<br />
Hauptrolle«: Rolf Sommer<br />
6. »Bester Darsteller in einer<br />
Nebenrolle«: Nico Went<br />
7. »Bestes <strong>Musical</strong>«: »Briefe von Ruth«<br />
Fotos (7): Morris Mac Matzen<br />
als Tollpatsch vor, <strong>mit</strong> was für Regieanweisungen in<br />
Textform sich Darsteller beschäftigen. Mit Aslı Kışlal<br />
für die Produktion »Stella – Das blonde Gespenst vom<br />
Kurfürstendamm« am Theater für Niedersachsen (Hildesheim)<br />
gewann den Regie-Preis zum ersten Mal eine<br />
Frau. Bei der Vergabe des Preises für die »Beste Choreographie«<br />
ging Jonathan Huor für seine Arbeit an<br />
»Romeo & Julia – Liebe ist alles«, der sich für weiteres<br />
Mutigsein, Offenheit und andere Herangehensweisen<br />
aussprach, als Gewinner hervor.<br />
Moderatorin Katharine Mehrling zählte zur humoresken<br />
Demontierung des Glaubens an ein scheinbar<br />
glamouröses Leben im <strong>Musical</strong>betrieb harte Realitätsfakten<br />
auf und besang <strong>mit</strong> ›Castrop-Rauxel‹ (»Am<br />
Rande der Nacht«) charmant chansonartig den Alltag<br />
in der deutschen <strong>Musical</strong>-Provinz.<br />
Die zweite Hälfte des Abends eröffnete <strong>mit</strong> einer<br />
Songauswahl aus »Romeo & Julia«: Die Berliner Produktionscast<br />
präsentierte das Lebensgeister weckende<br />
›Es lebe der Tod‹ und die für das <strong>Musical</strong> arrangierte<br />
Version von ›Liebe ist alles‹. Katharine Mehrling<br />
träumte zu ruhiger Lounge-Musik von mehr Aufmerksamkeit<br />
für <strong>Musical</strong>, zum Beispiel im TV, oder von<br />
Spielplänen, auf denen nicht nur »Jesus Christ Superstar«<br />
steht. Sie machte aber auch klar: Ohne <strong>Musical</strong>-<br />
Geschichte kann es keine <strong>Musical</strong>-Gegenwart geben,<br />
und sie begrüßte neue Triebkräfte.<br />
Der <strong>mit</strong> dem Theater des Westens geschichtlich verbundene<br />
Choreograph, Ballettdirektor und Regisseur<br />
Jürg Burth verkündete die Preisträger für »Beste Liedtexte«<br />
(Gewinner: Miriam Schwan & Carola Söllner<br />
für »Sie rufen außerhalb der Sprechzeiten an — Ein<br />
Psychical« am Brandenburger Theater) sowie »Bestes<br />
Buch« (Gewinner: Peter Lund <strong>mit</strong> »Frankensteins<br />
Braut« am Stadttheater Ingolstadt). Im Anschluss hielt<br />
der Bad Hersfelder Festspiele-Intendant Holk Freytag<br />
die Laudatio für den Ehrenpreis der Deutschen<br />
<strong>Musical</strong> Akademie. Der als Darsteller, Autor, Übersetzer<br />
und vor allem als Regisseur bekannte Stefan Huber<br />
erschien, schwer von seiner Krankheit gezeichnet,<br />
unterstützt von seinem Ehemann Alen Hodzovic, der<br />
auch dessen Dankesrede für ihn vorlas.<br />
In einer musikalischen Pause vor den letzten Preisverleihungen<br />
trug Gino Emnes <strong>mit</strong> seiner unverkennbaren<br />
Stimme ›Warte noch‹ aus »Hamilton« vor. Im<br />
Anschluss daran war als »Bester Darsteller in einer<br />
Hauptrolle« Rolf Sommer (»Dällebach Kari«, Thunerseespiele)<br />
zu Tränen gerührt. Er bedankte sich herzlich<br />
bei seinem Ensemble, <strong>mit</strong> dem er nach Bekanntgabe<br />
der »Beste(n) Darstellerin in einer Hauptrolle« (Jasmina<br />
Sakr für »Briefe von Ruth«) gleich noch live <strong>mit</strong><br />
›Stern über Bern‹ überzeugen und zeigen konnte, dass<br />
Sprachbarrieren im <strong>Musical</strong> nicht unüberwindbar sein<br />
müssen. Zuletzt verlas noch Katja Ebstein die Produktion,<br />
die als »Bestes <strong>Musical</strong>« gewählt worden ist:<br />
»Briefe von Ruth«, <strong>mit</strong> dem der <strong>Musical</strong> Frühling in<br />
Gmunden insgesamt gleich vier Preise gewonnen hat.<br />
Der diesjährige <strong>Musical</strong> Theater Preis bestand aus<br />
glücklichen Gewinnern, humorigen, unterhaltsamen<br />
Moderationen und Laudationen. Er bestand aber auch<br />
aus gesellschaftlich und gesellschaftspolitisch wichtigen<br />
<strong>Musical</strong>stoffen, aus fortschrittlichen Herangehensweisen,<br />
aus Wünschen und Träumen für die Zukunft<br />
des <strong>Musical</strong>s. Vor allem aber hat die Veranstaltung<br />
Interessierte und Passionierte zusammengeführt und<br />
den einen oder anderen Einblick in die Branche und<br />
die Arbeit <strong>mit</strong> Leidenschaft oder in den persönlichen<br />
Lebensalltag gegeben. Ambitioniertes <strong>Musical</strong><br />
kann man nur <strong>mit</strong> Herzblut machen und vor allem:<br />
gemeinsam.<br />
Rosalie Rosenbusch<br />
30<br />
blickpunkt musical <strong>06</strong>/20<strong>23</strong>
<strong>Musical</strong>s in Deutschland<br />
Headline Schwarzer Humor, verpackt in bunte Vielfalt<br />
Subline »The Producers« an der Musikalischen Komödie Leipzig<br />
Max Bialystock (Patrick Rohbeck), einst ein gefeierter<br />
Broadway-Produzent, trauert seinen erfolgreichen<br />
Jahren hinterher, nachdem seine letzten Werke<br />
floppten. Unerschütterlich hält er an dem Glauben<br />
fest, zu altem Glanz und alter Glorie zurückzufinden.<br />
Neben dem Suhlen in Selbst<strong>mit</strong>leid und der Hingabe<br />
an goldene Zukunftsträume muss er sich um seine<br />
altehrwürdigen Investorinnen kümmern – schließlich<br />
kann er ohne »Scheckis« keine umjubelten »Stückis«<br />
produzieren. Der unangekündigte und allumfassend<br />
ungebetene Besuch seines Buchhalters Leo Bloom<br />
(Nick Körber) macht ihm beinahe einen Strich durch<br />
die Rechnung, bis eben jener einen Gedanken äußert,<br />
der Max hellhörig werden lässt: Ein Flop könnte finanziell<br />
lukrativer sein als ein Hit, wenn man geschickt<br />
<strong>mit</strong> den Zahlen umzugehen weiß. Gesagt, getan, und<br />
ehe er sichs versieht, geht der schüchterne Jungspund<br />
keinem tristen Bürojob mehr nach, sondern folgt seinem<br />
Traum, selbst zu einem erfolgreichen Producer<br />
aufzusteigen.<br />
Bialystock hat für die gemeinsame Unternehmung<br />
inzwischen einen Plan aufgestellt. Im ersten Schritt<br />
quälen sie sich auf der Suche nach dem schlechtesten<br />
Stück durch Unmengen an Manuskripten. Kurz vor<br />
der absoluten Verzweiflung stehend, werden sie fündig:<br />
»Frühling für Hitler« soll ihren (Miss-)Erfolg sichern.<br />
Mit Überzeugungskraft und dem Leisten eines Schwures<br />
schafft es das ungleiche Paar, vom Autor, Alt-Nazi<br />
Franz Liebkind (Michael Raschle), die Rechte zur Aufführung<br />
zu erhalten. Ihren ganzen Charme setzen sie<br />
in Schritt zwei ein und verpflichten den miserabelsten<br />
Regisseur der Stadt, Roger deBris (Andreas Rainer).<br />
Jetzt fehlen für den Flop des Jahrhunderts nur noch<br />
die untalentiertesten Schauspieler. Hierbei stolpert<br />
ihnen die Schwedin Ulla (Olivia Delauré) in die Arme,<br />
die bis zu den Proben kurzerhand als Sekretärin angestellt<br />
wird. Während sich zwischen ihr und Leo eine<br />
zarte Liebe entwickelt, sammelt Max bei seinen alten<br />
Damen die 2 Millionen Investitionsgelder ein. Mit<br />
diesen wollen sie sich im Anschluss an die erfolglose<br />
Premiere nach Rio absetzen.<br />
Leider gestaltet sich das Auffinden einer geeigneten<br />
Besetzung des Adolf Hitler nervenaufreibender<br />
als zunächst angenommen. Niemand wird den<br />
Ansprüchen von Franz Liebkind gerecht, so dass er<br />
selbst kurzerhand für die Hauptrolle requiriert wird.<br />
Der Erstaufführung steht nichts mehr im Weg. Zum<br />
Schrecken aller wünscht Leo Bloom vor Beginn den<br />
Beteiligten ›Viel Glück!‹. Zackig wird ihm <strong>mit</strong>geteilt,<br />
dass üblicherweise der Ausspruch »Hals- und Beinbruch«<br />
am Broadway als guter Wunsch genutzt wird.<br />
Nun, Franz nimmt sich das wortwörtlich zu Herzen<br />
und bricht sich auf dem Weg zur Bühne ein Bein. Da<br />
Regisseur Roger deBris die Rolle ebenso verinnerlicht<br />
hat, springt er kurzerhand ein. Max Bialystock ist sich<br />
sicher, dass ein durch und durch schwuler Adolf Hitler<br />
zum erfolgreichsten Flop seiner Karriere führen wird.<br />
Oder?<br />
Garantiert kein Misserfolg wurde der Film »Frühling<br />
für Hitler« von Mel Brooks aus dem Jahre 1968, auf<br />
dem das <strong>Musical</strong> »The Producers« basiert. Der jüdische<br />
Theaterproduzent komponierte eigens dafür die Musik<br />
und schrieb ebenso die Liedtexte. Gemeinsam <strong>mit</strong> Co-<br />
Autor Thomas Meehan brachte er das Werk 2001 am<br />
Abb. oben:<br />
Leo Bloom (Nick Körber, l.) und Max<br />
Bialystock (Patrick Rohbeck, r.) geben<br />
alles, um Roger deBris (Andreas<br />
Rainer, Mitte) davon zu überzeugen,<br />
die Regie bei ihrem neuen Werk zu<br />
übernehmen<br />
Abb. unten:<br />
Ulla (Olivia Delauré, Mitte) hat sich<br />
selbst zum Vorstellungsgespräch bei<br />
Leo Bloom (Nick Körber, l.) und Max<br />
Bialystock (Patrick Rohbeck, r.)<br />
eingeladen und gibt alles, um<br />
die beiden Männer von sich zu<br />
überzeugen<br />
Fotos (2): Kirsten Nijhof<br />
blickpunkt musical <strong>06</strong>/20<strong>23</strong><br />
31
<strong>Musical</strong>s in Deutschland<br />
The Producers<br />
Mel Brooks / Thomas Meehan<br />
Deutsch von Nina Schneider<br />
In Übereinkunft <strong>mit</strong> StudioCanal<br />
Oper Leipzig<br />
Musikalische Komödie<br />
Premiere: 14. Oktober 20<strong>23</strong><br />
Regie ................... Dominik Wilgenbus<br />
Musik. Leitung ......... Michael Nündel /<br />
Christoph-Johannes Eichhorn<br />
Choreinstudierung ...............................<br />
Mathias Drechsler<br />
Choreographie ................. Mirko Mahr<br />
Step-Choreographie ...... Illia Bukharov<br />
Bühnenbild ....................... Peter Engel<br />
Kostüme ........................... Uschi Haug<br />
Lichtdesign ............ Björn Sundermann<br />
Videotechnik ............... Wolfgang Witt<br />
Ton .................. Holger Hammermann<br />
Max Bialystock ......... Patrick Rohbeck<br />
Leo Bloom ....................... Nick Körber<br />
Leo Bloom Tanzdouble ........................<br />
Pietro Pelleri<br />
Ulla ...... Olivia Delauré / Nora Lentner<br />
Franz Liebkind ........ Michael Raschle /<br />
Dominik Wilgenbus<br />
Roger deBris ............... Andreas Rainer<br />
Carmen Ghia ............... Jeffery Krueger<br />
Grabsch-mich-Tatsch-mich /<br />
Stalin / Richter .............Angela Mehling<br />
Stoß-mich-Kos´-mich /<br />
Churchill /<br />
Officer Rosenbaum /<br />
Mister Marks .................. Sabine Töpfer<br />
Küss-mich-Spür-mich /<br />
Chaplin ................... Martina Mühlnikel<br />
Sturmtruppenmann .......... Ivo Kovrigar<br />
Platzanweiserinnen ..............................<br />
Nicola Heinecker,<br />
Cornelia Rosenthal<br />
Nonnen ................ Selma Dettenborn,<br />
Tina Lender, Maike Wolff<br />
Theaterarbeiter ...... Alexander Range /<br />
Anton Strötzel /<br />
Sascha Strötzel<br />
Zeitungsverkäufer ...... Anton Strötzel /<br />
Sascha Strötzel<br />
Taubenpuppenspieler ..........................<br />
Selma Dettenborn /<br />
Tina Lender /<br />
Maike Wolff /<br />
Alexander Range<br />
Schäferhund ................. Anton Strötzel<br />
Sergeant Eichmann ........ Maike Wolff /<br />
Selma Dettenborn<br />
Gefängniswärter ...... Alexander Range<br />
Ballett, Chor und Extrachor der<br />
Musikalischen Komödie<br />
St. James Theatre in New York zur Uraufführung. Mit<br />
insgesamt 12 Tony Awards ist es das <strong>Musical</strong>, welches<br />
bis heute die meisten dieser begehrten Trophäen sein<br />
Eigen nennen kann. Wenige Jahre später erhielt der Film<br />
eine Neuauflage, die an den früheren Erfolg anknüpfen<br />
konnte. Die deutschsprachige Fassung des <strong>Musical</strong>s startete<br />
ihren Siegeszug im Juni 2008 im Wiener Ronacher.<br />
Keine 365 Tage danach zeigte der Berliner Admiralspalast<br />
die Produktion. Ihre unorthodoxe Werbung – an<br />
nationalsozialistische Flaggen erinnernde Banner und<br />
Fahnen <strong>mit</strong> schwarzer Brezel auf rot-weißem Grund –<br />
sorgte national und international für große Furore.<br />
Damals wie heute stellt sich die Frage, ob und wie<br />
über diese Thematik gelacht werden darf und sollte. Die<br />
Musikalische Komödie Leipzig hat »The Producers« in<br />
der aktuellen Spielzeit in ihr Programm aufgenommen.<br />
Der Betriebsdirektor des Hauses, Torsten Rose, sagte<br />
vor Beginn der Premiere: »Lachen wird die Welt nicht<br />
verändern, aber Lachen verbindet. Lassen Sie uns heute<br />
Abend zusammen lachen, lassen Sie uns verbinden und<br />
haben Sie vor allem einen unterhaltsamen Abend«, und<br />
gab da<strong>mit</strong> eine gute Antwort auf ebenjene Überlegung.<br />
Ebenso sprach er sich deutlich gegen Antise<strong>mit</strong>ismus<br />
aus. Etwas, das die Produktion gleichermaßen verdeutlicht,<br />
wenn zum Ende Hakenkreuzbinden und der<br />
Nazi-uniformierte Sturmtruppenmann im Mülleimer<br />
Abb. von links oben:<br />
1. Leo Bloom (Nick Körber, l.) und Max<br />
Bialystock (Patrick Rohbeck, r.) zeigen<br />
vollen Körpereinsatz, um von Franz<br />
Liebkind (Michael Raschle, Mitte) die<br />
Aufführungsrechte seines Stücks zu<br />
bekommen<br />
2. Max Bialystock (Patrick Rohbeck, r.),<br />
auf ihm Grabsch-mich-Tatsch-mich<br />
(Angela Mehling, l.), hat Mühe, seiner<br />
nymphomanischen Investorin den<br />
nächsten Scheck abzuluchsen<br />
3. ›Premiere heut´ Nacht‹: Die Zuschauer<br />
(Chor der Musikalischen Komödie) tun<br />
ihren Unmut über die neue Produktion<br />
von Max Bialystock kund<br />
Fotos (3): Kirsten Nijhof<br />
verschwinden.<br />
Nach 10-jähriger Leipzig-Pause kehrt Dominik<br />
Wilgenbus als Regisseur an die Musikalische Komödie<br />
zurück und inszeniert eine Fassung des Mel-Brooks-<br />
<strong>Musical</strong>s, die dessen schwarzen Humor in all seiner<br />
bunten Vielfalt punktgenau einfängt und vor der Nutzung<br />
aktueller Anspielungen nicht zurückschreckt.<br />
Zudem schafft er es, die Szenen cineastisch wechseln<br />
zu lassen, wo<strong>mit</strong> er nicht nur dem zugrundeliegenden<br />
Film Tribut zollt, sondern Tempo erzeugt, welches eine<br />
Herausforderung an die Bühnentechnik <strong>mit</strong> sich bringt.<br />
Peter Engel (Bühnenbild) hat sich der Schwierigkeit<br />
angenommen und sie bravourös gemeistert. Durch einen<br />
offenen Raum und der Hand-in-Hand-Arbeit <strong>mit</strong> dem<br />
Lichtdesign (Björn Sundermann) gelingen die Wechsel<br />
mühelos. Gleichzeitig unterstreichen Kleinigkeiten, wie<br />
das Umfallen der Fackel der Freiheitsstatue in Bialystocks<br />
Büro, einzelne Szenen. Eine Toilette war vermutlich<br />
noch nie ein so exzeptioneller Schauplatz in einem<br />
<strong>Musical</strong>, wie er hier teilweise süperb eingeflochten wird.<br />
Obwohl Kostüme (Uschi Haug) und Choreographie<br />
(Mirko Mahr) seitens der Rechtevergabe wenig Spielraum<br />
haben, bringen sie dennoch Persönlichkeit in das<br />
Stück <strong>mit</strong> ein, die die gesamte Inszenierung abrundet.<br />
Besonders die energiegeladene Step-Choreographie von<br />
Illia Bukharov gibt dem Ballett die Möglichkeit, sein<br />
32<br />
blickpunkt musical <strong>06</strong>/20<strong>23</strong>
<strong>Musical</strong>s in Deutschland<br />
Headline<br />
Können in voller Gänze auszuspielen. Und spätestens,<br />
wenn die würdevoll gealterten Tänzerinnen <strong>mit</strong> ihren<br />
Gehilfen das Parkett für sich einnehmen, weint das<br />
Publikum Subline vor Lachen.<br />
Neben dem hervorragenden Tanzensemble ist<br />
auch die Auswahl der Darsteller meisterhaft geglückt.<br />
Patrick Rohbeck kann nicht nur singen und tanzen,<br />
sondern stellt jede Situationskomik pointiert dar. Als<br />
Max Bialystock schafft er den Spagat zwischen frustriert-verzweifeltem<br />
Alt-Broadway-Star-Produzenten<br />
und dem gerissenen geld- und erfolgsgierigen Producer,<br />
der auch vor dem Tragen einer glitzernden Hakenkreuzbinde<br />
nicht Halt macht, um sein Ziel zu erreichen.<br />
Spätestens <strong>mit</strong> seiner Ein-Mann-Performance<br />
zum Song ›Verrat‹ holt er den letzten Zuschauer ab.<br />
Mit der gerafften Zusammenfassung der bisherigen<br />
Handlung vereinigt er Gesangs-, Schauspiel- und<br />
Komödiantentalent in einem.<br />
Der ebenso als Gast verpflichtete Nick Körber steht<br />
in seiner Rolle des Leo Bloom seinem Kollegen in<br />
nichts nach. Glaubhaft entwickelt er seine Figur vom<br />
schnuffeltuchabhängigen Buchhalter, der sich strikt an<br />
Regeln hält, zum souveränen Mann, der den wahren<br />
Sinn von Freundschaft verstanden hat und <strong>mit</strong> einem<br />
gesunden Selbstbewusstsein den Broadway erobert.<br />
Stimmlich harmoniert er nicht nur <strong>mit</strong> Patrick Rohbeck<br />
in ihren gemeinsamen Liedern ›Wir zusammen‹<br />
oder ›Wie ist das passiert?‹, sondern weiß auch in den<br />
Soli ›Der Blick‹ und ›Vor ihm‹ gesanglich zu überzeugen.<br />
Den Glücksspruch »Hals- und Beinbruch« hat<br />
Nick Körber selbst etwas zu wörtlich genommen und<br />
sich vor der Premiere den rechten Zeh gebrochen. Seiner<br />
Darbietung hat man dies nicht angesehen. Zudem<br />
wurde sein Tanzdouble Pietro Pelleri so geschickt eingearbeitet,<br />
dass es wie zum Stück gehörend wirkte und<br />
es eigentlich schade für all jene Zuschauer ist, die das<br />
gegebenenfalls nicht mehr erleben dürfen.<br />
›Wenn Du´s drüf hast, zeig´ es!‹ – und wie sie es<br />
drauf hat, zeigt Olivia Delauré als Ulla . Nicht nur <strong>mit</strong><br />
ihrem Gesang, sondern auch ihrem lieblichen Tanz<br />
lässt sie den Puls von Leo Bloom höher schlagen. Dazu<br />
ein koketter Augenaufschlag und die restlichen Herzen<br />
sind im Sturm erobert. Ebenso versteht sie es, <strong>mit</strong> ihrer<br />
Mimik eine individuelle Komik einzubringen, und<br />
das Durchhalten des schwedischen Akzents bis zum<br />
Schluss verdient Anerkennung.<br />
Darüber hinaus trägt das weitere Haus-Ensemble<br />
zum Erfolg der Aufführung bei. Michael Raschle gibt<br />
einen dümmlichen bayrischen Alt-Nazi Franz Liebkind,<br />
der trotz seiner ideologischen Ansichten nicht<br />
nur witzig, sondern fast ein kleines bisschen liebenswert<br />
daher kommt. Etliche Lacher haben Andreas<br />
Rainer als tuntiger Regisseur Roger deBris und sein<br />
aufgrund von Eifersucht gern mal Gift und Galle spuckender<br />
Assistent Carmen Ghia, gespielt von Jeffery<br />
Krueger, auf ihrer Seite. Besonders Erstgenannter kann<br />
als schwuler Hitler im Stück im Stück das Publikum<br />
für sich einnehmen. Angela Mehling und Sabine Töpfer<br />
kommen als charmant gealterte, nymphomanische<br />
Investorinnen <strong>mit</strong> viel Witz daher und verstehen es im<br />
weiteren Verlauf gekonnt, in den kleineren Rollen den<br />
Humor des <strong>Musical</strong>s darzubieten.<br />
Nicht nur auf der Bühne werden Glanzleistungen<br />
vollbracht. Das Orchester der Musikalischen Komödie<br />
wird beschwingt von Michael Nündel dirigiert und<br />
lässt die Kompositionen von Mel Brooks voluminös<br />
erklingen, ohne dabei die Darsteller zu übertönen.<br />
Dadurch kann sich die Gesamtheit von Musik und<br />
Gesang im Saal voll entfalten und ist ein wahrer<br />
Genuss für die Ohren.<br />
Insgesamt schafft Dominik Wilgenbus <strong>mit</strong> seiner<br />
Inszenierung von »The Producers« einen Abend, an<br />
dem man vor Lachen die Tristesse des Alltags vergessen<br />
kann. Verdientermaßen gab es zur Premiere<br />
Standing Ovations. Dort, wo Max Bialystock alles<br />
falsch machen wollte, hat man an der Musikalischen<br />
Komödie in Leipzig alles richtig gemacht und einen<br />
anerkennenswerten Erfolg feiern dürfen.<br />
Eva Baldauf<br />
Abb. oben:<br />
›Frühling für Hitler‹: Roger deBris<br />
(Andreas Rainer, Mitte, <strong>mit</strong> Chor der<br />
Musikalischen Komödie) springt als<br />
Adolf Hitler ein, nachdem sich Franz<br />
Liebkind auf dem Weg zur Bühne ein<br />
Bein gebrochen hat<br />
Abb. unten von oben links:<br />
1. (v.l.): Stoß-mich-Kos-mich (Sabine<br />
Töpfer), Grabsch-mich-Tatsch-mich<br />
(Angela Mehling) und Küss-mich-<br />
Spür-mich (Martina Mühlnikel) sind<br />
die besten Investorinnen von Max<br />
Bialystock, die nicht ahnen, dass er<br />
sie hintergehen wird<br />
2. Endlich ist Leo Bloom (Nick Körber)<br />
am Ziel seiner Träume: Er ist ein<br />
Producer<br />
3. Mister Marks (Sabine Töpfer, auf<br />
dem Tisch) erklärt Leo Bloom (Nick<br />
Körber, hinten 5.v.r.), dass er viel<br />
Wert auf Pünktlichkeit und akkurates<br />
Arbeiten legt und niemand aus der<br />
Reihe tanzen sollte<br />
Fotos (4): Kirsten Nijhof<br />
blickpunkt musical <strong>06</strong>/20<strong>23</strong><br />
33
<strong>Musical</strong>s in Deutschland<br />
Auch nach 20 Jahren noch ultrascharf?<br />
20 Jahre »Heiße Ecke – Das <strong>Musical</strong>«<br />
Abb. oben:<br />
Ein ultra-scharfes Finale <strong>mit</strong> allen<br />
Beteiligten<br />
Foto: Morris Mac Matzen<br />
Heiße Ecke –<br />
Das St. Pauli <strong>Musical</strong><br />
Martin Lingnau / Heiko Wohlgemuth /<br />
Thomas Matschoß<br />
Schmidts Tivoli Hamburg<br />
Geburtstagsshow:<br />
18. September 20<strong>23</strong><br />
Regie .......................... Corny Littmann<br />
Musikalische Leitung ....... Markus Voigt<br />
Choreographie ................. Laris Gec &<br />
Silvia Varelli<br />
Bühnenbild .................. Bader El Hindi<br />
Kostüme ................... Silke Löhmann &<br />
Frank Kuder<br />
Licht ................. Ano Nickl, Jörg Peters,<br />
Dirk Wierwille<br />
Ton ........................ Dominik Siemßen,<br />
Tilman van der Leeden,<br />
Holger Kress<br />
Ensemble:<br />
Robin Brosch, Kathi Damerow,<br />
Udo Eickelmann, Ulrike Figgener,<br />
Jasmin Fihlon, Kristin Hölck,<br />
Jogi Kaiser, Stefan Leonard,<br />
Maik Lohse, Kristian Lucas,<br />
Anja Majeski, Laura Pfister,<br />
Karim Plett, Evangelos Sargantzo,<br />
Stefanie Schwendy,<br />
Alexander Soehnle, Petra Staginnus,<br />
Katrin Taylor, Tiziana Turano,<br />
Maraile Woehe, Heiko Wohlgemuth,<br />
Benjamin Zobrys<br />
Die Luft knisterte aufgeregt, als der Hamburger<br />
Kultursenator Dr. Carsten Brosda in Hamburgs<br />
schönem Privattheater Schmidts Tivoli eine ganz einmalige<br />
Vorstellung anmoderierte. Die 5.205. Show,<br />
zum 20-jährigen Jubiläum der Hamburger <strong>Musical</strong>institution:<br />
»Heiße Ecke«. Die <strong>Musical</strong>produktion ist so<br />
erfolgreich, dass sie schon an mehreren anderen Theatern<br />
nachgespielt wurde. Besonderer Beliebtheit erfreut<br />
sie sich bei Sommer-Open-Air-Produktionen und ist<br />
so weit über die Grenzen Hamburgs hinaus populär<br />
geworden.<br />
Ein Besuch lohnt auch heute noch und ist aktuell<br />
wie eh und je, entführt die Bühnenproduktion die<br />
Zuschauer doch <strong>mit</strong>ten rein ins Kiezleben und die dort<br />
stattfindenden zwischenmenschlichen Beziehungen.<br />
In St. Pauli trifft man sich am Imbiss »Heiße Ecke«:<br />
Die Pinneberger Jungs Mikie, Frankie und Pitter, das<br />
Liebespaar Straube, der Hehler Henning, Hannelore<br />
von der Nachtschicht oder die Prostituierten Nadja,<br />
Sylvie und Martina, die von Aldi-Computern träumen<br />
und von wirklich »dicken Dingern« berichten, sind<br />
genauso am Start wie Straßenkehrer, Würstchen-<br />
Fachverkäufer, Polizisten, Zuhälter, Spielsüchtige,<br />
Hamburg-Touristen und andere kuriose Gestalten. In<br />
22 Songs erlebt der Zuschauer <strong>24</strong> Stunden des bunten<br />
Lebens auf der Reeperbahn. Die Darsteller des wunderbar<br />
spielfreudigen Ensembles springen dabei in<br />
verschiedenste Rollen und Charaktere und berichten<br />
aus ihrem Leben.<br />
In der Galavorstellung war alles etwas anders, denn<br />
in die bestehende Handlung wurden gekonnt Prominente<br />
eingewoben, was die Vorstellung zu einem einmaligen<br />
Erlebnis machte. Annett Louisan, Tim Mälzer,<br />
Stefan Gwildis, Tetje Mierendorf, Ralph Morgenstern,<br />
David Harrington und andere wurden elegant in<br />
kleine Szenenmomente, zum Beispiel als Touristen<br />
aus Paderborn oder lüsterne Touris, in die Aufführung<br />
<strong>mit</strong> eingebaut. Das funktionierte mehr als genial und<br />
nahm dem Spielfluss (bis auf den recht langen Beitrag<br />
von Gwildis) keinen Flow! Eine wahnsinnige, künstlerisch<br />
toll ausgedachte Produktions-Teamleistung,<br />
denn auch die doppelt besetzten Darsteller:innen<br />
spielten diesmal teilweise zeitgleich <strong>mit</strong>. Prominente<br />
Gratulanten waren unter anderem Schauspielerin<br />
Hannelore Hoger, die Kölner Band »Kasalla«, die<br />
ehemalige Tagesschau-Sprecherin Dagmar Berghoff,<br />
Moderator Lou Richter, Bestseller-Autor Tommy<br />
Jaud, TV-Jurorin Bettina Schliephake-Burchardt<br />
(»Das große Backen«), »Deine Freunde«-Sänger Lukas<br />
Nimscheck, Sängerin und Schauspielerin Carolin<br />
Fortenbacher, FC-St.-Pauli-Trainer Fabian Hürzeler,<br />
Schauspieler Matthias Schloo, Dragqueen Fanny<br />
Funtastic und Kiezpfarrer Karl Schultz, der als Überraschungsgast<br />
in einer rührenden Liebesduett-Szene<br />
<strong>mit</strong>spielte und auch toll <strong>mit</strong>sang. Schmidt-Theaterchef<br />
(und »Heiße Ecke«-Regisseur) Corny Littmann, der<br />
zur Feier des Tages den ›Engel von St. Pauli‹ gab, sagte:<br />
»Dieses <strong>Musical</strong> ist ein unglaublicher Erfolg, der uns<br />
selbst immer wieder überrascht und überwältigt!«<br />
Gestartet war der Abend <strong>mit</strong> einem stilechten Bierempfang,<br />
dazu gab es Currywurst, die zugunsten von<br />
Hamburg Leuchtfeuer e. V. verkauft wurde. Die Gäste<br />
konnten sich am Boxautomaten und am Glücksrad<br />
versuchen und am »Heiße Ecke«-Fotoautomaten<br />
Erinnerungsbilder schießen. Während der Show, in<br />
der statt der üblichen neun Darsteller:innen das komplette<br />
aktuelle Ensemble auf der Bühne stand, kamen<br />
Gesangsbücher zum Mitschmettern von Ohrwürmern<br />
wie ›Reeperbahn‹ zum Einsatz. Einzelne Personen<br />
hier zu nennen wäre diesmal unfair, denn wirklich alle<br />
34<br />
blickpunkt musical <strong>06</strong>/20<strong>23</strong>
<strong>Musical</strong>s in Deutschland<br />
Beteiligten auf der Bühne haben Vollgas gegeben!<br />
Wie praktisch, dass die Produktion zeitgleich zum<br />
Jubiläum auch eine neue Live-Mitschnittaufnahme<br />
zum Kauf als CD oder zum Streamen veröffentlicht hat.<br />
Nach dem großen Finale überreichte Hamburgs Erster<br />
Bürgermeister Dr. Peter Tschentscher noch Blumen auf<br />
der Bühne, u. a. an die <strong>Musical</strong>schöpfer Martin Lingnau,<br />
Heiko Wohlgemuth und Thomas Matschoß – und<br />
an Kathi Damerow, die bereits seit der Uraufführung<br />
2003 als Imbisswirtin Margot und in anderen Rollen<br />
in »Heiße Ecke« auf der Bühne steht.<br />
Die <strong>Musical</strong>-Songs von Martin Lingnau gehen<br />
stark ins Ohr. Besonders ›Engel von St. Pauli‹ oder die<br />
Ballade ›Gib mir noch Zeit‹, ›Nie wieder Ti amo‹ oder<br />
›Morgen‹ und die immer wieder aufkommende Reprise<br />
›Reeperbahn‹ machen einen Livebesuch dieser Show<br />
eben doch zu etwas ganz Besonderem. Auch wenn<br />
vor 20 Jahren noch ein kleines Tivoli-Orchester live<br />
gespielt hat, kommt die Orchestermusik inzwischen<br />
vom Band. Dank eines guten Tonmeisters wurden aber<br />
die Gesangsstimmen heute auf die guten Playbacks<br />
optimal feinjustiert.<br />
Hamburgs Kieztheater Nr. 1 und seine Mannschaft<br />
bieten auch diesmal wieder mehr als nur »eine alte<br />
Knackwurst« an. Es kommt zum Jubiläum unglaublich<br />
scharf und sehr gut gewürzt und künstlerisch sehr wertvoll<br />
daher, und ein wiederholter Besuch der »Heiße(n) Ecke«<br />
bleibt auch in Zukunft einfach unverzichtbar.<br />
Stefan Schön<br />
Abb. unten von oben links:<br />
1. Ralph Morgenstern und Tetje<br />
Mierendorf als abgezockte<br />
Kieztouristen<br />
2. Tim Mälzer, Anja Majeski und<br />
Kathi Damerow sprechen nicht<br />
nur über Würstchen<br />
3. Hamburgs Erster Bürgermeister<br />
Dr. Peter Tschentscher überreicht<br />
Blumen an Kathi Damerow, die von<br />
Anfang an als Darstellerin Teil der<br />
Produktion ist<br />
4. Annett Louisan wurde in den<br />
Ablauf eingebaut, im Hintergrund<br />
Anja Majeski<br />
5. Tiziana Turano, Kathi Damerow,<br />
Reinhold Beckmann – ›Geb’ mir<br />
noch Zeit‹<br />
6. Corny Littmann mal lammfromm:<br />
Er spielt und singt den ›Engel von<br />
St. Pauli‹<br />
7. Maraile Woehe und Kiezpfarrer<br />
Karl Schultz haben einen herzzerreißenden<br />
Liebesmoment, im<br />
Hintergrund: Stefanie Schwendy,<br />
Stefan Leonard<br />
Fotos (7): Morris Mac Matzen<br />
blickpunkt musical <strong>06</strong>/20<strong>23</strong><br />
35
<strong>Musical</strong>s in Deutschland<br />
Liebe und Leid in Isfahan<br />
Deutschsprachige Erstaufführung von »Der Medicus« in München<br />
Avicenna (Alexander Bellinkx, 2.v.l.) erteilt seinen Schülern Mirdim (Georg Hasenzagl, l.), Rob (Bosse Vogt, 2.v.r.) und Karim (Lukas Müller, r.) Verhaltensmaßregeln<br />
Foto: Ingrid Kernbach<br />
Der Medicus<br />
Iván Macías / Félix Amador<br />
Deutsch von Hartmut H. Forche &<br />
Jaime Roman-Briones<br />
Manfred Hertlein<br />
Veranstaltungs Gmbh<br />
Deutsches Theater München<br />
Deutschsprachige Erstaufführung:<br />
20. Oktober 20<strong>23</strong><br />
Regie ............................... Stanislav Moša<br />
Musikalische Leitung ....... Dan Kalousek<br />
Choreographie .................. Michal Matěj<br />
Bühnenbild ................ Christoph Weyers<br />
Kostüme ..................... Andrea Kučerova<br />
Rob Cole ............................... Bosse Vogt<br />
Mary .......................... Miriam Neumaier<br />
Avicena .................... Alexander Bellinkx<br />
Schah ................................. Chris Murray<br />
Bader ................................ Lénárd Kókai<br />
Merlin / Qandrasseh ............... Jiří Horký<br />
Frita / Karim ....................... Lukas Müller<br />
Mirdim / Meier............ Georg Hasenzagl<br />
Agnes ............................... Barbara Weiß<br />
Simon ........................... Ondřej Kominek<br />
Rob als Kind .................. Jana Luisa Band<br />
In weiteren Rollen:<br />
Noraleen Amhausend, Laura Birte,<br />
Tomasz Dziecielski, Kristine Emde,<br />
Melanie Engl, Patrik Földeši,<br />
Lilia Höfling, Sarah Laminger,<br />
Jasmin Reif, Marvin Schütt,<br />
Jáchym Šíma,<br />
Julia Werbick (Dance Captain)<br />
Warum ist das eine deutschsprachige Erstaufführung,<br />
so fragte sich der eine oder andere Leser,<br />
gab es doch bereits bei spotlight musicals in Fulda eine<br />
Produktion gleichen Namens. Die Frage ist einfach zu<br />
beantworten: Bei dem Münchner <strong>Musical</strong> handelt es<br />
sich um die Version von Iván Macías (Musik) <strong>mit</strong> den<br />
Texten von Félix Amador, die in Spanien (Uraufführung<br />
am 17. Oktober 2018 in Madrid) und danach<br />
auch in Tschechien (Brno 2022) <strong>mit</strong> großem Erfolg lief<br />
und die, so wollten es auch die Erben des Schriftstellers,<br />
sich mehr an dem Buch orientiert.<br />
Zur Premiere war dann auch das ganze spanische<br />
Original-Kreativ-Team angereist, um zu sehen, wie das<br />
Stück in Deutsch in der Übersetzung von Hartmut<br />
H. Forche und Jaime Roman-Briones klingen würde.<br />
Aus Tschechien übernommen wurden Bühnenbild,<br />
Choreographie, Kostüme, Orchester und musikalische<br />
Leitung. Das alles fügte Regisseur Stanislav Moša <strong>mit</strong><br />
bewundernswerter Ruhe zusammen.<br />
Alles beginnt <strong>mit</strong> einem Jungen, der im London des<br />
11. Jahrhunderts lebt und dessen Mutter bei der Geburt<br />
ihres jüngsten Kindes stirbt. So kommt es, dass er von<br />
seinen Geschwistern getrennt wird. Während seine<br />
kleineren Geschwister von anderen Familien aufgenommen<br />
werden, will den 9-jährigen Jungen niemand<br />
außer einem Bader (ein herumziehender Naturheiler,<br />
Kurpfuscher, Zahnarzt usw.) aufnehmen. Er erkennt,<br />
dass Rob eine ganz besondere Gabe besitzt: Wenn seine<br />
Hände die Hände anderer berühren, erkennt er, ob<br />
jemand sterben wird.<br />
Von diesem Bader lernt Rob viel, auch das Einrenken<br />
ausgekugelter Schultern und das Herstellen von<br />
»Panazea Universal«, einem Trank, der angeblich alles<br />
heilt, aber eigentlich nur aus Honigwasser und ein paar<br />
Kräutern besteht. Gemeinsam reisen sie durch England,<br />
doch Rob möchte zurück zu seinen Geschwistern nach<br />
London. Als sie endlich wieder in London sind, muss<br />
Rob feststellen, dass alle Geschwister gestorben sind.<br />
Eines Tages kommt ein vermeintlich blinder Mann<br />
zum Bader, der jedoch von diesem weggeschickt wird,<br />
<strong>mit</strong> der Begründung, er könne ihm nicht helfen. Rob<br />
ist enttäuscht, muss aber feststellen, dass ein jüdischer<br />
Medicus namens Merlin die Augen des Mannes retten<br />
kann, indem er den Grauen Star operiert. Neugierig<br />
und ungeduldig zugleich, will Rob wissen, wo man dies<br />
lernen kann. So erfährt er von Avicenna, dem Meister<br />
der Ärzte, in Isfahan (Iran / Persien). Vom Bader, dessen<br />
Tod er voraussieht, erhält er dessen Eigentum, um<br />
die Reise zu finanzieren, und so macht er sich auf den<br />
Weg.<br />
Unterwegs trifft er auf eine Karawane. Er lernt seine<br />
große Liebe, die Schottin Mary Cullen, kennen. Rob<br />
hat erfahren, dass nur Juden und Moslems, nicht aber<br />
Christen in Isfahan studieren dürfen, daher gibt er sich<br />
als englischer Jude aus. Bei der Karawane ist auch eine<br />
Gruppe jüdischer Händler, der er sich anschließt und<br />
im Umgang <strong>mit</strong> ihnen jüdische Lebensformen lernt.<br />
Obwohl er sich in Mary verliebt hat, trennen sich ihre<br />
Wege, da Rob seinen Weg nach Isfahan fortsetzen will.<br />
Kaum dort angekommen stolpert Rob direkt vor die<br />
Füße des Großwesirs, woraufhin dieser ihn verhaften<br />
und dem Schah vorführen lässt. Der Wesir hofft, dass<br />
der Schah den fremden Juden töten lässt, doch dieser<br />
gestattet Rob aus einer Laune heraus, beim großen<br />
36<br />
blickpunkt musical <strong>06</strong>/20<strong>23</strong>
<strong>Musical</strong>s in Deutschland<br />
Avicenna Medizin zu studieren. Der Schah ist fasziniert<br />
von dem »exotischen« Juden aus England.<br />
Als in Persien die Pest ausbricht, schickt Avicenna<br />
Rob und zwei andere seiner Schüler dort hin, um zu<br />
helfen. In<strong>mit</strong>ten der Toten und Kranken begegnen<br />
sich Rob und Mary wieder. Sie heiraten und der Schah<br />
schenkt ihnen zur Hochzeit ein großes Haus.<br />
Die Lage spitzt sich zu, als der Schah <strong>mit</strong> Mary<br />
um ihrer roten Haare willen eine Nacht verbringen<br />
möchte. Der Wesir erinnert den Schah daran, dass sie<br />
im Krieg seien und das dies viel wichtiger sei als die<br />
Gier nach Vergnügen. Doch der Schah befiehlt, Mary<br />
holen zu lassen. Um Schlimmeres zu verhindern, greift<br />
Avicenna ein und lockt Rob <strong>mit</strong> einer List aus dem<br />
Haus.<br />
Als Preis für ihre und Robs Sicherheit ist Mary<br />
gezwungen, die Nacht <strong>mit</strong> dem Schah zu verbringen,<br />
was Rob nie erfahren soll. Doch jemand erzählt ihm,<br />
dass der Schah immer süße Melonen verschickt, wenn<br />
er <strong>mit</strong> einer Frau geschlafen hat, und ausgerechnet,<br />
als Rob begeistert feststellt, dass Mary schwanger ist,<br />
erscheint ein Bote des Schahs <strong>mit</strong> eben diesen süßen<br />
Früchten.<br />
Mirdin, Robs Freund, hat gehört, dass Mary Christin<br />
sei. Als er Rob zur Rede stellt, muss dieser zugeben,<br />
