05.02.2024 Aufrufe

zeitwissen_2020_05_full

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

50<br />

verlieren sich die guten Manieren, man schwitzt, schreit,<br />

scheidet aus. »Die Frauen sind dann ganz pur und<br />

spüren sehr klar, was sie brauchen und was nicht.« Auch<br />

wenn es die erste Geburt der Gebärenden ist und die<br />

dreihundertste der Hebamme – die Haltung müsse<br />

immer sein: Die Frau ist die Expertin für ihren Körper.<br />

Geppert-Orthofer sagt, das gelte eigentlich für jedes<br />

gute Mit ein an der: zugewandt sein, Zutrauen geben und<br />

bei dem unterstützen, was das Gegenüber allein nicht<br />

kann. »Das klingt so selbstverständlich, aber ich glaube,<br />

es ist trotzdem sehr selten.«<br />

Mit dem Moment der Geburt beginnt ein lebenslanges<br />

Ringen zweier Pole in uns: des Bedürfnisses nach<br />

einem Wir und des Bedürfnisses nach dem Ich. Ganz<br />

am Anfang ist die Beziehung zwischen Mutter und Kind<br />

sehr eng und hingebungsvoll. In dieser Form von Beziehung<br />

fühlt das Kind sich sicher. Aber bald fängt es an,<br />

sich von der Mutter zu lösen. Erst nur ein paar Meter,<br />

robbend. Später immer weiter, sowohl physisch als auch<br />

emotional. Es will sich selbst entwickeln und Kontrolle<br />

haben. In dieser fundamentalen Polarität leben wir fortwährend:<br />

Man kann nicht voll beim anderen sein und<br />

gleichzeitig ganz bei sich. Wir wollen uns ganz angenommen<br />

fühlen und wollen doch den Kitzel des Fremden,<br />

der Herausforderung, der Freiheit, in der wir uns<br />

selbst spüren. In Beziehungen, in denen wir uns wohlfühlen,<br />

findet beides statt. Es geht hin und her. Der eine<br />

führt, der andere folgt. Dann wechselt es wieder, wie<br />

beim Tanz. Das gilt besonders für die Liebe, aber nicht<br />

nur. Auch im Job läuft es am besten, wenn es Freiräume<br />

gibt, sich auszuprobieren, Verantwortung zu übernehmen<br />

– und ein Auffangnetz, wenn es mal schiefgeht.<br />

Was tun mit denen, die uns nicht guttun?<br />

Es gibt jemanden, der sich in den vergangenen Jahren<br />

zu einem Experten für Menschen entwickelt hat, die uns<br />

nicht guttun: Robert Sutton, Management-Professor an<br />

der Stanford Business School und Berater vieler weltweit<br />

tätiger Unternehmen. Er bezeichnet sie geradeheraus<br />

als Arschlöcher, seine Bücher zum Umgang mit<br />

ihnen sind Bestseller. Dabei ist solch ein Urteil natürlich<br />

höchst subjektiv: Wer wen schlecht behandelt, ist<br />

nicht immer eindeutig, das Gewirr aus Gefühlen,<br />

Macht und Zwängen wird von den Beteiligten sehr<br />

unterschiedlich eingeschätzt. Sutton zitiert eine Studie<br />

aus den USA, in der die Hälfte der Befragten angab,<br />

unter dauerndem Mobbing am Arbeitsplatz zu leiden<br />

oder Zeuge davon zu sein – aber nicht mal ein Prozent<br />

zugab, andere wiederholt mies behandelt zu haben.<br />

Eine Sache ist also wichtig zu bedenken: Wer mit<br />

Arschlöchern konfrontiert ist, könnte auch eines sein.<br />

So vorsichtig man bei der Beurteilung anderer<br />

Menschen sein muss, so eindeutig kann schlechtes Verhalten<br />

benannt werden. Mies ist: Manipulation und der<br />

Versuch, andere dazu zu bringen, etwas zu tun, zu denken<br />

oder zu fühlen, was sie nicht wollen. Das Verwenden<br />

von etwas Anvertrautem gegen jemanden. Das eigene<br />

Leid wichtiger zu nehmen als das der anderen und nicht<br />

zu eigenen Taten und Fehlern zu stehen. Misstrauen zu<br />

hegen gegenüber denen, die sich weiterentwickeln. Und<br />

besser zu wissen, was gut für andere ist, als diese selbst.<br />

Solche Eigenschaften braucht niemand. Doch gerade in<br />

der Arbeitswelt hält sich leider das Gerücht, dass sie<br />

dabei helfen, mehr zu erreichen und mehr zu verdienen.<br />

Dass gerade Chefs sie bräuchten. Aber auch im Privaten<br />

wird schlechtes Benehmen oft damit gerechtfertigt, man<br />

wolle die Kinder, die Partnerin nur vor deren Fehlern<br />

bewahren. Das Schreien, die Rügen und die Lügen<br />

seien also leider Gottes nötige Erziehungsmaßnahmen.<br />

Studien zeigen dagegen deutlich: Wer schlecht behandelt<br />

wird, wird unproduktiv, macht mehr Fehler,<br />

verliert den Elan und wird langsamer und schlechter<br />

darin, Entscheidungen zu fällen – egal, ob schikanierte<br />

Ärztinnen und Krankenpfleger, gemobbte Kinder, Büroangestellte,<br />

Gemeindemitglieder oder unterdrückte<br />

Beziehungspartner. Nicht nur Glück ist ansteckend.<br />

Wenn uns jemand<br />

schadet, haben wir<br />

zwei Möglichkeiten:<br />

Etwas zu ändern –<br />

oder wegzugehen<br />

Auch Unhöflichkeit und Respektlosigkeit verbreiten<br />

sich viral. Zu Hause, am Arbeitsplatz, online, in der<br />

Schule und in Sportvereinen. Sie beeinflussen Gefühle,<br />

Hirnleistung, Motivation und Aufmerksamkeit negativ.<br />

Ganz grundsätzlich gibt es zwei Möglichkeiten für den<br />

Umgang mit Menschen, die uns nicht guttun. Erstens:<br />

Man kann versuchen, etwas zu ändern. Zweitens: Man<br />

kann versuchen, wegzugehen. Beides muss man selbst<br />

tun. Beides ist mit Schmerzen verbunden. Es ist ein<br />

natürlicher und verbreiteter Reflex, sich davor schützen<br />

zu wollen und darum lieber erst mal gar nichts zu tun.<br />

Sutton nennt das »Arschloch-Blindheit«: Wir reden<br />

uns ein, es sei alles gar nicht so schlimm oder wir hätten<br />

keine Wahl – und manchmal kann das auch ein Teil der<br />

Wahrheit sein. Der Druck zu handeln und die Möglichkeiten<br />

dazu hängen nicht nur am individuellen<br />

Leid, sondern auch an äußeren Faktoren wie Geld,<br />

Macht und der Dauer, die man dem Ganzen ausgesetzt<br />

ist. Sutton warnt aber eindringlich davor, dauerhaft<br />

auszuharren. Besser sei es, sich Unterstützung zu suchen<br />

bei anderen Kollegen, Freunden oder einer Chefin, die<br />

einen schützt. Bei den Eltern. Bei allen, die hinter einem<br />

stehen. Um dann loszulegen.<br />

Erstens: versuchen, etwas zu ändern. Wir sitzen<br />

physiologisch und damit ganz grundsätzlich in einer<br />

Subjektivitätsfalle. Unser Gehirn ist so aufgebaut, dass<br />

wir denken, die Welt und deren Geschöpfe seien so, wie

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!