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zeitwissen_2020_05_full

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Das Bier ist einer der besten Freunde des Menschen,<br />

es geht mit ihm seit Jahrtausenden durch dick und dünn.<br />

Eine prickelnde Liebesgeschichte<br />

C<br />

ountdown für den SpaceX-<br />

Raumfrachter: »3 ... 2 ... 1 ...<br />

Zündung – Start!« Donnernd<br />

hebt am 5. Dezember<br />

2019 im US-amerikanischen<br />

Cape Canaveral die Rakete<br />

Dragon ab. An Bord hat sie: Versorgungsnachschub<br />

für die Crew der Internationalen<br />

Raumstation ISS, wissenschaftliche Experimente<br />

– und Zutaten zum Bierbrauen.<br />

Mit einer Mini-Mälzerei und einigen<br />

Körnern Gerste soll geklärt werden, ob das<br />

Getreide auch in der Schwerelosigkeit durch<br />

kontrolliertes Keimen zu einer Grundzutat<br />

von Bier werden kann, zu Malz.<br />

Bier im All? Das Experiment soll in die<br />

Zukunft weisen, ausschweifende Expeditionen<br />

auf dem Mars möglich machen, die<br />

Ernährung von Astronauten im Weltraum<br />

voranbringen. Kennt man die Geschichte<br />

des Biers, erscheint der Versuch im All nicht<br />

mehr ganz so absurd: Bier ist fast so alt wie<br />

der moderne Mensch selbst – kein Wunder,<br />

dass es nun auch im Zeitalter der interplanetaren<br />

Raumfahrt eine Rolle spielen wird.<br />

Zum ersten Mal wurde Bier wahrscheinlich<br />

in Vor der asien getrunken, im<br />

10. Jahrtausend vor Christus. Indizien dafür<br />

fanden Archäologen an der Ausgrabungsstätte<br />

Göbekli Tepe im Süden der heutigen<br />

Türkei. Dort stehen riesige T-förmige Pfeiler<br />

im Kreis und bilden die wohl älteste Gebetsstätte<br />

der Welt. Die Menschen, die das Heiligtum<br />

aufbauten, waren Jäger und Sammler,<br />

organisiert in einem lockeren Kult. Sie hatten<br />

noch keine Nutztiere, bestellten noch keine<br />

Felder, verwendeten noch keine Tongefäße.<br />

Doch sie brauten bereits Bier: Zwischen<br />

den Pfeilern fanden Archäologen wannenartige<br />

Steine, an denen Rückstände von<br />

Calciumoxalat klebte – Bierstein.<br />

Um die Tempelanlage herum wuchsen<br />

im günstigen Klima wilde Gerste, Einkorn<br />

und Emmer. Die reiche Ernte wurde dabei<br />

jedoch zunächst nicht etwa für Brot genutzt.<br />

Im Gegenteil: Heute ist sich die Forschung<br />

sicher, dass Bier lange vor Brot hergestellt<br />

wurde. Die Wuchsform der Wildkräuter<br />

eignete sich besser für Gerstenschleim und<br />

Bier. Bier war zudem nahrhafter als der Brei,<br />

und die Gärung tötete gefährliche Keime.<br />

Hinzu kam die berauschende Wirkung<br />

des Getränks – und mit ihm die Geselligkeit:<br />

Alkohol förderte das soziale Zusammenleben.<br />

Denn allein zu trinken war gefährlich. Wer<br />

allerdings in der Gruppe trank, war vor<br />

Fressfeinden recht sicher. Der Alkohol<br />

diente auch als Lockmittel: Um die Tempelanlage<br />

zu errichten, brauchten die Erbauer<br />

die Hilfe befreundeter Stämme. Als Dankeschön<br />

wurde bei religiösen Feiern reichlich<br />

Bier serviert. »Die Entdeckung der Gärung<br />

und die Verwendung von Bier im gesellschaftlichen<br />

und religiösen Leben führten<br />

wahrscheinlich zur Domestizierung von<br />

Getreide«, fassten Archäologen ihre Entdeckung<br />

2012 in einer Studie zusammen. Erst<br />

das Bier, dann die Sesshaftwerdung.<br />