dass auch er Christ ist. Mirdin ist bitter enttäuscht,<br />
doch sein Sohn (Laura Birte) versucht, zwischen den<br />
beiden zu ver<strong>mit</strong>teln (›Shalom‹) – eines der schönsten<br />
Lieder des Stücks, das spontane Bravorufe hervorrief,<br />
sicher auch der aktuellen politischen Situation<br />
geschuldet.<br />
Mirdins Sohn ist an der Seitenkrankheit erkrankt<br />
und stirbt kurze Zeit später. Rob bittet Avicenna um<br />
Erlaubnis, die Leiche öffnen zu dürfen. Doch dies ist<br />
im muslimischen Glauben strengstens verboten, da die<br />
Toten unversehrt vor ihren Gott, Allah, treten müssen.<br />
Rob widersetzt sich dem Verbot, obduziert die Leiche<br />
des Kindes und entdeckt dabei das Geheimnis der Seitenkrankheit,<br />
den Wurmfortsatz am Blinddarm.<br />
Währenddessen kommt es auch zwischen dem<br />
Schah und seinem Großwesir zum Eklat. Der Schah<br />
ist noch immer davon überzeugt, unbesiegbar zu sein,<br />
doch der Großwesir macht ihm klar, dass die feindlichen<br />
Truppen Isfahan bereits umzingelt haben. Als<br />
der Schah befielt, den Großwesir zu töten, wenden sich<br />
seine eigenen Wachen gegen ihn.<br />
Mitten hinein in den Streit platzt Rob, das Skalpell<br />
in der Hand und bereit, den Schah dafür umzubringen,<br />
dass er Mary gezwungen hat, <strong>mit</strong> ihm zu schlafen.<br />
Der Schah leistet nur wenig Widerstand, denn ihm<br />
scheint die aussichtslose Lage, in der er sich befindet,<br />
inzwischen klar geworden zu sein. Doch Avicenna<br />
verhindert, dass Rob den Schah tötet. Bevor der Großwesir<br />
eintrifft, bittet der Schah Rob und Mary, aus der<br />
Abb. unten von links oben:<br />
1. Der Schah (Chris Murray) gibt<br />
sich gerne den weltlichen Genüssen<br />
von Wein und Frauen hin<br />
2. Der Bader (Lénárd Kókai, Mitte<br />
erhöht) und sein Assistent Rob (Jana<br />
Luisa Band, Mitte sitzend auf der<br />
Kiste) haben die Menge <strong>mit</strong> ihrem<br />
Mittel »Panazea universalis« voll im<br />
Griff<br />
3. Während er im Gefängnis von<br />
Isfahan auf seinen Prozess wartet,<br />
sieht Rob (Bosse Vogt, 2.v.r.) vor<br />
seinem geistigen Auge alle die, die<br />
in seinem Leben wichtig waren:<br />
Den Bader (Lénárd Kókai, l.), seine<br />
geliebte Mary (Miriam Neumaier,<br />
Mitte) und sein jüngeres Ich (Jana<br />
Luisa Brand, r.)<br />
4. Mary (Miriam Neumaier, Mitte)<br />
wird von den Haremsdamen<br />
(Ensemble) für ihre Nacht <strong>mit</strong> dem<br />
Schah eingekleidet<br />
Fotos (4): Ingrid Kernbach<br />
blickpunkt musical <strong>06</strong>/20<strong>23</strong><br />
37
<strong>Musical</strong>s in Deutschland<br />
Abb. oben:<br />
Der Schah (Chris Murray) bedroht<br />
Mary (Miriam Neumaier), während<br />
Rob, ihr Mann, ihn angreift<br />
Abb. unten von oben links:<br />
1. Die Studenten in der Akademie<br />
des Avicenna (Ensemble) nehmen<br />
Rob (Bosse Vogt, 2.v.r.) auf<br />
2. Rob (Bosse Vogt) und Mary<br />
(Miriam Neumaier) bekennen ihre<br />
Liebe zueinander<br />
3. Der Großwesir (Jiří Horký, l.) will<br />
den Schah (Chris Murray, r.) unter<br />
Druck setzen. Dieser lehnt jede<br />
Einflussnahme empört ab<br />
4. Vergeblich fleht Rob (Bosse Vogt,<br />
kniend) den stellvertretenden Leiter<br />
(Marvin Schütt, r.) der medizinischen<br />
Akademie an, dort studieren zu dürfen<br />
Fotos (5): Ingrid Kernbach<br />
Stadt zu fliehen.<br />
Die Musik, die zwischen unterschiedlichen Stilrichtungen<br />
schwankt, ist teils nachdenklich, teils fröhlich.<br />
So hat der Bader (Lénárd Kókai) seinem Lehrling viel<br />
zu sagen: ›Aber gut wirst du nur‹ und ›Der Bader ist<br />
nun da‹. Großartig sind die Soli des jungen Rob (Jana<br />
Luisa Band): ›Ich bin kein Kind mehr‹ und ›Heut sag<br />
ich leb wohl‹. Bei ›Ai di di dai‹ hat das Publikum sogar<br />
die Gelegenheit zum Mitklatschen. Und das Lied<br />
›Geschrieben steht es in den Sternen‹ erweckt den Eindruck<br />
eines Titelsongs und taucht als Motiv der Liebe<br />
zwischen Rob und Mary mehrfach auf.<br />
Chris Murray als Schah ist stimmlich wie darstellerisch<br />
gefordert. Seine Lieder verlangen einiges an<br />
Stimmgewalt. Sein ›Das Spiel des Schahs‹ klingt schon<br />
fast ein bisschen nach einer Puccini-Oper und geht<br />
gewaltig unter die Haut.<br />
Ein weiterer bekannter Name ist Alexander<br />
Bellinkx als Avicenna. Wunderschön klingt hier seine<br />
die Ballade ›Ab jetzt bist du ein Medicus‹.<br />
Die Münchnerin Miriam Neumaier (Mary) bringt<br />
hier viel Gefühl auf die Bühne, auch Bosse Vogt als<br />
Rob überzeugt.<br />
Der gebürtige Ungar Lénárd Kókai, der als Bader in<br />
München auf der Bühne steht, kann Begeisterung für<br />
sich und sein Schauspiel hervorrufen.<br />
Besonders erwähnen sollte man auch noch Jana<br />
Luisa Band, die bezaubernd Rob als Kind singt und<br />
spielt.<br />
Insgesamt ist das Ensemble großartig, sowohl<br />
gesanglich als auch schauspielerisch und tänzerisch.<br />
Das Bühnenbild, für das Christoph Weyers verantwortlich<br />
zeichnet, ist im ersten Teil eher dunkel,<br />
besonders wenn das Stück in London spielt. Die Kutsche<br />
des Baders bewegt sich vor einer Videoprojektion<br />
nahezu realistisch. Auch die Wanderung der Karawane<br />
durch die Wüste ist durch eine Projektion optisch<br />
verstärkt.<br />
Ganz anders der zweite Teil <strong>mit</strong> der Farbenpracht<br />
des Orients. Der Palast des Schahs ist prunkvoll anzuschauen<br />
und wenn er sich <strong>mit</strong> seinem Harem zeigt,<br />
dann zwischen vielen bunten Kissen. Dagegen wirkt<br />
die Szene, in der er Mary zu sich holen lässt, besonders<br />
durch die in Wellen herabfallenden Tücher dramatisch.<br />
Auch die Kostüme von Andrea Kučerová passen<br />
gut in die Zeit. Besonders schön anzuschauen sind die<br />
Haremsdamen und der Schah in seinen prunkvollen<br />
Gewändern.<br />
»Der Medicus« im Deutschen Theater München,<br />
präsentiert von der Manfred Hertlein Veranstaltungs<br />
GmbH, ist ein wunderbares <strong>Musical</strong>, das sich durch<br />
großartige Musik und wunderschöne Bühnenbilder,<br />
aber auch durch eine fantastische Besetzung auszeichnet.<br />
Ein Besuch ist absolut empfehlenswert.<br />
Ingrid Kernbach<br />
38<br />
blickpunkt musical <strong>06</strong>/20<strong>23</strong>
<strong>Musical</strong>s in Deutschland<br />
Headline Ich muss auf dieses Schiff!<br />
Subline »Titanic« vom FME Münster<br />
In der ersten Klasse tanzt man den neuesten Ragtime.<br />
Das freie <strong>Musical</strong>ensemble Münster, kurz FME,<br />
wurde bereits 1999 vom musikalischen Leiter<br />
Ingo Budweg gegründet. Nach dem Erstlingswerk<br />
»Anatevka« wurden bereits 18 Produktionen in mehr<br />
als 175 Aufführungen <strong>mit</strong> über 60.000 Zuschauern<br />
in Münster präsentiert. Unter den gezeigten <strong>Musical</strong>s<br />
gab es spektakuläre deutsche Erstaufführungen wie<br />
»Parade« (2017), »Dracula« (2011), »Eine Geschichte<br />
aus zwei Städten« (2012) und »Imagine This« (2016),<br />
aber auch bekannte Stücke wie »Jekyll & Hyde«<br />
(2005), »Scrooge« (2008, 2010, 2013 und 2018) oder<br />
»3 Musketiere« (2015).<br />
Das Drama-<strong>Musical</strong>-Meisterwerk »Titanic« von<br />
Maury Yeston (Musik & Liedtexte) und Peter Stone<br />
(Buch) in der Übersetzung von Wolfgang Adenberg<br />
aus dem Jahr 1997 über den Untergang des Ozeanriesen<br />
und die tragischen Schicksale der Passagiere der<br />
ersten, zweiten und dritten Klasse steht nach 2009<br />
und 2019 zum dritten Mal vom 20. Oktober bis zum<br />
12. November 20<strong>23</strong> in insgesamt 12 Vorstellungen<br />
auf dem Spielplan des FME. Dank des 50-köpfigen<br />
symphonischen Orchesters und des 85 Personen<br />
starken Ensembles des FME wird »Titanic« im Konzertsaal<br />
der Freien Waldorfschule Münster zu einem<br />
Genuss für <strong>Musical</strong>-Liebhaber, der schnell vergessen<br />
lässt, dass im Orchestergraben und auf der Bühne nur<br />
Laiendarsteller stehen, die ihr Geld in ganz anderen<br />
Berufen verdienen. Die symphonische Partitur <strong>mit</strong><br />
den grandiosen Songs für einen gigantischen Chor<br />
ist bei Ingo Budweg in besten Dirigenten-Händen,<br />
und wo anders als in Münster kann man dieses Stück<br />
<strong>mit</strong> rekordverdächtigen 135 aktiv Beteiligten sehen?<br />
Bereits die ausgedehnte Eröffnungssequenz, bei der<br />
die Passagiere vorgestellt werden, während sie über die<br />
Gangway zum Schiff flanieren, bereitet Gänsehaut.<br />
Überzeugend sind aber auch die ruhigeren Momente,<br />
wenn z.B. Heizer Frederick Barrett beim Funker ein<br />
Telegramm für seine Geliebte aufgeben möchte oder<br />
Kapitän, Architekt und Schiffseigner ›Die Schuldfrage‹<br />
am Untergang untereinander ausfechten. Auch das<br />
für die deutsche Erstaufführung in der Neuen Flora<br />
in Hamburg (Dezember 2002 bis Oktober 2003)<br />
komponierte zusätzliche Liebesduett ›Drei Tage‹ ist im<br />
zweiten Akt zu hören.<br />
Nach der Corona-Krise, die dem Verein finanziell<br />
und personell arg zu schaffen machte, präsentiert sich<br />
das FME wieder in alter Qualität, und auch die neuen<br />
Vereins<strong>mit</strong>glieder fügen sich gesanglich wie darstellerisch<br />
harmonisch zu den »älteren Hasen«, die bereits<br />
zwei Fahrten der »Titanic« in Münster überlebt haben.<br />
Die gesamte Cast ist durchweg talentiert, hier einzelne<br />
Darsteller hervorzuheben ist eigentlich unfair allen<br />
anderen gegenüber, trotzdem gefallen Felix Albert<br />
als Erster-Klasse-Steward Henry Samuel Etches und<br />
natürlich die stimmlich wunderschön harmonisierenden<br />
drei Kates Chiara Bonventre, Anne Greve und<br />
Lara Welter besonders gut.<br />
Verglichen <strong>mit</strong> den früheren Inszenierungen ist die<br />
drei Stockwerke umfassende Bühne von Sonja Roeske<br />
in kleinen Details sogar noch imposanter geworden<br />
inklusive eines Kristallleuchters an der Decke der Aula.<br />
Die Kostüme waren und sind ein Augenschmaus.<br />
Auch wenn die Leichtigkeit der flotten Seereise des<br />
ersten Aktes <strong>mit</strong> sehenswerten Choreographien von<br />
Katie Laukemper im zweiten Teil tragischer Untergangsstimmung<br />
weichen muss, die unter der Regie<br />
von Canan Toksoy wirklich beklemmend wirkt, ist<br />
die Produktion in Münster allerbeste <strong>Musical</strong>unterhaltung<br />
vom Feinsten und die über drei Stunden<br />
Spielzeit vergehen wie im Flug. Kein Wunder, dass<br />
bereits zur Premiere alle folgenden Vorstellungen der<br />
Show restlos ausgebucht waren. Alle, die kein Ticket<br />
für die »Titanic« ergattern konnten, sollten sich für die<br />
nächste spektakuläre <strong>Musical</strong>-Inszenierung des FME<br />
im Herbst 20<strong>24</strong> frühzeitig um Karten kümmern, eine<br />
Reise ins Münsterland lohnt sich immer!<br />
Stephan Drewianka<br />
Abb. unten:<br />
Leinen los für die Titanic: Das FME<br />
spielt auf einer dreistöckigen Bühne.<br />
Fotos (2): Stephan Drewianka<br />
Titanic<br />
Maury Yeston / Peter Stone<br />
Deutsch von Wolfgang Adenberg<br />
Freies <strong>Musical</strong>-Ensemble Münster<br />
Konzertsaal der Freien Waldorfschule<br />
Premiere: 20. Oktober 20<strong>23</strong><br />
Regie ............................ Canan Toksoy<br />
Musikalische Leitung ....... Ingo Budweg<br />
Choreographie .....................................<br />
Katharina Laukemper<br />
Ausstattung .................... Sonja Roeske<br />
Alle Rollen:<br />
Mitglieder des Freien<br />
<strong>Musical</strong>-Ensemble Münster<br />
blickpunkt musical <strong>06</strong>/20<strong>23</strong><br />
39
<strong>Musical</strong>s in Deutschland<br />
Ein besonderer Fall … von Identitätsdiebstahl<br />
»Der Mann, der Sherlock Holmes war« am Theater Bielefeld<br />
Abb. oben:<br />
Geschwister in Not: Mary und<br />
Jane Berry (Karen Müller, Mitte l.,<br />
Charlotte Katzer, Mitte r.) erhalten<br />
Hilfe von Sherlock (Merlin Fargel, l.)<br />
und Watson (Markus Schneider, r.)<br />
Foto: Bettina Stöß<br />
Abb. unten:<br />
Milady ist zurück: Lady Ganymare<br />
(Cornelie Isenbürger) zieht bei dunklen<br />
Geschäften alle Strippen<br />
Foto: Sarah Jonek<br />
Auf deutschen Bühnen sind »<strong>Musical</strong>s made in<br />
Germany« leider rar, da sie sich oft lieber auf den<br />
Erfolg von britischen oder amerikanischen Importen<br />
verlassen. Einige <strong>Musical</strong>s, die tatsächlich komplett in<br />
Deutschland entstanden sind, stammen aus der Feder<br />
des deutschen <strong>Musical</strong>komponisten Marc Schubring.<br />
Nach seinem Erstlingswerk »Fletch – Saturday Bite<br />
Fever« von 1993 bereicherte er erfolgreich die deutsche<br />
Theaterlandschaft <strong>mit</strong> Stücken wie »Moulin Rouge<br />
Story« (2008), »Zum Sterben schön« (2011), »Gefährliche<br />
Liebschaften« (2015) und »Mata Hari« (20<strong>23</strong>).<br />
Weiterhin komponierte er zahlreiche Kinder- und<br />
Märchen-<strong>Musical</strong>s für die Brüder Grimm Festspiele<br />
Hanau. Seine Musik belebt Schubring gern <strong>mit</strong> den<br />
Texten des Autors Wolfgang Adenberg. Das Team<br />
arbeitete auch 2009 gemeinsam an einem Projekt, das<br />
die Staatsoperette Dresden gerne zur Uraufführung<br />
bringen wollte. Für die Auftragsarbeit begeisterte das<br />
Autorenteam das Theater sehr schnell für ihre persönliche<br />
<strong>Musical</strong>adaption eines alten UFA-Films von Karl<br />
Hartel <strong>mit</strong> Hans Albers und Heinz Rühmann von<br />
1937: »Der Mann, der Sherlock Holmes war«.<br />
In London stehen 1910 die Privatdetektive Morris<br />
Flynn und Mackie McMacpherson vor dem finanziellen<br />
Ruin, weil ihnen die Aufträge ausbleiben. Mit dem<br />
letzten Firmenkapital kauft Morris einige Utensilien,<br />
die die beiden wie Sherlock Holmes und Doktor Watson<br />
aussehen lassen. Als sie den Zug zur Weltausstellung<br />
nach Brüssel anhalten, fliehen zwei zwielichtige<br />
Gestalten beim Anblick der vermeintlichen Super-<br />
Detektive. Morris und Mackie konfiszieren daraufhin<br />
deren Zugabteil und beginnen ihre »Er<strong>mit</strong>tlungen«,<br />
die sie schnell zu den beiden Näherinnen Mary und<br />
Jane Berry ins benachbarte Abteil führen, die eine<br />
beachtliche Erbschaft ihres toten Onkels antreten<br />
wollen und beinahe zum Ziel der Gauner geworden<br />
wären. Die geflohenen Verbrecher Jules und Jacques<br />
sind im Auftrag der dubiosen Lady Ganymare hinter<br />
einem Geheimnis im Schloss des verstorbenen Onkels<br />
her, dessen Rätsel zu einem versteckten Vermögen sie<br />
aber unmöglich lösen können, und so macht sich die<br />
Lady an das Detektiv-Duo heran. Auch Mary und<br />
Jane erkennen, dass ihre Erbschaft ohne gelöstes Rätsel<br />
wertlos ist, und sie erinnern sich gerne an die netten<br />
Detektive aus dem Zug. Aber Morris und Flynn werden<br />
bereits von der Brüsseler Polizei um Hilfe gebeten,<br />
als sich die wertvollen Exponate der Weltausstellung,<br />
zwei Blaue-Mauritius-Briefmarken, als Fälschungen<br />
entpuppen. Es gibt also viel zu tun und das Verbrechen<br />
schläft nicht, zumal sich Jules und Jacques längst bei<br />
Mary und Jane als Butler im Schloss eingeschlichen<br />
haben. Oder hängen am Ende sogar alle mysteriösen<br />
Vorkommnisse irgendwie zusammen?<br />
Nach der recht erfolgreichen Uraufführung des<br />
<strong>Musical</strong>s in Dresden folgten einige kleinere Inszenierungen.<br />
Erst 14 Jahre später wagte sich das Stadttheater<br />
Bielefeld unter der Regie von Sandra Wissmann erneut<br />
an eine große Umsetzung von »Der Mann, der Sherlock<br />
Holmes war«, die am 3. September 20<strong>23</strong> Premiere<br />
feierte.<br />
Das bekannte Rühmann/Albers-Duett aus dem<br />
Film »Jawohl, meine Herrn, so haben wir´s gern«<br />
wird im <strong>Musical</strong> nicht zitiert. Schubring orientiert<br />
sich am Musikstil der 1930er Jahre, wie er zur Zeit<br />
40<br />
blickpunkt musical <strong>06</strong>/20<strong>23</strong>
<strong>Musical</strong>s in Deutschland<br />
der Filmvorlage von Komponisten wie Benatzky und<br />
Kálmán in Operetten, aber auch im Cabaret gespielt<br />
wurde. Wer aber nun angestaubte Melodien aus dem<br />
Grammophon erwartet, wird bereits von der spritzigen<br />
Ouvertüre, die William Ward Murta als musikalischer<br />
Leiter der üppig besetzten Bielefelder Philharmoniker<br />
locker aus dem Handgelenk dirigiert, eines Besseren<br />
belehrt. Eingängige Duette prägen als Leitmotiv die<br />
schmissige Partitur.<br />
Markus Schneider als elegant-pfiffiger Morris<br />
Flynn, der kleinkariert adrett in die Rolle von Sherlock<br />
Holmes schlüpft, harmoniert schauspielerisch und<br />
gesanglich perfekt <strong>mit</strong> Merlin Fargel als Mackie /<br />
Dr. Watson. Der Identitätsdiebstahl geht beiden<br />
locker-flockig und ohne viel Reue von der Hand,<br />
aber welcher Zuschauer kann diesen Betrug zwei<br />
so sympathischen Sunnyboys lange übelnehmen,<br />
zumal die Intention dahinter ja durchaus positivehrenvoll<br />
in der Verbrechensaufklärung liegt?<br />
Echte Gauner und zugleich das Komiker-Duo<br />
sind Nikolaj Alexander Brucker als Jacques und<br />
Alexander von Hugo als Jules, die <strong>mit</strong> perfektem<br />
Timing viele humorvolle Höhepunkte setzen und<br />
denen das Autorenteam für die Bielefelder Inszenierung<br />
den Song ›Soviel Zeit muss sein‹ aus der<br />
Hamburger Fassung überarbeitet und auf den Leib<br />
geschrieben hat. Dieser beschreibt pointenreich<br />
ihre finsteren Absichten und düsteren Charaktere.<br />
Als strahlend schöner Gegenpart glänzen Karen Müller<br />
und Charlotte Katzer als Geschwister Jane und<br />
Mary Berry. Als Näherinnen dürfen sie eine Step-<br />
Choreographie von Alexander von Hugo hinlegen, die<br />
wunderbar an klassische Broadway-<strong>Musical</strong>s erinnert.<br />
Cornelie Isenbürger ist als Gangsterboss Colette<br />
Ganymare der einzige Solo-Charakter im Stück – ein<br />
weiblicher James Moriarty als Sherlocks Gegenspielerin.<br />
Ihr moderner schwarzer Leder-Look erinnert an<br />
Milady de Winter aus »3 Musketiere«, und auch ihr<br />
gesamtes Auftreten als männermordender Vamp, der<br />
Sherlock in einem erotischen Tango (Choreographie:<br />
Yara Hassan) zum Duell herausfordert, um ihn danach<br />
wie in »50 Shades of Grey« zu foltern, unterstreicht<br />
die Rolle eines emanzipierten Marvel-Bösewichts.<br />
Carlos Horacio Rivas und Lutz Laible schlüpfen<br />
in viele kleinere Charakterrollen, die allesamt<br />
ein Schmunzeln wert sind. Der Bielefelder<br />
Opernchor bevölkert die Bühne <strong>mit</strong> Leben und<br />
ist selbst <strong>mit</strong> Tanzschritten nicht überfordert.<br />
Sollten Morris und Mackie nicht eigentlich das Rätsel<br />
um verschwundene Briefmarken aufklären? Irgendwie<br />
schon, aber eigentlich steht doch die Love-Story der<br />
Detektive zu den Schwestern im Vordergrund, so dass<br />
sich zum Happy End zwei neue Duett-Pärchen finden.<br />
Die verschlungenen Handlungsstränge entwirren<br />
sich auf einer vielseitigen Drehbühne (Bühne und<br />
Kostüme: Britta Tönne), die die unterschiedlichsten<br />
Orte präsentiert: In Zugabteilen schlagen slapstickhaft<br />
Waggontüren zu, in Schloss-Bibliotheken öffnen sich<br />
Geheimtüren, in einer Fabrik rattern Nähmaschinen,<br />
in einem Hotel herrscht elegante Partystimmung, bis<br />
die Hebebühne eine dunkle Kanalisation zum Showdown<br />
präsentiert.<br />
»Der Mann, der Sherlock Holmes war« am Theater<br />
Bielefeld ist gute <strong>Musical</strong>unterhaltung <strong>mit</strong> charmanten,<br />
charismatischen und cleveren Charakteren im Doppelpack,<br />
nostalgisch und trotzdem modern <strong>mit</strong> Feel-Good-<br />
Garantie. Wer sich an Compilation-<strong>Musical</strong>s sattgesehen<br />
hat, findet in diesem erfrischenden »<strong>Musical</strong> made in<br />
Germany« vielleicht eine willkommene Abwechslung.<br />
Stephan Drewianka<br />
Der Mann, der<br />
Sherlock Holmes war<br />
Marc Schubring / Wolfgang Adenberg<br />
Theater Bielefeld<br />
Stadttheater<br />
Premiere: 3. September 20<strong>23</strong><br />
Regie ...................... Sandra Wissmann<br />
Musikalische Leitung ............................<br />
William Ward Murta<br />
Choreographie ................. Yara Hassan<br />
Step-Choreographie .............................<br />
Alexander von Hugo<br />
Dance-Captain ................. Paul Janicke<br />
Ausstattung ...................... Britta Tönne<br />
Morris Flynn, Privatdetektiv .................<br />
Markus Schneider<br />
Mackie McMacpherson,<br />
Privatdetektiv ............... Merlin Fargel /<br />
Andreas Schneider<br />
Jane Berry, Näherin ........ Karen Müller<br />
Mary Berry, Näherin ............................<br />
Charlotte Katzer<br />
Colette Ganymare,<br />
Gangsterboss ..... .. Cornelie Isenbürger<br />
Jacques, Ganymares Gehilfe ................<br />
Nikolaj Alexander Brucker<br />
Jules, Ganymares Gehilfe .....................<br />
Alexander von Hugo<br />
Mr Dimbleby / Mrs Crouch u. a. ..........<br />
Carlos Horacio Rivas<br />
Onkel Berry /<br />
Kriminalpolizist u. a. ........Lutz Laible /<br />
Ramon Riemarzik<br />
Schaffnerin 3 ..... Christín Enke-Mollnar<br />
Page ........................... Elena Schneider<br />
Bielefelder Opernchor<br />
Abb. unten von oben links:<br />
1. Lady Ganymare (Cornelie<br />
Isenbürger, r.) versucht <strong>mit</strong> allen<br />
Mitteln, hinter das Geheimnis von<br />
Sherlock (Markus Schneider, l.) zu<br />
kommen<br />
2. Der letzte Kunde (Carlos H.<br />
Rivas, Mitte) für Morris Flynn<br />
(Markus Schneider, l.) und Mackie<br />
McMacpherson (Merlin Fargel, r.),<br />
bevor sie sich als Holmes & Watson<br />
ausgeben<br />
3. Auge in Auge <strong>mit</strong> dem Feind:<br />
Sherlock (Markus Schneider) wagt<br />
einen Tango <strong>mit</strong> Lady Ganymare<br />
(Cornelie Isenbürger)<br />
4. Das Gaunerpärchen Jules<br />
(Alexander von Hugo) und Jacques<br />
(Nikolaj Alexander Brucker)<br />
bekommt in Bielefeld einen neuen<br />
Song spendiert<br />
Fotos (3): Bettina Stöß<br />
Foto Nr.2: Sarah Jonek<br />
blickpunkt musical <strong>06</strong>/20<strong>23</strong><br />
41
Neues aus der <strong>Musical</strong>welt<br />
Neues aus der <strong>Musical</strong>welt<br />
zusammengestellt von Birgit Bernds & Sabine Haydn<br />
• Eliza in »My Fair Lady« in Mörbisch<br />
bekanntgegeben<br />
Anna Rosa Döller – <strong>mit</strong> ihren gerade einmal<br />
21 Jahren schon fast ein alter Hase bei den<br />
Seefestspielen – darf auch 20<strong>24</strong> wieder auf die<br />
Bühne am Neusiedlersee. Neben Mark Seibert<br />
als Professor Higgins wird sie die Eliza spielen.<br />
In diesem Jahr verkörperte sie Sophie in<br />
der Mörbischer Erfolgsproduktion »Mamma<br />
Mia!«, im kommenden Jahr darf sie nun wieder<br />
die Zuschauer verzaubern. Autor und Kabarettist<br />
Johannes Glück überarbeitet das etwas in<br />
die Jahre gekommene Stück und setzt es in das<br />
Anna Rosa Döller und Alfons Haider<br />
Foto: Seefestspiele Mörbisch<br />
Jahr 2020 – entsprechend divers, wie auch die<br />
Bewohner der Londoner Metropole selbst, verspricht<br />
Intendant Alfons Haider die Auswahl<br />
an Darstellern im Ensemble. Das Stück inszeniert<br />
Simon Eichenberger, der ebenfalls einige<br />
Erfahrung <strong>mit</strong> der Bühne sammeln durfte. Mit<br />
bereits verkauften sowie reservierten Tickets<br />
knackten die Seefestspiele schon jetzt, rund<br />
8 Monate vor der Premiere, die Grenze von<br />
100.000 Zuschauern.<br />
• »Das Phantom der Oper« ab März 20<strong>24</strong> im<br />
Wiener Raimund Theater<br />
Die Vereinigten Bühnen Wien haben bei einer<br />
großen Pressekonferenz die Besetzung für die<br />
kommende Produktion von »Das Phantom<br />
der Oper« bekanntgegeben. Anton Zetterholm<br />
wird die Titelrolle in der Neuproduktion von<br />
Andrew Lloyd Webbers (Musik) <strong>Musical</strong> übernehmen,<br />
die bereits in Großbritannien, den<br />
USA und Australien (wo sie im Sydney Opera<br />
House zu sehen und restlos ausverkauft war)<br />
zu erleben war. Ihm zur Seite stehen Lisanne<br />
Clémence Veeneman als Christine Daaé und<br />
Roy Goldman als Raoul, Vicomte de Chagny.<br />
Auch die weiteren Hauptrollen wurden prominent<br />
besetzt: Thomas Sigwald als Monsieur<br />
Firmin, Rob Pelzer als Monsieur André,<br />
Milica Jovanović als Carlotta Guidicelli, Greg<br />
Castiglioni als Ubaldo Piangi, Patricia Nessy<br />
als Madame Giry und Laura May Croucher<br />
als Meg Giry. Einen ausführlichen Bericht,<br />
(v.l.): Anton Zetterholm (Phantom), Lisanne<br />
Clémence Veeneman (Christine), Christian<br />
Struppeck und Roy Goldman (Raoul)<br />
Foto: Stefanie Steindl<br />
inklusive Videoausschnitt, finden Sie auch auf<br />
unserem Partnerportal unitedmusicals.de. Das<br />
Stück <strong>mit</strong> einem Buch von Richard Stilgoe &<br />
Andrew Lloyd Webber sowie Liedtexten von<br />
Stilgoe und Charles Hart wird in der deutschen<br />
Übersetzung von Michael Kunze am 15. März<br />
20<strong>24</strong> Premiere feiern.<br />
• »Robin Hood – Das <strong>Musical</strong>« als Sommergastspiel<br />
20<strong>24</strong> in Linz<br />
Die Legende vom König der Diebe kommt in<br />
einer fesselnden <strong>Musical</strong>-Neuinterpretation erstmals<br />
nach Österreich. Mit Musik von Weltstar<br />
Chris de Burgh, Musik, Buch & Liedtexten von<br />
Dennis Martin und zusätzlichen Liedtexten von<br />
Christoph Jilo & Kevin Schroeder hat Matthias<br />
Davids, <strong>Musical</strong>chef am Landestheater Linz,<br />
zusammen <strong>mit</strong> den virtuosen Choreographien<br />
von Kim Duddy 2022 in Fulda ein aufregendes<br />
Gesamtkunstwerk inszeniert, das <strong>mit</strong>ten ins<br />
Herz des Publikums trifft. Vom 9. Juli bis zum<br />
28. Juli 20<strong>24</strong> im Großen Saal des Musiktheaters.<br />
• »Mamma Mia!« auf Tour 20<strong>24</strong>/2025<br />
Die englische Originalversion des <strong>Musical</strong>s <strong>mit</strong><br />
den Songs der Gruppe »ABBA« wird 20<strong>24</strong>/2025<br />
durch Deutschland und Österreich touren. Das<br />
Feel-Good-<strong>Musical</strong> von Björn Ulvaeus & Benny<br />
Andersson (Musik & Liedtexte) und Catherine<br />
Johnson (Buch) gastiert 20<strong>24</strong> im November und<br />
Dezember in München, Wien, Stuttgart und<br />
Berlin und im Januar des darauffolgenden Jahres<br />
in Bremen und Frankfurt. Da<strong>mit</strong> feiern die Produzenten<br />
das 25-jährige Jubiläum von »Mamma<br />
Mia!« seit der Premiere in London im April<br />
1999.<br />
• »Chris Murray <strong>Musical</strong> Christmas –<br />
Willkommen zurück!«<br />
Nach mehreren Jahren, in denen Weihnachtskonzerte<br />
nur eingeschränkt, im Stream oder<br />
gar nicht möglich waren, können Chris Murray,<br />
Philipp Polzin und ihre Gäste in diesem Jahr<br />
wieder live aus dem Vollen schöpfen und ihre<br />
beliebte Weihnachtsreihe wieder aufnehmen.<br />
Wie immer wird es einen weihnachtlichen Mix<br />
aus <strong>Musical</strong>songs, Weihnachtsliedern, Filmsongs<br />
und Lesungen geben, die vor allem eines<br />
Chris Murray (r.) <strong>mit</strong> Philipp Polzin und Noelle Murray<br />
Foto: Ingrid Kernbach<br />
sollen: Weihnachtliche Stimmung verbreiten<br />
und in die Hektik der Vorweihnachtszeit etwas<br />
Besinnlichkeit, Entspannung und Herzlichkeit<br />
bringen. Die Konzerte finden am 2. Dezember<br />
in Köln, am 3. Dezember in Pforzheim sowie<br />
am 16. Dezember in Berlin statt. Das erste Konzert<br />
der Serie wird aufgezeichnet und ab Mitte<br />
Dezember als Stream käuflich zu erwerben sein.<br />
Logo: Thunerseespiele<br />
• »Mary Poppins«-Kreativ-Team bei den<br />
Thunerseespielen veröffentlicht<br />
Vom 10. Juli bis <strong>24</strong>. August 20<strong>24</strong> präsentieren<br />
die Thunerseespiele als erste Veranstalterin in<br />
der Schweiz »Mary Poppins« in neuem Gewand.<br />
»Wir sind stolz, unserem Publikum dieses fantastische<br />
<strong>Musical</strong> in einer Neuinszenierung<br />
zeigen zu dürfen«, so Oliver Burger, Mitinhaber<br />
der Thunerseespiele. »Mary Poppins« ist eine<br />
Geschichte für Jung und Alt. Eine unterhaltsame,<br />
temporeiche Show <strong>mit</strong> eindrücklichen<br />
Ohrwürmern. Das fliegende Kindermädchen<br />
passt wunderbar auf die Seebühne und in die<br />
malerische Kulisse am Fuß von Eiger, Mönch<br />
und Jungfrau. Ab sofort sind die Tickets für<br />
Sommer 20<strong>24</strong> erhältlich. »Die Rückmeldungen<br />
42<br />
blickpunkt musical <strong>06</strong>/20<strong>23</strong>
Neues aus der <strong>Musical</strong>welt<br />
nach der Bekanntgabe der Stückwahl waren sehr<br />
positiv. Wir sind deshalb sehr optimistisch in die<br />
Vorbereitungen fürs nächste Jahr gestartet«, so<br />
Burger weiter.<br />
Für die Umsetzung der Thuner Neuinszenierung<br />
wurde Regisseur Matthias Davids engagiert.<br />
Davids ist seit Dezember 2012 künstlerischer<br />
Leiter der Sparte <strong>Musical</strong> am Landestheater<br />
Linz und verantwortet in dieser Funktion jährlich<br />
vier bis sechs Inszenierungen. Neben seiner<br />
Tätigkeit in Linz inszeniert Davids an großen<br />
Theatern überall im deutschsprachigen Raum.<br />
An Davids´ Seite stehen Choreographin Kim<br />
Duddy (Regie und Choreographie für »Cats«<br />
2017 in Thun), Bühnenbildner Andrew Edwards<br />
und Kostümbildner Aleš Valášek (Deutscher<br />
<strong>Musical</strong> Theater Preis für das Kostümbild von<br />
»Dällebach Kari« 20<strong>23</strong> in Thun, Bericht in<br />
dieser <strong>Ausgabe</strong>). Die musikalische Leitung von<br />
»Mary Poppins« hat Iwan Wassilevski inne. Die<br />
Cast wird zu einem späteren Zeitpunkt bekannt<br />
gegeben.<br />
• Hamilton wird Hercules<br />
Wenn sich im März für die Uraufführung von<br />
Disneys »Hercules« der Vorhang hebt, wird ein<br />
<strong>mit</strong>tlerweile in Hamburg bekanntes Gesicht die<br />
Hauptrolle übernehmen: Benét Monteiro, der bisher<br />
als Hamilton im gleichnamigen <strong>Musical</strong> für<br />
Begeisterung bei den deutschen <strong>Musical</strong>zuschauern<br />
sorgte, hat sich im internationalen Casting<br />
durchgesetzt und die Rolle bekommen. Ein erstes<br />
Benét Monteiro<br />
Foto: Stage Entertainment / Morris Mac Matzen<br />
Musikvideo wurde auch direkt <strong>mit</strong> dieser Nachricht<br />
veröffentlicht – wer sich schon in Vorfreude<br />
auf die Produktion einstimmen möchte, kann<br />
dies auf www.stage-entertainment.de/musicalsshows/disneys-hercules-hamburg/musik<br />
tun. Das<br />
Stück <strong>mit</strong> Musik von Alan Menken, Liedtexten<br />
von David Zippel und Buch von Robert Horn &<br />
Kwame Kwei Armah, in deutscher Übersetzung<br />
von Kevin Schroeder & Ruth Deny, feiert am <strong>24</strong>.<br />
März 20<strong>24</strong> Uraufführung.<br />
• Prominente Besetzung bei<br />
»Les Misérables« in St. Gallen / München<br />
Unter der Regie von Josef E. Köpplinger und der<br />
musikalischen Leitung von Koen Schoots findet<br />
endlich wieder »Les Misérables« den Weg in die<br />
deutschen Theater. Die Premiere in St. Gallen ist<br />
am 9. Dezember, nach der Spielzeit dort kommt<br />
es ab dem 22. März 20<strong>24</strong> ins Staatstheater am<br />
Gärtnerplatz nach München.<br />
Viele bekannte Gesichter finden sich dann<br />
auf den Bühnen wieder: Armin Kahl / Filippo<br />
Strocchi (Jean Valjean), Filippo Strocchi /<br />
Daniel Gutmann (Javert), Wietske van Tongeren<br />
(Fantine), Jogi Kaiser / Alexander Franzen<br />
(Thénardier), Dagmar Hellberg / Carin Filipčič<br />
(Madame Thénardier), Kristine Emde / Julia<br />
Sturzlbaum (Cosette), Barbara Obermeier / Katia<br />
Bischoff (Éponine), Thomas Hohler / Matteo<br />
Ivan Rašić (Marius) und Merlin Fargel (Enjolras).<br />
Die Solisten zum Probenbeginn (v.L.): Merlin<br />
Fargel, Kristine Emde, Thomas Hohler, Katia<br />
Bischoff, Filippo Strocchi, Armin Kahl, Wietske<br />
van Tongeren, Alexander Franzen, Dagmar<br />
Hellberg, Jogi Kaiser, Carin Filipčić)<br />
Foto: Marie-Laure Briane<br />
• Tecklenburg verkündet alle drei Stücke für<br />
die kommende Sommersaison<br />
Neben dem Kassenknaller »Mamma Mia!« (Premiere<br />
14. Juni) und dem sehr beliebten Kindermusical<br />
»Madagascar« (Premiere 12. Mai) wurde<br />
nun bekannt, dass das <strong>Musical</strong> »3 Musketiere«<br />
von Rob & Ferdi Bolland auf dem Spielplan der<br />
Freilichtspiele steht. Premiere hierfür ist der 19.<br />
Juli 20<strong>24</strong>.<br />
• <strong>Musical</strong>sstars bei »Disney in Concert« 20<strong>24</strong><br />
»Believe in Magic« ist der Titel der kommenden<br />
Tournee, <strong>mit</strong> der Disney wieder Fans in die Hallen<br />
und vor die Freilichtbühnen locken möchte.<br />
Der Plan wird sicherlich im deutschsprachigen<br />
Raum schon aufgrund der beeindruckenden<br />
Cast aufgehen – als Solisten stehen Willemijn<br />
Verkaik, Judith Caspari, Patricia Medeen, Drew<br />
Sarich, Andreas Bongard und Gino Emnes auf<br />
der Bühne.<br />
»Disney in Concert« 20<strong>23</strong><br />
Foto: Milan Schmalenbach / Harlotssyndicate<br />
• »Sister Act« <strong>mit</strong> Ralph Morgenstern in der<br />
Vulkaneifel<br />
Vom 4. bis 8. September 20<strong>24</strong> können Zuschauer<br />
das beliebte <strong>Musical</strong> <strong>mit</strong> prominenter Besetzung<br />
in Darscheid erleben. Ralph Morgenstern,<br />
bekannt aus dem Fernsehen, wird die Rolle des<br />
Monsignore O´Hara übernehmen. Weitere Rollen<br />
übernehmen Denise Lucia Aquino (Deloris<br />
Van Cartier) und Sarah Matberg (Mutter<br />
Oberin).<br />
Ralph Morgenstern<br />
Foto: Stephan Pick<br />
• »Skiverliebt – Das <strong>Musical</strong>« anlässlich der<br />
Ski-Weltmeisterschaft 2025 im Salzburger<br />
Landestheater<br />
Ein <strong>Musical</strong> über die Faszination Skifahren,<br />
den da<strong>mit</strong> verbundenen Leistungsdruck und<br />
die österreichische Gastfreundlichkeit soll<br />
den Markt erobern. Die Zusammenarbeit des<br />
Salzburger Landestheaters <strong>mit</strong> dem Tourismusverband<br />
Saalbach Hinterglemm und dem<br />
SalzburgerLand Tourismus stellt unter anderem<br />
Protagonisten wie Skilehrer-Musi, Sportler,<br />
Touristen, Gastarbeiter und ein Pistenraupen-<br />
Ballett in Aussicht. An dem Buch arbeitet Anna<br />
Lukasser-Weitlander <strong>mit</strong>, die auch kritische<br />
Aspekte, wie zum Beispiel den Klimawandel und<br />
dessen Auswirkungen, verspricht. Die Musik<br />
schreibt Martin Lingnau, der, ebenso wie der<br />
Songtexter Frank Ramond, bereits Erfahrungen<br />
<strong>mit</strong> einem Sportmusical feiern durfte – aus ihren<br />
Federn stammt auch »Das Wunder von Bern«.<br />
• »Wolf – Das Mystical« wird am <strong>23</strong>. Mai<br />
20<strong>24</strong> Uraufführung feiern<br />
Das Stück, welches anlässlich des 1.100-jährigen<br />
Geburtstags des heiligen Wolfgang entsteht,<br />
bekommt eine eigens dafür errichtete Seebühne<br />
in St. Wolfgang. Franzobel verfasst das Libretto,<br />
die Musik stammt von dem Südtiroler Komponisten<br />
Gerd Hermann Ortler. Im Mittelpunkt<br />
wird der 1052 heiliggesprochene Bischof stehen,<br />
inklusive seiner Wunder, seiner Begegnung <strong>mit</strong><br />
dem Teufel oder seinem Axtwurf von der Höhe<br />
des Falkensteins bis zu jener Stelle, an der heute<br />
die Kirche steht. Die geplante Seebühne soll 800<br />
Sitzplätze bieten.<br />
