24.04.2024 Aufrufe

Flipbook Community Arts final

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In enger Kooperation mit

Herausgeber Hochschule Kehl im Rahmen des Fachprojektes „Kommunales Kulturmanagement“

im WS 2023 und SS 2024 Konzept & Redaktion Team FP 33 Projektleitung & Layout Dr. Simon

Moser Fotos Team FP 33 Texte Team FP 33 Das Team FP 33 sind: Friederike Albert, Aylin Altikulac,

Laura Arendt, Louisa Bender, Ronja Jabbusch, Lara Kortyka, Helena Lehmann, Leonie Schwab, Valerie

Weiß, Nicole Zimny


Editorial

Die Wirkung von Kunst unter sozialen Aspekten,

ganz gleich ob es sich um Musik, Tanz,

darstellende oder bildende Kunst handelt, ist

verblüffend, vor allem dann wenn man sie in

Gemeinschaft, ohne Bewertung und ohne Leistungsdruck

selbst aktiv erlebt und betreibt.

sozio-kulturellen und künstlerischen Sparten

zusammengekommen.

Team FP 33 v.l.n.r.: Louisa Bender, Helena Lehmann, Valerie Weiß, Ronja Jabbusch, Simon Moser (FP 33-Ltg),

Nicole Zimny, Leonie Schwab, Friederike Albert, Lara Kortyka, Ayline Altikulac, nicht im Bild Laura Arendt

Wir sind zehn Studierende an der Hochschule

Kehl und haben uns als Fachprojekt das noch

relativ junge, erst im Aufbau begriffene Thema

„Community Arts“ ausgesucht, weil wir unser

Zusammenleben in einer Gesellschaft von

Morgen schon jetzt mitgestalten möchten, in

dem heute schon die entsprechenden Weichen

gestellt werden. Wir beobachten, dass unsere

Gesellschaft verschiedensten Belastungen und

Krisen ausgesetzt ist, dass sie sich verändert

und auch die Haltung der Menschen.

Nach unseren Einschätzungen kann die Kultur

mit ihren bunten Facetten dabei eine positive,

mitgestaltende Rolle einnehmen. Das wollten

wir mal genauer unter die Lupe nehmen.

Wir haben dazu eine Menge recherchiert und

sind in ganz Baden Württemberg mit verschiedensten

Akteuren und Institutionen aus dem

Herausgekommen ist ein 60-seitiges Online-

Flipbook, in dem wir viele unserer ersten

Eindrücken, Einschätzungen, gespickt mit kompakten

Infos und zahlreichen Fotos und Abbildungen,

zusammengeführt haben.

Neben verschiedensten Einzelberichten, haben

wir „Die blaue Themenbox“ eingeführt, in der

wir auf Zusammenhänge mit gesellschaftlich relevanten

Themen aufmerksam machen wollen.

Uns war es wichtig, auf Randgruppen hinzuweisen

und ihnen eine Stimme zu geben. Wir

wollen zu mehr Angeboten in diesem Bereich

inspirieren, um ein positives, harmonisierendes

gesellschaftliches Miteinander zu fördern.

Wie wirksam Kultur ist, persönlich wie gesellschaftlich,

davon konnten wir uns überzeugen.

Unser Motto ist inzwischen: „Kunst wirkt!“

Wir wünschen viel Spaß beim Blättern.

Team FP 33


Unsere Unterstützer


Inhaltsverzeichnis

Community Music

Freiburg singt jetzt auch mit den Händen

im inklusiven Gebärdenchor „Singende Hände“

von Helena Lehmann

Die BLaue Themenbox:

Seite

5

Inklusion & Integration

Die BLaue Themenbox:

Zusammenhalt in unserer Gesellschaft

HupFe-Trommler

„Rhythmus bei dem jeder mit muss“

„Ohne die Möglichkeit dazu zu gehören,

fühle ich mich einfach scheiße.“

Inklusive Harmonien: Die Musik einer inklusiven

Band und ihre positiven Effekte

von Valerie Weiß

Seite

9

Seite

10

Seite

15

von Laura Arendt

Community Art

Kopf aus, Gefühl an!

Meine Selbsterfahrung am Malort

Seite

16

Schaffung bunter Brücken

hin zur inklusiven Gemeinschaft

Kunstprojekt für Frauen

von Aylin Altikulac

Seite

20

von Ronja Jabbusch

Seite

24


Soziokulturelles Engagement

Die BLaue Themenbox:

Was bedeutet Community Arts?

Ort der Begegnung für Kunst und Kultur

Community Art am Beispiel des Community

Art Centers in Mannheim (CACM)

von Friederike Albert

Seite

36

Wie Community Arts

das Leben im Alter bereichern

Kreative Lösungen für das Altern

von Lara Kortyka

„Schwere (s) Los!“ -

Kreative Freiheit für alle!

Seite

32

Seite

35

Community Dance

Jubes - Let´s dance!

von Leonie Schwab

Seite

42

von Nicole Zimny

Die BLaue Themenbox:

Seite

46

Persönlichkeitsentwicklung und die Künste

Capoeira für alle: Eine Kampfkunst ,

die Grenzen übewindet

Seite

49

von Louisa Bender

Seite

50


Freiburg singt jetzt

auch mit den Händen

Im inklusiven Gebärdenchor „singende Hände“

von Helena Lehmann

Die Fusion von Musik und Gebärden

schafft Harmonie und Vielfalt

in Freiburgs Kunstszene

Als ich zum ersten Mal von diesem Chor hörte,

war sofort meine Neugierde geweckt. Ein

Gebärdenchor? Das klingt faszinierend, aber

was verbirgt sich dahinter? Wie mag das funktionieren?

Besuch einer Chorprobe

Um meinen Fragen auf den Grund zu gehen,

besuche ich aktiv eine Probe der „Singenden

Hände“. In dem Chor gibt es sowohl Hörende

als auch Nichthörende Mitglieder.

Die Probe beginnt mit einer Vorstellungsrunde,

unterstützt durch die Dolmetscherin des

Chores. Anschließend folgt ein spielerisches

Aufwärmen des Körpers durch verschiedene

Übungen. Beispielsweise das Nachahmen von

Gebärden, die abwechselnd vorgemacht werden,

während wir uns imaginäre Bälle zuspielen.

Ich bin erstaunt, wie gut wir miteinander

kommunizieren können, obwohl wir dies auf

unterschiedliche Weise tun.

Nach dem Aufwärmen teilen wir uns in zwei

Gruppen auf: eine hörende und eine nichthörende

Gruppe. Die hörende Gruppe konzentriert

sich auf die Liedtexte, während die nichthörende

Gruppe die Gebärden übt. Danach

kommen wir wieder in einem Kreis zusammen.

Von den Gehörlosen lernen wir die Gebärden.

Gemeinsam singen und gebärden wir die Lieder.

Es fühlt sich großartig an, Teil dieser vielfältigen

Gruppe zu sein. Denn obwohl ich diese Menschen

kaum kenne, verspüre ich ein Gefühl der

Zugehörigkeit und des gegenseitigen Verständnisses.

Hier werden die Unterschiede nicht nur

akzeptiert, sondern auch gefeiert.

Interview mit Sophia Kirstein

Nach der Probe treffe ich Sophia Kirstein, Projektinitiatorin

und Chorleiterin der „Singenden

Hände“. Die Inspiration für das Projekt kam ihr

während des Lehramtstudiums an der Musikhochschule

Freiburg, als sie sich intensiv mit

dem Zusammenhang von Musik und Bewegung

beschäftigte. Während dieser Zeit stieß sie auf

die Welt der Gebärden. Ihre Idee eines Gebärdenchors

setzte sie erstmals im Rahmen ihrer

künstlerisch-pädagogischen Projektprüfung

zum Abschluss des Masterstudiums vergangenes

Jahr um.

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Bei den singenden Händen begegnen sich die Choreografische Kunst der Gebärdenpoesie und die auditive

Kunst des Gesangs.

„Gebärdenpoesie ist im Grunde nichts anderes

wie Singen“

„In der Gebärdensprache existiert eine Kunstform

namens Gebärdenpoesie“, erklärt mir

Sophia Kirstein, und weiter „Singen ist auch

eine Kunstform unserer Sprache“. Sie wollte

diese beiden Kunstformen vereinen, auf diese

Weise hat sie etwas Einzigartiges erschaffen.

„Es macht unglaublich viel Spaß und passt wunderbar

zusammen!“ Bei ihrer Abschlussprüfung

haben sie vierstimmig gesungen und gebärdet,

da soll es in Zukunft wieder hingehen. Es gibt

zwar einige Gebärdenchöre in Deutschland, die

Lieder in Gebärden umwandeln, jedoch ohne

Sängerinnen und Sänger.

„Es ist unser Ziel Brücken zu bauen“

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Chorleitung:

Sophia Kirstein (rechts, hörend),

Stephanie Mündel-Möhr (gehörlos)

Entstehungsjahr des Chores: 2023

Proben: alle 2-3 Wochen von 16:30-20:00

Bisherige Auftritte: inklusiver Spieletag im

Quartier Vauban in Freiburg, Inklusionstag

in Freiburg auf dem Platz der alten Synagoge

Es geht darum, Menschen verschiedener Hintergründe

zusammenzubringen. Sophia Kirstein

möchte den Kontakt zwischen Hörenden und

Nichthörenden fördern, da Hörende meist wenig

Kontakt zu nichthörenden Menschen haben.

Durch solche künstlerischen Aktivitäten möchte

sie Brücken bauen. Das hat oberste Priorität bei

den „Singenden Händen“ und geschieht in jeder

Probe. Zusätzlich ist es ein Ziel, dies noch weiter

nach außen zu tragen. Die Idee, Gebärdenpoesie

als Gruppe zu erleben, ist etwas, das mehr

Beachtung verdient und auf die Bühne gebracht

werden sollte.

„Ich empfinde das Projekt als herausfordernd

in jeglicher Hinsicht“

Sophia Kirstein erklärt mir, dass die Kommunikation

im Vergleich zu anderen Chören völlig

anders ist. Auch wenn sie mittlerweile ein wenig

Gebärdensprache beherrscht, kann sie sich


noch nicht frei unterhalten. Es gibt eine Dolmetscherin

im Chor, die aber auch nicht immer

dabei ist.

Besonders wichtig ist es für sie, Hörende und

Gehörlose zusammenzubringen. Obwohl dies

durch die gemeinsame künstlerische Tätigkeit

automatisch geschieht, gibt es dennoch Barrieren,

insbesondere die Sprachbarriere.

Es ist eine große Herausforderung gleichzeitig

zu singen und die Gebärden auszuführen,

besonders weil die Gebärden auch nicht immer

das Gleiche bedeuten, wie der gesungene Text.

Es gibt viele Faktoren zu beachten, wie das Tempo,

die Größe der Gebärden, die Handbewegungen

– all diese Aspekte spielen eine Rolle.

Liederauswahl

Die „Singenden Hände“ konzentrieren sich eher

auf klassische Chormusik, obwohl sie sich nicht

vollständig festgelegt haben. Sie werden jedoch

keine Popsongs oder Ähnliches performen. Ihre

musikalische Auswahl bewegt sich im Bereich

der Chormusik, was auch poppig oder jazzig

sein kann. Letztendlich umfasst ihr bisheriges

Repertoire Kanons und einfachere Lieder, dass

soll sich aber dieses Jahr noch ändern.

Gebärdenpoesie ist eine Kunstform der

Gebärdensprache, die reich an Symbolik,

Metaphern und ästhetischen Elementen

ist. Sie nutzt die physische Bewegung,

Mimik, Gestik und den Raum, um Emotionen,

Bilder und Gedanken auszudrücken.

Hierbei wird großen Wert auf Rhythmus,

Bewegungsmuster, Symmetrie und die

räumliche Anordnung der Gesten gelegt.

