KOMM 1/2024
KOMM ist das Mitgliedermagazin der Bundesfachgruppe Informations- und Kommunikationstechnologie (IKT) in der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft ver.di
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<strong>KOMM</strong><br />
01/<strong>2024</strong>WWW.TK-IT.VERDI.DE<br />
TARIFRUNDE TELEKOM<br />
Forderungsdiskussion gestartet<br />
Foto: Manfred Geneschen<br />
ver.di-Tarifkommission für den Telekom-Konzern<br />
hat ein neues Konzept<br />
für die Tarifrunde entwickelt. Mitglieder<br />
und Beschäftigte sollen stärker<br />
beteiligt werden.<br />
Im November hatte die ver.di-Tarifkommission<br />
beschlossen, alle Entgelttarifverträge<br />
im Konzern Deutsche Telekom zu kündigen.<br />
Daneben wurde ein neues Vorgehen<br />
verabschiedet, um die ver.di-Mitglieder<br />
besser in die Forderungsfindung zur anstehenden<br />
Tarifrunde einzubeziehen.<br />
Belastung weiter hoch<br />
Die allgemeine wirtschaftliche Situation<br />
in Deutschland wird sich laut den Prognosen<br />
der Wirtschaftsinstitute nach einer<br />
leichten Rezession in 2023 in diesem Jahr<br />
erholen und in ein leichtes Wachstum<br />
umschwenken. Einer der wichtigsten Treiber<br />
des Wachstums soll demnach der private<br />
Konsum sein. Die Privathaushalte<br />
sind nach der starken Preisentwicklung in<br />
den vergangenen beiden Jahren jedoch<br />
enorm belastet. Eine starke Kaufkraftsteigerung<br />
ist nötig.<br />
Robuster Arbeitsmarkt<br />
Der Arbeitsmarkt ist robust, die Anzahl<br />
der Arbeitslosen auf niedrigem Niveau<br />
und viele Unternehmen haben mit Fachkräftemangel<br />
zu kämpfen. Die Erwartungen<br />
zur Geschäftsentwicklung in der<br />
IKT-Branche sind von Unsicherheiten geprägt,<br />
die tatsächliche Geschäftslage ist<br />
allerdings weiterhin gut und auf deutlich<br />
höherem Niveau als die der Gesamtwirtschaft.<br />
Gute Geschäftszahlen<br />
Die Deutsche Telekom AG konnte in ihrem<br />
Quartalsbericht im November gute<br />
Zahlen verkünden. Sie wächst weiterhin<br />
bei allen wichtigen Kennzahlen, erhöht<br />
ihre Ziele für das Gesamtjahr und stellt<br />
eine höhere Dividende in Aussicht. Im<br />
dritten Quartal sei der Umsatz gegenüber<br />
dem Vorjahreszeitraum – ohne den Einfluss<br />
von Veränderungen der Wechselkurse<br />
und des Konsolidierungskreises –<br />
um 0,7 Prozent auf 27,6 Milliarden Euro<br />
gewachsen. Hierzu hätten die Geschäfte<br />
auf beiden Seiten des Atlantiks beigetragen.<br />
„Die Telekom wächst in unsicheren<br />
Zeiten auf beiden Seiten des Atlantiks ungebremst<br />
weiter“, sagte Tim Höttges,<br />
Vorstandsvorsitzender der Deutschen<br />
Telekom. „Durch eine höhere Dividende<br />
wollen wir unsere Aktionärinnen und<br />
Aktionäre an dieser positiven Entwicklung<br />
beteiligen.“ Für ver.di steht fest: Zuerst<br />
müssen die Beschäftigten, die die guten<br />
Ergebnisse erarbeitet haben, davon profitieren.<br />
Weiter auf der Seite 4
2<br />
INHALT<br />
2 Branchenpolitik<br />
Umfassender Blick auf die<br />
Branche<br />
3 Editorial<br />
Diese Ausgabe ...<br />
ver.di<br />
Deutliches Mitgliederplus<br />
4 Tarifrunde Telekom<br />
Virtuelle Auftaktkonferenz<br />
5 ISS Communication<br />
Services<br />
6/7 IBM<br />
Es geht los!<br />
Für eine zukunftsfeste IBM<br />
7 Bundesweite<br />
JAV-Konferenz<br />
22. bis 24. Mai in Göttingen<br />
BRANCHENPOLITIK<br />
Umfassender Blick auf die Branche<br />
Die Branchenstudie Telekommunikation<br />
der Input-Consulting schafft einen Überblick<br />
über die wirtschaftlichen Facetten<br />
der Branche.<br />
Die Studie geht auf folgende Bereiche<br />
ein: Technologienentwicklung, politische<br />
und rechtliche Rahmenbedingungen,<br />
Struktur und ökonomische Entwicklung<br />
der Branche, eine Darstellung der vier<br />
marktbeherrschenden Telekommunikationskonzerne<br />
und von sieben kleineren<br />
Unternehmen sowie eine Analyse der Arbeits-<br />
und Beschäftigungssituation. Sie<br />
bietet einen umfassenden Ein- und Überblick<br />
in die Branche, den man sonst nirgendwo<br />
findet.<br />
Downloadlink:<br />
https://kurzelinks.de/iik0<br />
8/9 Branchenpolitik<br />
Viertes Netz am Start<br />
9 1&1<br />
Betriebsrat in Montabaur<br />
gewählt<br />
10 Mitbestimmung<br />
Betriebsräteforum blickt<br />
in die Zukunft<br />
11 International<br />
Sindikat Telekoma:<br />
Erfolgreicher Streik gibt<br />
Rückenwind<br />
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Foto: ©Jacob Lund – stock.adobe.com<br />
12/13 Frauen<br />
Ohne Angst leben<br />
Interview: Hinschauen<br />
ist das Wichtigste<br />
14/15 Beamt*innen<br />
Streikverbot kein Verstoß<br />
gegen Menschenrechte<br />
15 Beihilfe<br />
Einkommensgrenze erhöht<br />
16 Jugend<br />
Europa: sozial, solidarisch,<br />
stark<br />
IMPRESSUM<br />
<strong>KOMM</strong> Nr. 1/<strong>2024</strong><br />
24. Jahrgang<br />
Herausgeber: Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft Bundes vorstand: Frank Werneke<br />
Christoph Schmitz, Fachgruppe Informations- und Kommunikationstechnologie (IKT)<br />
Paula-Thiede-Ufer 10, 10179 Berlin, Telefon: 030 6956-0 Internet: https://ikt.verdi.de<br />
Erscheinungsweise: 8 Ausgaben pro Jahr<br />
Redaktion: Jessica Sauerwald, Silke Leuckfeld (sil) E-Mail: redaktion.komm@verdi.de<br />
Layout: datagraphis GmbH, Wiesbaden-Nordenstadt Internet: https://datagraphis.de<br />
Gedruckt auf GraphoSilk FSC® 80g/m 2<br />
Druck: Schaffrath DruckMedien GmbH Auflage: 77 920<br />
Anzeigen und Beilagen: Jessica Sauerwald<br />
Telefon: 030 6956-2442<br />
E-Mail: redaktion.komm@verdi.de<br />
Redaktionsschluss nächste Ausgabe: 8. März <strong>2024</strong>
3<br />
<strong>KOMM</strong> 01/<strong>2024</strong><br />
EDITORIAL<br />
Diese Ausgabe ...<br />
... wirft auf dem Titel einen Blick auf die Vorbereitungen der großen Tarifrunde im<br />
Konzern Deutsche Telekom. In den Betrieben und ver.di-Gremien werden aktuell<br />
die Forderungen an die Arbeitgeberin diskutiert. Unsere Bitte: Beteiligt euch, bringt<br />
eure Ideen und Vorstellungen ein. Eure klugen Köpfe sind gefragt. Im März wird<br />
die große Tarifkommission die Forderungen formulieren und beschließen.<br />
Die Tarifrunde Telekom ist das große betriebliche Thema der ver.di-Fachgruppe IKT<br />
in diesem Jahr. Gesamtgesellschaftlich sind die anstehenden Wahlen in den Bundesländern<br />
und zum Europäischen Parlament von Bedeutung. Die DGB-Jugend hat<br />
ihre Forderungen zur Europawahl bereits beschlossen. Wir stellen sie euch auf der<br />
Rückseite des Hefts vor.<br />
Wenige Tage bevor dieses Heft gedruckt wurde, demonstrierten Hunderttausende<br />
in vielen deutschen Städten gegen die AfD und ihren Schulterschluss mit noch<br />
rechteren Gruppierungen bei dem geheimen Treffen in Potsdam, das dank engagierter<br />
Journalist*innen von correctiv nicht geheim blieb. Dort wurde von der geplanten<br />
Deportation von Menschen nach Afrika fantasiert. Es ging um die „Remigration“<br />
von Asylbewerber*innen, Ausländer*innen mit Bleiberecht und von ihnen als<br />
„nicht assimilierte Staatsbürger“ Betitelte. Aber auch Bürger*innen, die sich für<br />
Geflüchtete einsetzen, sollten ausgewiesen werden. Unter dem Strich wären also<br />
viele von uns betroffen, sollten diese Kräfte an die Regierung kommen. Und selbst<br />
wer dann nicht „remigriert“ würde, hätte zu leiden. Denn ein Wahlsieg der AfD<br />
würde Deutschland auch viel Wohlstand kosten. Darauf werden wir in den nächsten<br />
<strong>KOMM</strong>-Ausgaben noch genauer eingehen. Die <strong>KOMM</strong>-Redaktion<br />
https://correctiv.org<br />
www.mitgliedwerden.verdi.de<br />
TERMINE DER BETRIEBSGRUPPEN<br />
Foto: geralt/pixabay<br />
Sie sind online zu finden unter:<br />
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VER.DI<br />
Deutliches Mitgliederplus<br />
Noch nie hat ver.di so viele Mitglieder<br />
gewinnen können wie im zurückliegenden<br />
Jahr. Vor allem in<br />
Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen<br />
sowie unter den jungen Mitgliedern<br />
sind wir gewachsen.<br />
ver.di blickt auf ihr bislang erfolgreichstes<br />
Jahr seit ihrer Gründung 2001 zurück. Im<br />
zurückliegenden Jahr 2023 sind unserer<br />
Gewerkschaft mehr als 193 000 neue<br />
Mitglieder beigetreten. Dem stehen<br />
knapp unter 153 000 Abgänge gegenüber.<br />
So verbleibt ein Nettozuwachs<br />
an Mitgliedern von<br />
rund 40 000 neuen Kolleginnen<br />
und Kollegen. Insgesamt<br />
hat ver.di damit aktuell nahezu<br />
1,9 Millionen Mitglieder.<br />
Besonders groß war im letzten Jahr mit<br />
gut 50 500 Menschen der Zulauf unter<br />
unseren Jugendmitgliedern. Zu ihnen zählen<br />
alle Mitglieder, die jünger als 28 Jahre<br />
sind. „ver.di kommt bei jungen Menschen<br />
überdurchschnittlich gut an. Das ist eine<br />
gute Nachricht für die kommenden Jahre“,<br />
sagt der ver.di-Vorsitzende Frank Werneke.<br />
Der Anteil der Jugend an der Gesamtmitgliedschaft<br />
beträgt erstmals<br />
knapp 6,5 Prozent.<br />
Sachsen, Sachsen-Anhalt, Thüringen<br />
setzen Maßstäbe<br />
Unter den ver.di-Landesbezirken konnte<br />
der Landesbezirk Sachsen, Sachsen-Anhalt,<br />
Thüringen die beste Mitgliederentwicklung<br />
verzeichnen. Mit einem Plus von<br />
3,23 Prozent habe der Landesbezirk Maßstäbe<br />
gesetzt. „Das zeigt, dass allen Unkenrufen<br />
zum Trotz gewerkschaftliches<br />
Engagement und Solidarität im Osten<br />
„ver.di kommt bei jungen Menschen<br />
überdurchschnittlich gut an. Das ist eine<br />
gute Nachricht für die kommenden Jahre.“<br />
Frank Werneke, ver.di-Vorsitzender<br />
quicklebendig sind. Das ist die notwendige<br />
Antwort auf das Anwachsen antidemokratischer<br />
Kräfte“, betont Werneke.<br />
Eine vergleichbar positive Mitgliederentwicklung<br />
hat es zuletzt Mitte der<br />
Achtzigerjahre gegeben, als die Gewerkschaften<br />
für die 35-Stunden-Woche stritten.<br />
Eine entscheidende Rolle bei der<br />
jetzigen Mitgliedergewinnung haben die<br />
großen und vor allem erfolgreichen Tarifrunden<br />
wie etwa bei der Deutschen Post,<br />
im öffentlichen Dienst von Bund und<br />
Kommunen oder bei den Ländern gespielt.<br />
„Mit intensiver Mobilisierungsarbeit<br />
ist es in einem von hohen Inflationsraten<br />
geprägten Umfeld gelungen,<br />
die Beschäftigten zu motivieren, für höhere<br />
Löhne und bessere Arbeitsbedingungen<br />
zu kämpfen. Dabei konnten Abschlüsse<br />
durchgesetzt werden, mit denen<br />
die Preissteigerungen für Energie und<br />
Lebensmittel insbesondere durch überdurchschnittliche<br />
Lohnerhöhungen<br />
in unteren Entgeltgruppen erfolgreich<br />
aufgefangen werden konnten“,<br />
betonte Werneke.<br />
Es sind die wirtschaftliche Situation<br />
und der wachsende Fach- und<br />
Arbeitskräftemangel, die dafür sorgen,<br />
dass die Beschäftigten zunehmend ihre<br />
Zurückhaltung aufgeben und bereit sind,<br />
für ihre Forderungen einzutreten. Das<br />
zeigt sich aktuell auch in der großen Zahl<br />
von Eintritten während der seit Monaten<br />
laufenden Tarifrunde im Einzel-, Groß- und<br />
Außenhandel. Das heißt auch: ver.di<br />
wächst weiter.