blickpunkt musical <strong>06</strong>/20<strong>23</strong> 43
<strong>Musical</strong>s in Österreich<br />
»In Wien muss man sterben, da<strong>mit</strong> sie Dich hochleben<br />
lassen. Aber dann lebst lang!«<br />
Uraufführung von »Rock Me Amadeus – Das Falco <strong>Musical</strong>« in Wien<br />
Abb. oben:<br />
Der innere Kampf zwischen Hans<br />
(Moritz Mausser, vorne) und seinem<br />
Alter Ego (Alex Melcher, hinten<br />
oben) beginnt<br />
Abb. unten:<br />
Immer wieder versucht sein Alter<br />
Ego (Alex Melcher, r.), Hans (Moritz<br />
Mausser, l.) vom verruchten Popstar-<br />
Dasein zu überzeugen<br />
Fotos (2): VBW / Deen van Meer<br />
chon in einem seiner letzten veröffentlichten<br />
S Hits – ›Out of the Dark‹ – fragt Popstar Falco<br />
prophezeiend: »Muss ich denn sterben, um zu<br />
leben?« Nach einem längeren Tief war er Ende<br />
der 90er Jahre zurück in der Erfolgsspur, war<br />
wieder in den Charts, wollte zeigen, dass er an<br />
alte Erfolge anknüpfen konnte. Wenig später, am<br />
6. Februar 1998, starb er bei einem Autounfall in<br />
der Dominikanischen Republik. Bis heute ranken<br />
sich Selbstmordgerüchte um seinen Tod. Hinter<br />
dem damals 40-jährigen Johann »Hans« Hölzel,<br />
so der bürgerliche Name, lag ein turbulentes<br />
Leben. Goldene Schallplatten, Drogen und Alkohol<br />
pflasterten seinen Weg. »Ich lebe nur einmal,<br />
und so, wie ich lebe, ist einmal auch genug«, sagte<br />
er einst selbst. Aufgewachsen in ärmlichen Verhältnissen<br />
schaffte er es in den 80ern selbst in den<br />
USA <strong>mit</strong> ›Rock Me Amadeus‹ an die Spitze der<br />
Charts. Doch der Ruhm war vergänglich, das war<br />
Falco bewusst. »Was mich fertig macht, ist, dass<br />
unser Geschäft Schall und Rauch ist. Der letzte<br />
Ton ist verklungen, die Leute gehen nach Hause«,<br />
resümierte Falco kurz vor seinem Tod – doch<br />
sein Tod war es, der ihn endgültig zur Legende<br />
werden ließ. Tausende Menschen kamen am<br />
14. Februar 1998 zu seiner Beerdigung auf den<br />
Wiener Zentralfriedhof. Jetzt, 25 Jahre später,<br />
gibt es ein <strong>Musical</strong>, das den Lebensweg des Künstlers<br />
nachzeichnet. Am 7. Oktober feierte »Rock<br />
Me Amadeus – Das Falco <strong>Musical</strong>« im Wiener<br />
Ronacher seine Uraufführung.<br />
Christian Struppeck, Intendant der Vereinigten<br />
Bühnen Wien und Buchautor des <strong>Musical</strong>s,<br />
ist aber nicht der Erste, der auf die Idee kam, Falco<br />
nach seinem Tod auf der Bühne ein Denkmal zu<br />
setzen. Unter dem Titel »Falco Meets Amadeus«<br />
war der Lebensweg des österreichischen Sängers<br />
schon im Jahr 2000, nur zwei Jahre nach seinem<br />
Tod, im Berliner Theater des Westens zu sehen.<br />
Genau wie beim neuen Werk waren auch damals<br />
die legendären Songs der niederländischen Brüder<br />
Rob und Ferdi Bolland zu hören, die einst für<br />
Falcos weltweiten Erfolg sorgten. Nach mehreren<br />
Stationen verschwand es aber in der medialen<br />
Versenkung. Auch »Falco – das <strong>Musical</strong>« hat vor<br />
einigen Jahren die Hits <strong>mit</strong> einer Handlung verwoben.<br />
Und in Wien, sogar im Ronacher selbst,<br />
lief bereits »Falco – A Cyber Show«, welches<br />
öffentlich kein <strong>Musical</strong> sein wollte, aber strenggenommen<br />
dennoch genau dies war. Nun also<br />
jetzt diese Version, und die Vereinigten Bühnen<br />
rühmen sich dessen, bei dieser Eigenproduktion<br />
eines Jukebox-<strong>Musical</strong>s nicht eine fiktive Handlung<br />
zu verwenden, wie zum Beispiel bei »I Am<br />
From Austria«, sondern sich so nah an wahren<br />
Begebenheiten zu orientieren wie noch nie ein<br />
Falco-<strong>Musical</strong> zuvor.<br />
Hier liegt bereits das erste Manko des Stücks.<br />
Falco mag ein bewegtes und wechselvolles Leben<br />
gehabt haben, die Handlung und die Dialoge des<br />
<strong>Musical</strong>s bleiben hingegen über weite Teile flach.<br />
Dass ab dem zweiten Akt plötzlich Falcos Alter<br />
44<br />
blickpunkt musical <strong>06</strong>/20<strong>23</strong>
<strong>Musical</strong>s in Österreich<br />
Ego (dargestellt von Alex Melcher) auftaucht,<br />
ergibt leider wenig Sinn und die Rolle hätte besser<br />
ins gesamte <strong>Musical</strong> eingebettet werden müssen.<br />
Die innere Zerrissenheit und der Kampf zwischen<br />
Falco und Hans werden hier zwar eingeflochten,<br />
aber nicht konsequent umgesetzt. Ein anderer<br />
Konterpart hätte dem schwachen Buch sicher<br />
gutgetan.<br />
Die Geschichte beginnt in Falcos Schulzeit.<br />
Wie so viele träumt der Schüler davon, später<br />
einmal berühmt zu sein. Schon in früher Kindheit<br />
war er ein Ausnahmetalent, hatte ein absolutes<br />
Gehör und konnte Melodien, die er einmal gehört<br />
hatte, auf dem Klavier nachspielen. Die Lehrer<br />
und seine Mutter versuchen, ihn mal mehr, mal<br />
weniger behutsam davon abzubringen. Einzig und<br />
allein sein bester Freund Billy – hier hinreißend<br />
und stimmlich hervorragend von Kinderdarsteller<br />
Elias Osmanovic dargestellt – stärkt ihm <strong>mit</strong> dem<br />
Song ›Leb deinen Traum‹ den Rücken.<br />
Der Kinderdarsteller ist nur ein Teil der<br />
fantastischen Cast. Die Darsteller:innen sind das<br />
Highlight der Inszenierung. Allen voran Moritz<br />
Mausser als Falco. Nur selten bietet ihm allerdings<br />
die vom rappigen Sprechgesang des Hans<br />
Hölzel geprägte Partitur die Gelegenheit, sein<br />
gesangliches Talent in vollem Umfang zu präsentieren.<br />
Zum Verwechseln echt wirken jedoch die<br />
markante Mimik und Gestik. Hut ab vor dem<br />
jungen Darsteller, der eigentlich noch <strong>mit</strong>ten in<br />
seinem Musiktheater-Studium an der MUK in<br />
Wien steckt. Fast ununterbrochen ist er auf der<br />
Bühne und zeigt alle Facetten des österreichischen<br />
Popidols. Doch die vielen Provokationen,<br />
das nicht angepasste Verhalten Falcos wirken in<br />
einer von Individualismus geprägten YouTube-<br />
Welt nicht mehr so schockierend wie noch in<br />
den 80ern oder zu Beginn der 90er Jahre. Auch<br />
Isabella, der Charakter seiner Bühnenpartnerin,<br />
ist eher farblos, doch Katharina Gorgi kann bei<br />
ihren Solo-Songs ihre starke Stimme präsentieren.<br />
Ein Juwel für die Inszenierung ist Tania Golden,<br />
die Falcos Mutter Maria Hölzel verkörpert. Die<br />
Frau muss ein wahres Original gewesen sein. Der<br />
österreichische TV-Sender ORF widmete der<br />
außergewöhnlichen Beziehung zwischen dem<br />
Sänger und seiner alleinerziehenden Mutter eine<br />
eigene Dokumentation. »Dirigent ist Falco nicht<br />
geworden, aber so was Ähnliches«, sagte Falcos<br />
Mutter einst über ihren berühmten Spross, den<br />
einzigen Überlebenden von Drillingen. Dieser trockene,<br />
manchmal vielleicht unfreiwillige Humor<br />
findet sich auch in der <strong>Musical</strong>-Version wieder.<br />
Jede Szene <strong>mit</strong> ihr zündet. Tania Golden verleiht<br />
der Figur einen humorvollen Charakter <strong>mit</strong> echtem<br />
Wiener Schmäh. Leider kann sie keinen großen<br />
Song präsentieren, und auch die Figuren von<br />
Manager Horst Bock (Andreas Lichtenberger) und<br />
Berater Markus Spiegel (Franz Frickel) sind zwar<br />
präsent, haben aber wenig Gelegenheit, gesanglich<br />
in Erscheinung zu treten. Die meisten Szenen sind<br />
– einem Konzert gleich – frontal zum Publikum<br />
inszeniert und Moritz Mausser singt und rappt mal<br />
mehr, mal weniger vom Chor des Ensembles unterstützt,<br />
als Solokünstler.<br />
Die Songs sind schwungvoll, kommen aber<br />
nicht an das akzentuierte Original heran – was bei<br />
einer Live-Version und Orchestrierung durch das<br />
VBW-Orchester unter der Leitung von Michael<br />
Römer fast zu erwarten war, jedoch nicht an<br />
der Qualität des Orchesters liegt. Bei manchen<br />
Liedern hätte es durchaus einer modernen Bearbeitung<br />
bedurft oder man hätte <strong>mit</strong> Hilfe neuer<br />
Arrangements ein paar Highlights setzen können.<br />
Auch einige neue Songs wurden von den<br />
Bolland-Brüdern, den Original-Falco-Produzenten,<br />
zum Teil in Zusammenarbeit <strong>mit</strong> Justin Dylan<br />
Bolland, für das neue <strong>Musical</strong> beigesteuert – diese<br />
klingen allerdings weniger nach Falco-Konzert und<br />
dafür mehr nach <strong>Musical</strong>. In dem Song ›Ein weißes<br />
Blatt Papier‹ lernt der Zuschauer die Stimme von<br />
Moritz Mausser von einer anderen Seite kennen.<br />
Gerade an diesen emotionalen Stellen, wo es ein wenig<br />
in die Tiefe geht und der innere Konflikt erkennbar<br />
wird, hätte das Buch noch ein wenig dranbleiben<br />
müssen – hier wird immer wieder zu schnell auf<br />
das Konzert- und Tourleben Falcos umgeschwenkt.<br />
Ein Highlight ist hingegen das Bühnenbild –<br />
optisch bleiben beim Jukebox-<strong>Musical</strong> keine Wünsche<br />
offen. Stephan Prattes (Bühnenbild) arbeitet<br />
<strong>mit</strong> vielen Spiegeln, Würfeln und Quadraten;<br />
Ecken und Kanten bestimmen das Bühnenbild.<br />
Ob an der Theaterdecke, auf dem Bühnenboden<br />
oder schwebend in der Luft, überall tauchen die<br />
Rock Me Amadeus –<br />
Das Falco <strong>Musical</strong><br />
Rob & Ferdi Bolland /<br />
Justin Dylan Bolland / Johann Hölzel /<br />
Christian Struppeck<br />
Deutsche Songtexte neue Lieder von<br />
Wolfgang Adenberg<br />
Vereinigte Bühnen Wien<br />
Ronacher<br />
Uraufführung: 7. Oktober 20<strong>23</strong><br />
Regie ........................ Andreas Gergen<br />
Musikalische Leitung ...........................<br />
Michael Römer<br />
<strong>Musical</strong> Arrangements,<br />
Orchestrierung<br />
& Supervision ................ Michael Reed<br />
Orchestrierung .................. Roy Moore<br />
Choreographie ...... Anthony Van Laast<br />
Bühnenbild ................. Stephan Prattes<br />
Kostüme .... Uta Loher & Conny Lüders<br />
Lichtdesign .............. Howard Harrison<br />
Videodesign .......... Douglas O´Connell<br />
Sounddesign .............. Thomas Strebel<br />
Hans (Falco) ............... Moritz Mausser<br />
Alter Ego ........................ Alex Melcher<br />
Isabella ...................... Katharina Gorgi<br />
Horst .............. Andreas Lichtenberger<br />
Markus ............................ Franz Frickel<br />
Maria ............................. Tania Golden<br />
Billy.......................... Simon Stockinger<br />
Hansi .......................... Martin Enenkel<br />
Kleiner Hans ........ Jakob Blaimschein /<br />
Valentin Lehnert / Elias Pakla /<br />
Nikolaus Schmudermaier<br />
Kleiner Billy ............ Elias Osmanovic /<br />
Matteo Enzo Brezina /<br />
Matteo Haudek /<br />
Niklas Petzer<br />
Walk-in Cover Horst ....... Kai Peterson<br />
Walk-in Cover Maria .... Shlo<strong>mit</strong> Butbul<br />
In weiteren Rollen:<br />
Sophie Aigner, Clemens Otto Bauer,<br />
Anna Carina Buchegger,<br />
Barbara Castka, Andrea Luca Cotti,<br />
Anneka Dacres, Klaudia Dodes,<br />
Valentina Inzko Fink, Peter Knauder,<br />
Sarah Kornfeld, Peter Kratochvil,<br />
Charles Kreische, Jan-Eike Majert,<br />
Jonathan Metu, Stefan Mosonyi,<br />
Paula Niederhofer,<br />
Steven Armin Novak,<br />
Stefan Poslovski, Georg Prohazka<br />
(Dance Captain), Jo Lucy Rackham,<br />
Fabian Lukas Raup,<br />
David Rodriguez-Yanez,<br />
Bettina Schurek, Benedikt Solle,<br />
Zoe Staubli, Mark van Beelen,<br />
Yuri Yoshimura<br />
Abb. von links:<br />
1. (v.l.): ›Tango the Night‹ – Hans<br />
(Moritz Mausser, vorne l.) und<br />
Isabella (Katharina Gorgi, vorne r.)<br />
lernen sich beim Tanzen in der Bar<br />
kennen (Ensemble)<br />
2. Falco (Moritz Mausser) bei einem<br />
seiner ersten großen Auftritte<br />
Fotos (2): VBW / Deen van Meer<br />
blickpunkt musical <strong>06</strong>/20<strong>23</strong><br />
45
<strong>Musical</strong>s in Österreich<br />
Abb. unten von oben links:<br />
1. Hans (Moritz Mausser) setzt sich,<br />
auch <strong>mit</strong> Hilfe von seinem Freund<br />
Hansi (Martin Enenkel), <strong>mit</strong> seiner<br />
Musik durch<br />
2. Freunde fürs Leben – (v.l.): Billy<br />
(Simon Stockinger), Hans (Moritz<br />
Mausser) und Hansi (Martin Enenkel)<br />
3. ›Rock Me Amadeus‹ – Mit diesem<br />
Hit stürmt Falco (Moritz Mausser <strong>mit</strong><br />
Ensemble) auch an die Spitze der<br />
US-Charts<br />
4. Falcos Produzent Markus Spiegel<br />
(Franz Frickel) und Manager Horst<br />
Bock (Andreas Lichtenberger) wollen<br />
Falco so gut es geht vorwärtstreiben<br />
5. Mutter Maria (Tania Golden,<br />
2.v.r.) hätte ihren Sohn Hans (Moritz<br />
Mausser, r.) lieber bei der Pensionsversicherungsanstalt<br />
gesehen<br />
6. ›Du bist mein Zuhaus‹ – Falco<br />
(Moritz Mausser) wünscht sich nichts<br />
sehnlicher als ein normales Leben <strong>mit</strong><br />
seiner Isabella (Katharina Gorgi)<br />
Fotos (6): VBW / Deen van Meer<br />
kubischen Formen und Spiegel auf oder werden<br />
wie an Hochregalen aus der Seitenbühne geschoben.<br />
Als der erste glasartige Kasten vom Bühnenhimmel<br />
kommt, fragt man sich kurz – ist es<br />
ein Bild oder sitzt da eine echte Darstellerin am<br />
Küchentisch? Diese Formen, gepaart <strong>mit</strong> Neonröhren,<br />
verleihen dem Ganzen eine tolle 80er-<br />
Jahre-Atmosphäre und lassen durch die vielen<br />
Spiegelungen Raum für andere Blickwinkel und<br />
Lichteffekte. Ein Hingucker ist auch das riesige,<br />
detailliert gestaltete Falco-Gehirn, aus dem sein<br />
Alter Ego entsteigt. Die Kostüme (Uta Loher &<br />
Conny Lüders) bieten ein breites Spektrum: Vom<br />
schwarzen Smoking über die Rock-Leder Kombi<br />
bis hin zum Glitzer-Dragqueen-Outfit bleiben<br />
keine Wünsche offen. Das große Ensemble auf<br />
der Bühne, alle in weiße Anzüge gekleidet, soll<br />
an einen griechischen Chor erinnern – dennoch<br />
wirken einige Ensemble<strong>mit</strong>glieder teilweise<br />
arbeitslos und dürfen neben dem Gesang nur die<br />
verspiegelten Würfel umherschieben. Alles ist<br />
eben auf Superstar Falco und dessen Bühnenshow<br />
ausgerichtet. Leider fehlen Hits wie ›Mutter, der<br />
Mann <strong>mit</strong> dem Koks ist da‹, und das, obwohl der<br />
Drogendealer auf der Bühne des Öfteren präsent<br />
ist, oder auch ›Kann es Liebe sein‹. Dadurch<br />
verstreicht die Gelegenheit zu zeigen, dass Falco<br />
mehr als ›Der Kommissar‹ hinterlassen hat.<br />
Nach drei Stunden gibt es vom Premierenpublikum<br />
Standing Ovations. Etwas anderes war<br />
auch nicht zu erwarten, nachdem der Jubel schon<br />
ausbrach, als die Figur des Falco die Bühne betrat.<br />
Die Kritiken sind gemischt, das Publikum ist hinund<br />
hergerissen. Das Biographie-<strong>Musical</strong> erzählt<br />
realistisch die Geschichte des Austro-Musikers,<br />
aber ob das genügt, um ein Publikum, das Falco<br />
niemals live erlebt hat, zu erreichen, bleibt fraglich.<br />
In Wien ist 25 Jahre nach seinem Tod eine<br />
Diskussion um das Erbe des Musikers entbrannt.<br />
Mina Piston<br />
46<br />
blickpunkt musical <strong>06</strong>/20<strong>23</strong>
<strong>Musical</strong>s in Österreich<br />
»Ich will nicht, dass das so eine<br />
<strong>Musical</strong>scheiße wird!«<br />
Uraufführung von »Lizzy Carbon und der Klub der Verlierer« in Wien<br />
Abb. oben:<br />
Das Ensemble (v.l.: Stefan Rosenthal,<br />
Shirina Granmayeh, Curdin Caviezel,<br />
Lilly Rottensteiner, Ursula Anna<br />
Baumgartner) zieht schnell die<br />
Aufmerksamkeit des Publikums auf sich<br />
Foto: Rita Newman / Theater der Jugend<br />
Das <strong>Musical</strong> feierte am 17. Oktober 20<strong>23</strong> seine<br />
Uraufführung im Wiener Theater im Zentrum<br />
und wird vom Theater der Jugend präsentiert. Als Vorlage<br />
dient der gleichnamige Roman von Mario Fesler<br />
(sein Debütroman wurde im Rahmen der Frankfurter<br />
Buchmesse im Oktober 2017 <strong>mit</strong> dem Deutschen<br />
Jugendliteraturpreis ausgezeichnet). Thomas Zaufke<br />
komponierte die Musik und Peter Lund, der auch<br />
Regie führte, schrieb die Texte.<br />
Es geht um die Loser einer Schule, Mobbing, Ungerechtigkeit<br />
und Vorurteile. Also kein leichter Stoff,<br />
aber das sei schon mal verraten: Es gelingt dem ganzen<br />
Team hervorragend, dies alles in gute Unterhaltung<br />
zu verwandeln und so eine außergewöhnliche Aufführung<br />
zu bieten.<br />
Die Reise in die Story für das eher junge Publikum<br />
(empfohlen ab 11 Jahren) und deren erwachsenen<br />
Begleitern beginnt bereits im Foyer des Theaters. Von<br />
der Garderobe an bis zum Theatersaal findet man Programme<br />
von einem Schulfest, Fotos von Schülergruppen<br />
<strong>mit</strong> hingeschmierten Notizen und Werbeplakate.<br />
An der Bar gibt es Kekse nach »Mama Arifs Rezept«.<br />
Zugegeben, vor der Vorstellung wirft das noch Fragen<br />
auf, in der Pause sieht man diese Details aber schon <strong>mit</strong><br />
ganz anderen Augen.<br />
Das sehr kurzweilige Stück nimmt schnell an Fahrt<br />
auf und bringt das Publikum rasch in eine gespannte<br />
Stimmung. So sind die ersten Minuten der Vorstellung<br />
praktisch schon das Ende, man erfährt, dass es ein<br />
voller Erfolg war und die Projektgruppe der Gewinner<br />
des Schulfestes ist, aber dann fängt die Story eigentlich<br />
erst von vorne an: Lizzy erzählt in die Handylinse ihrer<br />
Freundin Sara die Erfolgsgeschichte vom Klub der<br />
Verlierer und das Publikum wird praktisch in die Zeit<br />
davor versetzt.<br />
Das Stück handelt von einer Hand voll gewöhnlich<br />
ungewöhnlichen Jugendlichen, hier die Spezies Außenseiter.<br />
Alle suchen ihren Platz in der Gesellschaft, sind<br />
auf der Suche nach dem (richtigen?) Weg ins Erwachsenwerden.<br />
Dabei begegnet ihnen auch das Thema<br />
Mobbing, wobei sie da auf der Opferseite stehen.<br />
Im Mittelpunkt der Geschichte steht Lizzy, knapp 14<br />
Jahre alt, die in einem Anfall von Gerechtigkeitswahn<br />
wieder einmal zu laut ihren Gefühlen nachgegeben<br />
und ihre Meinung gesagt hat, da sie sich nicht alles<br />
gefallen lässt. Dass sie es genau in dem Moment sagt,<br />
als es wundersamerweise auf einmal still war in der<br />
Schule und sie so<strong>mit</strong> alle bei der Besprechung zum<br />
Schulfest hören konnten, ist blödes Pech. So findet sich<br />
Lizzy, von der Schulleitung zu einem eigenen Projekt<br />
für das Schulfest verdonnert, im ehemaligen Physiklabor<br />
ohne Tageslicht im Keller der Schule wieder.<br />
Zusammen <strong>mit</strong> den anderen Outsidern der Schule,<br />
die alle von der Gemeinschaft ausgeschlossen und <strong>mit</strong><br />
der gleichen Thematik beschäftigt sind: ›Wie werde ich<br />
beliebt?‹ Spätestens nach diesem Song ist das Publikum<br />
schon von der Story gefesselt und fiebert <strong>mit</strong> nach der<br />
Lösung für ein gelungenes Projekt – wie schaffen es die<br />
48<br />
blickpunkt musical <strong>06</strong>/20<strong>23</strong>
<strong>Musical</strong>s in Österreich<br />
Fünf, auf der Beliebtheitsskala nach oben zu klettern?<br />
Nach einer längeren Themensuche entscheidet sich die<br />
Gruppe für das »Projekt Dunkelrestaurant«, sie wollen<br />
den Mitschülern ein Essen im Dunkeln servieren. Blöd<br />
nur, dass niemand kochen kann – und das wird nicht<br />
das einzige Problem bleiben, an dem der »Klub der Verlierer«,<br />
wie die Truppe schnell in der Schule genannt<br />
wird, zu knabbern hat…<br />
Die Musik von Thomas Zaufke nimmt die<br />
Zuschauer:innen und Zuhörer:innen auf eine Reise<br />
<strong>mit</strong> ins Ohr gehenden Melodien <strong>mit</strong>, die sich rasch<br />
zum Ohrwurm entwickeln. Und es ist schade, dass<br />
man diese nicht noch irgendwo nachhören kann, weil<br />
jeder Song besonders ist und – wie das ganze Stück<br />
– mehr Aufmerksamkeit verdient als ein paar wenige<br />
Vorstellungen in dem eher kleinen Theatersaal im<br />
Souterrain des Theaters im Zentrum im Wiener Ersten<br />
Bezirk.<br />
Die Liedtexte von Peter Lund passen perfekt zum<br />
Zielpublikum. Sie haben jetzt vielleicht nicht immer<br />
ein besonders hohes Niveau – als Beispiel sei hier ›Verlogene<br />
Scheiße‹ genannt, wo fast der gesamte Liedtext<br />
aus diesen beiden Wörtern besteht. Aber in Summe<br />
passen Musik und Text zu dem gerade heranwachsenden<br />
Publikum, und sicherlich findet sich der eine<br />
oder andere Erwachsene auch immer wieder in seine<br />
früheren Jahre zurückversetzt. Sei es in Songs wie<br />
›Witzfigur‹, ›Der Klub der Verlierer‹, ›Voll gegen die<br />
Wand‹ oder ›Ich wollte dabei sein‹ oder im ganz großen<br />
Ohrwurm ›Erlaubt ist, was schmeckt‹.<br />
Der Inhalt ist ein Spiel zwischen und <strong>mit</strong> Klischees<br />
wie den Zeugen Jehovas und der türkischen Familienehre,<br />
Nerds, der Entstehung von neuen Freundschaften<br />
sowie deren teilweise oberflächliche Bedeutung,<br />
dem Zerfall von Beziehungen und eben dem Mobbing.<br />
Hervorragend umgesetzt, ohne <strong>mit</strong> dem Zeigefinger<br />
zu drohen, sondern anregend, das Verhalten zu<br />
reflektieren.<br />
Die Hauptfigur Lizzy wurde <strong>mit</strong> Ursula Anna<br />
Baumgartner hervorragend besetzt. Ihre Leichtigkeit<br />
in der Rolle, die zwischen Euphorie für etwas Neues<br />
und der eigenen Angst, als Außenseiterin immer wieder<br />
unverhofft in verschiedene Situation des Lebens<br />
zu geraten, ständig wechselt: Sie hat die Energie,<br />
Neues aufzubauen und andere <strong>mit</strong>zureißen, wird<br />
dann aber unsicher und vertraut sich dabei ihrem<br />
Tagebuch an. Mit diesem hat sie immer wieder innige<br />
Auseinandersetzungen, was den Zuschauern leicht fällt<br />
zu verfolgen, da das Tagebuch eine eigene Stimme aus<br />
dem Off hat (Isabel Weicken). Das Tagebuch wird auch<br />
mal als Handpuppe im Song ›Selbstvertrauen‹ sozusagen<br />
zum Leben erweckt. Es macht dem Publikum<br />
Freude, Baumgartner zuzusehen und die unterschiedlichen<br />
Lebenssituationen ihrer Rolle <strong>mit</strong>zuerleben. Sie<br />
transportiert ihre Figur sehr authentisch in die Szenen<br />
des Stücks, spielt auch nur diesen einen Charakter –<br />
denn alle anderen Darsteller:innen wechseln die Rollen<br />
mehrfach.<br />
Curdin Caviezel spielt in erster Linie den Loser<br />
Arif, der seine eigene Identität noch nicht gefunden<br />
hat und sehr unter dem Machtscheffel seiner Familie<br />
steht, aber bereit ist, dagegen anzukämpfen. Und sein<br />
Mut wird letztendlich auch belohnt. Außerdem spielt<br />
Caviezel noch Ramira, ein It-Girl der Schule, und vor<br />
allem Max, den arroganten Bruder von Lizzy. Und hier<br />
gelingt es ihm auffallend gut, den Charakter durch<br />
Wortbetonung und Körpersprache zu wechseln, indem<br />
er äußerlich eigentlich nur eine andere Jacke anzieht,<br />
um zu Max zu werden – der unbedingt Schulsprecher<br />
werden will und Lizzys Art und vor allem die neue<br />
Projektgruppe einfach peinlich findet – oder <strong>mit</strong> einem<br />
gelben Putzmob auf dem Kopf zum It-Girl wird.<br />
Shirina Granmayeh spielt die verschieden angelegten<br />
Seiten ihrer Figur Krissi, die doch so gerne zu den<br />
Beliebten in der Schule zählen möchte und hin- und<br />
hergerissen ist zwischen den It-Girls, die auf einmal<br />
Interesse an ihr zeigen, und der Freundschaft zu Lizzy.<br />
Nicht nur durch ihre aussagekräftige Mimik und Gestik<br />
ist sie sehr überzeugend und abwechslungsreich.<br />
Besonders gut kommt sie als Klassenlehrer Dr. Wenz<br />
rüber und wechselt hier nur durch das Aufsetzten einer<br />
Brille den Charakter.<br />
Stefan Rosenthal darf auch in drei Rollen schlüpfen:<br />
Lizzys Vater, Alexa, die Obermobberin aus Lizzys<br />
Klasse (er darf einen rosa Putzmob tragen…), seine<br />
Hauptrolle ist allerdings Carsten, der Spielenerd und<br />
Einzelgänger. Dieser wird auf Grund seines Hobbys,<br />
dem Nasenbohren, auch Popelino genannt. Da er dazu<br />
steht und das Popeln auch in der Schule ausübt, wird<br />
er eher von den anderen gemieden. Seinem Hobby<br />
ist auch ein eigener Song gewidmet: ›Erlaubt ist, was<br />
schmeckt‹. Allerdings zählt zu Carstens Stärken, dass<br />
er viel Positives sieht, wo die anderen im Klub der Verlierer<br />
nur negative Aspekte entdecken.<br />
Lizzy Carbon und der<br />
Klub der Verlierer<br />
Thomas Zaufke / Peter Lund<br />
Theater der Jugend Wien<br />
Theater im Zentrum<br />
Uraufführung: 12. Oktober 20<strong>23</strong><br />
Regie ................................. Peter Lund<br />
Musikalische<br />
Einstudierung ............... Béla Fischer jr.<br />
Orchesteraufnahme .... Thomas Zaufke<br />
Ausstattung ................ Ulrike Reinhard<br />
Licht ..... Peter Lund & Ulrike Reinhard<br />
Lizzy ........... Ursula Anna Baumgartner<br />
Krissi / Dr. Wenz ..................................<br />
Shirina Granmayeh<br />
Sara / Lizzys Mutter /<br />
Arifs Mutter . ............Lilly Rottensteiner<br />
Carsten / Lizzys Vater /<br />
Alexa ........................ Stefan Rosenthal<br />
Arif / Ramira / Max,<br />
Lizzys Bruder ............ Curdin Caviezel<br />
Tagebuch (Stimme) ...... Isabel Weicken<br />
Kinderchor:<br />
Dani Alexander Allkoud,<br />
Dima Al Enaizi, Obadah Janoudi,<br />
Sham Madi, Gaafr Shebli<br />
Abb. von links:<br />
1. Lizzy (Ursula Anna Baumgartner)<br />
und ihr arroganter Bruder Max<br />
(Curdin Caviezel), welcher zu den<br />
Mobbern gehört<br />
2. Krissi (Shirina Granmayeh, l.) und<br />
Sara (Lilly Rottensteiner, r.) treffen<br />
alle Töne<br />
Foto 1: Sophie Menegaldo<br />
Foto 2: Rita Newman / Theater der<br />
Jugend<br />
blickpunkt musical <strong>06</strong>/20<strong>23</strong><br />
49
<strong>Musical</strong>s in Österreich<br />
Abb. unten von oben links:<br />
1. Der Klub der Verlierer – (v.l.): Carsten<br />
(Stefan Rosenthal), Lizzy (Ursula Anna<br />
Baumgartner), Krissi (Shirina Granmayeh),<br />
Sara (Lilly Rottensteiner) und Lizzys<br />
Bruder (Curdin Caviezel) – versucht sich<br />
an an der Rezeptentwicklung für das<br />
Dunkelrestaurant<br />
2. Carsten (Stefan Rosenthal) ist der<br />
Nerd der Schule – er versteht nicht,<br />
warum Popeln alle anwidert<br />
3. Nachdem Lizzy (Ursula Anna<br />
Baumgartner) bemerkt hat, dass ihre<br />
Mutter ihr Tagebuch liest, versucht<br />
sie, diese <strong>mit</strong> ihren Eintragungen zu<br />
beeinflussen<br />
4. Krissi (Shirina Granmayeh) freut sich<br />
über die Aufmerksamkeit der It-Girls in<br />
ihrer Klasse<br />
5. Lizzy (Ursula Anna Baumgartner)<br />
ist verzweifelt und greift zur Trost-<br />
Schokolade<br />
6. Krissi (Shirina Granmayeh, l.) und Lizzy<br />
(Ursula Anna Baumgartner, r.)<br />
freuen sich über den Erfolg des<br />
Projekts und dass sie die Mobber alle<br />
ausgeschaltet haben<br />
Fotos 1+3 Sophie Menegaldo<br />
Fotos 2+4+5+6 Rita Newman /<br />
Theater der Jugend<br />
Lilly Rottensteiner spielt neben Lizzys Mutter<br />
(die heimlich das Tagebuch ihrer Tochter liest und<br />
krampfhaft versucht, ihre Tochter zu unterstützen,<br />
sie aber <strong>mit</strong> ihrer Fürsorge geradezu erstickt),<br />
und für eine Szene auch Arifs Mutter, – hauptsächlich<br />
Sara. Eine Einzelgängerin auf der Suche<br />
nach Freunden, ist sie bereit, dafür alles zu tun.<br />
Rottensteiner sprüht vor positiver Ausstrahlung, leider<br />
geben ihre Figuren ihr zu wenig Möglichkeit, ihre Vielseitigkeit<br />
auszuspielen, und eine größere Rolle wäre da<br />
sicher noch ein Gewinn.<br />
In Summe sind die Darsteller wirklich ein großer<br />
Faktor des Stücks, sie sind voller Energie beim Spiel<br />
und haben tolle Leistungen im Gesanglichen gezeigt.<br />
Die Choreographie passt ebenso zur Inszenierung wie<br />
das eher einfach gehaltene und doch <strong>mit</strong> Überraschungen<br />
gespickte Bühnenbild. Die Ausstattung stammt<br />
von Ulrike Reinhard, die gemeinsam <strong>mit</strong> Peter Lund<br />
auch für das Licht gesorgt hat. Die musikalische Einstudierung<br />
und Korrepetition stammt von Béla Fischer jr.<br />
und die Dramaturgie von Gerald Maria Bauer.<br />
Zu erleben ist das Stück noch bis Anfang Dezember<br />
im Theater der Jugend. Es ist alles andere als »<strong>Musical</strong>scheiße«<br />
geworden und sei allen ans Herz gelegt,<br />
die auch einmal jung waren. Oder um es <strong>mit</strong> Lizzys<br />
Worten zu sagen: »Das hier ist kein <strong>Musical</strong>, das ist<br />
mein Leben!«<br />
Steffen Wagner<br />
50<br />
blickpunkt musical <strong>06</strong>/20<strong>23</strong>
<strong>Musical</strong>s in Österreich<br />
An der Volksoper macht es Boom!<br />
»tick, tick... BOOM!« an der Volksoper Wien<br />
Die erste <strong>Musical</strong>premiere der Saison 20<strong>23</strong>/20<strong>24</strong> am<br />
Haus am Gürtel mag vielleicht auf den ersten Blick<br />
etwas ungewöhnlich klingen, denn <strong>mit</strong> Jonathan Larsons<br />
»tick, tick... BOOM!« hat wohl niemand gerechnet, aber<br />
nach einer umjubelten Premiere samt Standing Ovations<br />
wurde das Wiener Publikum eines Besseren belehrt.<br />
Das Stück, das zunächst als Solostück konzipiert und<br />
1989 uraufgeführt wurde und erst 2001, sieben Jahre nach<br />
Larsons Tod, als Drei-Personen-Stück von David Auburn<br />
adaptiert wurde, wird hier <strong>mit</strong> deutschen Dialogen von<br />
Timothy Roller und englischen Liedtexten in einer Inszenierung<br />
von Frédéric Buhr präsentiert.<br />
Besetzungstechnisch hat man zu drei absoluten Publikumslieblingen<br />
gegriffen: In die Rolle des Jon schlüpft der<br />
stimmgewaltige Jakob Semotan. Von der ersten Minute<br />
an hat er das Publikum im Griff, zeigt sich sympathisch,<br />
teilweise humorvoll und begeistert gesanglich. Ebenso<br />
begeistert Oliver Liebl als Michael und schlüpft außerdem<br />
gemeinsam <strong>mit</strong> Juliette Khalil in etliche andere kleine Rollen,<br />
was zwar meistens wunderbar funktioniert, aber wenn<br />
sie Jons Agentin spielt und wenige Minuten später wieder<br />
als seine Freundin Susan zu sehen ist, wirkt das auf den ersten<br />
Blick verwirrend, ist allerdings das Konzept des Stücks.<br />
Die Harmonie zwischen Juliette Khalil und Jakob<br />
Semotan ist nicht zu übersehen, vor allem in den Songs<br />
›Green Green Dress‹ und ›Therapy‹ merkt man, wie wunderbar<br />
ihre Stimmen harmonieren. Aber auch darstellerisch<br />
passen sie hervorragend zusammen, vor allem wenn es<br />
um Konflikte geht – schließlich leidet ihre Beziehung unter<br />
den Vorbereitungen des langersehnten Workshops von<br />
»Superbia«. Juliette Khalil begeistert auch <strong>mit</strong> dem Titel<br />
›Come to Your Senses‹, bei dem sie sich von einer völlig<br />
neuen Seite zeigt. Meistens kennt man die Sopranistin für<br />
ihre Darbietungen in Operetten, Opern und klassischen<br />
<strong>Musical</strong>s, aber hier zeigt sie sich vielleicht erstmals von der<br />
rockigen Seite und überzeugt. Auch als Trio glänzen die<br />
drei jungen Darsteller, vor allem <strong>mit</strong> der großen Nummer<br />
›Louder Than Words‹, die unter die Haut geht.<br />
Das Bühnenbild von Agnes Hasun wechselt vom Diner,<br />
in dem Jon arbeitet, und seiner Wohnung. Das Besondere<br />
ist, dass dank einer Leiter auf mehreren Ebenen gespielt<br />
werden kann, wie etwa bei ›Louder Than Words‹, wo Susan<br />
und Michael zunächst oben sind und Jon aber weiterhin<br />
unten singt. Das ist gut gelöst. Alles sonst ist minimalistisch<br />
gehalten, funktioniert aber, und man weiß immer<br />
genau, wo die Handlung spielt. Allerdings wirkt das Licht<br />
etwas düster, was bei einem Off-Theater kein Problem darstellen<br />
würde, aber auf einer größeren Bühne wie der der<br />
Volksoper überdacht werden sollte.<br />
Ein weiterer wichtiger Bestandteil dieser Produktion ist<br />
die musikalische Begleitung. Normalerweise wird hier ein<br />
hauseigenes Orchester eingesetzt. Aber was passiert, wenn<br />
man hier ein Rockmusical spielt? Dann müssen eine Rockband<br />
und ein geeigneter musikalischer Leiter her. In beiden<br />
Fällen hätte die Volksoper diese nicht besser besetzen können.<br />
Der musicalaffine Christian Frank hat dieser Produktion<br />
den nötigen Rockschliff verpasst und ist außerdem am<br />
Klavier zu hören. Bei einigen Stellen wirkt die Musik etwas<br />
zu laut, speziell bei den sehr rockigen Nummern, trotzdem<br />
bleiben die Darsteller gut verständlich.<br />
Tara Randell wurde als Choreographin verpflichtet.<br />
Dieses Stück mag zwar kein Tanzmusical sein, aber dennoch<br />
schafft sie es, einige gute Choreographien in Titeln<br />
wie ›Therapy‹ oder ›30/90‹ einfließen zu lassen. Da beweist<br />
sie ein gutes Gespür für die Musikalität des Stücks.<br />
Regisseur Frédéric Buhr schafft es, ein Off-<strong>Musical</strong> an<br />
ein großes Haus zu bringen und das <strong>mit</strong> wenigen Mitteln,<br />
aber dafür <strong>mit</strong> einer erstklassigen Besetzung und einer<br />
großartigen Band. Das Publikum war am Premierenabend<br />
sichtbar jünger als sonst für dieses Haus üblich. Vielleicht<br />
kann man <strong>mit</strong> solchen Stücken in der Tat auch die jüngere<br />
Generation ins Theater locken.<br />
Ludovico Luchesi Palli<br />
Abb. oben:<br />
Das große Finale ›Louder Than<br />
Words‹ berührt jeden im Publikum:<br />
(v.l.) Susan (Juliette Khalil), Jon (Jakob<br />
Semotan), Michael (Oliver Liebl)<br />
Abb. unten:<br />
Jon (Jakob Semotan, Mitte) arbeitet<br />
tagsüber in einem Diner, um <strong>mit</strong><br />
den Gästen (v.l.: Juliette Khalil,<br />
Oliver Liebl) seinen Lebensunterhalt<br />
zu verdienen<br />
Fotos (2): Barbara Pálffy / Volksoper Wien<br />
tick, tick... BOOM!<br />
Jonathan Larson<br />
Songs in englischer Sprache<br />
Deutsche Dialoge von Timothy Roller<br />
Volksoper Wien<br />
Premiere: 28. Oktober 20<strong>23</strong><br />
Regie ............................. Frédéric Buhr<br />
Musik. Leitung ............ Christian Frank<br />
Choreographie ................. Tara Randell<br />
Ausstattung .................... Agnes Hasun<br />
Licht ..................................... Alex Brok<br />
Sounddesign ............. Martin Lukeschk<br />
Jon ............................... Jakob Semotan<br />
Susan ............................. Juliette Khalil<br />
Michael ............................ Oliver Liebl<br />
blickpunkt musical <strong>06</strong>/20<strong>23</strong><br />
51
<strong>Musical</strong>s in Österreich<br />
In christlicher Mission<br />
»Pauline – Mut verändert die Welt« in der Stadthalle Wien<br />
Abb. oben:<br />
›Es ist schön zu tanzen‹ – Schnell merkt<br />
Pauline (Rahel Minichmayr, Mitte <strong>mit</strong><br />
Ensemble), dass schöne Bälle nicht<br />
alles sind im Leben, sie fragt nach dem<br />
tieferen Sinn<br />
Abb. unten:<br />
›Wie schön, wie wunderschön‹ – Alle<br />
(Ensemble) bewundern das jüngste<br />
Kind der Familie Jaricot: Pauline Marie<br />
(Bernadette Tomanek, Mitte)<br />
Fotos (2): Simon Kupferschmied<br />
Die Seidenfabrikanten-Tochter Pauline Marie Jaricot<br />
aus Lyon hat ihr Leben im 19. Jahrhundert<br />
den Armen gewidmet. Mit kreativen Ideen versuchte<br />
sie, Geld für diese zu sammeln und den christlichen<br />
Glauben zu verbreiten. Ihr Erbe führt die Mission in<br />
Österreich fort, <strong>mit</strong> ebenso phantasievollen Ansätzen.<br />
Seit mehreren Monaten tourt das Familien-<strong>Musical</strong><br />
»Pauline – Mut verändert die Welt«, welches sich <strong>mit</strong><br />
dem Leben der 2022 seliggesprochenen Missionarin<br />
beschäftigt, durch die Alpenrepublik.<br />