Im Gegensatz zur direkten und funktionalen

Natur der alltäglichen Gebärdensprache

zielt Gebärdenpoesie darauf ab, eine

tiefere emotionale Verbindung mit dem

Publikum herzustellen und eine Bühne für

die Darstellung von Poesie zu bieten, die

sowohl visuell als auch emotional anspricht.

„Ich habe in den Proben zwischendurch

immer mal wieder Gänsehautmomente“

Es bewege Sophia Kirstein sehr, wenn alle gemeinsam

gebärden und singen. Besonders für

sie sei auch, dass man überhaupt nicht mehr

wahrnehme, wer hörend und wer gehörlos ist.

„Das ist eine Gruppe, die gemeinsam Kunst

schafft, das sieht wunderbar aus, und das klingt.“

Gebärdenpoesie erfordert eine kreative

Interpretation sowohl vom Künstler

als auch vom Publikum

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Bei den Proben geht es heiter und locker zu. Seit 2023 entwickelt sich hier eine besondere Community, die

kein Berührungängste mehr kennt. Der Austausch auf besondere Weise wird zur Selbstverständlichkeit.

Foto: Cäcilia Oswald

„Für nicht Hörende sind Freizeitaktivitäten

rar“

Der Chor bietet nichthörenden Menschen ein

seltenes künstlerisches Angebot. Auch andere

Freizeitaktivitäten sind für sie nur begrenzt

verfügbar. Vom Gehörlosenbund wird einiges

angeboten, aber dort treffen sie immer die gleichen

Personen. Hörende Menschen von außen

kommen kaum auf die Idee dort hinzugehen.

Die „Singenden Hände“ sind Teil des Vereins

„Zeug und Quer e.V.“. Diese Wahl wurde bewusst

getroffen, da der Fokus auf Kunst und nicht

auf der Fähigkeit zu hören liegt. „Wir sind alle

Menschen und werden gemeinsam künstlerisch

tätig.“

„Es geht auch viel über Mimik und Gestik“

Sophia Kirstein hat festgestellt, dass sie durch

diese Erfahrung viel für sich selbst lernt. Unter

Hörenden wird oft ein Pokerface während des

Sprechens aufgesetzt, obwohl viel über die

Augen, das Gesicht, die Körpersprache und die

Haltung kommuniziert wird. Ihr Wunsch ist es,

diese Elemente noch stärker in die Poesie einzubringen.

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Mein Fazit

Der Gebärdenchor „Singende Hände“ ist ein

beeindruckendes Beispiel für Community Arts. Er

nutzt die Kraft der Kunst, durch die Verbindung

von Bewegung und Gesang, um zwischen verschiedenen

Gemeinschaften Brücken zu bauen.

Hier können die Menschen ungeachtet ihrer

Hintergründe, Fähigkeiten und Ausdrucksformen

zusammenkommen.

Ich wünsche mir, noch mehr solcher inklusiven

Projekte zu sehen, die die Vielfalt nicht nur

wertschätzen, sondern sie aktiv in den künstlerischen

Prozess integrieren. Das stärkt nicht nur

die Teilnehmenden, sondern bereichert auch die

Gesellschaft, indem sie den Austausch zwischen

Menschen unterschiedlicher Hintergründe und

Fähigkeiten fördern und Barrieren abbauen.


Inklusion

und Integration

Die blaue

Themen-Box

Unsere Stadtgesellschaften und Kommunen

stehen in einer Zeit multipler Krisen vor enormen

Herausforderungen. Populismus, religiöser

und politischer Extremismus, Radikalisierung,

Rassismus, gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit

bedrohen die liberale Demokratie und

den gesellschaftlichen Frieden.

Globalisierung, Digitalisierung, Demografie,

kulturelle Vielfalt, Diversität, Armut, Teilhabe,

Klimawandel, Nachhaltigkeit, Dekarbonisierung

und viele mehr sind die Herausforderungen der

Zukunft. Sie wirken sich in ihrer Vielschichtigkeit

auf unser Zusammenleben aus.

In der Inklusion sind die gesellschaftlich konvergierenden,

also die zusammenführenden Kräfte,

wie Solidarität, Akzeptanz, Respekt, Regeln des

Zusammenlebens, gesellschaftliche Teilhabe,

Vertrauen, Identifikation, soziale Netze, Gerechtigkeitsempfinden

am stärksten ausgeprägt und

sorgen für den größten, wie wertschätzendsten

Zusammenhalt der Menschen.

Oft werden die Begriffe Integration und Inklusion

gleichbedeutend verwendet oder vermischt.

Dabei meint Inklusion, eine Umgebung zu

schaffen, die allen Menschen gleichberechtigte

Teilhabe ermöglicht. Hier greift vor allem

das Prinzip der Akzeptanz. Die Umwelt passt

sich quasi an die Menschen in ihrer Vielfalt an,

schafft Angebote und sucht den Kontakt auf Augenhöhe.

Während das Prinzip der Integration

umgekehrt, auf der Anpassung der Menschen

Modelle des Zusammenlebens

Exklusion Separation Integration

Inklusion

Es stellt sich natürlich die Frage: Wie wollen wir

in Zukunft zusammenleben und den Umgang

miteinander gestalten? - Grafisch schematisiert

sind die wesentlichen Modelle des Zusammenlebens:

Exklusion (Ausschuß), Separation (Trennung),

Integration (Einbindung) und Inklusion

(Einschluß). (s.o.) Ein Blick in die Geschichte

lehrt, dass gerade Exklusion und Seperation politischen

wie gesellschaftlichen Zündstoff boten.

an eine schon bestehende Umgebung bzw. die

Gesellschaft, basiert. Beide Modelle wollen im

Grunde ein geschlossenes Gesellschaftsbild. Homogener

und stabiler ist jedoch das Modell der

Inklusion. Das setzt jedoch von jedem einzelnen

Mitglied einer Gesellschaft einen stärkeren

Lernprozeß bzw. ein Umdenken voraus. Das bedeutet

jeder einzelne muss mehr an sich selbst

arbeiten, das macht Mühe.

Die Haltung „Wer bei uns leben will, muss sich

uns anpassen“ schiebt den Handlungsbedarf

bei der Integration auf die anderen. Sollten wir

für unsere Welt von Morgen nicht selbst aktiver

aus der Komfortzone herraustreten ... ?

9


10


„Ohne die Möglichkeit dazu zu gehören ,

fühle ich mich einfach scheiße.“

Inklusive Harmonien: Die Musik einer inklusiven Band und ihre positiven Effekte

von Valerie Weiss

Inklusive Musik bietet Menschen mit unterschiedlichen

Handicaps die Möglichkeit ihre

Stärken zum Ausdruck zu bringen und die positiven

Effekte, die Musik hat, zu erleben. Durch

die universelle Sprache der Musik entsteht eine

inklusive Gemeinschaft, die Vielfalt feiert und

jeden Teilnehmer wertschätzt.

„Inklusion heißt allgemein aber sich zurückzunehmen,

da man selbst einen Rückschritt

wagen muss“, sagt der Musiklehrer Daniel Pellegrini.

Man muss alle Konzepte, Regeln und das

leistungsbezogene Denken ablegen. Oft bedeutet

es auch Entspannung, weil im Mittelpunkt

einfach nur das Musizieren steht. Genau das ist

die Besonderheit an dieser inklusiven Band für

Daniel. Zusammen mit dem Leiter des „musiclab“,

Krischan Lukanow, leitet er die integrative

Band „RHYTHMICS“.

Musik mal anders.

Die Band besteht schon seit 2006 und wurde

damals von Werner Englert, dem alten Chef des

„musiclab“, initiiert. Es war die Idee, einfach mal

ganz anders an Musik ranzugehen. An dem Tag

der offenen Tür wurden in Behindertenschulen

der Region Workshops angeboten, wodurch

einige Mitglieder aufmerksam wurden. Oft

kommen auch Freunde oder Interessierte dazu.

Die Band ist sehr offen und nimmt gerne immer

wieder neue Mitglieder auf. Die Hauptsache

ist, dass die Harmonie innerhalb der Gruppe

stimmt, sodass sich jeder wohl fühlt.

Musik ermöglicht Emotionsausdruck.

„Es ist alles offen und jeder kann einfach mal

spielen“, so Daniel. Ab Minute eins spielen die

Scan mich!

Die integrative Band

„RHYTHMICS“ live

erleben? -

Kein Problem, einfach

den QR-Code scannen

und los geht‘s

Bandmitglieder nach ihren eigenen Empfindungen

einfach mal drauf los. Manchmal entstehen

dadurch ein großes Durcheinander und manchmal

schöne Stimmungen. Auf jeden Fall versuchen

Daniel und Krischan, durch das Mitspielen

auf dem Klavier oder Schlagzeug, aber auch

durch den Einsatz durch Autotune, Harmonie

hereinzubringen und aktiv an dem Zusammenhalt

der Band mitzuwirken. Zugegebenermaßen,

sagt Daniel, dass es ihnen natürlich auch

nicht immer gelingt. Das ist aber auch nicht weiter

schlimm, wenn jeder die Möglichkeit hat,

einfach nur Musik zu machen.

Musik beeinflusst die Stimmung positiv.

Musik hat nachweislich einen positiven Einfluss

auf unsere Stimmung und kann die Produktion

von Serotonin stimulieren, einem Neurotransmitter,

der für Glücksgefühle und Wohlbefinden

verantwortlich ist. In der Band „Rhythmics“ ist

diese Verbindung zwischen Musik und Stimmung

besonders deutlich zu spüren. Die Mitglieder

genießen es, zusammen zu musizieren

und strahlen dabei eine ansteckende Begeisterung

aus. Sie fühlen sich ernst genommen und

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geschätzt, was ihr Selbstwertgefühl stärkt und

ihr Glücksempfinden steigert.

Daniel und Krischan, die Musiklehrer der Band,

tragen ebenfalls zur positiven Atmosphäre bei,

indem sie die Stimmungen und Rhythmen der

Musik gezielt nutzen, um die Freude am Musizieren

zu intensivieren. In den Musikstunden

herrscht eine ausgelassene Stimmung, in der

gemeinsam gelacht und genossen wird, ähnlich

wie in einer harmonischen Freundesgruppe.

Musik stärkt sozialen Bindungen.

Die Mitglieder selbst fühlen sich wohl und haben

ein starkes Zusammengehörig¬keitsgefühl.

Was sie alle zusammenbringt, ist die Musik und

die Freude daran. Auch in ihrer Freizeit ist die

Musik ein großes Thema für sie. Für ihre gemeinsame

Gruppe nehmen sie Videos von sich

auf beim Singen, Schlagzeug oder Klavier spielen,

sichtlich stolz darauf, was sie schon alles in

den Musikstunden gelernt haben.

Musik fördert motorische Fähigkeiten.

Den Bandmitgliedern gelingt es nach einiger

Übung auch ganz gut den Rhythmus zu halten

und auf die Anweisungen der Musiklehrer zu

hören. Passend zum Rhythmus nicken sie mit

und versuchen damit im Takt zu bleiben. Dabei

entwickeln sie nicht nur ein musikalisches Verständnis,

sondern verbessern auch ihre motorischen

Fähigkeiten. Denn beim Schlagzeug, Bass

oder Klavier spielen, werden unter anderem

die Koordinationsfähigkeit und die Feinmotorik

trainiert. Vereinzelt haben sie auch Einzelunterricht,

um sich individuell, unabhängig von

der Gruppe, in ihrer Musik weiterentwickeln zu

können.

Musik stärkt das Selbstvertrauen.

Früher hat die Band auch richtige Songs gespielt

und hatte auch Auftritte auf Festen oder in der

Stadthalle. Dabei hatten sie das Publikum völlig

im Griff und brachten alle zum Klatschen. Heute

setzen sie eher auf experimentelle Musik und

klingen dadurch moderner. Kürzlich komponierte

und spielte die Band die Filmmusik für einen

Kunstfilm ein. Der Regisseur dirigierte, während

die Musiklehrer und Bandmitglieder musizierten.

