Grimselwelt Magazin 2024
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grimselwelt · laufende kopfzeile 1<br />
DAS MAGAZIN <strong>2024</strong><br />
Winterbaustelle Spycherberg<br />
Unterhalt im<br />
Berg drin<br />
Trockenwiesen<br />
Oasen der Biodiversität<br />
im Gadmental<br />
Staumauer Spitallamm<br />
Zu Besuch bei<br />
der Kranführerin
2 grimselwelt · laufende kopfzeile<br />
grimselwelt · laufende kopfzeile 3<br />
editorial<br />
Ein grosser Teil des KWO-Lebens spielt sich<br />
in einer Parallelwelt ab, tief drinnen in den<br />
Felsen, weit unter den Gletschern und Seen, verborgen<br />
in den Bergen. Zwar prägen die Staumauern<br />
und die Seen die Landschaft, das Allermeiste<br />
ist aber unsichtbar – viele<br />
Kraftwerke, 160 Kilometer Stollen,<br />
Schächte und Leitungen, zahlreiche<br />
Wasserschlösser, Apparatekammern,<br />
Verbindungsgänge und<br />
vieles mehr. Die ganze KWO zeigt<br />
sich erst, wenn man an der richtigen<br />
Stelle ein Türchen öffnet, eine<br />
lange Treppe hinabsteigt oder<br />
durch eine Röhre in ein Leitungssystem<br />
kriecht.<br />
Willkommen in der <strong>Grimselwelt</strong><br />
In der aktuellen Ausgabe des <strong>Grimselwelt</strong> <strong>Magazin</strong>s<br />
nehmen wir Sie mit an diese versteckten<br />
Orte. Denn selbst wenn eine Druckleitung über<br />
Jahrzehnte hinweg ihren Dienst erfüllt, kann sie<br />
dies nur tun, wenn sie regelmässig kontrolliert<br />
und unterhalten wird. Bei solchen Arbeiten gelangen<br />
unsere Fachleute an Orte, an denen unter<br />
Umständen seit Jahrzehnten kein Mensch<br />
mehr war (Seite 4-8). Auch bei der Baustelle<br />
Spitallamm, auf der für alle sichtbar die neue<br />
Mauer emporwächst, sind anspruchsvolle<br />
Arbeiten im Untergrund nötig (Seite 26-29).<br />
Dieser aufwändige Unterhalt, den unsere Mitarbeitenden<br />
täglich leisten, zeigt, wie sich die<br />
KWO im Spannungsfeld zwischen einem hochkomplexen<br />
Strommarkt und einem ebenso raffinierten,<br />
aber handfesten Anlagesystem bewegt.<br />
Ein System, das über bald 100 Jahre<br />
gewachsen ist und ein enormes technisches<br />
und handwerkliches Knowhow erfordert. Wir<br />
sind uns bei der KWO gewohnt, in grossen Dimensionen<br />
zu denken. Deshalb fällt es uns<br />
auch schwer zu verstehen, dass dies manche<br />
Akteure in Hinsicht auf eine sichere Stromversorgung<br />
und auf die Energiewende nicht tun.<br />
Obschon wir seit Jahren den Dialog mit den<br />
Umweltverbänden pflegen und von einem partizipativen<br />
Weg überzeugt sind, blockiert nun<br />
erneut eine Beschwerde von der Gewässerschutzorganisation<br />
Aqua Viva eines unserer<br />
wichtigsten Projekte (Seite 18-20). Dies ist frustrierend<br />
– zeigt uns aber im Grunde nur das<br />
Eine: Wir müssen reden! Und zwar alle miteinander,<br />
egal in welcher Blase wir uns bewegen.<br />
Herzlich, Ihr<br />
Unterhalt im Versteckten: Projektleiter Tilo Bolli bei der Wasserfassung Trift, wo im<br />
vergangenen Winter viele Arbeiten erledigt wurden, um das System fit zu halten.<br />
Titelgeschichte Seite 4–8<br />
Winterbaustelle Triftfassung und Spycherberg<br />
Perlen der Biodiversität Seite 10–13<br />
Trockenwiesen im Gadmental<br />
Als eine von verschiedenen Ausgleichsmassnahmen für Bauprojekte<br />
fördert die KWO die Biodiversität im Gadmental.<br />
Persönlich Seite 14–15<br />
Portraits aus der <strong>Grimselwelt</strong><br />
Sie haben ganz schön Energie: Reto und Ivan Thöni, Antonia Haider und<br />
Anna Schmutz im Portrait.<br />
Im Gespräch Seite 18–20<br />
Wie weiter an der Trift?<br />
Jubiläum Seite 21<br />
2025 wird die KWO 100 Jahre alt<br />
Die KWO arbeitet ihre Geschichte auf – in 100 Jahren hat sich da ganz<br />
schön etwas angesammelt.<br />
Wanderparadies Seite 22–25<br />
Ein Besuch in der Oberaar<br />
Wasser, Gletscher, Bergspitzen, Wind und etwas Gold, das sind die Zutaten<br />
eines Herbstausflugs in die Oberaar.<br />
Baustelle Spitallamm Seite 26–31<br />
Versteckte Arbeiten an der neuen Mauer<br />
Während für alle sichtbar die neue Staumauer in die Höhe wächst, werden<br />
zahlreiche Arbeiten im Untergrund erledigt, zum Beispiel im Grundablass.<br />
Impressum<br />
Herausgeber KWO Kommunikation, Innertkirchen<br />
Gestaltung und Realisation Agentur 01, Bern<br />
Konzept und Projektleitung Thomas Huber<br />
Bilder David Birri<br />
Texte Annette Marti<br />
Druck Jordi AG, Belp<br />
Auflage 20’000 Exemplare<br />
Daniel Fischlin<br />
Den ganzen Winter über war die KWO im Gadmental auf Baustellen tätig,<br />
um den Unterhalt des weit verzweigten Anlagesystems zu sichern – alles<br />
unterirdisch.<br />
Regierungsrat Christoph Ammann ärgert sich darüber, dass die Beschwerdeführer<br />
gegen das Triftprojekt einen breit abgestützten Konsens<br />
in Frage stellen. Das Vorgehen sei destruktiv, findet er.<br />
Mix<br />
Produktgruppe aus vorbildlicher<br />
Waldwirtschaft und<br />
anderen kontrollierten Herkünften<br />
Cert no. SQS-COC-023903, SQS-COC-100061 www.fsc.org<br />
© 1996 Forest Stewardship Council
4<br />
4 grimselwelt ·· spitallamm laufende kopfzeile baustelle<br />
grimselwelt grimselwelt · winterbaustelle · laufende spycherberg kopfzeile 5<br />
Neben den gut sichtbaren Anlagen gibt<br />
es im KWO-Gebiet unzählige unterirdische<br />
Leitungen, Stollen, Kammern und<br />
Knotenpunkte. All dies muss unterhalten<br />
sein: Ein Besuch auf den Baustellen im<br />
Innern der Berge des Gadmentals.<br />
Text: Annette Marti, Fotos: David Birri<br />
Klapp – das Holztürchen öffnet sich und Franz Thöni krabbelt auf allen<br />
Vieren in das Leitungsrohr. Für einen Moment sind noch die Sohlen<br />
seiner Bergschuhe zu sehen, dann verschwindet der Anlageverantwortliche<br />
der KWO um die Ecke. Die kleine Türe ist ein provisorischer<br />
Zugang zu den unterirdischen Baustellen im Leitungssystem des Kraftwerks<br />
Hopflauenen zwischen Innertkirchen und Gadmen. Erstmals<br />
seit der Bauzeit Anfang der 1960er-Jahre werden nicht nur die Maschinen<br />
in der Zentrale, sondern auch die Leitungen und Aussenanlagen<br />
umfassend saniert. Die Baustelle erstreckt sich bis hinauf zur Wasserfassung<br />
bei der Bergstation der Triftbahn. Während mehreren Monaten<br />
sind die Leitungen im Winter wegen den Arbeiten stillgelegt worden<br />
und erstmals befinden sich nun wieder Menschen an Orten, die<br />
sonst nicht zugänglich sind. Nichts wie rein also in das Loch – folgen<br />
wir dem Weg des Wassers, wenn das schon mal möglich ist. Es geht<br />
umgekehrt zur Fliessrichtung talaufwärts: vom Kraftwerk zurück durch<br />
Leitungen, Druckschacht, Wasserschloss und Stollen bis zur Trift.<br />
Sieht aus wie eine Kathedrale, ist aber eine unterirdische<br />
Reservoirkammer in der Nähe der Wasserfassung<br />
Trift.
6 grimselwelt · winterbaustelle spycherberg<br />
grimselwelt · winterbaustelle spycherberg<br />
7<br />
Kurz nach der engen Passage weitet sich das Panzerrohr auf. Franz<br />
Thöni kann nun aufrecht gehen. Ein Leuchtband erhellt die Leitung, die<br />
in unterschiedlichen Farben schimmert, bis sie sich weiter hinten im<br />
schwarzen Nichts verliert. Das Rohr ändert auf diesem Abschnitt mehrmals<br />
die Form und weist Abzweigungen auf. «Hier geht es zu den Turbinen.»<br />
Thöni deutet in einen Rohrstumpf, der verschlossen ist. Im<br />
Normalbetrieb drängt an dieser Stelle eine ungeheure Kraft in Richtung<br />
Laufräder und setzt damit die ganze Kaskade der Stromproduktion<br />
in Bewegung. Die Leitungen müssen diesen Belastungen standhalten.<br />
Alle 10 bis 15 Jahre werden sie kontrolliert und je nach Zustand<br />
unterhalten. Der grösste Gegner des Stahls ist die Korrosion. Die Rohre<br />
sind trotz ihrer massiven Bauart empfindlich. Franz Thöni tippt mit<br />
dem Zeigfinger auf den bereits geputzten Stahl. «Die Wärme des Fingers<br />
auf der blanken Oberfläche reicht, damit die Korrosion beginnt»,<br />
erklärt er. «Und das ist das Letzte, was wir wollen: Rost, der in die Tiefe<br />
geht.» Verschiedene Schutzanstriche sorgen dafür, dass der Korrosionsprozess<br />
nicht so einfach eintritt. Zuerst müssen die alten Schichten<br />
mit Höchstwasserdruck entfernt werden, dann wird die Oberfläche<br />
durch Sandstrahlen aufgeraut, damit die neue Grundierung besser<br />
haftet.<br />
Für die Bearbeitung des knapp 700 Meter langen Druckschachts,<br />
der hinauf geht zum Wasserschloss Spycherberg, kommt zum ersten<br />
Mal ein Sandstrahlroboter zum Einsatz. Der clevere Kerl soll den gesamten<br />
Prozess beschleunigen. «Das ist interessant, denn wir erhoffen<br />
uns natürlich, die Abschaltdauer des Kraftwerks verkürzen zu können»,<br />
erklärt Thöni. Als Anlageverantwortlicher und Asset Manager der<br />
KWO vertritt er auch die Interessen der Aktionäre und weiss deshalb<br />
bestens, wie hoch der Ertragsausfall bei einem Produktions-Stillstand<br />
ist. Die Arbeiten werden im Winter gemacht, wenn weniger Laufwasser<br />
vorhanden ist. Sobald die Schneeschmelze eintritt, muss die Produktion<br />
jedoch wieder starten. Die Zeit drängt.<br />
Zum Wasserschloss gelangen wir mit der Werkseilbahn Spycherberg,<br />
was deutlich angenehmer ist, als einen Druckschacht emporzuklettern.<br />
Franz Thöni will zusammen mit Philipp Schönbächler den<br />
Fortschritt bei der Installation des Roboters überprüfen. Schönbächler<br />
ist Geschäftsführer der Sandstrahlwerk First AG, eine Unternehmung,<br />
die auf Korrosionsschutzarbeiten spezialisiert ist und schon öfter im<br />
weit verzweigten Leitungssystem der KWO tätig war. Rund 160 Kilometer<br />
lang sind alle Stollen und Schächte im Susten- und Grimselgebiet<br />
zusammengezählt, allein 125 Kilometer gehören ganz dem Wasser. Da<br />
versteht es sich von selbst, dass praktisch immer irgendwo etwas zu<br />
tun ist.<br />
Die Bahn überwindet mühelos die rund 450 Höhenmeter hinauf<br />
zur Bergstation. Tief verschneit und ruhig stehen die Bäume in ihrem<br />
Winterkleid. Das Kraftwerk wird schnell kleiner, mit ihm das weisse<br />
Zelt gleich daneben. Darin sind alle Installationen untergebracht, die<br />
für die Höchstwasserdruck-Reinigung und das Sandstrahlen nötig<br />
sind. «Es ist eine Materialschlacht», seufzt<br />
Schönbächler. Es dauert lange, bis alle Lüftungen<br />
und Klimaanlagen angebracht sind,<br />
alle Bauplätze mit Strom und Wasser versorgt,<br />
Sickerleitungen gelegt sind und vieles<br />
mehr. Damit die Spezialisten in den Leitungen<br />
arbeiten können, muss die staubige Luft<br />