4<br />
TARIFRUNDE TELEKOM<br />
Virtuelle Auftaktkonferenz<br />
Zum Start der Forderungsdiskussion<br />
hatte die ver.di-Bundesfachgruppe<br />
IKT am 8. Januar alle Tarifbotschafter*innen<br />
im Telekom-Konzern zu einer<br />
virtuellen Auftaktkonferenz eingeladen.<br />
Zusätzlich fanden regionale<br />
Tarifkonferenzen in den ver.di-Landesbezirken<br />
mit den Tarifbotschafter*innen<br />
und ver.di-Vertrauensleuten<br />
statt.<br />
ver.di-Bundesfachbereichsleiter Christoph<br />
Schmitz, ver.di-Verhandlungsführer Frank<br />
Sauerland, Dierk Hirschel, ver.di-Chefökonom,<br />
und ver.di-Bundesfachgruppenleiter<br />
Florian Haggenmiller gingen in der virtuellen<br />
Konferenz auf die Rahmenbedingungen<br />
zur Tarifrunde, den Prozess der<br />
Forderungsdiskussion und die inhaltliche<br />
Ausrichtung der Tarifrunde <strong>2024</strong> ein.<br />
Im tarifpolitischen Umfeld waren in<br />
2023 deutlich höhere Forderungen und<br />
Abschlüsse zu beobachten als noch in<br />
2022. Dies gilt insbesondere im öffentlichen<br />
Dienst, in Unternehmen der Energiewirtschaft<br />
und bei der Deutschen Post<br />
AG.<br />
Tariferfolge<br />
Die guten Tarifabschlüsse im Telekom-<br />
Konzern haben in den vergangenen Jahren<br />
für Arbeitnehmer*innen wie auch für<br />
Auszubildende und Dual Studierende zu<br />
einer kontinuierlichen Reallohnsteigerung<br />
der Tarifentgelte geführt. Zu berücksichtigen<br />
ist jedoch, dass die starken Preissteigerungen<br />
der Jahre 2022 und 2023 auch<br />
die Reallöhne der Beschäftigten im Telekom-Konzern<br />
belastet haben.<br />
Tarifverträge gekündigt<br />
Bereits die ver.di-Beschäftigtenbefragung<br />
im Herbst 2023 hat ergeben, dass der<br />
Fokus der kommenden Tarifrunde auf<br />
einer deutlichen Entgelterhöhung liegen<br />
muss.<br />
Mit der Kündigung aller Entgelttarifverträge<br />
hat die ver.di-Tarifkommission<br />
ein klares Signal an die Arbeitgeber*innen<br />
gesandt. Die Tarifrunde <strong>2024</strong> soll in<br />
gemeinsamen Verhandlungen für alle<br />
Konzerngesellschaften stattfinden.<br />
Forderungsdiskussion<br />
Die Forderungsdiskussion findet bis Ende<br />
Februar <strong>2024</strong> gleichermaßen in allen<br />
Konzerngesellschaften und beteiligungsorientiert<br />
statt. Hierzu werden die Tarifbotschafter*innen<br />
auf die Kolleginnen<br />
und Kollegen in den Betrieben zugehen<br />
und sie zur Forderungsfindung interviewen.<br />
Die Ergebnisse der Forderungsinterviews<br />
werden dokumentiert und zusammengefasst.<br />
Das daraus entstandene<br />
Meinungsbild wird die ver.di-Tarifkommission<br />
in ihrer Sitzung am 14./15. März<br />
analysieren und die Forderungen zur<br />
Tarifrunde <strong>2024</strong> beschließen. Die Verhandlungen<br />
sollten bereits im März beginnen.<br />
Jetzt mitdiskutieren und<br />
mitentscheiden!<br />
Erfolgreiche Tarifpolitik lebt von einer<br />
breiten Einbeziehung der Beschäftigten,<br />
Dual Studierenden und Auszubildenden.<br />
Mit der Ausrichtung der Tarifrunde <strong>2024</strong><br />
auf den gesamten Konzern Deutsche<br />
Telekom AG will ver.di die gemeinsamen<br />
Interessen der Beschäftigten aller Konzerngesellschaften<br />
zusammenfassen und<br />
der Aufgliederung in verschiedene Tarifbereiche<br />
mit Geschlossenheit und Einigkeit<br />
begegnen.<br />
Erfolgreiche Tarifpolitik erfordert gleichermaßen<br />
eine breite Aktivität aller Kolleginnen<br />
und Kollegen im Konzern. Unsere<br />
Tarifbotschafter*innen tragen die<br />
Forderungsdiskussion in den kommenden<br />
Wochen in alle Gesellschaften des<br />
Konzerns. Je mehr Kolleginnen und Kollegen<br />
sich an der Forderungsfindung beteiligen<br />
und je mehr Beschäftigte sich an<br />
ihrer Durchsetzung beteiligen, umso erfolgreicher<br />
wird die Tarifrunde <strong>2024</strong> im<br />
Telekom-Konzern.<br />
ver.di-Infos zur Tarifrunde:<br />
www.trt.verdi.de<br />
Foto: ver.di
5 <strong>KOMM</strong> 01/<strong>2024</strong><br />
ISS COMMUNICATION SERVICES<br />
Foto: ver.di<br />
ES GEHT LOS!<br />
Am 12. Januar <strong>2024</strong> fand die erste<br />
Verhandlung für die Beschäftigten<br />
der ISS Communication Services in<br />
der Tarifrunde <strong>2024</strong> in Düsseldorf<br />
statt. ver.di hat die Forderungen vorgestellt<br />
und umfangreich begründet.<br />
Die ver.di-Verhandlungskommission hat<br />
bei diesem ersten Termin erläutert, dass<br />
die Reallöhne der Beschäftigten in den<br />
vergangenen Jahren gesunken sind. Der<br />
neuerlich prognostizierten Inflation muss<br />
in dieser Tarifrunde Rechnung getragen<br />
werden. Dazu kommt eine gestiegene<br />
Produktivität bei gleichzeitig sinkenden<br />
Beschäftigtenzahlen. Mit ihrem hohen<br />
Einsatz haben die Beschäftigten den<br />
Unternehmenserfolg erarbeitet.<br />
Beschäftigte stehen hinter<br />
der Forderung<br />
Im Dezember hat die ver.di-Tarifkommission<br />
Unterschriften unter den Beschäftigten<br />
zur Unterstützung der Forderung<br />
gesammelt. Trotz der Feiertage haben<br />
sich 1000 Beschäftigte an der Sammlung<br />
beteiligt und damit gezeigt, dass sie hinter<br />
den Forderungen stehen. Zum ersten<br />
Verhandlungstermin überreichte ver.di-<br />
Verhandlungsführerin Dorothea Forch<br />
den Arbeitgebern die gesammelten Unterschriften<br />
(Foto).<br />
Die ver.di-Forderungen<br />
„In dieser Tarifrunde muss ein deutlicher<br />
Ausgleich für die Leistung der Beschäftigten<br />
und ihren Beitrag für die positive<br />
Entwicklung des Unternehmens erfolgen“,<br />
betonte Dorothea Forch. Die<br />
ver.di-Tarifkommission hatte bereits Mitte<br />
November die ver.di-Forderungen beschlossen:<br />
Die Einkommen und Ausbildungsvergütungen<br />
sollen tabellenwirksam<br />
um zwölf Prozent steigen. Zusätzlich<br />
sollen die Beschäftigten eine Zulage<br />
von 40 Euro für die Altersvorsorge erhalten.<br />
ver.di fordert, dass ver.di-Mitglieder<br />
eine besondere Komponente bekommen.<br />
Zudem sollen die Auszubildenden<br />
besonders berücksichtigt werden.<br />
Die Forderungen gelten für alle Beschäftigten,<br />
die unter den Geltungsbereich<br />
des Manteltarifvertrags oder derzeit<br />
den Geltungsbereich des Tarifvertrags<br />
Gewerbliche Arbeitnehmer*innen<br />
fallen sowie für Auszubildende und Dual<br />
Studierende in der ISS Communication<br />
Services GmbH. Der neue Tarifvertrag<br />
soll eine Laufzeit von zwölf Monaten ab<br />
dem 1. Januar <strong>2024</strong> haben.<br />
Sicht der Arbeitgeber<br />
Die Arbeitgeber*innen haben in der ersten<br />
Runde die ver.di-Forderungen und<br />
Begründungen entgegengenommen sowie<br />
eine erste Einschätzung vorgenommen.<br />
Sie bezeichneten die Darstellung<br />
der Forderung als nachvollziehbar,<br />
schränkten jedoch gleichzeitig ein, dass<br />
man anders auf die Zahlen schaue. Allerdings<br />
solle die Leistung der Beschäftigten<br />
wertgeschätzt werden, stellten sie<br />
heraus.<br />
Wie erwartet gingen die Arbeitgeber*innen<br />
auf keine ver.di-Forderung<br />
verbindlich ein, signalisierten jedoch in<br />
allen Punkten Gesprächsbereitschaft. Die<br />
Bewertung der einzelnen Forderungen<br />
stehe immer im Blick eines Gesamtpaketes,<br />
teilten sie mit.<br />
Wie geht es weiter?<br />
Für die nächste Verhandlungsrunde hat<br />
die Arbeitgeberseite zugesagt, zu den<br />
einzelnen Forderungen Stellung zu beziehen.<br />
Die ver.di-Verhandlungskommission<br />
hat deutlich gemacht, dass sie ein<br />
erstes verhandlungsfähiges Angebot erwartet.<br />
Die nächste Verhandlungsrunde fand am<br />
25. und 26. Januar (nach <strong>KOMM</strong>-Redaktionsschluss)<br />
in Düsseldorf statt. SIL<br />
Wir informieren über den aktuellen<br />