Er zeigt Interesse an der Band und erkundigt

sich gelegentlich nach möglichen Schauspielern

aus ihren Reihen. Bis zuletzt arbeiteten

die Musiklehrer daran, einen kurzen Film über

die inklusive Band zu drehen. Die Mitglieder

sind stolz auf ihre Musik und freuen sich auch

darüber, sie ihrem Umfeld zeigen zu können.

Musik hat viele positive Effekte.

Zum einen bietet Musik immer eine Möglichkeit

sich anders als mit Worten auszudrücken und

seine Emotionen an andere Menschen zu über-

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liefern. Nicht nur das eigene Wohlbefinden,

sondern auch kognitive Fähigkeiten können sich

verbessern. Gruppenmusizieren kann soziale

Bindungen stärken und die soziale Kompetenz

verbessern. Natürlich sind die Einflüsse von

Musik sehr individuell, genauso wie es auch

die Menschen in dieser Band sind. Die Art der

Behinderung, die persönlichen Präferenzen und

die spezifischen Bedürfnisse jedes Einzelnen

spielen dabei eine entscheidende Rolle. Jedoch

lässt sich allgemein feststellen, dass Musik viele

unterschiedliche positive Effekte auslösen kann.

Wenn auch nur ein positiver Effekt jeweils zutrifft,

ist es bereits ein Erfolg.

Musik schafft Zugehörigkeit.

Auch Daniel ist der Meinung, dass Inklusion

in der Gesellschaft viel zu weit hinten steht.

Heutzutage geraten die zwischenmenschlichen

Beziehungen oft in den Hintergrund. Im Vordergrund

steht die Leistung, die jeder einzelne

von uns in dieser Gesellschaft erbringt. Somit

scheint es eher eine Frage der Priorisierung.

Aber vergessen wir dabei nicht auch jemanden?

Was ist mit den Menschen, die aufgrund

körperlicher oder geistiger Einschränk-ungen

einfach nicht, wie verlangt, leisten können? Wir

alle wollen das Gefühl haben, dazu zugehören

und, dass unsere Bedürfnisse und Wünsche

berücksichtigt werden. Einer der Bandmitglieder

bringt es völlig auf den Punkt: „Wenn ich

keine Möglichkeit habe dazu zugehören, fühle

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ich mich einfach scheiße“. Für ihn ist es wichtig,

dass man sich auch mal in ihn hineinversetzt

und merkt, wie er sich als Mensch mit einer Behinderung

fühlt. Es ist wichtig, diese Menschen

selbst zu fragen, was sie wollen und was sie

fühlen. Möglicherweise liegt das Problem genau

darin. Viele von ihnen wissen genau, was sie

wollen und brauchen, nur oft werden sie nicht

gefragt.

Auf der Suche nach inklusiven Projekten fällt

leider auf, dass es nur eine beschränkte Zahl an

Angeboten gibt. Für Menschen mit einer Behinderung

stellt dies eine Herausforderung dar,

Menschen zu finden, die ihre Interessen und

Probleme teilen. Die begrenzte Anzahl inklusiver

Projekte lässt sich dabei auf verschiedene

Herausforderungen zurückführen. Zum einen

können finanzielle Heraus¬forder¬ungen, wie

die Notwendigkeit barrierefreier Einrichtungen,

sowie spezieller Ausrüstungen, eine bedeutende

Hürde für die Umsetzung inklusiver Projekte

sein. Zudem können unklare gesetzliche Rahmenbedingungen

und fehlende Anreize Organisationen

davon abhalten, solche Projekte zu

starten. Klare gesetzliche Vorgaben könnten

hier helfen, indem sie als Richtlinie für die Umsetzung

dienen und Anreize schaffen. Vielmehr

jedoch lässt sich die begrenzte Anzahl auf einen

Mangel an Sensibilisierung und Verständnis

für Menschen mit Behinderungen zurückführen.

Folglich führt dies zu Unsicher¬heiten und

Vorbehalten, die die Bereitschaft zu Umsetzung

inklusiver Projekte beeinträchtigen kann. Berührungsängste

und Unwissenheit sorgen dafür,

dass menschlichen Stärken, die Menschen mit

einem Handicap haben, nicht erkannt werden.

Jedoch bringen sie eine Vielzahl von Fähigkeiten

und Stärken mit, die oft unterschätzt werden.

Menschen mit Handicap zeigen oft bemerkenswerte

Kreativität, emotionale Sensibilität und

Anpassungsfähigkeit. Ihre Ent-schlossen¬heit

und Empathie sind inspirierend und bringen

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neue Perspektiven in die Gesellschaft. Inklusive

Projekte können von ihren vielfältigen Fähigkeiten

profitieren und zeigen, wie wertvoll

die Integration und Zusammenarbeit aller in

unserer Gesellschaft ist. Umso wichtiger ist es,

mit diesen Menschen in Kontakt zu treten, um

dadurch ihre Stärken kennenzulernen.


Zusammenhalt

in unserer Gesellschaft

Die blaue

Themen-Box

Die auseinander strebenden Kräfte scheinen

in unserer Gesellschaft an Stärke zu gewinnen.

(Siehe auch S. 9) Rund 80 % der Menschen teilen

diese Sorge, laut einer Bertelsmann-Studie.

Was schafft aber den Grip, der die Menschen in

einer Gesellschaft verbindet, sie zusammenhält

und bei aller Diversität ein Stück weit harmonisiert?

- Es sind vielfältige soziale Beziehungen,

die durch Vertrauen und Verläßlichkeit gewachsen

sind und den Menschen ein Gefühl von

Verbundenheit und Zugehörigkeit geben und

zudem ihre Bereitschaft wachsen lassen, sich

für das Gemeinwohl der Gesellschaft einzusetzen.

Soziale

Beziehungen

Soziale Netzwerke

Die Menschen haben vielfältige

und belastbare Netzwerke

Vertrauen in Mitmenschen

Die Menschen vertrauen sich

untereinander

Akzeptanz von Diversität

Die Menschen akzeptieren Personen

mit anderen Wertvorstellungen

und Lebensweisen als

gleichberechtigte

Mitglieder der

Gesellschaft.

Verbundenheit

Identifikation

Die Menschen fühlen sich mit ihrem

Gemeinwesen stark verbunden und

identifizieren sich als Teil davon

Vertrauen in Institutionen

Die Menschen haben Vertrauen in gesellschaftliche

und politische Institutionen.

Gerechtigkeitsempfinden

Die Menschen sehen die Verteilung

der Güter in der Gesellschaft

als gerecht an und

fühlen sich

gerecht

behandelt.

Community Arts

Solidarität

können an vielen

und Hilfsbereitschaft

Die Menschen fühlen sich

Stellen auf den verantwortlich für ihre Mitmenschen

und helfen ihnen.

Zusammenhalt

in unserer

Gesellschaft

einwirken. Sie sind

hier mit einem

gekennzeichnet.

Es lohnt sich Angebote

für Teilhabe und gemeinschaftliche

Erlebnisse zu schaffen,

„soziales“ Lernen geschieht hier spielerisch

Zusammenhalt

Gemeinwohlorientierung

Anerkennung

sozialer Regeln

Die Menschen halten sich an

grundlegende soziale Regeln.

Gesellschaftliche Teilhabe

Die Menschen nehmen am gesellschaftlichen und politischen

Leben teil und beteiligen sich an

öffentlichen Debatten.

ohne Druck, viel Spaß, Offenheit und einem guten

Gefühl in

Gemeinschaft.

Community Arts

könnten auch bei

steigender

Digitalisierung,

zunehmendem Einsatz

von KI und Schaffung

neuer Arbeitsmodelle

zu einem Regulativ oder

Gegengewicht werden soziale

Skills zu entwickeln. (Siehe

auch Seite 41 und 49)

Es ist Zeit - neu zu denken!

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HupFe-Trommler

„Rhythmus bei dem jeder mit muss“

von Laura Arendt

Die Hemmschwelle zwischen Menschen mit

und ohne Beeinträchtigung ist heute immer

noch relativ hoch. Community Music ist eine

gute Möglichkeit, diese zu verringern und abzubauen,

denn hier darf jeder dabei sein, mitmachen

und das Können spielt keine Rolle.

Musizieren verbindet, wodurch Gemeinschaften

entstehen, welche sonst vielleicht nie zustande

kommen würden. Das ist auch die Leitidee der

„HupFe-Trommler“ aus Kork: Menschen mit

und ohne Beeinträchtigung durch Musik miteinander

zu verbinden.

„HupFe-Trommler“

Bei den „HupFe-Trommler“ dreht sich alles rund

um das gemeinsame Musizieren mit Trommeln.

Diese werden zusätzlich durch andere Instrumente,

wie die Gitarre oder Klanghölzer und

vor allem durch Gesang, unterstützt.

Die Gruppe setzt sich aus ca. 10 Beschäftigten

der Diakonie Kork zusammen, welche unter

anderem in den dortigen Werkstätten arbeiten

und verschiedenste Einschränkung haben, und

sechs Mitarbeitern der Diakonie bzw. ehrenamtlich

tätigen Personen. Die Altersspanne der

Teilnehmer liegt zwischen 22 und 55 Jahren.

Auf ihren Gruppennamen sind die Teilnehmer

ganz besonders stolz. Die Beschäftigten der

Diakonie Kork konnten im Rahmen einer Ausschreibung

an der Namensfindung der Gruppe

teilnehmen. Gewonnen hat die Kreation „Hup-

Fe-Trommler“. Doch was steckt dahinter? Die

Schreibweise „HupFe“ ist natürlich nicht zufällig

gewählt worden. Die Großbuchstaben stehen

für die heilpädagogische Förderung. Die Wortneuschöpfung

„hupfe“ steht für den Dialekt,

den man bei ihnen in der Gegend spricht und ist

somit repräsentativ für ihren Standort.

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Außerdem war es ihnen wichtig, dass der Gruppenname

auch gleich erklärt, worum es bei der

Gruppe grundsätzlich geht - um das Musizieren

mit Trommeln, wie mir der Gruppenleiter

Henning Aßling berichtet. Er ist seit 30 Jahren

Mitarbeiter der Diakonie Kork, hat damals bei

der Diakonie Kork die Ausbildung zum Heilerziehungspfleger

absolviert und seit 2022 die Lei-

tung einer HupFe-Gruppe übernommen. Musik

hat in seinem Leben schon immer eine große

Rolle gespielt, weshalb ihn das Projekt direkt

begeisterte und er immer gerne unterstützend

mitwirkte.

Gründung und Entstehung

Gegründet wurde die Trommelgruppe 2008

von Henning Aßlings Vorgänger. Die Idee, durch

Trommeln und Rhythmus miteinander zu kommunizieren

entstand, als er bei einem privaten

Trommelworkshop teilnahm. Direkt hatte er die

Idee, dies auch mit den Mitarbeitenden der Diakonie

Kork auszuprobieren, was sofort begeistert

angenommen wurde.

Die Lieder, welche in den Proben gespielt

werden, stammen überwiegend aus verschiedenen

Ländern Afrikas und werden vor allem mit

Djembe-Trommeln gespielt. Zu Beginn wurde

auch ausprobiert die Trommel durch andere

Instrumente zu ersetzen, schnell wurde jedoch

klar, dass das gemeinsame Musizieren und

Kommunizieren durch Trommeln am besten

funktioniert.

Die Ziele der Gruppe sind gemeinsames Musizieren,

dabei natürlich Spaß zu haben und neue

Vorlieben zu entdecken und auszuprobieren.

Außerdem möchten sie jeden Musiker mit

seinen speziellen Fähigkeiten einbinden und die

eingeübten Stücke bei Festen und Feiern innerhalb

und außerhalb der Diakonie aufführen, wie

mir Henning Aßling erläutert.