abgesaugt werden. So herrscht ein eigentlicher<br />
kleiner Orkan in den Röhren. Die Luft<br />
wird entfeuchtet und neu eingeblasen, um<br />
möglichst gute Arbeitsbedingungen zu<br />
schaffen. Trotzdem geht kein Arbeiter ohne<br />
spezielle Schutzkleidung und Helm mit<br />
Frischluftzufuhr in die Leitung.<br />
Eine Neuerfindung:<br />
Der Sandstrahlroboter<br />
verkürzt die Arbeitszeit<br />
im Druckschacht.<br />
Zum Druckschacht gelangt man von der<br />
Bergstation über eine kurze Strecke durch einen<br />
Stollen. Am offenen Schacht sind die<br />
Sandstrahl-Profis Dani Höfliger und Marian<br />
Gjoka damit beschäftigt, den Roboter zu justieren.<br />
Das Arbeitsgerät, das von der KWO<br />
und der Sandstrahlwerk First AG gemeinsam<br />
entwickelt und gebaut wurde, ist auf einem<br />
Arbeitswagen fixiert, der über eine Seilwinde<br />
langsam in den Schacht hinabgelassen wird.<br />
Drei Ärmchen mit Düsen rotieren hin und her<br />
und spritzen das Sandstrahlmittel auf das<br />
Stahlrohr. «Im Minimum schaffen wir 5 Zentimeter<br />
pro Minute», sagt Schönbächler. «Wir<br />
streben an, rund doppelt so schnell arbeiten<br />
zu können wie von Hand.» Bislang mussten<br />
sich die Arbeiter auf dem Wagen in den<br />
Schacht hinabseilen und den Sandstrahlschlauch<br />
stehend hin- und herbewegen –<br />
eine ermüdende Arbeit, vor allem, wenn man<br />
sie den ganzen Tag über verrichtet. Zwar fahren<br />
auch mit dem Roboter zwei Personen in<br />
den Schacht, der erste Arbeiter fängt das Strahlmittel auf und füllt es<br />
fortlaufend wieder in die Behälter, der zweite «reist» zur Sicherheit mit<br />
und säubert von Hand nach. Schönbächlers Arbeiter sind eine Art Putzequippe<br />
fürs Extreme. Zwar sieht niemand, was sie tun, aber würden<br />
die Arbeiten nicht gemacht, könnte eine Leitung im schlimmsten Fall<br />
bersten und der Schaden wäre riesig. «Ich arbeitete in der Schweiz<br />
schon in zahlreichen Leitungen», sagt Marian Gjoka, der seit 24 Jahren<br />
im Business tätig ist. An den Abgrund und die engen Platzverhältnisse<br />
habe er sich längst gewöhnt. Dani Höfliger sieht darin auch kein Problem:<br />
«Ist ja wie eine überdimensionale Rutschbahn so ein Druckschacht,<br />
unten läuft es sanft aus.»<br />
In die andere Richtung verläuft die Leitung in einer scharfen Kurve<br />
zum Triebwasserstollen Richtung Trift. Hier befindet sich normalerweise<br />
eine Drosselklappe, die den Wasserfluss im Notfall unterbrechen<br />
kann. Das riesige Teil wurde zur Revision in die Werkstatt nach Innertkirchen<br />
gebracht. Ein Stück weiter im Stollen öffnet sich an der Decke<br />
ein grosses Loch, durch das eine Leiter hinauf ins Wasserschloss führt:<br />
in einen riesigen unterirdischen Raum, der untrennbar mit Triebwasserstollen<br />
und Druckleitung verbunden ist. Wenn nämlich die Maschinen<br />
unten im Kraftwerk zurückgefahren oder ausgeschaltet werden,<br />
wird der Bewegungsfluss des Wassers unterbrochen und die Wassermassen<br />
müssen irgendwie ausweichen können. Dies geschieht im<br />
Wasserschloss, hier «beruhigt» sich das Wasser. Jetzt hallen in der<br />
Philipp Schönbächler<br />
(links) und Franz Thöni<br />
fahren mit dem<br />
Elektrowägeli «Alex»<br />
durch einen 4 Kilometer<br />
langen Stollen bis<br />
zur Trift.<br />
Alle Bauplätze sind<br />
unterirdisch oder per<br />
Seilbahn erschlossen,<br />
so dass sie auch bei<br />
Lawinengefahr im<br />
Winter erreichbar sind.
8 grimselwelt · winterbaustelle spycherberg<br />
grimselwelt · laufende kopfzeile 9<br />
30 Meter hohen und 90 Meter langen Kaverne menschliche Stimmen<br />
wie in einer unterirdischen Kathedrale. Normalerweise regiert hier König<br />
Wasser und lässt Dampf ab, wenn seine unbändige Kraft gerade<br />
nicht gefragt ist. Verglichen mit den Dimensionen des Wasserschlosses,<br />
sind die Menschen winzig klein.<br />
Vom Fusse der Leiter geht der Blick durch den schnurgeraden<br />
Triebwasserstollen in Richtung Wasserfassung Trift. In der Ferne<br />
brennt ein Licht. «Bis dahin sind es 4 Kilometer», erklärt Franz Thöni<br />
und startet das Elektrofahrzeug, mit dem man durch den Stollen fahren<br />
kann. Obwohl der Gang entleert ist, fliesst einiges an Wasser, das<br />
aus dem Berginnern stammt. Es spritzt auf beiden Seiten des offenen<br />
Wagens hoch und bald fühlt sich die Fahrt unfreundlich und kalt an.<br />
Dennoch ist dieser unterirdische Zugang wichtig. Üblicherweise erreichen<br />
die Arbeiter, die in den Anlagen an der Trift tätig sind, ihren Arbeitsplatz<br />
mit der Triftbahn und steigen dann zu Fuss durch enge Treppen<br />
und Gänge hinab zur Wasserfassung. Bei grosser Lawinengefahr<br />
oder starkem Wind kann die Seilbahn aber nicht fahren. Dann müssen<br />
die Mitarbeitenden ihren langen Arbeitsweg mit dem Elektrofahrzeug,<br />
das den netten Namen «Alex» trägt, zurücklegen. Sollte sich ein Unfall<br />
ereignen, würde ein Verletzter ebenfalls mit dem Fahrzeug abtransportiert<br />
werden.<br />
Felskaverne in der Trift:<br />
Essens- und Sitzungsraum.<br />
Das weisse Licht kommt näher – es brennt direkt bei den Reservoirkammern der Trift-<br />
Fassung. Hier ist Montageleiter Peter Maurer und sein Team im Einsatz. Er bespricht gerade<br />
ein Problem mit Projektleiter Tilo Bolli. An diesem Tag ist sehr viel Wasser aus dem Berg in<br />
die Stollen und Kavernen eingedrungen, mehr als sonst üblich. Woher es genau stammt, weiss<br />
niemand, nur kommt es in dieser Zeit, da eigentlich alles Wasser von den Baustellen verbannt<br />
ist, höchst ungelegen. Das Team möchte weitere Pumpen installieren, damit die Korrosionsschutz-Arbeiten<br />
fortgesetzt werden können. Doch der Nebel hängt<br />
an diesem Morgen so ungünstig im Gadmental, dass der Helikopter<br />
kein Material anliefern kann. Die Fassung Trift ist einer der kompliziertesten<br />
Knotenpunkte im System der KWO. Hier wird Wasser von<br />
weit herum im Gadmental in zwei verschiedene Richtungen geleitet:<br />
entweder ins Kraftwerk Hopflauenen oder hinüber nach Guttannen<br />
in die aareseitigen Anlagen. Entsprechend finden sich in der Trift viele<br />
Panzertore, um Zugänge zu verschliessen, Vorrichtungen, um Wasser<br />
umzuleiten wie auch Installationen, die es ermöglichen, die Anlagen<br />
regelmässig durchzuspülen und zu säubern. Alle diese Stahlelemente<br />
müssen in aufwändiger Arbeit zerlegt, saniert und wieder<br />
eingebaut werden. Dabei fällt auch hier auf,<br />
wieviel sorgfältige Detailarbeit nötig ist, um<br />
das grosse Ganze am Laufen zu erhalten. Unsere<br />
Expedition endet nach einem unterirdischen<br />
Mittagessen in einer zur Kantine umfunktionierten<br />
Felskaverne und den 400<br />
Treppenstiegen hinauf zur Bergstation der<br />
Triftbahn.<br />
Könnte aus der Station einer alten Werkseilbahn<br />
eine Bildungsstätte werden? Das<br />
Projekt mit dem Namen Campus Grimsel<br />
wirft interessante Fragen auf. Ein Rundgang<br />
an der Handeck mit Initiant Thomas Gasser.<br />
Text: Annette Marti, Fotos: David Birri<br />
Die mächtigen Steinhäuser neben dem ebenso imposanten alten<br />
Kraftwerk Handeck gehören zur Geschichte der Wasserkraftnutzung<br />
an der Grimsel. Die Zentrale Handeck war das erste Kraftwerk der<br />
KWO und während vielen Jahren lebten mehrere Familien in den Häusern.<br />
Die Maschinen leisten bis heute ihre Dienste, der Betrieb ist aber unterdessen<br />
so automatisiert und organisiert, dass die Mitarbeitenden<br />
nicht direkt neben dem Kraftwerk wohnen müssen. In den Handeck-<br />
Häusern ist es ruhig geworden, erst recht an einem winterlichen Tag<br />
im Dezember. Schneeflocken hüllen die Anlage in weiches Licht während<br />
Thomas Gasser zwischen den Gebäuden hindurch geht und erklärt,<br />
wie es zum Projekt Campus Grimsel gekommen ist. «An der Handeck<br />
kommt so viel zusammen, verschiedenste aktuelle Themen und Herausforderungen<br />
sind hier in der Umgebung zu sehen und fassbar»,<br />
sagt er, «wäre es nicht möglich, die Auseinandersetzung mit diesen<br />
Fragen an Ort und Stelle zu fördern?»<br />
Thomas Gasser, Bauunternehmer im Ruhestand, ist Initiant der<br />
Idee eines Ausbildungs- und Forschungszentrums in den ehemaligen<br />
Kraftwerksgebäuden. Hinter der Vision steht auch der Verein «Guttannen<br />
bewegt», der sich mit verschiedenen Aktivitäten für die Dorfentwicklung<br />
einsetzt. Für Campus Grimsel liegt bereits eine Machbarkeitsstudie<br />
vor, in deren Rahmen ein breiter Kreis von möglichen<br />
Partnern befragt worden ist. Für Gasser sind zwei Sachen wichtig:<br />
Einerseits hat er in seiner langen beruflichen Laufbahn immer wieder<br />
festgestellt, wie gewinnbringend es wäre, wenn generell Theorie und<br />
Praxis besser übereinstimmen würden. Andererseits fasziniert ihn, wie<br />
sich in diesem hochalpinen Raum bestimmte Fragen wie unter dem<br />
Brennglas deutlicher abzeichnen als andernorts. «Hier wäre der ideale<br />
Ort für Anschauungsunterricht zu den Themen Wasserkraft, Stollenbau,<br />
Energieinfrastruktur, Artenvielfalt, Hochwasser, Lawinen, Murgänge<br />
und vieles mehr», hält er fest.<br />
BILDUNG AN ORT UND STELLE<br />
Oft geht es nicht anders<br />
als von Hand: Young<br />
Isiaka beim Sandstrahlen.<br />
Angedacht ist, dass sich die Ausbildungsräume in der Seilbahnstation<br />
der Gersteneggbahn unterbringen liessen – in einer modern umgebauten<br />
Variante – die ehemaligen Wohnhäuser würden Räume bieten<br />
für Übernachtung und Verpflegung. Die KWO, die Besitzerin der<br />
Liegenschaften und Anlagen ist, freut sich über das Engagement und<br />
unterstützt es, dass das Vorhaben vertieft geprüft wird. Die Erfolgschancen<br />
der «Handeck-Schule» hängen von der weiteren Entwicklung<br />
des Projekts ab. Denkbar, so findet Thomas Gasser, wären Angebote<br />
von Workshops und Tagungen über Ausbildungsgänge bis zu Weiterbildungen<br />
und Exkursionen. «Was mich interessiert», so verdeutlicht<br />
Gasser, «ist immer die Frage: Was ist möglich? Bringen wir das hin?»<br />
Dieser Gedanke scheint Thomas Gasser in der DNA zu liegen – in eine<br />
Familie von Bauunternehmern hineingeboren war er bis 2017 Geschäftsführer<br />
der Gasser Felstechnik AG in Lungern. Aus dieser Zeit<br />
stammt auch seine Verbindung zu Guttannen, indem er Unterkünfte<br />
für seine Mitarbeitenden suchte und dann das zum Verkauf stehende<br />
Gasthaus Bären sogleich kaufte. Seit seinem Rückzug aus dem Familienbetrieb<br />
engagiert er sich umso kräftiger für Projekte in Guttannen<br />
und Umgebung.
