zeitwissen_2020_05_full
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er stabilisiert sich durch seine Massenträgheit selbst. Ein<br />
leichterer Reifen wird durch falsche Bewegungen aus<br />
seiner Bahn geworfen. Große Reifen mit einem Durchmesser<br />
von bis zu 120 Zentimetern drehen sich langsamer<br />
– »und man muss nicht so schnell kreisen«, sagt<br />
der Trainingswissenschaftler Patrick Berndt von der<br />
Hochschule für Prävention und Gesundheitsmanagement<br />
in Saarbrücken. »Der Nachteil ist, dass ein schwerer<br />
Reifen mehr Kraft braucht, um geschwungen zu<br />
werden.« Der Australierin Marawa Ibrahim gelang es,<br />
200 Reifen gleichzeitig um ihre Hüfte kreisen zu lassen.<br />
Um den Hals geht es auch, der Rekord: zehn Reifen.<br />
Was müssen wir tun, damit der Reifen nicht herunterfällt?<br />
»Dafür braucht es eine möglichst rhythmische,<br />
kreisende Bewegung in einer Geschwindigkeit, die<br />
ausreicht, um die Masse des Reifens so stark zu beschleunigen,<br />
dass die Kraft nach außen größer ist als die<br />
Gravitation nach unten«, sagt Berndt. Da arbeitet ein<br />
kompletter Muskel-Gelenk-Verbund: die wirbelsäulenstabilisierende<br />
Muskulatur, die Bauch-, Gesäß- und die<br />
hüftumgebende Muskulatur. »Wenn diese in der richtigen<br />
Reihenfolge angesteuert werden, kommt es zu einer<br />
kreisenden Bewegung des Beckens«, so Berndt. Muskulär<br />
sei dazu so gut wie jeder Mensch in der Lage. »Die<br />
eigentliche Schwierigkeit ist die Koordination. Die<br />
kreisende Bewegung muss gleichbleibend rhythmisch<br />
erfolgen.« Je länger man schwingt, desto beanspruchender<br />
wird es. Zwischen 110- und 140-mal umrundet der<br />
Reifen in einer Minute den Körper. Hula-Hoop fördert<br />
die Ausdauer, der Trainingswissenschaftler nennt es Ermüdungswiderstandsfähigkeit.<br />
Und weil man sich bei<br />
alldem konzentrieren muss, schaltet man beim Hüftkreisen<br />
gedanklich ab. Die perfekte Auszeit. Hinzu<br />
kommt: Die Verbindung zwischen linker und rechter<br />
Hirnhälfte nimmt durch motorische Stimulation an<br />
Volumen zu. »Und weil die Motorik zentral eta bliert ist«,<br />
so der Sportmediziner Kwast, »lassen sich motorische<br />
Lerneffekte auf andere Bereiche des Gehirns ausweiten.«<br />
Für Anfänger: Reicht ein Reifen auf dem Boden stehend<br />
bis zum Bauchnabel, hat er die richtige Größe.<br />
So geht’s: »Mit Anleitung üben«, sagt Ingo Froböse<br />
von der Deutschen Sporthochschule Köln. Dann:<br />
kreisen, kreisen, kreisen. Keine ruckhaften Bewegungen.<br />
Für Fortgeschrittene: Hat man Hula-Hoop gelernt,<br />
kann man Größe und Gewicht des Reifens reduzieren,<br />
um immer schneller zu werden.<br />
Das stimmt nicht: Wer seine Körpermitte trainiert,<br />
verliert in dieser Region auch Fett.<br />
Schaukeln heißt: das Leben spielen«, hat der<br />
Kunsthistoriker Jürgen von der Wense gesagt.<br />
Wer schaukelt, fühlt sich schwerelos.<br />
Der Höhenflug lässt uns die Erdanziehungskraft<br />
vergessen, wir schwingen dem<br />
Himmel entgegen, jauchzen und jubeln,<br />
fühlen uns frei und lebendig. Die Schaukel ist unsere<br />
Verbindung zur Erde. Ein Überschlag geht nicht (mit<br />
menschlicher Kraft), wenn das Schaukelbrett an Seilen<br />
oder Ketten befestigt ist. Sobald man damit über die<br />
Horizontale hinausschwingt, endet die Kreisbahn, die<br />
Schaukelketten erschlaffen, und man fällt senkrecht ab.<br />
Hängt die Schaukel dagegen an Stangen, kann sie 360<br />
Grad rund um die Achse der Aufhängung fliegen.<br />
7,38 Meter waren die Stangen lang, mit denen der Este<br />
Sven Saarpere geschaukelt ist – Weltrekord. In Estland<br />
ist Schaukeln jahrhundertealte Tradition: Beim Kiiking<br />
an Mittsommer loten die Schaukelsportler ihre Grenzen<br />
aus – und das verstehen die über Jahrzehnte von anderen<br />
Ländern besetzten Esten auch politisch.<br />
Unsere erste Schaukel ist der Mutterleib. Es folgt<br />
die Wiege, im Tragetuch oder Kinderwagen geht es<br />
weiter, dann aufs Schaukelpferd und raus auf den Spielplatz.<br />
Die dortigen Schaukelgeräte müssen der Europa-<br />
Norm EN1176 entsprechen. Im öffentlichen Raum<br />
entstehen immer spektakulärere Schaukellandschaften,<br />
wie die in Amsterdam mit dem Namen »Over the Edge«:<br />
Europas höchste Schaukel, mit der man über die Kante<br />
eines Hochhauses schwingt, steht in hundert Meter<br />
Höhe über dem Nordseekanal.<br />
Auf der Schaukel erleben wir, dass wir uns aus<br />
eigener Kraft Erdanziehung und Zentrifugalkraft zunutze<br />
machen können. Wenn man während der Passage<br />
des tiefsten Punktes seinen Schwerpunkt nach oben verlagert<br />
und am höchsten Punkt nach unten, gewinnt man<br />
Energie, die die Geschwindigkeit erhöht und die Pendelbewegung<br />
antreibt, also die Amplitude der Schwingung<br />
vergrößert. Während wir schwingen, verlagern wir<br />
dafür unseren Körper in der Vorwärtsbewegung in die<br />
Rückenlage, während der Gegenbewegung beugen wir<br />
uns nach vorn. Kinder machen das intuitiv richtig.<br />
»Diese Abläufe übertragen wir unbewusst auf andere<br />
Bewegungen. Je jünger man ist, desto besser gelingt der<br />
Transfer«, sagt Stefan Kwast von der Universität Leipzig.<br />
Der Spielplatzschaukel entwachsen, suchen wir das<br />
beschwingte Hin und Her in der Schiffsschaukel auf<br />
dem Jahrmarkt oder beim Bungee-Jumping, in Schaukelkissen<br />
und hängenden Sitzhalbkugeln, dem Wohlfühlinterieur<br />
der Möbelindustrie. Im besten Fall endet<br />
das lebenslange Gewiege im Schaukelstuhl. Denn