zeitwissen_2020_05_full
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OPTIMIST<br />
Eine Zukunft für zwei Räder<br />
Sind E-Scooter unfallträchtig? Nicht nachhaltig? Stehen im Weg rum? Nachdem<br />
alle jetzt mal abgelästert haben, kann der Ausbau der Mikromobilität beginnen<br />
Text Vivien Valentiner<br />
Weiterlesen<br />
Der Fachartikel<br />
»Why Cities Need<br />
to Take Road<br />
Space from Cars«<br />
von Stefan Gössling:<br />
bit.ly/goessling<br />
Die Studie »Safe<br />
Micromobility« des<br />
Weltverkehrsforums<br />
der OECD:<br />
bit.ly/mikromobil<br />
Florence Norman war nicht nur politisch<br />
ihrer Zeit voraus. Im Jahr 1916 fuhr die<br />
britische Frauenrechtlerin mit wehenden<br />
Kleidern auf einem Autoped zur Arbeit,<br />
einem motorisierten Stehroller, der stark an<br />
heutige E-Scooter erinnert. Als diese ersten<br />
Stehroller Anfang des 20. Jahrhunderts aufkamen, war<br />
die öffentliche Meinung gespalten. Hersteller warben,<br />
man könne mit dem neuen Transportmittel über den<br />
Boden fliegen. Die Autopeds seien lächerlich, gefährlich<br />
und lästig, hieß es hingegen in amerikanischen<br />
Zeitungen. Kommt Ihnen dieser Streit bekannt vor?<br />
Im vergangenen Sommer waren E-Scooter hierzulande<br />
wegen zahlreicher Unfälle in den Schlagzeilen.<br />
Ärzte sorgten sich um die Gesundheit der Rollerfahrer.<br />
Nett gemeint, das ist ihr Job. Aber: Laut einer Studie<br />
des Weltverkehrsforums der OECD ist Elektrorollerfahren<br />
ebenso gefährlich oder ungefährlich wie Radfahren.<br />
Wie das bei neuartigen Fortbewegungsmitteln<br />
(Hoverboard, Inline skates) nun mal der Fall ist, muss die<br />
richtige Handhabung erst einmal gelernt werden. Statt<br />
über Verbote sollten wir über Fahr trainings diskutieren,<br />
zum Beispiel an Schulen. Und ja, die Roller stehen im<br />
öffentlichen Raum herum – bei Autos haben wir uns mit<br />
der Zeit an den Anblick gewöhnt und ihnen viele Privilegien<br />
gewährt. Parkhäuser, Parkbuchten, Tiefgaragen.<br />
Warum sind wir bei E-Scootern so einfallslos?<br />
E-Scooter könnten Bewegung in die Stadtplanung<br />
bringen, schreibt der Verkehrsforscher Stefan Gössling<br />
von der Universität Lund in einer Analyse für das Journal<br />
of Urban Design. »Sie geben der Stadtplanung ein neues<br />
Argument an die Hand, den öffentlichen Raum umzuverteilen.«<br />
Auch wenn noch unklar sei, welche Wege<br />
die Roller ersetzen (im Ideal fall solche, die sonst motorisiert<br />
zurückgelegt werden): »In den engen und verstopften<br />
europäischen Städten lassen sich ganze Straßen<br />
einfach und kostengünstig in Wege für Mikromobilität<br />
umwandeln.« Das würde den Verkehr für alle Beteiligten<br />
sicherer machen, auch für Fußgänger und Autofahrer.<br />
Aus Angst vor dem Coronavirus meiden Menschen<br />
derzeit die U-Bahnen, Busse und S-Bahnen. Eine kluge<br />
Stadtplanung könnte dafür sorgen, dass sie stattdessen<br />
nicht wieder das Auto nehmen, sondern E-Bikes, Fahrräder<br />
und E-Scooter nutzen. Vor hundert Jahren floppten<br />
Autopeds zum einen wegen ihres Preises – nur die<br />
bürgerliche Elite konnte sich das teure Gefährt leisten.<br />
Vor allem scheiterten sie an miserablen Straßenverhältnissen.<br />
Das ist heute keine Entschuldigung mehr. —<br />
Fotos Manfred Neubauer / SZ Photo; Gordon Welters / laif; Caroline Paux / epd-bild; Frédéric Cirou / laif