10 grimselwelt · biodiversität im gadmental grimselwelt · biodiversität im gadmental 11<br />
Text: Annette Marti, Fotos: David Birri<br />
Die abschüssigen Wiesen und<br />
Weiden des Gadmentals, die von<br />
Landwirten extensiv genutzt<br />
werden, weisen überdurchschnittlich<br />
viele seltene Pflanzen- und<br />
Tierarten auf. Die KWO möchte einen<br />
Beitrag leisten zum Erhalt dieser<br />
Biodiversität – als eine von<br />
verschiedenen Ausgleichsmassnahmen<br />
für Bauprojekte.<br />
Es ist ein vielschichtiges Summen und Zirpen, das an diesem heissen<br />
Sommertag über dem steilen Wiesenhang schwebt. Welche Tierstimmen<br />
genau diesen Klangteppich ausmachen, ist für den Laien schwer zu<br />
sagen. Magdalena Rohrer kennt sich bei den kleinen Lebewesen aus, sie<br />
weiss, wer auf den Trockenwiesen unterwegs ist und welche seltenen<br />
Blumenarten an den steilen Abhängen des Gadmentals gedeihen. «In<br />
den Trockenmauern leben Aspisvipern, Schlingnattern und Blindschleichen,<br />
ebenso wissen wir von rund 60 verschiedenen Arten von Schmetterlingen,<br />
die hier herumfliegen», sagt die Umweltingenieurin aus dem<br />
Ökologieteam der KWO. In den letzten Jahren hat die KWO intensiv untersucht,<br />
wie sich Flora und Fauna an den einst durch Wildheuer genutzten<br />
Standorten entwickeln. Viele der Wiesen sind schwer erreichbar und<br />
sehr aufwändig zu bewirtschaften. Deshalb wurden sie häufig aufgegeben<br />
und bald begann die Verbuschung. Die sogenannten Trockenwiesen<br />
und -weiden sind Flächen, die wenig Ertrag liefern, sich oft an sehr steilen<br />
und sonnigen Hängen befinden, meistens ist auch Wasser nur begrenzt<br />
verfügbar.<br />
Magdalena Rohrer (links) und Sonja Fahner aus<br />
dem Ökologie-Team der KWO überprüfen, ob die<br />
Zielarten gefördert werden konnten.
12 grimselwelt · biodiversität im gadmental<br />
grimselwelt · biodiversität im gadmental 13<br />
95 %<br />
der Trockenwiesen und –weiden<br />
sind in der Schweiz verschwunden.<br />
Ohne ihre Arbeit<br />
geht es nicht:<br />
die Landwirte Thomas<br />
und Angelika Bircher.<br />
«Charakteristisch für die traditionelle Landwirtschaft sind die Trockenmauern.<br />
Sie bieten wertvollen Lebensraum für Kleintiere», erklärt<br />
Rohrer. Die aufgeschichteten Steine sind heute immer seltener anzutreffen.<br />
Im steilen Gelände trotzen auch kleine alte Holzscheunen den<br />
Natureinflüssen. Sie gehören<br />
ebenso zum Landschaftsbild,<br />
denn die allermeisten Trockenstandorte<br />
des Gadmentals erreicht<br />
man nur zu Fuss und so<br />
sind die Bewirtschafter froh<br />
um Lagerraum und Unterschlupf.<br />
Magdalena Rohrer öffnet<br />
die Tür zu einem freundlichen,<br />
kleinen Häuschen am<br />
Staldiberg ob Nessental. Sie weiss, was da drin gelagert wird, da sie auch<br />
schon mitgeholfen hat, die Wiesen zu mähen. An der Wand hängen<br />
Netze für den Abtransport des Heus und eine Art Steigeisen, die besseren<br />
Tritt in den steilen Wiesen ermöglichen. Es sei eine sehr anstrengende<br />
Arbeit, erklärt Rohrer. Der Ausblick vom kleinen Holzhaus ist umwerfend.<br />
Die verschiedenen Wiesenstücke im Wald sind gut zu erkennen. Sie<br />
bilden ein eigentliches Patchwork-Muster. Die KWO ist bestrebt, die Anzahl<br />
dieser Flächen zu erhalten, ja, sie sogar zu vergrössern. Als Ausgleich<br />
für Bauprojekte leistet die KWO so einen Beitrag zur Förderung<br />
der Biodiversität.<br />
Zurück im Büro zeigt Magdalena Rohrer auf dem Computer eine Karte,<br />
auf der ersichtlich ist, wie sich die Standorte über die Jahre entwickelt<br />
haben. Der Bund führt ein Inventar über die Trockenwiesen und -weiden<br />
der Schweiz. Manche Wiesenstücke sind offen, andere verschwinden<br />
unter Büschen und werden allmählich wieder zu Waldflächen.<br />
Die Umweltingenieurin erklärt: «Wenn die Landwirte diese<br />
Fläche über eine längere Zeit extensiv bewirtschaften<br />
und zwischendurch mit Pflegeeingriffen auch die<br />
Büsche zurückdrängen, dann hat diese Bewirtschaftung<br />
einen positiven Einfluss auf die Artenvielfalt.<br />
Ohne Bewirtschaftung würden die Gebiete in kürzester<br />
Zeit verganden oder verbuschen und die Vielfalt ginge zurück.»<br />
Der Kanton Bern unterstützt die Bewirtschafter mit Beiträgen,<br />
so darf beispielsweise bei diesen Wiesen nur nach dem 15. Juli<br />
gemäht werden und düngen ist nicht erlaubt, da sich sonst die<br />
Vegetation verändert. Nachdem die KWO mitgeholfen hatte,<br />
neue Flächen zu entbuschen und den Waldrand zurückzudrängen, untersuchte<br />
das Ökologie-Team zusammen mit Fachspezialisten in den letzten<br />
Jahren genau, wie sich die Artenvielfalt entwickelte. Die Ergebnisse<br />
des Monitorings sind zufriedenstellend. Sie decken sich mit dem, was in<br />
der Wissenschaft schon länger bekannt ist: Trockenwiesen sind die artenreichsten<br />
Pflanzengesellschaften der Schweiz. In diesen Ökosystemen<br />
leben fast zwei Drittel der seltenen und gefährdeten Pflanzenarten.<br />
Der Mensch spielt in der Artenvielfalt des Gadmentals also eine wichtige<br />
Rolle. Die Bewirtschaftung durch die Bauern und Bäuerinnen hat<br />
eine Kulturlandschaft erschaffen, die für die Biodiversität wertvoller ist<br />
als eine eigentliche «Wildnis». Um dieses Mosaik zu fördern, ist nicht nur<br />
der Goodwill der KWO nötig, sondern vor allem braucht es Landwirte,<br />
die die Bewirtschaftung aufrechterhalten. Angelika und Thomas Bircher<br />
haben eine clevere Lösung gefunden, wie sie die Nutzung der Trockenwiesen<br />
in ihren Betrieb in Nessental einbinden können. Sie halten schon<br />
seit 15 Jahren Galloway-Rinder, die wie natürliche Rasenmäher in den<br />
steilen Wiesenstücken herumspazieren und das magere Futter gut verwerten.<br />
«Für Milchkühe ist dieses Futter zu wenig nahrhaft, aber für Galloways<br />
geht es gut», erklärt Thomas Bircher. Birchers mähen rund 3 Hektaren<br />
Trockenwiesen und auf ungefähr 4 Hektaren weiden die Tiere. Aber<br />
auch dies bedeutet Arbeit. «Wir müssen zäunen und zur Kontrolle alle<br />
zwei bis drei Tage zu den Tieren hochsteigen», erklärt Angelika Bircher.<br />
Besonders kompliziert ist in den trockenen Gebieten die Versorgung der<br />
Tiere mit Wasser.<br />
Magdalena Rohrer ist überzeugt:<br />
«Mit gemeinsamen Kräften<br />
können wir die Biodiversität<br />
erhalten und fördern.»<br />
Thomas Bircher erzählt von<br />
den früheren Generationen<br />
der Gadmer Landwirte, die<br />
ohne das Heu von den steilen<br />
Bergwiesen zu wenig Futter gehabt<br />
hätten und deshalb die<br />
mühevolle Arbeit des Wildheuens<br />
auf sich nahmen. «Auch<br />
heute braucht es Überzeugung,<br />
in diesen Flächen aktiv zu sein», ergänzt Angelika Bircher. «Sollten die<br />
Beiträge des Kantons noch kleiner werden, müssen wir uns überlegen,<br />
ob das noch aufgeht. Es ist viel weniger aufwändig, die Wiesen im Tal zu<br />
bewirtschaften.» Beide weisen darauf hin, dass in der Landwirtschaft<br />
aktuell vor allem die Arbeitskräfte ein Problem seien. Für viele Aufgaben,<br />
beispielsweise auch auf den Alpen, gebe es schlicht zu wenige<br />
Hände, die mit anpacken. Dass die Beiträge den Aufwand für<br />
die Trockenstandorte nicht decken, weiss auch Magdalena<br />
Rohrer. «Es ist extrem anstrengend, diese Wiesen und<br />
Weiden zu unterhalten, das bedingt sehr viel Leidenschaft»,<br />
sagt sie. Und trotzdem wünscht sie sich<br />
nichts so sehr, wie diese Kulturlandschaft erhalten<br />
zu können. Sie ist überzeugt:<br />
«Mit gemeinsamen Kräften<br />
können wir die Biodiversität<br />
erhalten und fördern.»<br />
Auch die kleinen Scheunen<br />
gehören zu der Kulturlandschaft<br />
des Gadmentals.<br />
Die Anzahl der Trockenwiesen und -weiden hat in der Schweiz seit 1900 dramatisch<br />
abgenommen. Gemäss dem Bundesamt für Umwelt sind mehr als 95<br />
Prozent dieser Flächen verschwunden und die Qualität leidet. Die Trockenwiesen<br />
und -weiden gehören zu den artenreichsten Pflanzengesellschaften<br />
in der Schweiz. Man findet hier bis zu 100 Pflanzenarten pro Are. Auf<br />
diesen Wiesen kommen auch viele der seltenen und gefährdeten Arten<br />
vor, manche lassen sich gar nur auf solchen Flächen nachweisen. Dank<br />
der grossen Vielfalt sind die Gebiete auch für die Fauna wichtig.<br />
Der Bundesrat hat die Trockenwiesen und -weiden im Jahr 2010 (TWW) in ein Inventar aufgenommen,<br />
um die Flächen gemäss dem Bundesgesetz über den Natur- und Heimatschutz zu erhalten.<br />
Hier will die KWO einen Fokus setzen und im Rahmen ihrer ökologischen Ausgleichsmassnahmen<br />
solche Flächen erhalten und fördern.<br />
Online-Karte des BAFU siehe: www.bafu.admin.ch<br />
Galloway-Rinder, die<br />
wie natürliche Rasenmäher<br />
in den steilen<br />
Wiesenstücken herumspazieren.