Damit die gemeinsamen Ziele erreicht werden

können, wurden allerdings auch ein paar Regeln

aufgestellt und festgehalten wie beispielsweise,

dass die Gruppe sich jeden Montag zu

einer Probe trifft. Hier wird viel Wert auf eine

regelmäßige Teilnahme, Pünktlichkeit, sowie

die Bereitschaft, seine Fähigkeiten einzubringen

und mitzumachen, gelegt. Es gibt eine feste

Sitzordnung und die Trommeln sind jeweils den

Teilnehmern zugeordnet. In den Proben hat jeder

Musiker eine bestimmte Aufgabe, weshalb

es erwünscht ist, dass die Probe bei Verhinderung

rechtzeitig abgesagt wird. Auch der Ablauf

der Probe ist jeden Montag derselbe. Zudem

ist der Gruppe wichtig, dass alle Entscheidung

wie beispielsweise die Liedauswahl, Kauf neuer

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Die Diakonie Kork ist Träger dieses Projekts.

Sie wurde vor mehr als 30 Jahren

gegründet, um insbesondere Kinder und

Jugendliche mit Epilepsie zu helfen und

ihnen eine Perspektive zu schaffen. Heute

ist die Diakonie Kork das Kompetenzzentrum

für Epilepsie im süddeutschen Raum

und beschäftigt mehr als 1.600 Mitarbeitende.

Unter anderem gehören zur Diakonie Kork

das Epilepsiezentrum mit drei Fachkliniken,

ein stationärer Wohnbereich (Wohnverbund),

die Hanauerland Werkstätten

und der Oberlin-Schulverbund mit der

inklusiven Gemeinschaftsschule.

Aufgabe und Ziel ist es den Menschen mit

Beeinträchtigung die Teilhabe an der Fülle

des Lebens zu ermöglichen.

Instrumente oder die Aufnahme neuer Musiker

im Team beraten und beschlossen wird.

Trommeln - Kommunizieren ohne Worte

Für Menschen mit Beeinträchtigung können

durch die Musik Möglichkeiten geschaffen

werden, sich auszudrücken und ihr Gefühl von

Selbstwert und Akzeptanz zu fördern. Jedoch

kann ein Projekt dieser Art nicht nur für Menschen

mit Beeinträchtigung einen positiven

Effekt haben.

cken zu können und sich je nach dem an diese

Stimmung anpassen.

Dies erfordert ein gewisses „Fingerspitzen-Gefühl“,

da viele Musiker ihre Emotionen über das

Trommeln, den Rhythmus und die Lautstärke

ausdrücken und diese allerdings alle verschieden

sind, wie Henning Aßling berichtet. Für ihn

gibt es nichts schöneres, wenn die Teilnehmer

mit einem großen Lächeln die Probe verlassen

und auf alle Bedürfnisse eingegangen werden

konnte.

Die HupFe-Trommler haben einen eigenen

Rhythmen-Katalog zusammengestellt, welcher

es den Teilnehmern einfacher machen soll, den

gemeinsamen Rhythmus zu finden und neue

Stücke einzustudieren. Hierbei bilden die Mitarbeiter

das Grundgerüst und die Beschäftigten

passen sich an dieses an. Nicht selten kommt

es vor, dass sich ein Beschäftigter bei einem

Stück stark entfaltet. Wenn so etwas auffällt

kann dementsprechend gehandelt werden, die

Gruppe kann sich etwas zurücknehmen, wie

zum Beispiel die Lautstärke verringern und der

Teilnehmer, welcher sich im Moment stärker

entfaltet, steht mehr im Vordergrund. Das hat

Durch den Rhythmuskatalog lassen sich rhythmische

Pattern immer wieder reproduzieren.

Menschen ohne Beeinträchtigung lernen sich

auf etwas Neues einzulassen und vor allem

spontan zu sein und zu improvisieren, denn keine

Probe gleicht der anderen. Das bietet für alle

Beteiligten einen großen Mehrwert, was auch

bei den Trommlern aus Kork bemerkbar ist.

Die Stimmungen sind von Woche zu Woche und

von Musiker zu Musiker unterschiedlich, was

ein dauerhaft individuelles Handeln fordert.

Man muss beispielsweise erkennen, wenn ein

Teilnehmer in einer Probe ein größeres bzw.

kleineres Mitteilungsbedürfnis hat und ihm daraufhin

den entsprechenden Raum geben, sich

über die Trommel und den Rhythmus ausdrü-

18


wieder den positiven Effekt, dass der Musiker

sich wertgeschätzt fühlt und sein Selbstbewusstsein

gestärkt wird.

Auftritte

Die Gruppe musiziert nicht nur in ihren eigenen

vier Wänden, sondern hat im Jahr zwischen

zwei und vier Auftritten sowohl intern, als

auch außerhalb der Diakonie. Ich konnte ihnen

bereits bei einem dieser zuschauen und kann

bestätigen: Bei dem Rhythmus muss man mit.

Sie schaffen es, einen in seiner eigenen Gedankenwelt

abzuholen und nehmen einen in ihre

mit. Das hat mich damals sehr fasziniert. Aufgetreten

ist die Gruppe beispielsweise schon

beim Stadtfest in Kehl oder bei einem Fachtag

in Stuttgart. Auch hier gilt wieder: Die Gruppe

entscheidet gemeinsam, bei welchen Veranstaltungen

sie gerne auftreten würde und bei

welchen lieber nicht. Aktuell wird auch schon

für ihren nächsten Auftritt geprobt, der bereits

im Juni beim großen Jubiläum der Werkstätte in

Kork stattfinden wird.

Mein Fazit

Die Erfahrung, dass die Hemmschwelle und

Berührungsängste zwischen Menschen mit

Beeinträchtigung und ohne relativ hoch sind,

habe ich vor einigen Jahren bereits selbst bei

einem Projekt im Rahmen der Diakonie Kork

erlebt. Diese Erlebnisse hatte ich größtenteils

allerdings nur einseitig: während Menschen

mit Beeinträchtigung meist offen und vor allem

unvoreingenommen auf einen Menschen ohne

Beeinträchtigung zugehen, ist es umgekehrt oft

genau das Gegenteil.

Mir persönlich ging es nicht anders und ich bin

sehr froh, dass ich durch die Zusammenarbeit

mit Menschen mit Beeinträchtigung genau diese

Vorurteile ablegen konnte.

Deshalb ist es sehr wichtig, dass es inklusive

Projekte wie die HupFe-Trommler gibt, da es

zum einen dazu führt, dass Barrieren und Hemmungen

der Gesellschaft abgebaut werden und

den Teilnehmern auf der anderen Seite eine

wirkliche Chance gegeben wird, ihre Stärken

einzubringen. Es ist meistens der Fall, dass

Menschen mit Handicap in ihrem Können und

Ehrgeiz unterschätzt werden und durch solche

Projekte bekommen sie die Möglichkeit Vorurteile

zu beseitigen.

Leider gibt es Projekte dieser Art noch zu

selten, in welchen Menschen die Möglichkeit

haben, auf verschiedenste Weise miteinander

in Kontakt zu treten, denn der Austausch

miteinander bietet einen großen Mehrwert für

unsere Gesellschaft.

19


20


KUNSTPROJEKT FÜR FRAUEN:

Schaffung bunter Brücken

hin zur inklusiven Gemeinschaft

von Alyin Altikulac

Lasst uns gemeinsam Malen! Tauchen Sie in unsere kleine Welt der kreativen Entfaltung und

der Gemeinschaft im Herzen von Bühl! Das Community Arts Projekt „Kunstprojekt für Frauen“

im Rahmen des Café International in Bühl ist mehr als nur eine Leinwand. Es ist ein lebendiges

Portrait von Vielfalt, Stärke und Verbindung. Erfahren Sie, wie Frauen unterschiedlicher Hintergründe

und Erfahrungen sich durch dieses Projekt vereinen und gemeinsam wachsen. Es ist ein

Projekt, das Herzen öffnet und Gemeinschaften stärkt – in Kooperation mit der Stadt Bühl und

unterstützt durch das DRK Kreisverband Bühl-Achern e.V.. Durch Kunst werden hier nicht nur

Bilder geschaffen, sondern auch Brücken zwischen verschiedenen Kulturen, Sprachen und Lebenserfahrungen

gebaut.

„Ein Kunstprojekt zur Stärkung der gemeinschaftlichen

Vielfalt in Bühl“

Jede Frau bringt ihre eigene Geschichte mit.

Durch das Kunstprojekt feiern wir Vielfalt und

vereinen Frauen mit unterschiedlichen Hintergründen.

Es wird nicht nur die Kreativität

gefördert, sondern auch gleichzeitig die Zusammenarbeit

und der Austausch zwischen den

Frauen gestärkt. Die Malaktivitäten finden in

einem geschützten Raum im Kinder- und Familienzentrum

der Stadt Bühl statt, wo Frauen

eine vertraute Umgebung geboten wird, in

der sie sich wohlfühlen können. Dieser Raum

dient sowohl der gemeinsamen Erholung von

Alltagsproblemen als auch zur Schaffung einer

inklusiven Gemeinschaft. Das Projekt richtet

sich hauptsächlich an Migrantinnen, doch auch

nicht-migrantische Frauen sind herzlich eingeladen,

sich aktiv einzubringen und gemeinsam

mit den anderen Frauen den Raum der kreativen

Entfaltung zu teilen.

Das Projekt schafft eine Perspektive, indem es

Frauen mit Flucht- und Migrationshintergrund

eine Anlaufstelle bietet. Es fördert die Gelegenheit

für Frauen aus verschiedenen Kulturen,

sich kennenzulernen und miteinander zu verbinden.

Im Rahmen der Veranstaltung besteht

die Möglichkeit, neue Kontakte zu knüpfen und

dabei sich gegenseitig kennenzulernen und

zueinander zu finden.

„Die Entstehung des Projektes: Stadt Bühl

und DRK als Partner des Kunstprojektes“

Die Idee des Projekts kam von der leitenden

Künstlerin Olena Vakhnovska, die selbst auch

Migrationshintergrund hat und bereits Erfahrungen

als Künstlerin in der Ukraine gesammelt

hat. Das Projekt stellt eine Kooperation zwischen

dem DRK Kreisverband Bühl-Achern e.V.

und der Stadt Bühl dar. Die Organisation erfolgte

in Zusammenarbeit mit der Künstlerin. Olena

bringt wertvolle persönliche Erfahrungen mit

und kann auch sich selbst im Rahmen des Projektes

weiterentwickeln. Die deutsche Sprache

stellt dabei kein Hindernis dar. Im Gegenteil bietet

das Projekt eine zusätzliche Möglichkeit, die

deutsche Sprache zu sprechen und Kenntnisse

zu erweitern. Die Sprachkenntnisse der Frauen

sind sehr unterschiedlich. Somit können sie sich

gegenseitig auch gut unterstützen.

„Frauen im Kunstprojekt – auf der Suche

nach innerer Ruhe & Inspiration“

Warum speziell ein Projekt für Frauen? Das

Gespräch mit Olena gab mir die Antwort darauf.

Sie betonte, dass Frauen eine solche Entspannung

und Rückzug vom Alltag mehr brauchen,

da Sie im Alltag oftmals mehr Aufgaben erledigen

müssen. Das Projekt bietet ihnen die Mög-

21


gleichzeitig auch ihre Kreativität zum Ausdruck

zu bringen. Das Projekt bringt ihnen eine innere

Ruhe und ist zugleich auch eine Ablenkung zum

stressvollen Alltag, von der sie sich zurückziehen

können. Fast alle Frauen sind schon von Anfang

an bei diesem Projekt dabei und kommen

auch immer wieder gerne zum Malen.

„Die Kraft der Kunst und Kreativität“

lichkeit, zur Ruhe zu kommen, die sie brauchen,

um auch mal aufhören zu können nachzudenken.

Dabei können sie tief in die Kunst eintauchen.

Olena teilt ihre Erfahrung, dass sie sehr

gerne ihre Mädels beim Malen unterstützt, sie

sie jedoch oftmals auch nicht in ihrem kreativen

Prozess unterbrechen will, während sie vertieft

am Arbeiten sind.

Ich habe die Frauen gefragt, was sie dazu

bewegt, am Kunstprojekt teilzunehmen und

zu malen. Die Meinungen waren sich einig.

