Leben mit Krebs
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
www.leben<strong>mit</strong>.de<br />
<strong>Leben</strong> <strong>mit</strong> ...<br />
KREBS<br />
Seite 6<br />
Mammakarzinom –<br />
Pathologie im Fokus<br />
Seite 12<br />
Leberkrebs –<br />
Patientin Babett:<br />
„Wissen hilft“<br />
Seite 14<br />
Blasenkrebs –<br />
Patient Edmond:<br />
„Ihr seid nicht allein“<br />
Seite 16<br />
BPDCN – Neue Hoffnung<br />
für Patienten<br />
Seite 18<br />
Forschung in der<br />
<strong>Krebs</strong>therapie<br />
„Ich gebe<br />
nicht auf!“<br />
Christin ist 34 Jahre alt<br />
und erhielt die Diagnose<br />
<strong>Krebs</strong> in der Schwangerschaft.<br />
Im Interview<br />
spricht sie über den<br />
Kampf ihres <strong>Leben</strong>s.
2<br />
Vorwort<br />
Wolfram Gössling arbeitet seit 25 Jahren als Onkologe an der Harvard<br />
Medical School. 2013 wurde ein Angiosarkom in seinem Gesicht<br />
diagnostiziert. Seine Überlebenschance lag bei vier Prozent.<br />
„Am <strong>Leben</strong> bleiben“<br />
Dr. Wolfram Gössling<br />
Arzt und Wissenschaftler <strong>mit</strong><br />
den Schwerpunkten Onkologie<br />
und Gastroenterologie<br />
Foto: Fabian Zapatka<br />
BUCHTIPP<br />
Wolfram Gösslings Buch ist<br />
ein Plädoyer für die Hoffnung.<br />
Denn er weiß: Betroffene<br />
brauchen Positivgeschichten.<br />
Trotz und alledem.<br />
ISBN-10: 3499006057<br />
ISBN-13: 978-3499006050<br />
Als der <strong>Krebs</strong> an meine Tür klopfte,<br />
war ich auf ihn nicht vorbereitet.<br />
Die Diagnose habe ich an einem<br />
Montagmorgen erhalten. Ich<br />
stand im Hörsaal vor Studenten,<br />
hielt eine Vorlesung und bekam<br />
auf meinem Piepser die Nachricht, dass ich mich<br />
sofort bei meinem Hautarzt melden sollte. In dem<br />
Moment fiel mir ein, dass ich eine Woche zuvor eine<br />
Hautbiopsie von einem Pickel auf meiner Wange<br />
hatte. Ich entschuldigte mich kurz bei den Studenten,<br />
verließ den Saal und rief meinen Arzt an. Der<br />
teilte mir <strong>mit</strong>, dass ich ein Angiosarkom habe, und<br />
fing an zu weinen. In diesem<br />
Moment bekam ich Angst,<br />
denn wenn ein Arzt weint,<br />
muss es wirklich schlimm<br />
sein. Da stand ich in diesem<br />
Krankenhausflur, um mich<br />
herum das <strong>Leben</strong> – und ich<br />
war völlig allein. Ich ging<br />
zurück in den Hörsaal, wo<br />
die 30 Studenten auf mich<br />
warteten, und beendete die<br />
Vorlesung. Das war sicherlich<br />
nicht meine beste – es<br />
ging in diesem Moment nur<br />
darum, die nächste Folie zu<br />
schaffen. Und so ist es auch<br />
für <strong>Krebs</strong>patienten: Es geht<br />
immer darum einen Schritt<br />
nach dem anderen zu machen.<br />
Nach der Diagnose begann ich zu lernen, ein Patient<br />
zu sein, und zu begreifen, was es bedeutet, wenn auf<br />
einmal das <strong>Leben</strong> auf der Kippe steht und man die<br />
Kontrolle über sein <strong>Leben</strong> in die Hände von Medizinern<br />
abgeben muss. Das war sehr schwer für mich.<br />
Jeder Tag, den man als<br />
<strong>Krebs</strong>patient am <strong>Leben</strong><br />
bleibt, erhöht die Chance,<br />
dass sich eine neue<br />
Handlungsmöglichkeit<br />
auftut und da<strong>mit</strong> eine<br />
neue Chance, gerettet<br />
und geheilt zu werden.<br />
Die härteste Zeit während der Therapie war die<br />
Bestrahlung. Mein Radioonkologe hatte eine Maske<br />
für mich angefertigt, die mein gesamtes Gesicht<br />
abdeckte, da um den Tumor herum bestrahlt wurde.<br />
Zu Beginn der Behandlung sagte mein Strahlentherapeut:<br />
„Das wird hart, wir müssen bei der<br />
Behandlung bis an die Grenze gehen. Ich werde<br />
dich bis an den Rand einer Klippe führen, dich über<br />
dem Abgrund baumeln lassen und dich an deinen<br />
Füßen festhalten – und dann ziehen wir dich wieder<br />
zurück ins <strong>Leben</strong>.“ Genau so hat sich das auch<br />
angefühlt. In der letzten Phase der Behandlung gab<br />
es während der Bestrahlung Momente, an denen<br />
ich dachte, dass es nicht mehr weitergeht. Ich fühlte<br />
mich im Fall und niemand hielt mich fest. Doch sie<br />
haben mich zurückgezogen.<br />
“<br />
<strong>Krebs</strong> und <strong>Krebs</strong>behandlung bedeuten immer Beeinträchtigung<br />
und Verlust. Bei mir konnte man<br />
dem auch körperlich und visuell nicht entfliehen.<br />
Der komplette Bereich rund um den Tumor musste<br />
entfernt werden. <strong>Krebs</strong> nimmt Funktionen, Identität<br />
und Aussehen. Es ist ganz wichtig zu sehen, dass<br />
<strong>Krebs</strong> auch den Verlust des<br />
eigenen Ichs und der eigenen<br />
Persönlichkeit bedeuten kann.<br />
Man ist danach einfach nicht<br />
mehr der Alte. Ich hatte große<br />
Angst davor, dass meine<br />
Kinder mich nicht wiedererkennen.<br />
Als ich aus dem Krankenhaus<br />
nach Hause kam,<br />
lief meine damals fünfjährige<br />
Tochter auf mich zu, schaute<br />
mich an und sagte: „Papa,<br />
du siehst aber komisch aus,<br />
ich habe dich trotzdem lieb.“<br />
Sie umarmte mich und spielte<br />
weiter. Meine Kinder nahmen<br />
meine Veränderung wahr,<br />
urteilten aber nicht. Das half<br />
mir sehr. Dennoch habe ich Monate gebraucht, um<br />
mich an mein neues Ich und mein neues Aussehen<br />
zu gewöhnen.<br />
In den letzten zehn Jahren hat ein Paradigmenwechsel<br />
in der <strong>Krebs</strong>therapie stattgefunden. Jeder Tag,<br />
den man als <strong>Krebs</strong>patient am <strong>Leben</strong> bleibt, erhöht<br />
die Chance, dass sich eine neue Handlungsmöglichkeit<br />
auftut und da<strong>mit</strong> eine neue Chance, gerettet<br />
und geheilt zu werden. Die Zeit arbeitet für einen.<br />
Meine Wandlung vom <strong>Krebs</strong>arzt zum <strong>Krebs</strong>patienten<br />
war schmerzhaft und entbehrungsvoll. Und ich<br />
kann nicht wirklich beurteilen, ob mich die Krankheit<br />
zu einem fähigeren Arzt gemacht hat – aber<br />
dass ich ein anderer Arzt geworden bin, ist sicher.<br />
Weil ich das, was meine Patienten erleben, am eigenen<br />
Leib erfahren habe. .<br />
<strong>Leben</strong> <strong>mit</strong> ... Magazin Healthcare Mediapartner GmbH | Pariser Platz 6a | 10117 Berlin | www.healthcare-mediapartner.de<br />
Herausgeberin Franziska Manske Redaktionsleitung Benjamin Pank Design Elias Karberg Coverbild privat<br />
Druck BNN Badendruck GmbH Kontakt redaktion@leben<strong>mit</strong>.de | www.leben<strong>mit</strong>.de<br />
Alle Artikel, die <strong>mit</strong> „Gastbeitrag“, „Advertorial“ oder "Zusammenarbeit <strong>mit</strong>" gekennzeichnet sind, sind gesponserte Beiträge.<br />
Die Texte der Ausgabe schließen alle Geschlechter <strong>mit</strong> ein. Zur besseren Lesbarkeit wird jedoch nur eine Geschlechtsform verwendet.
KREBS<br />
Anzeige<br />
HILFE<br />
Deutsche <strong>Krebs</strong>hilfe<br />
JAHRE<br />
Seit 50 Jahren stehen wir krebskranken Menschen und ihren Angehörigen zur Seite.<br />
Wir haben schon viel erreicht. Doch solange Menschen an einer <strong>Krebs</strong>erkrankung<br />
sterben, Eltern ihr Kind verlieren und betroffene Familien in finanzielle Not geraten, ist<br />
unsere Arbeit wichtig. Erfahren Sie online, wie wir helfen.<br />
krebshilfe.de/50
Brustkrebs<br />
instagram.com/<br />
glitzerstube<br />
Foto: privat<br />
„Das <strong>Leben</strong> steht Kopf“<br />
Sandra erhielt die Diagnose Brustkrebs 45 Tage nach der Geburt ihres zweiten Sohnes.<br />
Chemo, Mastektomie und Bestrahlung statt Familienidylle und Elternzeit.<br />
Wie war Ihr <strong>Leben</strong> kurz vor der Diagnose?<br />
Ich war gerade zum zweiten Mal Mama geworden<br />
und malte mir die Elternzeit sowie die ersten<br />
beiden <strong>Leben</strong>sjahre von meinem Alessandro<br />
aus. Wir planten die ein oder andere Reise<br />
und danach wollte ich Vollzeit ins Berufsleben<br />
zurückkehren. Doch dann kam Corona und<br />
zeitgleich auch meine Diagnose.<br />
Bitte erzählen Sie uns von diesem Tag.<br />
Ich kann mich an jedes Detail dieses Tages erinnern.<br />
Es war der 20. Mai 2020, um 11 Uhr war<br />
mein Termin in der Klinik zur Besprechung des<br />
Ergebnisses der Stanzbiopsie. Da ich die Tage<br />
zuvor keinen Anruf erhalten habe, war ich guter<br />
Dinge. Ich war mir sicher, dass ich nur eine<br />
Brustentzündung hatte und dass diese für das<br />
Knubbelige in meiner Brust verantwortlich war.<br />
Ich regte mich darüber auf, dass ich ewig keinen<br />
Parkplatz fand. Schließlich fand ich einen, der<br />
gefühlt mehrere Kilometer von der Klinik entfernt<br />
war, und ich startete einen Gehlauf. Aus<br />
der Puste, aber doch noch pünktlich kam ich an.<br />
Ich sollte mich in den Wartebereich setzen und<br />
auf die Ärztin warten. Dort saß ich nun. Mein<br />
Blick schweifte umher. Dort waren drei leere<br />
Stühle, eine typische Wartezimmerpflanze sowie<br />
ein Zeitungsständer, in dem Infomaterial für<br />
<strong>Krebs</strong>patienten zu finden war. Ich fragte mich,<br />
ob das ein Omen ist, verdrängte den Gedanken<br />
aber schnell wieder. Nebenbei schrieb ich via<br />
WhatsApp <strong>mit</strong> meinem Mann und erkundigte<br />
mich, wie es unserem Baby geht. Dann kam<br />
auch schon die Ärztin. Sie ging <strong>mit</strong> mir über den<br />
kargen Flur und bat mich in ein Zimmer. Wir<br />
nahmen Platz. Meine Handtasche hielt ich auf<br />
dem Schoß fest. Die Ärztin breitete ihre Unterlagen<br />
vor sich aus und leicht lächelnd wartete ich<br />
auf ihre Worte. „Leider muss ich Ihnen <strong>mit</strong>teilen,<br />
dass Sie <strong>Krebs</strong> haben. Der Knubbel in Ihrer<br />
Brust ist ein sehr aggressiver Tumor, triple-negativ,<br />
G3, Ki-67 – der Wert liegt bei 90 Prozent.“<br />
Mein Lächeln schwand und ich kam mir vor wie<br />
in einem Film. Als wenn ich neben dieser Szene<br />
stand und es mir als Zuschauer ansah. Ich<br />
musste mich kurz sammeln, bevor ich fragte,<br />
wie es nun weitergeht. „Zunächst erhalten Sie<br />
eine Chemotherapie – 16 Gaben sind es an der<br />
Zahl –, danach erfolgt die OP und dann die Bestrahlung.<br />
Wenn alles gut läuft, sind Sie dieses<br />
Jahr <strong>mit</strong> der Behandlung durch. Aber bei Ihnen<br />
wird auf jeden Fall zu einer Mastektomie geraten.“<br />
Ich wusste nicht, was das ist, und musste<br />
nachfragen. „Ihre Brust wird abgenommen.“<br />
Wow, das hat gesessen. In dem Moment ist es<br />
auch bei mir angekommen: Ich habe <strong>Krebs</strong>.<br />
Was ging Ihnen in diesem Moment durch<br />
den Kopf?<br />
Direkt nach dem Realisieren der Diagnose war<br />
die Angst vor dem Tod am größten. Vor dem<br />
Sterben an sich. Ich hatte direkt Szenarien im<br />
Kopf, wie schmerzhaft und leidvoll manche<br />
Betroffene aus dem entfernten Familienkreis<br />
durch eine <strong>Krebs</strong>erkrankung verstorben sind.<br />
Auch die kommenden Tage sah ich mich vor<br />
meinem inneren Auge immer wieder sterben –<br />
und meine Kinder ohne ihre Mutter aufwachsen.<br />
Genau das war dann auch meine zweite
große Angst. Dass meine Kinder keine Mama<br />
mehr hätten, ich sie nicht aufwachsen sehen<br />
würde.<br />
Wie haben Sie Ihrem großen Sohn die Situation<br />
erklärt?<br />
Massimo war damals sieben Jahre alt und er<br />
liebte meine langen Haare. Da mir aufgrund<br />
der Chemo die Haare ausfallen würden, saß<br />
ich relativ zeitnah <strong>mit</strong><br />
ihm zusammen und erklärte<br />
ihm, dass ich eine<br />
schlimme Krankheit hätte,<br />
die <strong>Krebs</strong> heißt. Den<br />
Tumor konnte man aufgrund<br />
der extremen Größe<br />
sehr gut tasten. Ich<br />
ließ Massimo den Tumor<br />
<strong>mit</strong> zwei Fingern berühren,<br />
denn so begriff er,<br />
dass der harte Knubbel<br />
nicht in die weiche Brust<br />
gehörte. Ein weiterer<br />
Schritt war dann, meine<br />
schon bis zum Kinn<br />
gekürzten Haare von<br />
Massimo abschneiden<br />
zu lassen. Meine Haare<br />
konnte ich büschelweise<br />
von meiner Kopfhaut<br />
ziehen und daher ergab<br />
sich für meinen großen<br />
Sohn die einmalige Gelegenheit, Mama die<br />
Haare zu schneiden und eine neue Frisur zu<br />
zaubern. Ihm machte es Spaß und ich erfreute<br />
mich an der Freude meines Kindes. So<strong>mit</strong><br />
kullerten meinerseits dann nur halb so viel<br />
Tränen, als ich mich von meinen Haaren verabschieden<br />
musste.<br />
Wie sind Ihre Freunde und Bekannten <strong>mit</strong><br />
der Diagnose umgegangen?<br />
Durch diese Diagnose hat sich mein Umfeld<br />
sehr verändert. Traurig gemacht hat es mich,<br />
dass eine tiefe und jahrzehntelange Freundschaft<br />
auseinandergebrochen ist. Nicht nur<br />
diese Freundschaft, sondern auch Bekannte<br />
gehören nun der Vergangenheit an, aber dafür<br />
sind neue Freundschaften aus der Diagnose<br />
hervorgegangen. Denn niemand versteht einen<br />
besser als die, die <strong>mit</strong> der Diagnose <strong>Krebs</strong><br />
selbst konfrontiert waren oder sind. Die <strong>Krebs</strong>-<br />
Community, die ich auf Instagram fand, war<br />
und ist eine große Stütze für mich.<br />
Haben Sie sich medizinisch gut aufgehoben<br />
gefühlt?<br />