Beim Besuch stellt sich die Frage, wonach man<br />
ein <strong>Musical</strong> beurteilen soll. Hier gibt es zum Beispiel<br />
die üblichen Kriterien, beispielsweise die Klarheit des<br />
Gesangs oder die Synchronizität der Choreographie.<br />
Beim Familienmusical »Pauline« ist es eine Laiengruppe,<br />
vorwiegend aus Kindern und Jugendlichen,<br />
die sich zusammengefunden haben. Die jüngste<br />
Darstellerin auf der Bühne ist erst vier Jahre alt. Birgit<br />
Minichmayr hat das Stück über die Tochter aus<br />
reichem Hause geschrieben und komponiert. Es ist<br />
bereits ihr zwölftes <strong>Musical</strong>, das sie entwickelt hat,<br />
und sie bringt es <strong>mit</strong> den »KISI – God’s Singing Kids«<br />
(junge Darstellerinnen und Darstellern aus jedem<br />
Winkel Österreichs) auf die Bühne. Insgesamt sind<br />
es 77 Mitwirkende, davon 50 auf der Bühne und 27<br />
im Hintergrund. Für das Familienmusical werden<br />
auf der Homepage »raffinierte Bühnentechnik, aufwändige<br />
Kostüme und <strong>mit</strong>reißende Choreographien«<br />
angekündigt, doch wenn man die üblichen Maßstäbe<br />
anlegt, kann dieses Versprechen nicht vollumfänglich<br />
eingelöst werden. Weiße Stoffbahnen, die zwar gut in<br />
das Ambiente einer Seidenfabrikanten-Tochter passen<br />
und immer wieder neu arrangiert werden, bilden die<br />
Kulisse. Sie passen nicht nur zum Hintergrund der<br />
Figur, sondern auch zu ihrer Reinheit und Unschuld,<br />
wirken aber nicht sehr kreativ. Die Kostüme orientieren<br />
sich an historischen Vorlagen des 19. Jahrhunderts<br />
und wurden in mühsamer, stundenlanger Arbeit <strong>mit</strong><br />
viel Liebe hergestellt, wirken aber nicht so üppig wie<br />
versprochen. Die Choreographien sind weder gewagt<br />
noch spektakulär. In der Stadthalle kommt die Musik<br />
vom Band. Die Songs, häufig Balladen, erinnern teilweise<br />
an Gebete.<br />
Doch andererseits sollte ein <strong>Musical</strong> nach dem<br />
Erfolg und der Kreativität – nach der Idee dahinter –<br />
beurteilt werden. Bei »Pauline – Mut verändert die<br />
Welt« steht vielmehr die Geschichte im Fokus. Die<br />
junge Pauline Marie Jaricot spürt einen göttlichen<br />
Auftrag und will den Armen helfen. Mit 17 Jahren<br />
beginnt sie, ihr gesamtes Vermögen, inklusive Kleidern<br />
und Schmuck, den Arbeitern, Kranken und Notleidenden<br />
zu schenken. Der Zuschauer folgt der mutigen<br />
Frau auf ihrem steinigen Weg gegen wahrhafte Widersacher,<br />
aber auch gegen sich selbst. Leider schafft es<br />
die Hauptdarstellerin Rahel Minichmayr nicht, der<br />
Figur darüber hinaus weiteren Glanz zu verleihen.<br />
Doch das ist nicht das, was das begeisterte Publikum<br />
fasziniert. In den Reihen finden sich neben sehr vielen<br />
Kindern auch Priester, Nonnen und andere Geistliche.<br />
Sie lassen sich <strong>mit</strong>reißen von der wechselvollen<br />
Geschichte der Pauline Marie Jaricot. Sie haben für<br />
die Handlung vermutlich mehr Verständnis als andere<br />
Zuschauer. Die Geschichte ist es vermutlich auch,<br />
die dann dazu geführt hat, dass das Stück ein Erfolg<br />
wurde, und schließlich zu einer fast ausverkauften<br />
Zusatzvorstellung in Wien geführt hat. Selten haben<br />
Darsteller:innen <strong>mit</strong> so viel Freude getanzt und gesungen,<br />
waren selbst so überzeugt von der Geschichte, die<br />
sie auf der Bühne erzählen. Besonders stark sind jene<br />
Songs, bei denen das ganze Ensemble zusammen singt.<br />
52<br />
blickpunkt musical <strong>06</strong>/20<strong>23</strong>
<strong>Musical</strong>s in Österreich<br />
Dann harmoniert die Cast und findet auch wieder die<br />
richtigen Töne. Der Song ›Voilà‹ ist <strong>mit</strong>reißend und<br />
motivierend. Auch die große Marktszene im italienischen<br />
Mugnano ist mehr als gelungen. Hierher reist<br />
die schwerkranke Pauline und wird durch Gebete zur<br />
heiligen Philomena völlig gesund.<br />
Letztendlich ver<strong>mit</strong>telt das <strong>Musical</strong> Selbstvertrauen,<br />
denn auch Pauline Marie Jaricot wird im Verlaufe des<br />
Stücks immer wieder von Selbstzweifeln geplagt, die<br />
auf der Bühne durch die Figur des Monsieur Discourage<br />
– dem Entmutiger – dargestellt werden. Stellenweise<br />
erinnert das innere Zwiegespräch ein bisschen an<br />
Elisabeth und den Tod aus dem gleichnamigen Kunze/<br />
Levay-<strong>Musical</strong>. Begleitet von seinem Diener, Fledermaus<br />
Ferdinand, versucht der Entmutiger, Pauline<br />
immer wieder aufs Neue von ihrem Weg abzubringen.<br />
Michael Garz, der Puppenspieler, der der Handpuppe<br />
von Fledermaus Ferdinand Leben einhaucht, ist der<br />
heimliche Star der Inszenierung. Man würde sich wünschen,<br />
dass die Liebe, die beim Schreiben des Buches<br />
in diese Figur <strong>mit</strong> dem sympathischen hölzernen<br />
Sprachfehler geflossen ist, auch beim Rest der Dialoge<br />
zu spüren wäre. Der junge Puppenspieler und Darsteller<br />
schafft es, Ferdinand einen unverwechselbaren und<br />
zugleich hinreißenden Charakter zu verleihen, und<br />
überrascht <strong>mit</strong> einer klaren, kräftigen Stimme.<br />
Ferdinand ist es auch schließlich, der sich von seinem<br />
Meister löst, die Seiten wechselt und sich, wie alle<br />
anderen, der Mission Pauline Marie Jaricots anschließt.<br />
Sie selbst bleibt sich schlussendlich trotz der Selbstzweifel<br />
und Anfeindungen treu und ist sich sicher, dass<br />
sie <strong>mit</strong> ein wenig Mut die Welt verändern kann. Sie<br />
spendet ihren Schmuck und ihre Kleider, gründet die<br />
Gebetsgemeinschaft »lebendiger Rosenkranz«, sammelt<br />
<strong>mit</strong> der »1-Sou-Initiative« Kleinstbeträge und beweist<br />
so, dass man auch <strong>mit</strong> wenig Einsatz viel bewegen<br />
kann. Sie versucht die Lage der Arbeiter zu verbessern<br />
und eine eigene Fabrik zu gründen. Das historische<br />
Vorbild starb verarmt am 9. Januar 1862 in Lyon, doch<br />
bis heute lebt ihr Geist in päpstlichen Missionswerken<br />
der katholischen Kirche fort.<br />
Der ergreifendste Moment – selbst für Atheisten<br />
und Agnostiker – ist gekommen, als der Vorhang fällt.<br />
Emmanuel Tran ist extra aus Frankreich angereist.<br />
Er hat keinen Zweifel: Pauline Marie Jaricot hat ein<br />
Wunder vollbracht und 150 Jahre nach ihrem Tod seine<br />
Tochter geheilt. Diese hatte sich 2012 bei einer Feier<br />
verschluckt und bekam kaum noch Luft. Als die Ärzte<br />
eintrafen, konnten sie nur wenig für das Kind tun. Seine<br />
Tochter Mayline galt als hirntot und lag im Koma. Die<br />
Mediziner hatten keine Hoffnung mehr, doch ohne das<br />
Wissen von Maylines Eltern begannen die Kinder im<br />
Kindergarten, den das kleine Mädchen besuchte, und<br />
die Schüler der zugehörigen Lyoner Schule <strong>mit</strong> einer<br />
Novene – einem neuntägigen Gebet zu Pauline Marie<br />
Jaricot. Was keiner mehr für möglich gehalten hatte<br />
und sich später keiner erklären konnte, wurde wahr:<br />
Mayline ging es von Tag zu Tag besser, nach einem Jahr<br />
war sie komplett genesen und konnte in Wien am Ende<br />
des <strong>Musical</strong>s, schüchtern, aber gesund, lächelnd auf der<br />
Bühne stehen. Auch den Pontifex hat diese Geschichte<br />
überzeugt: 2022 sprach Papst Franziskus Pauline Marie<br />
Jaricot nach diesem Wunder selig.<br />
Mina Piston<br />
Abb. von oben links:<br />
1. ›Bella Italia‹ – Im italienischen<br />
Mugnano hat man von der Ankunft<br />
des schwerkranken französischen<br />
Fräuleins gehört und man (Ensemble)<br />
versammelt sich vor der Statue<br />
der heiligen Philomena<br />
2. Immer wieder taucht der Entmutiger<br />
(Georg Hatter, r.) zusammen <strong>mit</strong><br />
Fledermaus Ferdinand<br />
(Michael Garz, l.) auf, um in Pauline<br />
Selbstzweifel zu säen<br />
3. ›Voilà‹ – Pauline (Rahel<br />
Minichmayr, Mitte) gründet eine<br />
Gruppe verarmter adeliger Damen<br />
(Ensemble), die zusammen ihren<br />
Lebensunterhalt verdienen<br />
Fotos (3): Simon Kupferschmied<br />
Pauline – Mut verändert die<br />
Welt<br />
Birgit Minichmayr<br />
KISI – God’s Singing Kids<br />
Stadthalle Wien<br />
Uraufführung: 15. April 20<strong>23</strong><br />
Besuchte Vorstellung:<br />
1. Oktober 20<strong>23</strong><br />
Regie ............................ Patricia Nessy<br />
Arrangements ........... Cornelius Schock<br />
Choreographie .....................................<br />
Magdalena Kritzinger<br />
Bühnenbild ................ Hanna Penatzer<br />
Kostüme .......................... Eva Butzkies<br />
Lichtdesign .................... Stephanie Erb<br />
Sounddesign ..... Johannes Minichmayr<br />
Pauline Marie Jaricot ............................<br />
Rahel Minichmayr<br />
Entmutiger ..................... Georg Hatter<br />
Ferdinand, die Fledermaus ...................<br />
Michael Garz<br />
Sophie Geneviève ...... Juliana Pipiorke<br />
Rosa / Obstverkäuferin .........................<br />
Trixi Grossauer<br />
Abbé Würtz / Vater Antoine /<br />
Pfarrer von Ars .... Hannes Minichmayr<br />
Paul.................................. Simon Aures<br />
Marie Meliquiond / Christine ...............<br />
Tessa Altmüller<br />
Junge Pauline ...... Bernadette Tomanek<br />
Phileas / Kind Bac ................................<br />
Benjamin Schmidt<br />
Narzisse / Zeitungsjunge / Simon .........<br />
Severin Tuppa<br />
Junge Geneviève / Bäckermädchen ......<br />
Anna Unger<br />
Marie Laurence / Inès / Léa ..................<br />
Maria Selinger<br />
Angélique .................... Miriam Schierl<br />
Antoinette ......................... Anna Diem<br />
Bernadette / Sophie Germaine .............<br />
Rebecca Wutkewicz<br />
Lilou ............................. Hemma Küng<br />
Monique ....................... Sara Altmüller<br />
Louise .............................. Jenifer Kefer<br />
Claire / Félicité / Engel .........................<br />
Judith Winkler<br />
Dominique ............... Terézia Lovásová<br />
Florence ....................... Klara Tomanek<br />
Valentine ............... Katharina Selinger<br />
Verehrer Gaston / Zacharie /<br />
Herr Bac .......................... Adam Ditzl<br />
Nichte von Pauline / Kind Bac ..............<br />
Noemi Schmidt<br />
Ensemble:<br />
Tamara Aures, Debora Feuerbach,<br />
Marie Küng, Leticia Küng,<br />
Vinzenz Küng, Annamária Lieskovská,<br />
Leonora Lindenberg,<br />
Aimee Miriam Lovásová,<br />
Paula Lovásová,<br />
Maria Bakhita Moshammer,<br />
Valerie Noé, Helena Rauch,<br />
Anna Selinger, Elisabeth Selinger,<br />
Magdalena Selinger, Veronika Selinger,<br />
Mirjam Stadlbauer, Valerie Stangl-Kraft,<br />
Anna Sutter, Barbara Tomanek,<br />
Sebastian Wagner,<br />
Daniel Wanzenböck,<br />
Sara Wanzenböck, Marietta Windhofer<br />
blickpunkt musical <strong>06</strong>/20<strong>23</strong><br />
53
<strong>Musical</strong>s in Österreich<br />
Ein musikalisches Liebeschaos<br />
»I Love You, You´re Perfect, Now Change« an der Freien Bühne Wieden<br />
Abb. oben von links:<br />
1. Eigentlich haben die Eltern<br />
(Benjamin Rufin, 2.v.l. und Sophie<br />
Blümel, 2.v.r.) auf freudige Nachrichten<br />
gehofft, doch das einstige<br />
Traumpaar (Katharina Lochmann, l.,<br />
und Fin Holzwart, r.) kündigt seine<br />
Trennung an<br />
2. Der etwas andere Single-<br />
Workshop <strong>mit</strong> (v.l.): Fin Holzwart,<br />
Benjamin Rufin und Sophie Blümel<br />
Fotos (2): Tanja Schwind / ts. pictureworld<br />
I Love You, You´re Perfect,<br />
Now Change<br />
Jimmy Roberts / Joe DiPietro<br />
Deutsch von Alexander Kuchinka<br />
Sophie Blümel und Katharina Lochmann<br />
Freie Bühne Wieden Wien<br />
Premiere: 14. September 20<strong>23</strong><br />
Regie .............................. Rita Sereinig<br />
Musikalische Leitung & Klavier ............<br />
Walter Lochmann<br />
Geige ......................... Katharina Cerny<br />
Mit:<br />
Sophie Blümel, Fin Holzwart,<br />
Katharina Lochmann, Benjamin Rufin<br />
Die beiden <strong>Musical</strong>darstellerinnen Katharina Lochmann<br />
und Sophie Blümel haben sich einen lang ersehnten<br />
Traum erfüllt und den Off-Broadway-Hit »I Love You,<br />
You´re Perfect, Now Change« von Joe DiPietro (Buch &<br />
Liedtexte) und Jimmy Roberts (Musik) für drei Vorstellungen<br />
an die Freie Bühne Wieden gebracht. Die Übersetzung<br />
stammt von Alexander Kuchinka. Rita Sereinig inszeniert,<br />
die musikalische Leitung hat Walter Lochmann inne.<br />
Das Stück zeigt in etwa 20 Szenen und Liedern die<br />
verschiedenen Etappen der Liebe: Vom ersten Date und<br />
Fauxpas beim Erstellen von Dating Videos bis zu den Problemen,<br />
die in einer Beziehung passieren, wenn man Kinder<br />
hat, oder wie man sich als Single fühlt, wenn die besten<br />
Freunde auf einmal weniger Zeit haben, weil sie Eltern<br />
geworden sind.<br />
Katharina Lochmann und Sophie Blümel sind hier<br />
nicht nur als Produzentinnen involviert, sondern schlüpfen<br />
gleichzeitig <strong>mit</strong> ihren Bühnenkollegen Ben Rufin und<br />
Fin Holzwarth in rund 20 verschiedene Rollen. Alle zeigen<br />
dabei nicht nur, dass sie stimmlich gut harmonieren,<br />
sondern vor allem auch ihr komödiantisches Talent. Ben<br />
Rufin beispielsweise beweist als überdrehter Werbesprecher<br />
eines Sex-Gadgets seine komödiantische Vielfalt, aber auch<br />
Sophie Blümel zeigt, dass sie nicht nur gesanglich, sondern<br />
auch darstellerisch punkten kann, wie etwa in der Szene,<br />
in der sie auf den Anruf ihres Schwarms wartet. Katharina<br />
Lochmann performt ebenfalls vielfältig und kann als<br />
Marion in der Begräbnisszene ihr komödiantisches Talent<br />
beweisen. Sie harmoniert wunderbar <strong>mit</strong> Fin Holzwarth<br />
beim Tango, bei dem dieser übrigens sowohl darstellerisch<br />
als auch gesanglich begeistert. Ebenso gelungen sind die<br />
Ensembleszenen, allen voran die, in der Ben Rufin und<br />
Sophie Blümel als Eltern zu sehen sind, die auf die Verlobung<br />
des Sohnes (Fin Holzwarth) <strong>mit</strong> seiner Freundin<br />
(Katharina Lochmann) hoffen, aber stattdessen erfahren,<br />
dass sie sich trennen möchten. Hier sieht man, wie großartig<br />
diese vier Darsteller:innen als Ensemble <strong>mit</strong>einander<br />
harmonieren. Ein weiterer Höhepunkt ist der Singles-<br />
Workshop, wo ein verrückter Mann den Teilnehmern<br />
Tipps geben soll. Hier kann vor allem Ben Rufin <strong>mit</strong> seiner<br />
komödiantischen Ader punkten.<br />
Unter der Regie von Rita Sereinig wird dieses humorvolle<br />
<strong>Musical</strong>juwel <strong>mit</strong> wenig Aufwand in Szene gesetzt,<br />
dennoch funktioniert es, denn die Pointen sind alle an den<br />
richtigen Stellen, und trotz der teilweise kurzen Szenen geht<br />
es niemals zu schnell, was bei diesem Stück leicht passieren<br />
könnte. Das Bühnenbild besteht primär aus schwarzen<br />
Hockern, die ganz unterschiedlich verwendet werden.<br />
Außerdem ist es der Regisseurin gelungen, einige Choreographien<br />
einzubauen, die sehr gut funktionieren, wie etwa<br />
bei dem Song über das erste Date oder bei der Titelnummer.<br />
Des Weiteren ist die Verwendung von Taschenlampen<br />
beim Prolog und beim Epilog besonders eindrucksvoll und<br />
effektiv.<br />
Die musikalische Leitung hat Walter Lochmann inne.<br />
Er ist am Klavier zu hören und schafft es, gemeinsam <strong>mit</strong><br />
Katharina Cerny an der Geige, diesem Stück einen intimen<br />
Klang zu geben, der ideal ist.<br />
Alexander Kuchinkas Übersetzung funktioniert meistens<br />
einwandfrei, auch wenn es komisch klingt, wenn »Ich<br />
bin ein Girl« gesungen wird, oder dass die Namen der<br />
Figuren nicht geändert wurden. Außerdem wurde auch der<br />
Titel der Titelnummer nicht übersetzt, aber das stört nicht<br />
allzu sehr. Trotzdem ist das Stück auch in dieser Übersetzung<br />
besonders humorvoll, was ja nicht immer der Fall ist.<br />
In einer Stadt wie Wien, die eigentlich für ihre großen<br />
<strong>Musical</strong>s bekannt ist, sind kleinere <strong>Musical</strong>produktionen<br />
eine Seltenheit. Es ist also schön zu sehen, dass<br />
es doch noch mutige Theatermacher gibt, die sich auch<br />
abseits der großen Bühnen trauen, etwas auf die Beine<br />
zu stellen. Schade, dass es nur drei Vorstellungen waren.<br />
Ludovico Lucchesi Palli<br />
54<br />
blickpunkt musical <strong>06</strong>/20<strong>23</strong>
<strong>Musical</strong>s in Österreich<br />
Auf der Suche nach der Muse<br />
Szenische Lesung von »Jenseits der Masken« in Wien<br />
Es ist ein langer Weg, bis ein <strong>Musical</strong> das Licht der<br />
Welt erblickt. Aus ersten Ideen werden einzelne<br />
Textzeilen, dann ganze Songs. Nach Screenings vor<br />
einem Testpublikum und Überarbeitungen folgt dann<br />
erst die Uraufführung. Rory Six, belgischer <strong>Musical</strong>darsteller<br />
und Komponist, geht gerade diesen Weg. Für<br />
sein neuestes <strong>Musical</strong> hat er am 19. September 20<strong>23</strong> im<br />
Wiener Vindobona zu einer szenischen und musikalischen<br />
Lesung Publikum zugelassen.<br />
Österreich um 1850: Der Kunststudent Josef<br />
bricht nach drei Jahren sein Studium an der Wiener<br />
Akademie der Künste ab und kehrt frustriert in sein<br />
Elternhaus zurück, wo er nicht von allen <strong>mit</strong> offenen<br />
Armen empfangen wird. Seine hochtrabenden<br />
künstlerischen Träume und Visionen prallen auf<br />
familiäre und gesellschaftliche Hindernisse. Das ist<br />
die Ausgangslage des brandneuen <strong>Musical</strong>s »Jenseits<br />
der Masken« aus der Feder von Rory Six. Der Komponist<br />
sitzt bei dieser Vorführung selbst am Klavier<br />
und begleitet den Sänger und die drei Sängerinnen.<br />
Für diesen Abend hat er <strong>mit</strong> ihnen eine Woche lang<br />
geprobt, neue Songs hinzugefügt, die ursprünglichen<br />
Texte umgeschrieben und auch viele Passagen aus der<br />
ersten Version gestrichen. Ohne Kostüme und Bühnenbild<br />
präsentieren die Darsteller:innen die neuen<br />
emotionalen Songs, die teilweise sehr poetische Texte<br />
aufweisen. Eine kleine visuelle Unterstützung gibt es<br />
fürs Publikum – schwarz-weiße Projektionen helfen<br />
dabei, sich die Wohnstube der Familie, den Laden<br />
oder Josefs Zimmer vorzustellen. Schon <strong>mit</strong> »Wenn<br />
Rosenblätter fallen« bewies Six erfolgreich, dass ihm<br />
besonders Familiendramen liegen.<br />
Auch das neue Stück lässt sich in dieses Genre<br />
einordnen. Mutter Theresa versteht nichts von Kunst<br />
und möchte, dass ihr Sohn wieder im Familiengeschäft<br />
Masken an die zahlende Kundschaft verkauft. Mutter<br />
und Sohn geraten oft aneinander, da das Studium viel<br />
Geld gekostet und der Spross <strong>mit</strong> seiner unerwarteten<br />
Rückkehr Schande über die Familie gebracht hat. Josef<br />
hingegen ist verzweifelt, weil sein Kunstverständnis<br />
und das der Kunstakademie in Wien nicht zusammenpassen.<br />
Er malt lieber <strong>mit</strong> dem Herzen als nach den<br />
Regeln. Zwischen ihm und seiner Mutter stehen seine<br />
Schwester Marie und die Tante, die versuchen, die<br />
Wogen zu glätten. Marie glaubt fest daran, dass Josef<br />
seine Muse noch treffen wird. Doch alle drei machen<br />
sich Sorgen, sind hilflos und können nur daneben stehen.<br />
Der Einzige, der den Sohn wirklich versteht, ist<br />
Vater Josef, was beim Song ›Pa‹ deutlich zum Ausdruck<br />
kommt. Der Vater ist aber Alkoholiker, sagt gar nichts<br />
mehr und wird im Verlauf des Stückes von reichen<br />
Bewohnern des Ortes getötet. Hier wird er von einem<br />
Stuhl <strong>mit</strong> Jackett dargestellt.<br />
Florian Peters singt den Part der Hauptfigur <strong>mit</strong><br />
sehr viel Herzblut und Emotionen. Der Zuschauer<br />
spürt Josefs Verzweiflung und seine Wut auf die Bourgeoisie.<br />
Peters transportiert die Gefühle des jungen<br />
Künstlers durch seine klare Stimme und haucht der<br />
Figur auch ohne Kostüm und Requisite viel Leben ein.<br />
Ihm gelingt es, das Publikum auf Josefs Suche nach<br />
sich selbst und seiner eigenen Position <strong>mit</strong>zunehmen.<br />
Auch Katja Berg schafft es ohne Probleme, den Zwiespalt,<br />
in dem die Mutter sich befindet, darzustellen.<br />
Einerseits gefühlvoll steht ihr liebevolles Mutterherz<br />
für einen Moment still, andererseits sieht sie sich<br />
gezwungen, ihren Sohn aus dem Haus zu schmeißen,<br />
als dieser ihr vorwirft, sie habe ihren Ehemann in den<br />
Tod getrieben. Amelie Polak besticht durch ihre starke<br />
Stimme und ihre Wandelbarkeit in ihren Rollen als<br />
Schwester und Muse. Stimmlich ebenfalls tadellos<br />
komplettiert Bettina Bogdany als Tante das Quartett<br />
<strong>mit</strong> ihrer tollen Mimik, ihrem Charme und einer Portion<br />
Witz. Die drei Sängerinnen schlüpfen im Verlauf<br />
des Abends auch in andere Rollen wie z.B. Freunde<br />
von Josef, Professoren an der Kunstuniversität oder<br />
Modelle, die Josef malt.<br />
Die Arbeit am Stück ist noch lange nicht getan. Die<br />
Besucher wurden gebeten, einen Fragebogen auszufüllen,<br />
so erhofft sich Rory Six, das Stück noch weiter verbessern<br />
zu können. Wir sind gespannt, ob das <strong>Musical</strong><br />
auch als Vollversion zu sehen sein wird – das Potenzial<br />
dazu ist da.<br />
Mina Piston<br />
Abb. oben von links:<br />
1. Bruder (Florian Peters) und<br />
Schwester (Amelie Polak) träumen<br />
von der Liebe und der Muse<br />
2. Katja Berg schlüpft neben der<br />
Mutter auch in diverse andere<br />
Rollen wie hier in einen Professor<br />
der Wiener Kunstakademie<br />
Abb. unten:<br />
Komponist und Texter Rory Six<br />
am Klavier<br />
Fotos (3): Tanja Schwind /<br />
ts. Pictureworld<br />
Jenseits der Masken<br />
Rory Six<br />
Theatercouch Wien<br />
Vindobona<br />
Szenische Lesung:<br />
19. September 20<strong>23</strong><br />
Josef ............................... Florian Peters<br />
Mutter Theresa .................... Katja Berg<br />
Tante ......................... Bettina Bogdany<br />
Schwester Marie ............. Amelie Polak<br />
Klavier ................................... Rory Six<br />
Jilly .................. Tanja Marie Rathbauer<br />
blickpunkt musical <strong>06</strong>/20<strong>23</strong><br />
55
<strong>Musical</strong>s in Europa<br />
Eine turbulente Hochzeit<br />
Uraufführung »Pferd frisst Hut« am Theater Basel<br />
Abb. oben:<br />
Der Florentinerhut wurde von<br />
Fadinard (Christopher Nell, oben)<br />
und (v.l.): Emile Tavernier (Florian<br />
Anderer), Beauperthuis (Raphael<br />
Clamer), Maurice (Jonathan Fink),<br />
Felix (Julius Engelbach), Nonancourt<br />
(Hubert Wild), Clara (Sarah<br />
Bauerett), Hélène (Cécilia Roumi),<br />
Bobin (Jasmin Etezadzadeh),<br />
Virginie (Emily Dilewski), Vezinet<br />
(Gottfried Breitfuss), Anais (Nanny<br />
Friebel, r.) gefunden<br />
Foto: Thomas Aurin<br />
In Bochum lernten sich vor der Corona-Pandemie<br />
2020 der Regisseur Herbert Fritsch und Herbert<br />
Grönemeyer bei der Zusammenarbeit für das Stück<br />
»Herbert« kennen. Im Mittelpunkt des Stücks stehen<br />
die Texte und Musik von Herbert Grönemeyer, die<br />
Herbert Fritsch etwas verfremdet. Das Werk kam am<br />
Schauspielhaus Bochum nie zur Aufführung, da vier<br />
Tage vor der Premiere wegen des ersten Lockdowns<br />
die Theater geschlossen wurden. Herbert Grönemeyer<br />
arbeitete in den 1970er Jahren als Theatermusiker und<br />
Schauspieler am Schauspielhaus Bochum, bis ihm 1984<br />
<strong>mit</strong> dem Album »4630 Bochum« der Durchbruch als<br />
Solokünstler gelang.<br />
Als das Theater Basel auf Herbert Grönemeyer und<br />
Herbert Fritsch zukam <strong>mit</strong> der Anfrage, ob sie nicht<br />
zusammen ein Stück entwickeln wollten, entstand die<br />
Idee für das Stück »Pferd frisst Hut«. Die Grundlage<br />
dafür ist das Vaudeville-Stück »Ein Florentinerhut«<br />
von Eugène Labiche (1815-1888), welches 1851 Premiere<br />
feierte. Diese erfolgreiche Boulevardkomödie des<br />
französischen Autors wurde von Theatern adaptiert,<br />
neuinszeniert sowie verfilmt.<br />
Für die Neuinszenierung von Herbert Fritsch am<br />
Theater Basel bearbeitete Sabrina Zwach den Text.<br />
Die Uraufführung fand am 4. November 20<strong>23</strong> statt<br />
und ist eine Koproduktion <strong>mit</strong> der Komischen Oper<br />
Berlin in Kooperation <strong>mit</strong> der Ruhrtriennale. Herbert<br />
Grönemeyer komponierte die Musik für das Ensemble<br />
aus Schauspielern, Opernsängern, Chor und Orchester.<br />
Zudem schrieb er die mal hintersinnigen, mal lustigen<br />
Liedtexte. Die Musik ist ein gelungener Mix aus Oper,<br />
Broadway- und Popballaden im Stil von Grönemeyer<br />
ohne Schlagzeug, die von Thomas Meadowcroft bestens<br />
für das Sinfonieorchester Basel arrangiert wurden.<br />
Mit flotten, opulenten Rhythmen, durchsetzt<br />
<strong>mit</strong> träumerischen Melodien, stimmt die Ouvertüre,<br />
gespielt vom großartigen Sinfonieorchester unter der<br />
hervorragenden musikalischen Leitung von Thomas<br />
Wise, auf die musikalische Komödie ein. Das Orchester<br />
musiziert im Orchestergraben. Die Melodien erinnern<br />
an Filmmelodien der 1930er Jahre. Langsam hebt<br />
sich der rote Vorhang im Theater Basel, gibt den Blick<br />
frei auf ein blau und weiss gemustertes Pferd, das über<br />
den gelben Bühnenboden zu den Klängen der Musik<br />
taumelt. Im Bühnenhintergrund befindet sich eine<br />
gelbe Treppe, die zu einer bunten Drehtür führt. In die<br />
linke grüne und rechte rote Bühnenwand sind mehrere<br />
farbige Türen eingelassen (Bühnenbild: Herbert<br />
Fritsch).<br />
Fadinard, der Herr des Hauses, kommt am Morgen<br />
seines Hochzeittages vom Ausritt nach Hause. Er<br />
erzählt dem eben erschienenen tauben Onkel der Braut<br />
vom Missgeschick auf seinem Ausritt: Sein Pferd riss<br />
aus, als er abstieg, um die Reitpeitsche aufzuheben. Er<br />
fand es im Wald, einen Florentinerhut fressend, der<br />
einer Dame gehörte, die gerade <strong>mit</strong> einem Polizisten<br />
ein Techtelmechtel hatte.<br />
Als Fadinard (Christopher Nell) von seiner Braut<br />
schwärmt (›Von Hélènes Schönheit‹), stürmt ein Mann<br />
in Uniform in Begleitung einer Frau auf die Bühne.<br />
Der Fremde reißt wütend alle Türen auf, will den verblüfften<br />
Fadinard sprechen. Dazu kommt es nicht, da<br />
sich das junge Paar vor dem hereinplatzenden, festlich<br />
gekleideten Schwiegervater Fadinards und Hélène<br />
im Brautkleid hinter einer Tür verstecken muss. Die<br />
vielen Türen sind ein wichtiges Element in der temporeichen<br />
Inszenierung von Herbert Fritsch. Hinter<br />
diesen Türen erscheint singend der Chor, verstecken<br />
sich unerwünschte Gäste, werden Leute vergebens<br />
gesucht, gegen diese Türen wird gelaufen, sie werden<br />
56<br />
blickpunkt musical <strong>06</strong>/20<strong>23</strong>
<strong>Musical</strong>s in Europa<br />
vor den Kopf geschlagen, ständig sind die vielen Türen<br />
in Bewegung. Zugleich wird über die Treppenstufen<br />
gestolpert, gestürzt, so<strong>mit</strong> ein grandioser Bühnenauftritt<br />
ins Absurde geführt.<br />
Sturzbetrunken sinkt Hélène in die Arme ihres<br />
Bräutigams, der sie stützt und gleichzeitig begehrt. Mit<br />
großer Stimme interpretiert Cécilia Roumi in der Rolle<br />
der betrunkenen Braut die Popballade ›Lied vom Kater‹.<br />
Fadinards etwas trotteliger Schwiegervater Nonancourt<br />
(Hubert Wild) leidet unter Minderwertigkeitskomplexen,<br />
da er vom Land kommt, wie er im badischen Dialekt<br />
erklärt. Mit seinem Song im Walzertakt ›Taxilied‹ drängt<br />
er das Brautpaar zur Fahrt auf das Standesamt. Plötzlich<br />
erscheint das junge Paar aus dem Wald auf der Bühne.<br />
Anais de Beauperthuis (Nanny Friebel) und ihr Liebhaber<br />
Emile Tavernier (Florian Anderer) haben große Angst<br />
vor dem eifersüchtigen Ehemann von Anais, deshalb<br />
muss Fadinard sofort einen gleichen Ersatzhut besorgen,<br />
da<strong>mit</strong> der rachsüchtige Ehemann keinen Verdacht<br />
schöpft. ›Eifersuchtstrio‹: Mit vor Angst schlotternden<br />
Beinen singen Anais, Fadinard und Tavernier über die<br />
Eifersucht.<br />
Das temporeiche Stück lebt von den skurrilen<br />
Haupt- und Nebenrollen, die durch die Schauspieler<br />
und Sänger <strong>mit</strong> übertriebener Gestik und Mimik, Slapstick,<br />
Artistik und Pantomime bestens dargestellt werden.<br />
Herausragend ist Christopher Nell als Fadinard.<br />
Er ist fast in jeder Szene auf der Bühne präsent, eilt<br />
perfekt singend, tanzend, schauspielernd von Ort zu<br />
Ort auf der Jagd nach dem Hut, selbst gejagt von der<br />
Hochzeitsgesellschaft.<br />
›Los los los‹: Mit großer Stimme singt Sarah Bauerett<br />
in der Rolle der attraktiven Hutmacherin Clara,<br />
begleitet von Damen des Chors, in einer eindrücklichen<br />
Showszene über ihren Geschäftserfolg. Der herbeieilende<br />
Fadinard erhofft sich hier einen Ersatzhut.<br />
Doch Clara erkennt in ihm einen verflossenen Geliebten,<br />
der sich vor langer Zeit ohne ein Abschiedswort<br />
aus dem Staub gemacht hat (›Im Hutladen‹). Die Hochzeitsgesellschaft<br />
verfolgt Fadinard in den Hutladen<br />
und glaubt auf dem Standesamt zu sein. Rasch stellt<br />
Fadinard Clara seinem Schwiegervater als Cousine<br />
vor. Fadinard verschwindet, da er von Clara erfuhr,<br />
dass das letzte Exemplar des Florentinerhuts an zwei<br />
Baroninnen verkauft wurde. Der Braut ist übel, sie hat<br />
Durst, der Schwiegervater klagt über die zu kleinen<br />
Lackschuhe. Bobin (Jasmin Etezadzadeh), der Cousin<br />
der Braut, glaubt sich für einen kurzen Moment<br />
am Ziel seiner Träume, begehrt er doch die Braut seit<br />
Kindheitstagen. ›Von Bobins kurzem Triumph‹: Mit<br />
grandioser Stimme interpretiert die Mezzosopranistin<br />
Jasmin Etezadzadeh eindrücklich die Arie. Währenddessen<br />
liegt die Braut schlafend auf dem Boden und<br />
ihr Bräutigam ist auf der Jagd nach dem Hut. Verfolgt<br />
Pferd frisst Hut<br />
Herbert Grönemeyer / Sabrina Zwach<br />
Koproduktion <strong>mit</strong> der<br />
Komischen Oper Berlin<br />
In Kooperation <strong>mit</strong> der Ruhrtriennale<br />
Theater Basel<br />
Uraufführung: 4. November 20<strong>23</strong><br />
Regie & Bühnenbild .... Herbert Fritsch<br />
Musikalische Leitung ............................<br />
......................................Thomas Wise &<br />
.................................Christian Rombach<br />
Chorleitung ................... Michael Clark<br />
Arrangements ......................................<br />
Thomas Meadowcroft<br />
Kostüme ................... Geraldine Arnold<br />
Lichtdesign ........... Cornelius Hunziker<br />
Fadinard .................... Christopher Nell<br />
Nonancourt .................... Hubert Wild<br />
Emile Tavernier .......... Florian Anderer<br />
Vezinet .................. Gottfried Breitfuss<br />
Tardiveau / Beauperthuis .....................<br />
Raphael Clamer<br />
Clara ............................ Sarah Bauerett<br />
Baroninnen von Champigny ................<br />
Florian Anderer &<br />
Gottfried Breitfuss<br />
Bobin ................... Jasmin Etezadzadeh<br />
Anais ............................ Nanny Friebel<br />
Felix .......................... Julius Engelbach<br />
Maurice ........................ Jonathan Fink<br />
Hélène .......................... Cécilia Roumi<br />
Virginie ........................ Emily Dilewski<br />
Chor des Theater Basel<br />
Abb. von links oben:<br />
1. ›Von Bobins kurzem Triumph‹ –<br />
(v.l.): Bobin (Jasmin Etezadzadeh),<br />
Hélène (Cécilia Roumi), Fadinard<br />
(Christopher Nell)<br />
2. ›Von der Ehe‹ – Vezinet<br />
(Gottfried Breitfuss, 4.v.l.),<br />
Hélène (Cécilia Roumi, Mitte l.),<br />
Fadinard (Christopher Nell, Mitte r.),<br />
Nonancourt (Hubert Wild, 2.v.r.),<br />
Bobin (Jasmin Etezadzadeh, r.),<br />
Hochzeitsgesellschaft (Chor)<br />
3. Der eifersüchtige Beauperthuis<br />
(Raphael Clamer) und Virginie<br />
(Emily Dilewski)<br />
Fotos (3): Thomas Aurin<br />
blickpunkt musical <strong>06</strong>/20<strong>23</strong><br />
57
<strong>Musical</strong>s in Europa<br />
Abb. unten von oben links:<br />
1. ›Von der Erschöpfung‹ – Nonancourt<br />
(Hubert Wild, l.), Hélène<br />
(Cécilia Roumi, Mitte),<br />
Bobin (Jasmin Etezadzadeh, r.),<br />
Hochzeitsgäste (Chor)<br />
2. Das Pferd von Fadinard (Ensemble)<br />
3. ›Von der Ehe‹ – (v.l.): Beauperthuis<br />
(Raphel Clamer), Felix (Julius<br />
Engelbach), Maurice (Jonathan<br />
Fink), Fadinard (Christopher Nell),<br />
Clara (Sarah Bauerett), Nonancourt<br />
(Hubert Wild), Hélène (Cécilia<br />
Roumi), Bobin (Jasmin Etezadzadeh),<br />
Virginie (Emily Dilewski),<br />
Vezinet (Gottfried Breitfuss),<br />
Anais (Nanny Friebel)<br />
4. ›Lied vom Kater‹ – Hélène (Cécilia<br />
Roumi, l.), Fadinard (Christopher<br />
Nell, r.), Emile Tavernier (Florian<br />
Anderer, hinten)<br />
Fotos (4): Thomas Aurin<br />
von der Hochzeitsgesellschaft (Chor und Ensemble)<br />
trifft Fadinard im Haus der Baroninnen ein, die auf<br />
einen italienischen Startenor warten, für den sie ein<br />
Buffet ausgerichtet haben. Im Finale des 1. Aktes<br />
mimt Fadinard den Startenor, um endlich den Hut<br />
zu erhalten, gleichzeitig plündert die Hochzeitsgesellschaft<br />
das Buffet. Der Hut ist nicht da, er wurde von<br />
den Baroninnen an deren Patentochter verschenkt. Die<br />
Inszenierung hat vor allem im 1. Akt Längen, wodurch<br />
die Spannung nachlässt.<br />
Schwungvoll stimmt die kurze Ouvertüre das<br />
Theaterpublikum auf den 2. Akt ein. Eine Badewanne<br />
steht auf der in gelbes Licht getauchten Bühne. Ein<br />
eifersüchtiger Mann, bekleidet <strong>mit</strong> Badehose, Badekappe<br />
und Taucherbrille sitzt in der Wanne. Beauperthuis<br />
(Raphael Clamer) vermisst seine Frau Anais,<br />
die vor 12 Stunden das Haus verlassen hat, um schwedische<br />
Wildlederhandschuhe zu kaufen. Nichtsahnend<br />
kommt der gehetzte Fadinard zu Beauperthuis, verlangt<br />
ungeduldig den Hut, erzählt dem Eifersüchtigen<br />
die Ereignisse im Wald von dem Liebespaar, das sich<br />
jetzt in Fadinards Wohnung versteckt. Wütend auf<br />
Rache sinnend eilt Beauperthuis zur Wohnung von<br />
Fadinard. Die Hochzeitsgesellschaft wartet ebenfalls<br />
dort. Die Braut ist müde, ihr ist schlecht, sie sucht<br />
ihren Mann (›Von der Erschöpfung‹). Hier erfährt<br />
der Schwiegervater vom Diener, dass sich eine fremde<br />
Frau in der Wohnung aufhält, und will Fadinard zur<br />
Rede stellen. Außerdem verlangt er die Herausgabe der<br />
Hochzeitsgeschenke. Unter den Geschenken wird ein<br />
Florentinerhut entdeckt. Dieser ist die Rettung für die<br />
Ehre von Anais vor dem eifersüchtigen Gatten. ›Von<br />
der Ehe‹ (Finale): In der üppigen Chor- und Ensembleszene<br />
finden die Paare zueinander. Alle sind glückselig,<br />
bis Clara erscheint und ein heftiger Streit zwischen der<br />
ehemaligen Geliebten Fadinards und Hélène ausbricht,<br />
der in einem riesigen Tumult auf der Bühne endet.<br />
Die Musikalische Komödie »Pferd frisst Hut« ist ein<br />
herrlicher Klamauk unter der ideenreichen Regie von<br />
Herbert Fritsch, bei dem man Herbert Grönemeyer als<br />
vielseitigen Theaterkomponisten kennenlernen kann.<br />
Martina Friedrich<br />
58<br />
blickpunkt musical <strong>06</strong>/20<strong>23</strong>
<strong>Musical</strong>s in Europa<br />
Lebe deine Träume<br />
»tick, tick… BOOM!« Schweizer Erstaufführung in Zürich<br />
Vor dem roten Bühnenvorhang am Piano sitzend begrüßt<br />