14 grimselwelt · laufende kopfzeile<br />
grimselwelt · persönlich<br />
15<br />
Zwei Tage lang standen Reto und Ivan Thöni<br />
aus Innertkirchen im Jahr 2010 nicht<br />
mehr vom Sofa auf. Gebannt schauten die zwei<br />
Brüder am Fernsehen einem Sportler zu, der<br />
fortan zu ihrem Vorbild wurde: Kilian Wenger<br />
gewann in Frauenfeld das Eidgenössische<br />
Schwingfest und liess sich zum König küren.<br />
Reto und Ivan Thöni waren begeistert: So ein<br />
cooler Kerl, so frisch und frech die Art, wie er<br />
schwingen konnte. Noch heute nennen die<br />
zwei Wenger als eines ihrer grossen Vorbilder.<br />
nach dem, was sie an den Fähigkeiten des Bruders<br />
besonders schätzen, sagt Ivan: «Reto hat<br />
einen unglaublich starken Willen. Ausserdem<br />
verfügt er über eine gute Technik ausserhalb<br />
der festen Griffe.» Reto wiederum staunt über<br />
die Lockerheit, die Ivan oft an den Tag legen<br />
kann. Zudem sei er technisch sehr vielseitig.<br />
Beide verfolgen ihre Ziele mit zunehmender<br />
Strebsamkeit. Reto arbeitet als gelernter Bauzeichner<br />
im Ingenieurbüro Pulver in Meiringen<br />
und absolviert eine Ausbildung zum Techniker<br />
r e t o u n d i v a n t h ö n i<br />
sie haben das schwingen im blut<br />
Unterdessen haben die beiden Sportler ihre<br />
eigene Karriere vorantreiben können und gehören<br />
im starken Berner Team zu den aufstrebenden<br />
Jungen. Sie haben beide 2022 am Eidgenössischen<br />
Schwingfest teilgenommen und<br />
waren Teil der Berner Delegation am Unspunnenschwinget<br />
2023. «Das war eine richtig grosse<br />
Sache», schwärmt der 20-jährige Ivan.<br />
Sein zwei Jahre älterer Bruder Reto pflichtet<br />
ihm bei.<br />
Die zwei sind ein starkes Team. Auch wenn<br />
am Schluss jeder für sich im Sägemehl steht,<br />
trainieren sie oft gemeinsam im Schwingkeller.<br />
«Wir profitieren viel voneinander», findet Reto,<br />
«vor allem bei der Technik.» Da sie sich so gut<br />
kennen, geben sie sich häufig gegenseitig<br />
Tipps, was sie besser machen könnten. Gefragt<br />
Bauplanung. Hinsichtlich des Trainings hat er<br />
seine Krafteinheiten ausgebaut und profitiert<br />
vom Knowhow eines anderen grossen Schwingers<br />
im Hasli: Matthias Glarner. Ivan hat eine<br />
Lehre als Zimmermann abgeschlossen und<br />
trainiert dreimal pro Woche im Schwingkeller.<br />
Die zwei Brüder haben ihre Liebe zum Schwingsport nicht gestohlen<br />
– die Leidenschaft liegt in ihrer Familie. Bereits der Vater und der<br />
Grossvater waren Schwinger. Der erfolgreichste aus der Thöni-Familie<br />
war jedoch Grossonkel Beat Thöni, ein begnadeter Schwinger, zu dessen<br />
Karriere einer der tragischsten Momente der Schweizer Schwinggeschichte<br />
gehörte. 1960 trat Beat Thöni im Schlussgang des Brünigschwingets<br />
gegen den späteren Schwingerkönig Karl Meli an und verunfallte<br />
schwer. Nach diesem schicksalshaften Tag war Beat Thöni<br />
querschnittgelähmt und musste sein Leben im Rollstuhl meistern. «Diese<br />
Geschichte ist lange her», sagt Reto Thöni, «und manches ist uns<br />
nicht mehr so präsent. Dennoch war es für mich sehr speziell, ausge-<br />
Bild: Barbara Loosli<br />
rechnet am Brünigschwinget meinen ersten Bergkranz zu gewinnen.»<br />
Dieser Kranz im Sommer 2023 sieht Reto als seinen bisher grössten Erfolg.<br />
Für Bruder Ivan ist es der Kranz am Bernisch-Kantonalen Schwingfest<br />
2023 in Tramelan. Allerdings muss Ivan vorerst einen Rückschlag<br />
einstecken, er verletzte sich im Februar <strong>2024</strong> am Knie und wird die gesamte<br />
Schwingsaison pausieren müssen. Doch schon bald wird sich der<br />
Fokus wieder auf neue Ziele setzen, beispielsweise auf das Eidgenössische<br />
Schwing- und Älplerfest im Glarnerland im Jahr 2025. An solchen<br />
Grossanlässen erleben die zwei Brüder besonders intensiv, was ihnen<br />
am Schwingsport am besten gefällt: «Im Kampf steht man sich Mann<br />
gegen Mann gegenüber, neben dem Platz wird aber die Kameradschaft<br />
grossgeschrieben.»<br />
Als Antonia Haider einen Sommer auf der<br />
Ziegenalp Spycherberg verbrachte, hatte<br />
sie nicht damit gerechnet, später einmal im<br />
Gadmental zu wohnen. Auch nicht, als der<br />
Förster auf die Alp kam, um die Fichten zu begutachten,<br />
die in der Abendsonne standen.<br />
Die Bäume fällte Antonia selbst, aber mit dem<br />
Förster hatte sie noch öfter zu tun. Martin Haider<br />
ist heute ihr Mann. Er führt die Forst Aaretal<br />
GmbH, die von den grössten Waldbesitzern<br />
aus Guttannen und Innertkirchen<br />
gegründet worden ist. Als gelernte Forstwar-<br />
antonia haider<br />
im wald zuhause<br />
Gastronomie- und Hotelbetrieb mit den 70<br />
Gästebetten in Gadmen und zeigt mit ihrem<br />
Team , was sie unter einem authentischen und<br />
familiären Betrieb versteht. Unterdessen ist<br />
sie auch Pächterin der Tällihütte. «Ich liebe<br />
das, was ich tue, auch wenn ich noch nie in<br />
meinem Leben so viel gearbeitet habe», sagt<br />
die 30-Jährige, die nach Lehre und Hotelfachschule<br />
verschiedene Stationen durchlaufen<br />
hat. Selbst in der Zwischensaison, wenn sie<br />
mal verreisen kann, hat sie «die Lodge gedanklich<br />
immer dabei», wie sie sagt, und erle-<br />
anna schmutz<br />
die lodge habe ich immer dabei<br />
tin und Forstingenieurin arbeitet die junge<br />
Frau mit, wo sie kann, allerdings haben die<br />
beiden unterdessen drei kleine Kinder, die<br />
ebenfalls viel Aufmerksamkeit verlangen. Martin und Antonia überwachen<br />
den Zustand des Waldes und planen die waldbaulichen Eingriffe<br />
wie Jungwaldpflege und Holzschläge. Dies ist besonders wichtig, da im<br />
Gebiet viel Schutzwald steht. Am liebsten ist Antonia Haider draussen<br />
und legt selbst Hand an. «Das ist im Moment mit den Kindern nicht<br />
ganz einfach», sagt sie. «Aber das wird sich wieder ändern.» Derzeit<br />
beansprucht die junge Familie viel Zeit für ein weiteres Projekt:<br />
Haiders bauen ihr Haus in Nessental um, in dem sie seit zwei Jahren<br />
wohnen. «Unser Anspruch ist, dass das Holz, das wir verbauen, aus<br />
dem Haslital stammt», erklärt Haider. Zwar arbeiten<br />
auf der Baustelle auch Profis mit, aber<br />
die Forstspezialistin hilft, wo sie kann. «Wir<br />
haben viele Bäume selbst gefällt und auf einer<br />
mobilen Sägerei eingesägt», sagt sie stolz. So<br />
passt alles zusammen – sogar bis auf den Zufall,<br />
dass sie ausgerechnet im alten Försterhaus<br />
wohnen.<br />
www.forst-aaretal.ch<br />
Anna Schmutz wollte nach der Matura Psychologie<br />
studieren, doch die Gastronomie<br />
kam ihr in die Quere. Zum Glück! Muss<br />
man sagen. Denn wer immer als Gast in die<br />
Gadmer Lodge einkehrt, profitiert davon,<br />
dass die junge Frau ihr Interesse und ihre<br />
Sympathie heute ganz konkret auslebt. Anna<br />
Schmutz ist Gastgeberin mit Herz und Seele.<br />
Im Mai 2022 übernahm sie als Pächterin den<br />
digt administrative Arbeiten. Sie legt viel Wert<br />
auf den Zusammenhalt im Team und schafft<br />
es so, selbst in Gadmen genügend Arbeitskräfte<br />
zu finden. «Wir helfen uns aus, anders geht es nicht», erklärt sie<br />
und ergänzt dabei lachend, wie sie gerade jetzt wieder in der Küche<br />
arbeite, weil der Jungkoch in die Rekrutenschule musste. «Als Ausgleich<br />
tut es manchmal richtig gut, anstatt Computerarbeiten zu erledigen<br />
dreckige Pfannen abzuwaschen.» Anna Schmutz wusste, was ein solcher<br />
Job bedeutet und sie kannte auch das Leben im Dorf. «Ich bin ein<br />
echtes Landei», sagt sie. «Wir sind einige Male als Familie umgezogen,<br />
deshalb bin ich wohl auch besonders anpassungsfähig. Ein Wunder,<br />
dass ich noch nicht Haslitiitsch spreche!» www.gadmerlodge.ch
16 grimselwelt ·· aussicht laufende kopfzeile<br />
grimselwelt · impressionen<br />
17<br />
Die Baustelle Spitallamm mit den zwei riesigen<br />
roten Kränen ist in den letzten Jahren<br />
zu einer zweiten Heimat geworden<br />
für den Fotografen David Birri. Es gibt kaum ein<br />
Schacht, in den er mit seiner Kamera nicht schon<br />
hinabgestiegen ist, um die Baustelle zu dokumentieren,<br />
kaum ein Winkel, den er nicht schon<br />
erkundet hat, um neue Perspektiven zu finden.<br />
David Birri ist in Meiringen aufgewachsen und<br />
kam übers Snowboarden zum Fotografieren. Mit<br />
seinen Landschaftsbildern, aber auch den vielen<br />
Reportage-Fotos und Portraitaufnahmen verleiht<br />
er dem Berner Oberland seit vielen Jahren<br />
ein ausdrucksstarkes Gesicht. Birri betreibt ein<br />
professionelles Fotostudio an der Bahnhofstrasse<br />
in Meiringen – am liebsten ist er aber draussen<br />
unterwegs, zum Beispiel eben auf den Baustellen<br />
der KWO. www.davidbirri.com
18<br />
grimselwelt · im gespräch<br />
grimselwelt · laufende kopfzeile 19<br />
misse finden kann. Aqua Viva und der Grimselverein stellen sich hier<br />
quer. Vielleicht hätte ich vor ein paar Jahren nicht ganz so deutlich Stellung<br />
genommen. Aber wir leben in einer anderen Welt heute: Wir wollen<br />
die Energiewende, dafür braucht es Projekte wie die Trift und zwar<br />
sofort.<br />
Wir müssen abwägen zwischen Umweltschutz, Biodiversität und<br />
Energieversorgung. Wo stehen wir in diesem Prozess?<br />
Genau diese Diskussionen muss man führen – und man führt sie beispielsweise<br />
an den runden Tischen. Es braucht Zeit, gemeinsame Lösungen<br />
auszuhandeln. Es muss uns allerdings bewusst sein, dass wir nicht<br />
alles haben können. Die Energiewende ist ohne technische Bauwerke<br />
nicht denkbar. Die Frage ist: welche Eingriffe nimmt man in Kauf und<br />
welche nicht?<br />
Interview: Annette Marti, Fotos: David Birri<br />
Der Berner Energiedirektor Christoph Ammann (SP) ist verärgert<br />
über die Beschwerde gegen das Triftprojekt, auch einige Monate<br />
nach deren Eingabe. Ein Projekt könne nicht breiter abgestützt<br />
sein, hält er fest.<br />
Als um die Jahreswende bekannt wurde, dass gegen die Konzession<br />
für das Triftprojekt eine Beschwerde eingegangen ist, haben Sie die<br />
Beschwerdeführer stark kritisiert. Es handle sich um eine «querulatorische<br />
Beschwerde», sagten Sie. Sehen Sie die Sache heute noch so<br />
wie dann?<br />
Ja, mein Ärger ist immer noch gross. Wenn wir es mit der Energiewende<br />
ernst meinen, kann es nicht sein, dass breit abgestützte Projekte wie das<br />
Triftprojekt blockiert werden. Das Vorhaben hat grossen politischen<br />
Rückhalt und es ist in einem einvernehmlichen Prozess mit den Umweltorganisationen<br />
erarbeitet worden. Die KWO stand seit Langem mit den<br />
Schutzorganisationen im Austausch, auch der Kanton war über Jahre in<br />
diesen Dialog involviert. Es wurden Ausgleichsmassnahmen bestimmt,<br />
die weit über die gesetzlichen Vorgaben hinausgehen. Aqua Viva und<br />
der Grimselverein, die nun Beschwerde führen, wollten an diesem Prozess<br />
explizit nicht teilnehmen. Deshalb erachte ich dieses Vorgehen als<br />
destruktiv.<br />
Die Beschwerdeführer zielen in ihrer Kritik auch auf den Kanton. Sie<br />
sagen, die Interessensabwägung sei nicht sorgfältig genug gemacht<br />
worden.<br />
Die Beschwerdeführer brauchen ein Argument, das sie gegen das Projekt<br />
ins Feld führen können. Die Verwaltung hat die nötigen Schritte verfahrensmässig<br />
sauber erledigt, die erforderlichen Ergebnisse sind da.<br />
Das Vorgehen ist standardisiert, man wägt ökologische Werte ab und<br />
stellt sie energiepolitischen Ansprüchen gegenüber. Wie das übrigens<br />
auch im Rahmen des runden Tisches Wasserkraft auf nationaler Ebene<br />
geschehen ist. Dort ist man zu ähnlichen Ergebnissen gekommen.<br />
Wie ordnen Sie die Beweggründe der zwei Organisationen ein?<br />
Aus meiner Sicht geht es um Verhinderungspolitik. Aqua Viva verfügt<br />
über das Verbandsbeschwerderecht auf nationaler Ebene und bremst<br />