Sie kommen hin, um sich zu entspannen und

Ich hatte selbst die Gelegenheit, die Veranstaltung

für einen Tag zu besuchen. Dabei wurde

mir klar, dass das Projekt viel mehr ist als nur

ein Malprojekt. Es ist ein Projekt zur Förderung

der inklusiven Gemeinschaft und der gegenseitigen

Unterstützung. Im Rahmen des Projektes

erkannte ich, dass man nicht an der eigenen

Kreativität und den Malkünsten zweifeln sollte.

Stattdessen sollte man seiner Kreativität freien

Lauf geben. Die Kraft der Kunst hat mich sehr

beeindruckt. Man kann ohne konkrete Ideen

vor einer leeren weißen Leinwand sitzen und

plötzlich, mit Hilfe der Farben und Pinsel, die

vor einem liegen, eine kreative Ausdrucksweise

entwickeln. Genauso faszinierend war es

zu beobachten, wie die Teilnehmerinnen ihre

unterschiedlichen Gedanken und Gefühle auf

die leere Leinwand brachten und trotzdem eine

gemeinsame Verbindung herstellten - eine Verbindung

durch Gemeinschaft.

Während meines Besuchs wurde ich von Hasmik

Galstyan vom DRK- Kreisverband Bühl-

Achern e.V. begleitet und unterstützt. Sie teilte

nicht nur viele Informationen über das Kunstprojekt,

sondern beeindruckte mich auch durch

22


ihr herzliches Verhältnis zu den teilnehmenden

Frauen. Damit wurde mir erneut klar, wie

wichtig dieses Projekt für die Gemeinschaft der

Frauen und ihren Austausch ist. Das Projekt war

eine tolle Erfahrung, die mir gezeigt hat, dass

man durch die Kunst Menschen zusammenbringen

und dabei Verbindungen schaffen kann.

Genauso war auch die Entwicklung der Bilder,

die von den Frauen gemalt wurden sehr erstaunlich.

Der Vergleich mit aktuellen Bildern

zeigt eine deutliche künstlerische Weiterentwicklung.

Hier sind einige Werke vom Anfang

des Projektes zu sehen:

Das Projekt kommt sehr gut bei den Frauen

an und die Veranstaltung wird gut besucht. Es

wäre wunderbar, die Möglichkeit zu haben,

noch mehr solcher Veranstaltungen zu organisieren.

Die Zukunft des Projektes hängt von

fortlaufender Unterstützung ab, die uns ermöglichen,

die Tore für die kreative Entfaltung für

die Frauen weiterhin offen zu lassen.

„Die erste Kunstausstellung im Café International

Bühl“

Hierbei ein kurzer Blick auf die Veranstaltung

im Café International in Bühl an der Eröffnung

der aller ersten Kunstausstellung des Kunstprojektes

für Frauen: Die Ausstellung hat am

28. September 2023 im Rahmen des sechsten

Café-Geburtstags stattgefunden. Unter den

anwesenden Gästen befand sich Bürgermeister

Wolfgang Jokerst sowie zahlreiche Besucher des

Café International. Diese Momentaufnahmen

wurden auf der Instagram Seite @zweiherzen_projekt

festgehalten. Werfen Sie doch auch

einen kurzen Blick auf die Seite, um weitere inspirierende

Projekte zu entdecken. Hier finden

Sie nicht nur Bilder zu vergangenen Veranstaltungen,

sondern auch einen Ausblick auf weitere

kommende Projekte, die darauf warten, von

Ihnen erkundet zu werden.

„Gemeinsam kreative Momente schaffen“

Die Vorfreude auf weitere solcher Ausstellungen

ist seitens des Kunstprojektes sehr groß

und es gibt bereits viele neue Ideen zur Umsetzung.

Wir hoffen darauf, in Zukunft noch

viele weitere solcher kreativen Begegnungen

schaffen zu können. Daher laden wir Sie ganz

herzlich dazu ein, nicht nur als Unterstützer,

sondern auch als aktiver Teilnehmer Teil des

kreativen Projektes zu werden, um gemeinsam

noch mehr solcher künstlerischen Momente zu

schaffen und Frauen einen Raum zu bieten, sich

auszudrücken und zu vernetzen. Wir hoffen auf

Ihre Unterstützung und freuen uns darauf, Sie

bei kommenden Veranstaltungen begrüßen zu

dürfen.

23


24


Kopf aus, Gefühl an!

Meine Selbsterfahrung am Malort

von Ronja Jabbusch

Mir wird alles zu viel! Ich wurde heute wieder

nur kritisiert ... Ich wünsche mir einen

Ort, an dem ich einfach ich selbst sein kann,

ohne ständig dafür bewertet oder verurteilt

zu werden. Ich kenne jedoch keinen ...

Aber ich! Schau dir mal die nachfolgende

Beschreibung an

Malen, mal anders! Ein Raum voller Farbe und

Kreativität. Ein Raum zum Ausprobieren.

Doch hier entsteht keine Kunst!

Aber was denn dann?

Die Welt wird immer schnelllebiger. Täglich

prasseln tausende Eindrücke auf uns ein. Durch

Social Media wird dies immer weiter befeuert.

Man ist der ständigen, ungefragten Bewertung

durch andere ausgesetzt - wird gehyped, verurteilt

und wieder vergessen.

Man wird unbewusst dazu gedrängt, sich der

Gesellschaft anzupassen, um dazuzugehören.

Die eigene Individualität wird dabei oft zurückgestellt.

Es gibt kaum noch Orte, an denen man

zur Ruhe kommen kann oder an die man sich

vor der Bewertung durch andere zurückziehen

kann.

Doch es gibt einen Ort, der genau das versucht.

Ein Raum, in den man nichts mit hinein

nehmen darf, außer seine eigenen Gedanken

und Ideen und in dem man sich unabhängig

von der Außenwelt durch das Malen mit sich

selbst auseinandersetzen kann.

In der Kunstschule Offenburg gibt es seit 1997

diesen ganz besonderen Raum, den „Malort“

(übersetzt aus d. Frz. „Closlieu“). Doch trotz

dessen, dass er „Malort“ genannt wird, stammt

er nicht aus der Kunst- oder der Therapierichtung.

Hier wird weder Kunst gelehrt, noch gibt

es Vorgaben oder Nachbesprechungen. Vorwissen

wird hier außen vor gelassen. Stattdessen

gibt es ganz viel Freiheit für die Malenden.

Einfach mal Abstand nehmen vom Einfluss der

Lehre, denn Richtig oder Falsch zählt hier nicht.

Im Malort wird aus dem Moment, aus dem

Bauch bzw. seinem Innersten heraus gemalt,

so wie es sich für die malende Person gerade

richtig anfühlt.

Dieses Konzept war bis zu seiner Entwicklung

durch den Forscher und Pädagogen Arno

Stern unerprobt. Da er sich mit einer neuen,

bisher unbekannten Art des Malens auseinandergesetzt

hat, hat Arno Stern seine ganz

eigene Sprache gefunden, um seinen

Gedankengang hierzu auszudrücken. So auch

den Terminus der „natürlichen Spur“,

welcher nicht ganz einfach zu verstehen ist.

Ziel ist es, die Teilnehmenden ihrer natürlichen

Spur wieder näher zu bringen. Sich einfach

wie ein Kind unbefangen der gemalten Spur

öffnen und malen, was einem entströmt -

sich dem sogenannten Malspiel hingeben.

Hier ein kleines Beispiel zur Verdeutlichung:

Stellen Sie sich das Watt an der Nordsee als

unbearbeitete Leinwand vor, auf die mit Hilfe

eines Stöckchens Spuren gezogen werden können.

Mit der nächsten Flut werden die

Spuren wieder verwischt. Was also wirklich

zählt, ist der Moment des Erlebens, nicht des

Konservieren- und Präsentierenmüssens. Aus

diesem Grund wird im Malort nie über die

entstehenden Bilder gesprochen. Weder in

Form von Kritik noch in Form von Lob, da die

natürliche Spur sonst von außen beeinflusst

und verfälscht wird. Interpretiert wird hier in

Abgrenzung zur Therapie ebenfalls nicht.

25


Wer ist Arno Stern? - Der Erfinder des Malorts

Der 1924 in Kassel geborene Arno Stern zog mit

Hitlers Machtübernahme 1933 mit seinen jüdischen

Eltern nach Frankreich, wo er aufwuchs

und seine Kindheit verbrachte.

Mit Beginn des zweiten Weltkrieges, verließen

sie Frankreich und suchten Zuflucht in der

Schweiz. Nach dem Krieg kehrte Arno Stern

nach Frankreich zurück und nahm 1946 eine

Stelle in einem Heim für Kriegswaisen in einem

Pariser Vorort an. Zur Beschäftigung der Kinder

ließ er diese malen, aus Platzgründen auf an

den Wänden befestigten Blättern im Stehen.

Später richtete er ein Malatelier für Kinder mit

dem Namen „Académie du Jeudi“ ein, welches

er unter dem Namen „Closlieu“ in ein noch zentraleres

Pariser Viertel verlegte.

Dort fiel ihm auf, dass die Kinder alle ähnliche

Gebilde malten, unabhängig davon, ob sie

französischer oder anderer europäischer Herkunft

waren. Er begann, die Formen zu kategorisieren

und ging der Frage nach, warum solch

ähnliche Bilder entstanden sind. Dafür besuchte

Arno Stern auf seinen Forschungsreisen Kinder

außerhalb der industrialisierten Welt, die ganz

andere Lebensweisen aufwiesen und nicht unterrichtet

wurden. Er reiste in Länder wie Peru

oder Guatemala und ließ diese Kinder ebenfalls

malen, erstaunlicherweise mit denselben Gebilden

als Ergebnis.

Es wird mit den von Arno Stern aufgrund ihrer Konsistenz

speziell für den Malort entwickelten Farben

gemalt.

Arno Stern forschte, worin die Gemeinsamkeit

der Kinder bestand und schlussfolgerte, dass es

mit dem menschlichen Genpool und den unbekannten

Erinnerungen der ersten zwei Lebensjahre

zusammenhängen muss.

In seinem Malatelier „Closlieu“ hat er Bedingungen

geschaffen, die zuvor so nie gegeben

waren. Die Formulation ermöglichte den Kindern

einen Zugang zu ihrer organischen

Erinnerung. Mit den Malorten entwickelte Arno

Stern ein Konzept, dass uns wieder näher

an unseren Ursprung kommen lassen kann.

Dass die entstehende Spur ohne Deutung von

Inhalt oder Motivation betrachtet wird und das

Gemalte keine vermittelnde Rolle inne hat,

wird im Rahmen des Malorts als Formulation

bezeichnet. Bei der visualisierten Äußerung

seines Inneren bedarf es keines Empfängers, sie

ist nur für einen selbst bestimmt.

Deshalb werden die Bilder im Malort archiviert

und nicht mit nach Hause genommen, um

sie vor der Bewertung durch andere zu schützen.

Dort können alle eigenen Bilder aber

jederzeit wieder angeschaut werden.

26

Entstehung des Malortes an der Kunstschule

Offenburg

Der erste Malraum dieser Art wurde vor mehr

als 70 Jahren in Paris von Arno Stern eingerichtet

und als „Closlieu“ bezeichnet. Durch einen

Einführungsvortrag über das einzigartige Konzept

des Malens von Arno Stern im Sommer

1996 an der Kunstschule Offenburg inspiriert,

hat Werner Nagel in einjähriger Arbeit den

Malort nach dessen Konzept eingerichtet und

betreut nun nach abgeschlossener Ausbildung

bei Arno Stern schon seit 27 Jahren die „Malstunden“.


Das macht den Malort aus.

Der Begriff „Closlieu“ kann sinngemäß mit

„schützender Raum“ übersetzt werden. Der

Malort schützt vor dem Druck nach Perfektion

durch Beeinflussung und Ablenkung von Außen.

