56 SCHENKT EIN, TRINKT AUS! Text Filippa Lessing
57 Das Bier ist einer der besten Freunde des Menschen, es geht mit ihm seit Jahrtausenden durch dick und dünn. Eine prickelnde Liebesgeschichte C ountdown für den SpaceX- Raumfrachter: »3 ... 2 ... 1 ... Zündung – Start!« Donnernd hebt am 5. Dezember 2019 im US-amerikanischen Cape Canaveral die Rakete Dragon ab. An Bord hat sie: Versorgungsnachschub für die Crew der Internationalen Raumstation ISS, wissenschaftliche Experimente – und Zutaten zum Bierbrauen. Mit einer Mini-Mälzerei und einigen Körnern Gerste soll geklärt werden, ob das Getreide auch in der Schwerelosigkeit durch kontrolliertes Keimen zu einer Grundzutat von Bier werden kann, zu Malz. Bier im All? Das Experiment soll in die Zukunft weisen, ausschweifende Expeditionen auf dem Mars möglich machen, die Ernährung von Astronauten im Weltraum voranbringen. Kennt man die Geschichte des Biers, erscheint der Versuch im All nicht mehr ganz so absurd: Bier ist fast so alt wie der moderne Mensch selbst – kein Wunder, dass es nun auch im Zeitalter der interplanetaren Raumfahrt eine Rolle spielen wird. Zum ersten Mal wurde Bier wahrscheinlich in Vor der asien getrunken, im 10. Jahrtausend vor Christus. Indizien dafür fanden Archäologen an der Ausgrabungsstätte Göbekli Tepe im Süden der heutigen Türkei. Dort stehen riesige T-förmige Pfeiler im Kreis und bilden die wohl älteste Gebetsstätte der Welt. Die Menschen, die das Heiligtum aufbauten, waren Jäger und Sammler, organisiert in einem lockeren Kult. Sie hatten noch keine Nutztiere, bestellten noch keine Felder, verwendeten noch keine Tongefäße. Doch sie brauten bereits Bier: Zwischen den Pfeilern fanden Archäologen wannenartige Steine, an denen Rückstände von Calciumoxalat klebte – Bierstein. Um die Tempelanlage herum wuchsen im günstigen Klima wilde Gerste, Einkorn und Emmer. Die reiche Ernte wurde dabei jedoch zunächst nicht etwa für Brot genutzt. Im Gegenteil: Heute ist sich die Forschung sicher, dass Bier lange vor Brot hergestellt wurde. Die Wuchsform der Wildkräuter eignete sich besser für Gerstenschleim und Bier. Bier war zudem nahrhafter als der Brei, und die Gärung tötete gefährliche Keime. Hinzu kam die berauschende Wirkung des Getränks – und mit ihm die Geselligkeit: Alkohol förderte das soziale Zusammenleben. Denn allein zu trinken war gefährlich. Wer allerdings in der Gruppe trank, war vor Fressfeinden recht sicher. Der Alkohol diente auch als Lockmittel: Um die Tempelanlage zu errichten, brauchten die Erbauer die Hilfe befreundeter Stämme. Als Dankeschön wurde bei religiösen Feiern reichlich Bier serviert. »Die Entdeckung der Gärung und die Verwendung von Bier im gesellschaftlichen und religiösen Leben führten wahrscheinlich zur Domestizierung von Getreide«, fassten Archäologen ihre Entdeckung 2012 in einer Studie zusammen. Erst das Bier, dann die Sesshaftwerdung. Bier blieb kein exklusives Getränk der Türken. Wenig später – vor etwa 9000 Jahren – genossen die Menschen auch in China ein Gläschen, wie Ausgrabungen in Jiahu zeigten. Statt Gerste wurden dort selbst gezüchteter Reis und Honig verwendet. Vor etwa 6000 Jahren schrieben die Babylonier ihre ersten Bierrezepte auf Tontafeln auf. Spätestens vor 5000 Jahren wurde auch im heutigen Iran und Israel Bier gebraut. Die Chinesen gehörten wohl zu den Ersten, die das Bierbrauen verfeinerten. Überließen die Steinzeitmenschen noch alles weitgehend dem Zufall, mälzten und fermentierten die chinesischen Bierbrauer bereits vor etwa 5000 Jahren recht gezielt, wie Ausgrabungen in der nordchinesischen Provinz Shaanxi belegen. Und in der Shang- Dynastie, vor etwa 3000 Jahren, stellten sie fest, dass Bier besser schmeckt, wenn es in den immer gleichen Gefäßen gebraut wird, da sich Hefen in den Spalten und Rissen einnisteten und so die zufälligen (und teils abenteuerlich schmeckenden) wilden Hefen aus der Luft ersetzten. Das wussten die Menschen damals freilich noch nicht – sie hielten die alkoholische Gärung je nach Glaube für Hexen- oder Götterwerk. Dennoch konnten die höheren Schichten so bereits zwischen Kräuterwein, Reis- und Hirsebier mit unterschiedlichem Alkoholgehalt wählen. Auch die alten Ägypter hatten eine beachtliche Bierauswahl zu bieten, etwa welches aus Einkorn, Emmer und Dinkelmalz, auf Datteln gelagert oder aus aufgeweichten Broten hergestellt, gewürzt mit Honig, Ingwer und Früchten, Lilie und Kürbis. Am Nil war Bier jedoch nicht nur Alltagsgetränk, die Ägypter verstanden den Drink mit der bewusstseinserweiternden Wirkung als Brücke zwischen dem Dies- und Jenseits. Bier hatte eine Göttin (Tjenenet), war Opfergabe und Teil ritueller Formeln. Pyramidenarbeiter wurden auch in Bier ausgezahlt. Die Verbindung von Alkohol und Göttern ist in fast allen Teilen der Welt zu beobachten. Zu einer höheren Macht zu beten war in der Frühzeit auch deshalb naheliegend, weil Brauen eine gefährliche Angelegenheit war. Frühe Braumeister arbeiteten wohl mit hölzernen Kesseln. Damit die beim Brauen nicht in Flammen aufgingen, erhitzten sie Steine in der Glut und legten sie als Heizkörper in die Maische. Netter Nebeneffekt: Ein Teil des Malzzuckers karamellisierte an den heißen Steinen und gab zusammen mit dem Ruß und den Mineralien des Gesteins Aroma ins Bier. Noch bis ins frühe 20. Jahrhundert war dieses »Steinbier« in Teilen Österreichs und Skandinaviens verbreitet. Schon bald spielte die Qualität eine Rolle – und deren Überprüfung. So finden sich im Codex Hammurapi, einer 3800 Jahre alten Sammlung babylonischer Rechtssätze, durchaus brachiale Methoden: Wer minderwertiges Bier teuer verkauft, wird getötet. Wer panscht, wird im eigenen Fass ertränkt. Die Babylonier schrieben damit das wohl älteste Biergesetz der Welt nieder – 3000 Jahre vor dem bayerischen Reinheitsgebot.