Meine Diagnose erhielt ich in einer großen<br />
Klinik, in der man eher als Nummer und nicht<br />
als Patient gesehen wird. So empathielos, wie<br />
mir <strong>mit</strong>geteilt wurde, dass ich schwer krank<br />
bin, genau so verloren fühlte ich mich auch<br />
dort. Nachdem ich mich direkt um eine Zweitmeinung<br />
bei einem angesehenen Onkologen<br />
<strong>mit</strong> eigener Praxis bemüht hatte, fühlte ich<br />
mich nach diesem Gespräch verstanden, gut<br />
aufgehoben und auch „sicher“. Das ganze Praxisteam<br />
gab mir das Gefühl, die Therapie gut<br />
zu durchlaufen und den <strong>Krebs</strong> zu besiegen.<br />
“<br />
Um meinem Sohn die<br />
Veränderung zu erleichtern,<br />
durfte er meine<br />
Haare abschneiden. Ihm<br />
machte es Spaß und ich<br />
erfreute mich an seiner<br />
Freude. So<strong>mit</strong> kullerten<br />
meinerseits nur halb so<br />
viel Tränen, als ich mich<br />
von meinen Haaren verabschieden<br />
musste.<br />
Was war in dieser Zeit Ihr größter Halt?<br />
Ganz klar meine Familie, besonders meine<br />
Mama, die zu jeder Tages- und Nachtzeit<br />
für mich da war. Sie hielt meine Hand,<br />
wenn ich nicht allein aufstehen konnte,<br />
sie hörte mir zu, wenn ich wieder einmal<br />
am Verzweifeln war, ein Blick reichte und<br />
sie nahm mich in den Arm. Meine Mama<br />
schwieg <strong>mit</strong> mir, weinte <strong>mit</strong> mir und feierte<br />
auch <strong>mit</strong> mir, nachdem<br />
ich die <strong>Krebs</strong>therapie<br />
überstanden hatte. Sie<br />
ist meine Superheldin.<br />
Natürlich habe ich auch<br />
sehr viel Halt und Hilfe<br />
von meinem Mann und<br />
meinem großen Sohn<br />
erhalten. Denn ich bin<br />
diesen Weg nicht nur<br />
für mich gegangen,<br />
sondern besonders für<br />
meine Kinder. In meinem<br />
Kopf war die ganze<br />
Zeit, dass meine Kinder<br />
nicht ohne mich aufwachsen<br />
dürfen – das<br />
hat mir jeden Tag die<br />
Kraft gegeben zu kämpfen.<br />
Gab es einen Moment,<br />
an dem Sie aufgeben<br />
wollten?<br />
Ich bekam zunächst eine Chemotherapie,<br />
erhielt im Anschluss eine Mastektomie <strong>mit</strong><br />
Sofortaufbau und eine Bestrahlung. In dieser<br />
Zeit kam mir kein einziges Mal der Gedanke<br />
an eine Aufgabe. Da ich jedoch nach<br />
der Chemotherapie noch aktive <strong>Krebs</strong>zellen<br />
und zwei befallene Lymphknoten hatte,<br />
wurde mir ans Herz gelegt, innerhalb einer<br />
Studie eine weitere Chemotherapie zu machen.<br />
Diese Therapie war Fluch und Segen<br />
zugleich. Man versprach<br />
sich sehr viel von dem<br />
Medikament, und das<br />
gab mir Hoffnung. Ich<br />
wollte alles Erdenkliche,<br />
was in meiner Macht lag,<br />
unternehmen, um den<br />
<strong>Krebs</strong> aus meinem Körper<br />
zu verbannen. Jedoch<br />
waren hier die Nebenwirkungen<br />
weitaus anders<br />
als in meiner ersten<br />
Chemotherapie. Meine<br />
Blutwerte verschlechterten<br />
sich schlagartig, mir<br />
war von Gabe zu Gabe<br />
übler und die Gedanken<br />
wurden dunkler, schon<br />
beinahe depressiv. Zum Ende hin wollte ich<br />
nicht mehr und sagte auch zu Hause immer<br />
wieder, dass ich abbrechen will. Doch die<br />
letzten vier oder fünf Male wurde ich immer<br />
wieder von meinem Mann motiviert, dahin<br />
zu gehen und es bis zum Ende durchzuziehen.<br />
Ich habe es tatsächlich durchgezogen<br />
und bin sehr stolz auf mich.<br />
Verliert nie die Hoffnung<br />
und Zuversicht. Und bitte<br />
vergesst nie, dass sich<br />
die Medizin tagtäglich<br />
weiterentwickelt und es<br />
immer wieder neue<br />
Therapieansätze und<br />
-maßnahmen gibt.<br />
Haben Sie sich durch die Erkrankung verändert?<br />
Optisch habe ich mich auf jeden Fall verändert.<br />
Ich habe meine beiden Brüste nicht mehr und<br />
habe 15 Kilo zugenommen. Mein volles und<br />
dichtes Haar ist einem weichen Flusenhaar gewichen.<br />
Durch zwei Chemotherapien bin ich<br />
seit meinem 40. <strong>Leben</strong>sjahr voll in den Wechseljahren<br />
und wohlfühlen im eigenen Körper<br />
kenne ich schon lange nicht mehr. Klar, ich soll<br />
froh sein, dass ich noch lebe, und mein Körper<br />
hat auch Großartiges geleistet, indem er mich<br />
durch die Therapie getragen hat, aber dieser<br />
Körper hat eben auch den <strong>Krebs</strong> in meiner<br />
Brust wachsen lassen. Das Vertrauen in meinen<br />
Körper war dadurch lange Zeit sehr gestört.<br />
Wie gehen Sie <strong>mit</strong> der Angst vor einem Rückfall<br />
um?<br />
Je mehr Zeit vergeht, desto mehr rückt meine<br />
Angst vor einem Rückfall in den Hintergrund.<br />
Angst zu haben, finde ich nicht schlimm. Denn<br />
diese Angst macht mich wachsam und lässt<br />
mich lieber einmal mehr zu einem Arzt gehen,<br />
um Auffälligkeiten abzuklären. Ich verschiebe<br />
keine Arzttermine mehr und nehme auch jede<br />
Vor- und Nachsorgeuntersuchung wahr, die es<br />
gibt. Die Angst bleibt, aber sie ist nicht mehr<br />
im Vordergrund. Es gibt Tage, an denen sie<br />
präsenter ist, aber das ist okay, doch die Angst<br />
bestimmt nicht mehr mein <strong>Leben</strong>.<br />
Was möchten Sie anderen betroffenen<br />
<strong>Krebs</strong>patienten raten?<br />
Ihr müsst und sollt die Diagnose nicht allein<br />
durchstehen! Es gibt so viele Möglichkeiten,<br />
sich <strong>mit</strong> anderen Betroffenen auszutauschen<br />
und auch Hilfe zu erhalten. Gerne kann sich<br />
jeder, der möchte, <strong>mit</strong> mir austauschen. Man<br />
findet mich bei Instagram. Ganz wichtig ist es,<br />
die Hoffnung und Zuversicht nicht zu verlieren,<br />
denn das trägt einen durch die Therapie<br />
und wirkt sich auf die <strong>Leben</strong>squalität aus. Bitte<br />
vergesst nie, dass sich<br />
die Medizin tagtäglich<br />
weiterentwickelt und<br />
es immer wieder neue<br />
“<br />
Therapieansätze und<br />
-maßnahmen gibt. Und<br />
das Wichtigste: Bitte<br />
traut nicht jeder Statistik.<br />
Ich halte nichts<br />
von den Statistiken, in<br />
denen über die Überlebensraten<br />
nach so und<br />
so viel Jahren und bei<br />
den unterschiedlichen<br />
<strong>Krebs</strong>arten geschrieben<br />
wird. Denn laut diesen<br />
Statistiken dürfte ich<br />
schon gar nicht mehr<br />
leben. Also bitte, wir wissen nie, auf welcher<br />
Seite der Statistik wir stehen, und wir sind<br />
mehr als eine Zahl. Wir sind alle individuell,<br />
genau wie unsere Diagnosen, und wir können<br />
alle stolz auf uns sein, was wir leisten bzw. geleistet<br />
haben!.<br />
Redaktion Emma Howe
6<br />
Brustkrebs<br />
Biomarker beim<br />
Mammakarzinom:<br />
Pathologie im Fokus<br />
Wie kann die Bestimmung von Biomarkern dazu beitragen, dass die Prognose für<br />
Brustkrebspatientinnen verbessert werden kann? Zu diesem Thema befragten<br />
wir die Pathologin Prof. Dr. med. Annette Lebeau.<br />
Welche Rolle spielen Biomarker für Diagnose<br />
und Therapie beim Mammakarzinom?<br />
Die Bestimmung der Biomarker ist grundlegend<br />
für die Therapieplanung und gehört für<br />
mich als Pathologin zum Basisvorgehen bei<br />
einer Erstdiagnose. Auf diese Weise kann man<br />
den Tumor näher charakterisieren und so die<br />
Grundlage für die optimale Therapie schaffen.<br />
Wir klassifizieren Mammakarzinome anhand<br />
ihres Wachstumsmusters und auch auf Basis<br />
ihrer Proteinexpression. Die vier Grundbausteine,<br />
die wir bei Erstdiagnose eines Mammakarzinoms<br />
bestimmen, sind die Hormonrezeptoren<br />
– der Östrogenrezeptor ER und der Progesteronrezeptor<br />
PgR –, dazu die Wachstumsfaktorrezeptoren<br />
HER2 und Ki-67. Gegebenenfalls<br />
können weitere Biomarker hinzukommen.<br />
Hormonrezeptor-positive Tumoren wachsen<br />
hormonabhängig. Entsprechend lässt sich<br />
ihr Wachstum durch Hormonentzug verlangsamen<br />
oder stoppen. Hat ein Tumor viele<br />
HER2-Rezeptoren, was oft <strong>mit</strong> einem aggressiveren<br />
Verlauf einhergeht, kann man eine<br />
zielgerichtete, systemische Antikörpertherapie<br />
anbieten. Viele HER2-positive Tumoren<br />
sprechen so gut darauf an, dass sie komplett<br />
verschwinden, wenn die Behandlung vor der<br />
Operation begonnen wird. Auch sogenannte<br />
triple-negative Tumoren, die keine Östrogen-,<br />
Progesteron- und HER2-Rezeptoren haben,<br />
können von einer neoadjuvanten Therapie<br />
profitieren. Wenn es gelingt, das invasive Karzinom<br />
durch die Medikamente komplett einzuschmelzen,<br />
verbessert sich die Prognose für<br />
die Patientinnen.<br />
Bei einer Metastasierung erfolgt oftmals,<br />
wenn möglich, ebenfalls eine Biopsie <strong>mit</strong> Bestimmung<br />
der Marker. Das ist wichtig, um die<br />
Diagnose abzusichern und die Rezeptorausstattung<br />
der Tumorzellen als Basis für eine<br />
zielgerichtete Behandlung zu überprüfen.<br />
Prof. Dr. med. Annette Lebeau<br />
Pathologin<br />
Wurden neue Biomarker entdeckt?<br />
Ja. Recht neu in den Fokus gerückt ist das<br />
Östrogenrezeptor-1-Gen, ESR1. Der metastasierte<br />
Tumor bzw. die Tumorzellen geben<br />
kleine DNA-Fragmente an das Blut ab, sodass<br />
wir die aktivierende ESR1-Mutation im Blut<br />
per Liquid Biopsy nachweisen können. Eine<br />
Liquid Biopsy ist keine normale Blutserumbestimmung,<br />
sondern eine neue Form der Biopsie:<br />
Das Blut wird in spezielle Röhrchen gegeben<br />
und <strong>mit</strong> sehr empfindlichen Verfahren<br />
zur DNA-Analyse aufbereitet, sodass wir Veränderungen<br />
in diesen kleinsten molekularen<br />
Strukturen identifizieren und diagnostizieren<br />
können. ER-positive, HER2-negative Tumoren<br />
können unter der Therapie <strong>mit</strong> Aromataseinhibitoren<br />
eine endokrine Resistenz entwickeln.<br />
Das heißt, dass diese Medikamente<br />
nicht mehr wirksam sind. Verursacht wird<br />
eine solche endokrine Resistenz durch ESR1-<br />
Mutationen in den Tumorzellen. Bis zu 40<br />
Prozent der Patientinnen <strong>mit</strong> ER-positivem,<br />
HER2-negativem metastasiertem Brustkrebs<br />
weisen eine ESR1-Mutation auf. Wenn diese<br />
vorliegt, kann heute ein neues Medikament<br />
gegeben werden.<br />
Wird ESR1 auch schon beim Primärtumor<br />
bestimmt?<br />
Nein, wir bestimmen den Marker erst im fortgeschrittenen<br />
bzw. metastasierten Zustand.<br />
Die ESR1-Mutation entwickelt sich erst unter<br />
der endokrinen Therapie und ist deshalb<br />
nicht Teil der Bestimmung des Primärtumors.<br />
Warum erfolgt die Bestimmung von ESR1<br />
<strong>mit</strong>tels Bluttest?<br />
Natürlich könnte man diese Mutation auch im<br />
Metastasengewebe nachweisen. Allerdings ist<br />
eine Biopsie der Metastasen nicht immer möglich.<br />
So könnte beispielsweise eine operative Biopsie<br />
von Knochenmetastasen dazu beitragen,<br />
den Knochen zu destabilisieren, auch kann sie<br />
gegebenenfalls sehr schmerzhaft sein. Die Liquid<br />
Biopsy ist, wenn man so will, in diesen Fällen<br />
die elegante, schonende Alternative. Ohnehin<br />
bekommen Patientinnen das neu zugelassene<br />
Medikament aktuell nur, wenn die Mutation über<br />
eine Liquid Biopsy nachgewiesen wurde. Hier<br />
muss man sich an klare Vorgaben halten. Bei neuen<br />
Medikamenten sind diese oftmals, wie auch<br />
hier, davon bestimmt, wie die Zulassungsstudien<br />
angelegt waren; die darin angewandte Technik<br />
ist meist auch Grundlage für die Verordnung. Im<br />
Fall des neuen Medikaments, das bei einer ESR1-<br />
Mutation gegeben werden kann, ist außerdem<br />
Voraussetzung, dass bereits eine Erstlinienbehandlung<br />
erfolgt ist. Wenn die Krankheit unter<br />
der Erstlinienbehandlung fortschreitet, kann das<br />
neue Medikament zum Einsatz kommen.<br />
Was bedeutet die neue Therapiemöglichkeit<br />
für die Patientinnen?<br />
Ziel der Behandlung von Patientinnen im fortgeschrittenen<br />
bzw. metastasierten Stadium ist<br />
es, die Erkrankung über möglichst lange Zeit zu<br />
kontrollieren, tumorbedingte Symptome zu verhindern<br />
und die <strong>Leben</strong>squalität zu erhalten. Das<br />
neue Medikament hat in der Zulassungsstudie<br />
eine signifikante Verlängerung des Gesamtüberlebens<br />
gezeigt. Dies bedeutet einen Gewinn an<br />
<strong>Leben</strong>szeit für die Patientinnen.<br />
Insgesamt lässt sich sagen, dass das Portfolio an<br />
zielgerichteten Medikamenten und an Biomarkern<br />
aktuell rasant wächst. Es ist spannend für<br />
uns Pathologen, diese fulminante Entwicklung<br />
in puncto Biomarkerdiagnostik begleiten zu können.<br />
Durch die molekularpathologische Diagnostik<br />
legen wir den Grundstein für die Auswahl<br />
der geeigneten Therapien, die zum Einsatz kommen.<br />
Redaktion Miriam Rauh
Anzeige<br />
ESR1-Mutationen gewinnen bei der<br />
Therapie des HR+/HER2− metastasierten<br />
Mammakarzinoms an Bedeutung<br />
Bis zu 40 % der Patientinnen zeigen nach Therapie<br />
<strong>mit</strong> einem Aromatase-Inhibitor ESR1-Mutationen 1<br />
1 Brett J, Spring LM, Bardia A, Wander SA. ESR1 mutation as an<br />
emerging clinical biomarker in metastatic hormone receptor-positive<br />
breast cancer. Breast Cancer Res. 2021;23(1):85.
