28.12.2012 Aufrufe

Tatjana Doll D - Zeit Kunstverlag

Tatjana Doll D - Zeit Kunstverlag

Tatjana Doll D - Zeit Kunstverlag

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

» Malerei zeigt mir so etwas<br />

wie ein Vakuum« Michael Hübl im Gespräch mit <strong>Tatjana</strong> <strong>Doll</strong><br />

M.H.: Lackfarben sind das bevorzugte Material, mit dem<br />

Sie arbeiten. Dadurch setzen Sie sich bestimmten maltechnischen<br />

Bedingungen aus, etwa der, dass Lack weniger<br />

leicht zu manipulieren oder zu formen ist als etwa Acrylfarbe,<br />

die man lasierend oder richtig satt und pastos auftragen<br />

kann. Wie gehen Sie mit den Besonderheiten des<br />

Materials um?<br />

T.D.: Der Lack trägt in sich schon den Hinweis, dass er<br />

zuerst ein Material ist. Als Material vernichtet oder löscht er<br />

alles darunter liegende (Leinwand, Vorzeichnung oder eine<br />

Malerei eines anderen oder von einem selbst). Das Schönste<br />

beim Malen für mich ist immer wieder, mich über die spiegelnassen<br />

Flächen zu beugen, hier über die Lackdämpfe,<br />

die Bilder werden fast immer auf dem Fußboden liegend<br />

gemalt, der Lack zwingt mich zu dieser Arbeitsweise, und es<br />

ist weniger die Spiegelung von oben als die unendliche Tiefe,<br />

die total verrückt ist. Über dem Trocknen hat der Glanz<br />

etwas nachgelassen. Das nächste Erlebnis ist dann die aufrechte<br />

Konfrontation mit dem Bild. Wenn nach zwei bis drei<br />

Tagen die Flächen durch Pfützenansammlungen noch nicht<br />

durchgetrocknet sind, nehme ich die Unregelmäßigkeiten,<br />

die dadurch entstehen, an. Diese Störungen erleichtern mir<br />

aber wiederum die nächsten Entscheidungen, denn eine<br />

fehlerlose Lackierung ruft genau das gehemmte, konditionierte<br />

Verhalten hervor, wie man es beim Neukauf eines<br />

Wagens oder MacBooks kennt, wenn der erste Kratzer da<br />

ist. Wohlgemerkt von mir selber – so fühlt es sich merkwürdigerweise<br />

angeeignet an, weil man sich wieder auf das<br />

Wesensmerkmal konzentriert, weniger auf die Erscheinung.<br />

Ich sehe das auch weniger als Materialverletzung, sondern<br />

mehr als bildbiographisches Element.<br />

M.H.: Bildbiographisches Element, das heißt: Es zeigt sich<br />

in den Schlieren und Störungen im homogenen Farbverlauf<br />

etwas von der Entstehungsgeschichte des Bildes. Gibt es<br />

auch biographische Elemente, die in die Malerei Eingang<br />

finden? Etwa durch Vorlieben bei der Auswahl der Motive?<br />

T.D.: Es gibt extreme Vorlieben in der Auswahl, da ich davon<br />

ausgehen muss, dass ich nur das überhaupt als Motiv sehe,<br />

was ich dann male. Und weiter: Wenn ich mich so darüber<br />

beugen muss: die Körperspannung variiert, das trifft mehr<br />

Entscheidungen über die Ausführung der Vorlage. Eher ist<br />

die Frage, ob das Biografische Lenkendes oder Geschlepptes<br />

ist.<br />

<strong>Tatjana</strong> <strong>Doll</strong><br />

M.H.: Heißt dann Malen für sie so viel wie Abarbeiten? Ist<br />

die Malerei vielleicht der Versuch, den überwältigenden<br />

Wust an Bildern und Objekten, an visuellen und materiellen<br />

Konsumartikeln für sich selbst in den Griff zu kriegen?<br />

Orientierung zu finden?<br />

T.D.: Eigentlich mag ich die Gleichsetzung Arbeiten und<br />

Malen nicht. Ich benutze sie trotzdem oft, weil es einfacher<br />

für die Außendarstellung geht, da sonst immer ein<br />

zu großes Freizeitvolumen mit mir verbunden wird, was ja<br />

stimmt, nur dass ich es im Studio verbringen will. Ich denke<br />

nicht, dass meine Malerei eine Strukturierung an visuellen<br />

und materiellen Konsumartikeln verfolgt. Wenn ich quasi<br />

mit meiner bemalten Leinwand die optische Linse spielen<br />

kann, so wie eine dunkle Pfütze mein darüber gebeugtes<br />

Gesicht spiegeln kann, werde ich den Gegenstand, das<br />

Gesicht, betrachten. Und es ist das, was Warhol sagt, er<br />

sähe nichts. Wir haben gelernt, dass wir uns selbst erblicken.<br />

Aber wie denn? Wir haben uns doch nie gesehen. Das<br />

heißt ja auch, ich baue eine Beziehung zu dem Spiegelbild<br />

auf in der Annahme, dies sei nun ich; ich finde es eine<br />

merkwürdige Annahme bzgl. der Subjekt- und Objektbeziehung,<br />

denn eigentlich könnte ich höchstens beobachten<br />

also sehen, dass das Spiegelbild auf mich schaut. Und der<br />

überwältigende Wust an Bildern und Objekten hat ja nur den<br />

Namen, um zu bezeichnen, dass er synthetisch ist; denn<br />

wenn ich in der Natur bin, ist es doch nicht anders: Jeder<br />

tägliche Sonnenuntergang ist viel überwältigender als jedes<br />

Giant (riesiges Werbeplakat) in der Stadtlandschaft. Der<br />

Bilder- und Objektreichtum im Wald ist doch auch unfassbar.<br />

Was hat sich wirklich geändert? Möglicherweise sieht<br />

mein Vorgehen wie eine Katalogisierung aus, aber das liegt<br />

schlicht darin, dass ich nichts erfinde, sondern nur „nachmale“<br />

und ich einige Jahrzehnte Malerleben dazu verwenden<br />

kann.<br />

M.H.: Zugleich ist Ihre Arbeit ja auch ein Abarbeiten an der<br />

Geschichte der Malerei mit all ihren Tricks und Finessen,<br />

Illusionen, Botschaften oder ästhetischen Spielereien.<br />

Andererseits haben Sie einmal – in Bezug auf die Sprache<br />

– gesagt: „Sich einer Sache ergeben, kann doch nicht<br />

gleichzeitig ihre Überwindung bedeuten“. Kann man diesen<br />

Satz auf Ihre Malerei übertragen? In dem Sinn, dass<br />

Sie Malerei benutzen, sich mit ihr auseinandersetzen, aber<br />

nicht darauf zielen sie zu überwinden?<br />

9

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!