nun ein Projekt aus, das einen wichtigen Beitrag zur Energiewende leisten<br />
würde. Dies, wie mir scheint, aus dem einfachen Grund, dass die zwei<br />
Organisationen dieses Projekt schlicht nicht wollen. Vergessen Sie nicht,<br />
der Grosse Rat des Kantons Bern hat die Konzession für den Triftsee mit<br />
nur drei Gegenstimmen gutgeheissen. Eine breitere Abstützung kann<br />
man nicht haben! Das ist auch dem partizipativen Vorgehen zu verdanken.<br />
Ökologische Kreise sehen die Notwendigkeit, das Triftprojekt schnell<br />
zu realisieren.<br />
Im Falle der Trift würde dies heissen: Als wie hoch ist der Wert der<br />
Kleinstlebenwesen zu sehen, deren Lebensraum durch das Projekt<br />
tangiert wird?<br />
Ich fordere nicht, dass man der Energiewirtschaft einen Blankoscheck<br />
ausstellt. Aber ich bin im Oberhasli aufgewachsen und weiss, dass man<br />
sich dort mit den grossen Stauanlagen identifiziert. Viele Menschen<br />
empfinden das Miteinander von Natur und Technik als faszinierend. Wie<br />
sonst wäre zu erklären, dass die <strong>Grimselwelt</strong> ein Tourismusmagnet ist?<br />
In Bezug auf die Gletschervorfelder bin ich der Meinung, dass der ökologische<br />
Wert nicht nur abnimmt. Die Landschaft in der Trift ist in ständiger<br />
Veränderung. Mit dem Rückzug des Gletschers bilden sich neue<br />
Vorfelder. Ausgleichsmassnahmen tragen dazu bei, die Naturwerte zu<br />
erhalten, beispielsweise in den neuen Gletschervorfeldern und bei der<br />
Wiederbelebung von Trockenwiesen und -weiden.<br />
Man hat manchmal den Eindruck, als würden wir uns im Kreis drehen.<br />
Vermutlich ist die Dringlichkeit des Problems noch nicht klar genug. Wir<br />
sind vor einem Jahr in den Daunenjacken zur Arbeit gegangen, weil eine<br />
Energiemangellage drohte. Das scheint bereits wieder vergessen, als<br />
wäre es selbstverständlich, dass Strom aus den Steckdosen fliesst. Dabei<br />
sind die Herausforderungen in der Versorgung nicht weggewischt.<br />
Wenn Atomkraftwerke in Frankreich beispielsweise ausfallen oder die<br />
Gasspeicher in Europa nicht ausreichend gefüllt sind, kann es schnell<br />
heikel werden. Deshalb sollten wir jene Projekte voranbringen, die ausgereift<br />
und breit abgestützt sind. Wenn wir dies nicht wollen, muss man<br />
ehrlich sein und als Ersatzlösung eine zunehmend grössere Abhängigkeit<br />
vom Ausland in Kauf nehmen. Ungeachtet dessen, aus welcher Quelle<br />
dieser Strom stammt und ob wir ihn tatsächlich erhalten.<br />
Der runde Tisch Wasserkraft hat in der gesamten Schweiz 15 Projekte<br />
bestimmt, die schnell realisiert werden sollen. Drei davon liegen im<br />
Kanton Bern. Was können Sie aktuell tun, um diese Projekte<br />
voranzubringen?<br />
Das Triftprojekt ist schweizweit eines der wenigen,<br />
das bereit wäre zur Realisierung. Wegen der Beschwerde<br />
sind wir nun erst einmal zum Warten<br />
gezwungen. Das ist frustrierend. Als nächster<br />
Schritt wird das Gericht beurteilen, ob verfahrensmässig<br />
alles richtig gelaufen ist. Die<br />
Prozesse dauern, aber das ist Politik. Es ist<br />
ein Aushandeln von Lösungen – und das<br />
braucht Zeit, wie gesagt. Ich bin froh,<br />
dass der runde Tisch Wasserkraft überhaupt<br />
Ergebnisse hervorgebracht hat.<br />
Gemeinsam mit den Umweltorganisationen<br />
hat man sich auf Projekte<br />
einigen können, die einen grossen<br />
Es geht also um eine sehr partielle Perspektive auf die Sache.<br />
Persönlich sehe ich es so: Die Dialoge zum Triftprojekt, zu den dringlichen<br />
Wasserkraftprojekten und den Solarprojekten haben mir gezeigt,<br />
dass man mit den Umweltorganisationen durchaus tragfähige Kompro-
20 grimselwelt · im gespräch grimselwelt · 100 jahre 21<br />
energiewirtschaftlichen Nutzen aufweisen, bei<br />
gleichzeitig kleinstmöglichen Eingriffen ins Ökosystem.<br />
Die Beschwerde gegen das Triftprojekt<br />
steht quer zu diesem Konsens.<br />
Auf verschiedenen Ebenen hat man Wert daraufgelegt,<br />
einen Dialog zu führen, Konsens<br />
zu finden und trotzdem kommt das Triftprojekt<br />
nicht voran. Was hätte man stattdessen<br />
tun können?<br />
Nichts. Im Dialog auf Augenhöhe gute Lösungen<br />
auszuhandeln, ist der richtige Ansatz. Wer<br />
sich einem solchen Dialog verweigert und gegen<br />
politisch und gesellschaftlich breit abgestützte<br />
Projekte Fundamentalopposition betreibt,<br />
riskiert, dass das Verbandsbeschwerderecht<br />
in Frage gestellt wird.<br />
In den letzten Monaten gaben auch die Solaranlagen<br />
in den Alpen zu reden. Wo sehen<br />
Sie den Kanton Bern in Bezug auf die Umsetzung<br />
der Energiestrategie?<br />
Grundsätzlich beurteile ich die Lage positiv.<br />
Auch wenn – wie gesagt – das Tempo in der<br />
Politik manchmal etwas langsam ist. Wichtig<br />
ist, dass überhaupt eine Entwicklung stattfindet.<br />
Zwar ist der Solarexpress aktuell eher im<br />
Bummeltempo unterwegs, aber es geht vorwärts!<br />
Die Diskussionen finden statt. Die Verfahren<br />
sind für alle Beteiligten Neuland, alle<br />
sammeln jetzt Erfahrungen für die Zukunft.<br />
Bereits am Anfang habe ich darauf hingewiesen,<br />
dass ich im Kanton Bern nicht mit mehr<br />
als drei bis sechs Anlagen rechne.<br />
Was raten Sie der KWO zu tun?<br />
Auch das Unternehmen ist nun ja erst einmal<br />
dazu verdammt zu warten. Dabei denke ich,<br />
dass es wichtig ist, die Zeit zu nutzen, um zu<br />
erklären, warum man die jeweiligen Projekte<br />
realisieren will und warum der Zubau in der<br />
Wasserkraft wichtig ist. Die verschiedenen Räder müssen in der Energiewende<br />
ineinandergreifen, das Thema ist komplex. Es muss klar verständlich<br />
sein, wann welche Energieproduktion am meisten Sinn<br />
macht. Ein Stausee stellt eine grösstmögliche Batterie in unserem System<br />
dar und hat deshalb eine überaus grosse Bedeutung für die<br />
Stromversorgung im Winter. Und die Wasserkraft lässt sich ideal mit<br />
der Sonnenenergie verzahnen.<br />
RUNDER TISCH Das Projekt Speichersee und Kraftwerk Trift gehört wie die<br />
Vergrösserung des Grimselsees zu den Projekten, auf die<br />
WASSER -<br />
sich der runde Tisch Wasserkraft geeinigt hat. In diesem<br />
KRAFT<br />
Gremium hatten verschiedene Vertreterinnen und Vertreter<br />
von Bund und Kanton Einsitz, wie auch Akteure aus Wasserkraftunternehmungen<br />
und Umweltverbänden. Man einigte sich auf eine Liste von 15 Projekten,<br />
bei denen die Gruppe übereinstimmend zur Ansicht gekommen war, dass der energetische<br />
Nutzen höher zu gewichten ist, als die Auswirkungen auf Biodiversität und<br />
Landschaft. Die Ergebnisse vom runden Tisch Wasserkraft sind in das Stromgesetz (Mantelerlass)<br />
eingeflossen. Derweil steht die KWO bereits in einer weiteren Diskussionsrunde<br />
mit Umweltorganisationen und dem Kanton Bern, um zusätzliche Ausgleichsmassnahmen<br />
für das Projekt Grimselseevergrösserung zu konkretisieren, die der runde Tisch ausdrücklich<br />
fordert. Eine wichtige Rolle könnten dabei die Flächen mit Trockenwiesen und -weiden<br />
spielen, auf der die Biodiversität überdurchschnittlich hoch ist (Seite 10-13).<br />
PROJEKT VERGRÖSSERUNG<br />
GRIMSELSEE<br />
Eine bereits sehr lange Geschichte hat das Vorhaben, das Stauvolumen<br />
des Grimselsees zu vergrössern. Nachdem die KWO ihr ursprüngliches<br />
Projekt Grimsel West Ende der 1990er Jahre fallen<br />
liess, lancierte sie das Projekt Vergrösserung Grimselsee mit der<br />
Erhöhung der beiden Staumauern Seeuferegg und Spitallamm<br />
um 23 Meter. Mit diesem Projekt würde das Fassungsvermögen<br />
des Sees von bisher 94 Millionen auf 170 Millionen Kubikmeter<br />
steigen, was wie bei der Trift nicht nur eine bedeutende zusätzliche<br />
Stromproduktion erlauben würde, sondern vor allem eine vermehrte<br />
Produktion von Winterstrom, der dringend nötig ist. Das<br />
Projekt Grimselsee beschäftigte die Gerichte in den letzten 20 Jahren<br />
mehrmals und auf verschiedenen Stufen. Im November 2020<br />
entzog das Bundesgericht mit seinem Urteil der KWO die Konzession<br />
und wies das Geschäft zur Neubeurteilung an den bernischen<br />
Regierungsrat zurück. Das Projekt müsse zuerst im kantonalen<br />
Richtplan festgesetzt werden, nur so könnten die verschiedenen<br />
Nutz- und Schutzinteressen im Grimsel- und Sustengebiet aufeinander<br />
abgestimmt werden, so das Urteil des Bundesgerichts. Im<br />
kantonalen Richtplan sind sowohl das Projekt Vergrösserung<br />
Grimselsee wie auch das Projekt Speichersee und Kraftwerk Trift<br />
definitiv festgesetzt worden und so hat die KWO im vergangenen<br />
Jahr die umfangreichen Konzessionsunterlagen überarbeitet. Im<br />
Frühsommer <strong>2024</strong> wird die KWO das Konzessionsgesuch erneut<br />
beim Kanton Bern einreichen.<br />
PROJEKT SPEICHERSEE UND KRAFTWERK<br />
TRIFT<br />
Die KWO möchte ihr Anlagesystem<br />
mit einem<br />
weiteren Speichersee im<br />
Triftgebiet ergänzen –<br />
dies in einem Geländebecken,<br />
das durch den Rückzug des Triftgletschers entstanden ist.<br />
Damit liessen sich nicht nur zusätzliche 145 Gigawattstunden<br />
Strom pro Jahr gewinnen, sondern im See könnte mit 215 Gigawattstunden<br />
überaus wertvolle Energie für den Winter gespeichert<br />
werden. Der Grosse Rat des Kantons Bern hat die Konzession<br />
für das Triftprojekt im Juni 2023 mit 139 Ja zu 3 Nein gutgeheissen.<br />
Gegen diese Konzessionserteilung ist Ende des Jahres 2023 eine<br />
Beschwerde von der Umweltorganisation Aqua Viva und dem<br />
Grimselverein eingegangen. Nun ist das Projekt vorerst blockiert<br />
und wird um Jahre verzögert: Das Berner Verwaltungsgericht<br />
muss die Beschwerde prüfen. Die KWO hatte die Anliegen und<br />
Forderungen der Umweltorganisationen in ihre Planung einfliessen<br />
lassen. Während vier Jahren fand unter der Leitung der ehemaligen<br />
Berner Regierungsrätin Barbara Egger-Jenzer ein Partizipationsprozess<br />
statt. Es wurden umfangreiche ökologische<br />
Ersatz- und Ausgleichsmassnahmen ausgehandelt. An diesem<br />
Prozess hatten die beiden heutigen Beschwerdeführer allerdings<br />
nicht teilnehmen wollen.<br />
ZUR PERSON Christoph Ammann<br />
(SP) ist in Meiringen aufgewachsen, hat<br />
Germanistik und Latein studiert, war lange<br />
als Gymnasiallehrer am Gymnasium Interlaken<br />
tätig und stand diesem als Rektor<br />
vor. Seit dem 1. Juli 2016 ist Ammann Regierungsrat,<br />
nachdem er zuvor eine politische<br />
Karriere als Gemeindepräsident von<br />
Meiringen und als Grossrat durchlaufen<br />
hatte. Er führt die Wirtschafts-, Energieund<br />
Umweltdirektion. Der 55-Jährige ist<br />
verheiratet und hat zwei Kinder. Mit seiner<br />
Familie wohnt er noch immer in Meiringen.<br />
IM JUNI <strong>2024</strong><br />
VOLKSABSTIMMUNG<br />
Am 9. Juni <strong>2024</strong> wird die Schweizer Stimmbevölkerung über das Stromgesetz (auch «Mantelerlass»<br />
oder offiziell «Bundesgesetz über eine sichere Stromversorgung mit erneuerbaren<br />
Energien» genannt) abstimmen. Im Herbst 2023 hat das Parlament dieses Gesetz mit<br />
einer grossen Mehrheit verabschiedet, zur Abstimmung gelangt es, weil das Referendum<br />
ergriffen worden ist. Der Entscheid ist für die Energiebranche überaus wichtig, da das Gesetz<br />
Mechanismen regelt, die den Ausbau erneuerbarer Energien beschleunigen sollen.<br />
Insbesondere legt die Vorlage den Fokus auch auf die Versorgung im Winter, wobei bis<br />
2040 mindestens 6 Terawattstunden an erneuerbarer Stromproduktion zugebaut werden<br />
sollen, davon mindestens 2 Terawattstunden sicher abrufbar im Winter. Dies soll mit<br />
Speicherwasserkraftwerken, Solar- und Windkraftanlagen gelingen, die von nationalem<br />
Interesse sind. Konkret nennt das Gesetz die 15 vom runden Tisch Wasserkraft bestimmten<br />
Projekte sowie ein weiteres im Kanton Graubünden, die prioritär behandelt werden<br />
sollen. Weitere Informationen www.bfe.admin.ch<br />