Advertorial<br />
Einfach auf Rezept:<br />
Die PINK! Coach App<br />
stärkt die Selbstwirksamkeit<br />
von Brustkrebspatientinnen<br />
Als Gynäkologin kennt Prof. Dr. Pia Wülfing die Fragen, Sorgen und Bedürfnisse von Frauen<br />
<strong>mit</strong> Brustkrebs gut. Sie hat die App PINK! Coach entwickelt, eine DiGA, die Patientinnen<br />
bei Therapie und Nachsorge begleitet und auf Kassenrezept erhältlich ist.<br />
Frau Prof. Dr. Wülfing, was ist das Ziel der<br />
PINK! Coach App?<br />
PINK! Coach begleitet Brustkrebspatientinnen<br />
von der Diagnose bis zur Nachsorge<br />
– auf medizinisch hohem Niveau. Alle<br />
“<br />
Ich bin total begeistert von<br />
der App. Jeden Tag werde ich<br />
gepusht, mich zu bewegen<br />
und mir Gedanken über die<br />
richtige Ernährung zu machen.<br />
Besonders wertvoll empfinde<br />
ich die Meditation. Darüber<br />
erlange ich innere Ruhe<br />
und mehr Energie für<br />
den Alltag.<br />
Wie funktioniert das Coaching?<br />
Ein wesentlicher Aspekt ist, dass die Betroffenen<br />
selbst aktiv werden. Bei einer <strong>Krebs</strong>erkrankung<br />
hat man nicht alles in der Hand<br />
– aber vieles kann man positiv beeinflussen.<br />
Da<strong>mit</strong> das so einfach wie möglich gelingt,<br />
bereiten wir die Informationen und Anleitungen<br />
in kleinen Häppchen vor und geben<br />
im Sinne eines personalisierten Coachings<br />
konkrete Tagesziele aus: Was kann ich heute<br />
tun, welches Maß an Bewegung ist das<br />
richtige und auf welche Ernährung sollte ich<br />
achten?<br />
Informationen entsprechen den Leitlinien<br />
und Therapiestandards. In der App stellen<br />
wir Texte, Videos und Podcasts zum Thema<br />
Brustkrebs und speziell zu der Fragestellung<br />
„Was kann ich selbst als Betroffene tun?“<br />
bereit. Darüber hinaus bieten wir Webinare<br />
an und coachen Brustkrebspatientinnen<br />
engmaschig.<br />
Die Coaching-Programme der App wurden<br />
von Experten aus verschiedenen Bereichen<br />
erarbeitet. Im Bereich Bewegung von Professor<br />
Baumann von der Uniklinik Köln,<br />
Professor Smollich von der Uniklinik Lübeck<br />
ist unser Ernährungsexperte und der<br />
Neurowissenschaftler Doktor Bornemann,<br />
aus Berlin, ist für die mentale Gesundheit<br />
zuständig. Er hat drei Achtsamkeitskurse<br />
erstellt, <strong>mit</strong> täglichen Übungen und geführten<br />
Meditationen für besseren Schlaf, gegen<br />
Angst und für mehr Selbstfürsorge.<br />
Welche Funktionen bietet die App PINK!<br />
Coach neben den Tageszielen, Webinaren,<br />
Videos und Podcasts?<br />
In der Infothek stellen wir jeweils relevante<br />
Inhalte zur Verfügung. Unser Chatbot<br />
beantwortet Fragen zu möglichen Nebenwirkungen<br />
und Symptomen individuell.<br />
Welche Beschwerden können im Zusammenhang<br />
<strong>mit</strong> Therapien auftreten, wie geht<br />
man <strong>mit</strong> ihnen um und was kann man selbst<br />
tun, um das Auftreten von Nebenwirkungen<br />
zu reduzieren?
9<br />
Mehr auf www.leben<strong>mit</strong>.de | 9<br />
Viele Fragen kommen zu Zeiten auf, in denen<br />
die behandelnden Ärzte nicht erreichbar<br />
sind, an den Wochenenden oder nachts.<br />
Unsere App gibt den Patientinnen jederzeit<br />
leitliniengerechte Antworten. Die Inhalte unserer<br />
App sind zudem personalisiert, sodass<br />
sie genau zur Situation der Nutzerin passen.<br />
Die App ist dauerhaft als DiGA gelistet –<br />
was bedeutet das?<br />
DiGAs, also „Apps auf Rezept“, müssen zahlreiche<br />
Qualitätsprüfungen durchlaufen,<br />
PINK! Coach hat einen klaren medizinischen<br />
Nutzen, der im Rahmen einer großen<br />
Studie nachgewiesen wurde. Datenschutz<br />
und Sicherheit sind gewährleistet. Auch<br />
Barrierefreiheit und Nutzerfreundlichkeit<br />
sind gegeben, sodass auch seh- oder hörbehinderte<br />
Menschen die App nutzen können.<br />
Unter unseren Nutzerinnen sind viele<br />
ältere, die nicht der Generation der „Digital<br />
Natives“ angehören. Besonders für sie muss<br />
das Nutzererlebnis intuitiv sein. Es gibt zwar<br />
viele Apps zu medizinischen Themen, aktuell<br />
sind aber nur drei Apps im onkologischen<br />
Bereich als DiGA anerkannt und entsprechen<br />
den Leitlinien. Und PINK! Coach ist die<br />
einzige App für Brustkrebspatientinnen, die<br />
dauerhaft in das DiGA-Verzeichnis aufgenommen<br />
wurde.<br />
Die PINK! Coach App war in<br />
den letzten Monaten für mich<br />
eine wertvolle Unterstützung. So<br />
was wie eine gute und ziemlich<br />
kluge Freundin, die während der<br />
Therapie – und auch danach –<br />
immer an meiner Seite war.<br />
Wie lief die Studie ab und was wurde untersucht?<br />
Für die Hauptstudie haben wir 422 Patientinnen<br />
<strong>mit</strong> Brustkrebs an sieben großen Brustkrebszentren<br />
in Deutschland rekrutiert. Es wurde ausgelost,<br />
wer in die Gruppe der sofortigen Nutzerinnen<br />
der App und wer in die Kontrollgruppe<br />
kommt. Beide Gruppen waren gleich groß, darunter<br />
Patientinnen <strong>mit</strong> einem frühen Brustkrebsstadium<br />
und Patientinnen <strong>mit</strong> metastasiertem<br />
Brustkrebs. Auch verschiedene Therapiesituationen<br />
waren durch die Teilnehmerinnen der Studie<br />
abgedeckt, von der frisch gestellten Diagnose<br />
bis zur Nachsorge, Patientinnen unter Chemotherapien<br />
oder Antihormontherapien wurden<br />
eingeschlossen. Während der Laufzeit der Studie<br />
haben die Teilnehmerinnen regelmäßig Fragebögen<br />
ausgefüllt, sowohl zu bestimmten Eckpunkten<br />
ihres körperlichen Befindens als auch<br />
zur psychischen Belastung. Untersucht wurden<br />
zum Beispiel körperliche Aktivität, BMI bzw.<br />
Körpergewicht und die Verträglichkeit der Therapien.<br />
Wir konnten nachweisen, dass bei den Patientinnen,<br />
welche die App PINK! Coach nutzten,<br />
die psychische Belastung im Vergleich zu denen,<br />
die sie in den ersten drei Monaten nicht zur Verfügung<br />
hatten, deutlich reduziert war. Je länger<br />
sie die App nutzten, desto deutlicher zeigte sich<br />
dieser Effekt, die psychische Belastung sank. Bei<br />
Auswertung der Daten von sechs Monaten zeigte<br />
sich, dass auch die Patientinnen der Kontrollgruppe,<br />
die drei Monate nach der ersten Gruppe<br />
<strong>mit</strong> der Nutzung der App begannen, von einer<br />
Verbesserung ihrer psychischen Belastung durch<br />
Nutzung der App profitieren konnten. In dem<br />
Moment, in dem sie <strong>mit</strong> der Nutzung begannen,<br />
verbesserte sich ihre Situation.<br />
Verbesserte sich auch die physische Situation<br />
der Nutzerinnen?<br />
Ja, die App wirkt ganzheitlich. PINK! Coach leitet<br />
Patientinnen an, wie sie sich gesundheitsförderlich<br />
verhalten können, und zielt auf die drei<br />
Säulen Bewegung, Ernährung und mentale Gesundheit<br />
ab. Wir haben festgestellt, dass sich die<br />
App-Nutzerinnen deutlich mehr bewegen. Diejenigen,<br />
die Kortison oder eine Antihormontherapie<br />
erhalten, nehmen weniger oder gar nicht zu.<br />
Das ist eigentlich sensationell, da ansonsten die<br />
meisten Patientinnen <strong>mit</strong> der stetigen Gewichtszunahme<br />
zu kämpfen haben, Übergewicht aber<br />
sehr ungünstig für die Prognose ist, also verhindert<br />
bzw. reduziert werden sollte. Auch Schmerzen,<br />
zum Beispiel in den Gelenken, lassen sich<br />
“<br />
Die App hilft durch die schwere<br />
Zeit der <strong>Krebs</strong>behandlung und<br />
auch hinterher. Mir ver<strong>mit</strong>telt sie<br />
Stabilität – auch in den schwersten<br />
Momenten. Eine wunderbare App.<br />
<strong>mit</strong> bestimmten Maßnahmen reduzieren. Nutzerinnen<br />
der App befassen sich zudem <strong>mit</strong> allen<br />
drei Säulen, nicht nur <strong>mit</strong> einer. Insbesondere im<br />
Bereich mentale Gesundheit profitieren viele Patientinnen<br />
von der konkreten Anleitung.<br />
Welche Altersgruppen nutzen die App?<br />
Das ist ganz verschieden, unsere derzeit älteste<br />
Nutzerin ist 89 Jahre alt. Anhand unserer Daten<br />
sehen wir, dass ältere Nutzerinnen sogar noch<br />
mehr Zeit in der App verbringen als jüngere; sie<br />
scheinen die bereitgestellten Informationen ausführlicher<br />
zu lesen. Die App lässt sich einfach<br />
und niederschwellig nutzen. Man braucht nur<br />
ein Smartphone, ein Rezept und kann starten.<br />
Wie erhalten Patientinnen Zugang zur PINK!<br />
Coach App?<br />
Die PINK! Coach App ist auf Rezept für gesetzlich<br />
Versicherte erhältlich, die Krankenkassen<br />
tragen die Kosten. Jeder Arzt kann die PINK!<br />
App verschreiben, unabhängig von der Fachrichtung.<br />
Auf dem Rezept sollten die folgenden<br />
Angaben stehen: „DiGA“, die Pharmazentralnummer<br />
(PZN) 18206191 und der Name „PINK!<br />
Coach“. Alle Informationen findet man auch auf<br />
unserer Homepage. Die Patientin schickt das<br />
Rezept an ihre Krankenkasse, erhält von dieser<br />
einen Freischaltcode und kann die App im<br />
App Store oder bei Google Play herunterladen.<br />
Bei Fragen können sich Patientinnen oder Behandelnde<br />
gern an unser Team wenden. Wir<br />
helfen auch bei Bedarf, die App zu beantragen.<br />
Erfahren Sie mehr unter:<br />
pink-brustkrebs.de/<br />
aktiv-gegen-brustkrebs/pink-coach
10<br />
Coverstory<br />
„Ich akzeptiere<br />
die Diagnose,<br />
aber nicht die<br />
Prognose“<br />
Christin ist 34 Jahre alt, Mama – und Palliativpatientin.<br />
Viel zu jung, wenn man nach den<br />
Statistiken geht. Aber <strong>Krebs</strong> schert sich nicht<br />
um Zahlen. Im Interview erzählt Christin von<br />
ihrem Umgang <strong>mit</strong> der Diagnose.<br />
Christin, Sie waren sehr jung, als Sie die<br />
Diagnose Brustkrebs erhalten haben. Wie<br />
haben Sie erfahren, dass Sie <strong>Krebs</strong> haben?<br />
Das war 2019, ich war in der 30. Schwangerschaftswoche.<br />
Mein Frauenarzt hat mich<br />
sehr schnell ins Krankenhaus überwiesen,<br />
aber meine Gedanken kreisten mehr um<br />
meine Schwangerschaft als um die Untersuchung.<br />
Ein paar Tage später kam das Ergebnis<br />
der Biopsie: Brustkrebs. Obwohl ich<br />
selbst Krankenschwester bin – da<strong>mit</strong> hatte<br />
ich überhaupt nicht gerechnet.<br />
Wie ist Ihr Umfeld <strong>mit</strong> der Diagnose umgegangen?<br />
Sehr gemischt. Alle waren tieftraurig, weil<br />
keiner da<strong>mit</strong> gerechnet hatte. Nur mein<br />
Schwiegervater sagte später, er habe eine<br />
Vorahnung gehabt, als ich den Termin im<br />
Krankenhaus hatte. Es gab Menschen, die<br />
sich von mir abgewandt haben. Ob aus Überforderung<br />
oder aus anderen Gründen, kann<br />
ich nicht sagen. Andere, von denen ich dachte,<br />
dass es lose Bekannte sind, weil wir uns<br />
selten gesehen haben, sind zu echten Freunden<br />
geworden.<br />
Eine große Stütze war mein Mann. Er war immer<br />