Stand auf unserer Internetseite:<br />
www.iss.verdi.de
6<br />
IBM<br />
Für eine<br />
zukunftsfeste<br />
Foto: ver.di<br />
Die ver.di-Verhandlungskommission (v. l.): Stephan Hiller (IBM D R&D GmbH), Bernd Klinkenberg (IBM D FMS GmbH),<br />
Frank Remers (IBM D GmbH), Dorothea Katharina Ritter (ver.di-Verhandlungsführerin), Dirk Wandtke<br />
(IBM D CSS GmbH), Felix Kaltenbach (IBM-Jugendvertreter in der Verhandlungskommission)<br />
Anfang Dezember endeten in Sindelfingen die Verhandlungen für alle tarifgebundenen<br />
IBM-Gesellschaften erfolgreich. Für ver.di und die aktive Belegschaft<br />
stand die sogenannte „Herbstrunde“ dieses Jahr ganz unter dem<br />
Motto generationenübergreifende Arbeitgeberattraktivität.<br />
Dorothea Katharina Ritter, ver.di-Verhandlungsführerin<br />
und ver.di-Konzernbetreuerin<br />
bei IBM, bewertet das Ergebnis<br />
positiv: „Es ist uns gelungen, die tariflichen<br />
Standards bei IBM auch für <strong>2024</strong><br />
fortzuschreiben. Das an sich werten wir<br />
angesichts des hohen wirtschaftlichen<br />
Drucks als Erfolg.“ Tatsächlich drohten<br />
sämtliche bestehenden Regelungen zur<br />
Altersteilzeit, zur pauschalen Mehrarbeit,<br />
zu den Ausbildungs- und Studienplätzen<br />
sowie zum Gesundheitsbudget zum Ende<br />
des Jahres auszulaufen. „Dennoch“, so<br />
Dorothea Katharina Ritter weiter, „sehen<br />
wir beim Thema generationenübergreifende<br />
Arbeitgeberattraktivität für die Zukunft<br />
noch Luft nach oben. Hier kommt<br />
es auf die Beschäftigten und eine starke<br />
ver.di-Mitgliedschaft an.“<br />
Zukunft nur durch Ausbildung<br />
Felix Kaltenbach, Jugendvertreter in der<br />
Verhandlungs- und Tarifkommission, zeigt<br />
sich zufrieden mit dem Erreichten: „Wir<br />
begrüßen es sehr, dass IBM mit unserer<br />
neuen Vereinbarung zur Nachwuchskräftegewinnung<br />
die Auszubildenden aufwertet.“<br />
Einhundert Plätze für Auszubildende,<br />
Master- und Dual Studierende wurden mit<br />
ver.di fest vereinbart. IBM habe im vergangenen<br />
Jahr alle vereinbarten Auszubildenden-<br />
und Studierendenplätze besetzen<br />
können. „Das ist ein super gemeinsamer<br />
Tariferfolg für uns. Wir wollen, dass<br />
es auch diesmal gelingt und es in der<br />
Zukunft auch noch mehr Plätze werden.<br />
Denn wir sind die Zukunft, die IBM<br />
braucht“, betont Felix Kaltenbach.<br />
Markt leer gefegt<br />
Dorothea Katharina Ritter erklärt: „IBM<br />
befindet sich in einem wettbewerbsintensiven<br />
Umfeld im hiesigen Arbeitsmarkt.<br />
Daher wollen wir gute Bedingungen<br />
schaffen für Menschen, die sich für IBM<br />
als Arbeitgeber entscheiden.“ Tatsächlich<br />
kann IBM nicht darauf hoffen, ihren Fachkräftebedarf<br />
über den freien Markt zu<br />
decken. Der Branchenverband Bitkom<br />
hatte erst im Dezember beklagt, dass sich<br />
der Mangel an IT-Fachkräften weiter verschärft<br />
habe. Für die neue Bitkom-Studie<br />
zum Arbeitsmarkt für IT-Fachkräfte wurden<br />
853 Unternehmen aller Branchen<br />
repräsentativ befragt. Das Ergebnis sollte<br />
die Arbeitgeber*innen alarmieren: Demnach<br />
sind in den deutschen Unternehmen<br />
aktuell 149 000 Stellen für IT-Expert*innen<br />
unbesetzt. Dies seien noch einmal<br />
12 000 mehr als vor einem Jahr, als<br />
137 000 Stellen offen waren, teilte Bitkom<br />
mit. IBM muss deshalb aus ver.di-<br />
Sicht mit den eigenen Auszubildenden<br />
und Studierenden ihren Bedarf an Fachkräften<br />
absichern. Dirk Wandtke, Tarifund<br />
Verhandlungskommissionsmitglied<br />
sowie Gesamtbetriebsratsvorsitzender der<br />
CSS, setzt sich darüber hinaus für die Auszubildenden<br />
bei der CSS ein: „Wir brauchen<br />
sie, denn sie sind die Fachkräfte der<br />
nächsten Generation, für die wir auch<br />
eine gute Technikausstattung wollen.“<br />
Altersteilzeit verlängert<br />
Der Altersteilzeittarifvertrag wurde bis<br />
zum 31. Dezember <strong>2024</strong> verlängert. Zusätzlich<br />
sollen weitere Modelle entwickelt
7 <strong>KOMM</strong> 01/<strong>2024</strong><br />
werden. „Wir haben uns erfolgreich mit<br />
dem Arbeitgeber auf die Einrichtung einer<br />
tariflichen Arbeitsgruppe ‚Lebenszeitgerechtes<br />
Arbeiten‘ geeinigt. Diese Arbeitsgruppe<br />
wird konsequent ein Portfolio an<br />
Vorschlägen zu lebenszeitgerechten Arbeitsmodellen<br />
und ergänzenden Alternativen<br />
zur Altersteilzeit erarbeiten. Dieses<br />
Thema war und ist für unsere Kolleginnen<br />
und Kollegen und uns hoch priorisiert“,<br />
betont Frank Remers, Verhandlungs- und<br />
Tarifkommissionsmitglied sowie Konzernbetriebsratsvorsitzender:<br />
„Lebenszeitgerechtes<br />
Arbeiten ist für uns eine Frage des<br />
gezielten Managements von Wissensund<br />
Expertiseweitergabe innerhalb der<br />
Generationenkette.“<br />
Gesundheitsschutz<br />
„Wir konnten uns erneut mit der Arbeitgeberseite<br />
auf ein Gesundheitsbudget<br />
von einer Million Euro einigen“, erläutert<br />
Stephan Hiller, Tarif- und Verhandlungskommissionsmitglied<br />
der IBM D Research<br />
and Development: „Die Einigung hat für<br />
uns einen hohen Stellenwert: Denn gerade<br />
im Zuge des sogenannten ‚Neuen Normal‘<br />
ist der Betrieb als Sozialraum immer<br />
wichtiger und wir gehen davon aus, dass<br />
die ausstehenden Ergebnisse der psychischen<br />
Gefährdungsbeurteilung von uns<br />
Maßnahmen zum Schutz und zur Förderung<br />
der Gesundheit unserer Kolleginnen<br />
und Kollegen erfordern.“<br />
Pauschale Mehrarbeit<br />
„Für die IBM Deutschland GmbH und die<br />
IBM Deutschland FMS GmbH gelten die<br />
Regelungen zur pauschalen Mehrarbeit<br />
auch in <strong>2024</strong> zu den bestehenden Konditionen<br />
fort“, berichtet Bernd Klinkenberg,<br />
Tarif- und Verhandlungskommissionsmitglied<br />
sowie Gesamtbetriebsratsvorsitzender<br />
der IBM D FMS. „In der Zukunft sollten<br />
wir hier zeitgemäßere Lösungen finden,<br />
die sowohl den Anforderungen einer<br />
strategischen Personalplanung Rechnung<br />
tragen wie dem Umstand, dass die pauschale<br />
Mehrarbeit für das Unternehmen<br />
ein lukratives Geschäft ist.“<br />
Arbeitsgruppe Mobilität<br />
„Die im Frühjahr 2023 eingesetzte paritätisch<br />
von Arbeitgeberseite und ehrenamtlichen<br />
ver.di-Mitgliedern bei IBM besetzte<br />
Arbeitsgruppe Mobilität hat einen Vorschlag<br />
für ein Mobilitätsangebot für die<br />
Beschäftigten erarbeitet“, erläutert Dirk<br />
Wandtke, Tarif- und Verhandlungskommissionsmitglied<br />
sowie Gesamtbetriebsratsvorsitzender<br />
der CSS: „Dieses soll in<br />
die internationalen IBM-Prozesse eingespielt<br />
werden. Wir, die ver.di-Tarifkommission<br />
und unsere Mitglieder, hätten uns<br />
von Unternehmensseite in den Verhandlungen<br />
Verbindlichkeit gewünscht, damit<br />
sich die IBM als ein attraktiver, moderner<br />
und auf eine nachhaltigere Zukunft gerichteter<br />
Arbeitgeber zeigt.“ SIL<br />
Wie verändert sich unsere<br />
Ausbildungswelt, und wie<br />
gehen wir damit um?<br />
Alles neu!<br />
Neue Zeiten brauchen<br />
neue Antworten – in der<br />
Ausbildung, im Betrieb und<br />
in der Gesellschaft.<br />
ALLES<br />
NEU?!<br />
BUNDESWEITE<br />
JAV-KONFERENZ<br />
22. BIS 24. MAI <strong>2024</strong> IN GÖTTINGEN<br />
WORKSHOPS<br />
• Neu in der JAV – was nun?<br />
• Schweigen ist Silber, Reden ist GOLD! Azubiansprache für<br />
JAVen<br />
• Mehr als nur das Intranet? Öffentlichkeitsarbeit im Betrieb<br />
• Was kann ich? Was darf ich? Das 1x1 von Tarifvertrag und<br />
Betriebsvereinbarung<br />
• Die Tricks der Eingeweihten?! JAV-Versammlungen kreativ<br />
gestalten<br />
• Mach meine Kolleg*in nicht an! Umgang mit Sexismus im<br />
Betrieb<br />
