zeitwissen_2020_05_full
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»DAS BIER ZERGEHT WORTWÖRTLICH IM MUND«<br />
Elisa Raus gewann als erste Frau überhaupt die Weltmeisterschaft der<br />
Biersommeliers in Italien. Fünf Fragen für angehende Bierkenner<br />
Frau Raus, es ist schön, dass es eine so große Biervielfalt<br />
gibt. Der Nachteil: Man verliert leicht den<br />
Überblick. Was sind die wichtigsten Unterschiede?<br />
Es gibt weltweit um die 150 Bierstile. Manche sind<br />
sehr hopfenbetont und herb, etwa Pils oder Indian<br />
Pale Ale (IPA), das gerade sehr populär ist. Andere<br />
sind malzbetont, da zählen Porter- oder Stoutbiere<br />
dazu. Man unterscheidet außerdem ober- und untergärige<br />
Biere, da werden beim Brauen unterschiedliche<br />
Hefearten benutzt. Hefe wandelt ja den Zucker in<br />
Alkohol und Kohlensäure um, und obergärige Hefe<br />
produziert als Nebenprodukt sogenannte Ester, die<br />
einen fruchtigen Geschmack geben, etwa Bananenund<br />
Nelkennoten bei Weizenbier. Untergärige Hefen<br />
bringen hingegen nicht so viel Aroma ins Bier. Da<br />
sind eher die anderen Rohstoffe für den Geschmack<br />
verantwortlich: beim Pils der Hopfen, bei Lagerbieren<br />
oft eine Kombination aus Malz und Hopfen. Natürlich<br />
können auch untergärige Biere fruchtig sein, aber das<br />
kommt dann oft aus dem Hopfen. Es ist ein bisschen<br />
vertrackt – ein buntes Zusammenspiel aus Rohstoffen.<br />
Welches Bier empfehlen Sie für den Sommer?<br />
Zum Sommer passen leichtere Biere. Das Weizenbier<br />
ist natürlich ein Klassiker mit seiner Fruchtigkeit und<br />
Frische. Wer das mag, dem rate ich, belgisches Witbier<br />
auszuprobieren. Auch da spielen Weizen und<br />
fruchtige Hefe eine Rolle, dazu kommen Gewürze wie<br />
Koriander und Orangenschalen. Auch Sauerbiere, die<br />
durch Milchsäurebakterien oder wilde Hefen Säurenoten<br />
entwickeln, passen zum Sommer. Sie sind<br />
frisch, spritzig, mit einer leichten Säure und trocken<br />
im Geschmack. Und sie löschen hervorragend den<br />
Durst. Es kommt aber auch darauf an, zu was das Bier<br />
gereicht wird: Zu Pils passen leichte und schärfere<br />
Speisen, helles Fleisch oder Fisch. Zu einem Steak<br />
würde ich hingegen kräftigeres Bier reichen, mit einem<br />
stärkeren Malzkörper und mehr Alkohol. Die beiden<br />
Partner – Speise und Bier – sollten gleichberechtigt<br />
sein und die gegenseitigen Aromen hervorheben.<br />
Wo sollte man Bier lagern?<br />
Der Balkon ist fast die schlimmste Lagerstätte. Die<br />
Feinde eines jeden Bieres sind Wärme und Sonnenlicht.<br />
Sie lassen das Bier schneller altern und schaffen<br />
Aromen, die nicht hineingehören. Bier sollte am besten<br />
dunkel gelagert sein, in einer Kammer oder im Keller<br />
mit konstanter Temperatur – um die zehn Grad wäre<br />
ideal. Im Kühlschrank ist es oft zu kalt zum Trinken.<br />
Viele Aromen entwickeln sich erst bei Raumtemperatur.<br />
Aber der Klassiker ist ja, Bier im Tiefkühlfach<br />
herunterzukühlen, wenn sich spontan Gäste ankündigen.<br />
Davon rate ich ab: Der große Temperaturabsturz<br />
kann zu einer Kältetrübung führen, außerdem leidet<br />
das Aroma. Wie beim Wein gilt auch beim Bier: Nur<br />
eine konstante Temperatur sichert konstante Qualität.<br />
Flasche oder Glas?<br />
Immer aus dem Glas! Denn die kleine Flaschenöffnung<br />
schränkt die Sinne ein. Im Glas dagegen kann sich<br />
der Geruch viel besser entfalten. Auch der leichte<br />
Hefesatz, der sich etwa bei Weizenbier am Flaschenboden<br />
absetzt, verteilt sich im Glas gleichmäßiger. Da<br />
schmeckt man das volle Aroma schon beim allerersten<br />
Schluck. Im Glas trifft die Flüssigkeit auch viel früher<br />
auf die Zungenspitze, das Bier zergeht wortwörtlich<br />
im Mund. Dabei gibt es quasi für jedes Bier das passende<br />
Glas. Der Einfachheit halber empfehle ich aber,<br />
zum Weinglas zu greifen. In dem bauchigen Glas<br />
sieht man toll die Farbe, und der Schaum kann sich<br />
vernünftig entwickeln. Man kann die Nase tief ins<br />
Glas hineinhalten. Und Weingläser sind schön dünnwandig:<br />
Die Flüssigkeit läuft wirklich komplett die<br />
Zunge entlang. Bierhumpen haben natürlich auch<br />
ihre Vorteile, gerade im Sommer: In dem dicken<br />
Glas bleibt das Bier länger kühl. Aber für den Genuss<br />
ist das Weinglas besser.<br />
Wie schenkt man ein perfektes Bier ein?<br />
Das Glas sollte zunächst wirklich sauber sein – Fett<br />
killt jede Schaumkrone. Dann das Glas im 45-Grad-<br />
Winkel halten und das Bier sachte einfließen lassen.<br />
Gegen Ende das Glas langsam wieder aufrichten,<br />
damit eine Schaumkrone entsteht. Der Schaum hat<br />
dann eine größere Oberfläche, die einzelnen Bläschen<br />
platzen auf, und die Aromen treten deutlicher<br />
hervor, das Bier bleibt auch länger frisch. Und, ganz<br />
wichtig – ob aus der Flasche oder dem Zapfhahn:<br />
beides nicht in die Flüssigkeit reinhalten! Denn das<br />
birgt die Gefahr von Verunreinigungen.