für mich da, ich würde sogar sagen, er<br />
hat mir das <strong>Leben</strong> gerettet. Wir sind seit 18<br />
Jahren ein Paar, ich dachte, wir kennen einander<br />
in- und auswendig. Aber diese Situation<br />
hat uns noch mal auf einer ganz anderen<br />
Ebene <strong>mit</strong>einander verbunden. Ich habe<br />
gemerkt, dass ich mich immer auf meinen<br />
Mann verlassen kann. Als unsere Tochter<br />
auf die Welt kam, war er da. Er ist direkt zwei<br />
Jahre in Elternzeit gegangen, blieb zu Hause<br />
und hat mir alles abgenommen, da<strong>mit</strong> ich<br />
die Therapien machen kann. Obwohl wir das<br />
vor der Diagnose ganz anders geplant hatten.<br />
Ihre Tochter musste<br />
früher auf die Welt geholt<br />
werden.<br />
Ja, es ging nicht anders.<br />
Ich hätte sonst in Kauf<br />
genommen, dass der<br />
instagram.com/<br />
our.best.journey<br />
Tumor weiterwächst,<br />
und da<strong>mit</strong> meine Überlebenschancen<br />
verringert. Das wollte ich<br />
nicht, ich wollte und will eine ganz normale<br />
Mama für unsere Tochter sein. Eine Woche<br />
nachdem unsere Tochter per Kaiserschnitt<br />
zur Welt kam, lag ich wieder im OP. Ich habe<br />
die Anfangszeit unserer Tochter fast nicht<br />
<strong>mit</strong>bekommen.<br />
Das war sicher nicht einfach für Sie.<br />
Es war anfangs ganz, ganz schwer für mich.<br />
Ich konnte kaum darüber reden. Ich dachte<br />
immer, ich muss doch für mein Kind da sein!<br />
Aber ich musste einsehen, dass ich die Zeit<br />
brauche, den <strong>Krebs</strong> zu bekämpfen, um für<br />
mein Kind da sein zu können. Und das alles<br />
ging nur, weil ich einen Mann habe, der eingesprungen<br />
ist und mir ganz viel abgenommen<br />
hat.<br />
Mussten Sie mehrfach operiert werden?<br />
Ja, es blieb nicht bei einer OP. Leider hatte<br />
ich so starke Nebenwirkungen von der Chemotherapie,<br />
dass ich sie abbrechen musste.<br />
Danach stellte sich recht schnell heraus,<br />
dass die Therapien bei mir nicht angeschlagen<br />
haben. Ich kam Mitte des Jahres 2020<br />
von der Reha nach Hause und freute mich<br />
darauf, endlich wieder normal leben zu können<br />
– zehn Tage später tastete ich einen neuen<br />
Tumor. Dann ging alles von vorne los. Ich<br />
erfuhr, dass der Tumor in die Lunge gestreut<br />
hatte. Seitdem habe ich die palliative Diagnose.<br />
“<br />
Ich lebe. Und ich bin die<br />
Mama, die ich sein wollte.<br />
Das ist das, was wichtig ist.<br />
Foto: privat<br />
Wie waren Ihre Gedanken? Was bedeutet<br />
die Palliativdiagnose für Sie?<br />
Palliativ bedeutet, dass der <strong>Krebs</strong> nicht<br />
heilbar ist, aber es bedeutet nicht, dass<br />
man gleich stirbt. Der <strong>Krebs</strong> gehört jetzt zu<br />
meinem <strong>Leben</strong> dazu. Ich habe mich daran<br />
gewöhnt. Die palliative Diagnose steht auf<br />
einem Papier, aber was würde sich ändern,<br />
stände sie nicht dort? Ich bekomme eine<br />
Immuntherapie, die wirkt. Es geht mir gut.<br />
Ich lebe. Und ich bin die Mama, die ich sein<br />
wollte. Das ist das, was wichtig ist.<br />
Was ist Ihr Rezept, so positiv zu sein?<br />
Ich habe keins. Mein größter Ansporn sind<br />
meine Tochter und mein Mann. Der <strong>Krebs</strong><br />
hat mein <strong>Leben</strong> auf den Kopf gestellt und<br />
es hat Zeit gebraucht, mich <strong>mit</strong> der Situation<br />
zurechtzufinden. Es gibt auch jetzt immer<br />
mal wieder Momente, in denen es mir<br />
schlecht geht und in denen ich traurig bin.<br />
Aber ich habe gelernt, da<strong>mit</strong> umzugehen.<br />
Es ist wichtig, auch über Ängste zu sprechen<br />
und sich an hoffnungsvollen Geschichten<br />
festzuhalten. Man darf die Hoffnung niemals<br />
aufgeben.<br />
Was ist Ihr größter Wunsch für die Zukunft?<br />
Dass mein Mann und meine Tochter immer<br />
glücklich sind..<br />
Redaktion Miriam Rauh
Anzeige
12<br />
Leberkrebs<br />
instagram.com/<br />
krebs_campus<br />
Lernen, lieben,<br />
leben.<br />
Wissen ist nicht nur Macht, es entscheidet<br />
oft auch über <strong>Leben</strong> und Tod. Dr. Babett<br />
Baraniec hat das am eigenen Leib erfahren:<br />
„Ohne mein Fachwissen wäre ich heute<br />
nicht mehr da“, sagt die promovierte Biologin<br />
und Medizinpädagogin.<br />
Redaktion Miriam Rauh<br />
Babett <strong>mit</strong> ihrer Tochter Theda<br />
„Liebe ist das beste Heil<strong>mit</strong>tel<br />
der Welt.“ Foto: privat<br />
Frau Dr. Baraniec, Sie erkrankten vor elf Jahren<br />
an Leberkrebs. Wie kam es zur Diagnose?<br />
Während der zweiten Hälfte meiner Schwangerschaft<br />
bekam ich gesundheitliche Probleme.<br />
Meine Haut wurde schlecht, ich hatte Schmerzen<br />
unter dem Rippenbogen, auch starken<br />
Juckreiz. Zunächst wurde dies als hormonell bedingte<br />
Veränderungen und als rheumatischer<br />
Schub in der Schwangerschaft abgetan. Ich<br />
machte Kamillensitzbäder und nahm eine Salbe<br />
gegen Schmerzen. Als unsere Tochter etwa<br />
vier Monate alt war, hatte ich plötzlich beim<br />
Stillen höllische Schmerzen und ging in die<br />
Notaufnahme. Ich dachte, ich hätte mir einen<br />
Nerv eingeklemmt, aber im Ultraschall konnte<br />
man den Tumor sehen. Er war so groß, dass er<br />
eingeblutet hatte.<br />
Gab es bei Ihnen besondere Risikofaktoren?<br />
Dem <strong>Krebs</strong> war weder eine Infektion vorausgegangen<br />
noch eine Zirrhose oder eine Fettleber.<br />
Ich hatte zwar bereits ein Adenom, einen gutartigen<br />
Tumor, in der Leber gehabt. Doch bei<br />
Frauen um die 30, die Hormone einnehmen,<br />
sieht man ein etwas häufigeres Auftreten von<br />
Adenomen. Das Adenom wurde damals minimalinvasiv<br />
entfernt; ich habe die Pille abgesetzt,<br />
anders verhütet und nicht mehr daran gedacht.<br />
Das hepatozelluläre Karzinom HCC, der bösartige<br />
Lebertumor, ist in einem neuen Adenom<br />
entstanden, das vermutlich durch die Schwangerschaftshormone<br />
gewachsen war.<br />
Wie geht es Ihnen heute?<br />
Ich war nie wirklich geheilt. Obwohl ich stabile<br />
Phasen habe, gehe ich nicht davon aus, dass ich<br />
nie wieder einen Tumor bekomme.<br />
Vor etwa drei Jahren wurden Metastasen in<br />
der Lunge gefunden; seitdem bekomme ich<br />
eine Immuntherapie, die vieles stabilisiert hat.<br />
Mittlerweile sind kaum noch Metastasen in der<br />
Lunge nachweisbar. Im vergangenen Dezember<br />
hatte ich erneut ein Rezidiv in der Leber.<br />
Das war aber sehr klein und konnte gut entfernt<br />
werden. An den Stellen, an denen die Immuntherapie<br />
nicht wirkt, wird lokal behandelt, zum<br />
Beispiel <strong>mit</strong> stereotaktischer Bestrahlung oder<br />
Mikrowellenablation.<br />
Ich glaube, ich habe fast alle Therapien gemacht,<br />
die aktuell verfügbar sind. Dass ich zu<br />
den Ersten gehöre, die von ganz neuen Therapien<br />
profitieren können, ist ein Privileg. Leberkrebs<br />
war bislang schwer behandelbar, aber in<br />
den letzten Jahren hat sich einiges getan und ich<br />
bin zuversichtlich, dass hier vieles folgen wird.<br />
Spricht man dennoch von einer palliativen<br />
Therapie?<br />
Es gibt heute nicht mehr nur „kurativ“ oder „palliativ“;<br />
dank neuer medizinischer Behandlungsmöglichkeiten<br />
vollzieht sich ein Wandel. Eine<br />
stark wachsende Gruppe von chronisch krebskranken<br />
Patienten kann <strong>mit</strong> ihrer Diagnose sehr<br />
lange leben. Das ist eine neue hoffnungsvolle<br />
Perspektive für alle Betroffenen. Und es fordert<br />
auch ganz neue Versorgungsstrategien im Gesundheitswesen<br />
ein. Ein Grund von vielen, warum<br />
wir den <strong>Krebs</strong> Campus gegründet haben.<br />
Allerdings ändern sich Begrifflichkeiten und<br />
auch die Wahrnehmung in der Gesellschaft nur<br />
langsam. Ich selbst bin zwar auf dem Arztbrief<br />
palliativ, aber tatsächlich bin ich es nicht: Ich<br />
bin chronisch krank.<br />
Sie sagen, ohne Ihr Fachwissen würden Sie<br />
nicht mehr leben. Was meinen Sie da<strong>mit</strong>?<br />
Einerseits schreitet die medizinische Entwicklung<br />
schnell voran, auf der anderen Seite steht<br />
der Ressourcenmangel. Es ist keine Zeit da, Patienten<br />
umfangreich zu informieren, zu beraten<br />
und zu schulen; Ärzte und Pflegekräfte sind teils<br />
sehr überlastet und können gar nicht alles für<br />
alle Patienten im Blick haben. Deswegen muss<br />
man die Patienten befähigen, sich im Diagnosedschungel<br />
und in ihrer Krankheitsgeschichte<br />
selbst zurechtzufinden.<br />
Was ist dafür nötig?<br />
Es braucht Anleitung und Wissen. Man muss<br />
auch Fehlinformationen erkennen können,<br />
um sich zu schützen. Alternative Heilungsmethoden<br />
können viel Schaden anrichten. Durch<br />
meinen beruflichen Hintergrund hatte ich viel<br />
Wissen bzw. wusste, wo und wie ich hilfreiche<br />
Informationen bekommen kann. Und ich bin<br />
<strong>mit</strong> Abläufen in Praxen und Krankenhäusern<br />
vertraut. Aber jemand, der nicht im medizinischen<br />
Bereich tätig ist, hat dieses Hintergrundwissen<br />
nicht. Aus diesem Grund gibt es die Patienteninitiative<br />
<strong>Krebs</strong> Campus. Wir möchten,<br />
dass alle Betroffenen die Möglichkeit haben,<br />
sich zu schulen, und wir möchten auch das<br />
Thema „Patientenedukation“ mehr in die öffentliche<br />
Wahrnehmung bringen. Auf diesem<br />
Gebiet bewegt sich aktuell viel. Ich kann nur<br />
empfehlen, sich zum Beispiel auch PEAK anzusehen,<br />
eine Patientenakademie für Menschen<br />
<strong>mit</strong> Tumorerkrankungen. Die Informations-<br />
Versorgung von Tumorpatienten wird zusehends<br />
besser.<br />
Welche Rolle spielt Aufklärung?<br />
Patienten, die sich <strong>mit</strong> ihrer Erkrankung auseinandersetzen<br />
und sich engagieren, haben mehr<br />
Kraft und zeigen mehr Compliance. Die Therapien<br />
wirken bei ihnen besser. Auch deswegen,<br />
weil sie meist mehr über Zusammenhänge wissen.<br />
Chemotherapien zum Beispiel vertragen<br />
sich nicht <strong>mit</strong> allen Nahrungs<strong>mit</strong>teln oder Nahrungsergänzungs<strong>mit</strong>teln.<br />
Sie wirken besser und<br />
haben weniger Nebenwirkungen, wenn man<br />
das beachtet.<br />
Was würden Sie anderen gerne <strong>mit</strong>geben?<br />
Die Medizin macht große Fortschritte. Niemand<br />
weiß, auf welcher Seite der Statistik man steht.<br />
Hoffnung lohnt sich immer! Bei jeder Diagnose<br />
und zu jedem Zeitpunkt. Mir liegt auch sehr am<br />
Herzen, dass <strong>Krebs</strong>patienten merken und verstehen,<br />
dass wir gerade <strong>mit</strong>ten in einer neuen<br />
und sehr hoffnungsvollen Zeit leben. Die Medizin<br />
macht große Sprünge. Auch wird die Versorgung<br />
für uns Langzeitüberlebende <strong>mit</strong> sehr viel<br />
Engagement von Betroffenen, Ärzten und Organisationen<br />
zusammen verbessert..