• Tue Gutes und sprich darüber! Betriebliche Kampagnen<br />
planen und umsetzen<br />
• Was tun, wenn’s brennt? Konfliktmanagement als<br />
Aufgabe der JAV<br />
• Alles modern?! Künstliche Intelligenz, Virtual und<br />
Augmented Reality in der Ausbildung<br />
• Alles zu Hause?! Mobile Ausbildung – (wie) geht das?<br />
• Alle weg?! Was tun gegen Fachkräftemangel?<br />
• Alles digital?! Zusammenarbeit in der JAV per App<br />
• Alles flexibel?! Arbeitszeit zwischen Wunsch und<br />
Wirklichkeit<br />
• Alles akademisch?! Dual Studierende und die JAV<br />
ANMELDESCHLUSS: 29. FEBRUAR <strong>2024</strong><br />
Weitere Informationen und zur Anmeldung: https://kurzelinks.de/rd5g
8<br />
BRANCHENPOLITIK<br />
Foto: picture alliance/dpa | Federico Gambarini<br />
Mickey Mikitani,Chairman and CEO Rakuten Group, Daniela Schmitt, Wirtschaftsministerin Rheinland-Pfalz,<br />
Volker Wissing, Bundesminister für Digitales und Verkehr, Ralph Dommermuth, CEO 1&1 AG (v. l.)<br />
VIERTES NETZ AM START<br />
Foto: Sven Guski<br />
Der Telekommunikationskonzern 1&1 hat nach erheblichen Verzögerungen<br />
endlich sein Mobilfunknetz gestartet. Die TK-Branche schaut gespannt<br />
darauf. Denn nach sieben Jahren mit nur drei Mobilfunknetzbetreibern in<br />
Deutschland startet der Vierte im Bunde mit einer neuen Technologie, die bei<br />
den etablierten Mobilfunkern bisher kaum Anwendung findet. Unabhängig<br />
davon, muss 1&1 auf dem Weg zu einem vollwertigen Netzbetreiber noch<br />
einige weitere Hürden überwinden.<br />
VON CHRISTOPH HEIL<br />
Seit 2019 besitzt die 1&1 Mobilfunk<br />
GmbH kostbare Mobilfunkfrequenzen.<br />
Dies verpflichtet sie auch, zügig ein eigenes<br />
Netz zu errichten, um diese Frequenzen<br />
sinnvoll zu nutzen. Anfang Dezember<br />
2023 startete die Telekom- und Internetanbieterin<br />
1&1 im Beisein von Volker Wissing,<br />
Bundesminister für Digitales und<br />
Verkehr, ihr Mobilfunknetz. Nach eigenen<br />
Christoph Heil<br />
ver.di-Bereich<br />
Mitbestimmung<br />
und Branchenpolitik<br />
Angaben soll es das modernste Netz<br />
Europas werden. „Leistungsfähige Netze<br />
bilden die Basis für unsere digitale Zukunft.<br />
Die Gigabitstrategie ist unser Kompass<br />
auf dem Weg zu mehr Wettbewerb,<br />
Tempo und Qualität. Mit 1&1 haben wir<br />
einen vierten Netzbetreiber, der durch<br />
den Einsatz modernster Technologie dazu<br />
beitragen wird, Deutschland bei 5G an<br />
die Spitze zu bringen“, erklärte Volker<br />
Wissing. Dieses ambitionierte Ziel sei nur<br />
durch Mut zur Innovation zu erreichen.<br />
„Ich freue mich auf die neuen Chancen,<br />
die die Open-RAN-Technologie ihren Nutzern<br />
bietet sowie auf einen lebendigeren<br />
Wettbewerb im Mobilfunkmarkt“, sagte<br />
Wissing.<br />
Noch ein weiter Weg<br />
Bisher sind erst wenige Funkmasten unter<br />
der Regie von 1&1 im Betrieb. Der Aufbau<br />
hinkt den Vorgaben der Bundesnetzagentur<br />
(BNetzA) weit hinterher. Für Anfang<br />
<strong>2024</strong> plant das Unternehmen aus<br />
Rheinland-Pfalz mit 200 aktiven Standorten.<br />
Bereits Ende 2022 jedoch hätten es<br />
1000 5G-Standorte sein müssen. 1&1<br />
begründet diese Verzögerungen mit erheblichen<br />
Problemen bei Zulieferern und<br />
Infrastruktur-Vertragspartnern. Bis Ende<br />
2025 muss das neue Netz dann laut Vorgaben<br />
der BNetzA eine Reichweite von<br />
25 Prozent erzielen, also etwas mehr als<br />
zehn Millionen Haushalte erreichen. Bis<br />
Ende 2030 will das Unternehmen die<br />
Reichweite auf einen Versorgungsgrad<br />
von 50 Prozent aller Haushalte erfüllen<br />
und dafür 12 600 Funkmasten im Betrieb<br />
haben.<br />
Open RAN<br />
1&1 errichtet sein Mobilfunknetz mit einem<br />
offenen technischen Standard, dem<br />
sogenannten Open RAN. Das erlaubt,<br />
verschiedene Hardware-Hersteller im<br />
Netz zu verbauen, und erhöht damit die<br />
Unabhängigkeit von Ausrüstern wie Huawei,<br />
Nokia oder Ericsson. Dafür hat Ralph<br />
Dommermuth, CEO der 1&1 AG, den CEO<br />
der Rakuten Group, Mickey Mikitani, mit
9 <strong>KOMM</strong> 01/<strong>2024</strong><br />
ins Boot geholt. Der Japaner bietet eine<br />
cloudbasierte Software-Ebene, die getrennt<br />
von der Hardware läuft. Dadurch<br />
entsteht ein virtuelles Mobilfunknetz, das<br />
durch Open RAN flexibel und kostengünstiger<br />
im Aufbau ist. Mickey Mikitani,<br />
der in seiner Heimat mit einer Verkaufsplattform<br />
ähnlich Amazon erfolgreich ist,<br />
will mit Netzwerk lösungen für den Mobilfunk<br />
in den Telekommunikationsmarkt<br />
einsteigen.<br />
Open RAN ist für die gesamte Branche<br />
interessant, doch zögern andere Netzbetreiber,<br />
auf diesen Zug aufzuspringen. Es<br />
gibt noch zu viele Unwägbarkeiten. 1&1<br />
jedoch riskiert diese Wette und beschreitet<br />
neue technische Pfade, die von der<br />
Konkurrenz sicher sehr aufmerksam beobachtet<br />
werden.<br />
Hilfe durch Wettbewerber<br />
Um nun mit bisher nur 200 aktiven Antennen<br />
einen landesweiten Mobilfunk-Dienst<br />
anzubieten, braucht es die<br />
Unterstützung der Wettbewerber. So lassen<br />
die Telefónica Deutschland und die<br />
Vodafone Deutschland 1&1-Kunden auf<br />
ihr Netz, damit diese 5G-Dienste nutzen<br />
können. Das nennt man National Roaming.<br />
Natürlich zahlt 1&1 für dieses<br />
Roaming, sodass alle Beteiligten etwas<br />
davon haben. Für 1&1 erwächst dadurch<br />
aber auch eine große Abhängigkeit. Ohne<br />
die Netze von Telefónica oder Vodafone<br />
würde es für die Kunden von 1&1 sehr<br />
schnell sehr still werden.<br />
Metamorphose<br />
1&1 durchläuft mit der Inbetriebnahme<br />
eines eigenen Mobilfunknetzes eine Metamorphose.<br />
Bislang agierte das Unternehmen<br />
ausschließlich als sogenannter<br />
virtueller Netzbetreiber (MVNO: Mobile<br />
Virtuell Net Operator). Es kaufte Netzleistungen<br />
bei Telekom, Telefónica und<br />
Vodafone ein und vermarktete diese unter<br />
seiner eigenen Marke wie ein eigenes<br />
Infrastrukturangebot. Das trieb das Unternehmen<br />
bis auf die Spitze, indem es<br />
das Angebot als „das beste Netz am<br />
Markt“ bewarb. Diese Werbung wurde<br />
schließlich als irreführend verboten.<br />
Tatsächlich hatten 1&1-Kunden auf<br />
dem Handy immer auch eine entsprechende<br />
1&1-Kennung und bekamen so<br />
das Gefühl, über die 1&1-eigene Infrastruktur<br />
zu telefonieren. Da diese Infrastruktur<br />
nur softwaremäßig existierte,<br />
Artikel in der NZZ „Wer ist der selbst ernannte 5G-Revolutionär Rakuten?“<br />
https://kurzelinks.de/xf6q<br />
Artikel zur Technik von Open RAN in <strong>KOMM</strong> 2/2021 zum Download:<br />
https://kurzelinks.de/f3wr<br />
spricht man bei solchen Providern von<br />
„virtuellen Netzbetreibern“. Grundsätzlich<br />
ist ausgeschlossen, dass ein Mobilfunknetzbetreiber<br />
gleichzeitig Diensteanbieter<br />
bei einem anderen Netzbetreiber ist. Der<br />
1&1 Mobilfunk GmbH wurde von der<br />
BNetzA bei der Frequenzauktion im Jahr<br />
2019 übergangsweise eine Doppelstellung<br />
zugestanden. Diese Doppelstellung<br />
muss sie im festgelegten Zeitfenster aufgeben.<br />
Dieses Zeitfenster hat sich Ende<br />
des Jahres 2023 geschlossen. Nun darf<br />
die 1&1 nur noch aktiv Produkte auf ihrem<br />
eigenen Netz vertreiben und bewerben.<br />
Entsprechende MVNO-Verträge mit<br />
den Kunden müssen bis Ende 2025 eingestellt<br />
worden sein.<br />
Mitbestimmung<br />
Mit der Zulassung von 1&1 zur Vergabe<br />
von Mobilfunkfrequenzen forderte ver.di<br />
im Vorfeld die Einhaltung von mitbestimmungsrechtlichen<br />
Spielregeln. Die hat das<br />
Unternehmen bis heute nicht offiziell zugesichert.<br />
In weiten Teilen der Konzernstruktur<br />
gibt es keine Betriebsräte. Immer<br />
