zeitwissen_2020_05_full
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»Alle großen Umweltgutachten fordern heute längst eine radikale gesamtgesellschaftliche Transformation.<br />
Wir müssen unsere komplette Art, zu leben und zu wirtschaften, umstellen.«<br />
hängen existieren könnten. Dabei gibt es<br />
zwischen Mensch und Natur eine uralte<br />
Verbindung; sie steckt in jedem von uns.<br />
Das zeigt sich auch daran, dass Kinder nicht<br />
zwischen einem belebten und einem unbelebten<br />
Wesen und einem Menschen unterscheiden.<br />
Doch in den letzten zehn Generationen<br />
haben wir uns aus dieser Verbindung<br />
herausentwickelt.<br />
Steffens: Wir brauchen ein anderes Naturverständnis<br />
und auch wieder mehr von unserem<br />
alten Gemeinsinn: Die Luft gehört<br />
uns allen, das Wasser gehört uns allen, ein<br />
gesundes Leben muss für alle möglich sein.<br />
Dennoch sterben jährlich etwa neun Millionen<br />
Menschen an Folgen von Umweltverschmutzung.<br />
Mehr Gemeinsinn hört<br />
sich vielleicht heutzutage ein wenig weltfremd<br />
an, aber die meiste Zeit in der Geschichte<br />
unserer Art haben die Menschen<br />
doch nach diesen Grundsätzen gelebt.<br />
Wie ist uns das Naturverständnis und<br />
dieser Gemeinsinn abhandengekommen?<br />
Steffens: Als in der neolithischen Re vo lu tion<br />
aus Jägern und Sammlern Bauern wurden,<br />
sind die Motive entstanden, die uns heute so<br />
quälen: Egoismus und Habgier. Für die<br />
Nomaden war es sinnlos, Reichtum anzuhäufen,<br />
weil man ihn gar nicht mitschleppen<br />
konnte. Es hat erst einen Sinn bekommen,<br />
als wir begonnen haben, Zäune zu ziehen,<br />
Grund und Boden zu Privateigentum zu erklären<br />
und andere auszugrenzen.<br />
Welche Weichen hätten damals anders gestellt<br />
werden müssen?<br />
Steffens: Die Frauen hätten früher auf den<br />
Plan treten müssen. Die Gleichberechtigung<br />
der Frau ist aus meiner Sicht die beste<br />
Umweltschutzmaßnahme. Ich denke da<br />
auch an eine Freundin, die Verhaltensforscherin<br />
Jane Goodall. Sie hat manches<br />
nur entdecken können, weil sie jede Regel,<br />
die ihre männlichen Kollegen aufgestellt<br />
hatten, gebrochen hat: Sie ist zu den<br />
Schimpansen hingegangen und hat sich<br />
mit ihnen angefreundet. Nur deshalb hat sie<br />
herausgefunden, dass der Mensch nicht die<br />
einzige Art ist, die Werkzeuge benutzt.<br />
Durch eine weibliche, emotionale Sicht auf<br />
Natur können wir alle etwas lernen. Und<br />
aus der Bevölkerungswissenschaft wissen<br />
wir auch: Wenn mehr Frauen Zugang zu<br />
Bildung haben, fällt das Bevölkerungswachstum<br />
auf ein nachhaltiges Niveau.<br />
Und welche Rolle spielt unsere Gier nach<br />
immer mehr Besitz?<br />
Habekuß: Man sieht seit dem Mittelalter<br />
eine gigantische Verschiebung von Gemeinschaftseigentum<br />
in Privatbesitz. Was früher<br />
gemeinschaftlich nach klaren Regeln organisiert<br />
wurde, wurde plötzlich nach Einzelinteressen<br />
genutzt. Dass man überhaupt<br />
Boden besitzen kann, ist in anderen Kulturen<br />
übrigens ein völlig abwegiger Gedanke. In<br />
Grönland zum Beispiel gibt es keine Zäune,<br />
weil dieses Konzept von Grundeigentum<br />
nicht funktioniert. In Deutschland kann<br />
man Boden kaufen, und das führt dazu,<br />
dass er total übernutzt wird. Es lohnt sich