Wenn Zeit das<br />
Wertvollste wird<br />
Wie sich Betroffene und Angehörige ohne<br />
Umwege informieren können<br />
Eine <strong>Krebs</strong>diagnose lässt im ersten Moment für die Betroffenen und<br />
auch für ihre Angehörigen eine Welt zusammenbrechen. Dass diese<br />
Nachricht oft zunächst zu einer Art Schockstarre führt, ist verständlich. 1 In<br />
besonderem Maße trifft das auf schnell voranschreitende Tumoren zu, die lange<br />
keine Symptome verursachen. Dazu gehören zum Beispiel Tumoren in der Leber,<br />
wie das Leberzellkarzinom und das Gallenblasen- oder Gallengangskarzinom, die häufig erst in einem fortgeschrittenen<br />
Stadium entdeckt werden. 2,3 Hier spielt die Zeit ab der Diagnose eine entscheidende Rolle – und das ist für<br />
die Betroffenen oft eine große Herausforderung. Denn gerade jetzt, wenn die Diagnose das <strong>Leben</strong> auf den Kopf<br />
stellt, kommt es darauf an, aktiv zu werden, um möglichst schnell die bestmögliche Behandlung für sich zu finden.<br />
Dieser Artikel wurde in Zusammenarbeit <strong>mit</strong><br />
Neue und verbesserte Therapieverfahren<br />
Die Voraussetzungen für eine erfolgreiche Behandlung<br />
dieser Tumoren haben sich in den<br />
vergangenen Monaten und Jahren deutlich<br />
verbessert: Chirurgen können heute in vielen<br />
Fällen die Tumoren oder Tochtergeschwülste<br />
(Metastasen) in der Leber so gezielt entfernen,<br />
dass der gesunde Teil des Organs nachwachsen<br />
kann und die Leberfunktion erhalten bleibt. 4<br />
Möglich wird das durch ausgefeilte Computerprogramme<br />
zur detaillierten Planung des Eingriffs<br />
und minimalinvasive, zum Teil auch roboterassistierte<br />
Operationsverfahren. 5 Ist eine<br />
chirurgische Entfernung nicht möglich, führen<br />
spezialisierte Radiologen bei bestimmten Tumoren<br />
eine sogenannte Chemosaturation der<br />
Leber durch. Dabei wird die Leber vorübergehend<br />
vom Blutkreislauf getrennt und <strong>mit</strong> einer<br />
hoch dosierten Chemotherapie durchgespült. 6<br />
Auf diese Weise wirkt das Medikament, im Gegensatz<br />
zur herkömmlichen Chemotherapie,<br />
ausschließlich in der Leber und unerwünschte<br />
Nebenwirkungen werden verringert. Auch<br />
bei der transarteriellen Chemoembolisation<br />
(TACE) wird der Tumor gezielt <strong>mit</strong> einer<br />
höher dosierten Chemotherapie behandelt.<br />
Dazu werden kleine Partikel <strong>mit</strong> einem Chemotherapeutikum<br />
kombiniert und über die<br />
umgesetzt<br />
tumorversorgende Arterie direkt in den Tumor<br />
eingebracht. 7,8 Daneben steht heute eine ganze<br />
Reihe schonender Verfahren zur gezielten Verödung<br />
von Tumorzellen zur Verfügung. 7 Große<br />
Fortschritte hat es auch in der medikamentösen<br />
Tumortherapie gegeben, insbesondere in<br />
der Immunonkologie. Dabei werden die Zellen<br />
des Immunsystems <strong>mit</strong>hilfe innovativer Medikamente<br />
angeregt und in die Lage versetzt,<br />
<strong>Krebs</strong>zellen zu erkennen und zu bekämpfen. 7,9<br />
Zeit wird immer mehr zum<br />
entscheidenden Faktor<br />
So fortschrittlich die innovativen Operationen,<br />
Katheterverfahren und immunonkologischen<br />
Therapien auch sind: Allen – auch den neuesten<br />
– Behandlungsstrategien ist gemeinsam, dass<br />
sie so schnell wie möglich eingesetzt werden<br />
müssen, um den Betroffenen ein längeres Überleben<br />
<strong>mit</strong> der Erkrankung zu ermöglichen und<br />
ihre <strong>Leben</strong>squalität möglichst gut aufrechterhalten<br />
zu können. Zwischen Diagnose und Beginn<br />
der Therapie sind die Faktoren Zeit und Wissen<br />
entscheidend: Je schneller Betroffene geprüfte<br />
Informationen zur Erkrankung und deren Behandlung<br />
erhalten, desto besser. Das erhöht den<br />
Druck meist noch mehr. Auch die Angehörigen<br />
leiden unter dieser Situation und versuchen alles<br />
in ihrer Macht Stehende, um zu helfen. Laut<br />
einer Patientenumfrage von AstraZeneca und<br />
DBPi wünschen sich Angehörige sogar noch<br />
mehr als Betroffene mehr Informationen über<br />
Behandlungsoptionen und unterstützende Angebote.<br />
Auch das Interesse an Hintergründen<br />
zur Diagnose und Bewertung von Untersuchungsergebnissen<br />
ist bei Angehörigen besonders<br />
hoch. 10 Häufig ist es aber nicht einfach,<br />
seriöse Unterstützungsangebote zu finden. Es<br />
gilt nun, umfassende und verlässliche Informationen<br />
über die Erkrankung und die möglichen<br />
Therapien zu erhalten und zu verstehen – und<br />
vor allem auch Experten, zertifizierte Behandlungszentren<br />
und Kliniken zu finden, die über<br />
die nötige Erfahrung und Ausstattung verfügen.<br />
Dafür sind die Deutsche <strong>Krebs</strong>gesellschaft<br />
.<br />
(www.oncomap.de) und der <strong>Krebs</strong>informationsdienst<br />
(www.krebsinformationsdienst.de) des<br />
Deutschen <strong>Krebs</strong>forschungszentrums hilfreiche<br />
Anlaufstellen.<br />
1 Deutsche <strong>Krebs</strong>hilfe. Hilfe für Angehörige von <strong>Krebs</strong>patienten. (www.krebshilfe.de/informieren/ueberkrebs/<strong>mit</strong>-krebs-leben/hilfe-fuer-angehoerige-von-krebspatienten)<br />
2 Patientenleitlinie Leberkrebs.<br />
(www.leitlinienprogramm-onkologie.de/patientenleitlinien/leberkrebs) 3 Patientenleitlinie Gallenwege- und<br />
Gallenblasenkrebs. (www.leitlinienprogramm-onkologie.de/patientenleitlinien/gallenwege-und-gallenblasenkrebs)<br />
4 Lopez-Lopez V, Linecker M, Cruz J, et al. Liver growth prediction in ALPPS - A multicenter<br />
analysis from the international ALPPS registry. Liver Int. 2022;42(12):2815-29. 5 Cioffi L, Belli G, Izzo F, et al.<br />
Minimally Invasive ALPPS Procedure: A Review of Feasibility and Short-Term Outcomes. Cancers (Basel).<br />
2023;15(6):1700. 6 Ebel S, Struck MF, van Boemmel F, et al. Chemosaturation der Leber – ein Update.<br />
Rofo. 2023;195(1):30-7. 7 Dalzell CG, Taylor AC, White SB. New Insights on Liver-Directed Therapies in<br />
Hepatocellular Carcinoma. Cancers (Basel). 2023;15(24):5749. 8 Neuzillet C, Artru P, Assenat E, et al.<br />
Optimizing Patient Pathways in Advanced Biliary Tract Cancers: Recent Advances and a French Perspective.<br />
Target Oncol. 2023;18(1):51-76. 9 Kang S, El-Rayes BF, Akce M. Evolving Role of Immunotherapy in<br />
Advanced Biliary Tract Cancers. Cancers (Basel). 2022;14(7):1748. 10 HCC&BTC Patientenumfrage 2023.<br />
„Patient Engagement und Insights“-Initiative von AstraZeneca und DontBePatient Intelligence GmbH<br />
Wissen, was wichtig ist …<br />
Den Informationsbedarf zu stillen und sich dabei nicht verwirren zu lassen, sondern seriöse Quellen für das<br />
wirklich wichtige Wissen in den Weiten des Internets zu finden, kann sehr schwierig sein. Hinzu kommt,<br />
dass medizinische Fachbegriffe oft unverständlich sind. So kann viel wertvolle Zeit verloren gehen und<br />
die Unsicherheit wird zur Belastung. Schließlich geht es nicht nur um die Therapie, sondern auch darum,<br />
die verbleibende Zeit bestmöglich und <strong>mit</strong> der idealen Unterstützung zu nutzen. Als hilfreiche Anlaufstelle<br />
für Betroffene und Angehörige hat AstraZeneca deshalb die Internetportale www.leberkrebs-info.de und<br />
www.gallenkrebs.de eingerichtet. Hier finden Betroffene, deren Angehörige und andere Interessierte in Textund<br />
Videobeiträgen verständlich aufbereitetes, aktuelles Wissen über diese Erkrankungen und die Diagnoseund<br />
Behandlungsoptionen. Darüber hinaus bieten die Portale Alltagstipps, um die <strong>Leben</strong>squalität der Betroffenen<br />
zu verbessern und ihren Angehörigen Unterstützung für ihre ebenso herausfordernde Situation zu bieten.<br />
DE-66373
14<br />
Blasenkrebs<br />
„Man muss die<br />
Veränderungen,<br />
welche die Diagnose<br />
<strong>mit</strong> sich bringt,<br />
erst mal verarbeiten“<br />
Foto: privat<br />
Vorsorge rettet <strong>Leben</strong>: Spätestens wenn der Urin rot gefärbt ist, sollte man der Ursache dringend<br />
nachgehen. Warum auch weniger eindeutige Symptome immer abgeklärt werden müssen<br />
und man sich nicht von einer Blasenspiegelung abschrecken lassen sollte, erläutert Dr. Edmond<br />
Schiek-Kunz, Sprecher des Selbsthilfe-Bundes Blasenkrebs e. V., im Interview.<br />
Herr Dr. Schiek-Kunz, Sie sind selbst von Blasenkrebs<br />
betroffen. Wann haben Sie bemerkt,<br />
dass etwas nicht stimmt?<br />
Ich hatte häufigen Harndrang, den ich zunächst<br />
nicht <strong>mit</strong> <strong>Krebs</strong> in Verbindung brachte. Als ich<br />
auf einer Radtour <strong>mit</strong> einem Urologen unterwegs<br />
war, fragte ich ihn, was die Ursache sein<br />
könne. Er gab mir den Rat, mich auf ein Blasenkarzinom<br />
untersuchen zu lassen. Ich fiel aus<br />
allen Wolken, ließ aber gleich nach der Radtour<br />
eine Bildgebung machen. Dabei erhärtete sich<br />
der Verdacht.<br />
Welche Untersuchungen wurden gemacht?<br />
Man macht üblicherweise eine Blasenspiegelung,<br />
eine Zystoskopie, und entscheidet dann,<br />
ob und welche weiteren Schritte folgen. Wird<br />
bei der Spiegelung eine Auffälligkeit entdeckt,<br />
wird in der Regel eine transurethrale Resektion<br />
gemacht. Das erkrankte Gewebe, der <strong>Krebs</strong> – in<br />
meinem Fall in der Blase – wird durch eine urologische<br />
Operation entfernt. Anhand des entnommenen<br />
Gewebes kann dann die Diagnose<br />
gestellt werden: In welche Gewebe ist der <strong>Krebs</strong><br />
bereits gewachsen, wie aggressiv ist er und gibt<br />
es eine Ausbreitung? Danach erfolgen gegebenenfalls<br />
weitere Therapien.<br />
Sie sind selbst Arzt und kennen die Symptome<br />
von Ihren eigenen Patienten. Was ging in<br />
Ihnen vor?<br />
Ein typisches Symptom für Blasenkrebs ist rot<br />
gefärbter Urin. Das hatte ich nicht, die Diagnose<br />
hat mich eiskalt erwischt. Eine <strong>Krebs</strong>diagnose<br />
ist immer ein Einbruch, der eine massive Veränderung<br />
zum bisherigen <strong>Leben</strong> darstellt. Von da<br />
an ändert sich mehr oder weniger alles. Man ist<br />
nicht mehr der gleiche Mensch wie zuvor – und<br />
zwar bereits bevor einschneidende Therapien<br />
beginnen. Danach bleibt ständige Unsicherheit.<br />
Wurde wirklich alles entfernt, kommt der <strong>Krebs</strong><br />
zurück? Man muss die Veränderungen, welche<br />
die Diagnose <strong>mit</strong> sich bringt, erst mal verarbeiten.<br />
Das braucht Zeit, manchmal Jahre.<br />
Haben Sie sich von den Ärzten, die Sie betreut<br />
haben, in Ihrer Situation aufgefangen<br />
gefühlt?<br />
Ich habe das Glück, dass meine Frau selbst Ärztin<br />
ist und mich von Anfang an begleitet und<br />
unterstützt hat. Die allgemeine Arzt-Patienten-<br />
Kommunikation ist für Betroffene in dieser sehr<br />
belastenden Situation jedoch oft nicht ausreichend.<br />
Das ist auch immer wieder Thema in<br />
den Selbsthilfegruppen. Patienten werden medizinisch<br />
bestmöglich betreut, auf psychischer<br />
Ebene sind sie recht allein. Und der psychische<br />
Aspekt spielt bei Blasenkrebs eine enorme Rolle<br />
– Impotenz kann die Folge einer Blasenkrebsoperation<br />
sein. Das trifft die betroffenen Männer<br />
sehr schwer.<br />
Urologen bieten bei dieser Problematik häufig<br />
technische Lösungen an, die für viele Betroffene<br />
nicht zufriedenstellend sind. Deshalb sollte man<br />
den Operateur vor der Operation bitten, gefäßund<br />
nervenschonend zu arbeiten, um einer<br />
Impotenz entgegenzuwirken. Auch Psychoonkologen<br />
können nicht immer helfen, insbesondere<br />
dann, wenn sie sich nicht in die Situation<br />
einfühlen können, was der Verlust der Potenz<br />
für einen Mann bedeutet. Selbsthilfegruppen<br />
sind für die Aufarbeitung der Situation wirklich<br />
entscheidend.<br />
Sie haben sich Hilfe in einer Selbsthilfegruppe<br />
oder -einrichtung gesucht. Wie kam es dazu?<br />
Den Hinweis, dass es Selbsthilfegruppen gibt,<br />
bekam ich von einer Psychoonkologin. In der<br />
Selbsthilfegruppe habe ich zum ersten Mal erlebt,<br />
dass ich <strong>mit</strong> meinen Sorgen, meinen Ängsten<br />
und Symptomen nicht alleine bin. Das war<br />
sehr wichtig für mich. Man tauscht in der Gruppe<br />
auch praktische Tipps aus, zum Beispiel wie man<br />