Darum hat der Raum auch keine Fenster. Er ist

ein Safe-Space für die Malenden, ein Raum für

Selbstentfaltung und Geborgenheit. Er macht

Mut, sein Innerstes im geschützten Rahmen

zum Vorschein kommen zu lassen. Deshalb

bleibt alles, was im Malort geschieht, auch

im Malort. Man nimmt keine Fremdmaterialien,

die man malen möchte, in den Raum mit

hinein, da innere Bilder zum Ausdruck gebracht

werden sollen.

Und das Wichtigste: All das geschieht in Gemeinschaft.

Jedoch auf eine andere Art und

Weise als es der Begriff „Community Arts“ zunächst

vermuten lässt. Es bedarf einer bunt

gemischten Gruppe, damit sich die einzelnen

Malenden fallen lassen und wohlfühlen

können. Hier treffen Jung und Alt aufeinander.

Je heterogener die Gruppe ist, desto weniger

wird sich miteinander verglichen. Alle innerhalb

der Gruppe machen im Grundsatz das gleiche

„Unvernünftige“, in dem sie nicht ihren Verstand,

sondern ihre subjektive Wahrnehmung

in den Vordergrund stellen. Dadurch entsteht

ein Gefühl von Akzeptanz durch die Gruppe und

Respekt gegenüber allen Teilnehmenden.

Aber das, was in einem selbst vorgeht und

was gemalt wird, ist vollkommen individuell.

Man nähert sich sich selbst an, setzt sich mit

seiner Persönlichkeit auseinander - und das in

Gemeinschaft und doch für sich alleine. Zusammen

an einem Bild zu malen, ist deshalb nicht

möglich.

Werner Nagel als Betreuer beschreibt seine

Rolle innerhalb des Malorts als „Malspiel-

Dienender“. Seine Aufgabe ist es, das Malen zu

ermöglichen und das „Ausfließenlassen“ der natürlichen

Spur für die Teilnehmenden leicht zu

machen, indem er alle technischen Hindernisse

beseitigt. Er selbst malt nicht und vermittelt

auch kein künstlerisches Wissen.

Auf meine Frage hin, ob er selbst schon einmal

als Teilnehmender im Malort gemalt habe,

musste er schmunzeln. Er habe selbst noch nie

hier gemalt, da er seit Einrichtung des Raumes

als Dienender tätig ist.

Der Malort selbst

Ich selbst habe im Rahmen meiner Recherche

zweimal im Malort gemalt. Welche Erfahrungen

ich gemacht habe und wie ich das Malen

dort wahrgenommen habe, berichte ich im

Folgenden. Auf die Motive der gemalten Bilder

werde ich nicht eingehen, denn was im Malort

geschieht, bleibt auch im Malort.

Die Malstunden finden derzeit immer montags

(16:30 Uhr bis 18:00 Uhr) sowie mittwochs

wöchentlich fortlaufend seit 27 Jahren statt.

Zu Beginn wird ein einführendes Informationsgespräch

außerhalb der Stunde geführt, in dem

einem das Konzept des Malorts näher gebracht

wird. Der Malort befindet sich im Keller der

Kunstschule.

Im Vorraum des Malorts angekommen, ziehe

ich meine von zu Hause mitgebrachten Hausschuhe

an. Danach darf ich mir einen der vielen

Malerkittel aussuchen, die an einer Kleiderstange

bereit hängen. Ich habe mich für ein weißes,

schon mit bunten Sprenkeln beflecktes Hemd

entschieden. Viele der Malenden haben dort

jedoch schon ihren „Stammkittel“, den sie regelmäßig

tragen. Dadurch, dass ich mich zuvor

umkleide, lasse ich ein Stück meines Alltags bereits

im Vorraum zurück, bevor ich den Malort

betrete.

Als ich den Malort das erste Mal betreten habe,

war ich überrascht, dass die Wände voller

Farbe sind. Überall sind leuchtend bunte waagerechte

und senkrechte Spuren auf den

Malwänden, die mit braunem Packpapier umhüllt

sind, zu sehen. Diese Spuren entstehen

dadurch, dass über den Rand der an den Wänden

befestigten Blätter hinaus gemalt wird.

Im Malort wird nämlich nicht am Tisch, sondern

im Stehen gemalt, wofür das Blatt an der

Wand aufgehängt wird. Für den Aufbau des

Raumes gibt es genaue Vorgaben von Arno

Stern. Dass der Raum keine Fenster haben darf,

wirkt aufgrund der farbenfrohen Gestaltung

keineswegs einengend.

27


In der Mitte des Raumes: ein Palettentisch mit

18 leuchtenden Farbnäpfchen und jeweils einem

zugehörigen Wasserbecher. Für jede Farbe

liegen jeweils ein großer und zwei kleinere

Pinsel bereit. Im Regalfach unter den Näpfchen

werden die Nachfüllfarben gelagert. Bei diesen

handelt es sich um die speziell für die Malorte

entwickelten Farben von Arno Stern, die sich

aufgrund ihrer Konsistenz besonders gut für

das Malen im Stehen an der Wand eignen. Die

Farben tropfen nicht so schnell und werden

ohne Chemikalien hergestellt. An der Seite des

Palettentisches werden Reißnägel in einem kleinen

Behälter gelagert. Etwas unscheinbarer in

einer Ecke des Raumes befindet sich ein weiteres

Regal, in dem die frisch gemischten Farben

aufbewahrt werden.

Ablauf und Regeln einer Malstunde

Zu Beginn der Stunde nehme ich mir eines der

am Eingang des Raumes auf einem Tischchen

bereit liegenden großen, weißen Blätter (50 x

70 cm). Dann suche ich mir einenPlatz an einer

der Wände. Ich entscheide selbst, ob das Blatt

im Hoch- oder Querformat aufgehängt werden

soll, die Blattrichtung wird nicht vorgegeben.

Wenn ich mich

entschieden habe, halte ich das Papier genau

so an die Wand, wie es befestigt werden soll.

Werner heftet es dann mit zwei Reißnägeln an

der Wand fest, die anderen vier Reißnägel hole

und befestige ich selbst. Und dann kann es auch

schon losgehen! In der Mitte des Raumes suche

ich mir am Palettentisch eine der vielen Farben

aus und schnappe mir einen der drei Pinsel, die

für diese Farbe bereit liegen. Der Pinsel wird

zuerst im Wasser des Wasserbechers befeuchtet

und dann in die Farbe eingetaucht. Anschließend

kann mit dem Malen begonnen werden.

Dabei sollte möglichst frei gemalt werden, ohne

die Hand an der Wand zu stabilisieren. Zu Beginn

fiel mir das relativ schwer, da meine Hand

ohne Abstützen viel zittriger war. Doch mit der

Zeit habe ich ein Gefühl für den Pinsel und die

Bewegung entwickelt und es gelang mir immer

besser, präzise zu malen. Benötige ich mehr

Farbe, laufe ich wieder zum Palettentisch zurück

und tauche den Pinsel nochmals in die Farbe

ein. Wichtig ist, dass man immer nur einen Pinsel

zur selben Zeit in Gebrauch hat. Bin ich fertig

Der Malort in der Kunstschule Offenburg

28


29


mit einer Farbe, wird der Pinsel also wieder

zurückgelegt und ich kann einen Pinsel von

einer der anderen Farben verwenden. Mit den

Pinseln des Palettentisches werden keine Farben

gemischt, damit die Grundfarben nicht

verunreinigt werden.

Wenn ich eine andere als eine der 18 ausliegenden

Farben benötige,frage ich den Betreuer, ob

er mir diese anmischen kann. Dabei bestimme

ich genau, welche der verschiedenen Farben

miteinander gemischt werden sollen. Kinder,

die die Farbenlehre noch nicht beherrschen,

können mit ihren Fingern in die Farben eintauchen,

die sie kombinieren wollen und diese auf

der Fingerspitze mischen, um herauszufinden,

welche Farbe dadurch entsteht. Auch hier geht

es darum, dass die Kinder ihre eigenen Erfahrungen

sammeln können, ohne dass ihnen

direkt erklärt wird, welche Farbe beim Mischen

entsteht. Der Dienende reicht dann ein Schälchen

mit der entstandenen Mischfarbe und

einen frischen Pinsel.

Wenn ich mit der Farbe in die Nähe eines Reißnagels

am Rande des Blattes komme, wird

dieser vom „Dienenden“ mit Hilfe eines biegsamen,

stumpfen Messers versetzt, sodass

ich die Fläche ebenfalls bemalen kann. Werner

Nagel ist in seiner Rolle als „der im Malspiel

Dienende“ sehr aufmerksam, um die Kleinigkeiten,

die den Malfluss unterbrechen können, zu

beseitigen. Damit man beim Malen den oberen

Rand des Bildes gut erreichen kann, bekommt

man von ihm auch einen kleinen Schemel, um

sich darauf zu stellen.

Während des Malens wird miteinander gesprochen

- aber niemals über die Bilder selbst!

Und manchmal ist auch jeder ins Malen vertieft.

Ich persönlich habe eher still für mich gemalt

und dabei den Gesprächen der anderen gelauscht.

Wie lange man an einem Bild malt, ist

ebenfalls jedem selbst überlassen. Man kann

jede Woche am selben Bild oder aber viele Bilder

in einer Stunde malen, ganz egal. Es ist auch

möglich, das Bild zu erweitern, indem man ein

weiteres Blatt an das Bestehende ansetzt.

So können die Bilder auch sehr groß werden.

Dann kann es auch vorkommen, dass man

statt einem Schemel sogar eine kleine Leiter

benötigt.

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Wenn ein Bild fertig ist, wird am Ende der Malstunde

der Name des Malenden, das Datum

und die Tagesrangnummer des Bildes von Werner

auf die Rückseite geschrieben, um

dieses im Malort zu archivieren.

Selbst malen - meine persönlichen Erfahrungen

im Malort

Während des Malprozesses konnte ich abschalten

und Abstand vom stressigen Alltag und

den noch vor mir liegenden To-Do’s gewinnen.

Oft konnte ich meine Gedanken loslassen und

einfach nur malen. Das lag vor allem an der

angenehmen Atmosphäre. Trotz allem habe ich

mich gelegentlich dabei erwischt, automatisch

überlegt zu haben,wie das denn „richtig“ geht

und Gelerntes aus dem Kunstunterricht, wie

beispielsweise die Schattierung oder Proportionen,

regelkonform anzuwenden. Ganz loslassen

konnte ich nach den zwei Besuchen also noch

nicht. Sich von gelernten Regeln loszulösen fällt

schwer, wenn man es nicht anders gewohnt ist.

Auch das muss geübt sein und es braucht seine

Zeit, um sich vollkommen darauf einzulassen.

Trotzdem konnte ich ganz anders an das Malen

herangehen, als es im typischen Kunstunterricht

möglich wäre. Da ich hier nicht unter dem

Druck stand, eine möglichst gute Leistung zu

erbringen, habe ich mich getraut ein Motiv zu

wählen, dass nicht dem „typisch schönen Bild“

entspricht. Und entgegen meiner Erwartung

habe ich mich damit sehr wohl gefühlt und

mich nicht dafür geschämt, da jeder innerhalb

der Gruppe im Grundsatz dasselbe getan hat.

Beim Malen im Malort habe ich definitiv an

Selbstvertrauen gewonnen, einfach mal zu

machen, anstatt zu überlegen: „Was wäre,

wenn…?“ Meine Einstellung gegenüber der

Bewertung hat sich ebenfalls etwas verändert,

denn wer bestimmt, was eine gute Leistung

oder ein schönes Bild überhaupt ist? Ist es

wirklich nur schön, wenn die Mehrheit der Gesellschaft

dem zustimmt oder hat das gar nichts

mit anderen zu tun?


„Im Malort malt man anders, als in einem

anderen Malkurs.“

Diesem Zitat von Werner Nagel kann ich nur zustimmen.