wieder tauchten Berichte auf, dass entsprechende<br />
Initiativen aggressiv durch das<br />
Management unterbunden wurden. Mittlerweile<br />
laufen an einigen Standorten Bestrebungen,<br />
die von ver.di aktiv flankiert<br />
werden und bisher in einem Fall zum Erfolg<br />
geführt haben. Bei der 1&1 Telecommunication<br />
SE am Standort Montabaur<br />
wurde am 14. Dezember ein Betriebsrat<br />
gewählt. Aber das kann erst ein Anfang<br />
sein. Die Mitbestimmung muss sich im<br />
Konzern zum Standard entwickeln.<br />
1&1<br />
Betriebsrat in Montabaur gewählt<br />
Erstmals in der Geschichte des Unternehmens 1&1 Telecommunication SE<br />
wurde am Standort in Montabaur ein Betriebsrat durch die Beschäftigten<br />
gewählt, der sich inzwischen konstituiert hat. Mit einer für die erste Wahl<br />
guten Beteiligung von 55 Prozent votierten die Beschäftigten für ihre<br />
Vertretung.<br />
Erst nach einer gerichtlichen Bestellung<br />
und anfänglichen Schwierigkeiten konnte<br />
die Betriebsratswahl vorbereitet werden.<br />
Dann hat sich aber schnell ein professioneller<br />
Modus Operandi eingestellt. Sowohl<br />
die Wahlvorbereitungen als auch<br />
die Wahlen selbst liefen dann völlig ohne<br />
Störungen oder Behinderungen ab.<br />
„Mitbestimmung gewinnt immer!“, betont<br />
Andreas Wiese, zuständiger ver.di-<br />
Gewerkschaftssekretär, der die Wahlen<br />
und auch den Wahlvorstand eng begleitete:<br />
„Die Beschäftigten haben nun erstmals<br />
ein demokratisch gewähltes Mitbestimmungsgremium,<br />
das ihre Interessen<br />
vertritt. Das ist auch ein starkes Zeichen<br />
für unsere Demokratie, die bekanntlich<br />
nicht am Werkstor oder am Eingang zum<br />
Büro endet.“<br />
Nun beginnt eine neue Zeitrechnung,<br />
die mit Sicherheit sowohl für den Betriebsrat<br />
als auch für den Arbeitgeber<br />
spannende Herausforderungen bereithält.<br />
Als zuständige, im Betrieb vertretene<br />
Branchengewerkschaft wird ver.di den<br />
neu gewählten Betriebsratsmitgliedern<br />
mit Rat und Tat sowie dem großen Mitbestimmungsnetzwerk<br />
zur Seite stehen.<br />
ver.di geht davon aus, dass nach dem<br />
reibungslosen Ablauf der ersten Betriebsratswahl<br />
in Montabaur weitere<br />
Betriebe an weiteren Standorten im<br />
1&1-Konzern folgen werden. „Auch hier<br />
stehen wir unseren Mitgliedern entsprechend<br />
beratend und begleitend zur Seite“,<br />
betonen Andreas Wiese und Holger<br />
Meuler von ver.di.<br />
Wir gratulieren den elf frisch gewählten<br />
Betriebsratsmitgliedern, wünschen<br />
viel Erfolg bei dieser wichtigen Aufgabe<br />
und freuen uns auf die weitere Zusammenarbeit.<br />
<br />
RED
10<br />
MITBESTIMMUNG<br />
den gesamten Konzern, denn alle<br />
Konzern einheiten tragen gleichermaßen<br />
zum Konzernerfolg bei.<br />
In der Diskussion nannte Tim Höttges,<br />
Vorstandsvorsitzender der Deutschen<br />
Telekom, als eines der aus seiner Sicht<br />
wichtigen Themen „radikale Transparenz“.<br />
Diese Haltung sei wichtig, um die<br />
Herausforderungen der kommenden Jahre<br />
anzugehen und offen über Probleme<br />
und Differenzen zu sprechen.<br />
Kerstin Marx und Christoph Schmitz<br />
Betriebsräteforum<br />
blickt in die Zukunft<br />
Telekom-Betriebsräte gestalten die<br />
Zukunft: Beim jährlichen Betriebsräteforum<br />
stellten sich Betriebsräte,<br />
Vorstände und Gäste Diskussionen<br />
über die geopolitische Lage und Tarifrunden.<br />
Gastvorträge und Impulse<br />
zur Soziologie des Wandels machten<br />
das Forum erneut zum Ort für robuste<br />
Diskussionen über die Zukunft der<br />
Telekom.<br />
Der Konzernbetriebsrat hat zum alljährlichen<br />
Forum der Betriebsrät*innen eingeladen.<br />
Etwa 400 Teilnehmende, darunter<br />
Betriebsrät*innen, Vorstände und Gäste<br />
aus Politik, Gewerkschaft und Wissenschaft,<br />
diskutierten zu entscheidenden<br />
Themen der Zukunft.<br />
Den Auftakt gestaltete Kerstin Marx,<br />
Vorsitzende des Konzernbetriebsrats, mit<br />
einem herzlichen Willkommen, um einen<br />
erkenntnisreichen Tag einzuleiten. In einer<br />
nachdenklichen Reflexion über die geopolitische<br />
Lage äußerte Marx: „Vielleicht<br />
geht es euch auch so. Ich frage mich jeden<br />
Tag: Was ist los in dieser Welt? Wir<br />
haben eine Krise, die noch nicht vorbei<br />
ist, und schon folgt die nächste und die<br />
nächste. Das bedeutet für die Menschen<br />
stets Angst, Unsicherheit und oft auch<br />
Flucht und Vertreibung.“<br />
Marx spannte den Bogen von den akuten<br />
Herausforderungen über die Nachwirkungen<br />
der Corona-Krise bis hin zu strategischen<br />
Überlegungen für die Deutsche<br />
Telekom. Jetzt gehe es darum, inmitten<br />
von multiplen Krisen einen tiefgreifenden<br />
Transformationsprozess und die Zukunft<br />
zu gestalten. „Wir dürfen nicht zum<br />
Getriebenen der Digitalisierung werden“,<br />
so die Konzernbetriebsratsvorsitzende.<br />
Tarifrunde wird keine Routine<br />
Der erste Gastredner, Christoph Schmitz,<br />
Mitglied des ver.di Bundesvorstands und<br />
seit 1. Januar <strong>2024</strong> stellvertretender Vorsitzender<br />
des Aufsichtsrats der Deutschen<br />
Telekom AG, ging in seiner Rede auf die<br />
anstehende Tarifrunde ein: „Gute Arbeitsbedingungen<br />
und faire Löhne fallen nicht<br />
vom Himmel.“ Trotz wiederholter Rekordgewinne<br />
würden die Beschäftigten nicht<br />
ausreichend an den Gewinnen beteiligt.<br />
Diese Tarifrunde werde keine Routine sein<br />
– weder für den Telekom-Vorstand noch<br />
für ver.di. Erstmals verhandelt ver.di für<br />
Foto: Manfred Geneschen<br />
Appell an die Arbeitgeber<br />
Ein besonderer Moment für die Teilnehmenden<br />
war der Gastvortrag vom Chef<br />
des Bundeskanzleramtes, Wolfgang<br />
Schmidt. Trotz laufender Verhandlungen<br />
um den Bundeshaushalt nahm sich<br />
Schmidt die Zeit, der Einladung von Kerstin<br />
Marx zu folgen und am Forum der<br />
Betriebsrät*innen teilzunehmen. Er dankte<br />
Kerstin Marx für ihre engagierte Arbeit<br />
für die Interessen der Beschäftigten und<br />
als Sprecherin des DAX40-Betriebsratskreises<br />
des DGB. Bundesminister Schmidt<br />
appellierte zudem an die Arbeitgeber*innen,<br />
die von der Politik bereitgestellten<br />
Instrumente zu nutzen, um die Belastungen<br />
für die Belegschaft zu reduzieren.<br />
Professorin Sabine Pfeiffer von der<br />
Friedrich-Alexander-Universität hielt einen<br />
Impulsvortrag zur „Soziologie des Wandels“.<br />
Wir leben in transformativen Zeiten.<br />
Gleichzeitig seien Veränderungen nur<br />
begrenzt planbar; Widersprüche, Machtgefälle<br />
und divergierende Interessen würden<br />
offen zutage treten. Transformation<br />
sei nur dann für alle gut, wenn wir sie so<br />
gestalten, dass sie für alle gut ist. Dabei<br />
komme den Beschäftigten und den Betriebsräten<br />
eine zentrale Rolle zu.<br />
Professor Carsten Wirth von der Hochschule<br />
Darmstadt teilte wertvolle Erkenntnisse<br />
zum Zusammenspiel von strategischer<br />
Personalplanung und Unternehmensstrategie.<br />
Damit gab er der Diskussion<br />
zur strategischen qualitativen<br />
Personalplanung neue Impulse. Strategie<br />
und Personal werden in der Regel nicht<br />
zusammen gedacht. Und wenn, dann nur<br />
unter Kostengesichtspunkten. Der Fachkräftemangel<br />
müsse hier zu einem Umdenken<br />
führen. Personal werde zur wertvollen<br />
Ressource und die Menschen seien<br />
Leistungs- und Wissensträger.<br />
Fazit<br />
Das Forum der Betriebsrät*innen erwies<br />
sich wieder einmal nicht nur als Plattform<br />
für robuste Diskussionen, sondern<br />
auch als Schmelztiegel für die Gestaltung<br />
der Zukunft aller bei der Deutschen Telekom.