<strong>mit</strong> Inkontinenz oder Impotenz umgehen kann.<br />
Was macht den Austausch so wertvoll?<br />
In der Gruppe entsteht ein Solidaritätseffekt,<br />
das hilft enorm. Der Austausch steuert auch<br />
dem Rückzugseffekt entgegen, der zwangsläufig<br />
nach einer OP, die so stark ins bisherige<br />
<strong>Leben</strong> eingreift, einsetzt. Wer neu zur Gruppe<br />
kommt, profitiert von den Erfahrungen der<br />
anderen. Zum Beispiel welche Einlagen bei Inkontinenz<br />
funktionieren, was die häufige Folge<br />
einer künstlichen Harnblase ist oder welcher<br />
Stomabeutel (Anm. d. Red.: künstliches Urinreservoir)<br />
dafür am besten passt.<br />
Noch immer gehen viele Betroffene zu spät<br />
zum Arzt. Woran liegt das?<br />
Der <strong>Krebs</strong> zeigt sich nicht immer eindeutig <strong>mit</strong><br />
dem typischen Symptom, dem roten Urin. Man<br />
rechnet möglicherweise nicht da<strong>mit</strong>. Eine Blasenspiegelung<br />
schiebt man vielleicht auch lieber<br />
vor sich her. Sie ist aber ein wichtiges Instrument,<br />
um die Erkrankung zu entdecken.<br />
Wie ist die medizinische Versorgungssituation?<br />
Dank frühzeitiger Erkennung werden viele Blasenkrebsfälle<br />
rechtzeitig entdeckt, sodass die<br />
Blase erhalten werden kann. Auch die <strong>Krebs</strong>forschung<br />
hat große Fortschritte gemacht. Es gibt<br />
neue Therapiemöglichkeiten und Alternativen.<br />
Wünschen würde ich mir, dass Ärzte und Kliniken<br />
möglichst früh auch auf Selbsthilfegruppen<br />
hinweisen, am besten bereits vor einer OP, denn<br />
der Austausch dort ist für Betroffenen eine wertvolle<br />
Stütze.<br />
Was würden Sie anderen gerne <strong>mit</strong> auf den<br />
Weg geben?<br />
Es dauert, bis man als Betroffener zurück ins<br />
<strong>Leben</strong> findet. Es braucht viel Geduld, sich <strong>mit</strong><br />
Symptomatiken wie Impotenz und Inkontinenz<br />
zurechtzufinden. Man sollte sich auch Hilfe<br />
suchen. Man darf auch die Angehörigen nicht<br />
vergessen, sie tragen einen Teil der Veränderungen<br />
durch die Diagnose <strong>mit</strong>. Partner sind in der<br />
Selbsthilfegruppe sehr willkommen – ich freue<br />
mich immer, wenn sie dabei sind..<br />
Redaktion Miriam Rauh
Advertorial<br />
Über Blasenkrebs<br />
sprechen<br />
Wussten Sie, dass in Deutschland jährlich mehr als 30.000<br />
Menschen neu an Blasenkrebs erkranken? Blasenkrebs<br />
ist in Deutschland die vierthäufigste <strong>Krebs</strong>erkrankung<br />
bei Männern und tritt bei ihnen etwa dreimal häufiger auf<br />
als bei Frauen. Trotzdem wird über die Erkrankung in der<br />
Öffentlichkeit nur wenig gesprochen. Mögliche Symptome<br />
sind vielen gar nicht bekannt oder werden nicht ernst<br />
genommen. Bislang gibt es keine allgemein anerkannten<br />
Vorsorgeuntersuchungen für Blasenkrebs. Deshalb ist es<br />
so wichtig, typische Symptome zu erkennen und rechtzeitig<br />
zu handeln: ROT HEISST REDEN!<br />
B<br />
lasenkrebs (manchmal auch<br />
Harnblasenkrebs oder Harnblasenkarzinom<br />
genannt)<br />
entsteht durch ein unkontrolliertes<br />
Wachstum der Zellen<br />
in der Schleimhaut der Harnblase<br />
oder den ableitenden Harnwegen<br />
(dem Urothel).<br />
Dies führt zu<br />
bösartigen Neubildungen,<br />
sogenannten<br />
Tumoren.<br />
Risikofaktoren<br />
für Blasenkrebs<br />
Theoretisch kann<br />
jeder Mensch,<br />
egal welchen<br />
Alters oder Geschlechts,<br />
an Blasenkrebs<br />
erkranken.<br />
Es gibt aber<br />
bestimmte Faktoren,<br />
die das Risiko einer Erkrankung erhöhen<br />
können. Dazu zählen aktives und<br />
passives Rauchen, zunehmendes <strong>Leben</strong>salter<br />
und häufige Blasenentzündungen.<br />
Mögliche Symptome von Blasenkrebs<br />
Im frühen Stadium bleibt Blasenkrebs oft<br />
unerkannt, da keine oder kaum merkliche<br />
Symptome auftreten. Prof. Dr. Helmut Haas,<br />
Urologe und Geschäftsführer der Urologischen<br />
Stiftung Gesundheit: „Es gibt zwei<br />
Hauptsymptome. Das erste ist, dass man rot<br />
sieht, also Blut im Urin sieht. Das ist auch<br />
bei einem <strong>Krebs</strong> oft ohne Schmerzen. Doch<br />
es gibt auch Patienten, bei denen äußert<br />
sich der Blasenkrebs <strong>mit</strong> Beschwerden beim<br />
Wasserlassen, sodass sie denken, sie haben<br />
eine Blasenentzündung. Umso wichtiger<br />
ist es, Symptome immer ärztlich abklären<br />
zu lassen. Wenn sich herausstellt, dass es<br />
harmlos ist, freuen wir uns alle.“<br />
Frühes Erkennen verbessert die Behandlungschancen<br />
Eine möglichst<br />
frühzeitige Diagnosestellung<br />
ist<br />
wichtig, weil sich<br />
dadurch die Behandlungschan-<br />
Eine möglichst<br />
frühzeitige<br />
Diagnosestellung<br />
ist wichtig, da sich<br />
dadurch die<br />
Behandlungschancen<br />
verbessern.<br />
cen verbessern.<br />
Im Frühstadium<br />
hilft eine Operation,<br />
zu einem<br />
späteren Zeitpunkt<br />
können den<br />
ganzen Organismus<br />
betreffende<br />
Therapien das<br />
<strong>Leben</strong> verlängern.<br />
Neben der schon lang etablierten systemischen<br />
Chemotherapie gibt es heute einen<br />
weiteren Behandlungsansatz, die systemische<br />
Immuntherapie. Immuntherapien unterstützen<br />
das körpereigene Immunsystem<br />
und aktivieren seine natürliche Fähigkeit,<br />
die <strong>Krebs</strong>zellen anzugreifen und zu zerstören.<br />
Entscheidend bleibt immer ein frühes<br />
Erkennen der Erkrankung. Denn: Je früher<br />
der Blasenkrebs erkannt, desto eher ist die<br />
Gefahr gebannt. Und deshalb kann man es<br />
nicht oft genug sagen: Rot heißt reden! Kontrollieren<br />
Sie Ihren Urin und sprechen Sie<br />
bei Veränderungen <strong>mit</strong> Ihrem Arzt..<br />
Checken<br />
Sie Ihren<br />
Urin!<br />
Alles im gelben<br />
Bereich?<br />
Nehmen Sie sich einen Moment Zeit<br />
und vergleichen Sie die Farbskala <strong>mit</strong><br />
Ihrer Urinfarbe. Stellen Sie fest, dass<br />
die Farbe Ihres Urins rötlich ist, sollten<br />
Sie einen Arzt aufsuchen und die Veränderung<br />
untersuchen lassen.<br />
Weiter so!<br />
Guter Wasserhaushalt,<br />
Sie trinken genug.<br />
Top!<br />
Sie sind gut hydriert.<br />
Mehr trinken!<br />
Sie nehmen zu wenig<br />
Flüssigkeit auf.<br />
Hinweis auf Blut.<br />
Gehen Sie zum Arzt!<br />
Könnte Blut sein.<br />
Gehen Sie zum Arzt!<br />
Altblutiger Urin.<br />
Gehen Sie zum Arzt!<br />
Mehr Informationen rund um<br />
Blasenkrebs gibt es hier:<br />
www.rotheisstreden.de<br />
Merck Healthcare Germany GmbH<br />
Waldstraße 3, 64331 Weiterstadt<br />
Telefon: +49 (0)6151-62850<br />
E-Mail: healthcare.germany@merckgroup.com
16<br />
Blastische plasmazytoide dendritische Zellneoplasie<br />
Neue Hoffnung für<br />
Patienten <strong>mit</strong> BPDCN?<br />
Prof. Dr. med. Marco Herling, geschäftsführender Oberarzt der Klinik und Poliklinik für<br />
Hämatologie, Zelltherapie, Hämostaseologie und Infektiologie am Universitätsklinikum<br />
Leipzig, war in seiner Zeit am MD Anderson Cancer Center in Houston, Texas, Ende der<br />
1990er-Jahre daran beteiligt, dass eine seltene <strong>Krebs</strong>erkrankung des Blutes, die BPDCN, als<br />
Neoplasie der dendritischen Zellen identifiziert wurde und einen eindeutigen Namen bekam.<br />
Ein wichtiger Faktor für eine schnelle Diagnose – und einen raschen Therapiebeginn.<br />
Herr Prof. Dr. Herling, wie viele Patienten<br />
<strong>mit</strong> BPDCN behandeln Sie im Uniklinikum<br />
Leipzig pro Jahr?<br />
Nicht mehr als fünf jährlich. Es ist der Seltenheit<br />
der Erkrankung geschuldet, dass wir selbst<br />
an einer so großen akademischen Institution<br />
wie der unseren nicht mehr Fälle sehen. Dabei<br />
werden uns einige sogar von anderen großen<br />
Einrichtungen überwiesen.<br />
Gibt es Häufungen in bestimmten Altersgruppen<br />
oder bei Geschlechtern?<br />
Es gibt einen kleinen Bias bezüglich des männlichen<br />
Geschlechts, das mediane Alter liegt<br />
bei 65 plus. Aber es treten auch pädiatrische<br />
BPDCN-Fälle auf, die in ihrer Biologie vermutlich<br />
etwas anders sind als in der adulten Form.<br />
Der jüngste erwachsene Patient, den ich selbst<br />
behandelt habe, war Mitte 40.<br />
Mit welchen Symptomen äußert sich eine<br />
BPDCN?<br />
Sehr verschiedenen. Im Vordergrund stehen<br />
meist eine oder mehrere Hautläsionen, die<br />
oft nicht symptomatisch sind. Das heißt, sie<br />
jucken nicht oder sind nicht <strong>mit</strong> anderen Symptomen<br />
verbunden. Vom Aussehen sind sie<br />
oft <strong>mit</strong> Hämatomen vergleichbar. Sie können<br />
einzeln oder gruppiert oder über den ganzen<br />
Körper verstreut auftreten, auch in unterschiedlichen<br />
Größen. Auch Abgeschlagenheit<br />
oder verminderte Leistungsfähigkeit können<br />
auftreten. Dies wird von den Patienten oft erst<br />
im Nachgang bemerkt, wenn sie bei Diagnosestellung<br />
zurückblicken. Etwa zwei Drittel der<br />
Patienten kommen über Hautärzte zu uns, andere<br />
werden über andere Hämatologen an uns<br />
überwiesen, weil es zusätzlich zu Hautveränderungen<br />
eine Blutbildauffälligkeit gibt.<br />
Mit welchen anderen Erkrankungen kann<br />
eine BPDCN leicht verwechselt werden?<br />
Die Hautveränderungen einer BPDCN können<br />
sehr unterschiedlich aussehen; in Kombination<br />
<strong>mit</strong> der Seltenheit ist es für Dermatologen<br />
oft nicht einfach, sofort den richtigen Verdacht<br />
Univ.-Prof. Dr. med.<br />
Marco Herling<br />
Geschäftsführender Oberarzt der<br />
Klinik und Poliklinik für Hämatologie,<br />
Zelltherapie, Hämostaseologie<br />
und Infektiologie am<br />
Universitätsklinikum Leipzig<br />
zu haben und neben kutanen Lymphomen,<br />
anderen Malignomen oder nicht tumorösen<br />
Dermatosen an eine BPDCN zu denken. Nach<br />
einer Biopsie ist die Diagnose allerdings leicht<br />
gestellt, da es Markerpanel gibt, die eine eindeutige<br />
Zuordnung zulassen. Kommen Patienten<br />
über Hämatologen, liegt meist eine<br />
Zytopenie vor, hier handelt es sich um eine<br />
Verminderung bestimmter Zellen. Bei allen<br />
Fällen – ob zuvor in der Hautbiopsie gesichert<br />
oder nicht – wird <strong>mit</strong> einer Knochenmarkspunktion<br />
dann zusammen <strong>mit</strong> Pathologen<br />
und der hämatologischen Diagnostik der endgültige<br />
Befund erstellt. Hier gilt es vor allem,<br />
eine BPDCN von anderen akuten myeloischen<br />
oder lymphatischen Neoplasien, die zum Teil<br />
auch koexistieren können, abzugrenzen.<br />
Wie lange dauert es, bis Patienten <strong>mit</strong> einer<br />
BPDCN diagnostiziert werden?<br />
Früher sind im Schnitt vier bis sechs Monate<br />
zwischen den ersten Anzeichen und der definitiven<br />
Diagnose vergangen. Heute ist diese<br />
Zeit wesentlich kürzer. Bei der Seltenheit der<br />
Erkrankung ist das Wichtigste und die große<br />
Herausforderung, überhaupt daran zu denken.<br />
Interdisziplinäre Plattformen wie Tumorboards<br />
sind hier wichtig.<br />
Was hat dazu geführt, dass die Diagnose<br />
heute schneller gestellt werden kann?<br />
Ein Faktor ist, dass die Erkrankung heute einen<br />
eindeutigen Namen hat. Seit 2008 gibt es eine<br />
einheitliche Nomenklatur. Das war wesentlich<br />
für das gesteigerte Bewusstsein bei Diagnostikern<br />
und Behandlern. Spezifische Marker auf<br />
und in den Tumorzellen sind nun definiert zur<br />
korrekten Diagnose der BPDCN. Durch die<br />
fortlaufend uniforme Nomenklatur lassen sich<br />
klinische und biologische Daten leichter dokumentieren<br />
und zum wissenschaftlichen Erkenntnisgewinn<br />
so besser teilen und abrufen.<br />
Für die Patienten bedeutet es, dass die Erkrankung<br />
schneller diagnostiziert und behandelt<br />
werden kann. Die Prognose der BPDCN ist unbehandelt<br />
oder im Rückfall nach Therapie sehr<br />
schlecht. Die mediane Gesamtüberlebenszeit<br />
nach Diagnosestellung liegt bei zwei Jahren.<br />
Welche Therapien gibt es?<br />
Als Arzt muss man sich zunächst die Frage<br />
stellen, für welche Therapie der Patient geeignet<br />
ist, in Bezug auf Alter, Nebendiagnosen<br />
und Therapieverträglichkeit. Bei etwa einem<br />
Fünftel der Patienten kommt eine systemische<br />
Therapie nicht infrage. Hier steht die palliative<br />