Er war in der Ausbauphase<br />
der KWO in der<br />
Oberaar mit dabei:<br />
Raphael Kiechler,<br />
Jahrgang 1928.<br />
Im Juni 2025 wird die KWO<br />
100 Jahre alt. Zeit, zurückzublättern<br />
und gleichzeitig<br />
zu überlegen, wo die<br />
Unternehmung heute<br />
steht, was sie ausmacht<br />
und wohin sie sich weiter<br />
bewegen möchte.<br />
«Wo wollen Sie mit den Hausschlappen hin? Das sind doch keine Schuhe<br />
fürs Gebirge!» Sagt der 95-Jährige, als wir uns am Grimselpass treffen.<br />
Recht hat er natürlich. Die Wanderschuhe sind im Auto, die Zeit reichte<br />
nur nicht, sie anzuziehen. «Barrierenwärter Nägeli», sagt Raphael Kiechler<br />
und deutet auf das kleine Häuschen an der Abzweigung, «von ihm<br />
haben Sie aber schon gehört, oder?» Barrierenwärter Nägeli ist eine Legende.<br />
Er war jahrelang für den Verkehr in die Oberaar zuständig. Er liess<br />
sich jeweils im Frühsommer mit Frau, Ziegen und Hausrat im Häuschen<br />
an der Abzweigung absetzen und räumte seinen Posten erst wieder im<br />
Herbst. An diesem Nachmittag im September begeben wir uns auf Spurensuche<br />
im Gelände und rollen alte Geschichten auf.<br />
Die KWO wurde am 20. Juni 1925 in Bern gegründet. Dass sie eine eigenständige<br />
AG wurde, hat sie einem politischen Zufall zu verdanken. Die<br />
Machtverhältnisse im Kanton liessen es damals nicht zu, dass die BKW<br />
die grossen Projekte an der Grimsel im Alleingang realisierte. Und so trat<br />
die KWO als eine Art kleine Schwester der BKW ins Leben, jedoch ebenfalls<br />
als ein gänzliches Berner Projekt. Erst mit dem Beitritt der Städte<br />
Basel (1928), Bern (1930) und Zürich (1938) wurde sie zu dem, was sie<br />
heute ist: ein Partnerwerk. Aus Anlass des 100-jährigen Jubiläums arbeitet<br />
die KWO ihre Geschichte auf, um zu verstehen, wie sich die Zeit geändert<br />
hat, aber auch, um zu sehen, wo die Unternehmung steht, was<br />
Interview: Annette Marti, Foto: David Birri<br />
heute wichtig ist und welche Faktoren auch in Zukunft eine Rolle spielen<br />
könnten. In diesem Zusammenhang soll auch ein Buch erscheinen. Es ist<br />
eine Reise durch 100 Jahre, sie führt durch Archive, Schriften, Fotos,<br />
durch Wohnzimmer und Büros, durch Kraftwerke, Leitungen und Wasserschlösser<br />
und über Baustellen.<br />
Raphael Kiechler, mit Jahrgang 1928 drei Jahre jünger als die KWO, erschien<br />
noch im ersten Viertel der Geschichte auf dem weitläufigen Feld<br />
der Ereignisse. Als 20-jähriger kam der Bauernsohn aus Münster auf<br />
der Suche nach Arbeit zu den damaligen Baustellen der KWO. Er hatte<br />
gehört, dass die Berner einen neuen Stausee bauen. So stieg er vom<br />
Goms mit den Ski über das Löffelhorn an die Oberaar und fragte, ob es<br />
allenfalls etwas zu tun gebe für ihn. Am gleichen Abend trat Kiechler die<br />
erste Nachtschicht im Stollen zwischen Oberaar und Hausenegg an. Die<br />
Geschichten, die uns Raphael Kiechler erzählt, auf der kleinen Expedition<br />
ans Trübtenseeli und in die Oberaar (nun korrekt gekleidet), finden Eingang<br />
ins 100-jährige KWO-Buch – so wie viele andere Berichte und Erinnerungen<br />
von Zeitzeugen. Die KWO ist und war immer schon eingebunden<br />
in ein dicht gewobenes Netz von Verbindungen zwischen Politik,<br />
Markt, Gesellschaft, Natur und Weltlage. Dieses Netz prägte die Form<br />
der Unternehmung, ihr wahres Gesicht hat sie aber den Menschen zu<br />
verdanken, die in diesem KWO-Netz tätig sind und tätig waren.
22 grimselwelt · wanderung oberaar<br />
grimselwelt · laufende grimselwelt23 kopfzeile 23<br />
ühne frei für<br />
Text: Annette Marti, Fotos: David Birri<br />
Die Oberaar ist ein kleines Paradies weit ab von<br />
aller Hektik – hier lässt es sich wunderbar wandern,<br />
in Seilbahnen herumgondeln oder einfach nur auf<br />
der Terrasse sitzen, Rösti essen und gucken.<br />
die Oberaar
24 grimselwelt · · Wanderung grimselbahn<br />
laufende kopfzeile Oberaar<br />
grimselwelt grimselwelt ·· Wanderung laufende · grimselbahn kopfzeile Oberaar 25<br />
Eliane von Bergen und Thomas Eymann auf ihrer Erkundungstour vom Grimsel Hospiz in die Oberaar.<br />
Am Anfang darf man selber den Knopf drücken, der so schön bunt<br />
leuchtet und in der Seilbahn eine ganze Rochade auslöst. Die Türen<br />
schliessen sich, kurz ist es ruhig, dann schrillt die Glocke und<br />
gleich schwingt die Gondel mit einem sanften Ruck aus der Station. Die<br />
Bahn vom Grimsel Hospiz zur Oberaar funktioniert im sogenannten<br />
«Selbstfahrbetrieb», was so viel bedeutet wie: Jeder ist sein eigener<br />
Bähnli-Chauffeur. Hier kann man einsteigen, den Knopf drücken und abfahren,<br />
ganz ohne Fahrplan. Das Panorama, das sich vor den Fenstern<br />
der Bahn ausbreitet, ist von der ersten Minute an umwerfend. Schwerelos<br />
gondelt die Kabine über den See, die beiden riesigen, roten Kranen<br />
der Spitallammbaustelle werden schnell kleiner. Je weiter hinauf die Gondel<br />
fährt, desto mehr Bergspitzen tauchen auf. Mit jedem Meter erschliesst<br />
sich ein neuer Bergrücken, ein weiterer Horizont, gestaffelt in<br />
verschiedenen Farbtönen. Manche Felsgrate sehen so wild gezackt und<br />
surreal aus, dass man sich gut und gerne einen Spass daraus machen<br />
kann, den krassesten Felszahn aus der ganzen Reihe von verrückten Türmen<br />
und Nasen zu suchen.<br />
Beim Kessiturm liegt die Zwischenstation. Hier heisst es umsteigen.<br />
Die zweite Etappe führt zunächst gemächlich über eine kunstvoll arrangierte<br />
Hochebene. Glatte Felsrücken wölben sich aus den Wiesenpolstern<br />
auf, hie und da trotzt eine Mini-Lärche dem Klima, kleine Bäche<br />
schlängeln sich durch die Herbstfarben und münden in Tümpel. Die Wasserflächen<br />
schimmern mal grün-moosig, mal braun. In Fahrtrichtung<br />
rechts erstreckt sich der endlos lange Grimselsee und bald wird der Blick<br />
frei zum Lauteraargletscher, der sich elegant gegen den See hinschlängelt.<br />
Dann plötzlich geht es schnell. Die Bahn rattert über den Masten<br />
am höchsten Punkt vor der Oberaar und schon liegt einem der nächste<br />
See zu Füssen. Die Oberfläche glänzt inmitten von einem breiten, offenen<br />
Hochtal. In der Ferne funkelt der Oberaargletscher, vorne setzt die<br />
Staumauer einen kräftigen, geschwungenen Abschluss. Schnell geht es<br />
abwärts, am Berghaus und der Oberaarstrasse vorbei, zur Station neben<br />
der Staumauer.<br />
Nun ist es gewiss ein guter Rat, erst einmal nur zu schauen. Einzutauchen<br />
in diese besondere hochalpine Welt, so nahe und bequem erreichbar<br />
und doch in einer schönen Art etwas abseits von allem. Wer<br />
nicht schon längst geplant hat, muss sich jetzt entscheiden, wohin es<br />
gehen soll. Entlang des Oberaarsees führt ein angenehmer Wanderweg<br />
dem Gletscher entgegen, zuerst über die Staumauer und dann in sanftem<br />
Auf und Ab dem Wasser entlang. Dank der Anziehungskraft des Gletschers<br />
verfliegt die Zeit auf dieser Wanderung im Nu. Übrigens beginnt<br />
gleich nach der Mauer das Unesco Welterbe Jungfrau-Aletsch. Von der<br />
Staumauer aus in umgekehrter Richtung locken ebenfalls Wandermöglichkeiten,<br />
zum Beispiel über die Bäregg zum Trübtensee oder – etwas<br />
alpiner – über Bäregg, Trübtensee und Sidelhorn zurück zum Grimselpass.<br />
Auf dieser Strecke sind grandiose Ausblicke garantiert, allerdings<br />
auch ein paar Höhenmeter Aufstieg und unzählige Felsblöcke zum Herumkraxeln.<br />
Die Tour zum Sidelhorn gehört ohne Zweifel zu den Grimsel-<br />
Highlights schlechthin.<br />
Die Oberaar erlaubt viel Genuss auch ohne sportlichen Effort. Die<br />
wenigen Zick-Zack-Kurven auf dem Weg von der Staumauer hinauf zum<br />
Berghaus Oberaar sind bei der Geniesser-Variante nicht gezählt. Das<br />
mächtige Haus im dicken Steingewand ist unschwer als kleine Schwester<br />
des Grimsel Hospiz zu erkennen und stammt aus der Bauzeit des Oberaarstausees<br />
Anfang der 1950er Jahre. Auf der Terrasse lässt es sich wunderbar<br />
verweilen. Das Team im Berghaus Oberaar versorgt die<br />
Gäste mit den zur Landschaft passenden Gerichten, herzhafte Rösti<br />
beispielsweise, Käseschnitte, Alpkäse oder Kaffee und Haslikuchen.<br />
Die Berggipfel rundherum tragen das ihre zum wunderbaren Ambiente<br />
bei und verleiten dazu, über vergangene Zeiten nachzudenken.<br />
Die ersten «Touristen» in dieser Region waren Naturforscher, die mit<br />
viel Enthusiasmus die Bergwelt erkundeten. Sie kartierten alles, was ihnen<br />
unter die Augen kam: seltene Blumenarten, alpine Tierbestände<br />
oder der Zustand der Gletscher. Einige dieser Forscher haben ihre Namen<br />
an den Bergen zurückgelassen, so gibt es ein Scheuchzerhorn (nach<br />
Johann Jakob Scheuchzer benannt), ein Escherhorn (Arnold Escher von<br />
der Linth) oder ein Grunerhorn (Gottlieb Sigmund Gruner).<br />
Lange vor dieser Zeit gehörte die Oberaar zum Alpgebiet der Gemeinde<br />
Törbel im Wallis. Das Dorf in der Nähe von Visp verfügte über zu<br />
wenig Alpland, weshalb die Burgergemeinde die Alp Oberaar 1514 von<br />
der Landschaft Hasli abkaufte. Fortan zogen die Törbjer mit ihren Tieren<br />
zu Beginn des Alpsommers über Visp, Goms und Grimselpass in die<br />
Oberaar. Mindestens drei Tage dauerten diese Alpaufzüge und längst<br />
nicht alle Tiere kamen heil an. 1948 kaufte die KWO die Alp zurück, kurz<br />
bevor die Bauarbeiten für den neuen Stausee begannen. Seither ist die<br />
Oberaar ein wichtiger Baustein im weit verzweigten Kraftwerk-System.<br />
Nun stellt sich natürlich die Frage, wo genau die unterirdischen Verbindungen<br />
verlaufen – wie passt sich diese künstliche Unterwelt in die Landschaft<br />
ein? Wo gehen die Stollen durch? In welche Kraftwerke fliesst das<br />
Wasser aus dem See? Überblick verschafft hier eine Tafel unten an der<br />
Seilbahnstation, doch vorerst heisst es Abschied nehmen vom Berghaus<br />
und seiner Chefin. Die Gastgeberin steht unter der Tür und strahlt: «Hier<br />
ist einfach alles ein bisschen anders – gestern hat es geschneit!» Alles<br />
sei etwas speziell, etwas einfacher, etwas langsamer, dafür garantiert<br />
unverfälscht und hochalpin. «Ich liebe die Oberaar». Recht hat sie. Dem<br />
Reiz dieser Landschaft kann man fast nicht entkommen. Bleibt also der<br />
Spaziergang hinab zur Bahn und die beschauliche Fahrt zurück zum Historischen<br />
Alpinhotel Grimsel Hospiz.<br />
Oberaargletscher<br />
Die Wanderung von der Staumauer bis ans<br />
Ende des Speichersees dauert ungefähr<br />
1 Stunde, hin und zurück 2 Stunden.<br />
Oberaar – Husenegg – Grimsel Hospiz<br />
Über Bäregg, Trübtensee und Husenegg führt<br />
ein guter Wanderweg vom Berghaus Oberaar<br />
zum Grimsel Hospiz, dies gewissermassen als<br />
Abkürzung für jene, die nicht über das Sidelhorn<br />
kraxeln mögen. Ungefähr 3 Stunden,<br />
5,6 km.<br />
BEGRHAUS<br />
O B E R A A R<br />
Die Oberaar ist im Grunde genommen zu<br />
schön, um sie nach einem kurzen Besuch<br />
wieder zu verlassen. Wer über Nacht bleibt,<br />
erlebt den Abend und den Morgen im Gebirge<br />
– dann, wenn alle anderen Gäste bereits<br />
wieder im Unterland weilen. Im Berghaus<br />
Oberaar gibt es Doppel- und Mehrbettzimmer<br />
wie auch zwei Matratzenlager für 8 und<br />
10 Personen. Die Saison ist kurz, sie beginnt<br />
auf 2‘338 Metern über Meer normalerweise<br />
Ende Juni und geht bis Anfang Oktober.<br />
Weitere Informationen und Reservation:<br />
www.grimselwelt.ch/grimselhotels/<br />
berghaus-oberaar<br />
Oberaar – Sidelhorn – Grimsel Hospiz<br />
Vom Berghaus Oberaar gelangt man via<br />
Bäregg zum Trübtensee, von dort in einem<br />
kräftigen Anstieg hinauf zum Grat und weiter<br />
zum Sidelhorn (2‘764 m ü. M.). Grossartiges<br />
Panorama zur Oberaar, hinab ins Goms und<br />
hinüber zu Grimselpass und Galenstock.<br />
Wanderzeit bis zur Bergstation Sidelhornbahn<br />
3 bis 3,5 Stunden.
