26
27 Illustration Eiko Ojala Foto Peter Rigaud/laif ist ihre acht Jahre jüngere Schwester in ihr Zimmer gelaufen und hat ihr Sparschwein geholt. Ihre Schwester hatte ihr Geld verloren, und sie wollte Hilfe bringen. Das fanden wir unglaublich rührend. Bei der Erziehung gibt es eine gute Regel, denke ich: Wenn mein heranwachsendes Kind das erste Mal volltrunken von einer Party nach Hause kommt, dann kann ich fürchten, dass es ein Alkoholproblem hat und ich jetzt unbedingt was tun muss – oder ich denke mir: »Ach Gott, das machen ja alle mal.« Wenn das aber immer und immer wieder geschieht, ist diese Art von Großzügigkeit nicht gut. Man muss ein Konzept haben. Es ist ganz wichtig, Räume zu schaffen, in denen Kinder ihre eigenen Erfahrungen machen können – diese Räume sollten aber kleinlich genau umgrenzt sein. Denn immer großzügig zu sein ist in der Erziehung genauso problematisch, wie immer kleinlich zu sein. Dabei ist Verantwortung der Schlüsselbegriff: Jeder in der Familie sollte versuchen, Großzügigkeit und Kleinlichkeit verantwortungsvoll zu handhaben. Wenn man älter wird, übernimmt man Verantwortung für das eigene Leben – und ist vielleicht in der Lage, sich zu ändern. Natürlich. Die kindlichen Ängste können durch die Erfahrungen, die man macht, kompensiert oder verstärkt werden. Das hängt auch viel mit Glück zusammen, mit Zufall. Wenn jemand eigentlich misstrauisch ist, sich aber mit 18 Jahren in jemanden verliebt, der empathisch und gelassen ist, dann kann es gut sein, dass er das übernimmt und mehr so wird wie dieser stabilere Partner. Aber es kann auch das Gegenteil passieren. Ich denke, dass gerade Liebesbeziehungen Resonanzräume sind für frühe Prägungen. In denen entscheidet sich, wie das Paar mit ein an der umgeht. Ob die als Paar kleinlich sind oder großzügig. Da passt diese Geschichte von Kleist, der eine Zeit lang mit seiner Schwester zusammengelebt hat. Sie war das, was man eine gute Haushälterin nennt, und Kleist war einer, der überhaupt nicht wirtschaften konnte, der gespielt hat und absolut liederlich mit Geld umgegangen ist. In diesem Zusammenleben ist die Schwester immer geiziger geworden, und bevor sie getrennte Wege gegangen sind, war sie zum richtigen Knicker geworden, sie hat ihm alles vorgezählt. Das ist oft so: Wenn in einer Beziehung einer zur überbordenden Großzügigkeit neigt, wird der andere immer kleinlicher und schaut immer genauer aufs Geld. Gelingen Beziehungen besser, wenn dasselbe zusammenkommt – wenn also ein großzügiger mit einem großzügigen Menschen anbandelt oder sich ein Kleinlicher in eine Kleinliche verliebt? Ich denke schon. Kleinlich mit kleinlich, das ist sehr viel stabiler. Und bei der Großzügigkeit kommt es darauf an, wie vernünftig sie gesteuert wird. Es gibt eine vernünftige Form, und es gibt natürlich das Risiko der Entgleisung: Verschwendung, Schulden machen. Aber wenn sie gut austariert ist, dann lebt man nicht über seine Verhältnisse und teilt, was man hat, nach seinen Möglichkeiten mit anderen. Das setzt eine gute Mischung voraus zwischen gutem Wirtschaften – dazu gehört die Sparsamkeit – und dem Lockerlassen. Wenn ich das Geld nur ausgebe, dann habe ich am Ende nichts mehr, was ich teilen kann ... ... weil ich es verprasst habe. Genau. Das erinnert mich an eine sehr sprechende Geschichte von Machiavelli, der das Risiko der übertriebenen Großzügigkeit gut beschrieben hat. Was er schildert, kann man Wolfgang Schmidbauer, geboren 1941, arbeitet als Psychoanalytiker und Autor. Neben erfolgreichen Sachbüchern veröffentlicht er auch Erzählungen, Romane und Artikel in Zeitschriften. Jüngst erschienen ist von ihm das Buch »Kaltes Denken, warmes Denken. Über den Gegensatz von Macht und Empathie«. Schmidbauer ist unter anderem Mitbegründer der Gesellschaft für analytische Gruppendynamik. Er lebt in München und in Dießen am Ammersee und hat drei erwachsene Töchter. oft beobachten, sowohl in Beziehungen als auch bei der Arbeit, etwa wenn jemand ein Team übernimmt. Machiavelli sagt: Der törichte Fürst gibt zu Beginn seiner Herrschaft den Untertanen alles, was er entbehren kann, weil er denkt, dass sie ihm dann dankbar sind und ihn lieben und ihm gehorchen werden. Aber so wie die Menschen beschaffen sind, werden sie im nächsten Jahr wiederkommen und neue Gaben erwarten, er jedoch hat nichts mehr zu geben. Worauf sie ihn verfluchen und als knauserigen Herrscher in Erinnerung behalten. Der kluge Fürst hingegen nimmt zu Beginn seiner Herrschaft den Untertanen so viel ab, wie er ihnen mit Anstand wegnehmen kann. Das gibt er ihnen über die Jahre nach ihren Verdiensten wieder zurück – und sie werden ihn als weise und großzügig verehren. Wenn man das wiederum auf seine Beziehung überträgt: Sollte ich dann dem Partner erst einmal etwas nehmen? Sie sollen nicht immer parat stehen, wenn er das von Ihnen verlangt, sondern mit Ihrer Zeit durchaus sparsam umgehen und aufpassen, dass Sie genauso viel kriegen von ihm wie er von Ihnen – und ihm erst nach Maßgabe seiner Verdienste allmählich mehr und mehr einräumen. Doch oft läuft es so: Ein Paar beschließt, sich die Hausarbeit zu teilen, aber ein Partner ist stinkfaul und macht nichts, und der andere macht alles. Weil er denkt, dass der Faule das schon irgendwann merken und mehr machen wird. Doch solche Rechnungen gehen nie auf. Das sind die Machiavelli-Fehler: wenn jemand am Anfang schon alles hergibt, sich maximal zur Verfügung stellt und dann nichts mehr zusetzen kann – sich aber erhofft, dass irgendwann die Gegenleistung kommt. Dass irgendwann das Gegenüber Schuldgefühle bekommt, so viel erhalten zu haben, ohne dass es etwas zurückgegeben hat. Auf diese Schuldgefühle wartet man aber meistens lange und vergeblich. In Ihren Worten erscheint gute Großzügigkeit immer sehr vernunftgesteuert, wie ein rational begründetes Geben und Nehmen, eine Art Deal. Gerade in der bürgerlichen Gesellschaft, in der eigentlich ziemlich genau gerechnet wird, tut man oft so, als ob man nicht rechnen würde. Es gehört zum guten Ton, das zu verleugnen, aber man rechnet natürlich dennoch. Auch weil Kapitalismus und Großzügigkeit sich ausschließen. Und