Da keinerlei Vorkenntnisse im Malen

nötig sind, kann jeder mitmachen. Keiner wird

von vornherein ausgegrenzt, weshalb sich das

Malen dort befreiend anfühlt. Befreit von dem

Druck, ein Bild malen zu müssen, das auch den

anderen gefällt. Und vielleicht auch befreit von

dem Gefühl, sich in seinen Fähigkeiten nicht

selbst zu genügen. Denn oft genug ist man

selbst sein größter Kritiker. Hier geht es eben

nicht um beigebrachte Fähigkeiten, sondern

darum, eine innere Veranlagung wieder zu

beleben. Hier geht es nur um einen selbst.

Man kann sich ausprobieren, drauf los malen,

einfach mal den Kopf ausschalten. Hier wird

gefördert, was wirklich den eigenen Interessen

entspricht und nicht von außen auferlegt

wurde.

Frei von der Angst, für sein Verhalten, seine

Ideen oder sein Aussehen verurteilt zu

werden, kann man seiner Kreativität freien Lauf

lassen. Hier kann man lernen, mehr zu sich

selbst zu stehen und seine eigene Persönlichkeit

nach Außen zu tragen, und zwar so

wie sie wirklich ist.

Das inspiriert dann auch andere Menschen

dazu, das Gleiche zu tun. Und jeder kleine

Schritt und jeder Mensch trägt dazu bei, dass

die schnell verurteilende Gesellschaft vielleicht

immer mehr zu einer positiven, unterstützenden

Gemeinschaftskultur wird. Aus diesem

Grund lege ich jedem Interessierten nahe, die

Erfahrung selbst einmal zu machen und einfach

mal dabei zu sein.

Deshalb: Kopf aus, Gefühl an.

Besonders Kinder können so aufmerksam begleitet

und gefördert werden. Die Malstunden

bringen den Malenden näher zu sich selbst, fördern

das Selbstbewusstsein und sich mit dem

zu beschäftigen, was in einem vorgeht. Hier

kann man sich persönlich weiterentwickeln.

Im Malort ist jeder Mensch in seinem Anderssein

willkommen, unabhängig von Beruf, Nationalität,

Alter und Erfahrung. Hier herrscht eine

respektvolle Haltung untereinander. Gerade in

der heutigen Zeit, in der vor allem auf Social

Media viel verglichen wird, ist das sehr erfrischend

und zeigt, dass es auch anders geht.

Der Malort bietet die Chance, in sich selbst hineinzuhören

und sich auszuprobieren. Er macht

Mut, sich unabhängig von der Meinung anderer

frei entscheiden und entfalten zu können. So

kann ein Besuch viel mehr bieten als nur den

Spaß am Malen. Man lernt, das zu tun, was man

selbst für richtig hält und nicht das, was andere

möglicherweise von einem erwarten. Mehr auf

sich selbst zu vertrauen und weniger darauf,

was andere als richtig erachten. So ist man gelegentlich

selbst überrascht, welche verborgenen

Talente in einem schlummern. Um diese zu

entdecken, braucht es manchmal eben nur

einen Raum, der uns genau das ermöglicht.

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Kreative Lösung für das Altern:

Wie Community Arts

das Leben im Alter bereichern

von Lara Kortyka

Das Altern ist eines der natürlichsten Dinge

im Leben. Jedoch haben trotzdem viele Menschen

Angst davor, da der Körper abbaut, das

Gedächtnis nachlässt und viele Personen oft

vereinsamen. Aber müssen wir wirklich Angst

davor haben und wie können Community Arts

dabei helfen?

Anfang Januar 2024 besuchte ich eine Seniorengruppe

der katholischen Sozialstation St. Martin

Ellwangen unter der Leitung von Barbara Hüttner.

Elf über neunzigjährige Seniorinnen und

ihre Betreuerin begrüßten mich am Montagvormittag

sehr herzlich im Gemeindezentrum

Jagstzell.

Auf dem Programm stehen die unterschiedlichsten

Dinge – von Malen und Basteln über

Singen, bis hin zu Rätsel raten und Geschichten

und Märchen lesen. Meist wird eine zur Saison

passende Dekoration für das Gemeindezentrum

gebastelt oder verschiedene Themen und Märchen

behandelt.

Die Seniorengruppe ist eine schöne Abwechslung

für die Teilnehmerinnen, da sie die Gemeinschaft,

Unterhaltung und den Austausch

sehr schätzen. Und auch für die Angehörigen ist

dies eine Entlastung.

Gemeinschaft durch Kunst

Häufig vereinsamen Menschen im hohen Alter,

doch Community Arts sind dafür da, Menschen

zusammenzubringen. In der Seniorengruppe

steht die Gemeinsamkeit an oberster Stelle. Die

Teilnehmerinnen genießen die gemeinsame

Zeit und den Austausch, da sie sonst oft allein

zuhause sind. Der Besuch des nahegelegenen

Kindergartens erfreute die Damen sehr. Als sie

zusammen mit den Kindern sangen, tauten

die anfangs schüchternen Kinder langsam auf

und waren beim anschließenden Basteln sehr

gesprächig. Community Arts fördern somit auch

die Intergenerativität und den Kindern wird

möglicherweise auch von klein auf die Angst

vor dem Altern genommen.

Kreative Erinnerungsarbeit

Das Gedächtnis lässt im Alter bekanntlich nach

– bei manchen Menschen mehr, bei Anderen

weniger. Community Arts können jedoch helfen

diesen Prozess zu verlangsamen. Die Seniorengruppe

beginnt und endet ihre Treffen immer

mit einem gemeinsamen Lied. Bei den Liedern

handelt es sich um alte Kirchenlieder, weshalb

die meisten diese noch „von früher“ kennen

und nahezu keinen Text benötigen. Das gemeinsame

Singen kann zwar den Gedächtnisverlust

nicht gänzlich aufhalten, aber die Konzentration

und das Erinnerungsvermögen wird deutlich

gefördert. Dies war ebenfalls zu beobachten, als

die Damen noch gemeinsam das Lied „Schneeflöckchen,

Weißröckchen“ anstimmten und sich

alle drei Strophen zusammenreimten.

Kreativität entfesseln

Ein weiterer wichtiger Aspekt, den Community

Arts fördern sollen, ist die Kreativität. Die Seniorengruppe

stärkt diese sowohl durchs Singen

als auch durch das Basteln. Zusammen mit den

Kindern sollten die Rentnerinnen kleine Engel

basteln, wodurch sie ihrer Kreativität freien Lauf

lassen konnten.

Hierbei werden ebenfalls die Koordination und

Feinfühligkeit der Damen gefördert, was besonders

im Alter wichtig ist, um die motorischen

Fähigkeiten zu erhalten und die Selbstständigkeit

im Alltag zu unterstützen.

33


Das Altern mag ein natürlicher Teil des Lebens

sein, doch ist es oft begleitet von Ängsten vor

körperlichem Abbau, Gedächtnisschwund und

Vereinsamung. Community Arts bieten eine

Möglichkeit, Menschen zusammenzubringen

und diese Ängste zu mindern. Der Besuch bei

der Seniorengruppe zeigte, wie Community Arts

Gemeinschaft, Austausch und kreative Erinnerungsarbeit

fördern können. Durch gemeinsames

Singen und Basteln werden nicht nur

Gedächtnis und Kreativität angeregt, sondern

auch Koordination und Feinfühligkeit verbessert.

Somit bieten Community Arts nicht nur

eine kreative Abwechslung, sondern auch eine

wertvolle Unterstützung im Alter.

34


Was bedeutet

Community Arts?

Die blaue

Themen-Box

Community Arts bezeichnet die aktive Ausübung

einer künstlerischen Disziplin in Gemeinschaft,

etwa musizieren, singen, tanzen, malen,

modellieren, zeichnen, schauspielen ... und

zwar ohne Leistungsdruck, Wertung, Öffentlichkeit

und ästhetische Normen. Dabei sind für die

Teilnehmenden keine Ausbildung, Fachwissen

oder besondere Fähigkeiten erforderlich, sondern

einfach nur Freude und Offenheit.

Bei Community Arts sind vor allem der Mensch,

die Gemeinschaft und der soziale Prozess im Fokus.

Sie stehen mindestens gleichwertig neben

dem künstlerischen Prozess, wenn nicht sogar

sogar Vorrang genießen.

Community Arts ermöglichen jedem sich künstlerisch

zusammen mit anderen auszudrücken,

miteinander in Kontakt zu treten, sich auszutauschen.

Dabei spielen Herkunft, Bildung, Einkommen,

Religion, Sprache, Alter, Geschlecht, mit oder

ohne geistige bzw. körperliche Einschränkung

keine Rolle.

Teilhabe steht an erster Stelle. Die persönliche

Begegnung, Freude sich auszuprobieren,

mitzumachen und die Gemeinschaft mit ihren

selbstbestimmten, demokratischen Entscheidungsprozessen

zu erfahren, folgen im Prioritäten-Ranking.

Die aktive Pflege von Künsten im gemeinschaftlichen

Miteinander wird innerhalb dieses wertungsfreien

Erlebnisrahmens zum Katalysator,

zum Transporteur bzw. „Steigbügelhalter“ für

sehr individuelle, persönliche Erfahrungen, die

eng mit Respekt, Empathie, demokratischem

Denken, Balance, Resilienz, Vorurteilsfreiheit,

Perspektivwechsel, Offenheit, Rücksichtnahme

und Wertschätzung verbunden sind.

Diese stärken den einzelnen Menschen wie

auch die Gemeinschaft, in der er sich bewegt.

Es ist daher nicht verwunderlich, dass Community

Arts für eine gut funktionierende Stadtgesellschaft

förderlich sind, da sie einen vernetzenden,

brückenbildenden Effekt haben und

sich kreativ auf soziale wie politische Gestaltungs-,

Veränderungs- und Entscheidungsprozesse

auswirken können.

Die Professionalisierung der Community Artists

schreitet daher voran, flankiert von jüngster

Forschung und zunehmenden Weiterbildungsund

Qualifizierungsangeboten, etwa an Hochschulen

und Universitäten.

In manchen Bereichen gibt es Schnittmengen

oder Parallelität etwa zu Kunst- oder Musiktherapeutischen

Tätigkeitsfeldern, die aber in

der Regel ein medizinisches bzw. krankheitsbedingtes

Ziel verfolgen. Hiervon heben sich die

Community Arts klar ab, auch wenn sie grundsätzlich

erfolgreich mit Menschen mit geistigem

oder körperlichem Handicap arbeiten können.

Der Ansatz der Community Arts ist in Deutschland

noch nicht so populär und seine Einsatzmöglichkeiten

erst noch im Aufbau begriffen.

Im anglo-amerikanischen Raum ist sein Credo

„Kultur von unten“ und seine zwingenden Forderung

Zugang für alle seit den 1968er Jahren

viel verbreiterter. Er stammt aus dem Umfeld

der Friedens-, Umwelt- und Frauenbewegung.

In Zeiten multipler Krisen, divergierender Stadtgesellschaften,

zunehmender Radikalisierungen

und Werteverluste können Community Arts

dazu beitragen diesen Phänomenen vielschichtig

entgegen zuwirken. Es lohnt sich also Community

Arts zu erleben, zu fördern und weiterzuentwickeln.

35


Ort der Begegnung für Kunst und Kultur

Community Art am Beispiel des Community Art Centers in Mannheim (CACM)

von Friederike Albert

CACM

Das Community Art Center (CACM) ist eine Kultureinrichtung

in Mannheim. Es ist ein Ort der

kreativen Begegnung und möchte allen Menschen

die Möglichkeit geben, sich mit Kunst und

Kultur auseinanderzusetzen.

Das CACM schafft somit einen Raum für kreative

Entfaltung und soziale Interaktion, der Menschen

unabhängig von ihrem Alter und ihrem

sozialen Hintergrund vereint. Hierzu bietet das

Zentrum eine Vielzahl von Workshops, Kursen

und Veranstaltungen in verschiedenen künstlerischen

Disziplinen wie Malerei, Bildhauerei,

Musik, Theater und Tanz an.