Jon <strong>mit</strong> einem »Hi!« das Theaterpublikum. Zugleich hört<br />
man das Ticken einer unsichtbaren Uhr, die das rasche Vergehen<br />
der Zeit bis zu Jons 30. Geburtstag symbolisiert. Jon hat<br />
Angst vor diesem Geburtstag, da er einen Wendepunkt in seinem<br />
Leben darstellt, das Ende der Jugend. Zudem verfolgt er<br />
das ehrgeizige Ziel, vor diesem Geburtstag den Durchbruch<br />
als <strong>Musical</strong>komponist zu feiern, schreibt er doch schon seit<br />
fünf Jahren an dem <strong>Musical</strong> »Superbia«. Dieses Werk soll in<br />
wenigen Tagen in einem Workshop dem Publikum in New<br />
York präsentiert werden. Stephen Sondheim ist das große<br />
Vorbild von Jon, seine Agentin hat den namhaften Komponisten<br />
zur Präsentation von »Superbia« eingeladen. Wird er<br />
kommen? Zudem hat Jon Beziehungsprobleme <strong>mit</strong> seiner<br />
Freundin Susan. Sie erwartet eine Entscheidung über den<br />
zukünftigen gemeinsamen Wohnort, da sie ein Jobangebot<br />
erhalten hat. Sie ist zermürbt vom stressigen Leben in New<br />
York und sieht in der lukrativen Festanstellung am Meer eine<br />
große berufliche Chance für sich. Doch Jon drückt sich vor<br />
der Entscheidung, obwohl er weiß, dass er als Komponist nur<br />
in New York berufliche Chancen hat. Schließlich trennt sich<br />
Susan von ihm, um ihre eigenen Träume zu erfüllen.<br />
Michael, Jons homosexueller Freund seit Kindertagen, ist<br />
aus der gemeinsamem WG ausgezogen, da er einen lukrativen<br />
Job in der Marktforschung gefunden hat. Zuvor arbeitete er<br />
als Schauspieler. Dagegen hält sich Jon <strong>mit</strong> einem schlecht<br />
bezahlten Job als Kellner knapp über Wasser und beneidet<br />
Michael um seinen neuen Wohlstand. Diese Tatsachen vertiefen<br />
die Selbstzweifel von Jon. In Monologen und Songs<br />
zu Rock- und Popmusik erzählen die drei Protagonisten<br />
Jon (Jendrik Sigwart), Susan (Jessica Trocha) und Michael<br />
(Vikrant Subramanian) von ihren Gefühlen, Träumen,<br />
weitreichenden Entscheidungen. Alle Drei verstehen es ausgezeichnet,<br />
<strong>mit</strong> ihrem intensiven Schauspiel, Gesang und Tanz<br />
das Publikum in den lebendigen Alltag, die Beziehungen und<br />
Gedanken ihrer Figuren eintauchen zu lassen.<br />
Spannend ist es <strong>mit</strong>zuerleben, wie Jon unter einer Schreib-<br />
blockade leidet, die sich erst durch die Trennung von seiner<br />
Freundin löst, da er es im emotionalen Notstand schafft,<br />
einen wichtigen <strong>Musical</strong>song zu vollenden. Ebenso berührend<br />
ist seine Trauer um den baldigen Verlust des an HIV<br />
erkrankten Freundes Michael. Zugleich versucht Michael sich<br />
<strong>mit</strong> Lebensmut gegen die tiefgreifende Diagnose zu stellen,<br />
genießt <strong>mit</strong> Jon auf einer Autotour das Nachtleben von New<br />
York. Das Publikum verfolgt die Fahrt <strong>mit</strong>tels Videoprojektionen<br />
(Markus Ludstock) von New Yorker Straßenszenen,<br />
die auf einer halbtransparenten Leinwand, die die Bühnenrückwand<br />
bedeckt, gezeigt werden. Je nach Szene erkennt<br />
man schemenhaft die Musiker:innen der Band, die hinter dieser<br />
Leinwand leidenschaftlich musizieren. Das Bühnenbild<br />
besteht aus dunklen Podesten in verschieden Größen, die sich<br />
<strong>mit</strong> wenigen Requisiten, wie zum Beispiel einem Bücherregal,<br />
Tisch und zwei Stühlen, in eine Wohnung, ein Restaurant<br />
oder eine Probebühne verwandeln lassen (Bühnenbild: Gabor<br />
Nemeth, Simon Schmidmeister, Julie Steen Nielsen). Die<br />
Kostüme von Julie Steen Nielsen zeigen die Mode der 1990er<br />
Jahre, der Entstehungszeit des autobiographischen Werks<br />
von Jonathan Larson, dem Autor des erfolgreichen <strong>Musical</strong>s<br />
»Rent«. Tragischerweise erlebte Jonathan Larson (4. Februar<br />
1960 – 25. Januar 1996) den Erfolg von »Rent« nicht mehr, da<br />
er am Tag der Premiere an den Folgen eines Aneurysmas verstarb.<br />
Die neue deutsche Fassung von Timothy Roller (2022)<br />
von »tick, tick… BOOM!« ist die erste <strong>Musical</strong>-Produktion<br />
von studio beyeler, einem Team von Nachwuchstalenten und<br />
jungen Kulturschaffenden. Das junge Team hat das Ziel, eine<br />
ungewöhnlichere Art von <strong>Musical</strong>s in Zürich zu etablieren.<br />
Mit der ersten Produktion wollen sie zeigen, dass das Genre<br />
<strong>Musical</strong> tiefgründig, politisch relevant und fernab vom klassischen<br />
Happy End sein kann. Das gelingt dem Team, da<br />
die ehrliche, energiegeladene, einfühlsame Inszenierung von<br />
Livio Beyeler vom begeisterten Theaterpublikum im Theater<br />
am Hechtplatz <strong>mit</strong> Standing Ovations gefeiert wird.<br />
Martina Friedrich<br />
Abb. oben:<br />
Jon (Jendrik Sigwart, Mitte) erzählt<br />
Susan (Jessica Trocha, r.) und<br />
Michael (Vikrant Subramanian, l.)<br />
von seinen künstlerischen Träumen<br />
Foto: Tanja Dorendorf / T+T Fotografie<br />
tick, tick... BOOM!<br />
Jonathan Larson<br />
Deutsch von Timothy Roller<br />
Koproduktion <strong>mit</strong> studio beyeler<br />
Zürich<br />
Theater am Hechtplatz<br />
Schweizer Erstaufführung:<br />
28. September 20<strong>23</strong><br />
Regie........... ................... Livio Beyeler<br />
Musik. Leitung ......Angelo Canonico &<br />
Elia Aregger<br />
Choreographie .... Isabelle Flachsmann<br />
Kostüme & Bühnenbild ........................<br />
Julie Steen Nielsen<br />
Bühnenbild & Lichtdesign ....................<br />
Simon Schmidmeister<br />
Bühnenbild & Requisiten .....................<br />
Gabor Nemeth<br />
Videogestaltung....... Markus Ludstock<br />
Susan ............................ Jessica Trocha<br />
Jon .............................. Jendrik Sigwart<br />
Michael ............. Vikrant Subramanian<br />
blickpunkt musical <strong>06</strong>/20<strong>23</strong><br />
59
Mit Unterstützung von sound of music<br />
Einspielungen<br />
Einspielungen<br />
zusammengestellt von Sabine Haydn, Ludovico Lucchesi Palli & Merit Murray<br />
Back to the Future<br />
Original London Cast 2021<br />
Deluxe-Double-CD<br />
»Back to the Future« ist seit 2021 einer der großen Hits<br />
am Londoner West End und seit 20<strong>23</strong> auch am Broadway,<br />
wo es <strong>mit</strong> über einer Million Dollar Einnahmen<br />
pro Woche zu den Kassenschlagern zählt.<br />
Nun hat man in London eine Deluxe-Version herausgebracht,<br />
die neben dem originalen Cast-Album (vergl.<br />
blimu 01/20<strong>23</strong>) auch die Demo-Aufnahmen von Mitschöpfer<br />
Glenn Ballard enthält. Diese gewähren einen<br />
interessanten Einblick in die Komponistenwerkstatt,<br />
wo man die ursprüngliche Vision kennenlernt. So<br />
zeigt sich bei Martys erstem Song ›It´s Only a Matter<br />
of Time‹, wie viel mehr Drive er in der Show hat, und<br />
das die übersprudelnde Energie auf der Bühne eine der<br />
großen Pluspunkte der Show ist. Im Gegensatz dazu<br />
ist die Version des schönen Duetts ›Wherever We´re<br />
Going‹ in der Show bzw. der Cast-CD deutlich lyrischer,<br />
ohne bombastisches Finale <strong>mit</strong> Background-Sängern<br />
und eingefügten hohen Tönen, und das bekommt der<br />
Nummer deutlich besser – schließlich ist Jennifer keine<br />
Diva, sondern ein junges Mädchen. Bei ›Hello, Is Anybody<br />
Home?‹ kann man sehen, wie sich der Charakter<br />
einer Rolle weiterentwickeln kann von der eher ruhigen<br />
Version in der Demo zu dem leicht hysterischen Rufen,<br />
das George McFly in der Show sofort als etwas trottelig<br />
kennzeichnet.<br />
›It Works‹ ist in der Demo-Version noch ein einfacher<br />
Song <strong>mit</strong> Hintergrundchor. Im Vergleich dazu ist in der<br />
fertigen Show eine gute Portion der Selbstironie hinzugekommen,<br />
die die Show so liebenswert macht, wenn<br />
Marty beim ersten Einsatz der Backgroundsänger:innen<br />
fragt: »Who are they?« und Doc antwortet: »I don´t<br />
know, they just show up everytime I start singing«. Es<br />
sind Momente wie diese, wo aus einem ganz netten<br />
Song in der Demo ein komödiantisches Feuerwerk auf<br />
der Bühne wird, natürlich auch durch Roger Bart. So ist<br />
›For the Dreamers‹ in der Showversion ungleich beeindruckender,<br />
weil die weichere Instrumentierung und der<br />
leisere Gesang eine intimere Stimmung schaffen. Der<br />
Song zeigt auch, wie sich die Interpretation eines Sängers<br />
<strong>mit</strong> der Zeit weiter verändert: In der Show Anfang 20<strong>23</strong><br />
in London legte er den Song noch weit intimer und<br />
introspektiver (und auch langsamer) an, und ihm gelang<br />
gerade deswegen in einer Show, die sonst vor Energie<br />
strotzt, der emotionale Höhepunkt des Abends.<br />
Die Deluxe-Version ist ein interessanter Einblick, der<br />
deutlich zeigt, wie aus der Rohversion eines Stücks<br />
vor allem durch die Umsetzung auf der Bühne <strong>mit</strong><br />
ganz anderer Dynamik und natürlich hervorragenden<br />
Sängern etwas erwachsen kann, was auf einem ganz<br />
anderen Level funktioniert. Gerade diese Show, die von<br />
ihrem Gesamtpaket aus Musik, Texten und Bühnenspektakel<br />
lebt, profitiert wahnsinnig von der szenischen<br />
Umsetzung – aus gutem Rohmaterial <strong>mit</strong> Luft nach<br />
oben wurde ein veritabler Hit, der auf der Bühne einfach<br />
nur Spaß macht. Da die Version kaum teurer ist als die<br />
Originalaufnahme, lohnt es sich allemal, denn hier kann<br />
man viel über die Entstehung eines <strong>Musical</strong>s lernen.<br />
MM<br />
CD 1: 26 Titel, 73 min 58 sec<br />
CD 2: 13 Titel, 46 min 59 sec<br />
Doppel-Jewel-CD-Case <strong>mit</strong> 40-seitigem<br />
Booklet <strong>mit</strong> allen Beteiligten,<br />
Produktionsfotos und Hintergrundinformationen<br />
zu den Songs und<br />
der Entstehung des <strong>Musical</strong>s<br />
A Collective Cy: Jeff Harnar Sings<br />
Cy Coleman<br />
Solo-Album von Jeff Harnar<br />
Nach dem Erfolg des Vorgängeralbums »I Know<br />
Things Now: My Life in Sondheim´s Words«, das<br />
sich ausschließlich Sondheim-Titeln widmete,<br />
meldet sich Jeff Harnar <strong>mit</strong> einem neuen Album<br />
zurück. Dieses trägt den Titel »A Collective Cy:<br />
Jeff Harnar Sings Cy Coleman« und widmet sich<br />
dem Komponisten, der u. a. für Stücke wie »Sweet<br />
Charity« oder »City of Angels« bekannt ist. Aber<br />
Cy Coleman war viel mehr als das und dieses<br />
Album ist der Beweis dafür, denn neben ›My Personal<br />
Property‹, einer gekürzten Version von ›If My<br />
Friends Could See Me Now‹ als Abschlussnummer<br />
und ›With Every Breath I Take‹ sind auch weniger<br />
bekannte Titel und Jazznummern zu hören, die gar<br />
nicht aus <strong>Musical</strong>s stammen. Neben den bereits<br />
erwähnten Titeln gehören das Duett <strong>mit</strong> Liz Callaway<br />
›Our Private World‹ aus dem Stück »On the<br />
20th Century« oder das charmante ›Some Kind of<br />
Music‹ (<strong>mit</strong> einem Text von Carolyn Leigh) und die<br />
berühmte Jazznummer ›The Best Is Yet to Come‹<br />
zu den Höhepunkten dieses außergewöhnlichen<br />
Albums. Einerseits zeigt dieses Album die musikalische<br />
Bandbreite des 2004 verstorbenen Komponisten,<br />
andererseits zeigt es auch das vielseitige Talent<br />
von Jeff Harnar, der hier stimmlich glänzt, ganz egal<br />
ob bei einer gefühlvollen Ballade wie ›With Every<br />
Breath I Take‹ oder einer Up-tempo-Nummer wie<br />
›Rythm of Life‹ (<strong>mit</strong> den Gästen Nicolas King und<br />
Danny Bacher). Er ist durch und durch ein echter<br />
Interpret des Great American Songbook und wird<br />
hier von seinem langjährigen musikalischen Leiter<br />
Alex Rybeck samt 10-köpfiger Band musikalisch<br />
begleitet. LLP<br />
14 Titel<br />
47 min<br />
Jewel-CD-Case <strong>mit</strong> 10-seitigem<br />
Booklet <strong>mit</strong> Bildern und persönlichem<br />
Anschreiben von Jeff<br />
Harnar sowie von David Zippel<br />
Evergreens Celebrating Six Decades<br />
on Columbia Records<br />
Solo-Album von Barbra Streisand<br />
Pünktlich zur Weihnachtszeit gibt es ein neues<br />
Album von Barbra Streisand, vollgepackt <strong>mit</strong><br />
ihren persönlichen Lieblingssongs aus 60 Jahren<br />
gemeinsamer Musikgeschichte <strong>mit</strong> Columbia<br />
Records. Diese 22 Songs – einer von jedem<br />
erschienenen Album – wurden von ihr selbst<br />
ausgewählt und zu jedem einzelnen erzählt sie<br />
im Booklet auch eine persönliche Anekdote. Das<br />
Album ist für Musikfans vor allem deswegen so<br />
spannend, weil es eben nicht auf die alten Klassiker<br />
zurückgreift. Stattdessen bekommen Interessierte,<br />
die nicht jedes Album kennen, die Möglichkeit<br />
geboten, auch mal ganz andere Seiten und Songs<br />
von ihr kennenzulernen. Zusammen <strong>mit</strong> dem<br />
ausführlichen Booklet bietet das eine ungewohnte<br />
Tiefe zwischen all den typischen »Best of« CDs,<br />
die es am Markt – auch von ihr selbst – gibt.<br />
Echte Streisand-Fans werden sicherlich bemängeln,<br />
dass es bis auf die Neuinterpretation von<br />
›Evergreen‹ und das bisher nicht veröffentlichte<br />
›I Believe‹ nichts für sie zu entdecken gibt. Aber für<br />
alle anderen, die nicht jede einzelne CD oder LP<br />
bereits in ihrer Sammlung haben, ist dieses Album<br />
auf jeden Fall eine Beschäftigung da<strong>mit</strong> wert. SH<br />
22 Titel<br />
78 min 58 sec<br />
Digipack <strong>mit</strong> 20-seitigem Booklet<br />
<strong>mit</strong> allen Beteiligten, Songliste,<br />
persönlichen Worte zu jedem<br />
Song und Fotos der Künstlerin<br />
60<br />
blickpunkt musical <strong>06</strong>/20<strong>23</strong>
Ein <strong>Musical</strong> von<br />
TITUS HOFFMANN & THOMAS BORCHERT<br />
„Das Wagnis, den<br />
Widerstandskampf gegen<br />
den Nationalsozialismus in<br />
ein <strong>Musical</strong> zu packen,<br />
ist gelungen.“<br />
BAYERISCHER RUNDFUNK<br />
„Ein neues <strong>Musical</strong>,<br />
das alles<br />
richtig macht.“<br />
MUSICALS -<br />
DAS MUSICALMAGAZIN<br />
„Vorbehalte gegen<br />
die Erzählung in Form<br />
eines <strong>Musical</strong>s<br />
verfliegen schnell.<br />
Allein schon die<br />
Gedichte von<br />
Hans Scholl geben einen<br />
anrührend lyrischen<br />
Rahmen ab.“<br />
BAYERISCHE STAATSZEITUNG<br />
„Ein würdiges <strong>Musical</strong><br />
über eine Handvoll<br />
Menschen, die<br />
es verdienen.“<br />
NÜRNBERGER NACHRICHTEN<br />
„Intensive,<br />
sprachgewaltige<br />
Komposition<br />
voller Menschlichkeit“<br />
BLICKPUNKT MUSICAL<br />
DAS LIVE ALBUM<br />
<strong>mit</strong> 32-seitigem Booklet<br />
schollmusical.com
Konzerte & Entertainment<br />
»Üben! Üben! Üben!«<br />
Ein besonderer Abend für und über Caspar Richter im Wiener Vindobona<br />
Abb. oben von links:<br />
1. Jesper Tydén <strong>mit</strong> ›Wenn ich dein<br />
Spiegel wär´‹ aus »Elisabeth« - er<br />
sprang spontan für Lukas Perman ein.<br />
2. Carmen Wiederstein und Marcel<br />
Philip Kraml beswingen das Publikum<br />
<strong>mit</strong> Cole Porters »I love Paris«<br />
Fotos (2). Steffen Wagner<br />
Am 16. September 20<strong>23</strong> fand im Vindobona in<br />
Wien ein besonderer Abend statt: Ein Konzert in<br />
Gedenken an den im Februar 20<strong>23</strong> plötzlich verstorbenen<br />
Caspar Richter. Der 16. September war auch<br />
der Geburtstag von Caspar Richter; er hatte für diesen<br />
Abend (seinen 79. Geburtstag) bereits ein Konzert im<br />
Vindobona in Planung – zu diesem ist es leider nicht<br />
mehr gekommen. So wurde dieser Abend als eine<br />
Hommage an den ehemaligen Chefdirigenten der<br />
Vereinigten Bühnen Wien – der viele Produktionen<br />
dort geleitet und maßgeblich <strong>mit</strong>geprägt hat – gestaltet.<br />
Für Vindobona-Betreiber Wolfang Ebner und die<br />
künstlerische Leitung rund um Rita Sereinig war dies<br />
eine ehrenvolle Aufgabe, die sie gerne umsetzten. Auf<br />
Sereinigs Initiative wurde der Reinerlös des Abends<br />
verwendet, um den Verein Nestwärme Österreich zu<br />
unterstützen. Geplant ist, <strong>mit</strong> dem Projekt »Theatertanten«<br />
Familien, die sich sonst keine Theaterbesuche<br />
leisten können, zu unterstützen.<br />
Caspar Richter wurde 1944 in Lübeck geboren und<br />
startete seine musikalische Laufbahn am Klavier <strong>mit</strong><br />
nur 5 Jahren. Er studierte Dirigieren, Klavier, Schlagzeug<br />
und Komposition an der Hamburger Musikhochschule.<br />
Mit 25 Jahren begann seine berufliche Karriere<br />
an der Deutschen Oper Berlin, wo er hauptsächlich<br />
Opern dirigierte. Diesem Metier blieb er sein Leben lang<br />
treu, so war er bei Opern- und Ballettaufführungen in<br />
Wien an der Staatsoper und der Volksoper tätig, wie<br />
auch zuletzt an der Oper und der Philharmonie Brünn.<br />
Im Rahmen seiner Tätigkeit als Chefdirigent für die VBW<br />
(Vereinigte Bühnen Wien) war er <strong>23</strong> Jahre lang für eine<br />
Vielzahl von Erst- und Uraufführungen <strong>mit</strong>verantwortlich.<br />
Viele Künstlerinnen und Künstler wurden im Vorfeld<br />
für den Gedenk-Abend »Caspar Richter – Ein Abend<br />
<strong>mit</strong> und für die Musik« auf der Website des Vindobona<br />
angekündigt. Nicht alle waren an dem Abend<br />
letztendlich auch anwesend, etliche sendeten aber sehr<br />
persönliche Videobotschaften – <strong>mit</strong> Erinnerungen an<br />
die gemeinsame Zeit und die besonderen Momente. In<br />
Summe erzählten mehr als 20 Personen an dem Abend<br />
auf der Bühne ihre Erlebnisse <strong>mit</strong> dem Verstorbenen.<br />
Es wurde viel gelacht, aber auch so manche Tränen<br />
sind im Publikum, auf und besonders wohl hinter der<br />
Bühne geflossen. Das Publikum wurde sehr engagiert,<br />
gefühlvoll und voller Wertschätzung für Caspar Richter<br />
vom Moderatorenduo Marjan Shaki und André Bauer<br />
durch den Abend begleitet. Beide haben sehr eng in<br />
unterschiedlichen Produktionen <strong>mit</strong> Richter zusammengearbeitet,<br />
wobei auch Freundschaften entstanden.<br />
Nicht nur <strong>mit</strong> diesen beiden, sondern, wie man im<br />
Publikum spüren konnte, <strong>mit</strong> vielen der anwesenden<br />
Künstler:innen.<br />
Marjan Shaki erzählte, dass es sie immer<br />
wieder persönlich getroffen habe, wenn Caspar<br />
Richter bei Proben zu ihr sagte: »Marjan,<br />
du musst üben! Üben! Üben!«. Bis sie feststellte,<br />
dass er das praktisch allen immer wieder sagte.<br />
Er war immer sehr genau bei den Proben und hat auch<br />
Darsteller:innen, die eine Rolle schon einige hundert<br />
Mal gespielt hatten und dann bei der ersten Probe in<br />
der Wiener Produktion unter seiner Leitung standen,<br />
gesagt, dass sie das singen sollten, was und genau wie<br />
es in den Noten stehe. Er duldete keine Ungenauigkeit.<br />
In seiner kühlen norddeutschen Art, die er auch nach<br />
vielen Jahren in Wien nicht ablegte, war er immer<br />
100%ig dem Konzept treu. Er legte hohe Qualitätsmaßstäbe<br />
an seine Arbeit und an alle, die <strong>mit</strong> ihm<br />
zusammenarbeiteten. Er schaffte es wohl aber auch,<br />
die Künstlerfamilie beisammenzuhalten, meldete sich<br />
immer wieder bei den Darsteller:innen oder beriet und<br />
unterstützte sie beispielsweise bei Auditions.<br />
Musikalisch eröffnet wurde die Darbietung von<br />
Miruna Mihailescu, die ›Unusual Way‹ aus »Nine«<br />
sang und für Gänsehaut in den ersten Minuten des<br />
Abends sorgte.<br />
Es gab einige besondere Highlights im Programm:<br />
André Bauer, der wohl sehr eng <strong>mit</strong> Caspar Richter<br />
befreundet war, sang aus dessen Lieblingsmusical »Les<br />
Misérables« ›Bring ihn heim‹. Dieses Lied hatte sich<br />
die Familie von Caspar Richter von Bauer bei der Beisetzung<br />
gewünscht, dieser konnte es da aber aus emotionalen<br />
Gründen nicht singen und holte es so<strong>mit</strong> an<br />
diesem Abend nach. Aus demselben Stück konnte das<br />
Publikum sich noch im Verlauf des Konzerts an dem<br />
62<br />
blickpunkt musical <strong>06</strong>/20<strong>23</strong>
Konzerte & Entertainment<br />
Song ›Dunkles Schweigen an den Tischen‹, gesungen<br />
von Felix Martin, erfeuen und wieder einer großen,<br />
ausdrucksstarken Stimme lauschen und dabei spüren,<br />
wie sehr eine Erzählung oder die Geschichte eines<br />
<strong>Musical</strong>s die Stimmung ins wahre Leben übertragen<br />
kann.<br />
Jacqueline Braun schuf einen weiteren großen<br />
Moment des Abends. Sie sang <strong>mit</strong> voller Stimme und<br />
Power ›Both Sides Now‹, ein Stück, das ihr vor vielen<br />
Jahren Caspar Richter für eine Weihnachtsshow der<br />
Vereinigten Bühnen Wien einfach zugeteilt hatte. Wie<br />
es häufig wohl so vorkam, meist <strong>mit</strong> den Worten: »Entweder<br />
DU singst es oder keiner wird es singen.«<br />
Kerstin Ibald reihte sich in die Highlightparade<br />
des Abends ein und brachte <strong>mit</strong> viel Gefühl, kraftvoller<br />
Stimme und einer ruhigen und dennoch ausdrucksvollen<br />
Gestik und Mimik ›Glaub dran‹ aus<br />
»The Secret Garden«.<br />
Ariane Swoboda, derzeit in »Rebecca« bei den VBW<br />
zu sehen, erzählte eine besonders amüsante Geschichte:<br />
Sie spielte bei »Die Schöne und das Biest« <strong>mit</strong>; die Vorstellungen<br />
wurden häufig von Caspar Richter dirigiert.<br />
Und das Tempo war dann oft ein wenig schneller, als<br />
wenn jemand anderes dirigierte. Sie fragte, warum er<br />
das machen würde, seine Antwort: »Ihr habt so schöne<br />
schwere und weite Röcke, und wenn ihr euch schneller<br />
auf der Bühne dreht, dann bekommen wir im Orchestergraben<br />
mehr Luft, denn es ist – besonders im Sommer<br />
– oft sehr stickig da unten«. Ariane Swoboda sang<br />
für Caspar Richter gemeinsam <strong>mit</strong> Arthur Buescher<br />
den Song ›You´re the Top‹ aus »Anything Goes«.<br />
Lukas Perman konnte leider an diesem Abend nicht<br />
auftreten – er musste sich um die vier Kinder kümmern,<br />
von denen wohl eines krank war. Seine Gattin<br />
Marjan Shaki hatte an dem Abend den deutlich größeren<br />
Part durch die Moderation, was sie persönlich sehr<br />
freute und wofür sie gerne den Papa die Kinder hüten<br />
ließ. Für Perman sprang dann spontan Jesper Tydén<br />
ein und sang aus »Elisabeth« ›Wenn ich dein Spiegel<br />
wär´‹.<br />
Carmen Wiederstein und Marcel-Philip Kraml<br />
brachten <strong>mit</strong> ›I Love Paris‹ von Cole Porter eine sehr<br />
beschwingte Stimmung ins Publikum. Lisa Antoni<br />
sang ›Somwhere Over the Rainbow‹ in einer neu<br />
arrangierten Variante und Caroline Vasicek brachte<br />
›Moonriver‹ zu Gehör. Vasicek erzählte von ihrer<br />
letzten Begegnung <strong>mit</strong> Caspar Richter im Dezember<br />
an der Bühne Baden, wo er sie überraschte und in der<br />
Pause anrief und sie ihm sagte, dass er Glück habe, sie<br />
zu erreichen, weil sie gerade Pause bei »Robin Hood«<br />
habe. Er sagte nur: »Ich weiß, ich sitze im Publikum.«<br />
Sie haben sich dann spontan kurz nach der Show noch<br />
gesehen und ein Treffen im neuen Jahr ausgemacht, zu<br />
dem es nicht mehr kam.<br />
Martin Berger sang zusammen <strong>mit</strong> Jesper Tydén<br />
›Simple Song‹ aus »Mass«, was bei diesen beiden starken<br />
Stimmen ein Fest für die Ohren der Zuschauerinnen<br />
und Zuschauer war. Der Neffe von Caspar Richter,<br />
Markus Syperek, spielte zum Gedenken an seinen<br />
Onkel ›Jesus bleibet meine Freude‹ von Bach, was sehr<br />
gut in den Ablauf des Abends passte und für ein paar<br />
ruhige Momente im Publikum sorgte.<br />
Sándor Rácz, ein langjähriger Kollege von Caspar<br />
Richter, hatte einige Geschichten zu erzählen und holte<br />
auch spontan die im Publikum sitzende Sylvia Halwax<br />
auf die Bühne. Beide berichteten aus der Opern- und<br />
Ballettzeit, was abgerundet wurde durch eine Balletteinlage<br />
von Thalia Egerházi und Gyula József Sárközi,<br />
die <strong>mit</strong> einem Stück von Bach das Ende des ersten Teils<br />
einleiteten.<br />
In der Pause sah man einige Zusammenkünfte von<br />
Besucher:innen und Künstler:innen; es lag eine besondere<br />
Stimmung in der Luft. Marjan Shaki und André<br />
Bauer eröffneten den zweiten Teil des Abends <strong>mit</strong> ›The<br />
Prayer‹, wobei der italienische Teil von Bauer gesungen<br />
wurde.<br />
Es gab auch einige Videogrußbotschaften, unter<br />
anderem von Walter Lochmann, Silke Braas-Wolter<br />
und Mark Seibert. Carin Filipčić fand nicht nur schöne<br />
Worte, sondern sendete aus Lübeck, wo sie derzeit in<br />
»Sweeney Todd« auf der Bühne steht, einen musikalischen<br />
Gruß <strong>mit</strong> einem Lieblingslied von Caspar Richter:<br />
›I Remember‹ von Stephen Sondheim. Übertroffen<br />
wurde dies nur von einem Video von Thomas Borchert,<br />
der die für ihn typischen Momente <strong>mit</strong> Caspar Richter<br />
in einen eigenen Song verpackte. Der Song hieß ›Nordisch<br />
by Nature‹ und sorgte, obwohl es nur ein Video<br />
war, für besondere Stimmung im Theatersaal.<br />
Das große Finale des Abends war dann eine Nummer,<br />
die alles, was an dem Abend gebracht wurde,<br />
überstrahlte! Alle Künstler:innen sangen ›Gabriellas<br />
Song‹ aus »Wie im Himmel«, wohl Richters Lieblingslied.<br />
Jesper Tydén sang den Hauptpart des Songs in<br />
seiner (und des Films) Muttersprache Schwedisch, die<br />
anderen Künstler waren der Chor. Gänsehaut pur und<br />
ein toller, gefühlvoller Abschluss des Abends.<br />
Caspar Richter hat eine große Lücke hinterlassen,<br />
aber auch viele tolle Momente geschaffen, die man sich<br />
immer wieder anhören kann.<br />
Steffen Wagner<br />
Abb. unten von oben links:<br />
1. Kerstin Ibald, ein großes Highlight<br />
des Abends, sang <strong>mit</strong> viel Gefühl,<br />
kraftvoller Stimme und einer<br />
ruhigen und dennoch ausdrucksvollen<br />
Gestik ›Glaub dran‹ aus »The<br />
Secret Garden«<br />
2. Jacqueline Braun - <strong>mit</strong> voller<br />
Stimme und voller Power ›Both<br />
sides now‹, ein Weihnachtssong,<br />
den sie sehr <strong>mit</strong> Caspar Richter<br />
verbindet.<br />
3. Martin Berger zusammen <strong>mit</strong><br />
Jesper Tydén <strong>mit</strong> ›Simple Song‹ aus<br />
»MASS«<br />
4. Fast alle Künstler des Abends<br />
brachten zum Finale ›Gabriellas<br />
Song‹ aus »Wie im Himmel«,<br />
Caspar Richters Lieblingslied<br />
Fotos (4). Steffen Wagner<br />
blickpunkt musical <strong>06</strong>/20<strong>23</strong><br />
63
Konzerte & Entertainment<br />
Weihnachtsfeeling live aus dem London Coliseum<br />
»Hannah Waddingham: Home for Christmas«<br />
Abb. oben:<br />
Hannah Waddingham (Mitte) und<br />
das Orchester in einem wunderschönen<br />
Bühnenbild<br />
Foto: Apple TV+<br />
Der Winter hat begonnen und in den Geschäften<br />
läuten schon lange Schokoladenweihnachtsmänner<br />
und Dekorationen die Weihnachtszeit ein. In vielen<br />
Theatern beginnen Weihnachtsshows. Wer am liebsten<br />
vom Sofa aus einer Show folgen möchte, während er<br />
an Plätzchen knabbert und an einem heißen Punsch<br />
nippt, der kann sich seit dem 22. November 20<strong>23</strong><br />
<strong>mit</strong> der wunderbar stimmungsvollen Show »Hannah<br />
Waddingham: Home for Christmas« beim Streamingdienst<br />
Apple TV+ auf die bevorstehenden Feiertage<br />
einstimmen.<br />
Die schönsten, weihnachtlichen Sehenswürdigkeiten<br />
Londons werden bei einer Autofahrt durch<br />
die Stadt eingefangen, bevor die Limousine vor dem<br />
London Coliseum hält. Hannah Waddingham, britische<br />
<strong>Musical</strong>darstellerin (»Monty Python´s Spamalot«<br />
(Verfilmung), »Into the Woods«), Sängerin und Schauspielerin<br />
(»Les Misérables«) sowie Emmy-Gewinnerin,<br />
steigt in einem weißen Mantel aus und begibt sich<br />
ins Theater. Mit einem Strahlen im Gesicht und<br />
Stevie Wonders Weihnachtsklassiker ›What Christmas<br />
Means to Me‹ auf den Lippen durchquert sie das Foyer<br />
des Theaters und begrüßt ihre Mitstreiter, die diese<br />
Show live on stage zu etwas ganz Besonderem machen<br />
werden.<br />
Stimmungsvoller Weihnachtsschmuck und festliche<br />
Weihnachtsbäume stimmen bereits optisch<br />
auf die Show ein. Kaum hebt sich der Vorhang und<br />
Waddingham betritt die Bühne, findet man sich<br />
in einem anmutigen Weihnachtszimmer wieder.<br />
Das Orchester zu beiden Seiten der Bühne und die<br />
Backgroundsänger:innen (Emily und Gavin Holligan<br />
sowie Hayley Sanderson) rechts verschmelzen <strong>mit</strong> der<br />
Bühnendekoration, die das Auge verwöhnt. Waddingham<br />
in einem goldfarbenen Kleid (Kostüme: Vicky<br />
Gill), umtanzt von Tänzern in roten Outfits, sorgt für<br />
ordentlichen Schwung auf der Bühne.<br />
Nach diesem schwungvollen Auftakt begrüßt Waddingham<br />
das Publikum in ihrem »Zuhause«. Im Publikum<br />
befinden sich Freunde und Bekannte, die die<br />
Gastgeberin vom West End, vom Broadway, von einer<br />
kleinen »Show <strong>mit</strong> Drachen« (»Game of Thrones«,<br />
Anm. d. Red.) sowie der TV-Serie »Ted Lasso« kennen.<br />
Während sie noch ausführt, dass sie bei dieser Show<br />
auf die Unterstürzung all dieser wunderbaren Menschen<br />
hofft, um das wahre Feeling des Winter Wonderland<br />
heraufzubeschwören, wird sie von Schauspieler<br />
Nick Mohammed (»Ted Lasso«), der während der Show<br />
als ihr Assistent agieren soll, unterbrochen. Der Kunstschnee<br />
soll seiner Meinung nach für Stimmung sorgen,<br />
wird von Waddingham und zur Belustigung des<br />
Publikums jedoch nicht in dem Maße gewürdigt wie<br />
geplant. Nach einer augenzwinkernden Abmahnung<br />
wendet sie sich der Bedeutung ihrer schwulen Freunde<br />
zu, die für sie von großer Wichtigkeit sind, weil man<br />
sie auf jeder Bühne findet. Der London Gay Men´s<br />
Chorus erhebt sich dankbar auf den ersten Reihen<br />
des ersten Rangs und präsentiert <strong>mit</strong> ›We Wish You a<br />
Merry Christmas‹ seine Stimmkraft, bevor die Männer<br />
<strong>mit</strong> einem abgewandelten Text Waddingshams Outfit<br />
loben, was auch das Publikum <strong>mit</strong> Applaus honoriert.<br />
Beim Klassiker ›The Man With the Bag‹ wird die Sängerin<br />
von Männern im Smoking umgarnt, darunter<br />
ihre Schauspielkollegen aus der Serie »Ted Lasso«, die<br />
versuchen, ihr die Show zu stehlen, was das Publikum<br />
erheitert bemerkt.<br />
Um den vorlauten Nick Mohammed außer Gefecht<br />
zu setzen, lässt die Sängerin ihn kurzerhand an einem<br />
Seil befestigt an die Decke ziehen und dort baumeln,<br />
um zumindest im weiteren Verlauf nicht mehr von ihm<br />
gestört zu werden. Das Herablassen des Vorhangs verbirgt<br />
ihn, auch wenn er immer wieder seinen Unmut<br />
lautstark verkündet, was zum Running Gag der Show<br />
wird.<br />
64<br />
blickpunkt musical <strong>06</strong>/20<strong>23</strong>
Konzerte & Entertainment<br />
Zusammen <strong>mit</strong> Leslie Odom Jr, bekannt aus »Hamilton«,<br />
schlägt Waddingham anschließend im Duett<br />
›Coming Home for Christmas‹ die leisen Weihnachtstöne<br />
an.<br />
Die Begrüßung ihrer Mutter Melodie, die im Haus<br />
mehr als 30 Jahre im Chor sang, in Begleitung von<br />
Waddinghams Vater, ist anrührend. Für die Familie<br />
war das Coliseum immer eine Art Wohnzimmer, wie<br />
sie betont. Aus einer ganz bestimmten Loge heraus<br />
hat sie seit ihrem 8. Lebensjahr immer ihre Mutter<br />
auf der Bühne bestaunt. Nun, Jahre später, nimmt<br />
Waddinghams Tochter Kitty diesen Platz ein und folgt<br />
ihrer Weihnachtsshow, was ihr sehr viel bedeutet. ›Oh<br />
Holy Night‹ widmet sie daher ihrer Tochter und ihrer<br />
Mutter. Mit klarer Stimme und glänzenden Augen<br />
sorgt sie, <strong>mit</strong> Unterstützung des English National<br />
Opera Chorus, für Gänsehaut und rührt ihren Vater<br />
zu Tränen. Das Publikum dankt es allen <strong>mit</strong> Standing<br />
Ovations. Während sich Waddingham für einen Kostümwechsel<br />
verabschiedet, unterhält der Gay Chorus<br />
das Publikum.<br />
In einem atemberaubenden roten Minikleid kommt<br />
die Sängerin wieder auf die Bühne und begrüßt den<br />
britischen Sänger und Songwriter Sam Ryder, den sie<br />
das erste Mal beim Eurovison Song Contest 2022 in<br />
Turin traf, als er dort sein Land vertrat. Mit tosendem<br />
Applaus und der rockigen Stimme Ryders beschert<br />
das Duett von Chuck Berry ›Run Rudolph Run‹ dem<br />
Coliseum einen Rockkonzert-Moment, der auch Dave<br />
Tench und seiner fantastischen Band zu verdanken ist,<br />
die den Abend über für stimmungsvolle Musik sorgen.<br />
Scott Baker und Patrick Davey, bekannt als »The<br />
Fabulous Lounge Swingers«, betreten als nächstes<br />
die Bühne. Phil Dunster, der sich verspätet hat und<br />
heimlich auf seinen Sitzplatz schleichen will, wird kurzerhand<br />
ebenfalls auf die Bühne gebeten zu ›A Merry<br />
Littte Christmas‹.<br />
Während des zweiten Kostümwechsels versucht<br />
Brendan Hunt (»Ted Lasso«) sie backstage von einem<br />
Duett <strong>mit</strong> ihm zu überzeugen, was sie dankend<br />
ablehnt. Dass in ihrer Garderobe Brett Goldstein auf<br />
sie wartet, überrascht sie ebenso. Die kurze Auszeit<br />
entspannt Waddingham, sodass sie fast vergisst, wieder<br />
auf die Bühne zu eilen. Gerade rechtzeitig erscheint<br />
sie in einem glitzernden weißen Traum aus Tüll, um<br />
zusammen <strong>mit</strong> Schauspieler Luke Evans das ›Winter<br />
Wonderland‹ zu zelebrieren. Ihre zwanzigjährige<br />
Freundschaft offenbart sich dem Publikum durch die<br />
innige Harmonie, die sich sofort zwischen ihnen ergibt.<br />
Einem persönlichen Bedürfnis nachgebend singt Waddingham<br />
›It´s the Most Wonderful Time of the Year‹<br />
und läutet da<strong>mit</strong> das große Finale ein. The London<br />
Gay Men´s Chorus schließt sich ihr auf der Bühne an,<br />
während auch alle anderen Gäste zur Verabschiedung<br />
auf die Bühne kommen und selbst Nick wieder von der<br />
Decke heruntergelassen wird.<br />
»Hannah Waddingham: Home for Christmas«<br />
von Produzentin Moira Ross und unter der Regie von<br />
Hamish Hamilton ist eine mehr als gelungene Show.<br />
Mit viel Herz und Humor führt Hannah Waddingham<br />
durch die Show, die sie <strong>mit</strong> ihren Freunden zu<br />
einem unvergesslichen Erlebnis werden lässt. <strong>Musical</strong><br />
Director David Tench, der an dem Abend persönlich<br />
den Platz am Piano eingenommen hat und zusammen<br />
<strong>mit</strong> der 18-köpfigen House Band spielt, verantwortet<br />
zusammen <strong>mit</strong> der Gastgeberin die Songauswahl.<br />
Als die Lichter im Coliseum ausgehen, verlässt<br />
Waddingham das Theater. In einem Taxi, dessen gutgelaunter<br />
Fahrer (Schauspieler Jason Sudeikis) sich von<br />
den Feiertagen <strong>mit</strong>reißen lässt (›Jingle Bells‹), findet<br />
die wundervolle Weihnachtsshow <strong>mit</strong> einem letzten<br />
kleinen Duett ihr Ende. Alle, die einfach nicht genug<br />
bekommen können, dürfen sich ab dem 22. November<br />
auch über die CD zur Show freuen.<br />
Sandy Kolbuch<br />
Abb. unten von oben links:<br />
1. ›Winter Wonderland‹ – Luke<br />
Evans und Hannah Waddingham<br />
2. Hannah Waddingham und Sam<br />
Ryder: ›Run Rudolph Run‹<br />
3. Hannah Waddingham wird von<br />
Tänzern umgarnt, rechts David<br />
Tench am Piano: ›The Man With<br />
the Bag‹<br />
4. (v.l.): James Lance, Brendan<br />
Hunt, Billy Harris, Kola Bokinni,<br />
Hannah Waddingham, Phil Dunster,<br />
Luke Evans und Sam Ryder im<br />
Finale<br />