26 grimselwelt · spitallamm staumauer<br />
grimselwelt · spitallamm staumauer<br />
27<br />
Text: Annette Marti, Fotos: David Birri<br />
Die Operation Spitallamm erfordert nicht nur den Einbau<br />
eines neuen Organs, der Staumauer, sondern auch die<br />
Verknüpfung mit allen wichtigen Zugängen des gesamten<br />
Systems. Dazu sind viele versteckte Arbeiten nötig.<br />
Aurélie Koch steht in einem zwei Meter hohen, schwarzen Loch<br />
tief unten im Berg. Wir befinden uns am Fuss der neu betonierten<br />
Staumauer in einem Leitungsrohr für den neuen Grundablass<br />
des Grimselsees. Ein Baustellenscheinwerfer erhellt eine rechteckige<br />
Öffnung im Hintergrund. «Dort vorne werden wir den Grundablass<br />
schliessen können», erklärt die Ingenieurin und zündet mit ihrer Stirnlampe<br />
zur Öffnung. Auf der anderen Seite, in Richtung Grimselsee, verliert<br />
sich der Stollen im schwarzen Nichts. Der Grundablass eines Stausees<br />
funktioniert wie der Stöpsel einer Badewanne. Normalerweise ist<br />
er mit einer sogenannten Tafelschütze verschlossen. Nur in zwei Fällen<br />
wird der «Pfropfen» gezogen: Bei einem Hochwasser kann das Wasser<br />
durch den offenen Grundablass direkt ins Flussbett der Aare fliessen.<br />
Dies ist zentral für die Sicherheit der gesamten Anlage. Ebenso braucht<br />
es den Grundablass, um den Stausee vollkommen zu entleeren, wenn<br />
beispielsweise Revisionsarbeiten durchgeführt werden müssen. Dieses<br />
System ist nicht zu verwechseln mit dem Einlauf des Wassers zu den<br />
Kraftwerken, der sich beim Grimselsee an einer anderen Stelle befindet.<br />
Ein leises Tropfen ist zu hören. Neben Dunkelheit und Kälte gehört<br />
auch Wasser zum Innenleben eines Berges. Und davon wird es an dieser<br />
Stelle mehr als genug geben, sobald die neue Staumauer an der Spitallamm<br />
in Betrieb geht. Aurélie Koch führt aus: «Hier, auf der Rückseite<br />
des Schütz wird immer Wasser sein. Da kann man in Zukunft nur noch<br />
hin, wenn der See entleert ist.» Jetzt kann man einigermassen gemütlich<br />
durch die Leitungen spazieren. Denn der Ablauf wird erst mit dem Seebecken<br />
verbunden, wenn der Grimselsee im Winter <strong>2024</strong>/25 entleert ist.<br />
Dann kann das letzte Stück des Stollens ausgesprengt werden. Das<br />
Stahlrohr, durch das das Wasser künftig rauschen wird, wechselt seine<br />
Form von rund auf rechteckig kurz vor der Apparatekammer. Hier wird<br />
sich der gesamte Wasserdruck des Grimselsees versammeln und auf die<br />
Bauten einwirken – für die Planer und Baufachleute eine grosse Herausforderung.<br />
«Es braucht höchste Arbeitsqualität», sagt Bauingenieurin<br />
Koch, «die Stahlwasserbau-Fachleute müssen besonders sorgfältig vor-<br />
gehen - auch die Verbindung von Stahl und Beton muss gut stimmen.»<br />
Nur so können die immensen Kräfte des Wassers über die Bauwerke in<br />
den Fels abgeleitet werden. Koch kennt die Einzelheiten des Projekts,<br />
denn sie war als Mitarbeiterin des Ingenieurbüros IUB in Bern bereits<br />
während der vierjährigen Planungszeit direkt involviert. Dass sie den<br />
Sommer 2023 über als Bauleiterin an die KWO ausgemietet wurde, ist<br />
für sie ein Glücksfall. «Es war eine spezielle Planung», sagt die Freiburgerin<br />
und schlüpft durch die Öffnung in den Unterlauf des Stollens. «Es<br />
ist grossartig, dass ich nun auch bei der Umsetzung dabei sein kann. So<br />
sehe ich genau, wo Fehler passiert sind und was man besser machen<br />
könnte.» Ein Grundablass wird weder in der Schweiz noch sonst in Europa<br />
besonders häufig gebaut. Deshalb erachtet es Koch als besonders<br />
wichtig, Theorie und Praxis gut miteinander zu verbinden. «Man muss<br />
beide Seiten verstehen», ist sie überzeugt.
28 grimselwelt · spitallamm staumauer<br />
grimselwelt · spitallamm · laufende kopfzeile baustelle 29<br />
Das Schützengehäuse ist bereits eingebaut, wo das Wasser künftig<br />
zurückgehalten wird. Noch ist nicht alles zu Ende betoniert. Gleichzeitig<br />
müssen die Stahlbauelemente fertig geschweisst werden. Für die Stahlbauarbeiten<br />
ist Montageleiter Thomas Heuserer und sein Team der österreichischen<br />
Firma Künz zuständig. Heuserer erzählt, wie die Bauteile<br />
an ihren Bestimmungsort gekommen sind. Lastwagen transportierten<br />
die grossen Rohre bis hinauf zur Baustelle an der Grimsel und manövrierten<br />
dann durch den Zufahrtstunnel in den Berg hinein bis zur Apparatekammer.<br />
Mit einem Kran konnten die schweren Stücke von dort<br />
durch eine Öffnung in den Wasserstollen hinabgelassen werden. Das<br />
Hin- und Herschieben im unteren Stock erfolgte auf Schienen und mit<br />
einer elektrischen Winde. An den Schienen, die im Fels verankert sind,<br />
wurden die einzelnen Rohrstücke festgemacht und einbetoniert.<br />
Enge Platzverhältnisse und exotische Baustellen sind für Heuserer<br />
und sein Team Alltag. «In den Stollen ist es immer eng», sagt er. Meist<br />
ist die Künz-Truppe irgendwo im Nirgendwo unterwegs, selten auf einer<br />
Baustelle, die so gut erreichbar ist, wie die Spitallamm. «Das hier ist Luxus»,<br />
sagt der Montageleiter aus der Steiermark, «wir waren schon an<br />
ganz anderen Orten, zum Beispiel in Alaska, wo man nur mit dem Wasserflugzeug<br />
hinkommt und es darüber hinaus noch nicht mal Handyempfang<br />
gibt.» Dennoch ist auch der Grundablass der neuen Spitallamm-Mauer<br />
kein Kinderspiel. Herausfordernd ist, dass ein Schütz vor<br />
Ort und unter Druck gar nie getestet werden kann. Denn sobald Wasser<br />
im See ist, staut es sich auch im Grundablassstollen hinter dem Betriebsschütz.<br />
«Bei einem Schütz ist immer Ernstfall – die Teile sind deshalb<br />
bereits bei uns im Werk auf Herz und Nieren geprüft worden», sagt Heuserer.<br />
Hinzu kommt, dass solche Anlagen immer auf die jeweilige Situation<br />
massgeschneidert sind – es gibt keine Standardlösungen.<br />
Unterhalb des Schützenkastens beginnt der Unterwasserstollen.<br />
Von hier geht es nicht mehr allzu weit bis zur Oberfläche – das kleine,<br />
runde Loch mit Tageslicht ist von weitem zu erkennen. In den Stahlwannen<br />
sind hinter einer Plane zwei Arbeiter mit Schweissen beschäftigt. Sie<br />
sorgen dafür, dass die verschiedenen Stahlelemente des Abflusses nietund<br />
nagelfest miteinander verbunden sind. In ihren Anzügen sehen sie<br />
aus wie Astronauten. Das Outfit schützt die Schweisser nicht nur vor<br />
dem Funkenregen, sondern über die spezielle Maske wird auch die Versorgung<br />
mit sauberer Luft geregelt. Die Partikel, die beim Schweissen<br />
frei werden, sind schädlich für die Lungen. Die Schweisser von Künz sind<br />
echte Profis, die über verschiedene Spezial-Prüfungen verfügen. Für<br />
praktisch jedes Rohr und jede Stelle braucht es eine bestimmte Zulassung<br />
– dies ist die hohe Kunst des Schweissens. «Es muss alles einwandfrei<br />
gemacht sein», erklärt Montageleiter Thomas Heuserer, «deshalb<br />
prüfen wir die Schweissnähte fortlaufend.» Sollte nur eine kleine Blase<br />
oder ein feiner Riss auftreten, heisst es, wieder von vorne zu beginnen.<br />
Wie bereits Aurélie Koch weiss auch Heuserer um die hohen Anforderungen<br />
an die Qualität. «Wir arbeiten so, dass die nächsten 60 oder 70<br />
Jahre niemand mehr den Stollen im Grundablass betreten muss», stellt<br />
er in Aussicht.<br />
Und wozu dient der verbeulte Kochherd, der am Rande der unterirdischen<br />
Baustelle steht? Wie ein Botschafter aus einer anderen Welt verströmt<br />
der kleine Herd eine gute Portion Gemütlichkeit. «Der ist nicht<br />
zum Kaffeekochen», stellt Heuserer klar, «wir wärmen darin die Schweissdrähte.»<br />
Nicht die Temperaturen seien in den Stollen das Problem, sondern<br />
vielmehr die hohe Luftfeuchtigkeit. «Dieser Herd war schon auf<br />
einigen Baustellen», schmunzelt Heuserer – bei soviel Spezialwissen im<br />
Stahlwasserbau spielt ein simples Küchengerät noch eine Rolle! Kaffeekochen<br />
hin oder her – für Thomas Heuserer ist klar: «Ich liebe Baustellen<br />
wie diese, deshalb bin ich schon seit 15 Jahren auf Montage.» Bis das<br />
Wasser die Bauwerke im Grundablass auf die Probe stellen wird, dauert<br />
es noch ein Weilchen – ab dem 15. April 2025 gilt es ernst. Vorerst kann<br />
man die Baustelle noch zu Fuss verlassen, durch den dunklen Stollen bis<br />
an die Oberfläche. Und wenn man blinzelnd wie ein Maulwurf wieder<br />
ans Tageslicht kommt und den Kopf dreht, erhebt sich direkt über einem<br />
die Betonanlage und dahinter die neue Mauer, die schon weit gegen<br />
den Himmel gewachsen ist.<br />
Unterwasserstollen<br />
zur Aare<br />
Normalerweise ist der<br />
Grundablass mit den<br />
Tafelschützen verschlossen.<br />
Das Wasser,<br />
das vom See kommt,<br />
wird zurückgehalten.<br />
Muss das Wasser<br />
schnell abfliessen,<br />
werden die Tafeln im<br />
Schützenkasten<br />
hochgezogen.<br />
Stahlpanzerung<br />
Aparatekammer im<br />
Grundablass<br />
Schützenkasten<br />
Tafelschützen<br />
Beton<br />
vom See<br />
Stahlpanzerung
30<br />
grimselwelt · spitallamm staumauer<br />
grimselwelt · laufende kopfzeile 31<br />
Um ihren Arbeitsplatz zu erreichen, müssen<br />
die Kranführer der Spitallamm-Baustelle<br />
besonders weit hinaufklettern – die zwei roten<br />
Riesen sind die höchsten freistehenden Kräne<br />
der Schweiz. Ein Besuch bei Edith Lutz.<br />
WEIT OBEN UND DOCH MITTENDRIN<br />
Es sei ein Zufall, sagt Edith Lutz, dass sie<br />
Kranführerin wurde. Die 32-Jährige hatte<br />
schon verschiedene Jobs. Ausgerechnet als<br />
sie im eleganten Rock Getränke und Speisen<br />
durch ein Restaurant balancierte, sagte jemand<br />
zu ihr: Du wärst eine gute Kranführerin! Einem<br />
Gast vom Bau war aufgefallen, dass sie stets<br />
Ordnung hatte, den Überblick hielt und auch<br />
