zeitwissen_2020_05_full
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In Europa trinken die Menschen seit<br />
mindestens 400 vor Christus Bier.<br />
Das belegt ein Zufallsfund: Bei<br />
Straßenbauarbeiten im englischen<br />
Cambridgeshire wurden Rückstände<br />
gerösteter Gerste entdeckt. Das damalige<br />
Getränk würde heute jedoch<br />
kaum als Bier durchgehen. Es war<br />
schaumiger, nur schwach alkoholisch<br />
– und mit weitaus mehr festen Bestandteilen.<br />
Der kalorienhaltige<br />
Trunk war gerade für die Stadtbevölkerung,<br />
die nur wenig Zugang zu<br />
sauberem Trinkwasser hatte, eine<br />
gesunde Alternative und Grundnahrungsmittel<br />
für Jung und Alt.<br />
Bei den Europäern hatte es das<br />
Bier allerdings erst schwer. Die antiken<br />
Griechen und Römer verstanden<br />
sich als kultivierte Weintrinker. Verächtlich<br />
schauten sie auf die jenseits<br />
der Alpen wohnenden »Barbaren«,<br />
die in germanischer Tradition dem<br />
»kulturlosen« Gerstensaft frönten.<br />
Doch welch Fehlschluss! Das Volk<br />
der Nubier, das im heutigen Sudan<br />
lebte, verwendete Bier bereits 400 nach<br />
Christus als eine Art Antibiotikum. Dabei<br />
machten sie sich das Bakterium Streptomyces<br />
zunutze, das im Getreide enthalten war, und<br />
heilten damit Zahnfleischerkrankungen<br />
und Knocheninfektionen.<br />
Nun, das Römische Reich ging unter,<br />
die Biertrinker blieben. Doch erst die Mönche<br />
und Nonnen brachten Ende des 1. Jahrtausends<br />
die Bierkultur voran. Sie verfeinerten<br />
das Bier, um es stärker und nahrhafter zu<br />
machen. Ihr Ziel: die harten Fastenregeln<br />
erträglicher machen – schließlich durften<br />
die Gläubigen während der Fastenzeit zwar<br />
nicht essen, aber durchaus trinken. Damals<br />
entstanden auch die ersten Hopfenfelder.<br />
Vorher wurde Bier mit Grut gewürzt, einer<br />
Kräutermischung aus Gagel, Wacholder,<br />
Kümmel, Heidekraut, Schafgarbe und anderen<br />
Kräutern. In Deutschland waren es<br />
Hamburgs Brauer, die als Erste Hopfen<br />
statt Grut ins Bier mischten. Es wurde dadurch<br />
länger haltbar und war für den Handel<br />
geeignet – wobei auf Qualität und<br />
Gerechtigkeit gleichermaßen geachtet wurde.<br />
Als Friedrich I. Barbarossa, der Kaiser des<br />
römisch-deutschen Reiches, um 1150 immer<br />
mehr Städten das Stadtrecht verlieh,<br />
lautete eine Rechtsverordnung: »Wenn ein<br />
Bierschenker schlechtes Bier macht oder ungerechtes<br />
Maß gibt, soll er gestraft werden.«<br />
Bier wurde vom Grundnahrungsmittel<br />
zum Exportschlager – und Hamburg zur<br />
Biermetropole Europas. 1374 brauten dortige<br />
Brauereien erstmals aus Gersten- und<br />
Weizenmalz ihr »Schiffsbier«, das Grundlage<br />
für das heutige Weizenbier ist. Hamburg<br />
exportierte es bis nach Russland, Indien und<br />
Skandinavien. Kaum zu glauben: Norddeutsche<br />
Biere hatten zu dieser Zeit einen<br />
weitaus besseren Ruf als die bayerischen.<br />
Erst einige Hungersnöte machten der<br />
Bierblüte ein Ende. Und brachten das bayerische<br />
Reinheitsgebot: Am 23. April 1516<br />
verabschiedeten die Herzöge Ludwig X. und<br />
Wilhelm IV. im oberbayerischen Ingolstadt<br />
eine Landesverordnung, dass »zu kainem<br />
Pier merer Stuckh dann allain Gersten<br />
Hopfen und Wasser genomen unnd<br />
gepraucht sölle werden«. Dahinter<br />
standen gleich mehrere Interessen:<br />
Zum einen wollten die Herzöge verhindern,<br />
dass zum Brotbacken taugliches<br />
Getreide für Bier verplempert<br />
wird. Nur niedere Gerste durfte fortan<br />
verwendet werden. Zum anderen<br />
spielte der Schutz vor Panschern und<br />
die Sicherung der Qualität eine Rolle.<br />
Und zuletzt ging es den Herzögen<br />
um wirtschaftliche Interessen: Sie<br />
setzten für das Bier einen Preis fest<br />
und schützten ihre Brauer ganz nebenbei<br />
vor der norddeutschen Konkurrenz,<br />
die Kräuter in das Bier<br />
mischte, welche in Bayern nicht<br />
wuchsen. Denn auch Mitte des 16.<br />
Jahrhunderts noch hatte die Hansestadt<br />
beim Bierbrauen die Nase vorn.<br />
Mehr als 500 Brauereien zählte die<br />
Stadt, 60 Prozent ihres Außenhandels<br />
beruhten auf dem Bierexport.<br />
Doch das bayerische Reinheitsgebot<br />
(das damals noch nicht so hieß) hatte<br />
nicht lange Bestand. 1548 erwarb<br />
Freiherr von Degenberg das Privileg, auch<br />
aus Weizen Bier herzustellen – das Weizenbiermonopol<br />
hielt fast 250 Jahre an und<br />
war äußerst profitabel. Ohnehin weichten<br />
die bayerischen Landesherren den Erlass<br />
bereits 1551 wieder auf. Fortan durften<br />
auch Koriander und Lorbeer ins Bier, später<br />
auch Kümmel, Wacholder und Salz. Getrieben<br />
waren die Gesetzesvorschriften im<br />
römisch-deutschen Kaiserreich von Steuereinnahmen:<br />
Vor allem im Spätmittelalter<br />
wurde viel Bier konsumiert, und Biergeld<br />
war eine der wichtigsten Einnahmequellen.<br />
Und so gab es bald innerhalb Deutschlands<br />
eine große Biervielfalt. Der Geograf<br />
Johann Gottfried Gregorii beschrieb 1744<br />
die 35 bekanntesten deutschen Biersorten,<br />
darunter Duckstein, Kastrum, Gose oder<br />
Schluntz. Am weitesten verbreitet war zu<br />
dieser Zeit ein Bierstil, der heute auch »Ale«<br />
heißt, ein obergäriges Bier. Wenn sich obergärige<br />
Hefen teilen, bleiben sie im Verbund<br />
kleben und schwimmen mit der entstehenden<br />
Kohlensäure an die Oberfläche, daher<br />
Im Mittelalter hatten norddeutsche Biere einen besseren Ruf als die<br />
bayerischen. Also ersannen die Herzöge dort ein Gebot, das ihnen half<br />
Fotos Christopher T. Stein / Getty Images; Westend61 / Getty Images