Fotos (4): Apple TV+<br />
blickpunkt musical <strong>06</strong>/20<strong>23</strong><br />
65
Einblick<br />
Hannah ist eine unglaublich talentierte Person<br />
Interview <strong>mit</strong> Moira Ross und David Tench<br />
Hannah Waddingham<br />
Foto: Apple TV+<br />
Anlässlich der Weihnachtsshow »Hannah<br />
Waddingham: Home for Christmas« konnte<br />
die blickpunkt musical <strong>mit</strong> Moira Ross (Executive<br />
Producer) und David Tench (<strong>Musical</strong><br />
Director) sprechen.<br />
blickpunkt musical: Es ist mir eine<br />
Freude, <strong>mit</strong> Ihnen sprechen zu dürfen. Die<br />
Show ist sehr gelungen und sorgt für die perfekte<br />
Weihnachtsstimmung.<br />
Moria Ross: Herzlichen Dank.<br />
blimu: Können Sie mir verraten, wann die<br />
Show aufgezeichnet wurde?<br />
MR: Das war im Sommer. David, kannst<br />
Du Dich noch daran erinnern, wann genau?<br />
David Tench: Es war definitiv im Sommer.<br />
(lacht)<br />
MR: Ja, es war seltsam, als wir am Abend<br />
der Aufnahme das Theater verließen, um in<br />
einen lauen Londoner Abend zu gehen. Nirgends<br />
eine Spur von ›Jingle Bells‹ und schon<br />
gar kein Schnee.<br />
blimu: Wie haben Sie es geschafft, <strong>mit</strong>ten<br />
im Sommer Weihnachtsflair zu erzeugen?<br />
Hat die Dekoration ausgereicht oder was war<br />
noch von Nöten, um in die richtige Stimmung<br />
zu kommen?<br />
MR: Ich denke, dass es vor allem auf das<br />
Design ankam. Das Bühnenbild spielte eine<br />
sehr große Rolle dabei. Es hat dazu beigetragen,<br />
dass wir tatsächlich das Gefühl hatten,<br />
dass wir uns in der Weihnachtszeit befinden.<br />
Auch die Musik hat eine große Rolle gespielt.<br />
Wir hatten ein Live-Publikum von 3000<br />
Personen und alle haben ihren Beitrag dazu<br />
geleistet, um das Gefühl von Weihnachten<br />
zu ver<strong>mit</strong>teln. David, der live auf der Bühne<br />
war, kann Ihnen sagen, wie diese Atmosphäre<br />
war. Aber ich denke, wir sind alle so überzeugend<br />
gewesen, als ob es der <strong>24</strong>. Dezember<br />
gewesen wäre.<br />
blimu: Was ist bei einer Liveshow dieser<br />
Dimension die größte Herausforderung?<br />
DT: Das Live-Publikum hilft! Bei den<br />
Proben im Vorfeld haben wir lange daran<br />
gearbeitet, die Show bis zum Ende durchzuplanen,<br />
und es fühlte sich damals nicht<br />
allzu weihnachtlich an. Aber an dem Tag,<br />
an dem wir es tatsächlich gedreht haben und<br />
dann, als, wie Moira sagte, das Publikum<br />
hereinkam, da waren plötzlich Tausende von<br />
Menschen und alle bemühten sich, da<strong>mit</strong> das<br />
Gefühl von Weihnachten entstand. Es war so<br />
schön. Wir haben dieses Jahr zweimal Weihnachten,<br />
bzw. wir werden es haben.<br />
blimu: Die Ausstattung ist wirklich sehr<br />
atmosphärisch. Das Orchester verschmilzt<br />
<strong>mit</strong> dem Hintergrund. Was war Ihnen während<br />
des Produktionsprozesses wichtig? Welche<br />
Elemente im Besonderen?<br />
MR: Ich denke, wichtig bei der Gestaltung<br />
der Show war, dass wir das Gefühl<br />
hatten, dass es sich wirklich um Hannahs<br />
Show handelte und dass wirklich alles der<br />
Wahrheit entsprechen musste. Dies war also<br />
unser Ausgangspunkt. Um die Wahrheit dessen<br />
zu bestätigen, mussten wir klären, warum<br />
wir die Show im London Coliseum machen.<br />
Warum ist dieser Ort so besonders? Er ist für<br />
Hannah etwas Besonderes, denn er war wirklich<br />
ihr Zuhause als Kind. Das war also ein<br />
erstaunlicher Ausgangspunkt, von dem aus<br />
wir angefangen haben, uns über ihr Leben<br />
und ihre Liebe zur Musik und ihre Träume<br />
Gedanken zu machen, darüber zu diskutieren<br />
und eine Show zu entwickeln. Und dann<br />
war der nächste große Schritt natürlich die<br />
Musik. Wir mussten die richtigen Songs finden,<br />
das hat einige Zeit gedauert. Während<br />
wir auf die Zusagen der Gäste für die Show<br />
gewartet haben, haben wir alle Details und<br />
Elemente wie ein Puzzle zusammengesetzt.<br />
DT: Ja, genau so war es. Manches ging<br />
schnell, manches dauerte länger. Hannah<br />
ist eine unglaublich talentierte Person und<br />
ihre Arbeitsweise ist sehr methodisch. Sie ist<br />
sehr professionell. Während wir die Show<br />
kreierten, kam sie zu mir und wir haben<br />
66<br />
blickpunkt musical <strong>06</strong>/20<strong>23</strong>
Einblick<br />
eng zusammengearbeitet <strong>mit</strong> einem kleineren<br />
Team, um die Musik besser unter die<br />
Lupe nehmen zu können. Lange bevor das<br />
Showkonzept fertig war, das Bühnenbild<br />
und ihre Kleider feststanden, hat sie sich<br />
bereits Gedanken darüber gemacht, wie sie<br />
die Songs performen wollte. Die Zusammenarbeit<br />
<strong>mit</strong> ihr war eine Herausforderung in<br />
der bestmöglichen Art und Weise, wenn Sie<br />
verstehen, was ich meine. Sie ist wirklich so<br />
gut und professionell <strong>mit</strong> dem, was sie tut.<br />
blimu: Es ist ein sehr anrührender<br />
Moment, wenn Hannah während der Show<br />
ihre Tochter vorstellt und ihre Mutter, die<br />
mehr als 30 Jahre im Chor des Coliseum<br />
gesungen hat. Hannah hat als Kind ihrer<br />
Mutter von einer bestimmten Loge aus zugesehen,<br />
aus der ihre Tochter nun ihre Weihnachtsshow<br />
verfolgt hat. Das Publikum und<br />
die Zuschauer haben dadurch das Gefühl, als<br />
würden sie Hannah Waddingham bei ihr zu<br />
Hause besuchen...<br />
MR: Wissen Sie, zu genau dieser Loge<br />
gibt es eine interessante kleine Geschichte:<br />
Als ich <strong>mit</strong> Hamish Hamilton, dem Regisseur,<br />
durch das Theater gegangen bin, um<br />
zu schauen, wo wir die besten Blickwinkel<br />
bekommen würden und in welcher Loge wir<br />
die Kleine unterbringen könnten, gingen wir<br />
in die kleine Loge an der Seite der Bühne<br />
und sagten: »Wäre das nicht großartig, wenn<br />
Kitty hier sitzen würde?« Und dann gingen<br />
wir zurück und erzählten es Hannah und sie<br />
meinte: »Das ist genau der Platz, an dem ich<br />
früher gesessen habe.« Und es fühlte sich so<br />
magisch an, dass das ein Zufall war, weil es<br />
in diesem Theater so viele Logen gab, die wir<br />
hätten auswählen können. Dass es sich tatsächlich<br />
um den Ort ihrer Kindheit handelte,<br />
an dem sie saß und ihrer Mutter zusah und<br />
von wo aus nun ihre Tochter sie beobachtete,<br />
ist großartig.<br />
blimu: Dies ist wirklich ein magischer<br />
Moment. Haben sie jemals daran gedacht,<br />
ein Konzert anstatt einer derartigen Show zu<br />
machen?<br />
MR: Ja, ich denke, wir haben viele dieser<br />
Gespräche geführt, nicht wahr? (lacht)<br />
DT: Ja, das haben wir. Ja Ja Ja. Aber es ist<br />
halt die Art und Weise, wie Hannah arbeitet.<br />
Sie hat so viel Theater- und Lebenserfahrung.<br />
Obwohl wir ein TV-Special drehten, fühlte es<br />
sich an, als wäre sie dazu bereit, acht Shows<br />
pro Woche aufzuführen.<br />
blimu: Hannah Waddingham lässt ihren<br />
ganz persönlichen Humor in die Show<br />
einfließen.<br />
MR: Ja, das tut sie. Der andere Kernpunkt<br />
der Show sind die Freundschaften und Beziehungen<br />
zu ihren Gästen. Es handelt sich nicht<br />
nur um echte Freundschaften, die sie <strong>mit</strong> all<br />
diesen Gästen pflegt, sondern sie wollte auch<br />
eine Plattform schaffen, auf der sie teilen<br />
kann, was diese erreicht und erlebt haben. Es<br />
war ihr sehr wichtig, auch diese Menschen in<br />
den Mittelpunkt stellen zu können.<br />
blimu: Wer hat die Entscheidungen<br />
getroffen, welche Gäste eingeladen werden?<br />
MR: Hannah hatte eine klare Vision von<br />
der Show und ich denke, das Besondere an<br />
der Show ist, dass man erkennen kann, dass<br />
sie authentisch ist und dass es ihre Geschichte<br />
ist. Es wurde nichts dazu erfunden.Wir haben<br />
auf der Grundlage ihrer Geschichte all diese<br />
unterschiedlichen Ideen kreiert. Sie spielte<br />
eine wichtige Rolle dabei. Hannah ist keine<br />
Frau, der man etwas aufdrängen kann. Daher<br />
haben wir auch keine Gäste vorgeschlagen,<br />
sondern sie die Entscheidung treffen lassen.<br />
blimu: Es erweckt den Anschein, als ob<br />
jede/r große Künstler:in seine eigene Weihnachtsshow<br />
hat oder ein eigenes Weihnachtsalbum<br />
herausbringt.<br />
DT: Ja, auf jeden Fall. Ich denke, es ist<br />
zwar auch international, aber insbesondere in<br />
Großbritannien und in den USA so, dass viele<br />
Künstler davon träumen, Weihnachtsprojekte<br />
zu realisieren. Im Fall von Hannah haben wir<br />
die »dreifache Belohnung«, weil sie so viele<br />
Dinge tun kann, wie eine Art Chamäleon.<br />
Man hört Hannah als Künstlerin in ihrem Stil<br />
vom Anfang bis zum Ende, was in Ordnung,<br />
schön und großartig ist. Ich habe es wirklich<br />
genossen, dies <strong>mit</strong>zuerleben. In einer Minute<br />
spielt sie Rock, in der nächsten Jazz-Swing<br />
Moira Ross<br />
Foto: Mark Johnson<br />
und dann klassische, fast opernhafte Musik...<br />
blimu: Die Show besitzt einen ganz<br />
besonderen Humor...<br />
MR: Das Gesamterlebnis sollte berühren:<br />
Es gibt emotionale Momente und schöne<br />
Erinnerungen, aber das Lachen ist ein wichtiger<br />
Teil des Stücks. Aufgrund der vielen<br />
unterschiedlichen Gäste hat sich dies natürlich<br />
weiterentwickelt. Wir wollten sicherstellen,<br />
dass wir ein Musikstück haben, das auch<br />
Spaß macht, sozusagen eine Versatzkomödie.<br />
Unserer Meinung nach ist dies auch ganz gut<br />
gelungen.<br />
blimu: Wird es im kommenden Jahr eine<br />
weitere Weihnachtsshow geben?<br />
MR: Die müssten wir ja dann schon im<br />
Sommer aufzeichnen. (lacht)<br />
DT: Ich hätte Lust auf eine weitere Show<br />
dieser Art.<br />
blimu: Das wäre sehr wünschenswert.<br />
Herzlichen Dank für Ihre Zeit und dieses<br />
vorweihnachtliche Interview.<br />
DT: Wir bedanken uns.<br />
MR: Frohe Weihnachten.<br />
David Tench<br />
Foto: Apple TV<br />
Das Interview führte Sandy Kolbuch<br />
blickpunkt musical <strong>06</strong>/20<strong>23</strong> 67
Filme & Serien<br />
Zum dritten Mal sorgen die singenden Trolle<br />
für gute Laune<br />
»Trolls – Gemeinsam stark« im Kino<br />
Abb. oben:<br />
»BroZone« <strong>mit</strong> ›Perfect‹<br />
Foto: Universal Pictures<br />
Trolls – Gemeinsam stark<br />
Trolls Band Together<br />
Universal Pictures<br />
USA 20<strong>23</strong><br />
Kinostart: 19. Oktober 20<strong>23</strong><br />
FSK 0<br />
Länge: 91 min<br />
Regie ........... Walt Dohrn & Tim Heitz<br />
Drehbuch ................. Elizabeth Tippet<br />
Idee ............................... Thomas Dam<br />
Musik ...................... Theodore Shapiro<br />
Produktionsdesign ...............................<br />
Ruben Perez Reynoso<br />
Sounddesign .................. Peter D. Lago<br />
Produktion .......................... Gina Shay<br />
Königin Poppy ........... Anna Kendrick /<br />
Lena Meyer-Landrut<br />
Branche ................. Justin Timberlake /<br />
Mark Forster<br />
John Dory ........................ Eric André /<br />
Martin Kautz,<br />
Toby Heinz (Gesang)<br />
Clay .................. Kid Cudi/Nico Sablik,<br />
Ron van Lankeren (Gesang)<br />
Spruce ........................ Daveed Diggs /<br />
Asad Schwarz,<br />
Pat Lawson (Gesang)<br />
Veneer ................... Andrew Rannells /<br />
Michael Ernst,<br />
Pat Lawson (Gesang)<br />
Velvet .......................... Amy Schumer/<br />
Giuliana Jakobeit,<br />
Debby van Dooren (Gesang)<br />
Floyd .... Troye Sivan / Jerome Weinert,<br />
Tommy Amper (Gesang)<br />
Tiny Diamond ....... Kenan Thompson /<br />
Julien Haggége<br />
Bridget .................. Zooey Deschanel /<br />
Frederike Walke,<br />
Pia Allgaier (Gesang)<br />
König Gristle ........................................<br />
Christopher Mintz-Plasse /<br />
Nic Romm<br />
2016 brachte Universal Pictures unter der Regie von Mike<br />
Mitchell und Walt Dohrn die Animations-Musik-Komödie<br />
»Trolls« auf die Kinoleinwand. Basierend auf den Zaubertrollen,<br />
die der dänische Fischer und Holzschnitzer Thomas<br />
Dam in den 1960er Jahren erdachte und die der Spielzeughersteller<br />
Hasbro in den 90ern Jahren vertrieb, erlebten die Wesen<br />
<strong>mit</strong> den bunten Haaren einen neuen Hype. Die singenden<br />
Trolle, denen in der deutschen Fassung Lena Meyer-Landrut<br />
und Mark Forster ihre Stimmen liehen, feierten 2020 <strong>mit</strong><br />
»Trolls World Tour« eine Fortsetzung. Mit dem dritten Teil<br />
»Trolls – Gemeinsam stark« erobern Poppy, Branch und ihre<br />
Freunde seit dem 19. Oktober erneut die Leinwand.<br />
Einst wurden die Brüder Floyd, John Dory, Spruce, Clay und<br />
Baby Branch als erfolgreiche Band »BroZone« gefeiert. Doch nach<br />
einem missglückten Auftritt, bei dem es ihnen nicht gelang, die<br />
perfekte Familienharmonie zu erzeugen (›Perfect‹), kam es zum<br />
Streit. Die Brüder gingen ihre eigenen Wege. Die Jahre sind vergangen<br />
und der <strong>mit</strong>tlerweile erwachsene Branch denkt nur noch<br />
gelegentlich an die Vergangenheit. Als Bridget und König Gristle<br />
heiraten (›Let´s Get Married‹), erscheint ein unerwarteter Gast,<br />
der Einspruch einlegt. Der Fremde entpuppt sich als Branchs<br />
ältester Bruder John Dory, der <strong>mit</strong> einem wichtigen Anliegen<br />
zurückgekehrt ist: Er hat von Floyd, der gefangen gehalten wird,<br />
einen Hilferuf bekommen. Als er diesem nachgegangen ist, hat er<br />
Floyd in der Gewalt des gefeierten Pop-Geschwister-Duos Velvet<br />
und Veneer (›Watch Me Work‹) gefunden, die ihm sein Talent<br />
aussaugen. Gefangen in einem Kristall kann Floyd nur durch die<br />
perfekte Familienharmonie befreit werden. Poppy redet Branch<br />
gut zu: Die Band muss wieder zueinanderfinden. Gemeinsam<br />
brechen die Brüder auf, um die anderen zu finden. Begleitet von<br />
Poppy und Tiny Diamond landen sie auf der Ferieninsel (›Vacay<br />
Island‹), die von Spruce betrieben wird. Als Ehemann und<br />
Familienvater muss er beweisen, dass er einst Band<strong>mit</strong>glied war:<br />
›BroZone´s Back‹. Nachdem er sie von der Verwandtschaft überzeugt<br />
hat, darf sich Spruce seinen Brüdern bei der weiteren Suche<br />
anschließen. Sie stoßen auf einen verlassenen Golfplatz, der nach<br />
dem tragischen Überfall der Bergen zum Trolltopic wurde. Poppy<br />
erkennt in der Anführerin Viva ihre Schwester, von deren Existenz<br />
sie bisher nichts wusste: ›It Takes Two‹. In Vivas Clan finden sie<br />
auch Branchs Bruder Clay, der <strong>mit</strong>tlerweile als Steuerprüfer einem<br />
gesitteten Leben nachgeht. Auch er ist bereit, sich der Rettungsmission<br />
anzuschließen.<br />
Derweil spornt Velvet ihren Bruder zu immer größeren Konzerten<br />
an, während er Mitleid <strong>mit</strong> dem Troll entwickelt. Kurz vor<br />
ihrem größten Konzert gehen den Geschwistern Branch und seine<br />
Brüder in die Falle. Es kommt erneut zum Streit, doch Branch<br />
kann sie davon überzeugen, dass sie nur gemeinsam überleben<br />
können. Im Duell <strong>mit</strong> Velvet und Veneer gelingt es ihnen, die<br />
perfekte Familienharmonie zu erzeugen (›Better Place‹) und die<br />
Hochstapler zu entlarven.<br />
Der dritte Teil der musikalischen Trolls thematisiert die Bedeutung<br />
von Familie, Versöhnung, Verständnis und Heilung. Sowohl<br />
Poppy als auch Branch lernen, Familie neu zu definieren, während<br />
sie weiter zusammenwachsen und nun als Paar die Probleme angehen.<br />
Justin Timberlake, der in der Originalversion Branch seine<br />
Stimme leiht, stand <strong>mit</strong> seiner Boyband-Musikerfahrung auch<br />
Pate für die Hintergrundgeschichte der Figur. So war Timberlake<br />
auch erneut an der musikalischen Auswahl des Films beteiligt.<br />
Nicht nur Branch bekommt die Chance, wieder <strong>mit</strong> »BroZone«<br />
zusammenzukommen, sondern auch Timberlake hatte die Gelegenheit,<br />
seine Bandkollegen von »*NSYNC« zu treffen und <strong>mit</strong><br />
ihnen den Song ›Better Place‹ aufzunehmen – den ersten neuen<br />
Song der Band seit mehr als zwanzig Jahren! Die Musik unterstreicht<br />
und unterstützt die Handlung <strong>mit</strong> fünf Originalsongs von<br />
Justin Timberlake und Eric Andre, während weitere Covers und<br />
Medleys angespielt und angesungen werden.<br />
Neben der musikalischen Gestaltung überzeugen vor<br />
allem der Look dank des Produktionsdesigns von Ruben Perez<br />
Reynoso sowie die Animation unter der Leitung von Benjamin<br />
Willis und machen »Trolls – Gemeinsam stark« zu einem weiteren<br />
Familienerlebnis.<br />
Sandy Kolbuch<br />
68<br />
blickpunkt musical <strong>06</strong>/20<strong>23</strong>
In Memoriam<br />
In Memoriam<br />
Stefan Huber<br />
Am <strong>23</strong>. November musste die <strong>Musical</strong>welt<br />
von einem der wegweisenden Künstler<br />
im deutschsprachigen Raum Abschied nehmen:<br />
Stefan Huber, der in seiner Karriere fast<br />
alle Bereiche des Theaters durchlief – er war<br />
Darsteller, Autor, Übersetzer, insbesondere<br />
aber Regisseur. Er war unter seinen Kollegen<br />
und Mitstreitern gleichermaßen geachtet<br />
wie beliebt, denn insbesondere in der Regie<br />
kam ihm seine sehr genaue, intensive Arbeit<br />
<strong>mit</strong> den Stücken und den Darstellern sowie<br />
die Liebe zum Genre <strong>Musical</strong> sehr zugute.<br />
Hubers Regieeinfälle zeichneten sich<br />
immer wieder durch bis dahin einzigartige<br />
Ideen aus. So inszenierte er zum Beispiel<br />
»Die Fledermaus« im Theater Winterthur<br />
erstmalig <strong>mit</strong> einem schwulen Paar in der<br />
Hauptrolle: Christoph Marti und Tobias<br />
Bonn von den Geschwistern Pfister waren<br />
2018 Gabriel von Eisenstein und Rosalinde.<br />
Zuletzt feierte die Inszenierung auch an der<br />
Komischen Oper Berlin große Erfolge bei<br />
Presse und Publikum.<br />
Seine Sorgfalt bei den Inszenierungen<br />
und sein Ideenreichtum sorgten nicht nur für<br />
Begeisterung beim Publikum, sondern auch<br />
für mehrere Auszeichnungen, die er in der<br />
<strong>Musical</strong>branche verliehen bekam. So erhielt<br />
er den Da Capo-<strong>Musical</strong> Award für »Beste<br />
Regie« für »Sunset Boulevard« am Theater<br />
Magdeburg und der Schweizer Prix Walo<br />
ging sogar zweifach an ihn – seine Inszenierungen<br />
von »io senza te« und »Oh läck du<br />
mir« in Zürich wurden da<strong>mit</strong> ausgezeichnet.<br />
Die größte Auszeichnung durfte er dann<br />
Anfang Oktober im Theater des Westens<br />
annehmen: Er kam, schon schwer von seiner<br />
Krankheit gezeichnet und von seinem Mann<br />
gestützt, auf die Bühne, um den Ehrenpreis<br />
für sein Lebenswerk von der Deutschen<br />
<strong>Musical</strong> Akademie entgegenzunehmen.<br />
Wir sind sicher, dass sein Lebenswerk<br />
auf vielfältige Weise Menschen erreicht hat,<br />
auf direktem, aber oft auch auf indirektem<br />
Wege, denn die Theater und die Zuschauerräume<br />
sind groß und schaffen es immer<br />
wieder, Menschen, die bereit sind, sich auf<br />
das Abenteuer Vorstellung einzulassen, zu<br />
bewegen. Und dies auf, vor und hinter der<br />
Bühne. Unsere Gedanken sind daher bei<br />
allen Menschen, denen er etwas gegeben<br />
hat, insbesondere aber bei seinem Mann,<br />
seinen nächsten Verwandten und Freunden.<br />
Sabine Haydn<br />
Foto: BHF / S. Sennewald<br />
blickpunkt musical <strong>06</strong>/20<strong>23</strong> 69
Filme & Serien<br />
Vom Aufstieg und Fall eines Pop-Duos<br />
»Girl You Know It´s True« im Kino<br />
Abb. oben:<br />
»Milli Vanilli«, Rob (Tijan Njie)<br />
und Fab (Elan Ben Ali), bei einem<br />
MTV-Auftritt<br />
Foto: Gordon Timpen / LEONINE<br />
Studios / Wiedemann & Berg Film<br />
Girl You Know It´s True<br />
Leonine<br />
Deutschland 20<strong>23</strong><br />
Kinostart: 21. Dezember 20<strong>23</strong><br />
FSK 12<br />
Länge: 1<strong>24</strong> min<br />
Regie & Drehbuch ...............................<br />
Simon Verhoeven<br />
Kamera .................................. Jo Heim<br />
Filmschnitt .............. Alexander Berner,<br />
Felix Schmerbeck,<br />
Elena Schmidt<br />
Original-Soundtrack .... Segun Akinola<br />
Choreographie ................... Mike Mayr<br />
Produktionsdesign .......... Heike Lange<br />
Kostüme ..................... Ingken Benesch<br />
Hair & Make-up ....... Christina Baier &<br />
Alisza Pfeifer<br />
Produktion ...................... Quirin Berg,<br />
Max Wiedemann,<br />
Kirstin Winkler<br />
Frank Farian .... Matthias Schweighöfer<br />
Robert Pilatus ..................... Tijan Njie<br />
Fabrice Morvan ............... Elan Ben Ali<br />
Lisa ............................. Natasha Loring<br />
Milli ................................. Bella Dayne<br />
Todd Headlee ............. Graham Rogers<br />
Melly ............................... Mitsou Jung<br />
Karl Pilatus ................. Thomas Bading<br />
Anna Pilatus .................. Ulrike Arnold<br />
John Davis ............. Samuel S. Franklin<br />
Brad Howell ............... David Mayonga<br />
Musikproduzent Ralph Siegel produzierte 1988<br />
unter dem Bandnamen »Empire Bizarre«, für<br />
den die Tänzer Robert Pilatus und Fabrice Morvan<br />
engagiert wurden, die Single »Dansez«. Der Titel<br />
floppte. Frank Farian bot den beiden Interpreten die<br />
Mitarbeit an seinem Projekt »Milli Vanilli« an, für das<br />
er Coverversionen bereits existierender Songs als Playback<br />
produzierte. Trotz öffentlicher Hinweise der wahren<br />
Sänger hinter der Band, wie dem Rapper Charles<br />
Shaw, wuchs die Bekanntheit von »Milli Vanilli«. Erst<br />
nach einem Auftritt während der nicht von Farian<br />
abgesegneten US-Tour, bei dem das Playbackband<br />
stehen blieb und so dem Publikum offenbarte, dass<br />
die beiden Tänzer nicht selber sangen, kam es zum<br />
Skandal.<br />
Regisseur Simon Verhoeven erzählt nach seinem<br />
eigenen Drehbuch im Biopic »Girl You Know It´s<br />
True« von dem Skandal, der um die Welt ging. Der<br />
Film startet am 21. Dezember 20<strong>23</strong> im Kino.<br />
Robert »Rob« Pilatus, 1964 als Sohn eines USamerikanischen<br />
Vaters und einer deutschen Mutter<br />
geboren, wird im Alter von drei Jahren von dem<br />
Münchner Ehepaar Karl (Thomas Bading) und Anna<br />
Pilatus (Ulrike Arnold) adoptiert. Missbraucht als<br />
Prestigeobjekt für ihren selbstlosen Einsatz wächst<br />
Rob als einziger seiner Hautfarbe in der Gemeinschaft<br />
der Eltern als Sonderling heran. Seine Liebe zur Musik<br />
und die Leidenschaft für den Breakdance versucht der<br />
Vater zu unterdrücken. Eine Ausbildung als Einzelhandelskaufmann<br />
entspricht eher seiner Vorstellung,<br />
gegen die Rob (Tijan Njie) rebelliert. Als er 1986 für<br />
ein Musikvideo als Tänzer engagiert wird, lernt er<br />
den Franzosen Fabrice »Fab« Morvan (Elan Ben Ali)<br />
kennen, der als Choreograph agiert. Als ersten anderen<br />
Mann der gleichen Hautfarbe fühlt sich Rob <strong>mit</strong> ihm<br />
verbunden. Nach der gemeinsamen Arbeit entwickelt<br />
sich eine Freundschaft zwischen den Männern, die<br />
nach einem weiteren Streit zwischen Rob und seinem<br />
Vater zusammenziehen. Zusammen träumen sie davon,<br />
als Tänzer bekannt zu werden, und treten in Clubs auf.<br />
Zur gleichen Zeit gerät Musikproduzent Frank<br />
Farian in die Kritik: Boney M. ist als Tanzmarionette<br />
verschrien, der Farian seine Gesangsstimme leiht. Journalistin<br />
Ingrid »Milli« Segieth (Bella Dayne) heuert bei<br />
Fabian als Assistentin an. Sie soll nach neuen »Stars«<br />
Ausschau halten. Milli entdeckt Rob und Fab 1988 in<br />
einem Club und bringt sie <strong>mit</strong> Farian zusammen. Dieser<br />
beteuert, dass er weder Tänzer noch Sänger sucht,<br />
sondern lediglich »Stars«, die in seinem Interesse den<br />
Song ›Girl You Know It´s True‹ bekannt machen. Rob<br />
und Fab willigen - für eine Gage von 10.000 DM, eine<br />
moderne Wohnung sowie ein professionelles Makeover<br />
- in den Vertrag ein, unter dem Bandnamen »Milli<br />
Vanilli« aufzutreten. Als sie durch Freunde herausfinden,<br />
dass ihr Song, den sie stets als Playback performen,<br />
bereits existiert und von anderen Acts gesungen<br />
wurde, hinterfragen sie ihren Vertrag. Aber Farian<br />
kann ihnen glaubhaft machen, dass Coversongs eine<br />
legitime Kunstform der Branche sind und Playbacks<br />
von vielen Künstlern genutzt werden.<br />
Um die Fäden in der Hand zu behalten, lässt Farian<br />
eigenmächtig Demo-Platten pressen. Der erste Song<br />
wird auf MTV gespielt und landet in den Charts.<br />
Im Juni ´88 präsentieren »Milli Vanilli« in London<br />
ihre erste Single. Ihre Bekanntheit steigt. Farian produziert<br />
derweil im Münchner Studio ihren zweiten Hit<br />
›Baby, Don´t Forget My Number‹. John Davis (Samuel<br />
S. Franklin) und Brad Howell (David Mayonga), die<br />
Farians Meinung nach optisch nicht für die Fans und<br />
Medien taugen, singen den Song im Studio ein, welcher<br />
später von »Milli Vanilli« ebenfalls wieder lippensynchron<br />
»gesungen« wird.<br />
Arista Records wird auf die Band aufmerksam.<br />
Todd Headlee (Graham Rogers), Gary (James Flynn)<br />
70<br />
blickpunkt musical <strong>06</strong>/20<strong>23</strong>
Filme & Serien<br />
und Denise Milian (Darlene Tejeiro) wollen »Milli<br />
Vanilli« in Amerika groß rausbringen und organisieren<br />
eine US-Tour für sie. Schnell merken sie jedoch, dass<br />
die Künstler zwar das luxuriöse Leben genießen und<br />
ambitioniert sind, jedoch von der Branche nur wenig<br />
Ahnung haben. Noch immer davon überzeugt, dass sie<br />
eines Tages selbst singen werden, lassen sich Rob und<br />
Fab weiter für die Aktion des Labels vor den Karren<br />
spannen. Die Fangemeinde wächst und erstmals lernen<br />
die jungen Männer auch die Kehrseite der Medaille<br />
kennen. Drogen und Alkohol gehören bald zum Alltag.<br />
Dennoch erreichen sie Platz 1 der US-Charts und<br />
Farian hat bereits ihren nächsten Song ›Blaim It on the<br />
Rain‹ in petto. Der Erfolg steigt Fab und Rob zu Kopf.<br />
Stets high geben sie Interviews, die ihrem Image schaden,<br />
und landen zur Ausnüchterung im Krankenhaus.<br />
Milli versucht Rob und Fab wieder nach München<br />
zu zitieren, doch ihr Auftritt in Michigan (›Girl I´m<br />
Gonna Miss You‹) bringt ihnen eine Grammy-Nominierung<br />
ein. Beide planen, erstmals bei der Preisverleihung<br />
1990 in Los Angeles live zu singen, doch Gary<br />
organisiert für sie die Ausnahme: Sie dürfen Playback<br />
singen und nehmen den Preis <strong>mit</strong> nach Hause. Doch<br />
statt Freude über den Preis empfinden beide Scham<br />
und fühlen sich als Betrüger. Sie wollen der Öffentlichkeit<br />
die Wahrheit sagen und stimmen einer USA-<br />
Tour nur <strong>mit</strong> der Genehmigung, dass sie selbst singen<br />
dürfen, zu. Um sein eigenes Image fürchtend kommt<br />
ihnen Farian zuvor und offenbart im November bei<br />
einer Pressekonferenz in New York den Schwindel.<br />
Die Tournee wird sofort vom Label abgesagt und<br />
die Manager distanzieren sich von ihnen, ebenso wie<br />
die Fans. Rob und Fab werden von der Presse zerrissen,<br />
was ihr Leben prägt und verheerende Konsequenzen<br />
nach sich zieht.<br />
Der Film beginnt, nachdem die Wahrheit über ihre<br />
Karriere um die Welt ging. Rob und Fab berichten in<br />
Rückblenden von ihrem Aufstieg und Fall. Sie selbst<br />
nehmen kein Blatt vor den Mund und erzählen unverblümt<br />
von ihren Alkohol- und Drogenexzessen. Sie<br />
stellen sich bei ihren Ausführungen weder als Opfer<br />
der Branche noch als Betrüger hin, sondern versuchen<br />
stattdessen beide Seiten objektiv zu zeigen, sodass die<br />
Zuschauer selbst ihre eigenen Rückschlüsse ziehen können.<br />
Das Casting von Tijan Njie und Elan Ben Ali als<br />
Rob und Fab ist mehr als geglückt, erwecken sie doch<br />
den Anschein, man sähe die realen Gesichter von »Milli<br />
Vanilli« auf der Leinwand. Wer sich nach dem Kinofilm<br />
die alten originalen Videoclips der Band anschaut,<br />
wird verblüfft sein, <strong>mit</strong> welcher Detailgenauigkeit die<br />
Filmemacher gearbeitet haben. Fast 1:1 werden die<br />
Clips umgesetzt, die <strong>mit</strong> dem satten Sound den Kinosaal<br />
erfüllen.<br />
Dies ist auch dem Komponisten und Musiker des<br />
Original-Songs »Girl You Know It´s True«, Kevin Liles,<br />
zu verdanken, der als Executive Producer des Films<br />
fungiert. Sänger Brad Howell, Jasmin Davis (Tochter<br />
seines <strong>mit</strong>tlerweile verstorbenen musikalischen Partners<br />
John Davis), »Milli Vanillis« ehemaliger Assistent<br />
Todd Headlee sowie Rob Pilatus´ Schwester Carmen<br />
Pilatus fungieren als Associate Producers. Durch diesen<br />
Hintergrund ist davon auszugehen, dass trotz aller<br />
filmischen Freiheiten die Geschehnisse sehr eng <strong>mit</strong><br />
der tatsächlichen Wahrheit um die Band abgestimmt<br />
wurden.<br />
So<strong>mit</strong> ist »Girl You Know It´s True« ein interessantes<br />
sowie spannendes Stück Zeitgeschichte, das hinter die<br />
Kulissen der Musikbranche blickt und den Zuschauer<br />
dafür sensibilisiert, die Machenschaften hinter dem<br />
Offensichtlichen zu hinterfragen.<br />
Sandy Kolbuch<br />
Abb. unten von links oben:<br />
1. »Milli Vanilli« (Tijan Njie, Elan<br />
Ben Ali) freuen sich über ihre erste<br />
Goldene Schallplatte<br />
2. Matthias Schweighöfer spielt<br />
Frank Farian<br />
3. Milli (Bella Dayne) und Frank<br />
(Matthias Schweighöfer) sind ein<br />
Dream-Team<br />
4. Elan Ben Ali als Fabrice Morvan<br />
und Tijan Njie als Robert Pilatus<br />
Fotos (4): Gordon Timpen / LEONINE<br />
Studios / Wiedemann & Berg Film<br />
blickpunkt musical <strong>06</strong>/20<strong>23</strong><br />
71
Filme & Serien<br />
Sei vorsichtig, was du dir wünschst<br />
Disneys »Wish« ab dem 30. November im Kino<br />
Abb. oben:<br />
Mitten im Wald begegnet Asha und<br />
den Tieren ein Stern<br />
Abb. unten:<br />
Magnifico macht sich die dunkle<br />
Magie zu Nutzen<br />
Wish<br />
Fotos (2): Disney<br />
Disney<br />
USA 20<strong>23</strong><br />
Kinostart: 30. November 20<strong>23</strong><br />
FSK 0<br />
Länge: 95 min<br />
Regie ............................. Chris Buck &<br />
Fawn Veera Sunthorn<br />
Drehbuch ..................... Jennifer Lee &<br />
Allison Moore<br />
Score ............................ Dave Metzger<br />
Songs ........................ Julia Michaels &<br />
Benjamin Rice<br />
Filmschnitt .............. Jeff Draheim, ACE<br />
Produktionsdesign ...... Michael Giaimo,<br />
Lisa Keene,<br />
David Womersley<br />
Sounddesign .................... Nia Hansen<br />
Produktion ............... Peter Del Vecho,<br />
Juan Pablo Reyes Lancaster-Jones<br />
Asha ......................... Ariana DeBose /<br />
Patricia Meeden<br />
Magnifico ......................... Chris Pine /<br />
Alexander Doering<br />
Valentino .......................... Alan Tudyk<br />
Amaya ..................... Angelique Cabral<br />
Dahlia ................. Jennifer Kumiyama /<br />
Hazel Brugger<br />
Bazeema ...... Della Saba / Julia Beautx<br />
Wäre es nicht ganz wundervoll, wenn man jemandem<br />
seinen Herzenswunsch anvertraut und dieser<br />
eines Tages erfüllt werden würde? Oder weiß man<br />
einen erfüllten Wunsch mehr zu schätzen, wenn man<br />
ihn sich dank eigener Arbeit und Mühe selbst erfüllen<br />
konnte? Diesen Fragen geht ab dem 30. November<br />
der neue Walt Disney Animationsfilm »Wish« auf den<br />
Grund.<br />
Die 17-jährige Asha lebt zusammen <strong>mit</strong> ihrer Mutter<br />
und ihrem Großvater im Königreich von Rosas,<br />
einer Insel, die einst König Magnifico zusammen <strong>mit</strong><br />
seiner Frau, Königin Amaya, schuf. Als Fremdenführerin<br />
bringt Asha den Besuchern die Besonderheiten<br />
der Insel nahe: ›Welcome to Rosas/Die Stadt namens<br />
Rosas‹. Am 100. Geburtstag ihres Großvaters ist<br />
Asha besonders aufgeregt, weil sie den König, den<br />
Beschützer der Wünsche, interviewen darf. Der König<br />
ist dem Mädchen wohlgesonnen, kannte er doch<br />
ihren verstorbenen Vater, einen Philosophen. Voller<br />
Liebe denkt Asha an ihren Vater, der ihr das Malen<br />
beibrachte und den sie vor 5 Jahren verloren hat. Der<br />
König zeigt Asha den Raum, in dem er all die Wünsche<br />
aufbewahrt, die die Bewohner der Insel ihm nach<br />
ihrem 18. Geburtstag anvertrauen. Er erläutert Asha,<br />
dass er nur die Wünsche des Herzens erfüllt, die das<br />
Beste aus dem Menschen hervorbringen: ›At All Costs/<br />
Was auch kommt‹. Asha nutzt die Chance im Gespräch<br />
und bittet den König, den Wunsch ihres Großvaters<br />
anlässlich seines Geburtstags zu erfüllen, nachdem sie<br />
diesen <strong>mit</strong> eigenen Augen gesehen hat. Doch kaum hat<br />
sie Magnifico ihre Bitte vorgetragen, zeigt sich dieser<br />
erzürnt. Seine zuvor noch ruhige und liebenswerte Art<br />
bekommt einen sichtbaren Riss. Asha erkennt, dass<br />
Magnifico nicht nur seine Rolle bei der Erfüllung von<br />
Wünschen genießt, sondern vor allem auch die Kontrolle<br />
und Macht, die er darüber und so<strong>mit</strong> auch über<br />
die Bewohner Rosas hat. Er allein entscheidet, wem ein<br />
Wunsch erfüllt wird und wem nicht. Alle Wünsche,<br />
die zu groß, ambivalent oder auch nur entfernt bedrohlich<br />
für Magnifico sind, werden nicht erfüllt und<br />
sogar vernichtet. Das bedeutet, dass nur die wenigsten<br />
Menschen in Rosas überhaupt eine Chance haben,<br />
ihren Wunsch erfüllt zu bekommen. Enttäuscht über<br />
die Erkenntnis wendet sich Asha von ihm ab. Sie fühlt<br />
sich betrogen und läuft fort, um ihre Gedanken zu<br />
sammeln. An einem alten Baum, an dem sie immer<br />
Zeit <strong>mit</strong> ihrem Vater verbracht hat, wünscht sie sich<br />
von ganzem Herzen, einen Weg zu finden, um ihrem<br />
Großvater und den Bewohnern Rosas ihre Wünsche<br />
zurückgeben zu können. Mit ganzem Herzen schickt<br />
Asha ihren Wunsch gen Himmel (›The Wish/Ich habe<br />
diesen Wunsch‹) und beschwört da<strong>mit</strong> unbewusst<br />
einen Wunschstern zur Erde herab.<br />
Der kleine Wunschstern erkundet wissbegierig die<br />
ihm unbekannte Welt und hört sich Ashas Leid an. Er<br />
belebt die Tiere und Pflanzen des Waldes, wodurch<br />
Asha erkennt, dass jedes Lebewesen etwas ganz Besonderes<br />
ist: ›I´m a Star/Ein Star‹.<br />
Asha ahnt nicht, dass jeder auf der Insel, so wie<br />
sie selbst, bei der Ankunft des Sterns <strong>mit</strong> einem hoffnungsvollen<br />
Lichtschein gesegnet wurde. Auch Magnifico<br />
hat dies bemerkt und versucht, der Ursache dessen<br />
72<br />
blickpunkt musical <strong>06</strong>/20<strong>23</strong>
Filme & Serien<br />
auf den Grund zu gehen. Er macht sich dunkle Magie<br />
zu Nutze, um seine Herrschaft zu schützen. Während<br />
sich die Bewohner gegen den König auflehnen und<br />
von ihm verlangen, ihre Wünsche zu sehen, wächst<br />
seine Angst vor dem Machtverlust. Als er herausfindet,<br />
dass Asha im Besitz eines »Sterns« ist, ersinnt er<br />
einen Plan: Mit der Aussicht, weitere Wünsche zu<br />
erfüllen, bringt er seine Untertanen dazu, sich auf die<br />
Suche nach Asha zu machen, um sie ihm auszuliefern:<br />
›This Is the Thanks I Get?!/Das ist dafür der Dank‹.<br />
Derweil hat Asha ihre Erkenntnis ihrem Großvater<br />
und ihrer Mutter <strong>mit</strong>geteilt. Mit dem Versprechen,<br />
ihre Wünsche zu »befreien«, macht sie sich auf den<br />
Weg ins Schloss. Dort teilt sie sich auch ihren Freunden<br />