11 <strong>KOMM</strong> 01/<strong>2024</strong><br />
INTERNATIONAL<br />
Sindikat Telekoma: Erfolgreicher<br />
Streik gibt Rückenwind<br />
Foto: Kay Herschelmann<br />
Nach dem mehr als vier Monate andauernden Streik im vergangenen Jahr<br />
in Montenegro bei der Crnogorski Telekom wurde von der Gewerkschaft<br />
Sindikat Telekoma nun in einem dreitägigen Workshop über die strategischen<br />
und inhalt lichen Ziele für die Zukunft beraten.<br />
VON ADO WILHELM<br />
Der Streik hatte am 16. November 2022<br />
begonnen, am 31. März 2023 wurde er<br />
erfolgreich beendet. Erreicht wurden für<br />
die Beschäftigten eine Entschädigung<br />
für die Zeit des Streiks, eine Erhöhung<br />
der Gehälter, Winterzulagen, Prämien<br />
für die Erreichung von Zielen und verbesserte<br />
Leistungen. Die freiwillige private<br />
Krankenversicherung der Arbeitnehmer*innen<br />
wurde fortgesetzt. Die<br />
Vereinbarung ist bis zum 31. Dezember<br />
2027 gültig.<br />
Der Workshop wurde mit der Unterstützung<br />
von ver.di und der Friedrich-Ebert-Stiftung<br />
(FES) in Serbien, die<br />
für Montenegro zuständig ist, durchgeführt.<br />
Kirsten Schönefeld, Leiterin des<br />
Regionalbüros in Belgrad, begrüßte zu<br />
Beginn der Arbeitstagung auch den stellvertretenden<br />
deutschen Botschafter, Ralf<br />
Reusch, von der Botschaft in Podgorica.<br />
Begleitet wurde er von Peer Krumrey,<br />
Sozialreferent der Botschaft. Die deutsche<br />
Botschaft wurde in der vergangenen<br />
Auseinandersetzung mehrfach um<br />
Hilfe und Unterstützung gebeten, weil<br />
die Streikenden sich davon Einfluss auf<br />
das nach ihrer Auffassung teils rechtswidrige<br />
Verhalten des Managements<br />
während der Auseinandersetzung erhofften.<br />
Der Mutterkonzern, die Deutsche<br />
Telekom AG, ist noch immer zu<br />
mehr als 30 Prozent im Besitz des deutschen<br />
Staates. Ralf Reusch bot an, den<br />
Ado Wilhelm<br />
ver.di-Gewerkschaftssekretär<br />
a. D.<br />
Dialog mit Sindikat weiter aufrechtzuerhalten.<br />
Er machte allerdings auch<br />
deutlich, dass sich weder die Botschaft<br />
noch die Regierung in Deutschland in<br />
solche Auseinandersetzungen einmischen<br />
können. Zeljko Buric, Präsident<br />
von Sindikat, nahm das Angebot gerne<br />
an und betonte, dass auch Sindikat an<br />
einem regelmäßigen Dialog sehr interessiert<br />
sei.<br />
ver.di übernahm die Moderation des<br />
Workshops und führte durch die Tagung.<br />
Nach Rückblick und Aufarbeitung<br />
des Geschehens während des 136 Tage<br />
andauernden Streiks wurde der Blick in<br />
die Zukunft gerichtet.<br />
Wir müssen noch stärker werden<br />
Der Streik und die Auseinandersetzung,<br />
getragen von der enormen Motivation<br />
der Mitglieder, machen allerdings auch<br />
deutlich „wir müssen noch stärker werden“<br />
. Mitgliedergewinnung und Weiterentwicklung<br />
der Funktionärsstrukturen<br />
sind wichtige Arbeitsschwerpunkte für<br />
die Zukunft. Auch bestand Einvernehmen<br />
unter den 18 Kolleg*innen, die an<br />
dem Workshop teilnahmen, den mit<br />
dem Management begonnenen sozialen<br />
Dialog fortzusetzen und auszubauen. Im<br />
weiteren Verlauf des Workshops wurde<br />
darüber beraten, was denn die dringlichsten<br />
Fragen und Themen für die weitere<br />
Arbeit sind. In verschiedenen Arbeitsgruppen<br />
wurden nach Analyse der<br />
Vergangenheit und Ausblick auf die<br />
kommenden Herausforderungen Themen<br />
wie KI, Aufbau von Frühwarnsystemen,<br />
Fragen und Umgang mit technologischen<br />
Veränderungen und Transformation<br />
im Unternehmen und der Branche<br />
identifiziert. Auch die Themen<br />
Lobby- und Öffentlichkeitsarbeit nahmen<br />
breiten Raum in der Diskussion ein.<br />
Der vergangene Streik fand breite Unterstützung<br />
auch in der Bevölkerung von<br />
Montenegro. Dennoch wurde immer wieder<br />
mit gezielten Fehlinformationen das<br />
Unternehmen versucht, die Bevölkerung<br />
und damit auch viele Kund*innen gegen<br />
die Gewerkschaft und die Streikenden<br />
aufzubringen. Dem soll und muss über<br />
Optimierung von Öffentlichkeitsarbeit<br />
frühzeitig entgegengewirkt werden. Auch<br />
die politische Lobbyarbeit sollte unbedingt<br />
verbessert werden. Kontakte zur<br />
Regierung und zu Politiker*innen seien<br />
noch ausbaufähig, so die Feststellungen<br />
nach Darstellung der Arbeitsgruppenergebnisse<br />
im Ple num.<br />
Wie es weitergeht<br />
ver.di und die FES haben zugesagt, den<br />
begonnenen Prozess begleiten und beratend<br />
unterstützen zu wollen. Sindikat,<br />
die FES und ver.di wollen nun klären,<br />
welche Themen wie und wann behandelt<br />
werden sollen. Auch der Beitritt von<br />
Montenegro in die EU spielt bei all den<br />
Überlegungen eine Rolle. Die Gewerkschafter*innen<br />
versprechen sich von einem<br />
baldigen Beitritt Veränderungen<br />
von Arbeitnehmer- und Gewerkschaftsrechten<br />
in ihrem Land. Peer Krumrey, der<br />
dem Workshop länger beiwohnte, sagte<br />
auf Bitten der Teilnehmer*innen des<br />
Workshops zu, gerne auch künftig zu<br />
Fragen und dem Stand der Verhandlungen<br />
und Gespräche zur Verfügung zu<br />
stehen.<br />
Am Ende des Workshops dankte<br />
Zeljko Buric der FES und ver.di für die<br />
Unterstützung bei der Vorbereitung und<br />
Durchführung der Veranstaltung. Er betonte<br />
auch die Bedeutung internationaler<br />
Zusammenarbeit unter den Gewerkschaften.<br />
Nur so sei man gemeinsam in<br />
der Lage, sich erfolgreich mit den Themen<br />
der Zukunft zu befassen. Kirsten<br />
Schönefeld betonte mehrfach, dass es<br />
der FES sehr wichtig sei, auch in den<br />
Ländern des Balkans, wie in Montenegro,<br />
bei der Behandlung der Zukunftsthemen<br />
zu unterstützen. Konkrete Entscheidungen<br />
werden nun schnellstmöglich<br />
getroffen und ein Arbeitsplan erstellt.
12<br />
FRAUEN<br />
Foto: ©Jacob Lund – stock.adobe.com<br />
OHNE ANGST LEBEN<br />
Gewalt gegen Frauen und häusliche<br />
Gewalt nehmen zu. Klare Haltung<br />
dagegen zeigen vor allem Frauen<br />
selbst.<br />
VON CLAUDIA KRIEG<br />
Sie schlug hohe Wellen im Sommer 2023:<br />
eine Umfrage des Kinderhilfswerks Plan<br />
International unter 18- bis 35-jährigen<br />
Männern in Deutschland, laut der es jeder<br />
dritte der Befragten in Ordnung findet,<br />
Gewalt gegen Frauen in der Partnerschaft<br />
einzusetzen. Im Anschluss wurde um die<br />
Repräsentativität der Daten gestritten;<br />
HÄUSLICHE GEWALT: ZAHLEN UND HINWEISE<br />
dabei ist die Realität weitaus schockierender:<br />
Weniger als alle zwei Minuten erfährt<br />
in Deutschland ein Mensch häusliche Gewalt,<br />
jede Stunde erleiden sie mehr als<br />
14 Frauen. Denn vier von fünf der Betroffenen<br />
sind Frauen, 80 Prozent der Täter<br />
sind Männer. Jede vierte Frau hat Erfahrung<br />
mit Partnerschaftsgewalt; beinahe<br />
jeden Tag versucht ein (Ex-)Partner, eine<br />
Frau zu töten.<br />
Alltag in Deutschland<br />
Gewalt gegen Frauen ist in Deutschland<br />
stark verbreitet. Und sie betrifft Frauen<br />
jeden Alters und aus allen sozialen<br />
In Deutschland kommt es nahezu täglich zu dem Versuch eines Mannes, seine<br />
(Ex-)Partnerin zu töten. Statistisch gesehen kommt es an jedem dritten Tag zu<br />
einem Mord. Im Jahr 2022 lebte etwa die Hälfte der Opfer häuslicher Gewalt mit<br />
der tatverdächtigen Person in einem gemeinsamen Haushalt, das heißt 116 267<br />
der 240 547 Opfer. Weit überwiegend sind es weibliche Personen, die durch<br />
ihre (Ex-)Partner Opfer häuslicher Gewalt werden. Die Zahlen sind im Vergleich<br />
zum Vorjahr erneut um 8,5 Prozent gestiegen (Quelle: Bundeskriminalamt).<br />
Bundeshilfetelefon: Anrufende aus dem deutschen Telefon- und Mobilnetz erreichen<br />
das Hilfetelefon „Gewalt gegen Frauen“ unter der Nummer 116 016.<br />
Das Beratungsangebot ist anonym, kostenfrei, barrierefrei und in 18 Fremdsprachen<br />
verfügbar. Das Hilfetelefon bietet auch die Beratung per Live-Chat<br />
(https://www.hilfetelefon.de/das-hilfetelefon/beratung/sofort-chat.<br />
html) und per E-Mail an.<br />
Kampagne: Das Netzwerk der brandenburgischen Frauenhäuser, ein Zusammenschluss<br />
von Frauenhäusern, Frauennotwohnungen und Frauenberatungsstellen im<br />
Land Brandenburg, hat die Kampagne „Häusliche Gewalt. Sie können etwas tun.“<br />
ins Leben gerufen (https://www.nbfev.de/sie-koennen-etwas-tun/). Sie<br />
erklärt die fünf entscheidenden Schritte, um Menschen, die Gewalt erfahren, zu<br />
helfen: 1. Hinsehen, 2. Erkennen, 3. Ansprechen, 4. Abgrenzen und 5. Vermitteln.<br />
Schichten. Nur wenig daran geändert hat<br />
die Istanbul-Konvention – das Übereinkommen<br />
des Europarats zur Verhütung<br />
und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen<br />
und häuslicher Gewalt –, die seit 2018<br />
auch für Deutschland gilt. Obwohl sie<br />
umgesetzt werden muss, kämpfen Beratungsstellen<br />
und Frauenhäuser weiterhin<br />
mit Geldknappheit und mangelndem politischen<br />
Rückhalt.<br />
Die raren Anlässe, an denen öffentlich<br />
über die Jahr um Jahr steigenden Zahlen<br />
zu häuslicher Gewalt (1) gesprochen wird<br />
oder zu lesen ist: Meist um den 8. März<br />
herum oder am 25. November, dem Tag<br />
gegen Gewalt an Frauen, werden Fahnen<br />
gehisst, Expert*innen befragt, mangelnde<br />