Bier blieb kein exklusives Getränk der<br />

Türken. Wenig später – vor etwa 9000 Jahren<br />

– genossen die Menschen auch in China<br />

ein Gläschen, wie Ausgrabungen in Jiahu<br />

zeigten. Statt Gerste wurden dort selbst gezüchteter<br />

Reis und Honig verwendet. Vor<br />

etwa 6000 Jahren schrieben die Babylonier<br />

ihre ersten Bierrezepte auf Tontafeln auf.<br />

Spätestens vor 5000 Jahren wurde auch im<br />

heutigen Iran und Israel Bier gebraut.<br />

Die Chinesen gehörten wohl zu den<br />

Ersten, die das Bierbrauen verfeinerten.<br />

Überließen die Steinzeitmenschen noch alles<br />

weitgehend dem Zufall, mälzten und<br />

fermentierten die chinesischen Bierbrauer<br />

bereits vor etwa 5000 Jahren recht gezielt,<br />

wie Ausgrabungen in der nordchinesischen<br />

Provinz Shaanxi belegen. Und in der Shang-<br />

Dynastie, vor etwa 3000 Jahren, stellten sie<br />

fest, dass Bier besser schmeckt, wenn es in<br />

den immer gleichen Gefäßen gebraut wird,<br />

da sich Hefen in den Spalten und Rissen<br />

einnisteten und so die zufälligen (und teils<br />

abenteuerlich schmeckenden) wilden Hefen<br />

aus der Luft ersetzten. Das wussten die Menschen<br />

damals freilich noch nicht – sie hielten<br />

die alkoholische Gärung je nach Glaube für<br />

Hexen- oder Götterwerk. Dennoch konnten<br />

die höheren Schichten so bereits zwischen<br />

Kräuterwein, Reis- und Hirsebier mit unterschiedlichem<br />

Alkoholgehalt wählen.<br />

Auch die alten Ägypter hatten eine beachtliche<br />

Bierauswahl zu bieten, etwa welches<br />

aus Einkorn, Emmer und Dinkelmalz, auf<br />

Datteln gelagert oder aus aufgeweichten<br />

Broten hergestellt, gewürzt mit Honig, Ingwer<br />

und Früchten, Lilie und Kürbis. Am Nil<br />

war Bier jedoch nicht nur Alltagsgetränk,<br />

die Ägypter verstanden den Drink mit der<br />

bewusstseinserweiternden Wirkung als Brücke<br />

zwischen dem Dies- und Jenseits. Bier<br />

hatte eine Göttin (Tjenenet), war Opfergabe<br />

und Teil ritueller Formeln. Pyramidenarbeiter<br />

wurden auch in Bier ausgezahlt. Die<br />

Verbindung von Alkohol und Göttern ist in<br />

fast allen Teilen der Welt zu beobachten.<br />

Zu einer höheren Macht zu beten war<br />

in der Frühzeit auch deshalb naheliegend,<br />

weil Brauen eine gefährliche Angelegenheit<br />

war. Frühe Braumeister arbeiteten wohl mit<br />

hölzernen Kesseln. Damit die beim Brauen<br />

nicht in Flammen aufgingen, erhitzten sie<br />

Steine in der Glut und legten sie als Heizkörper<br />

in die Maische. Netter Nebeneffekt:<br />

Ein Teil des Malzzuckers karamellisierte an<br />

den heißen Steinen und gab zusammen mit<br />

dem Ruß und den Mineralien des Gesteins<br />

Aroma ins Bier. Noch bis ins frühe 20. Jahrhundert<br />

war dieses »Steinbier« in Teilen<br />

Österreichs und Skandinaviens verbreitet.<br />

Schon bald spielte die Qualität eine<br />

Rolle – und deren Überprüfung. So finden<br />

sich im Codex Hammurapi, einer 3800 Jahre<br />

alten Sammlung babylonischer Rechtssätze,<br />

durchaus brachiale Methoden: Wer minderwertiges<br />

Bier teuer verkauft, wird getötet.<br />

Wer panscht, wird im eigenen Fass ertränkt.<br />

Die Babylonier schrieben damit das wohl<br />

älteste Biergesetz der Welt nieder – 3000<br />

Jahre vor dem bayerischen Reinheitsgebot.

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