zeitwissen_2020_05_full
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Schaukeln macht gute Laune. »Körper und Welt durch<br />
das eigene Tun in Gang zu bringen macht Freude«, sagt<br />
die Spiel- und Lerndesign-Professorin Karin Schmidt-<br />
Ruhland. Schaukeln als dynamische Form des Sitzens<br />
wirke beruhigend. Das liegt an unserem Gleichgewichtsorgan,<br />
dem Vestibularapparat, der seinen Sitz im Innenohr<br />
hat. Er informiert das Gehirn über die Lage des<br />
Körpers im Raum, über Beschleunigung und Abbremsen.<br />
Werden durch das Schaukeln die Sinneswahrnehmungen<br />
angeregt, wird das Gleichgewichtsorgan aktiviert.<br />
Die Körperhaltung stabilisiert sich, der<br />
Muskeltonus normalisiert sich. Sanft schwingend, erinnert<br />
sich der Körper an das Wohlgefühl im Mutterleib.<br />
Manchen Menschen wird auf der Schaukel aber<br />
schwindelig. Das geschieht dann, wenn die Botschaften<br />
der Sinnesorgane nicht übereinstimmen: Meldet also<br />
das Gleichgewichtsorgan eine Beschleunigung, die das<br />
Auge nicht wahrnimmt, etwa weil die Schaukelamplitude<br />
zu groß ist, ist das Gehirn überfordert, man fühlt sich<br />
des orien tiert. Kommen aus dem Innenohr nicht genügend<br />
Reize, verkümmert der Vestibularapparat. »Aber<br />
wir können unser Gleichgewichtsorgan reaktivieren. Wir<br />
müssen es nur regelmäßig trainieren«, sagt Stefan Kwast.<br />
Nicht aufhalten können wir dagegen den Alterungsprozess<br />
des Vestibularsystems. Es kann degenerieren: Die<br />
Haarzellen, die für die Wahrnehmung der Bewegungen<br />
verantwortlich sind, verkalken, oder die Zahl der Sinneszellen<br />
nimmt ab. Aus ist der Traum vom Fliegen.<br />
Für Anfänger: Wem beim Schaukeln schwindelig wird,<br />
der sollte sich langsam an die ungewohnte Bewegung<br />
gewöhnen. Fünf Minuten reichen für den Anfang.<br />
So geht’s: Ingo Froböse rät: »Lass dich nicht anschubsen,<br />
initiiere die Bewegungen selbst, und kontrolliere sie.<br />
Lass locker, schwinge frei.«<br />
Mehr, mehr, mehr!<br />
Schaukeln ist<br />
wie Fliegen mit<br />
Bodenhaftung<br />
Es ist ein ganz einfaches Sportgerät und bereitet<br />
doch auf alle Sportarten vor, die auf<br />
beiden Beinen stattfinden. Früher schwangen<br />
vor allem Mädchen auf Gehwegen<br />
und Schülerinnen auf Pausenhöfen die<br />
Hanfseile und sangen im Rhythmus des<br />
Seils. Heute ist es nicht nur eins von vier Geräten in der<br />
rhythmischen Sportgymnastik, sondern das Springen<br />
auch Teil der Prüfung für das Deutsche Sportabzeichen<br />
und als »Rope- Skip ping« Trendsport. Aus dem harmlosen<br />
Zeitvertreib sind eine Fitnessübung und ein akrobatischer<br />
Show- und Hochleistungssport erwachsen –<br />
»was an der vielseitigen Verwendbarkeit des Seils liegt«,<br />
wie Karin Schmidt-Ruhland von der Kunsthochschule<br />
Halle sagt: »Es ist höchst interpretationsfähig.«<br />
Die Renaissance des Seilspringens ist einem Lehrer<br />
aus Kaiserslautern zu verdanken. Mitte der 1980er-<br />
Jahre brachte Wolfgang Westrich Rope- Skip ping als<br />
neue Sportart aus den USA mit. Dort war es durch eine<br />
Kampagne der American Heart Association bekannt<br />
geworden. Aber eigentlich ist Rope- Skip ping nichts<br />
anderes als Seilspringen – nur schneller, präziser, spektakulärer.<br />
Könner schaffen 160 Sprünge pro Minute. Was<br />
früher Hanf war, ist heute Kunststoff. Seile aus Draht<br />
sind schwerer und behalten beim Schwingen ihre Form.<br />
Fotos Stockbyte/Getty Images (S. 12, 13); Lillagunga Grand; Eyem/Getty Images