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auch in Paarbeziehungen finde ich es immer<br />

besser, das Ökonomische kleinlich zu<br />

klären. Um dann auf dieser Grundlage<br />

auch großzügig sein zu können. Folgt man<br />

Idealen wie »Wir rechnen untereinander<br />

nicht« oder »Es gehört alles allen«, dann ist<br />

der Streit später oft umso erbitterter. Weil<br />

gar keine Struktur da ist. Die Italiener sagen:<br />

Amici cari, conti chiari, »Je lieber die Freunde,<br />

desto klarer sollten die Rechnungen<br />

sein«. Wenn man einem Freund Geld leiht,<br />

dann sollte man unbedingt einen Vertrag<br />

machen. Dann entsteht auch in keinem der<br />

beiden das Gefühl, er sei dem anderen<br />

etwas über den Vertrag hinaus schuldig.<br />

Das heißt: Großzügigkeit aufgrund einer<br />

kleinlichen Basis.<br />

Aufgrund einer realistischen Basis. Wenn<br />

jemand über den Geiz eines Partners<br />

klagt, finde ich das unerfreulich. Denn es<br />

geht nicht um Geiz, sondern darum, dass<br />

manche Menschen mehr Angst vor Armut<br />

und Not haben als andere. Und in Beziehungen<br />

ist es ja oft so: Wenn einer viel<br />

Angst hat, zu verarmen, dann kann der<br />

andere natürlich seine eigene Angst verlässlich<br />

an den einen delegieren und so<br />

tun, als ob er selbst überhaupt keine Angst<br />

hätte. Das ist eine schlechte Basis. Es geht<br />

doch darum, Fantasien von gutem Austausch<br />

– also etwa von Großzügigkeit – so<br />

zu gestalten, dass sie ein Fundament in der<br />

Realität haben und nicht zu heftigen Enttäuschungen<br />

führen. Dann kann sich das<br />

Ganze stabilisieren. In guten Partnerschaften<br />

hat jeder das Gefühl: Ich bekomme das in<br />

unserer Beziehung, was ich möchte – und<br />

der andere auch.<br />

Welche negativen und welche positiven<br />

Eigenschaften hat Kleinlichkeit?<br />

Kleinlichkeit ist eine Filiale des Perfektionismus.<br />

Und Perfektionismus ist in bestimmten<br />

Feldern absolut angebracht. Um<br />

ihn zu trösten, habe ich neulich einem<br />

Chirurgen mit Eheproblemen gesagt: Im<br />

OP-Saal ist Perfektionismus eine Tugend,<br />

Sie müssen kleinlich sein und auf jedes<br />

Detail achten – in Ihrer Ehe aber kommen<br />

Sie damit nicht weit. Da geht es nicht um<br />

Perfektion. In einer guten und stabilen<br />

Beziehung erträgt man sich in seinen Unvollkommenheiten<br />

und findet sie vielleicht<br />

sogar irgendwann liebenswert. Auf jeden<br />

Fall ist es kleinlich, den anderen immer<br />

wieder darauf hinzuweisen, dass er etwas<br />

nicht richtig gemacht hat.<br />

Was aber natürlich oft passiert.<br />

Ein beliebtes Schlachtfeld in Beziehungen<br />

ist der Kampf zwischen den Menschen des<br />

Zwischenlagers und den Menschen des<br />

Endlagers. Die Zwischenlagerer machen sich<br />

zum Beispiel ein Butterbrot in der Küche,<br />

und dann liegt das Papier da und der Käse,<br />

während sie zufrieden vor dem Fernseher<br />

sitzen. Dann kommen die Endlagerer und<br />

sagen: »Warum kannst du nicht die Küche<br />

aufräumen, das vergammelt doch?!« Wenn<br />

DIE SERIE IN ZEIT WISSEN<br />

Großzügigkeit gegen<br />

Kleinlichkeit<br />

Welche Haltung uns<br />

wirklich weiter bringt<br />

In den folgenden Ausgaben<br />

2. TEIL:<br />

ERZIEHUNG<br />

Nicht alles ist möglich: Wie kleinliche Regeln<br />

große Freiräume zur Entfaltung schaffen<br />

3. TEIL:<br />

SCHENKEN<br />

Großzügige Gaben: Wie bereichernd es ist,<br />

Geschenke auch annehmen zu können<br />

die das einfach wegräumen würden, wäre<br />

das ein Beispiel für Großzügigkeit in einer<br />