in hektischen Momenten ruhig blieb. Diese<br />
drei Fähigkeiten seien wichtig für Kranführer,<br />
erklärte man ihr, und wenig später kletterte sie<br />
ein erstes Mal mit vor Aufregung zitternden<br />
Knien auf einen Baukran. Tatsächlich packte<br />
sie das Virus. Edith Lutz tauschte High-Heels<br />
gegen Bergschuhe und begann, als Kranführerin<br />
zu arbeiten. Zuerst steuerte sie die Kräne<br />
vom Boden aus, mit der Zeit ging es in die<br />
Höhe. «Es ist ein spezielles Gefühl, da oben zu<br />
sein», sagt sie und scrollt durch Bilder auf ihrem<br />
Telefon. Die besondere Aussicht von einer<br />
Baustelle mitten in Basel ist zu sehen, dann<br />
Sonnenuntergänge auf einem Bauplatz am Bodensee.<br />
«Die Stimmungen sind fantastisch.»<br />
Allerdings erfordert die Arbeit viel Konzentration<br />
und Verantwortung. «Ich muss entscheiden,<br />
wie ich eine Arbeit ausführe oder im Extremfall,<br />
ob ich etwas überhaupt mache oder<br />
nicht. Man muss höllisch aufpassen, damit<br />
nichts schief geht.»<br />
Die Baumaschinen und Container am Fuss<br />
der neuen Spitallamm-Mauer wirken wie Spielzeug<br />
durch den Glasboden der Krankabine betrachtet.<br />
Winzig klein sind die Menschen, die<br />
herumwuseln und ihre Arbeit verrichten. Die<br />
beiden riesigen roten Kräne, zwei Wippkräne<br />
der Firma Wolffkran, gehören mit 97 Metern<br />
Höhe zu den höchsten ihrer Art. Anfang der<br />
Bausaison 2023 kam Edith an die Grimsel und<br />
musste sich an die Dimensionen gewöhnen.<br />
Manches funktioniert anders hier oben, die<br />
Betonkübel fassen 18,5 Tonnen – der Kran<br />
läuft somit stets nahe am Limit mit seinen 20<br />
Tonnen, die er maximal heben kann. Zwischendurch<br />
gilt es, einen Bagger oder einen kleinen<br />
Kran in die Höhe zu transportieren, was auf anderen<br />
Baustellen nicht vorkommt. Bei solch<br />
schweren Lasten wippt der Kran stets leicht vor<br />
und zurück. Beim Betonieren wird ein hoher<br />
Takt angeschlagen. «Nach meinen ersten zwei<br />
Tagen Betonieren sagte mir unten einer, ich sei<br />
bei jedem Durchgang 20 Sekunden langsamer<br />
als die anderen Kranführer», erzählt die junge<br />
Frau. Sie versuchte, sich so schnell wie möglich<br />
an die Eigenheiten zu gewöhnen und das Tempo<br />
zu steigern. «Jeder Kran reagiert anders,<br />
das musst du spüren: Wie schnell schwenkt er,<br />
wie stark musst du ausgleichen… solche Dinge.»<br />
Letztlich, das weiss sie mittlerweile aus<br />
Erfahrung, sei aber nicht das Handling der Maschine<br />
das Schwierigste an ihrem Job, sondern<br />
der Umgang mit den eigenen Emotionen.<br />
«Man ist allein oben auf dem Kran, da muss<br />
man sich schon im Griff haben», sagt sie.<br />
Manchmal ärgere sie sich, fühle sich einsam<br />
oder sei nervös, trotzdem müsse sie mit der<br />
gleichen Konzentration und Präzision arbeiten.<br />
«Je nachdem, wie ich drauf bin, fahre ich anders.<br />
Es kommt mir so vor, als würde der Kran<br />
meine Gefühle widerspiegeln.»<br />
An diesem Abend im Spätherbst ist es ruhig.<br />
Edith hat ihre Schicht um 17 Uhr begonnen,<br />
sie dauert bis um 2 Uhr morgens. Das ist<br />
die längste Schicht. Sie stört es nicht, abgesehen<br />
davon, dass sie ihre zwei Hunde lange<br />
Arbeitsplatz mit<br />
Aussicht: Kranführerin<br />
Edith Lutz auf<br />
dem grossen Kran.<br />
nicht sieht. Dafür kann die Kranführerin tagsüber<br />
mit ihnen unterwegs sein, wenn sie in ihrem<br />
Wohnmobil, das nicht weit von der Baustelle<br />
steht, ausgeschlafen hat. Während der<br />
Spätschicht kümmert sich ein Kollege um die<br />
Hunde. «Und ich freue mich jetzt schon, wenn<br />
ich im Winter nach Spanien fahre und dann<br />
ganz viel freie Zeit habe», sagt sie. Der Kollege<br />
auf dem Nollenkran nebenan arbeitet mit der<br />
Beton-Gruppe, sie selber hilft der Einleger-<br />
Truppe, die in den Verbindungsgängen Rohre<br />
und Ventile für Injektionen einlegt. Mit dem<br />
Polier kommuniziert sie über Funk. Edith Lutz<br />
bewegt sachte den Joystick und fährt eine Mulde<br />
mit altem Schalungsholz zu einem Container,<br />
kippt die Mulde und entleert sie mit einem<br />
leichten Rütteln. «Manchmal klappt alles wie<br />
am Schnürchen», kommentiert sie. «Das sind<br />
die besten Tage, wenn man mit der Maschine<br />
eins wird.» An anderen Tagen läuft es nicht<br />
gleich rund. Dann gelingt es ihr zum Beispiel<br />
nicht, die Flasche am Ende des Seils ganz ruhig<br />
zu halten. Doch unterdessen lässt sich die<br />
Kranführerin nicht so leicht aus der Spur bringen.<br />
Auch nicht, wenn die Stunden auf der<br />
Nachtschicht nur zäh vorbeigehen. Wenn nicht<br />
viel zu tun ist, fühlen sich die Einsätze länger<br />
an als sonst. Dann macht sie sich einen Tee in<br />
der Mini-Küche der Kabine, hört einen Podcast<br />
oder nimmt einen Zug frische Luft draussen<br />
auf der Plattform. Weder für eine Essenspause<br />
noch für den Toilettengang steigt sie die vielen<br />
Leitern hinunter. Die Verpflegung haben die<br />
Kranführer mit dabei und neben der Kabine<br />
auf dem Ausleger des Krans steht ein Toi-Toi-<br />
Klo. Obschon ihr Job Entbehrungen erfordert,<br />
liebt die junge Frau, was sie tut: «Ich hatte einige<br />
Male gedacht, auf diesen gigantisch grossen<br />
Kränen zu fahren, wäre ein Traum. Dass ich<br />
nun tatsächlich hier bin, ist unglaublich.»<br />
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50 Zentimeter<br />
Der Kran wippt 50 cm vor<br />
und zurück, wenn ein voller Betonkübel<br />
angehängt wird.<br />
70 Lastwagen<br />
Für die Anlieferung der<br />
beiden Kräne.<br />
50 Meter<br />
Höhe eines geläufigen Baukrans.<br />
20 Tonnen<br />
Maximal kann der Kran<br />
20 Tonnen anheben.<br />
Ein gefüllter Betonkübel<br />
wiegt 18,5 Tonnen.<br />
4,5 Minuten<br />
Befüllen des Kübels, zur Mauer<br />
fahren, kippen und wieder zurück.<br />
Projektleiter Benno Schwegler zum Fortschritt<br />
der Bauarbeiten an der Spitallamm<br />
JAHR<br />
BEGINNT DER<br />
EINSTAU<br />
IN EINEM<br />
2025 ist die neue Staumauer fertig.<br />
Was muss noch erledigt sein bis dahin?<br />
Benno Schwegler: Der Winter <strong>2024</strong>/2025<br />
wird sehr spannend. Wir entleeren den<br />
Grimselsee vollständig. Ab Mitte Dezember<br />
<strong>2024</strong> beginnen wir mit den letzten Arbeiten,<br />
die wir nur machen können, wenn kein Wasser im See ist. Am 15.<br />
April 2025 beginnt der Ersteinstau, dieses Datum ist fix.<br />
Wieso?<br />
Unsere Aktionäre müssen planen, wie die Stromproduktion aussieht.<br />
Wenn der Grimselsee leer ist, kommt es natürlich zu Einbussen. Vor allem<br />
fehlt Speicher für wertvolle Winterenergie. Wir sind angehalten, den<br />
See möglichst schnell wieder zu füllen und dennoch brauchen die Arbeiten,<br />
die unter schwierigen Bedingungen stattfinden, ihre Zeit.<br />
Welche Arbeiten müssen im Seegrund gemacht werden?<br />
Für den Anschluss der neuen Anlage fehlen Verbindungsstücke. Es müssen<br />
noch rund 10 Meter des Ausgleichsstollens durch die alte Mauer<br />
ausgebrochen werden, um anschliessend den Zwischenraum zwischen<br />
der alten und der neuen Mauer zu füllen. Beim Grundablassstollen fehlen<br />
etwa 25 Meter bis zum Seegrund. Wir machen zudem reguläre Unterhaltsarbeiten<br />
im leeren See, zum Beispiel am Einlauf zum Kraftwerk<br />
Grimsel 1 und am Umleitstollen.<br />
Im Winter sind diese Arbeiten sicher schwierig?<br />
Ja, tatsächlich. Allein die Logistik ist kompliziert auf dieser Höhe. Es werden<br />
rund 100 Personen auf dem Grimsel Nollen wohnen, deshalb können<br />
wir das Alpinhotel Grimsel Hospiz im Winter auch nicht für Gäste<br />
offenhalten. Die Zugänglichkeit der Baustellen ist eine weitere Herausforderung,<br />
unterhalb der Staumauer dürfte meterhoch Schnee liegen<br />
und der Seegrund ist nach der Entleerung schlammig, beziehungsweise<br />
dann gefroren und schneebedeckt. Es stellen sich viele Fragen, zum Beispiel:<br />
Wie ist die Sicherheit gewährleistet? Wie bringt man die Geräte in<br />
den See hinab? Alle diese Punkte erfordern eine sehr sorgfältige Planung.<br />
Wie staut man das Wasser ein?<br />
Wir füllen in drei Etappen. Ziel ist, im September 2025 den See wieder<br />
ganz voll zu haben. Dazwischen gibt es mehrere Phasen, in denen wir<br />
intensiv messen, um zu sehen, wie sich die neue Mauer verhält. Bei diesen<br />
Checks ist auch das Bundesamt für Energie als Aufsichtsbehörde für<br />
die Sicherheit von Staumauern involviert. Damit wären wir bei einem<br />
nächsten Punkt: Die verschiedenen Messgeräte in der neuen Staumauer<br />
müssen bis Ende der Bausaison <strong>2024</strong> vollständig betriebsbereit sein.<br />
Wieviel fehlt noch bei den Betonarbeiten?<br />
In der Bausaison <strong>2024</strong> werden wir nicht mehr im gleichen Tempo betonieren<br />
wie bisher. Noch rund 10 Prozent der gesamten Betonmasse<br />
muss eingebaut werden, dazu kommt die Mauerkrone mit der Brüstung.<br />
Ebenso müssen noch Fugen verfüllt werden und es gilt, die Mauer weiter<br />
gegen den Fels hin abzudichten, indem wir Zementsuspension unter<br />
Druck in Bohrlöcher einpressen.
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grimselwelt · laufende kopfzeile<br />
AGENTUR 01<br />
HOTEL UND NATURRESORT HANDECK<br />
Wie aus dem<br />
Bilderbuch<br />
Das Naturresort Handeck hautnah erleben. Mit blumenübersäten Bergwiesen,<br />
mumelnden Bächen, dunklen Wäldern, erlebnisreichen Wanderrouten und<br />
atemberaubenden Gelmerbahnfahrten. Und einer Käserei,<br />
wo man zuschauen darf, wenn der Käser im Kessi rührt und<br />
mit viel Wissen und Leidenschaft Alpkäse herstellt. Das alles<br />
bietet das Hotel Handeck mit seinen gediegenen, vielseitigen<br />
Zimmern und der regionalen Küche. Wir freuen uns auf Sie!