Frauenhaus-Plätze kritisiert und Statistiken<br />
zu Opferzahlen und Frauenmorden<br />
zitiert. Dabei lassen Letztere eine differenzierte<br />
Datenerhebung vermissen. Versuchte<br />
Tötungen, die nicht als solche<br />
wahrgenommen oder angezeigt wurden,<br />
tauchen in den Statistiken gar nicht<br />
auf. Die zentrale Informationsstelle der<br />
Frauen häuser geht von einer hohen Dunkelziffer<br />
aus.<br />
Mediale Schieflage<br />
Es ist zu einer Art Gewohnheit geworden,<br />
das Thema nicht gänzlich zu ignorieren.<br />
Zugleich bleibt ein Status quo aufrecht, der<br />
gerade Menschen, die mit von Gewalt betroffenen<br />
Menschen arbeiten oder selbst<br />
gewaltbetroffen waren, die Wut auf die<br />
Stirn treibt. Zwar hat es das Thema Femizid<br />
(also der Mord an Frauen aufgrund<br />
ihres Geschlechts) immerhin schon bis in
13<br />
<strong>KOMM</strong> 01/<strong>2024</strong><br />
Foto: privat<br />
Claudia Krieg<br />
freie Journalistin<br />
den „Tatort“ geschafft. Andererseits ist es<br />
medial vollkommen unterrepräsentiert.<br />
Christine Meltzer, Kommunikationswissenschaftlerin<br />
an der Uni Mainz, hat die<br />
Berichterstattung 17 deutscher Tageszeitungen<br />
über einen längeren Zeitraum untersucht<br />
und rund 3500 Zeitungsartikel<br />
analysiert. In der daraus resultierenden<br />
Studie für die Otto-Brenner-Stiftung<br />
kommt sie unter anderem zu dem<br />
Schluss, dass viel zu selten über Gewalt<br />
gegen Frauen berichtet wird und wenn,<br />
dann der Fokus häufig auf den Tätern liege.<br />
Sensationslust überwiegt: Je brutaler<br />
eine Tat, desto wahrscheinlicher eine Berichterstattung<br />
(2) . Auch die Herkunft des<br />
Täters ist ein Faktor, ob über Femizide<br />
berichtet wird – dabei spielt diese absolut<br />
keine Rolle, sondern allein die misogyne<br />
Motivation der Tat und das Geschlechterverhältnis,<br />
das dieser zugrunde liegt.<br />
Auch die Rede von „tragischen Einzelfällen“,<br />
„Familientragödien“ oder „Eifersuchtsdramen“<br />
hält sich beharrlich. Dabei<br />
geht mit den Bezeichnungen eine Individualisierung,<br />
Privatisierung und Entpolitisierung<br />
des Problems einher. Der Begriff<br />
„Femizid“ verweist dagegen auf die strukturelle<br />
Gewalt einer patriarchalen Geschlechterordnung,<br />
die männliches Besitzdenken<br />
und Dominanz hervorbringt<br />
– und die weiterhin von vielen mitgetragen<br />
und vor allem von rechten und konservativen<br />
Kräften massiv verteidigt wird.<br />
„Ich sage euch, was Freiheit für mich<br />
bedeutet: Ohne Angst zu leben.“ Dieses<br />
Zitat der Schwarzen Sängerin Nina Simone<br />
hat die Juristin Christina Clemm ihrem<br />
2023 erschienenen Buch „Gegen Frauenhass“<br />
vorangestellt. Clemm vertritt als<br />
Rechtsanwältin seit 30 Jahren Menschen,<br />
die von geschlechtsspezifischer und rassistisch<br />
motivierter Gewalt betroffen sind.<br />
Sie erklärte kürzlich in einem Interview:<br />
„Es reicht nicht, die Opfer aufzufordern,<br />
sich zu wehren und ihr Schweigen zu brechen.<br />
Eigentlich muss die gesamte Gesellschaft<br />
ihr Schweigen brechen.“<br />
(1) https://kurzelinks.de/et4l<br />
(2) https://www.otto-brennerstiftung.de/tragische-einzelfaelle/<br />
Buchtipp: Gegen Frauenhass<br />
Christina Clemm<br />
Hanser Verlag, 22 Euro<br />
ISBN 9783446277311<br />
INTERVIEW<br />
Hinschauen ist das Wichtigste<br />
Kristin Fischer, Koordinatorin im Bereich Schutz gewaltbetroffener<br />
Frauen und Polizeiliche Intervention bei der<br />
Berliner Initiative gegen Gewalt an Frauen (BIG) über<br />
Unterstützungsmöglichkeiten und Hilfsangebote<br />
?<br />
Frau Fischer, was würden Sie als Anzeichen für erfahrene<br />
Gewalt bezeichnen, für die man im privaten und im beruflichen<br />
Umfeld sensibel sein sollte?<br />
Es kann Rückzug sein, Niedergeschlagenheit, Ausweichen. Es<br />
geht nicht unbedingt um körperliche Gewalt. Vieles findet im<br />
Bereich der psychischen, der digitalen und der ökonomischen<br />
Gewalt statt. Es geht darum, die Zeichen zu erkennen. Das<br />
kann auch Angst oder Schreckhaftigkeit sein. Es ist auch in<br />
Ordnung, sich unter Kolleginnen auszutauschen, eine Rückversicherung<br />
zu holen und dann die betroffene Person anzusprechen,<br />
sie einladend zu fragen, ohne Erwartung und Druck<br />
aufzubauen. Denn das Thema ist sehr schambehaftet. Eventuell<br />
ist es leichter, in einem anderen Gesprächszusammenhang<br />
darauf zu kommen.<br />
? Trenn dich doch! – Hilft so ein Rat?<br />
Man muss wissen: Betroffene haben gar nicht in erster Linie<br />
den Wunsch, sich zu trennen – sie wollen, dass die Gewalt<br />
aufhört. Und das Äußern der Trennungsabsicht und eine Trennung<br />
sind mit einem fünfmal so hohen Risiko für Frauen und<br />
Kinder verbunden, erneute und stärkere Gewalt zu erleben.<br />
Hier passieren auch die meisten Femizide. Man muss diese<br />
Dynamik verstehen. Es handelt sich um eine Gewaltspirale –<br />
und mit jedem erneuten Durchlaufen wird die Gewalteskalation<br />
schlimmer. Es ist zunächst wichtig, Betroffenen zuzuhören,<br />
ihnen zu glauben. Denn leider passiert es häufig, dass den<br />
Frauen mit Unverständnis begegnet wird.<br />
? Was konkret kann man da sagen?<br />
Es ist wichtig, die eigenen Gefühle ernst zu nehmen, dann den<br />
Verdacht zu äußern. Es ist gut, sagen zu können: Mensch, ruf<br />
doch mal das Bundeshilfetelefon an, dort wirst du auch anonym<br />
beraten. Oder: Um die Ecke gibt es eine Beratungsstelle,<br />
hier ist die Nummer. Im Grunde gilt es, fünf Schritte zu beachten:<br />
hinschauen, erkennen, ansprechen, abgrenzen, vermitteln.<br />
So ist es auch in einer sehr guten Kampagne der brandenburgischen<br />
Frauenhäuser erklärt. Von BIG gibt es die Broschüre<br />
„Was tun bei häuslicher Gewalt?“, die auf der Internetseite<br />
heruntergeladen werden kann.<br />
?<br />
Auch in der Arbeitswelt gibt es Gewalttätigkeit, erniedrigende<br />
Kommentare zum Beispiel. Wie geht man damit<br />
um?<br />
Auch hier gilt: nicht weghören, sondern reagieren, den Betroffenen<br />
zur Seite stehen. Arbeitgeber*innen sollten formulieren:<br />
Wir sind gegen partnerschaftliche Gewalt, gegen Gewalt an<br />
Frauen. Man kann dazu auf Angebote von Beratungsstellen<br />
zurückgreifen, Fortbildungen besuchen. Ein sehr wichtiges<br />
Signal kann es sein, Aushänge zu machen: mit Notrufnummern<br />
oder etwas, wo man auch eine Telefonnummer abreißen<br />
oder Faltblätter von Beratungsstellen mitnehmen kann. In Bereichen<br />
wie der Eingliederungshilfe gibt es Gewaltschutzkonzepte.<br />
Der Bundesverband der Frauennotrufe und Fachberatungsstellen<br />
hat zur Unterstützung von Frauen mit Beeinträchtigungen<br />
gute Sachen entwickelt. Das ist übertragbar. Es geht<br />
vor allem um Haltung – darum zu zeigen, dass Gewalt nicht<br />
gutgeheißen wird. Betroffenen muss klar werden können: Ich<br />
trage nicht die Schuld für das, was mir geschieht. Das ermöglicht<br />
es ihnen auch viel eher, sich zu öffnen.<br />
Das Interview führte Claudia Krieg für <strong>KOMM</strong>
14<br />
BEAMT*INNEN<br />
Streikverbot kein Verstoß gegen<br />
Menschenrechte<br />
Das in Deutschland verbriefte generelle<br />
Streikverbot für alle Beschäftigten<br />
im Beamtenverhältnis des<br />
Bundes und der Länder gilt uneingeschränkt<br />
fort. Das Streikverbot verstoße<br />
nicht gegen die Europäische<br />
Menschenrechtskonvention, hat der<br />
Europäische Gerichtshof für Menschenrechte<br />
Mitte Dezember 2023<br />
entschieden.<br />
VON ANITA SCHÄTZLE<br />
Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte<br />
kam in seiner Entscheidung<br />
zu dem Schluss, dass das deutsche Beamtenstreikverbot<br />
im Einklang mit den<br />
Menschenrechten stehe. Eine gesetzliche<br />
Grundlage zum Streikverbot sei im nationalen<br />
Recht im Sinne von Art. 11 Abs.<br />
2 Satz 1 Europäische Menschenrechtskonvention<br />
gegeben. Die Beamt*innen<br />
seien nicht schutzlos, denn über ihre Gewerkschaften<br />
seien sie an der Vorbereitung<br />
allgemeiner Regelungen der beamtenrechtlichen<br />
Verhältnisse beteiligt. Und<br />
sie hätten das Recht, eine amtsangemessene<br />
Besoldung vor Gericht einzuklagen.<br />
Dieses Recht hat das Bundesverfassungsgericht<br />
in den vergangenen Jahren gestärkt.<br />
Ausgleich für fehlendes Streikrecht<br />
Die Entscheidung des Europäischen<br />
Gerichtshofs für Menschenrechte festigt<br />
die Auslegung des Bundesverfassungs-<br />
EUROPÄISCHER GERICHTSHOF FÜR MENSCHENRECHTE<br />
Er wurde 1959 in Straßburg von den Mitgliedstaaten des Europarates errichtet<br />
und soll sicherstellen, dass die Europäische Menschenrechtskonvention von<br />
1950 eingehalten wird. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte<br />
(EGMR), nicht zu verwechseln mit dem Europäischen Gerichtshof (EuGH), urteilt<br />
über Individual- und Staatenbeschwerden wegen behaupteter Verletzungen der<br />
in der Europäischen Menschenrechtskonvention anerkannten Rechte. Seit 1998<br />
ist der Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte ein ständig tagender Gerichtshof.<br />
Bürger*innen können sich mit Beschwerden direkt an ihn wenden,<br />
wenn die innerstaatlichen Rechtsbehelfe erschöpft sind. Die vom Europäischen<br />
Gerichtshof für Menschenrechte gefällten Urteile sind für die betroffenen Staaten<br />
bindend.