Beziehung, das heißt: Ich bestehe nicht<br />

ständig darauf, dass mein Partner sich genauso<br />

optimal verhält wie ich. Wenn es<br />

mich nicht viel Aufwand kostet, dann<br />

schenke ich ihm meine Zeit und mache<br />

sauber. Die Beziehung bleibt dann in einem<br />

liebevollen Bereich. Es ist oft hilfreich für<br />

Paare, wenn sie das lernen.<br />

Diese Art von Großzügigkeit berührt den<br />

Bereich von Regeln und deren Übertretung<br />

– und damit sind wir beim Verzicht<br />

und bei der Milde. Inwieweit hat Verzeihen<br />

bei Paaren oder Freunden mit Großzügigkeit<br />

zu tun?<br />

Das Prinzip »Gnade vor Recht« – oder: Verzicht<br />

auf Rechthaberei – ist sehr wichtig,<br />

leidet aber in Beziehungen oft unter dem<br />

Druck von Stolz. Großzügig wäre, auf die<br />

Befriedigung meines gekränkten Stolzes zu<br />

verzichten, indem ich nicht immer wieder<br />

einen Vorwurf erneuere, mit dem ich ihr<br />

und mir das Leben vermiese. Doch ich befürchte,<br />

nicht mehr ich selbst zu sein, wenn<br />

ich den Vorwurf weglassen würde, dass der<br />

andere mich zum Beispiel betrogen hat.<br />

Dabei hätte die Akzeptanz – das Verzeihen<br />

– etwas sehr Lebensfreundliches, eine Art<br />

Großzügigkeit auch mit sich selbst. Da<br />

kommt natürlich auch der Humor ins Spiel.<br />

Die menschlichen Liebesbeziehungen sind<br />

schließlich so reich an Widersprüchen, dass<br />

man ohne Humor überhaupt nicht klarkommt.<br />

Letztlich hilft mir die Großzügigkeit,<br />

dass ich die Enttäuschung wegstecke.<br />

Dass ich sehen kann, dass noch viel Gutes<br />

da ist, statt zu sagen: »Damit ist auch der<br />

Rest vernichtet.« Das ist die destruktive<br />

Form von Kleinlichkeit, bei der es nur das<br />

perfekte Liebesobjekt gibt. Dabei besteht<br />

auch ein glückliches Paar doch immer<br />

nur aus zwei Menschen, die allmählich<br />

lernen können, sich mit ihren für ein an der<br />

richtigen und falschen Seiten gut zu verstehen<br />

und zu vertragen.<br />

Glauben Sie, dass Menschen sich grundsätzlich<br />

falsch einschätzen können? Dass<br />

sie sich selbst für generell großzügig<br />

halten, alle anderen denken jedoch: Das<br />

ist aber wirklich ein Geizhals?<br />

Ja, auf jeden Fall. Die menschliche Selbsteinschätzung,<br />

das hat schon der Philosoph<br />

Friedrich Nietzsche sehr schön gesagt, ist<br />

einfach dem Stolz unterworfen. Wenn<br />

mein Stolz mir gebietet, ein großzügiger<br />

Mensch zu sein, dann kann ich noch so<br />

geizige Dinge treiben, aber in der Bilanz<br />

halte ich mich für großzügig.<br />

Wenn Sie ein Bild malen würden, das Sie<br />

»Großzügigkeit gegen Kleinlichkeit« nennen<br />

möchten: Wie würde das aussehen?<br />

Oh. Großzügigkeit würde ich wohl ein bisschen<br />

malen wie Chagall, mit bunten Farben<br />

und fließenden Übergängen. Die Kleinlichkeit<br />

sähe eher aus wie ein Wimmelbild, wie<br />

ein Gemälde von Albrecht Altdorfer vielleicht,<br />

auf dem viele kleine Figuren penibel<br />

gemalt sind. Oder Dürer wäre eher kleinlich<br />

und Rubens großzügig: barock, dramatisch,<br />

bewegt. Großzügigkeit und Kleinlichkeit:<br />

Beides ist an sich etwas Gutes. Und<br />

beides ist im Übermaß problematisch. —<br />

Wiebke Hansen und Sven Stillich freuten<br />

sich sehr über die Großzügigkeit ihrer Videokonferenz-Software.<br />

Die hob mitten im Interview die<br />

eingebaute Zeitbeschränkung von 40 Minuten für<br />

die Gratis-Version einfach auf. Danke vielmals.<br />

Illustration Saša Ostoja

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