Symptomlinderung im Vordergrund. Die verbleibenden<br />
80 Prozent unterteilt man in junge,<br />
fitte Patienten, die sich einer intensiven Polychemotherapie<br />
unterziehen können. Für die<br />
andere Gruppe, das Gros der Patienten, würde<br />
man ein zielgerichtetes Fusionsprotein vorziehen,<br />
da es <strong>mit</strong> ähnlicher Effektivität schonender<br />
als die Polychemotherapie eine Remission<br />
erzielt. Ziel ist es, einen substanziellen Anteil<br />
von Patienten aus beiden Gruppen zur potenziell<br />
kurativen allogenen Stammzellentransplantation<br />
zu bringen. Es besteht hoher Bedarf<br />
für weitere neue Strategien..<br />
Redaktion Miriam Rauh
Mehr auf www.leben<strong>mit</strong>.de | 17<br />
Anzeige<br />
ERKENNEN SIE ES?<br />
Blastische plasmazytoide dendritische Zellneoplasie.<br />
BPDCN – Ein seltenes, aggressives hämatologisches Malignom,<br />
das häufig fehldiagnostiziert wird. 1<br />
Bei suspekten kutanen Läsionen berücksichtigen<br />
Sie frühzeitig CD123 in der Diagnostik. 1<br />
Erfahren Sie mehr unter bpdcn.de<br />
1. Sullivan JM and Rizzieri DA. Hematology Am Soc Hematol Educ Prog 2016;2016(1):16–23.<br />
DE-NON-02344 März 2023
18<br />
Experteneinblick<br />
Generationswechsel bei <strong>Krebs</strong>therapien –<br />
Was kommt nach der Chemo?<br />
Neue Therapieansätze geben vielen <strong>Krebs</strong>patienten Grund zur Hoffnung. Wir sprachen<br />
<strong>mit</strong> Prof. Dr. Uwe Platzbecker, Direktor der Klinik und Poliklinik für Hämatologie, Zelltherapie,<br />
Hämostaseologie und Infektiologie am Universitätsklinikum Leipzig AöR, über<br />
vielversprechende Innovationen.<br />
Redaktion Miriam Rauh<br />
Herr Prof. Dr. Platzbecker, welche vielversprechenden<br />
neuen Therapieansätze gibt<br />
es aktuell?<br />
Eine Revolution im Bereich der Therapie<br />
ist derzeit die Immuntherapie, im Bereich<br />
der Hämatologie vor allem die sogenannte<br />
CAR-T-Zell-Therapie, die derzeit vor allem<br />
für Lymphdrüsenkrebs und Myelomerkrankungen<br />
eine große Rolle spielt. Außerdem<br />
verstehen wir die Biologie der Erkrankung<br />
immer besser, können Tumoren besser genetisch<br />
charakterisieren und gezielt Einfluss<br />
auf die Pathophysiologie nehmen. Die genetische<br />
Information erlaubt uns, die Prognose<br />
besser einzuschätzen und entsprechende<br />
Therapien einzuleiten.<br />
Was genau zeichnet die CAR-T-Zell-Therapie<br />
aus?<br />
Bei der CAR-T werden Immunzellen der<br />
Patienten über eine Apherese, eine Blutwäsche,<br />
abgeschöpft und im Anschluss genetisch<br />
so manipuliert, dass sie die <strong>Krebs</strong>zellen<br />
wieder erkennen. Dort docken sie spezifisch<br />
an und eliminieren die <strong>Krebs</strong>zellen – sie zerstören<br />
den Tumor. Das Verfahren ist sehr gut<br />
verträglich, in der Regel besser als eine allogene<br />
Stammzellentransplantation oder eine<br />
hoch dosierte Chemotherapie. Es ist zudem<br />
erstaunlich wirksam, auch anhaltend, selbst<br />
Heilung ist bei vielen Patienten möglich bzw.<br />
kann die Zeit bis zum nächsten Rezidiv, bis<br />
die Erkrankung wiederkommt, deutlich hinausgezögert<br />
werden. Das ist eine Revolution.<br />
Eine Alternative ist die Antikörperimmuntherapie:<br />
Hier erhalten die Patienten zum<br />
Beispiel eine Infusion <strong>mit</strong> einem spezifischen<br />
Antikörper, der die Immunzellen und<br />
den Tumor im Körper zusammenführt. Diese<br />
Therapien sind <strong>mit</strong>tlerweile zugelassen<br />
für akute Leukämien und Lymphome und<br />
auch dort sehr wirksam und verträglich.<br />
Was bedeutet das für <strong>Krebs</strong>patienten?<br />
Es ist bahnbrechend, eine unglaubliche Entwicklung.<br />
Mittelfristig werden wir von der<br />
klassischen Chemotherapie wegkommen.<br />
Wir können vielleicht nicht alle <strong>Krebs</strong>patienten<br />
heilen, aber wir werden in der Lage sein,<br />
die Erkrankung zu chronifizieren und ihr<br />
Fortschreiten zumindest hinauszuzögern.<br />
Prof. Dr. Uwe Platzbecker<br />
Direktor der Klinik und Poliklinik<br />
für Hämatologie, Zelltherapie,<br />
Hämostaseologie und Infektiologie<br />
am Universitätsklinikum<br />
Leipzig AöR<br />
Die Therapien wirken nicht nur, sie haben<br />
auch viel weniger Nebenwirkungen.<br />
Sie forschen auch dazu, wie künstliche Intelligenz,<br />
KI, zum Beispiel Diagnostik unterstützen<br />
kann. Wie funktioniert das?<br />
Im Bereich der Diagnostik hilft uns KI bei<br />
der Auswertung von genetischen Tests, die<br />
wir bei vielen <strong>Krebs</strong>- und Leukämieformen<br />
durchführen. Hier wird eine KI-basierte,<br />
standardisierte Analyse der verschiedenen<br />
genetischen Varianten vorgenommen. Diese<br />
Vorselektion spart sehr viel Zeit und erlaubt<br />
uns, den Fokus auf die spezifische Auswertung,<br />
diagnostische Verfahren und das Gespräch<br />
<strong>mit</strong> unseren Patienten zu richten. zu<br />
richten. Hier sind wir schon relativ weit.<br />
Hilfreich ist KI für uns auch in einem anderen<br />
Bereich. Die Leitlinien für bestimmte Erkrankungen<br />
ändern sich regelmäßig, weil es<br />
so viele Innovationen gibt. Es ist nicht leicht,<br />
hier den Überblick über Therapien und<br />
Richtlinien zu behalten. Im Rahmen eines<br />
unserer Forschungsprojekte entwickeln wir<br />
KI-basierte Therapieunterstützungssysteme.<br />
Simpel ausgedrückt: Sie füttern die KI <strong>mit</strong><br />
Informationen und erhalten einen Therapievorschlag.<br />
Natürlich darf man das aktuell<br />
noch nicht einfach umsetzen – aber es hilft<br />
bei Vorselektion und Planung. Ein bisschen<br />
wie autonomes Fahren im Krankenhaus.<br />
Das ist sicher enorm hilfreich, für Patienten<br />
wie für Behandelnde, insbesondere <strong>mit</strong><br />
Blick auf die Unmengen an Informationen.<br />
Ja, richtig. Auch die Politik stellt hier aktuell<br />
wichtige Weichen, zum Beispiel <strong>mit</strong> dem<br />
Datenschutzgesetz. Um diesen Wandel zu<br />
begleiten, braucht es verschiedene Säulen –<br />
Bürokratie muss abgebaut, Prozesse müssen<br />
beschleunigt und Daten müssen breit genutzt<br />
werden können.<br />
Mit welchen Disziplinen arbeiten Sie hier<br />
zusammen?<br />
Wir kooperieren <strong>mit</strong> unseren Kollegen vom<br />
ICCAS – dem Innovation Center Computer Assisted<br />
Surgery von der Medizinischen Fakultät<br />
in Leipzig, das auch Robotiksysteme für die<br />
Chirurgie konstruiert. Wir entwickeln <strong>mit</strong> KI-<br />
Spezialisten beispielsweise Therapieunterstützungssysteme.<br />
Bald soll die Digitalisierung der<br />
Krankenhäuser abgeschlossen sein, dann gibt es<br />
keine Akten mehr. Auch eine elektronische Patientenakte<br />
ist geplant. Wir sehen schon jetzt <strong>mit</strong><br />
dem digitalen Rezept konkrete Schritte in diese<br />
Richtung. Das ist ein Fortschritt, es wird unsere<br />
Arbeit vereinfachen und Bürokratie reduzieren.<br />
Wenn wir den Blick in die Zukunft wagen<br />
– was erwartet uns in den kommenden Monaten<br />
in Bezug auf Therapiemöglichkeiten?<br />
Die revolutionären neuen Therapien rücken<br />
immer weiter vor in die Erstlinientherapie. Die<br />
Ablösung jahrzehntealter Standards wie der<br />
Chemotherapie durch neue Immuntherapien<br />
ist im Gange, belegt durch die Ergebnisse vieler<br />
Studien, die aktuell erscheinen, es rücken<br />
ständig neue nach.<br />
Wir erwarten zudem die Digitalisierung des<br />
Krankenhauses, auch den gläsernen Patienten.<br />
Mit der digitalen Patientenakte wird Information<br />
für Behandelnde schneller verfügbar<br />
sein, auch wird es weniger Doppeluntersuchungen<br />
geben. Das ist eine allgemeine Entwicklung,<br />
nicht nur im Bereich der Hämatologie.<br />
Sie ist für alle Bereiche sehr wichtig und<br />
auch für uns bedeutet dies einen Fortschritt<br />
für die Diagnostik. Wir erhalten einen immer<br />
umfassenderen Überblick, können die Ausbreitung<br />
von Tumoren besser stoppen und<br />
therapeutische Angriffspunkte finden, sodass<br />
wir mehr Patienten heilen können..
19<br />
Mehr auf www.leben<strong>mit</strong>.de | 19<br />
Protonenstrahlanlage zur Bestrahlung von Tumoren in Kombination <strong>mit</strong> Echtzeitbildgebung über MRT (links),<br />
Prof. Dr. Aswin Hoffmann, Direktor der Radiologie am Uniklinikum Dresden und Leiter der Forschungsgruppe<br />
„Experimentelle MR-integrierte Protonentherapie“ am Helmholtz-Zentrum Dresden-Rossendorf,<br />
am neu entwickelten MRT-Prototyp, Fotos: UKD/Kirsten Lassig<br />
Sebastian Gemkow<br />
Sächsischer Staatsminister<br />
für Wissenschaft<br />
ie <strong>Krebs</strong>forschung und speziell<br />
die <strong>Krebs</strong>therapieforschung<br />
hat in Sachsen viele<br />
D<br />
Facetten. Neben der ständigen<br />
Weiterentwicklung<br />
und teils auf den einzelnen<br />
Patienten abgestimmten medikamentösen<br />
Behandlung sowie neuen innovativen Operationsmethoden<br />
wird in Sachsen auch intensiv<br />
an der Strahlentherapie geforscht. Jetzt wurde<br />
hier ein weiterer Meilenstein erreicht.<br />
Die Bestrahlung von Tumoren <strong>mit</strong> Protonen<br />
hat großes Potenzial. Der gezielte, hochpräzise<br />
Beschuss von <strong>Krebs</strong>zellen ist in der richtigen<br />
Dosierung hocheffektiv und kann nicht nur<br />
das Wachstum von Tumoren stoppen, sondern<br />
auch das Absterben des <strong>Krebs</strong>gewebes<br />
bewirken.<br />
Mediziner am Dresdner OncoRay (Nationales<br />
Nächster Meilenstein<br />
in der Strahlentherapie<br />
Weltweit erster wissenschaftlicher Prototyp für bildgeführte hochpräzise<br />
Bestrahlung an der Hochschulmedizin Dresden eingeweiht Gastbeitrag von Sebastian Gemkow<br />
Zentrum für Strahlenforschung in der Onkologie)<br />
forschen und therapieren auf diesem Gebiet<br />
bereits seit Jahren sehr erfolgreich. Diese<br />
Technologie wurde jetzt entscheidend weiterentwickelt<br />
und soll künftig auch Patienten zugutekommen,<br />
die an Tumoren leiden, die sich<br />
in hochsensiblen und sich permanent bewegenden<br />
Bereichen des menschlichen Körpers<br />
befinden, etwa in Bauch und Becken.<br />
Seit Anfang des Jahres kommt zu Forschungszwecken<br />
in Dresden ein neues Großgerät zum<br />
Einsatz. Der Prototyp ist weltweit der einzige<br />
seiner Art und kombiniert Magnetresonanztomographie<br />
(MRT) <strong>mit</strong>tels Hochkontrast-<br />
Live-Bildgebung und Protonenstrahler <strong>mit</strong>einander.<br />
Da<strong>mit</strong> soll es künftig möglich sein, die<br />
betroffenen Patienten während der Protonenbestrahlung<br />
eines sich bewegenden Tumors<br />
<strong>mit</strong> MRT-Bildern in Echtzeit zu überwachen.<br />
Die Komponenten sollen es künftig ermöglichen,<br />
dass Dosierung und Eindringtiefe der<br />
Protonenstrahlen permanent an die Form und<br />
Lage des Tumors angepasst werden können.<br />
So wird sichergestellt, dass die Treffgenauigkeit<br />
für das <strong>Krebs</strong>gewebe verbessert und das<br />
umliegende gesunde Gewebe noch besser geschont<br />
wird.<br />
An der Entwicklung des wissenschaftlichen<br />
Prototyps war ein internationales Team aus<br />
Medizinern der Hochschulmedizin Dresden,<br />
Ingenieuren, Physikern und Grundlagenforschern<br />
des Helmholtz-Zentrums Dresden-<br />
Rossendorf (HZDR) sowie internationale Industriefirmen<br />
beteiligt.<br />
Der Freistaat Sachsen investiert beständig in<br />
Forschung und Entwicklung solcher Technologien.<br />
In der Hochschulmedizin sind wir in der<br />
Lage, die Forschungsergebnisse fast un<strong>mit</strong>telbar<br />
Patienten zugutekommen zu lassen..<br />
Die Zukunft passiert nicht<br />
einfach, hier wird sie gestaltet!<br />
Anzeige<br />
Anzeige<br />
Das Wissenschaftsland Sachsen besitzt eine<br />
enorme Vielfalt, Attraktivität und Exzellenz<br />
und belegt in vielen Bereichen Spitzenpositionen.<br />
Alle Infos auf: SPIN2030.com<br />
• Robotik & Mensch-Maschine-Interaktion<br />
• Biotechnologie & Genetik<br />
• Pharmazie & <strong>Krebs</strong>forschung<br />
• Energie & Wasserstoff<br />
• Künstliche Intelligenz & Quantencomputing<br />
• Mikroelektronik<br />
• Materialforschung & Leichtbau<br />
Jetzt das Wissenschaftsland Sachsen<br />
entdecken!