<strong>mit</strong>, die sich ihr im Kampf gegen den König<br />
anschließen. Die Freunde bekommen weitere, unerwartete<br />
Hilfe: ›Knowing What I Know Now/Ich weiß<br />
jetzt Bescheid‹.<br />
Ein Wettlauf <strong>mit</strong> der Zeit beginnt. Das Dunkle<br />
scheint zu siegen. Doch als alle Hoffnung bereits verloren<br />
scheint, reicht ein kleiner Funke, um sie wieder<br />
zu beleben und der Gemeinschaft zu zeigen, dass sie<br />
gemeinsam siegen können: ›This Wish (Reprise)/Ich<br />
habe diesen Wunsch‹.<br />
Der Film wirkt optisch wie eine Aquarellmalerei<br />
und erinnert an die alten Klassiker »Schneewittchen<br />
und die sieben Zwerge« (1937), »Pinocchio« (1940)<br />
und »Dornröschen« (1959). Die Papierstruktur ist der<br />
Kunstrichtung ähnlich und zieht sich von den Hintergründen<br />
über die Figuren im Vordergrund.<br />
Der Film ist eine Hommage an Disneys Vermächtnis,<br />
aber auch eine Reflexion der Gegenwart<br />
und Zukunft des Studios <strong>mit</strong> innovativen Bildern,<br />
einer Vielzahl kultureller Inspirationen und zeitgenössischer,<br />
fesselnder Musik. Für die sieben eigens<br />
für den Film geschriebenen und komponierten<br />
zeitlosen und zugleich zeitgemäßen Originalsongs<br />
zeichnen die für den Grammy nominierte Sängerin<br />
und Songwriterin Julia Michaels und der <strong>mit</strong> einem<br />
Grammy ausgezeichnete Produzent, Songwriter und<br />
Musiker Benjamin Rice, zusammen <strong>mit</strong> Komponist<br />
Dave Metzger, verantwortlich. Mit dem ersten Song<br />
›Welcome to Rosas‹ werden die Zuschauer in der Welt<br />
Ashas begrüßt, wo<strong>mit</strong> sich die Studios an den Intros<br />
von »Frozen/Die Eiskönigin« (›For the First Time in<br />
Forever‹) und »Encanto« (›The Family Madrigal‹) orientiert<br />
haben. Der Song vereint spanische Rhythmen<br />
des Flamenco, zeitgenössischen Tanz und klassisches<br />
Ballett und verdeutlicht das sorgenfreie Leben auf<br />
der Insel. Das Duett ›At All Costs‹ beschreibt im<br />
Stil eines Walzers die Ehrfurcht, die Magnifico und<br />
Asha gegenüber den Wünschen der Bürger von Rosas<br />
empfinden, während die Wünsche in einer magischen<br />
Choreographie zu tanzen scheinen. ›I´m A Star‹ kann<br />
als Hommage an all die singenden Tiere wie Balu<br />
(»Das Dschungelbuch«) oder Krabbe Sebastian (»Die<br />
kleine Meerjungfrau«) verstanden werden. Wenn die<br />
Pilze aus dem Boden sprießen und gemeinsam <strong>mit</strong><br />
den Bären, Vögeln, Hasen und Eichhörnchen <strong>mit</strong><br />
kurzen Rapeinlagen singen, wird dem Zuschauer<br />
warm ums Herz, bevor <strong>mit</strong> Magnificos Selbsterkenntnis<br />
›This Is the Thanks I Get?!‹ düstere Zeiten<br />
aufziehen. Das kraftvolle ›Knowing What I Know<br />
Now‹ birgt die Erkenntnis, dass sie nur gemeinsam<br />
den Kampf gewinnen können, und formt sie zu den<br />
Helden der Geschichte, die über ihre Ängste und Sorgen<br />
hinauswachsen. Abgerundet wird die musikalische<br />
Reise des Films durch den Finalsong ›When You<br />
Wish Upon A Star‹, der von Leigh Harline (Musik)<br />
und Ned Washington (Text) stammt. Im Original<br />
performt von Julia Michaels wird ›Weil der Wunsch<br />
es wert ist‹ in der deutschen Fassung von Helene<br />
Fischer gesungen. In der englischen Fassung leiht die<br />
Oscar-Gewinnerin Ariana DeBose Asha ihre Sprechund<br />
Gesangsstimme, in der deutschen Übersetzung<br />
übernimmt Patricia Meeden den Part.<br />
Mit »Wish« präsentieren die Walt Disney Animation<br />
Studios ein Feuerwerk der Gefühle, welche durch<br />
einen abwechslungsreichen Score und emotionsgeladene<br />
Songs getragen werden. Phantasievoll, euphorisch,<br />
entrüstet und hoffnungsvoll stimmt »Wish« auf<br />
die bevorstehenden Feiertage ein.<br />
Sandy Kolbuch<br />
Abb. oben:<br />
Asha im Raum der Wünsche<br />
Abb. unten von links oben:<br />
1. Valentino dirigiert den Hühnerchor:<br />
›I´m a Star‹<br />
2. Magnifico ist sich seiner Macht<br />
bewusst:<br />
›This Is the Thanks I Get?!‹<br />
3. Asha glaubt an die Güte von<br />
Magnifico: ›At All Costs‹<br />
4. Magnifico zeigt Asha die<br />
Wünsche: ›At All Costs‹<br />
Fotos (5): Disney<br />
blickpunkt musical <strong>06</strong>/20<strong>23</strong> 73
Einblick<br />
Jedes Kind (und jeder Erwachsene) braucht<br />
Disney<br />
Patricia Meeden im Interview über ihre Rolle in »Wish«<br />
<strong>Musical</strong>darstellerin, Schauspielerin<br />
und Sängerin Patricia Meeden, bekannt<br />
aus »Bodyguard« und »Pretty Woman«<br />
sowie aus der Krimiserie »Wilsberg«,<br />
leiht im neuesten Disney-Animationsfilm<br />
»Wish« der Hauptfigur Asha ihre Sprechund<br />
Gesangsstimme.<br />
blickpunkt musical: Disney ist dafür<br />
bekannt, dass die Sprecher immer sehr<br />
typspezifisch gecastet werden. Wie kam<br />
es zu Ihrer Kooperation <strong>mit</strong> Disney?<br />
Patricia Meeden: Also ich habe ja das<br />
Gefühl, dass die Macher von Disney mich<br />
sehr lange beobachtet haben und dann<br />
einfach jemanden gezeichnet haben, der<br />
so ist wie ich. (lacht) Ich habe noch nie<br />
eine Disney-Prinzessin erlebt, die so nah<br />
an mir dran ist und <strong>mit</strong> der ich mich so<br />
identifizieren kann. Deswegen glaube ich<br />
einfach, es sollte so sein! Auch dass ich<br />
das Glück habe, dass ich sie sprechen und<br />
singen darf, ist für mich die größte Erfüllung,<br />
denn man gibt der Rolle dann auch<br />
wirklich seinen »Stempel«. Ich bin schon<br />
sehr nahe an der Sprechstimme und oft<br />
auch an der Haltung von Ariana DeBose,<br />
der Originalstimme des Charakters. Für<br />
mich war das alles wirklich sehr sehr passend:<br />
die Rolle, die Vorgabe aus Amerika.<br />
Und da glaube ich wirklich ein bisschen<br />
an Schicksal. Ich musste lange warten<br />
und die perfekte Disney Prinzessin für<br />
mich ist gekommen: Asha.<br />
blimu: Dann brauche ich ja gar nicht<br />
mehr zu fragen, wie Sie sich in die Figur<br />
eingefühlt haben, wenn Sie selbst sagen,<br />
die Rolle ist sehr nahe an Ihnen dran.<br />
PM: Tatsächlich war es einfach. Ich<br />
habe angefangen zu sprechen und es<br />
fühlte sich einfach so selbstverständlich<br />
an, weil ich mich nicht so sehr verstellen<br />
und auch nicht meine Stimme ändern<br />
musste. Ich war einfach ICH. (lacht) So<br />
ein kleines rotzfreches Mädel, und das hat<br />
gepasst.<br />
blimu: Dann müssen wir alle auf eine<br />
Fortsetzung hoffen.<br />
Foto: Julian Freyberg<br />
Photography<br />
PM: Oh, das hoffe ich doch sehr. Das<br />
würde ich direkt mal hier platzieren.<br />
74<br />
blickpunkt musical <strong>06</strong>/20<strong>23</strong>
Einblick<br />
blimu: Die Songs unterscheiden sich alle<br />
vom Stil. Zu Beginn bei ›Die Stadt namens<br />
Rosas‹ hören wir Flamenco-Töne, ›Ich habe<br />
diesen Wunsch‹ ist eine tiefgründige Ballade,<br />
wenn Asha <strong>mit</strong> den Tieren im Wald<br />
›Ein Star‹ singt, erkennt man Rap- und<br />
Pop-Elemente, während ›Ich weiß jetzt<br />
Bescheid‹ eine richtige Kampfansage ist.<br />
War es schwer, in dem jeweiligen Song Ihre<br />
Stimmtiefe und -höhe zu finden?<br />
PM: Bei den Songs musste ich tatsächlich<br />
immer umdenken. Der Song,<br />
<strong>mit</strong> dem sie eine Kampfansage macht,<br />
fiel mir anfangs etwas schwerer. Der ist<br />
etwas tiefer und ich musste diese Kampfansage<br />
treffen. Ich habe davor einen Song<br />
aufgenommen, der sehr lyrisch war. Der<br />
Umschwung war etwas schwieriger, aber<br />
als es dann losging, war ich drin. Ich liebe<br />
an diesem Soundtrack, dass die Songs so<br />
viele Facetten haben, weil auch die Rolle<br />
so viele Facetten hat. Der Weg, den Asha<br />
im Film geht, ist so abwechslungsreich.<br />
Deswegen passen die Songs halt auch<br />
immer im richtigen Moment. Das Schöne<br />
ist, dass ich mich nicht mehr allzu viel<br />
inhaltlich vorbereiten musste, weil ich die<br />
Rolle auch spreche. Ich wusste also immer,<br />
warum bin ich jetzt in der Stimmung bei<br />
diesem Song. Das ist sauschwierig, wenn<br />
man nur die Songs macht, weil man die<br />
anderen Infos nicht hat. Die kriegt man<br />
zwar gesagt, aber in diesem Fall wusste ich<br />
genau, ich muss die Songs sehr emotional<br />
anfangen. Als Sängerin verfällt man ja<br />
immer in dieses melodische Singen, und<br />
man möchte einfach nur schöne Töne<br />
produzieren. Aber viel wichtiger ist beim<br />
Synchronisieren, dass die Stimme und die<br />
Emotionen gut rüber kommen. Das heißt,<br />
da muss man manchmal einfach weniger<br />
denken, dass der Ton perfekt sein muss,<br />
sondern sich darauf besinnen, was man<br />
gerade fühlt. Vielleicht kommt dann mal<br />
eine eher brüchige Stimme dabei heraus,<br />
die aber perfekt passt, denn da<strong>mit</strong> erreicht<br />
man die Zuschauer, ansonsten nicht. Wenn<br />
man einfach nur einen schönen Song hinklatscht,<br />
ist es auch in Ordnung, aber die<br />
Zuschauer/Zuhörer berührt es viel mehr,<br />
wenn sie die Emotionen in der Stimme<br />
spüren.<br />
blimu: Wie lange hat die Arbeit im Synchronstudio<br />
gedauert?<br />
PM: Dadurch, dass ich natürlich nebenbei<br />
gedreht habe, »Rent« geprobt und gespielt<br />
habe und dann auch noch ein Casting<br />
in München hatte ... uff ... ich glaube<br />
5 bis 6 Tage für die Dialoge und nur 4 Tage<br />
für das Einsingen der Songs. Es musste<br />
wirklich ratzfatz gehen.<br />
blimu: Gibt es einen Song, der Ihnen<br />
besonders am Herzen liegt?<br />
PM: ›Ich habe diesen Wunsch‹ spricht<br />
einfach mein Herz an, weil ich jemand bin,<br />
der so viele große Wünsche hat – immer<br />
noch –, wobei sich so viele schon erfüllt<br />
haben. Ich bin ein verträumter Mensch<br />
und glaube an die Kraft der Wünsche.<br />
Deswegen spricht der Song extrem zu mir.<br />
Und ich liebe ›Ich bin ein Star‹. Der macht<br />
so viel Spaß. Auch das Duett zwischen dem<br />
König und Asha finde ich wunderschön.<br />
Das ist ein ganz ganz tolles Pop-Duett.<br />
Ach, wir brauchen einfach ein »Wish«-<br />
<strong>Musical</strong>. (lacht) Bitte schnell, da<strong>mit</strong> ich<br />
dann die Rolle auch noch spielen darf.<br />
blimu: Weihnachten ist die Zeit der<br />
Wünsche. Was bedeutet also Weihnachten<br />
für Sie?<br />
PM: Zu Weihnachten wünsche ich mir<br />
tatsächlich immer nur, <strong>mit</strong> meiner Familie<br />
zusammen zu sein und meine Ruhe<br />
zu haben. Wir packen auch gar nicht die<br />
Riesengeschenke aus und Trallala, weil es<br />
mir um etwas ganz anderes geht. Ich bin<br />
soviel unterwegs in meinem Leben. In der<br />
besinnlichen Zeit möchte ich bei meiner<br />
Familie sein. Wir genießen ein schönes<br />
Essen, unterhalten uns, schauen zusammen<br />
tolle Weihnachtsfilme und da geht es komplett<br />
um Besinnlichkeit, um runterkommen<br />
und ankommen und ganz viel Essen.<br />
Da freue ich mich jetzt schon wieder drauf.<br />
blimu: Was bedeuten Ihnen Disneyfilme?<br />
PM: In den Disneyfilmen sieht man, wie<br />
sich Träume erfüllen und was man dafür<br />
machen muss. Ich finde, Disney hat einem<br />
die Tür zu der Erkenntnis geöffnet, dass<br />
sich Wünsche erfüllen können. Ich habe<br />
als Kind so viele tolle Disney-Prinzessinnen<br />
bewundert – war ein Riesenfan von Mulan<br />
und Pocahontas. Das sind einfach starke<br />
Frauen. Als Kind und Jugendliche war ich<br />
eher unsicher. Wenn man dann einen Disneyfilm<br />
sieht, in dem eine starke Frau ihren<br />
Weg geht und ihr Ziel erreicht und sich<br />
ihre Wünsche erfüllt, macht das etwas <strong>mit</strong><br />
einem. Das hat mir viel Kraft gegeben und<br />
inspiriert mich auch heute noch. Deswegen<br />
hat mich Disney schon früh geprägt. Ich<br />
habe es geliebt und liebe es noch immer,<br />
Disneyfilme zu sehen. Ich habe auch<br />
gezeichnet und schon früh da<strong>mit</strong> angefangen,<br />
die Figuren nachzuzeichnen. Es hat<br />
mich künstlerisch sehr beeinflusst. Disney<br />
wird es immer geben. Disneyfilme braucht<br />
jedes Kind und jeder Erwachsene. Für mich<br />
geht die Arbeit <strong>mit</strong> Disney auch weiter, denn<br />
ich werde nächstes Jahr <strong>mit</strong> »Disney in Concert«<br />
auf Tour gehen! So<strong>mit</strong> erfüllt sich ein<br />
weiterer Wunsch für mich!<br />
blimu: Herzlichen Dank für dieses tolle<br />
Gespräch.<br />
Das Interview führte Sandy Kolbuch<br />
Patricia Meeden spricht und singt Asha in »Wish«<br />
Foto: Disney<br />
blickpunkt musical <strong>06</strong>/20<strong>23</strong> 75
<strong>Musical</strong>s in den USA<br />
Ist die Apokalypse gekommen?<br />
Uraufführung von »Here We Are« am Off-Broadway<br />
Abb. oben:<br />
Die reisenden Freunde (Ensemble) in<br />
einem Restaurant<br />
Foto : Emilio Madrid<br />
Here We Are<br />
Stephen Sondheim / David Ives<br />
Stephen Sondheim Trust<br />
The Shed’s Griffin Theater<br />
Uraufführung: 22. Oktober 20<strong>23</strong><br />
Direction ........................ Joe Mantello<br />
Music Direction &<br />
Supervision .......Alexander Gemignani<br />
Orchestrations ............ Jonathan Tunick<br />
Choreography .............. Sam Pinkleton<br />
Set & Costume Design ...... David Zinn<br />
Lighting Design .............. Natasha Katz<br />
Sound Design ................ Tom Gibbons<br />
Man ................................ Denis O´Hare<br />
Woman .......................... Tracie Bennett<br />
Leo Brink .................. Bobby Cannavale<br />
Marianne Brink .......... Rachel Bay Jones<br />
Paul Zimmer ................. Jeremy Shamos<br />
Claudia Zimmer ................ Amber Gray<br />
Raffael Santello Di Santicci ...................<br />
Steven Pasquale<br />
Fritz ......................... Micaela Diamond<br />
Bischof ................... David Hyde Pierce<br />
Soldat ......................................... Jin Ha<br />
Colonel Martin ............ François Battiste<br />
In weiteren Rollen:<br />
Adante Carter,<br />
Lindsay Nicole Chambers,<br />
Bradley Dean, Mehry Eslaminia,<br />
Adam Harrington, Bligh Voth<br />
Dem letzten Musiktheaterwerk von Stephen<br />
Sondheim »Here We Are« eilen fast unerfüllbare<br />
Erwartungen voraus. Auf der einen Seite wird es intensiv<br />
geprüft, auf der anderen Seite steht die außerordentliche<br />
Liebe und Verehrung, die dem Gesamtwerk<br />
des verstorbenen Meisters entgegengebracht wird.<br />
Zweiundzwanzig Produzenten, eine absolutes Top-<br />
Kreativteam und elf Spitzensolisten in den Hauptrollen<br />
haben ihr Talent in dieses faszinierende, einmalige<br />
und doch unerfüllende Projekt einfließen lassen.<br />
Sondheim-Historiker, Enthusiasten, Intellektuelle,<br />
Studenten und Fans werden alle ihre Meinung dazu<br />
haben. Dafür sorgt schon allein der Inhalt: eine Verbindung<br />
von zwei Luis-Buñuel-Filmen, »Der diskrete<br />
Charme der Bourgeoisie« (Akt 1) und »Der Würgeengel«<br />
(Akt 2). Was als Sozialsatire über selbstgefälliges<br />
Anspruchsdenken beginnt, endet in einem schwer<br />
erträglichen Niedergang.<br />
Wenn man das The Shed <strong>mit</strong> seinen Sitzen an drei<br />
Seiten des Theaterraumes betritt, sieht man eine glänzende<br />
weiße Bühne, von Spiegeln umrandet. Sie wird<br />
von Denis O´Hare (im Programm nur »Man« genannt)<br />
und Tracie Bennett (»Woman«) pausenlos gestaubsaugt,<br />
poliert und sauber gemacht. Verschiedene Gäste<br />
erscheinen uneingeladen zum Brunch. Nominelle<br />
Gastgeber sind Leo und Marianne Brink (Bobby Cannavale,<br />
Rachel Bay Jones). Dazu erscheinen ihre engen<br />
Freunde Paul und Claudia Zimmer (Jeremy Shamos,<br />
Amber Gray), ein sexbesessener Diplomat namens<br />
Raffael Santello Di Santicci (Steven Pasquale) und<br />
Mariannes Schwester (Bruder?), Fritz (Micaela Diamond),<br />
ein/e desillusionierte/r Punk-Rebell/in. Da es<br />
kein Essen für die zusammengewürfelte Truppe gibt,<br />
fahren sie <strong>mit</strong> dem Auto zu verschiedenen exklusiven<br />
Restaurants, in denen nie etwas serviert wird, nicht<br />
einmal ein Glas Wasser. »Here We Are« provoziert<br />
immer wieder absichtlich den Vergleich zu verschiedenen<br />
anderen Sondheim-Shows und zitiert sie, musikalisch<br />
wie theatralisch. Zum Beispiel zitiert die Suche<br />
im Auto im 1. Akt (›The Road‹) den Song ›A Weekend<br />
in the Country‹ aus »A Little Night Music«.<br />
Alle diese sich selbst verherrlichenden und <strong>mit</strong> sich<br />
selbst beschäftigten Bourgeoisie-Menschen sind ein<br />
gefundenes Fressen für Sondheims spezielle im Staccato<br />
abgefeuerten zungenbrecherischen Texte. Voller Vergnügen<br />
erkennt das Publikum un<strong>mit</strong>telbar Zitate aus<br />
›The Little Things You Do Together‹ aus »Company«<br />
oder die Abfuhr, die Jacks Mutter Jack und Milky<br />
White in »Into the Woods« erteilt, um nur einige zu<br />
nennen. Duette und Ensembles fließen und halten<br />
an, stoppen und fangen wieder an, aber es gibt wenige<br />
große Soli, wenn überhaupt. Raffael wiederholt seine<br />
Verführungseinladungen an jede der Frauen. Fritz hat<br />
eine tolle Anti-Establishment-Tirade über seine/ihre<br />
Rolle in der kommenden Revolution. Denis O´Hare<br />
spielt mehrere Rollen und verkleidet sich als Kellner<br />
<strong>mit</strong> witzigen Antworten und Tracie Bennett spielt im<br />
Wesentlichen ein Dienstmädchen, das sich bückt und<br />
stumm ist. Sie hat ein überflüssiges Solo, wo sie sich<br />
anhört und aussieht wie eine einfache Kopie von Carol<br />
76<br />
blickpunkt musical <strong>06</strong>/20<strong>23</strong>
<strong>Musical</strong>s in den USA<br />
Channing (ein Broadway-Star der 60er Jahre).<br />
Im Gegensatz dazu enthält der zweite Akt, als »The<br />
Room« bezeichnet, so gut wie gar keine Songs, sondern<br />
nur ab und an orchestrale Untermalung. Raffael Santello<br />
Di Santicci lädt seine hungrige Truppe zu einer<br />
Mahlzeit ein, als Ort hierfür dient ein luxuriöses in<br />
Gold und Schwarz gestaltetes Zimmer in der Botschaft.<br />
Hier kommen verschiedene neue Charaktere<br />
dazu: ein Bischof (ein sehr amüsanter David Hyde<br />
Pierce), ein Soldat (Jin Ha), der sich auf der Stelle in<br />
Fritz verliebt, und Colonel Martin (François Battiste),<br />
der Beweise dafür entdeckt hat, dass die Brinks und<br />
die Zimmers ein Drogenkartell betreiben. Martin<br />
entdeckt außerdem, wer seine Eltern bei einem Raub,<br />
bei dem $26.15 erbeutet wurden, getötet hat. Wie im<br />
Film »Der Würgeengel« stellen die Charaktere fest, dass<br />
sie den Raum nicht verlassen können, und verbringen<br />
die Nacht auf Stühlen oder auf dem Boden. Wieder<br />
gibt es kaum Essen. Hunger und Verzweiflung provozieren<br />
Auseinandersetzungen, kleinlichen Verrat und<br />
wahnhafte Spekulationen. Eine alte Ming Vase wird zu<br />
einer improvisierten Toilette. Der Narzissmus der Charaktere<br />
wird offen gelegt und ihre Nutzlosigkeit und<br />
Oberflächlichkeit zeigt sich noch mehr in hysterischen<br />
Dialogen. Näher kommendes Dröhnen, Schüsse und<br />
Explosionen sind aus dem OFF zu hören.<br />
Der Kritiker fühlt sich an das Buch »Second Act<br />
Trouble« von Steven Suskin erinnert. »Here We Are«<br />
kommt arg ins Schlingern, nicht nur wegen des Mangels<br />
an Songs, sondern auch wegen der Frage, worüber man<br />
eigentlich singen sollte? Die Antwort: Nichts ... Die<br />
Herren Ives, Sondheim und Mantello haben sich sicher<br />
wochen- oder monatelang Gedanken über diese Herausforderung<br />
bzw. dieses Problem gemacht. Trotz ihrer<br />
Brillanz und die bestmögliche Cast wird die Show im<br />
zweiten Akt dröge und der Bogen der Story fängt an zu<br />
nerven. Wie kommt man aus diesem Dilemma heraus?<br />
In »Assassins« gab es an dieser Stelle ›Another National<br />
Anthem‹, aber hier gibt es weder eine Offenbarung,<br />
noch eine Katharsis, noch einen zündenden Funken.<br />
Selbst wenn Sondheim noch leben würde, wäre es<br />
zweifelhaft, ob er, Ives und Mantello die schlechte Idee<br />
hätten retten können. Dass »Der Würgeengel« dafür<br />
bekannt ist, dass er gerade keine Musik enthält, schien<br />
kein Hinweis auf die Untauglichkeit als <strong>Musical</strong>stoff<br />
gewesen zu sein.<br />
Ein großer Teil des Problems von »Here We Are«<br />
besteht darin, dass es sich bei den Charakteren um<br />
flache Archetypen <strong>mit</strong> beliebigem Benehmen handelt,<br />
auch wenn dies oft amüsant ist. So fühlt sich zum Beispiel<br />
Rachel Bay Jones als Marianne Brink wiederholt<br />
so schwindlig, dass sie sich nicht erinnern kann, was sie<br />
an diesem Morgen tun wollte – aber dafür sieht sie toll<br />
aus in ihrem blassblauen Bademantel. Anders als die<br />
Hauptrollen in anderen Sondheim-<strong>Musical</strong>s (»Follies«,<br />
»Into the Woods«, »Company«, »Passion«, »Anyone<br />
Can Whistle«) lernen weder die Zuschauer noch die<br />
Charaktere jemals irgendetwas. Das bisschen an Interesse,<br />
das man für die Brinks, Zimmers, Fritz etc. aufbringen<br />
kann, resultiert daraus, dass man den Darstellern<br />
auf der Höhe ihrer Kunst dabei zusehen kann, wie<br />
sie ein neues, unerprobtes Stück von Sondheim und<br />
Ives kreieren. Als Darsteller haben sie wahrscheinlich<br />
den Spaß ihres Lebens. Die Show endet, wie es sein<br />
muss, da<strong>mit</strong>, dass sich der schwarze Raum auflöst und<br />
die Spiegel und das helle Weiß zurückkehren und die<br />
Darsteller auf das Publikum zurennen. Blackout. Ist<br />
die Apokalypse gekommen? Wenn die Autoren »Here<br />
We Are« als existenziellen Abstieg in den Nihilismus<br />
gemeint haben, dann ist der Effekt sprunghaft, leer<br />
und nicht überzeugend.<br />
Im Rückblick auf den Abend fühlt sich der Rezensent<br />
an die Uraufführung von »Assassins« 1990 erinnert,<br />
als gerade der Golfkrieg anfing und das Publikum<br />
überhaupt nicht in der Stimmung war für das,<br />
was es sah. Die Trostlosigkeit von »Assassins« spiegelte<br />
die Trostlosigkeit der realen Welt wider. Genauso<br />
ist es bei »Here We Are«: ein neues <strong>Musical</strong>, dessen<br />
düsterer Blick auf das Leben sein reales Gegenstück<br />
findet in den Konflikten zwischen Russland und der<br />
Ukraine und Israel und der Hamas und den Millionen<br />
von Flüchtlingen überall auf der Welt, die verzweifelt<br />
versuchen, in die USA zu gelangen, während die<br />
Republikaner das Land zum Stillstand gebracht haben.<br />
Wenn wir über die gerade stattfindende Apokalypse im<br />
Zusammenhang <strong>mit</strong> dem Stück reden, bleibt vermutlich<br />
die Erkenntnis, dass Sondheim wie immer vieles<br />
klarer vorhergesehen hat, als wir es uns hätten vorstellen<br />
können, selbst wenn er das Stück schon vor einigen<br />
Jahren geschrieben hat.<br />
Vermutlich wird man, noch mehr als bei »Road<br />
Show«, »Here We Are« nicht in anderen Produktionen<br />
so überarbeiten können, wie es bei »Merrily We<br />
Roll Along« oder »Anyone Can Whistle« gelungen ist.<br />
Abb. unten von links:<br />
1. Der Bischof (David Hyde Pierce,<br />
Mitte) versucht, sich um die im<br />
Botschaftspalast gestrandeten<br />
Freunde (Ensemble) zu kümmern<br />
2. Das Ensemble beim Schlussapplaus<br />
(v.l.): Woman (Tracie<br />
Bennett), Man (Denis O´Hare),<br />
Raffael Santello Di Santicci (Steven<br />
Pasquale), Claudia Zimmer (Amber<br />
Gray), Paul Zimmer (Jeremy<br />
Shamos), Leo Brink (Bobby<br />
Cannavale), Marianne Brink (Rachel<br />
Bay Jones), Colonel Martin (François<br />
Battiste), Fritz (Micaela Diamond),<br />
der Soldat (Jin Ha) und der Bischof<br />
(David Hyde Pierce)<br />
Fotos (2): Emilio Madrid<br />
blickpunkt musical <strong>06</strong>/20<strong>23</strong><br />
77
<strong>Musical</strong>s in den USA<br />
Abb. unten von oben links:<br />
1. Der Soldat (Jin Ha, l.) ist vom<br />
nicht-binären Rebellen Fritz<br />
(Micaela Diamond, r.) fasziniert<br />
2. Die Stimmung wird zunehmend<br />
hysterischer<br />
3. Fritz (Micaela Diamond, l.) macht<br />
sich <strong>mit</strong> apokalytischen Ideen<br />
unbeliebt (Ensemble)<br />
4. Die Freunde in einem weiteren<br />
Restaurant, das kein Essen serviert.<br />
Die Auskunft des Kellners, »I´ll have<br />
to look into that«, wird <strong>mit</strong> jedem<br />
weiteren Restaurant ein Running<br />
Gag der Show<br />
5. Die Hauptrollen (v.l.): Raffael<br />
Santello Di Santicci (Steven<br />
Pasquale), Claudia Zimmer (Amber<br />
Gray), Paul Zimmer (Jeremy<br />
Shamos), Leo Brink (Bobby<br />
Cannavale), Marianne Brink (Rachel<br />
Bay Jones), Colonel Martin (François<br />
Battiste), Fritz (Micaela Diamond)<br />
und der Soldat (Jin Ha)<br />
6. Marianne Brink (Rachel Bay<br />
Jones, vorne r.) hat es eilig, sich an<br />
den endlich gedeckten Tisch in der<br />
Botschaft (Ensemble) zu setzen<br />
Fotos (6) : Emilio Madrid<br />
Auch wird die Show sich vermutlich nicht neu erfinden<br />
lassen wie »Sweeney Todd« oder »Into the Woods«.<br />
Bemerkenswert ist aber die überragende Cast, die<br />
uns <strong>mit</strong> Unterstützung von Ives, Mantello, Ausstatter<br />
David Zinn, Orchestrator Jonathan Tunick und Choreograph<br />
Sam Pinkleton die bestmögliche Version von<br />
»Here We Are« gegeben hat.<br />
Und was ist <strong>mit</strong> der Musik, werden Sie jetzt fragen?<br />
Es wird ein nettes Castalbum geben, wo wir den Witz,<br />
das Können und die Vorstellungskraft genießen können,<br />
<strong>mit</strong> der Sondheim an seine Werke herangegangen<br />
ist, um diese dann nochmal unter die Lupe nehmen zu<br />
können. Brooks Atkinson hat 1940 einmal über »Pal<br />
Joey« gesagt: »Can one draw sweet water from a foul<br />
well?« (dt.: »Kann man aus einem fauligen Brunnen<br />
klares Wasser schöpfen?«). 1952 nahm er es zurück.<br />
Vermutlich kann man es nicht. Das Publikum kann<br />
sehr wohl <strong>mit</strong> selbstsüchtigen, ärgerlichen und unsympathischen<br />
Charakteren wie Joey Evans (»Pal Joey«),<br />
Franklin Shepard (»Merrily We Roll Along«), Harry<br />
Bogen (»I Can Get It for You Wholesale«) oder Mama<br />
Rose (»Gypsy«) umgehen. Nihilismus und der Weltuntergang<br />
sind keine sehr interessanten Themen, um<br />
darüber zu singen. Und selbst wenn – dann nicht von<br />
diesen Charakteren, dafür sind sie zu trivial.<br />
Aber – wer kann und will David Ives und Stephen<br />
Sondheim einen Vorwurf daraus machen, dass sie versucht<br />
haben, die Grenzen des Genres <strong>Musical</strong> auszuloten<br />
und vorantreiben zu wollen?<br />
Richard C. Norton<br />
Dt. von Merit Murray<br />
78<br />
blickpunkt musical <strong>06</strong>/20<strong>23</strong>
<strong>Musical</strong>s in den USA<br />
Wieso ein <strong>Musical</strong> über Gutenberg?<br />
»Gutenberg! The <strong>Musical</strong>«<br />
Josh Gad und Andrew Rannells, die ihren Durchbruch am<br />
Broadway in »The Book of Mormon« hatten, sind Darsteller<br />
und noch dazu solche, die einen finanziellen Erfolg<br />
versprechen. Das ist wohl die einzige Erklärung dafür, dass<br />
ein Off-Broadway-Stück von 20<strong>06</strong> namens »Gutenberg! The<br />
<strong>Musical</strong>!« Finanziers für eine Laufzeit am Broadway gefunden<br />
hat. In diesem Zwei-Personen-Stück (<strong>mit</strong> einer dürftigen<br />
Band aus drei Personen) spielen Gad Bud und Rannells Doug,<br />
zwei Tollpatsche aus New Jersey, die ein komisches <strong>Musical</strong><br />
über den Erfinder des Buchdrucks, Johannes Gutenberg,<br />
schreiben.<br />
Wieso ein <strong>Musical</strong> über Gutenberg? Diese Frage belastet<br />
die ganze Produktion. Wenn einige Bücherfreunde denken,<br />
dass das <strong>Musical</strong> in komödiantischer Weise die Erfindung<br />
der Druckpresse <strong>mit</strong> beweglichen Buchstaben beschreibt, so<br />
wie es »Something Rotten!« <strong>mit</strong> der Entwicklung von Shakespeares<br />
»Hamlet« tut, dann liegen sie falsch. Gutenberg ist hier<br />
ein Kelterer in einer fiktiven deutschen Kleinstadt, der das<br />
Problem des Analphabetismus lösen will. Gutenbergs Nemesis<br />
ist ein Mönch, der die Massen in Unwissenheit halten will,<br />
da<strong>mit</strong> er kontrollieren kann, was die Bibel sagt. (Tatsächlich<br />
bezogen Analphabeten in der Zeit vor dem Buchdruck, der<br />
eine massenhafte Verbreitung von Büchern ermöglichte, ihre<br />
Informationen über die (biblische) Welt hauptsächlich aus der<br />
malerischen Ausstattung von Kirchen.)<br />
Das Format des Zweiakters ist ein Liebesdienst von Bud<br />
und Doug am Autorenteam, sie präsentieren das Stück in<br />
Form einer »Backer´s Audition«. Darunter versteht man am<br />
Broadway eine Art Promo-Vorstellung, in der zwei oder drei<br />
Darsteller eine Show in provisorischer Ausstattung für potenzielle<br />
Geldgeber aufführen, indem sie alle Rollen übernehmen.<br />
Um alle drei Dutzend oder mehr Charaktere zu spielen,<br />
setzen sie Baseball-Caps auf <strong>mit</strong> dem Namen der jeweiligen<br />
Rolle. Eine der Rollen ist »das tote Baby«, was einem eine Idee<br />
gibt vom relativ niedrigen Niveau des Humors der Show. Die<br />
potenzielle Liebhaberin heißt Helvetica, wobei beide immer<br />
wieder einwerfen: »Ihr Name ist eine Schriftart« – was noch<br />
einer der amüsantesten One-Liners der Show ist.<br />
Es ist nicht so, dass die Autoren nicht anspruchsvoll<br />
wären. Relativ am Anfang der Show sagt einer der Möchtegern-Produzenten,<br />
als er erklärt, was die Investoren für den<br />
Publikumsgeschmack halten: »Wenn euer neues <strong>Musical</strong><br />
nicht schon ein Film, ein Buch oder ein Märchen ist, das aus<br />
der Perspektive der weiblichen Hauptfigur erzählt wird, dann<br />
werden die Leute nicht ihr Auto verkaufen, um es zu sehen.«<br />
Das ist eine Beschreibung der laufenden Broadway-Saison,<br />
wie sie akkurater nicht sein könnte.<br />
Solche Einsichten sind jedoch selten. Die Hut-auf-Hut-runter-Routine<br />
ermüdet schnell. Die Songs, die keinem erkennbaren<br />
<strong>Musical</strong>genre angehören und auch kaum wiedererkennbare<br />
Melodien haben, gehen undefinierbar ineinander über.<br />
Brown und King entwickelten die Show vor zwei Jahrzehnten<br />
als 45-minütigen Einakter <strong>mit</strong> der Comedy-Truppe »Upright<br />
Citizens Group«; konzeptionell mag damals die Sinnlosigkeit<br />
des Ganzen als respektloser und absurder Humor durchgegangen<br />
sein à la »Monty Python« oder »Second City«. Der<br />
Nichts-ist-heilig-Humor weht durch Themen wie Selbstmord<br />
und wiederkehrende Motive von Antise<strong>mit</strong>ismus, aber das<br />
Gutenberg-Thema geht dabei verloren. Es entwickelt sich<br />
nicht einmal zu einem zusammenhängenden Sketch.<br />
Das Problem der Show ist, dass das Konzept sich einer<br />
gelungenen Ausführung widersetzt. Buds und Dougs Buch<br />
soll sinnlos sein, die Liedtexte schlecht und die Ausführung<br />
amateurhaft. Das Buch ist jedoch nicht wirklich satirisch,<br />
und die professionelle Art der Aufführung lässt das Ganze<br />
übertrieben erscheinen.<br />
Der zweckmäßige Ansatz für Gad und Rannells ist es, das<br />
Material so weit wie möglich zu melken. Der erfahrene Regisseur<br />
Alex Timbers (»Here Lies Love«, »Moulin Rouge!«), der<br />
schon bei der originalen Off-Broadway-Version Regie geführt<br />
hatte, weiß, dass dieser Ansatz erfolgversprechend ist. Gad und<br />
Rannells wirken, als hätten sie sehr viel Spaß an der Sache, sie<br />
sind schmeichlerisch, sie beziehen das Publikum ironisch <strong>mit</strong><br />
ein – die ganze Palette. Das Publikum liebte es.<br />
Dan Dwyer<br />
Dt. von Merit Murray<br />
Abb. oben :<br />
Bud Davenport (Josh Gad) und<br />
Doug Simon (Andrew Rannells)<br />
spielen alle Rollen, indem sie sich<br />
Baseball-Caps <strong>mit</strong> dem Rollennamen<br />
aufsetzen<br />
Foto: Matthew Murphy<br />
Gutenberg! The <strong>Musical</strong>!<br />
Scott Brown / Anthony King<br />
James Earl Jones Theater New York<br />
Broadway-Premiere: 12. Oktober 20<strong>23</strong><br />
Direction ....................... Alex Timbers<br />
<strong>Musical</strong> Direction ......... Marco Paguia<br />
Music Supervision,<br />
Arrangements &<br />
Orchestration ................... T.O. Sterrett<br />
Vocal Supervision .............. Liz Caplan<br />
Movement ........... Nancy Renee Braun<br />
Scenic Design ..................... Scott Pask<br />
Costume Design .......... Emily Rebholz<br />
Lighting Design .................. Jeff Croiter<br />
Sound Design ........... Cody Spencer &<br />
M.L. Dogg<br />
Bud Davenport ..................... Josh Gad<br />
Doug Simon ............. Andrew Rannells<br />
In weiteren Rollen:<br />
Russell Daniels, Sam Hartley (Dance<br />
Captain)<br />
blickpunkt musical <strong>06</strong>/20<strong>23</strong><br />
79
<strong>Musical</strong>s in Großbritannien<br />
Von Anfang bis Ende ein absolutes Vergnügen<br />
»Guys and Dolls« im Bridge Theatre London<br />
Die Cast von »Guys and Dolls« in London, das Publikum stehend an allen Seiten der Bühne<br />
Foto: Manuel Harlan<br />
Guys & Dolls<br />
Frank Loesser / Jo Swerling /<br />
Abe Burrows<br />
Bridge Theatre London<br />
Premiere: 14. März 20<strong>23</strong><br />
Direction .................. Nicholas Hytner<br />
Music Direction .................... Jon Laird<br />
<strong>Musical</strong> Supervision &<br />
Arrangements ..................... Tom Brady<br />
Orchestration .................Charlie Rosen<br />
Choreography ..........Arlene Phillips &<br />
James Cousins<br />
Fight Direction ................. Kate Waters<br />
Scenic Design .............. Bunny Christie<br />
Costume Design ....... Bunny Christie &<br />
Deborah Andrews<br />
Wigs, Hair & Make-up .........................<br />
Campbell Young Associates<br />
Lighting Design .......... Paule Constable<br />
Sound Design .................... Paul Arditti<br />
Nathan Detroit ................. Daniel Mays<br />
Sky Masterson ...... Andrew Richardson /<br />
George Ioannides<br />
Miss Adelaide ............. Marisha Wallace<br />
Sarah Brown ...... Celinde Schoenmaker<br />
Nicely-Nicely Johnson ...........................<br />
Simon Anthony / Cedric Neal<br />
In weiteren Rollen:<br />
Iroy Abesamis, Lydia Bannister,<br />
Kathryn Barnes, Callum Bell,<br />
Cindy Belliot, Jack Butterworth,<br />
Jordan Castle, Cornelius Clarke,<br />
Petrelle Dias, Ike Fallon,<br />
Leslie Garcia Bowman,<br />
Cameron Johnson, Robbie McMillan,<br />
Saffi Needham, Perry O´Dea,<br />
Anthony O´Donnell, Mark Oxtoby,<br />
Ryan Pidgen, James Revell,<br />
Charlotte Scott, Katy Secombe,<br />
Tinovimbanashe Sibanda, Isabel Snaas,<br />
Sasha Wareham, Dale White (Dance<br />
Captain)<br />
Der britische Regisseur Nicholas Hytner hat es wieder<br />
getan: Er belebte eines der besten amerikanischen <strong>Musical</strong>s<br />
wieder und erweckte durch die Frische der Inszenierung<br />
den Anschein, als handele es sich um ein brandneues Stück.<br />
Hytner präsentiert »Guys and Dolls« als einen berauschenden<br />
Streifzug durch die Welt der liebenswerten Unterschicht im<br />
Manhattan der 1940er Jahre.<br />
Hytner und sein Produktionsteam haben das Bridge Theatre<br />
in die ausgelassene, raue und stürmische Welt des Times<br />
Square verwandelt. Die Sitze im Parkett wurden entfernt,<br />
wodurch eine Spielarena <strong>mit</strong> Sitzplätzen an allen vier Seiten<br />
entstand. Die Szenen spielen auf hydraulischen Plattformen,<br />
die in verschiedenen Konfigurationen aus dem Boden nach<br />
oben fahren. Leute aus dem Publikum, die gerne stehen<br />
wollen, werden Teil der Handlung und bevölkern den Times<br />
