neue perspektiven? kreative kammerpunkte?
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Kommentar zum Artikel von D. Russell Crane<br />
„Effektivitätsstudien zu den Kosten von Familientherapie“<br />
Rüdiger Retzlaff<br />
Institut für Psychosomatische Kooperationsforschung und Familientherapie, Universitätsklinik Heidelberg<br />
Zwischen den Gesundheitsversorgungssystemen<br />
Deutschlands und der USA bestehen<br />
zum Teil deutliche Unterschiede,<br />
es gibt aber auch eine Reihe von Gemeinsamkeiten.<br />
In den allermeisten Staaten der USA ist<br />
Familientherapie ein staatlich anerkanntes<br />
Psychotherapieverfahren. Die psychotherapeutische<br />
Versorgung in den USA mag<br />
nicht so gut ausgebaut sein wie in<br />
Deutschland, doch viele amerikanische<br />
Bürger sind Mitglied einer privaten oder<br />
betrieblichen Krankenversicherung, die<br />
neben medizinischen Behandlungen zumindest<br />
in beschränktem Umfang auch<br />
die Kosten für Psychotherapie übernehmen.<br />
Ältere oder arme Bürger haben Zugang<br />
zu diesen Leistungen über staatlich<br />
regulierte Versicherungseinrichtungen wie<br />
Medicaid.<br />
Viele amerikanische Krankenversicherungen<br />
bevorzugen Therapieansätze wie die<br />
Verhaltenstherapie, die stärker individuumszentriert<br />
arbeiten. Psychotherapeuten<br />
mit akademischer Ausbildung und staatlicher<br />
Berufszulassung (state licence/Approbation)<br />
als Familientherapeut können familientherapeutische<br />
Behandlungen nur<br />
mit einem Teil der Krankenversicherungen<br />
abrechnen.<br />
Anders als in den USA entscheiden in<br />
Deutschland nicht einzelne Krankenversicherungen,<br />
ob sie die Kosten für bestimmte<br />
Psychotherapieverfahren übernehmen<br />
oder nicht; die Kassen verfügen auch nicht<br />
über Zahlen zu den individuellen Behandlungskosten<br />
ihrer Versicherten. Im Gegensatz<br />
zu den USA führt eine sozialrechtliche<br />
Psychotherapeutenjournal 1/2007<br />
Anerkennung eines Psychotherapieverfahrens<br />
in Deutschland nicht zu einer höheren<br />
Behandlerzahl. Bekanntlich ist die<br />
Zahl der Kassensitze weitgehend festgelegt;<br />
die Frage ist bestenfalls, ob derzeit<br />
praktizierende Psychotherapeuten ihren<br />
Patienten ein engeres oder ein breiteres<br />
Spektrum an Leistungen anbieten können.<br />
In den USA und in Deutschland müssen<br />
Psychotherapieverfahren Nachweise ihrer<br />
Wirksamkeit erbringen, wenn die Behandlungskosten<br />
auf Dauer von Krankenversicherungen<br />
übernommen werden sollen.<br />
Amerikanische und deutsche Psychotherapieforscher<br />
hinterfragen gegenwärtig die<br />
Bevorzugung von randomisierten kontrollierten<br />
Studien als fast ausschließliches<br />
Bewertungskriterium (Heekerens, 2005;<br />
Leichsenring & Rüger, 2004; Revenstorf,<br />
2005; Seligman, 1995; Sexton, Lebov,<br />
Johnson & Gurman, 2005).<br />
Die interne Gültigkeit von RCT-Studien ist<br />
hoch; die erhobenen Therapieeffekte wie<br />
z.B. eine signifikante Reduktion von Substanzkonsum<br />
oder eine niedrige Therapieabbruchrate<br />
(Rowe & Liddle, 2003) besitzen<br />
durchaus klinische und sozialpolitische<br />
Relevanz. Doch die Übertragbarkeit<br />
von randomisierten kontrollierten Überprüfungen<br />
auf psychotherapeutische Behandlungen<br />
unter Alltagsbedingungen gilt<br />
als eher fraglich: Sie sind unter „Laborbedingungen“<br />
entstanden, die sich deutlich<br />
von der psychotherapeutischen<br />
Versorgungspraxis unterscheiden. Klienten<br />
und Familien „im Feld“ leiden häufig nicht<br />
nur an einer einzelnen Symptomatik, sondern<br />
an einem komplexen Bündel von<br />
Beschwerden und psychosozialen Proble-<br />
men. Bestimmte Gruppen wie chronisch<br />
Kranke oder Patienten ohne „ausreichende<br />
Sprachkenntnisse“, die für die<br />
Versorgungspraxis relevant sind, bleiben<br />
wegen der Ausschlusskriterien in Studien<br />
systematisch unberücksichtigt. Viele Praktiker<br />
behandeln schwerstkranke Menschen<br />
oder Familien mit behinderten Kindern<br />
über lange Zeiträume – es ist unklar, wie<br />
die Linderung von psychischem Leid adäquat<br />
mit randomisierten kontrollierten<br />
Überprüfungen zu erfassen wäre. Aus diesen<br />
Gründen werden als Ergänzung zu<br />
RCT-Studien Untersuchungen von psychotherapeutischen<br />
Behandlungen unter Alltagsverhältnissen<br />
gefordert.<br />
Genau hier setzt die Arbeit von Crane an.<br />
In einer Reihe von Praxisstudien wurde<br />
die Kosten-Nutzen-Bilanz von Familientherapie<br />
untersucht, die von Psychotherapeuten<br />
unter naturalistischen Versorgungsbedingungen<br />
erbracht wurden.<br />
Die Ergebnisse lassen sich nur mit Einschränkungen<br />
auf die Verhältnisse im<br />
deutschen Gesundheitssystem übertragen.<br />
Allerdings: Die Psychotherapieforschung ist<br />
schon lange nicht national, sondern international<br />
orientiert; die wesentlichen Prämissen<br />
des Forschungsansatzes der Studien<br />
von Crane besitzen Gültigkeit über<br />
unterschiedliche Gesundheitssysteme hinweg:<br />
Psychische und körperliche Krankheiten<br />
verursachen Kosten durch die Inanspruchnahme<br />
von medizinischen und<br />
psychotherapeutischen Maßnahmen, Fehlzeiten<br />
etc. Medizinische und psychotherapeutische<br />
Behandlungen können umgekehrt<br />
zu einer Kostenersparnis durch<br />
eine verringerte Inanspruchnahme weite-<br />
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