20<br />
Multiples Myelom<br />
Den <strong>Krebs</strong> unter<br />
Kontrolle bringen<br />
Ein Multiples Myelom ist eine bösartige Tumorerkrankung aus der<br />
Gruppe der Non-Hodgkin-Lymphome. Mit sechs bis acht Neuerkrankungen<br />
auf 100.000 Einwohner pro Jahr. gehört das Multiple<br />
Myelom zu den häufigsten <strong>Krebs</strong>erkrankungen des Blutes.<br />
PD Dr. Annamaria Brioli<br />
Onkologin, Hämatologin<br />
und Leiterin des Schwerpunkts<br />
Multiples Myelom und Plasmazellendyskrasien<br />
an der Universitätsmedizin<br />
Greifswald<br />
Frau Dr. Brioli, <strong>mit</strong> welchen Symptomen<br />
äußert sich ein Multiples Myelom?<br />
Ein Multiples Myelom ist ein Blutkrebs, der<br />
im Knochenmark entsteht. Die Plasmazellen<br />
vermehren sich zu stark und produzieren Antikörper.<br />
Das Immunsystem ist geschwächt,<br />
es können Knochenläsionen entstehen, da<br />
durch die Erkrankung knochenschädigende<br />
Substanzen produziert werden. Auch eine<br />
Niereninsuffizienz kann die Folge sein.<br />
Ist die Erkrankung heilbar?<br />
Bislang nicht. Aber sie ist sehr gut behandelbar,<br />
denn wir haben heute sehr effektive Medikamente<br />
zur Verfügung. Bei einem Multiplen<br />
Myelom lassen sich aktive und ruhige<br />
Phasen beobachten. Lange Remissionen sind<br />
möglich; häufig halten sie sechs oder sieben<br />
Jahre an.<br />
Gibt es bestimmte Risikogruppen für ein Multiples<br />
Myelom?<br />
Es gibt keine besondere Risikogruppe. Wir<br />
sehen bei etwa zehn Prozent der Bevölkerung<br />
über 60 Jahre, bestimmte Eiweiße im Blut, die<br />
eine Vorstufe des Multiplen Myeloms sind.<br />
Allerdings erkrankt nur etwa ein Prozent pro<br />
Jahr. Mit einem Anteil von zwei Prozent pro Jahr<br />
gehört das Multiple Myelom zu den seltenen<br />
<strong>Krebs</strong>erkrankungen – auch wenn es eine der<br />
häufigsten <strong>Krebs</strong>erkrankungen des Blutes ist.<br />
Welche Therapiemöglichkeiten gibt es?<br />
Sehr viele, in den letzten Jahren hat die Medizin<br />
hier große Fortschritte gemacht. Die am meisten<br />
benutzten Medikamente sind Proteasominhibitoren<br />
und Immunomodulatoren. Diese Substanzen<br />
werden in der Regel <strong>mit</strong> einer Immuntherapie<br />
kombiniert, <strong>mit</strong> oder ohne zusätzliche<br />
autologe Stammzellentransplantation. Das<br />
Therapieprogramm dauert insgesamt mehrere<br />
Monate. Im Anschluss erhalten Patienten meist<br />
eine Erhaltungstherapie – eine Kapsel oder Tablette,<br />
welche die Patienten selbst zu Hause<br />
nehmen können. Das lässt sich gut in den Alltag<br />
integrieren. Gegebenenfalls kann diese Kapsel<br />
<strong>mit</strong> einer monatlichen subkutanen Injektion<br />
kombiniert werden. Nach einer erfolgreichen<br />
Therapie hat rund die Hälfte der Patienten viele<br />
Jahre Ruhe, bevor eine neue intensive Behandlungsphase<br />
erfolgt. Aktuell wird untersucht, ob<br />
sehr neue Therapien, die das Immunsystem<br />
der Patienten aktivieren (bispezifische Antikörper,<br />
CART-Zellen) die Situation der Patienten<br />
verbessern – und vielleicht sogar das Multiple<br />
Myelom in Zukunft heilen können..<br />
Redaktion Miriam Rauh<br />
Einfach leben.<br />
Ende 2019 erhält der Fotograf Altan Eskin eine erschütternde Diagnose:<br />
Multiples Myelom. Doch er hält nicht inne, kommt sofort ins<br />
Handeln: Eskin macht die vorgeschlagenen Therapien, ist sportlich<br />
aktiv, lebt sein <strong>Leben</strong>. Er sagt, sogar sehr gut, bewusster als früher.<br />
Das Multiple Myelom ist Altan Eskins Begleiter, er selbst hat sein<br />
<strong>Leben</strong> in der Hand. Nicht umgekehrt.<br />
Redaktion Miriam Rauh<br />
Herr Eskin, wie erfuhren Sie, dass Sie ein Multiples<br />
Myelom haben?<br />
Im Dezember 2019 spürte ich, dass etwas nicht<br />
in Ordnung ist. Eine gebrochene Rippe wollte<br />
einfach nicht heilen, ich war müde, abgeschlagen<br />
und auch kurzatmig. Meine tägliche Fahrradstrecke<br />
zur Arbeit konnte ich nicht mehr am<br />
Stück fahren, ich brauchte Pausen.<br />
Hat es lange gedauert bis zur Diagnose?<br />
Das ging relativ schnell. Ich ging <strong>mit</strong> den Beschwerden<br />
zu meinem Hausarzt, und als ich<br />
ihm von der Rippe erzählte, wurde er hellhörig.<br />
Besonders, weil die Ursache des Bruchs unklar<br />
war. Er ließ ein Blutbild machen. Ich sehe<br />
bis heute seinen Blick, als er die Werte <strong>mit</strong> mir<br />
besprach. Direkt im Anschluss machte er einen<br />
Termin für mich in der Onkologie und wenige<br />
Tage später wusste ich, dass der Befund bösartig<br />
ist. Für die genaue Diagnose wurde eine Knochenmarkspunktion<br />
gemacht.<br />
Wie ging es weiter?<br />
Mir wurde erklärt, dass meine <strong>Krebs</strong>erkrankung<br />
nicht heilbar ist, aber dass es gute Therapiemöglichkeiten<br />
gibt. Ich bekam eine Induktionstherapie,<br />
<strong>mit</strong> der man das Fortschreiten<br />
der Krankheit zu stoppen versucht, im nächsten<br />
Schritt erfolgte eine Stammzellentherapie. Mein<br />
Arzt empfahl mir auch, an einer Studie aus Heidelberg<br />
teilzunehmen. Ich holte mir dort eine<br />
Zweitmeinung ein und überließ mich dann der<br />
modernen Medizin.<br />
Sie sind jetzt unter Therapie?<br />
Ja, nach Induktionstherapie und Stammzellentransplantation<br />
bekam ich eine Erhaltungstherapie.<br />
Hier musste ich täglich ein Medikament<br />
nehmen, eine Tablette pro Tag. Nachdem wieder<br />
eine Aktivität der Erkrankung feststellbar<br />
war, habe ich eine Immuntherapie angefangen,<br />
die sehr schnell Wirkung gezeigt hat. Jeden Monat<br />
bekomme ich insgesamt drei Infusionen,<br />
die sehr gut verträglich sind.<br />
Wie ist Ihr Alltag <strong>mit</strong> der Erkrankung?<br />
Ich arbeite, einen Vor<strong>mit</strong>tag pro Woche halte<br />
ich für die Therapie frei. Ansonsten habe ich beschlossen,<br />
in Bezug auf die Erkrankung meinen<br />
Ärzten zu vertrauen – und einfach zu leben. Es<br />
mag paradox klingen, aber die letzten vier Jahre<br />
waren vielleicht die besten meines <strong>Leben</strong>s..<br />
Anmerkung der Redaktion: Kurze Zeit nachdem<br />
dieses Interview geführt wurde, erhielt<br />
Altan Eskin eine wunderbare Nachricht: Er<br />
befindet sich aktuell in Vollremission.
Anzeige<br />
COMMITED TO MAKING<br />
A DIFFERENCE TO THE<br />
FUTURE OF ONCOLOGY<br />
In der Hämatologie und bei Soliden Tumoren leisten wir als<br />
zuverlässiger Partner einen wichtigen Beitrag in der Onkologie.<br />
DE-NON-02423
22<br />
<strong>Leben</strong> nach dem <strong>Krebs</strong><br />
“<br />
Es geht nur Stückchen für<br />
Stückchen. Ich bin kein sehr<br />
geduldiger Typ, aber ich arbeite<br />
an mir und übe mich in Geduld.<br />
„Mein Zweites Erstes Mal“<br />
In Deutschland gibt es etwa 4,65 Millionen Menschen, die <strong>mit</strong> einer <strong>Krebs</strong>diagnose<br />
leben. Auch nach dem Ende der eigentlichen Therapie legen <strong>Krebs</strong>überlebende die<br />
Rolle des Patienten nicht ab: Nachsorge, Reha, die Möglichkeit eines Rezidivs und<br />
die Angst, dass noch lange nach Therapieabschluss Spätfolgen auftreten können,<br />
sind stete Begleiter. Über drei Viertel der Befragten sagen in einer aktuellen Umfrage¹,<br />
die sich <strong>mit</strong> dem <strong>Leben</strong> nach einer <strong>Krebs</strong>therapie befasst, dass sie das <strong>Leben</strong><br />
mehr zu schätzen wissen. Monika ist eine von ihnen. Die Mutter zweier Söhne<br />
gilt zum zweiten Mal als krebsfrei. Im Interview spricht die 48-Jährige darüber, wie<br />
sie den Weg zurück ins <strong>Leben</strong> gefunden hat, was dabei ihre größte Herausforderung<br />
war und worauf sie sich am meisten gefreut hat.<br />
Dieses Interview wurde in Zusammenarbeit <strong>mit</strong><br />
umgesetzt<br />
Liebe Monika, bitte erzählen Sie uns von<br />
Ihrer <strong>Krebs</strong>erkrankung.<br />
Bis zu meinem 39. <strong>Leben</strong>sjahr habe ich ein<br />
unbeschwertes und glückliches <strong>Leben</strong> geführt.<br />
Da der Opa meines Verlobten Sascha<br />
früh an Darmkrebs verstorben ist, habe<br />
ich mich entschieden, <strong>mit</strong> ihm zusammen<br />
zur Vorsorge zu gehen. Das Ergebnis: Sein<br />
Befund war negativ und meiner war leider<br />
positiv. Sehr schnell nach der Schockdiagnose<br />
wurde ich erfolgreich am Darm operiert.<br />
Fast vier Jahre später kam der <strong>Krebs</strong><br />
an der gleichen Stelle zurück. Diesmal nur<br />
viel schlimmer: Er hatte gestreut und am<br />
Eierstock sowie im Bauchfell wurden Metastasen<br />
gefunden. Beide Male hat mir die<br />
Diagnose den Boden unter den Füßen weggerissen.<br />
Die Frage nach dem „Warum?“<br />
und später „Warum schon wieder?“ ließ<br />
mich lange nicht los.<br />
Wie ist Ihre Familie <strong>mit</strong> der Diagnose umgegangen?<br />
Sowohl meine Jungs als auch mein Verlobter<br />
waren immer für mich da. Ohne sie<br />
hätte ich oft nicht die Kraft gehabt weiterzukämpfen.<br />
Für meine Jungs war ich immer<br />
eine Superheldin, die den <strong>Krebs</strong> besiegen<br />
wird. Und das habe ich dann auch<br />
geschafft.<br />
Wie haben Sie sich zurück ins <strong>Leben</strong>, in<br />
die Normalität gekämpft?<br />
Das war nicht immer leicht. Ich bin übersät<br />
<strong>mit</strong> Narben auf meinem Körper. Das Bauchfell<br />
wurde ja entfernt. Es wurde im Grunde<br />
alles entfernt, was nicht unbedingt lebensnotwendig<br />
ist. Das muss erst mal verheilen.<br />
Ich bin kein sehr geduldiger Mensch und<br />
wollte mich sofort wieder ins <strong>Leben</strong> stürzen.<br />
Mein Körper hat mir jedoch sehr deutlich<br />
meine Grenzen aufgezeigt. Ich wollte so gern
23<br />
Mehr auf www.leben<strong>mit</strong>.de | 23<br />
wieder Sport machen und aktiv am <strong>Leben</strong><br />
teilnehmen. Einfach alles das machen, was<br />
ich während der Therapie versäumt hatte.<br />
Wie das Tanzen?<br />
Ja! Tanzen war für mich so wichtig. Ich<br />
habe schon früh da<strong>mit</strong> angefangen. Nicht<br />
professionell, aber meine Freunde und<br />
ich haben teilweise am Wochenende die<br />
Schlüssel für die Tanzschule abgeholt und<br />
haben Stunden da<strong>mit</strong> verbracht, neue<br />
Figuren auszuprobieren und neue Choreografien<br />
einzustudieren. Das war mein<br />
<strong>Leben</strong>. Sascha und ich wollten unbedingt<br />
gemeinsam einen Tanzkurs machen. Doch<br />
dann kam uns der <strong>Krebs</strong> dazwischen. Während<br />
der Therapie habe ich immer zu ihm<br />
gesagt, dass das Erste, was wir danach machen,<br />
zusammen tanzen gehen ist. Dieser<br />
Gedanke hat mich immer aufgeheitert und<br />
mir Kraft gegeben. Ich wollte unbedingt<br />
<strong>mit</strong> ihm mein zweites erstes Mal erleben.<br />
Wie war Ihr zweites erstes Mal?<br />
Es war unglaublich aufregend. Schon davor<br />
habe ich mir den Kopf zerbrochen, ob<br />
mein Körper bereit dafür ist und ob ich es<br />
ohne Schmerzen genießen kann. Als wir<br />
dann gemeinsam die Tanzschule betreten<br />
haben, war das ein sehr ergreifendes<br />
Gefühl. Wie eine Zeitreise in die Vergangenheit.<br />
Ich war so nervös wie früher als<br />
Teenager. Damals kannten sich in dem Anfängerkurs<br />
alle und konnten vieles schon.<br />
Das war jetzt schon ähnlich. Ich komme<br />
rein und es war wie beim ersten Mal, dieses<br />
Herzklopfen und der Gedanke, ob ich<br />
das schaffe und ob mein Körper <strong>mit</strong>halten<br />
kann. Doch dann fühlst du die Musik und<br />
deine Füße machen einfach. Du zählst irgendwann<br />
nicht mal mehr, sondern weißt,<br />
die Bewegung ist so und dann passiert es<br />
einfach: Die Musik und deine Füße tragen<br />
dich und es fühlt sich an, als ob es nie<br />
anders gewesen wäre. Ich habe in diesem<br />
Moment alles um mich herum vergessen,<br />
war total in meinem Element und habe<br />
festgestellt: Ich kann es noch. Und das war<br />
ein wunderschönes Gefühl, das ich niemals<br />
vergessen werde. So eine <strong>Leben</strong>slust<br />
habe ich lange nicht gespürt und ich war<br />
unglaublich dankbar für diesen Moment.<br />
Das hat mir den Mut gegeben, mich in allen<br />
<strong>Leben</strong>sbereichen peu à peu immer weiter<br />
zurückzukämpfen.<br />
Nach dem <strong>Krebs</strong> ist vor dem <strong>Leben</strong><br />
Eine repräsentative Umfrage (1) , im Auftrag<br />
der MSD Sharp & Dohme GmbH, zeigte,<br />
wie <strong>Krebs</strong>patienten <strong>mit</strong> den Herausforderungen<br />
in der Zeit nach der Therapie und<br />
Anschlussbehandlung umgehen.<br />
Eine <strong>Krebs</strong>erkrankung ist ein Einschnitt in<br />
das <strong>Leben</strong> der Betroffenen. Sie tangiert<br />
fast jeden Bereich – auch die Zeit nach<br />
Abschluss der Behandlung. Für einen<br />
Großteil der <strong>Krebs</strong>patienten hat das <strong>Leben</strong><br />
nach der Therapie einen größeren Wert<br />
erhalten: 79 Prozent der Befragten wissen<br />
dieses nach der Erkrankung mehr zu<br />
schätzen. 67 Prozent legen mehr Wert auf<br />
ein ausgeglicheneres Verhältnis zwischen<br />
Berufs- und Privatleben. Empfindungen<br />
wie Erleichterung, Zuversicht, Optimismus<br />
und Zufriedenheit überwiegen. Zum<br />
positiven Gefühl trägt auch die Vorfreude<br />
auf Besonderheiten bei: zum Beispiel die<br />
Freude auf den ersten Urlaub oder darauf,<br />
endlich wieder dem Hobby nachgehen zu<br />
können. Die Remission ist jedoch nicht<br />
ausschließlich von positiven Gefühlen geprägt<br />
– Erschöpfung und Ängste bleiben,<br />
die Psyche erholt sich nur langsam. Weitere<br />
Informationen zur Umfrage: www.<br />
msd-gesundheit.de/mein-zweiteserstes-mal/umfrage-nach-dem-krebsist-vor-dem-leben<br />
38 Prozent der Teilnehmenden begreifen<br />
die <strong>Krebs</strong>erkrankung als eine zweite<br />
Chance: Nachdem der Pausenknopf<br />
gedrückt war, kann jetzt endlich das <strong>Leben</strong><br />
wieder losgehen. Doch wer so lange<br />
<strong>mit</strong> Angst leben musste, seinen Körper<br />
vielleicht als Gegner erlebt hat, wer sich<br />
selbst neu definieren musste, macht danach<br />
oft nicht einfach weiter, sondern<br />
fängt neu an. Wie beim ersten Mal. Da<strong>mit</strong><br />
jedes zweite erste Mal ein so wunderbarer<br />
Moment werden kann wie in Ihrer<br />
Erinnerung, finden Sie auf www.msdgesundheit.de/mein-zweites-erstes-mal<br />
Informationen und Erfahrungsberichte<br />
rund um die Bereiche Beruf, Kinderwunsch,<br />
Elternrolle und Familie, Partnerschaft<br />
und Sexualität, Sport, Hobbys<br />
und Sozialleben sowie Reisen nach einer<br />
<strong>Krebs</strong>behandlung.<br />
“<br />
Ich habe ein Tattoo – Freedom is<br />
a state of mind. Es geht immer<br />
weiter. Man muss die Tür nur finden<br />
und dann durchgehen.<br />
Was sind Ihre größten Ziele und Wünsche<br />
in den nächsten Monaten?<br />
Ich möchte gerne wieder voll im <strong>Leben</strong><br />
stehen. Mir ist bewusst, dass mein <strong>Leben</strong><br />
nie wieder so sein wird wie vor dem <strong>Krebs</strong>,<br />
dennoch ist es sehr lebenswert und in einigen<br />
Bereichen vielleicht noch besser<br />
als vorher. Ich bin achtsamer <strong>mit</strong> mir und<br />
schiebe alles, was mir wichtig ist, nicht<br />
mehr auf, sondern lebe im Hier und Jetzt.<br />
Mein größter Wunsch ist es natürlich, gesund<br />
zu bleiben und das <strong>Leben</strong> in vollen<br />
Zügen genießen zu dürfen. .