FINE - Das Weinmagazin - 63. Ausgabe - 04/2023

DER FRÜH
BERUFENE
DASS ER DAS RHEINGAUER WEINGUT ROBERT WEIL MIT
SEINEN ERSTKLASSIGEN RIESLING-LAGEN EINMAL ÜBERNEHMEN
WÜRDE, WAR DEM URENKEL DES GRÜNDERS EIGENTLICH
IMMER SCHON KLAR GEWESEN. WAS DER SO ZIELSTREBIGE WIE
ZURÜCKHALTENDE WILHELM WEIL DANN DARAUS MACHTE,
ÜBERTRAF JEDOCH ALLE ERWARTUNGEN
Von PATRICIA ENGELHORN
Fotos ARNE LANDWEHR
Das Weingut Robert Weil ist ein einzigartiges Gebilde: ein imposantes neugotisches Gutshaus, bei dem sich
britisches Tudor-Fachwerk mit regionalen Motiven mischt, eine moderne, minimalistisch-kühl gestaltete
Vinothek mit wandhohen Verglasungen, eine drei Stockwerke tiefe unterirdische State-of-the-Art-Kellerei
und natürlich die berühmten Riesling-Weinberge, deren Geschichte rund 900 Jahre zurückgeht. Dieses
ungewöhnliche und zugleich völlig natürlich wirkende Zusammenspiel von Tradition und Zukunftsvision
prägt auch die hier produzierten Weine sowie den Stil des Hausherrn Wilhelm Weil, der in dunklen Jeans,
weißem Hemd und blau kariertem Sakko den Verkostungsraum betritt.
Mit einem freundlichen »Hallo, da seid ihr ja« geht der
1963 geborene Winzer über die fast einstündige Verspätung
seiner Besucher hinweg und führt uns auf die
große Sonnenterrasse mit Cinemascope-Aussicht in die Landschaft.
An den Hängen der Großen Lage Gräfenberg sammeln
noch ein paar versprengte Erntehelfer die letzten Trauben
dieses vermutlich wieder einmal grandiosen Jahrgangs ein.
Links davon ragt der mittelalterliche Turm der einstigen Burg
Scharfenstein in die Höhe; der Kiedricher Turmberg zu seinen
Füßen sowie der Gräfenberg am rechten Teil des Hanges sind
als Erste Lagen klassifiziert, und was dort wächst, gehört wohl
zum Besten, was Deutschland an Reben zu bieten hat.
»Das alles ist eher zufällig entstanden«, erzählt Wilhelm
Weil, »mein Urgroßvater war Germanist und Professor an der
Pariser Sorbonne. Das Weingut hat er 1875 gegründet. Als
er Frankreich aufgrund des Deutsch-Französischen Krieges
verlassen musste, ließ er sich hier nieder, kaufte Weinberge in
bester Lage und startete ein neues Abenteuer.« Mit »hier« ist
der preußische Rheingau gemeint, genau gesagt der 4000-Seelen-
Ort Kiedrich mit seinem mittelalterlich geprägten Kern und
der eindrucksvollen gotischen Kirche. Aus dem »Abenteuer«
ist in den letzten rund 150 Jahren ein weltweit bekannter Be -
trieb geworden, auf dessen 90 Hektar ausschließlich Riesling
wächst. Die etwa 700 000 Flaschen mit Gutswein, Ortswein
sowie den Lagenweinen von Klosterberg, Turmberg und Gräfenberg
zählen jeweils zur Spitze hierzulande und haben erheblich
dazu beigetragen, Deutschlands Weißweine in den internationalen
Rankings nach oben zu bringen.
Wilhelm Weil betreibt das Familiengut in vierter Generation,
und obwohl er das selber nie so sagen würde, ist er es, der
die Weichen für dessen kometenhaften Aufstieg gestellt und
nebenbei dem Rest der Region einen Aufschwung beschert
RHEINGAU FINE 4 | 2023 37