15 <strong>KOMM</strong> 01/<strong>2024</strong><br />
Foto: Manfred Geneschen<br />
gerichts vom 12. Juni 2018, wonach die<br />
Koalitionsfreiheit in diesem Kontext gemäß<br />
Artikel 9 Grundgesetz dem Streikrecht<br />
untergeordnet bleibt. Das Bundesverfassungsgericht<br />
entschied seinerzeit<br />
eindeutig und umfassend, dass das<br />
Streikverbot für deutsche Beamt*innen<br />
verfassungsgemäß und europarechtlich<br />
rechtmäßig ist. Anlass war die Klage<br />
mehrerer verbeamteter Lehrer*innen gegen<br />
die Bundesrepublik Deutschland. Sie<br />
hatten Disziplinarstrafen erhalten, weil<br />
sie an Warnstreikaufrufen der Gewerkschaft<br />
Erziehung und Wissenschaft<br />
teilgenommen hatten. Gerade die Anstellung<br />
auf Lebenszeit und die Entlassungsmöglichkeit<br />
nur in gesetzlich klar<br />
definierten Fällen dienten der rechtsstaatlichen<br />
Amtsführung und damit dem<br />
Schutz der Beamt*innen vor Willkür, so<br />
das Bundesverfassungsgericht.<br />
Verfahren mit besonderer<br />
Bedeutung<br />
Die Beschwerdeführer hatten gegen die<br />
Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts<br />
Beschwerde beim EuGH eingelegt<br />
mit dem Argument, Streikrecht sei ein<br />
Menschenrecht und dieses sei aufgrund<br />
des Streikverbotes verletzt. Der Europäische<br />
Gerichtshof verwies den Fall direkt<br />
an die Große Kammer des Europäischen<br />
Gerichtshofs für Menschenrechte. Darin<br />
sitzen 17 Richter*innen aus den Mitgliedstaaten<br />
des Europarates. Das zeigt die<br />
Bedeutung des gerichtlichen Verfahrens.<br />
Nun sieht jedoch auch der Europäische<br />
Gerichtshof für Menschenrechte weder<br />
einen Verstoß gegen die Koalitionsfreiheit<br />
noch gegen die Europäische Menschenrechtskonvention.<br />
Beamtenrecht weiterentwickeln<br />
Ein Streikrecht für bestimmte Gruppen<br />
von Beamt*innen verwarf das Bundesverfassungsgericht<br />
2018 mit dem Hinweis,<br />
dass dies das gesamte System des<br />
deutschen Beamtenrechts im Grundsatz<br />
gefährde und in Frage stelle.<br />
Der Deutsche Gewerkschaftsbund<br />
(DGB) und ver.di bedauern die Entscheidung<br />
des Europäischen Gerichtshofs für<br />
Menschenrechte. Der DGB und ver.di<br />
fordern weiterhin den Ausbau der gewerkschaftlichen<br />
Beteiligungsrechte zur<br />
noch in tensiveren Interessenvertretung.<br />
Weiter fordern sie als notwendige Konsequenz,<br />
dass Bund und Länder sich mit<br />
den Gewerkschaften zusammensetzen<br />
und gemeinsam das Beamtenrecht in<br />
Deutschland demokratisch fortentwickeln.<br />
Anita Schätzle<br />
Gewerkschaftssekretärin<br />
i. R.<br />
Foto: privat<br />
BEIHILFE<br />
Einkommensgrenze erhöht<br />
Ab dem 1. Januar <strong>2024</strong> steigt die Einkommensgrenze für die Beihilfefähigkeit<br />
von Aufwendungen von Ehe- und Lebenspartner*innen von 20 000 Euro auf<br />
20 878 Euro. Zudem wird ab <strong>2024</strong> die Einkommensgrenze jährlich dynamisch<br />
angepasst, bemessen an der Rentenwerterhöhung West.<br />
Aufwendungen in Krankheits-, Pflegeoder<br />
Geburtsfällen für mitversicherte<br />
Ehe-/Lebenspartner*innen als beihilfefähig<br />
zu berücksichtigende Personen können<br />
nach § 6 Absatz 2 Bundesbeihilfeverordnung<br />
(BBhV) erstattet werden.<br />
Voraussetzung ist, dass der Gesamtbetrag<br />
ihrer Einkünfte (§ 2 Absatz 3 in Verbindung<br />
mit Absatz 5a Einkommensteuergesetz)<br />
einschließlich vergleichbarer ausländischer<br />
Einkünfte im zweiten Kalenderjahr<br />
vor Antragstellung eine bestimmte<br />
Einkommensgrenze nicht übersteigt.<br />
Dynamische Anpassung jährlich<br />
Bislang waren 20 000 Euro die maßgebliche<br />
Grenze, ab 1. Januar <strong>2024</strong> beträgt sie<br />
nun 20 878 Euro. Die ab <strong>2024</strong> beginnende<br />
jährliche dynamische Anpassung der Einkommensgrenze<br />
soll künftig ge währleisten,<br />
dass Anpassungen der gesetzlichen<br />
Altersrente nicht zum Über -<br />
schreiten der Einkommensgrenze führen.<br />
Dies hätte das Ende der Berück sichtigungsfähigkeit<br />
in der Beihilfe zur Folge.<br />
Steuerbescheid vorlegen<br />
Der Gesamtbetrag der Einkünfte muss<br />
durch Vorlage einer Kopie des Steuerbescheides<br />
nachgewiesen werden. Eine<br />
Alternative ist die Vorlage einer Nichtveranlagungsbescheinigung<br />
des Finanzamtes.<br />
Wird keine Einkommensteuererklärung<br />
abgegeben, bedarf es der Vorlage einer<br />
gesonderten Erklärung zu den Einkünften;<br />
dazu kann das Formular „Ehepartner*innen/Lebenspartner*innen“<br />
genutzt werden.<br />
Die für die beihilferechtliche Prüfung<br />
nicht benötigten Angaben auf dem Steuerbescheid<br />
können unkenntlich gemacht<br />
werden. Der Steuerbescheid muss aber<br />
vollständig vorliegen.<br />
Für in <strong>2024</strong> eingehende Beihilfeanträge,<br />
mit denen Aufwendungen der Ehepartner*in/Lebenspartner*in<br />
geltend gemacht<br />
werden, ist nunmehr der Einkommensteuerbescheid<br />
2022 maßgeblich.<br />
ver.di empfiehlt, wenn im Kalenderjahr<br />
<strong>2024</strong> Aufwendungen für Ehegatt*innen<br />
oder Lebenspartner*innen geltend gemacht<br />
werden, den Steuerbescheid des<br />
Jahres 2022 vorab zu übersenden, wenn<br />
noch keine Kopie des Steuerbescheides<br />
des Jahres 2022 vorgelegt wurde, damit<br />
die Berücksichtigungsfähigkeit bereits<br />
registriert werden kann.<br />
AS
16<br />
JUGEND<br />
Europa: sozial, solidarisch, stark<br />
Programms mit stärkerem Fokus auf<br />
Auszubildende<br />
Foto: Felix Kindermann<br />
Die Gewerkschaftsjugend hat im<br />
DGB-Bundesjugendausschuss ihre<br />
Aktivitäten zur Europawahl beschlossen.<br />
Und das sind ihre Forderungen.<br />
Die Gewerkschaftsjugend setzt sich seit<br />
jeher für ein soziales, solidarisches und<br />
starkes Europa ein. Die Begrenzung des<br />
Klimawandels, der digitale Wandel der<br />
Wirtschaft, der demografische Wandel<br />
und auch die Inklusion von Geflüchteten:<br />
Diese großen Aufgaben kann nur ein soziales<br />
Europa der Gemeinsamkeit und<br />
Solidarität angehen, nicht eines der Isolation<br />
und Ausgrenzung. Dies spiegelt sich<br />
auch in den Forderungen zur diesjährigen<br />
Europawahl wider, die im DGB-Bundesjugendausschuss<br />
Ende des Jahres 2023<br />
beschlossen worden sind.<br />
Gute Arbeit und Ausbildung<br />
Unter den Auswirkungen der vergangenen<br />
Wirtschafts- und Finanzkrisen leiden<br />
auch weiterhin viele junge Menschen.<br />
Der Anteil junger Menschen in prekären<br />
Beschäftigungsverhältnissen ist europaweit<br />
immer noch zu hoch.<br />
Unsere Forderungen:<br />
• einheitliche europäische Mindeststandards<br />
für Ausbildung und Praktika unter<br />
Beibehaltung höherwertiger nationaler<br />
Standards<br />
• die Vorrangigkeit von sozialen Rechten<br />
gegenüber der Binnenmarktfreiheit<br />
• die Beibehaltung von qualitätssichernden<br />
Regulierungen wie der Meisterpflicht<br />
Der Anteil an Jugendlichen, die sich trotz<br />
Jugendgarantie weder in Ausbildung, Beschäftigung<br />
noch Bildung befinden, ist<br />
mit etwa zwölf Prozent in der EU immer<br />
noch zu hoch.<br />
Unsere Forderungen:<br />
• eine bessere Ausfinanzierung der Programme<br />
zur Bekämpfung von Jugendarbeitslosigkeit<br />
• eine zwingende Beteiligung der Sozialpartner<br />
bei Beschäftigungsmaßnahmen<br />
für Jugendliche<br />
• eine gezielte Förderung für Jugendliche<br />
ohne Abschluss<br />
• qualitativ hochwertige Angebote mit<br />
Ausrichtung auf zukunftssichere Beschäftigung<br />
• Maßnahmen gegen prekäre Beschäftigungssituationen<br />
Austausch und Beteiligung<br />
Die Gewerkschaftsjugend steht zur Arbeitnehmerfreizügigkeit<br />
und Dienstleistungsfreiheit.<br />
Es braucht deshalb Mindestlöhne,<br />
die über den nationalen Armutsschwellen<br />
liegen. Gleichzeitig darf die Tarifhoheit der<br />
Gewerkschaften nicht angetastet werden.<br />
Die Europäische Mindestlohnrichtlinie ist<br />
dafür ein guter Hebel.<br />
Die Gewerkschaftsjugend begrüßt die<br />
letzten Erhöhungen bei Erasmus+. Die<br />
Förderhöhen sind allerdings immer noch<br />
nicht auskömmlich. Erasmus+ darf kein<br />
Projekt für wenige sein.<br />
Unsere Forderungen:<br />
• eine Verbesserung der Übertragung sozialer<br />
Absicherung zwischen den Mitgliedsländern<br />
• wichtige Hebel wie die EU-Mindestlohnrichtlinie<br />
müssen überall gelten,<br />
• eine faire Mobilität, die die Rahmenbedingungen<br />
für mobile Beschäftigte<br />
deutlich verbessert<br />
• Kontrolle und Gewährleistung des Arbeitsschutzes<br />
und sozialer Rechte,<br />
• eine Förderung der Mitbestimmung<br />
und Beteiligung von Jugendlichen sowie<br />
die bessere institutionelle und<br />
finanzielle Ausstattung des Erasmus-<br />
Umverteilung<br />
Die Herausforderungen der sozial-ökologischen<br />
Transformation in Europa sind<br />
immens. Sie muss solidarisch finanziert<br />
werden.<br />
Unsere Forderungen:<br />
• eine aktive europäische Industrie- und<br />
Dienstleistungspolitik<br />
• ein Ende der Austeritätspolitik<br />
• der Stopp der Privatisierung von Schlüsselbetrieben,<br />
sozialen sowie öffent -<br />
lichen Einrichtungen<br />
• die Einführung einer europaweiten<br />
Transaktions- und einer gemeinsamen<br />
Mindeststeuer<br />
• eine Verbesserung des Ausgleichs zwischen<br />
strukturschwachen und -starken<br />
Regionen<br />
• Investitionen in die Energiewende und<br />
die Förderung von Innovation in besonders<br />
betroffenen Regionen<br />
Flucht und Sicherheit<br />
Europa ist als Friedensprojekt gestartet<br />
und muss das Versprechen des Friedens<br />
wieder erneuern. Es ist zwingend notwendig,<br />
dass die Mitgliedsländer gemeinsam<br />
die Fluchtursachen außerhalb Europas<br />
bekämpfen und sich um die Belange<br />
der vor Krieg und Verfolgung geflüchteten<br />
Menschen kümmern.<br />
Unsere Forderungen:<br />
• die Gewährleistung des Rechts auf Asyl,<br />
keine Unterbringung von Geflüchteten<br />
an den EU-Außengrenzen in Lagern<br />
• ein Verständnis für Klimapolitik als<br />
Sicherheitspolitik<br />
• keine Mittelkürzung im Zuge der Sicherheitsdebatte<br />
zu Lasten von Strukturund<br />
Investitionsfonds<br />
• die Schaffung eines Integrations- und<br />
Entwicklungsfonds zur besseren Unterbringung<br />
und Inklusion von Geflüchteten<br />
• eine gemeinsame, gesamteuropäische<br />
Bekämpfung von Fluchtursachen<br />
Weitere Infos zur Europawahl findet ihr<br />
auf https://jugend.dgb.de/europa<br />
wahl-<strong>2024</strong><br />
(Aus der Soli aktuell 1/<strong>2024</strong>,<br />
Autorin: Soli aktuell)