zeitwissen_2020_05_full
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verlieren sich die guten Manieren, man schwitzt, schreit,<br />
scheidet aus. »Die Frauen sind dann ganz pur und<br />
spüren sehr klar, was sie brauchen und was nicht.« Auch<br />
wenn es die erste Geburt der Gebärenden ist und die<br />
dreihundertste der Hebamme – die Haltung müsse<br />
immer sein: Die Frau ist die Expertin für ihren Körper.<br />
Geppert-Orthofer sagt, das gelte eigentlich für jedes<br />
gute Mit ein an der: zugewandt sein, Zutrauen geben und<br />
bei dem unterstützen, was das Gegenüber allein nicht<br />
kann. »Das klingt so selbstverständlich, aber ich glaube,<br />
es ist trotzdem sehr selten.«<br />
Mit dem Moment der Geburt beginnt ein lebenslanges<br />
Ringen zweier Pole in uns: des Bedürfnisses nach<br />
einem Wir und des Bedürfnisses nach dem Ich. Ganz<br />
am Anfang ist die Beziehung zwischen Mutter und Kind<br />
sehr eng und hingebungsvoll. In dieser Form von Beziehung<br />
fühlt das Kind sich sicher. Aber bald fängt es an,<br />
sich von der Mutter zu lösen. Erst nur ein paar Meter,<br />
robbend. Später immer weiter, sowohl physisch als auch<br />
emotional. Es will sich selbst entwickeln und Kontrolle<br />
haben. In dieser fundamentalen Polarität leben wir fortwährend:<br />
Man kann nicht voll beim anderen sein und<br />
gleichzeitig ganz bei sich. Wir wollen uns ganz angenommen<br />
fühlen und wollen doch den Kitzel des Fremden,<br />
der Herausforderung, der Freiheit, in der wir uns<br />
selbst spüren. In Beziehungen, in denen wir uns wohlfühlen,<br />
findet beides statt. Es geht hin und her. Der eine<br />
führt, der andere folgt. Dann wechselt es wieder, wie<br />
beim Tanz. Das gilt besonders für die Liebe, aber nicht<br />
nur. Auch im Job läuft es am besten, wenn es Freiräume<br />
gibt, sich auszuprobieren, Verantwortung zu übernehmen<br />
– und ein Auffangnetz, wenn es mal schiefgeht.<br />
Was tun mit denen, die uns nicht guttun?<br />
Es gibt jemanden, der sich in den vergangenen Jahren<br />
zu einem Experten für Menschen entwickelt hat, die uns<br />
nicht guttun: Robert Sutton, Management-Professor an<br />
der Stanford Business School und Berater vieler weltweit<br />
tätiger Unternehmen. Er bezeichnet sie geradeheraus<br />
als Arschlöcher, seine Bücher zum Umgang mit<br />
ihnen sind Bestseller. Dabei ist solch ein Urteil natürlich<br />
höchst subjektiv: Wer wen schlecht behandelt, ist<br />
nicht immer eindeutig, das Gewirr aus Gefühlen,<br />
Macht und Zwängen wird von den Beteiligten sehr<br />
unterschiedlich eingeschätzt. Sutton zitiert eine Studie<br />
aus den USA, in der die Hälfte der Befragten angab,<br />
unter dauerndem Mobbing am Arbeitsplatz zu leiden<br />
oder Zeuge davon zu sein – aber nicht mal ein Prozent<br />
zugab, andere wiederholt mies behandelt zu haben.<br />
Eine Sache ist also wichtig zu bedenken: Wer mit<br />
Arschlöchern konfrontiert ist, könnte auch eines sein.<br />
So vorsichtig man bei der Beurteilung anderer<br />
Menschen sein muss, so eindeutig kann schlechtes Verhalten<br />
benannt werden. Mies ist: Manipulation und der<br />
Versuch, andere dazu zu bringen, etwas zu tun, zu denken<br />
oder zu fühlen, was sie nicht wollen. Das Verwenden<br />
von etwas Anvertrautem gegen jemanden. Das eigene<br />
Leid wichtiger zu nehmen als das der anderen und nicht<br />
zu eigenen Taten und Fehlern zu stehen. Misstrauen zu<br />
hegen gegenüber denen, die sich weiterentwickeln. Und<br />
besser zu wissen, was gut für andere ist, als diese selbst.<br />
Solche Eigenschaften braucht niemand. Doch gerade in<br />
der Arbeitswelt hält sich leider das Gerücht, dass sie<br />
dabei helfen, mehr zu erreichen und mehr zu verdienen.<br />
Dass gerade Chefs sie bräuchten. Aber auch im Privaten<br />
wird schlechtes Benehmen oft damit gerechtfertigt, man<br />
wolle die Kinder, die Partnerin nur vor deren Fehlern<br />
bewahren. Das Schreien, die Rügen und die Lügen<br />
seien also leider Gottes nötige Erziehungsmaßnahmen.<br />
Studien zeigen dagegen deutlich: Wer schlecht behandelt<br />
wird, wird unproduktiv, macht mehr Fehler,<br />
verliert den Elan und wird langsamer und schlechter<br />
darin, Entscheidungen zu fällen – egal, ob schikanierte<br />
Ärztinnen und Krankenpfleger, gemobbte Kinder, Büroangestellte,<br />
Gemeindemitglieder oder unterdrückte<br />
Beziehungspartner. Nicht nur Glück ist ansteckend.<br />
Wenn uns jemand<br />
schadet, haben wir<br />
zwei Möglichkeiten:<br />
Etwas zu ändern –<br />
oder wegzugehen<br />
Auch Unhöflichkeit und Respektlosigkeit verbreiten<br />
sich viral. Zu Hause, am Arbeitsplatz, online, in der<br />
Schule und in Sportvereinen. Sie beeinflussen Gefühle,<br />
Hirnleistung, Motivation und Aufmerksamkeit negativ.<br />
Ganz grundsätzlich gibt es zwei Möglichkeiten für den<br />
Umgang mit Menschen, die uns nicht guttun. Erstens:<br />
Man kann versuchen, etwas zu ändern. Zweitens: Man<br />
kann versuchen, wegzugehen. Beides muss man selbst<br />
tun. Beides ist mit Schmerzen verbunden. Es ist ein<br />
natürlicher und verbreiteter Reflex, sich davor schützen<br />
zu wollen und darum lieber erst mal gar nichts zu tun.<br />
Sutton nennt das »Arschloch-Blindheit«: Wir reden<br />
uns ein, es sei alles gar nicht so schlimm oder wir hätten<br />
keine Wahl – und manchmal kann das auch ein Teil der<br />
Wahrheit sein. Der Druck zu handeln und die Möglichkeiten<br />
dazu hängen nicht nur am individuellen<br />
Leid, sondern auch an äußeren Faktoren wie Geld,<br />
Macht und der Dauer, die man dem Ganzen ausgesetzt<br />
ist. Sutton warnt aber eindringlich davor, dauerhaft<br />
auszuharren. Besser sei es, sich Unterstützung zu suchen<br />
bei anderen Kollegen, Freunden oder einer Chefin, die<br />
einen schützt. Bei den Eltern. Bei allen, die hinter einem<br />
stehen. Um dann loszulegen.<br />
Erstens: versuchen, etwas zu ändern. Wir sitzen<br />
physiologisch und damit ganz grundsätzlich in einer<br />
Subjektivitätsfalle. Unser Gehirn ist so aufgebaut, dass<br />
wir denken, die Welt und deren Geschöpfe seien so, wie