Square, wobei sie von Produktions<strong>mit</strong>arbeitern, die als altmodische,<br />
freundliche Polizisten kostümiert sind, angeleitet<br />
werden.<br />
Das Bühnenbild von Bunny Christie und das Lichtdesign<br />
von Paule Constable (viele umlaufende und auf- und<br />
abfahrende Technicolor-Neon-Restaurant- und Barschilder)<br />
kreieren einen Times Square wie aus dem Bilderbuch. Das<br />
Sounddesign von Paul Arditti rekreiert nicht nur Taxi-Hupen<br />
und die Geräusche einer stark frequentierten Kreuzung,<br />
sondern auch das Rumpeln der alten U-Bahn-Wagen, die vor<br />
Jahrzehnten ausrangiert wurden. Die Regie ist ein absolutes<br />
Juwel aus genialer Kreativität und technischer Ausführung.<br />
Interessanterweise überdeckt das Spektakel die Geschichte<br />
nicht, sondern macht das Stück von Frank Loesser aus den<br />
1950ern (<strong>mit</strong> einem Buch von Abe Burrows, basierend auf<br />
den Kurzgeschichten von Damon Runyon) eher noch stringenter.<br />
Nathan Detroit, der illegale Würfelspiele organisiert,<br />
vermeidet es seit 14 Jahren, seine Verlobte, die Nachtclubsängerin<br />
Miss Adelaide (Marisha Wallace), zu heiraten. Schwester<br />
Sarah (Celinde Schoenmaker) von der Heilsarmee will<br />
Seelen retten, verliebt sich aber unerwartet in den eleganten<br />
Berufsspieler Sky Masterson (Andrew Richardson).<br />
Die Besetzung der vier Hauptrollen ist genau auf den<br />
Punkt, aber was das Revival von »Guys and Dolls« wirklich<br />
außergewöhnlich macht, ist das Rollenporträt von Marisha<br />
Wallace als Adelaide. Traditionell wurde Adelaide <strong>mit</strong> einer<br />
babypuppenartigen, quietschstimmigen Sängerin besetzt,<br />
aber hier ist das ganz anders. Wallaces Adelaide ist eine<br />
große, vollbusige metallisch-stimmliche Naturgewalt und<br />
offensichtlich eine Stripperin. Wenn der Rest der Besetzung<br />
nicht so gut wäre, würde sie absolut die Show dominieren –<br />
sie hat den Showstopper ›Take Back Your Mink‹; und was sie<br />
hier zeigt, ist nicht niedliches Varieté, sondern rassiger Striptease<br />
(kein Spoiler, aber manchmal IST eine Karotte eine<br />
Zigarre). Später bringt Wallace das Haus zum Explodieren<br />
<strong>mit</strong> ›Adelaide´s Lament‹.<br />
In einer anderen Neuerung inhaltlicher Art enden Masterson<br />
und Sarah, die er überzeugt hat, <strong>mit</strong> ihm nach Kuba<br />
zu fahren, in einer Schwulenbar, wo die Trink- und Tanznummer<br />
›Havana‹ stattfindet und wo Masterson sich <strong>mit</strong><br />
einem muskelbepackten Gast einlässt. Sarah kommt hinzu,<br />
Chaos bricht aus und sie und Masterson entkommen gerade<br />
so der entstehenden Massenschlägerei. Die Choreographie<br />
von Arlene Phillips und James Cousins ist in der Nummer<br />
›Crapshooters´ Ballet‹ besonders körperbetont; es ist beeindruckend,<br />
wie sich das gesamte männliche Ensemble auf einer<br />
relativ kleinen und hochgefahrenen Plattform so athletisch<br />
bewegen kann.<br />
Der größte Publikumshit ist die Ensemblenummer ›Sit<br />
Down, You´re Rockin´ the Boat‹, angeführt von Simon<br />
Anthony, Zweitbesetzung von Nicely-Nicely in der besuchten<br />
Vorstellung. Das 14-köpfige Orchester ist wunderbar, genau<br />
wie die Arrangements (Loessers Partitur ist eh eine der besten<br />
<strong>Musical</strong>partituren überhaupt). Wenn man diese Produktion<br />
von »Guys and Dolls« auf einer London-Reise sieht – und das<br />
sollte man – sollte man bis nach dem Applaus bleiben. Die<br />
Party geht <strong>mit</strong> Tanz im Publikum <strong>mit</strong> einzelnen Cast<strong>mit</strong>gliedern<br />
weiter. Dieses »Guys and Dolls« ist von Anfang bis Ende<br />
ein absolutes Vergnügen.<br />
Dan Dwyer<br />
Dt. von Merit Murray<br />
80<br />
blickpunkt musical <strong>06</strong>/20<strong>23</strong>
Großbritannien in Concert<br />
Tribut an einen genialen Komponisten<br />
und Librettisten<br />
»Stephen Sondheim´s Old Friends« in London<br />
Die Welt kann immer wieder eine Sondheim-Revue<br />
gebrauchen, besonders eine, die noch der Meister<br />
selbst entworfen hatte. Mit »Old Friends« findet man<br />
diese am Gielgud Theatre in London. Die Entstehung<br />
des Projekts geht noch auf die Vor-Corona-Zeit zurück,<br />
als Sondheim dem britischen Theater- und <strong>Musical</strong>-<br />
Impresario Cameron Mackintosh vorschlug, dass es<br />
Zeit sei für eine dritte Revue (nach »Side by Side by<br />
Sondheim« (1976) und »Putting It Together« (1992),<br />
die ebenfalls beide von Mackintosh produziert wurden).<br />
Bedingt durch Sondheims Tod im vergangenen Jahr<br />
wurde »Old Friends« nicht nur ein Tribut an einen der<br />
größten Komponisten und Librettisten Amerikas, sondern<br />
auch eine elegante Reflexion eines staunenswerten<br />
Vermächtnisses an das Musiktheater, voll von Heiterkeit,<br />
Witz und Schärfe. Und Mackintosh, der die Show<br />
entwickelte, schafft eine brillante Version davon.<br />
Angemessen für diesen Anlass sind zwei der größten<br />
Diven der <strong>Musical</strong>welt die Stars der Show: Bernadette<br />
Peters und Lea Salonga. Peters ist eine prominente<br />
Figur im Sondheim-Universum <strong>mit</strong> unsterblichen<br />
Rollenporträts in »Sunday in the Park With George«<br />
und »Into the Woods«. Salongas Durchbruch war vor<br />
Jahrzehnten die Hauptrolle in »Miss Saigon« in der<br />
Produktion von Cameron Mackintosh. Wer könnte<br />
also eine bessere Perspektive auf Sondheims Werk werfen<br />
als diese beiden?<br />
Peters und Salonga werden von 13 erfahrenen<br />
West-End-Darstellern in der einwandfreien Regie von<br />
Matthew Bourne und Julia McKenzie, die selber in vielen<br />
Londoner Sondheim-Produktionen auf der Bühne<br />
gestanden haben, unterstützt. Die Choreographie<br />
stammt von Stephen Mear. Die Produktion enthält fast<br />
40 Sondheim-Songs, neue Arrangements von Stephen<br />
Metcalfe sind inspiriert von der Arbeit von Jonathan<br />
Tunick, der mehr Sondheim-Werke arrangiert hat als<br />
jeder andere.<br />
Man hatte sich weise dafür entschieden, Blöcke von<br />
Songs aus den prominentesten Sondheim-Stücken in<br />
halbszenischer Version zusammenzustellen. Die Blöcke<br />
waren mehr als Medleys, »Company«, »Sweeney Todd«,<br />
»Into the Woods« und »Follies« riefen Erinnerungen<br />
an die hinreißenden originalen Produktionen wach.<br />
Dazwischen sind lückenlos einfügt nicht nur Klassiker<br />
wie ›Comedy Tonight‹ (aus »A Funny Thing Happened<br />
on the Way to the Forum«) und ›Not a Day Goes By‹<br />
(aus »Merrily We Roll Along«), sondern auch unbekanntere<br />
Juwelen wie ›Live Alone and Like It‹ (aus dem<br />
Film-Soundtrack von »Dick Tracy«) und das überaus<br />
witzige ›The Boy From …‹ (aus »The Mad Show«).<br />
Jede Nummer bleibt in Erinnerung, aber am beeindruckendsten<br />
waren vier Höhepunkte: ›Loving You‹,<br />
vielleicht Sondheims einfachste und elegischste Komposition,<br />
ist eine sehr kurze Nummer aus »Passion«. Es<br />
wird hier von Salonga nicht nur unter die Haut gehend<br />
dargeboten, sondern erhält auch eine erweiterte Orchestrierung,<br />
die den lieblichen Schmerz seiner Melodie<br />
voll enthüllt. Ein weiterer Solist, Jason Pennycooke,<br />
lieferte die manischste und körperlichste Interpretation<br />
von ›Buddy´s Blues‹ (im »Follies«-Teil), die man je erlebt<br />
hat. ›You Gotta Get a Gimmick‹ (aus »Gypsy«) ist der<br />
komödiantische Höhepunkt der Show. Peters selbst<br />
»strump(s) with a trumpet« (dt. stampft <strong>mit</strong> der Trompete).<br />
Das beeindruckenste Solo von Peters ist eines der<br />
besten Liebeslieder, das je geschrieben wurde: ›Losing<br />
My Mind‹. Hier<strong>mit</strong> zieht sie das ganze Theater in ihren<br />
Bann.<br />
Das Bühnenbild von Matt Kinley ist genauso<br />
hochqualitativ wie das musikalische Material. Das<br />
14-köpfige Orchester sitzt auf einem Podest am oberen<br />
Ende einer kurzen ansteigenden Treppe. Verschiedene<br />
Vorhänge geben den verschiedenen Segmenten einen<br />
eigenen Rahmen. Die Bühne erinnert abwechselnd<br />
an eine Konzerthalle, ein Revue- oder ein Vaudeville-<br />
Theater, die die musikalischen Genres hervorgebracht<br />
haben, die Sondheim in seinen Werken verarbeitet hat.<br />
Das passende Finale ist das rauschhafte ›Side by Side<br />
by Side‹: Während das Publikum den Saal verlässt,<br />
hören wir eine Aufnahme von Sondheim, wie er ›Love<br />
Is in the Air‹ singt. Der Meister lebt weiter durch sein<br />
Vermächtnis.<br />
Dan Dwyer<br />
Dt. von Merit Murray<br />
Abb. oben:<br />
Die Solisten von »Stephen<br />
Sondheim´s Old Friends«<br />
Abb. unten:<br />
Stars der Show waren zwei der<br />
größten Diven der <strong>Musical</strong>welt: Lea<br />
Salonga und Bernadette Peters<br />
Fotos (2): Danny Kaan<br />
blickpunkt musical <strong>06</strong>/20<strong>23</strong><br />
81
Ausblick blickpunkt musical <strong>Ausgabe</strong> 127<br />
Die Weihnachtszeit bringt im deutschsprachigen Raum immer<br />
auch jede Menge Weihnachtsmusicals sowie Weihnachtsshows<br />
(zum Beispiel von Felix Martin, Chris Murray, Florian Hinxlage<br />
oder Kevin Tarte) <strong>mit</strong> sich.<br />
Einige davon werden wir für unitedmusicals.de besprechen, wenn<br />
sie allerdings so groß angelegt sind wie »Die Weihnachtsbäckerei«<br />
<strong>mit</strong> den Hits von Rolf Zuckowski, dann finden die Rezensionen<br />
selbstverständlich auch den Weg in unsere kommende<br />
Printausgabe.<br />
Außerdem feiert nach einigen Jahren Abstinenz »Les Misérables«<br />
wieder einmal Premiere, dieses Mal als Co-Produktion in St. Gallen<br />
und München. Sehr spannend wird auch die Uraufführung<br />
von »Kasimir und Karoline« in Hannover, genauso schauen wir<br />
natürlich nach Düsseldorf, wo das neue Chormusical »Bethlehem«<br />
erstmalig aufgeführt wird. Und in Berlin überrascht die BVG<br />
<strong>mit</strong> einer <strong>Musical</strong>show - »Tarifzone Liebe« wartet <strong>mit</strong> bekannten<br />
Sänger:innen auf und war innerhalb kürzester Zeit ausverkauft.<br />
In Österreich dürfen sich die Zuschauer u. a. auf die österreichische<br />
Erstaufführung der <strong>Musical</strong>komödie »Tootsie« in Linz, auf<br />
das schwungvolle »Crazy For You« in Graz, »Singin´ in the Rain«<br />
in Salzburg sowie auf »Sunset Boulevard« in Innsbruck freuen. Sie<br />
sehen, es werden spannende Wochen, die die Theaterwelt für uns<br />
bereithält und auf die wir uns bereits freuen!<br />
Singin´ in the Rain<br />
Foto: SLT / Anna-Maria Löffelberger<br />
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blickpunkt musical<br />
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Mitarbeiter/innen<br />
Birgit Bernds<br />
Sandy Kolbuch<br />
Merit Murray<br />
Autorinnen und Autoren dieser <strong>Ausgabe</strong><br />
Eva Baldauf<br />
Susanne Baum<br />
Birgit Bernds<br />
Dr. Stephan Drewianka<br />
Dan Dwyer<br />
Sabine Haydn<br />
Martina Friedrich<br />
Ingrid Kernbach<br />
Sandy Kolbuch<br />
Merit Murray<br />
Richard C. Norton<br />
Ludovico Lucchesi Palli<br />
Mina Piston<br />
Rosalie Rosenbusch<br />
Sabine Schereck<br />
Stefan Schön<br />
Steffen Wagner<br />
Übersetzungen<br />
Merit Murray<br />
Versand<br />
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Es gilt unsere Anzeigenpreisliste<br />
Nr. 26 vom 1. Januar 20<strong>23</strong><br />
Abonnements-Bedingungen<br />
Preis der Zeitschrift im freien Verkauf:<br />
€ 7,00; Jahresabo: € 37,90. Abonnements können jederzeit<br />
zum Ablauf des jeweils laufenden Abonnementjahres<br />
gekündigt werden. Wird nicht zwei Monate vor Ablauf gekündigt,<br />
verlängert sich das Abonnement jeweils um ein<br />
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Ermäßigte Abonnementpreise für Schüler und Studenten<br />
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sowie jede andere Art der Wiedergabe nur <strong>mit</strong><br />
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gekennzeichnete Artikel stellen nicht in jedem Fall die<br />
Meinung der Redaktion dar. Für unverlangt eingesandte<br />
Manuskripte und Fotos wird keine Haftung übernommen.<br />
82<br />
blickpunkt musical <strong>06</strong>/20<strong>23</strong>
Richard O’Brien’s<br />
TICKETS<br />
AB SOFORT<br />
ERHÄLTLICH<br />
28.6.–7.7.<strong>24</strong><br />
Donau-Arena<br />
Tickets an der Theaterkasse oder<br />
online: www.theaterregensburg.de<br />
Mit freundlicher<br />
Unterstützung
<strong>Musical</strong>s in Großbritannien<br />
Mit revolutionärem Haarschnitt zum Weltruhm<br />
»Close-Up: The Twiggy <strong>Musical</strong>« uraufgeführt an der Menier Chocolate Factory<br />
Abb. oben:<br />
Twiggy (Elena Skye) hat einen<br />
neuen Haarschnitt, der zum<br />
Trendsetter wird und sie zur<br />
Modeikone macht<br />
Foto: Manuel Harlan<br />
Close-Up:<br />
The Twiggy <strong>Musical</strong><br />
Diverse / Ben Elton<br />
Menier Chocolate Factory London<br />
Uraufführung: 28. September 20<strong>23</strong><br />
Direction ............................. Ben Elton<br />
Music Direction,<br />
Orchestration &<br />
<strong>Musical</strong> Supervision ........Stuart Morley<br />
Choreography &<br />
Movement Direction ........Jacob Fearey<br />
Set Design .............................. Tim Bird<br />
Costume Design........ Jonathan Lipman<br />
Hair, Wigs & Make-up Design...............<br />
Diana Estrada Hudson<br />
Lighting Design........... Philip Gladwell<br />
Video Design.................... Tim Blazdell<br />
Sound Design............. Gregory Clarke<br />
Twiggy ................................. Elena Skye<br />
Nell Hornby .............. Hannah-Jane Fox<br />
Norman Hornby ............... Steven Serlin<br />
Cindy ................................ Aoife Dunne<br />
Sally ................................. Beth Devine<br />
Kay ........ Lauren Azania AJ King-Yombo<br />
Justin de Villeneuve ........... Matt Corner<br />
Michael Witney .................. Darren Day<br />
In weiteren Rollen:<br />
Emma-Katie Adcock, Liam Buckland,<br />
Harriet Bunton, Leanne Garretty,<br />
Luke Johnson, David McIntosh,<br />
Danny Nattrass, Sydney Spencer,<br />
Karen Walker<br />
Twiggy ist in Großbritannien die Stil-Ikone der 1960er<br />
Jahre. Der jungenhafte Kurzhaarschnitt und die großen<br />
Augen katapultierten sie 1967 zu Weltruhm, als sie auf dem<br />
Cover der Vogue erschien. Ein Jahr zuvor wurde sie zu »The<br />
Face of 1966« gewählt – da war sie gerade einmal 16 Jahre<br />
alt. Twiggy gehört zu den Lieblingen der Nation, und ihr<br />
Leben über ein <strong>Musical</strong> zu erzählen funktioniert großartig.<br />
Ben Elton schrieb das Buch und übernahm die Regie, sodass<br />
ein amüsanter Abend entstand, der ebenso zum Nachdenken<br />
anregt. Es gibt zwar keine eigens dafür geschriebene<br />
Musik, aber der Soundtrack der 1960er und 1970er Jahre<br />
bietet vertraute Pop-Melodien, darunter ›Downtown‹, ›Just<br />
One Look‹, ›Young Girl‹, ›You Don´t Own Me‹.<br />
Timothy Birds Bühnenbild bringt die Essenz der Story<br />
großartig auf mehreren Ebenen herüber, beispielsweise über<br />
die aus Quadraten bestehende Rückwand, die das quadratische<br />
Format der damaligen Fotoaufnahmen reflektiert.<br />
Gleichzeitig dient die Wand als Projektionsfläche oder<br />
erzeugt über Licht einen Ort der Londoner Szene. Davor<br />
ausgerollt ist ein weißer Papierhintergrund wie in einem<br />
Fotostudio. Für das Supermodel, das aus dem Teenager<br />
geworden ist, ein zentraler Ort – so beginnt auch die<br />
Geschichte <strong>mit</strong> den Sound- und Lichteffekten einer knipsenden<br />
Kamera.<br />
Das Besondere an Twiggys Geschichte ist, dass sie bereits<br />
in jungen Jahren in diese Supermodelwelt hineinrutscht –<br />
etwas, das sich ein Mädchen wie sie aus der Arbeiterklasse<br />
in London nie erträumt hätte. Zudem entsprach Twiggy<br />
<strong>mit</strong> ihrer bescheidenen Größe und ihrer schlanken-androgynen<br />
Figur allem anderen als dem damaligen Bild eines<br />
Supermodels.<br />
Das <strong>Musical</strong> zeichnet ihre Karriere nach und flicht ihr<br />
Leben abseits des Blitz- und Rampenlichts <strong>mit</strong> ein. Es gibt<br />
einen liebevollen Einblick in ihr Elternhaus, in dem sie im<br />
London der 1950er Jahre groß wird. Es sind warmherzige<br />
Eltern (Steven Serlin, Hannah-Jane Fox), wobei die Mutter<br />
unter psychischen Problemen leidet. Die häuslichen Dramen<br />
werden von Elton pointiert skizziert, sodass selbst in kurzen<br />
Szenen die ganze emotionale Welt, die sich dahinter<br />
erstreckt, nachzuempfinden ist, z.B. als Twiggys Mutter in<br />
die Klinik eingewiesen und <strong>mit</strong> Elektroschocks behandelt<br />
wird. Der Hinweis einer jungen Ärztin, dass die Ursache<br />
für den Zustand der Mutter woanders liegen könnte und<br />
dementsprechend behandelt werden sollte, wird von ihren<br />
männlichen Kollegen völlig ignoriert. Dieser kurze Wortwechsel,<br />
scheinbar am Rande, verdeutlicht eine weitere<br />
Stärke des Stücks: das Aufgreifen von Zeitgeschichte <strong>mit</strong><br />
Blick auf die Position der Frau in der Gesellschaft. Obwohl<br />
die Handlung in der Vergangenheit spielt, verliert Elton nie<br />
den Bezug zum heutigen Publikum, das andere Benimmregeln<br />
eingeprägt bekommt. So lässt Elton Twiggy (Elena<br />
Skye) zuweilen das Publikum direkt ansprechen und einiges<br />
erklären. Das gilt auch für ihre Freundinnen Cindy (Aoife<br />
Dunne) und Sally (Beth Devine). Schauplatz Schule: Cindy<br />
wird gehänselt, weil sie recht großzügige Körpermaße hat.<br />
Sie steht dazu und erklärt, dass man ja heute nicht mehr<br />
sagen würde, dass jemand fett (›Fat‹) sei. Aber damals war<br />
das so und sie nimmt den Begriff nüchtern hin, da er ihren<br />
Körper einfach und unverklärt beschreibt. Twiggy hingegen<br />
ist herablassenden Kommentaren ausgesetzt, die ihre<br />
spindeldürre Figur betreffen. Heute, darauf weisen beide<br />
Mädels hin, wäre dieses Verhalten als ›Body Shaming‹ verpönt.<br />
Besonders im Gedächtnis bleibt Twiggys erhellende<br />
Beobachtung, dass Frauen stets anhand ihres Körper bewertet<br />
werden. Dabei hat sie so einiges erlebt, obwohl sich ihr<br />
Körper per se gar nicht geändert hat. In der Schule wurde<br />
er missbilligt, als Model wurde er gefeiert und später von<br />
der Gesellschaft als kriminell (›Criminal‹) verurteilt, weil er<br />
junge Mädchen zur Magersucht verleite. Die bloßen Fotos<br />
von ihr verraten nicht, dass sie stets einen gesunden Appetit<br />
hatte bzw. hat, denn sie lebt noch. Weiter verweist sie darauf,<br />
wie sonderbar es ist, dass gewisse Figuren von Frauen mal in<br />
Mode und dann wieder aus der Mode kommen. Das zeigt<br />
sich ironischerweise an ihrer künstlerischen Laufbahn. 1971<br />
84<br />
blickpunkt musical <strong>06</strong>/20<strong>23</strong>
<strong>Musical</strong>s in Großbritannien<br />
spielte sie in dem Film »The Boy Friend« und 1983 in dem<br />
Broadway-<strong>Musical</strong> »My One and Only«, beides Stücke, die<br />
in den 1920er Jahren spielen, in denen eine schlanke androgyne<br />
Figur eben Mode war.<br />
Die wahre Geschichte und klugen Worte haben bereits<br />
ihren Reiz, aber es ist die temporeiche, humorvolle und<br />
charmante Umsetzung, die die Produktion sehenswert<br />
machen.<br />
Da lernen wir den Teenager Twiggy kennen, der sich<br />
für Mode interessiert und selbst Kleider näht, sogar für ihre<br />
Freundinnen. Sie träumt davon, Modedesignerin zu werden.<br />
Mit dem Geld, das sie als Model verdient, erfüllt sie sich<br />
den Traum. Enttäuscht muss sie dann feststellen, dass gar<br />
nicht die von ihr gewünschten Materialien und Schnitte<br />
verwendet werden und sich ihr Manager – wie soll es auch<br />
anders sein – übermäßig an ihr bereichert. Ihr Manager ist<br />
ihr Freund Justin de Villeneuve (Matt Corner). Sie ist 15,<br />
er 25 Jahre alt. Eigentlich heißt er Nigel Davies, aber sein<br />
neu angenommener Name lässt leicht erkennen, dass er als<br />
Geschäftsmann hoch hinaus möchte und viel von sich hält.<br />
Das wird in der Inszenierung bestens rübergebracht, als er<br />
noch vor seiner eigentlichen Einführung in die Handlung<br />
schon in die Szene platzt und später, nachdem er in Twiggys<br />
Leben buchstäblich keine Rolle mehr spielt, schwer von der<br />
Bühne zu bekommen ist. Solch eine selbstverliebte Figur hat<br />
man noch nicht gesehen, sie ist aber urkomisch.<br />
Eingebettet ist das Ganze ins Zeitkolorit der 1960er<br />
Jahre <strong>mit</strong> knalligen Farben, <strong>mit</strong> denen Aufbruchstimmung<br />
und Lebensfreude verdeutlicht wird. In den 1970er Jahren<br />
dominiert ein anderer Grundton, mehr Moll als Dur.<br />
Nach der Trennung von Justin folgt eine Filmkarriere in<br />
Amerika und die Beziehung zum viel älteren Schauspieler<br />
Michael Witney (Darren Day). Die Liebe sitzt tief, so auch<br />
die Schmerzen, als sie erkennt, dass er Alkoholiker ist. Sie<br />
flieht in eine Karriere als Sängerin und tritt regelmäßig in<br />
Großbritannien auf.<br />
Optisch werden die Jahrzehnte klar durch Jonathan<br />
Lipmans Kostüme unterschieden: Bonbonfarben und<br />
möglichst kurze Kleider in den 1960er Jahren, die stark <strong>mit</strong><br />
den gedämpften Farben und möglichst langen Kleidern der<br />
1970er Jahre kontrastieren. Natürlich kommen nun auch<br />
Hosen ins Spiel.<br />
Während der erste Teil viel zu geben hat, ist der zweite<br />
weniger berauschend. Er reicht bis in die 1980er Jahre<br />
hinein, als sie im <strong>Musical</strong> »My One and Only« auch ihre<br />
tänzerischen Fähigkeiten unter Beweis stellen muss. In diese<br />
Zeit fällt auch Michaels unerwarteter Tod, der sie sehr trifft.<br />
Natürlich endet das <strong>Musical</strong> auf einer positiven Note, nämlich<br />
<strong>mit</strong> all ihren weiteren Leistungen und Würdigungen,<br />
die Twiggy erhalten hat.<br />
Elena Skye gibt eine hervorragende Twiggy und überzeugt<br />
<strong>mit</strong> ihrer kräftigen Stimme. Darren Day als Michael<br />
nimmt man weder die Figur noch die Beziehung zu Twiggy<br />
ab. Dafür leuchten die Darstellerinnen Aoife Dunne, Beth<br />
Devine und später Lauren Azania AJ King-Yombo als Twiggys<br />
Freundinnen umso mehr. Das erstklassige Ensemble<br />
übernimmt bestens weitere Figuren.<br />
Trotz der Schwächen wäre es schön, das Stück auch<br />
über Englands Grenzen hinaus zu sehen, da die wahre<br />
Geschichte und das Thema heute viel zu sagen haben.<br />
Sabine Schereck<br />
Abb. unten von oben links:<br />
1. Twiggy (Elena Skye, Mitte) <strong>mit</strong><br />
ihren Freundinnen Sally (Beth<br />
Devine, l.) und Cindy (Aoife Dunne,<br />
r.), denen sie jeweils ein Kleid<br />
geschneidert hat<br />
2. Twiggy (Elena Skye) <strong>mit</strong> ihrem<br />
Mann, dem amerikanischen Schauspieler<br />
Michael Witney (Darren Day),<br />
der sich als Alkoholiker herausstellt<br />
3. Twiggys Mutter Nell Hornby<br />
(Hannah-Jane Fox, Mitte) kurz nach<br />
Twiggys Geburt, die <strong>mit</strong> anderen<br />
Müttern das optimistische ›I Believe‹<br />
singt<br />
4. Twiggy (Elena Skye, vorne Mitte<br />
r., <strong>mit</strong> Ensemble) in einem Modegeschäft<br />
<strong>mit</strong> Justin de Villeneuve<br />
(Matt Corner, vorne Mitte l.), der ihr<br />
Manager und erster Freund wird<br />
5. Twiggy (Elena Skye <strong>mit</strong> Ensemble)<br />
in den frühen 1960er Jahren<br />
Fotos (5): Manuel Harlan<br />
blickpunkt musical <strong>06</strong>/20<strong>23</strong><br />
85
<strong>Musical</strong>s Großbritannien<br />
Im Wirbel der Zeit<br />
»The Time Traveller´s Wife« am Apollo Theatre in London<br />
Abb. oben von links:<br />
1. Henry (David Hunter) <strong>mit</strong> dem<br />
befreundeten Paar Gomez (Tim Mahendran)<br />
und Charisse (Hiba Elchikhe) auf<br />
einer Ausstellung von Clares Kunst<br />
2. Die Bücherei, in der Clare (Joanna<br />
Woodward) und Henry (David Hunter)<br />
aufeinandertreffen<br />
Fotos (2): Johan Persson<br />
The Time Traveller´s Wife<br />
Joss Stone / Dave Stewart /<br />
Nick Finlow / Kait Kerrygan /<br />
Lauren Gunderson<br />
Apollo Theatre London<br />
Premiere: 1. November 20<strong>23</strong><br />
Direction ...................... Bill Buckhurst<br />
<strong>Musical</strong> Director...... Katharine Wooley<br />
<strong>Musical</strong> Supervision &<br />
Arrangements .................. Nick Finlow<br />
Orchestrations ......................................<br />
Malcolm Edmonstone<br />
Choreography............ Shelley Maxwell<br />
Production Design &<br />
Additional Illustrations.........................<br />
..................................... Anna Fleischle<br />
Wigs, Hair &<br />
Make Up Design.......... Susanna Peretz<br />
Video Design .......... Andrzej Goulding<br />
Illusions............................ Chris Fisher<br />
Lighting Design............. Rory Beaton &<br />
Lucy Carter<br />
Sound Design............. Richard Brooker<br />
& Pete Malkin<br />
Henry .............................. David Hunter<br />
Clare ........................ Joanna Woodward<br />
Dr Kendrick ....................... Helena Pipe<br />
Henrys Vater ...................... Ross Dawes<br />
Charisse .......................... Hiba Elchikhe<br />
Clares Vater ..................... Irfan Damani<br />
Clares Mutter ............... Alexandra Doar<br />
Gomez ....................... Tim Mahendran<br />
Henrys Mutter ................ Sorelle Marsh<br />
Jason / Mark ........................ Alex Lodge<br />
Old Clare ........................ Alwyne Taylor<br />
Young Clare / Alba .......... Ava Critchell /<br />
Lily Hanna / Poppy Pawson /<br />
Holly-Jade Roberts<br />
In weiteren Rollen:<br />
Billie Hardy, Daniel George-Wright,<br />
Serina Mathew, Nathaniel Purnell,<br />
Bobby Windebank<br />
Die inzwischen übliche Routine ist: Bestseller, Film,<br />
letztes Jahr eine TV-Serie, nun <strong>Musical</strong>: Basierend<br />
auf Audrey Niffeneggers gleichnamigen Roman<br />
von 2003 gibt hier der Titel bereits die Handlung<br />
vor: »Die Frau des Zeitreisenden«. Sie, Clare (Joanna<br />
Woodward), bleibt in ihrem Leben, das chronologisch<br />
in gewohnter Manier voranschreitet, während er,<br />
Henry (David Hunter), zeitlich unfreiwillig hin- und<br />
herspringt und immer wieder in ihr Leben hineinschneit.<br />
Interessanterweise tut er dies in verschiedenen<br />
Lebensjahren, mal jünger, mal älter. Bei ihrer ersten<br />
Begegnung ist sie 6 Jahre alt und malt friedlich auf<br />
einer Wiese, als er aus dem Nichts auftaucht und 36<br />
ist. Da er quasi aus der Zukunft kommt, weiß er, wie<br />
sich ihr Leben entwickelt. In ihren Gesprächen sickert<br />
auch von diesem Wissen immer wieder etwas durch.<br />
Geschickt werden hier Zeiten und Erlebnisse verwoben,<br />
die ausgeklügelte Geschichte erzählt sich über<br />
Momentaufnahmen, die sich zu einem Bild und einer<br />
Handlung zusammenfügen. Allerdings gibt es wenige<br />
Wendepunkte und kaum einen Spannungsbogen, der<br />
bis zum Ende <strong>mit</strong>fiebern lässt.<br />
Lauren Gunderson hat für die Bühne eine Version<br />
geschaffen, die die Handlung gut verdichtet und die<br />
Figuren stärker herausarbeitet, insbesondere Clare.<br />
Aus ihrer Perspektive wird erzählt – anders als im<br />
Buch, wo beide Seiten zu Wort kommen, oder im<br />
Film, wo aus seiner Sicht erzählt wird. Clares Arbeit<br />
als Künstlerin kommt mehr zur Geltung. Dies gibt ihr<br />
eine Identität, die über die der liebenden Frau hinausgeht.<br />
Auch ihre Freunde Gomez (Tim Mahendran)<br />
und Charisse (Hiba Elchikhe) haben mehr Profil, Präsenz<br />
und Lebendigkeit, und die Beziehung zwischen<br />
den Paaren ist so geschrieben, dass ihre Tiefe ohne<br />
große Worte auskommt. Es ist ebenso schön, dass Dr.<br />
Kendrick hier kein weißer Mann Mitte 50 ist, sondern<br />
eine schwarze Frau <strong>mit</strong> Kind, an die sich Henry wendet,<br />
um sein Zeitreisen zu verstehen.<br />
Um Henry aus dem Nichts erscheinen und verschwinden<br />
zu lassen, hat ein Dreier-Team daran<br />
gearbeitet: Anna Fleischle hat das grundlegende<br />
Bühnenbild und Video-Illustrationen geschaffen,<br />
Andrzej Goulding lieferte das Video-Design und<br />
Animationen und Chris Fisher die Illusionen. Dabei<br />
ist Fleischles Bühne eine Kombination aus tatsächlichen<br />
Möbeln und Projektionsfläche, die manchen<br />
Orten eine zusätzliche, oft emotionale Dimension<br />
gibt, beispielsweise in jenem Apartment, in dem Henrys<br />
Vater zurückgezogen und vergrämt wohnt. Da<br />
sind die grünen, verblassten Tapeten einerseits und im<br />
Hintergrund schwarz-weiß die Skyline einer City bei<br />
Nacht andererseits, was seine Einsamkeit noch stärker<br />
hervorhebt.<br />
Im Zentrum der Erzählung stehen natürlich Clare<br />
und Henry. Woodward und Hunter geben ein schönes<br />
Paar ab. Man wünscht sich jedoch für sie eine etwas<br />
inspiriertere Regie als die von Bill Buckhurst, die lediglich<br />
illustriert, aber nichts spüren lässt. Leider hilft die<br />
Musik von Dave Stewart und Joss Stone auch nicht.<br />
Beide sind zwar in der Popwelt etablierte Künstler<br />
(Dave Stewart war eine Hälfte der Band »Eurythmics«<br />
und Joss Stone schreibt fantastischen Soul), aber für<br />
ein <strong>Musical</strong> reichen ihre hierfür geschaffenen Songs<br />
nicht. Es sind primär Pop- und Rocksongs ohne eigenen<br />
Charakter <strong>mit</strong> banalen Zeilen wie »I don´t need to<br />
see tomorrow, to see your smile« in ›On and On‹. Es<br />
klingt konstruiert. Einzig das swingende ›A Woman´s<br />
Intuition‹ bringt etwas Leben hinein. Gerade bei einer<br />
Story, die sich über mehre Jahrzehnte erstreckt – ab<br />
den 1960er Jahren vorwärts – hätte man auf verschiedene<br />
Stile zurückgreifen können.<br />
Dennoch gibt es schöne Momente, wie am Ende,<br />
als Clare, Henry und ihre Tochter gemeinsam Kunst<br />
machen und selige Zeiten verbringen. Oder am<br />
Anfang, als Henry beim ersten Date ein Bündel Wiesenblumen<br />
<strong>mit</strong>bringt, obwohl er sie noch gar nicht<br />
kennt. Das passt besser als die Rosen, die im Roman<br />
stehen. Dankbar ist man auch für den Humor, der<br />
das Schauspiel durchzieht und dem Abend eine heitere<br />
Note verleiht. Darüber philosophieren, was solch<br />
ungewöhnliche Beziehung für ein Paar auf psychologischer<br />
Ebene bedeutet, kann man dann zu Hause.<br />
Sabine Schereck<br />
86<br />
blickpunkt musical <strong>06</strong>/20<strong>23</strong>
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Mo. - Sa. 10:00 Uhr - 18:30 Uhr<br />
ticketservice@theaterdo.de<br />
Gil Mehmerts Neuinszenierung des <strong>Musical</strong>-Welterfolgs<br />
»RENT« zaubert echtes Broadway-Feeling auf<br />
die Dortmunder Opernbühne. Jonathan Larson, der die<br />
Musik und das Textbuch zu »RENT« verfasste, ließ sich<br />
beim Schreiben seines <strong>Musical</strong>s stark von Giacomo Puccinis<br />
Opern-Klassiker »La Bohème« inspirieren. Auch wenn<br />
die beiden Stücke rund einhundert Jahre voneinander trennen,<br />
so erzählen sie doch – zumindest vordergründig – eine<br />
sehr ähnliche Geschichte: Junge (Lebens-)Künstler kämpfen<br />
in den Randbezirken der bürgerlichen Gesellschaft um<br />
ihre nackte Existenz. Doch anders als Puccinis Oper weist<br />
»RENT« einen ganz un<strong>mit</strong>telbaren Bezug zum Leben seines<br />
Verfassers auf: Denn genau wie die meisten Figuren im<br />
Stück, so stammte auch Jonathan Larson aus einfachsten<br />
Verhältnissen. Und genau wie sie, so hatte auch er sein gesamtes<br />
Leben intensiv der Kunst gewidmet. Mehr noch:<br />
Für fast alle wichtigen Figuren und Motive im Stück ließ<br />
sich der Autor un<strong>mit</strong>telbar von persönlichen Erlebnissen,<br />
eigenen Beziehungen und tatsächlichen Freundschaften inspirieren,<br />
denen er <strong>mit</strong> »RENT« ein Denkmal setzen wollte.<br />
Mit seinem <strong>Musical</strong> hoffte er gar das Gesicht des amerikanischen<br />
Musiktheaters grundlegend zu verändern, indem<br />
er darin seine Liebe zur Rockmusik und seine Liebe zum<br />
Broadway verband.<br />
Inhaltlich legte Larson <strong>mit</strong> »RENT« den Finger tief<br />
in die Wunden seiner eigenen Zeit, indem er darin schonungslos<br />
ökonomische Ungleichheit, Armut, Gentrifizierung,<br />
Obdachlosigkeit, Drogensucht und die »AIDS-Krise«<br />
der 1990er-Jahre thematisierte. Mit vollem Herzblut – und<br />
bis an den Rand der totalen Erschöpfung – widmete sich<br />
Larson der Verwirklichung seines Traums: »RENT« auf die<br />
Bühne zu bringen. Als es schließlich so weit war, sollte er<br />
den immensen Erfolg seines Stückes nicht mehr erleben:<br />
Kurz nach der allerersten Aufführung von »RENT« erlag<br />
Larson den Folgen eines Aortarisses, hervorgerufen durch<br />
einen Gendefekt und verhängnisvoll begünstigt durch die<br />
Anstrengungen bei der Realisierung seines Traums. So<strong>mit</strong><br />
lässt sich ohne weiteres sagen: Jonathan Larson ist an<br />
»RENT« gestorben. »RENT« hat ihn unsterblich gemacht.<br />
Oper Dortmund »La Bohème« Anna Sohn, Rinnat Moriah, Sergey Romanovsky, Mandla Mndebele, Morgan Moody,<br />
Denis Velev<br />
Foto: Björn Hickmann<br />
4<br />
Das am 25. Juni 1996 uraufgeführte <strong>Musical</strong>, das unter<br />
anderem <strong>mit</strong> einem Tony Award für das »Beste <strong>Musical</strong>«<br />
und einem Pulitzer-Preis für das »Beste Drama« ausgezeichnet<br />
wurde, lief bis 2008 ununterbrochen am Broadway und<br />
brachte es dort auf 5.1<strong>23</strong> Vorstellungen. Gil Mehmerts<br />
Neuinszenierung bringt »RENT« nun erstmals nach Dortmund.<br />
Mit dabei ist die erste Darstellerriege der deutschen<br />
<strong>Musical</strong>-Szene, so unter anderem David Jakobs als Roger<br />
Davis, Dominik Hees / Christof Messner als Mark Cohen,<br />
Patricia Meeden als Mimi Marquez und Bettina Mönch als<br />
blickpunkt musical <strong>Saisonvorschau</strong> 20<strong>23</strong>/<strong>24</strong>
Dortmund<br />
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Maureen Johnson. Begleitet wir das sechzehnköpfige <strong>Musical</strong>-Ensemble<br />
von einer Band, die Larsons Musikmix aus<br />
romantisch-leidenschaftlichen Balladen und rockig-elektrisierenden<br />
Songs schwungvoll auf die Bühne bringen wird.<br />
Hinweis: Am 10.12. ist »RENT« im Kombi-Ticket zusammen<br />
<strong>mit</strong> Puccinis Oper »La Bohème« am selben Tag auf<br />
der Dortmunder Opernbühne zu erleben. Außerdem findet<br />
im Anschluss an die »RENT«-Vorstellung am 1.12. – dem<br />
Tag der B-Premiere, in der Dominik Hees sein Debüt als<br />
Mark Cohen feiert – anlässlich des Welt-AIDS-Tags eine<br />
PRIDE NIGHT PARTY im Opernfoyer statt; in Kooperation<br />
<strong>mit</strong> der aidshilfe dortmund e.V.<br />
RENT<br />
Jonathan Larson / Billy Aronson<br />
Deutsch von Wolfgang Adenberg<br />
Oper Dortmund<br />
Premiere: 30. September 20<strong>23</strong><br />
Oper Dortmund »RENT« Christof Messner, Alex Snova, Lukas Mayer<br />
Foto: Thomas M. Jauk<br />
Regie ............................................................Gil Mehmert<br />
Musikalische Leitung ..... Jürgen Grimm & Karsten Scholz<br />
Choreographie.............................................. Melissa King<br />
Bühnenbild....................................................... Jens Kilian<br />
Kostüme .......................................................... Falk Bauer<br />
Lichtdesign ......................................... Michael Grundner<br />