Die Besucher erhalten die Möglichkeit, Kultur

nicht nur zu erfahren und selbst auszuleben,

sondern aktiv mit den Künstlern in einen kulturellen

Austausch zu treten.

Das CACM fungiert als Treffpunkt, an dem aktivierende

Kunst in den Stadtteil und die Stadtgesellschaft

integriert wird.

Entstehung

Das Community Art Center Mannheim (CACM)

wurde im Mai 2012 als erstes Zentrum dieser

Art in ganz Deutschland gegründet. Es befindet

sich in der Neckarstadt-West, was einen historischen

Hintergrund mit sich bringt.

Seit der Nachkriegszeit leben in diesem Stadtteil

sozialschwache Menschen mit schwierigen

Lebensbedingungen, da sie mit Kriminalität,

Prostitution, Armut, Einwanderung und Migration

konfrontiert sind. Daher konnten die Bewohner

dieses Stadtteils wenig Bildung oder Kultur

erfahren.

Das CACM gibt diesen Menschen durch ihre

künstlerischen Darbietungen die Möglichkeit,

Kunst gemeinschaftlich zu (er-)leben.

Ziel ist es, alle gesellschaftlichen Schichten zu

erreichen und den Teilnehmern durch die kulturellen

Einblicke eine positive Haltung mitzugeben.

36


Leitbild

Stärkung der demokratischen Kultur

Künstlerische Aktivitäten zur Stärkung benachteiligter

Kinder und Jugendlicher

Gemeinschaftsbildende Aktivitäten in Form

von Kunst und Musik

Künstlerische Verarbeitung von Schlüsselthemen

der Gesellschaft

Community Art im CACM

Community Art tritt dort auf, wo Menschen

leben und sich begegnen. Es zielt auf Dialog und

Veränderung. Das bedeutet, dass der kulturelle

Austausch ausschlaggebend ist, um vor allem

auch die sozialschwachen Menschen in die

Kultur zu integrieren und ihre Themen in den

Vordergrund zu rücken. Community Art soll

eine vielfältige, offene Gemeinschaft sein, in

der jeder willkommen ist und sich niemand ausgegrenzt

fühlt. Die Menschen sollen so mithilfe

von kulturellen Themen lernen, sich gegenseitig

unabhängig von der Prägung oder Herkunft zu

respektieren.

Community Art ist politisch

Das CACM möchte durch Kultur einen Weg

für politische Veränderungen schaffen, indem

auf die sozialschwachen Ungleichheiten der

im Stadtteil lebenden Menschen aufmerksam

gemacht wird. Das Zentrum will mit ihrer

Community Art ein Zeichen für die Gesellschaft

setzen, Vorurteile entkräften und strukturelle

Benachteiligungen erkennen, hinterfragen und

ihnen aktiv entgegenzuwirken. In den Veranstaltungen

werden bewusst Konflikte oder schwerwiegende

Probleme thematisiert, die im Alltag

oft nicht zur Sprache kommen. Hierzu gehören

politisch unterschätzte Gefahren, Rechtsextremismus

oder die Diskriminierung von Homound

Transsexuellen. Ziel ist es, durch die Kulturangebote

die Lebensbedingungen der sozial

benachteiligten Gruppen vor Ort und darüber

hinaus zu verbessern.

Was braucht Community Art?

Das CACM ist eine von Künstlern initiierte

Institution. Entscheidend für die Umsetzung

37


Ausstellungen

Dialog

Aktionskunst

Lesungen

Kreative

Workshops

Fotografie

Kunst

Theaterstücke

Installationen

Für jeden was dabei:

Ein enorm breites Spektrum an Kulturveranstaltungen

Musikveranstaltungen

Filmvorstellungen

der Projekte sind Kulturschaffende, die von der

gesellschaftlichen Vision von Community Art

überzeugt sind und die Inhalte auf kreative Weise

an die Gesellschaft vermitteln möchten. Im

Rahmen des Programmes sind sowohl Musiker,

Schauspieler, Tänzer, als auch Fotografen, Designer

und Regisseure aktiv. Die Künstler kommen

aus unterschiedlichen kulturellen und künstlerischen

Hintergründen und bringen somit eine

breite Palette an Perspektiven und Erfahrungen

mit – sowohl im Umgang mit den Menschen vor

Ort als auch, was den persönlichen künstlerischen

Werdegang angeht.

Einige kommen auch aus Mannheim oder dem

Stadtteil Neckarstadt selbst, wie etwa die Gründerin

des CACM Annette Dorothea Weber. Sie

selbst hat lange Zeit in diesem Stadtteil gelebt.

Dabei fiel ihr auf, dass viele Menschen gar keine

Verbindung zur Kultur haben. In ihr reifte die

Idee, diese Menschen in dieser Hinsicht zu erreichen

und sie mit politisch-gesellschaftlichen

Themen zu konfrontieren.

Den beteiligten Künstlern war es von Anfang an

wichtig, einen bleibenden, allseits bekannten

Ort zu schaffen, der Begegnungen ermöglicht

und sich als Treffpunkt für künstlerisches Erleben

und Lernen etablieren kann. Daher setzen

sich die Künstler mit ihrer Offenheit und Bereitschaft

für die Förderung von Kunst und Kultur

in Mannheim ein und möchten diese für alle

zugänglich zu machen.

Die Künstler bieten den Besuchern einen Raum,

in dem sie ihre künstlerischen Fähigkeiten

weiterentwickeln können, unabhängig von

Talent oder Erfahrung. Das Ziel ist es, Menschen

zu motivieren, sich ohne Wertung oder Leistungsdruck

künstlerisch zu betätigen und dabei

gemeinsam mit anderen in einer inspirierenden

Umgebung zu wachsen.

Finanzierung

Der Eintritt der Veranstaltungen ist immer

kostenlos, um alle Personen aus dem Publikum

zu erreichen und die ärmere Bevölkerungsgruppe

nicht auszuschließen. Doch das vielfältige

Kulturprogramm bedarf einer ausreichenden

Finanzierung: Das CACM ist ein Verein, der

jährlich durch die Stadt Mannheim in Höhe von

40.000 Euro, durch Landeszuschüsse sowie von

ortsansässigen Unternehmen, Stiftungen und

auch durch private Spenden mit Fördermitteln

unterstützt wird. Das Zentrum besteht aus zwei

Festangestellten und 70 freischaffenden Mitarbeitern.

Zielgruppe

Zur Zielgruppe gehören in erster Linie die

Bewohner des Stadtteils Neckarstadt-West.

Darunter fallen unter anderem Sozialschwache,

Obdachlose, Schulen, Kitas, Non-Profit-Organisationen,

Homosexuelle und Transsexuelle. Das

CACM ist ein Begegnungsort für alle Menschen,

38


Selbsthilfegruppen oder dem Seniorentreff des

Stadtteils statt. Das Zentrum bietet Bildungsprogramme

für Menschen jeden Alters an, die die

kulturelle Entwicklung sowie die Kreativität und

Zusammenarbeit innerhalb der Gemeinschaft

fördern.

Viele Hintergründe, die die Bewohner des

Stadtteils mit sich tragen, sind nicht einfach zu

verarbeiten. Den Besucher, die sich eigenständig

zur Teilnahme an den Veranstaltungen des

Zentrums entscheiden, wird die Möglichkeit

gegeben, die Themen zu diskutieren und künstlerisch

aufzuarbeiten, mit denen sie in ihrem

Leben konfrontiert sind.

In der Kunst gibt es kein richtig oder falsch,

denn sie ist lebendig, vielfältig und jeder versteht

etwas anderes darunter. Daher ist es für

die Teilnahme auch nicht ausschlaggebend,

welche Herkunft man hat. Deshalb möchte das

Community Art Center in Mannheim alle Menschen

mit Kultur erreichen, zusammenführen

und positiver machen!

die Kultur erleben möchten. Jeder ist willkommen

auch außerhalb des Stadtteils. Ziel des

CACM ist es, auf Missstände hinzuweisen bei

denen Handlungsbedarf besteht. Daher finden

regelmäßig Netzwerktreffen statt, um auf Gerüchte

aufmerksam zu werden und herauszufinden

was die Leute bewegt.

Die Netzwerkbildung findet beispielsweise

durch Gespräche mit der Schulleitung, mit

Projektbeispiele

Die Musik-Welten finden im Sommer und im

Winter statt. Bei einem Live-Konzert werden

diverse Musikstile, Genres und unterschiedlicher

musikalischer Herkunft zusammengeführt.

Dabei werden die musikalischen Grenzen überwunden,

da neue Musik entsteht. Die Besucher

erhalten die Möglichkeit durch die Künstler,

39


Musik neu wahrzunehmen und zu erleben.

Denn manchmal braucht es keine Worte, sondern

nur den richtigen Ton. Musik drückt ihre

eigene Sprache aus.

In den Erzähltheaterstücken werden Themen

aufgegriffen, die die Menschen des Stadtteils

bewegen und in Theaterstücken nacherzählt

und zum Ausdruck gebracht. So kann die Situation

der Handlung durch Menschen nachvollzogen

werden, die gleiches oder ähnliches erlebt

haben. Beispielsweise wurde die Fluchtsituation

während einer Krise durch ein Theaterstück, als

Theater-Installationsprojekt, dargestellt.

Kunstprojekte und Ausstellungen: Durch

Kunstprojekte sollen nahe Beziehungen und

Erfahrungen bildlich dargestellt werden. Die

Besucher erhalten in den Ausstellungen die

Möglichkeit sich wiederzufinden und verstanden

zu fühlen.

Kultur für Kinder und Jugendliche: Das CACM

möchte insbesondere Kinder und Jugendliche

mit Kultur verbinden. Aufgrund ihrer sozialschwachen

Herkunft haben viele Kinder keinen

Zugang zu Kultur erfahren.

Im Projekt „Woher kommt die Musik?“ soll Kindern

die Musik vermittelt werden. In einem Kindergarten

des Stadtteils findet wöchentlich eine

Musikwerkstatt statt. Eine Saxophonistin fördert

40

die Gruppe durch elementare Musikpädagogik.

Sie singt mit den 4-jährigen Kindern oder baut

einfache Musikinstrumente, beispielsweise

aus Klopapierrollen. So erhalten die Kinder die

Möglichkeit aktiv an der Kultur teilzunehmen

und Musik „live“ vor Ort zu erfahren.

Einmal im Monat werden in Kindergärten des

Stadtteils Lesungen angeboten. Hierbei werden

aus Kinderbüchern Geschichten vorgelesen.

Darüber hinaus bieten die Schauspieler des

CACM´S eine Mischung aus Theater und Lesung

an. Es handelt sich um eine Art Poesie, in Form

von lustigen Reimen, bei denen gesungen und

zusätzlich aus Kinderbüchern vorgelesen wird

(z.B. Schnick und Schnack).

Fazit:

Ich persönlich finde es sehr bemerkenswert,

dass das CACM versucht, allen Menschen

Zugang zur Kultur zu geben. Viele haben keine

Möglichkeit Kultur zu erfahren oder werden

aufgrund von schwierigen Lebensbedingungen

ausgeschlossen und nicht ernst genommen. Daher

wissen manche gar nicht, was es bedeutet,

dass sie keine Verbindung hierzu haben.

Dabei ist Kultur eine sehr wichtige Bereicherung

für unsere Gesellschaft, denn sie prägt die Menschen,

ermöglicht die Begegnung mit anderen


und schafft einen Ausgleich, der Stressabbau

bewirkt und die Kreativität eines jeden fördert.

Daher ist es umso wichtiger, Menschen die

Chance zu geben eine Beziehung zur Kultur aufzubauen.

Dass dies gelingen kann, zeigt sich auf

vielfältige Weise anhand des CACM.

Kultur regt zum Nachdenken an. Das ist gerade

in der heutigen Zeit wichtig, da viele nur konsumieren

und nicht mehr reflektieren.

Durch meine Zusammenarbeit mit dem CACM

wurde mir bewusst, dass es besonders wichtig

ist, aktuelle Themen mit Kunst zu verknüpfen

oder sie auf die verschiedenen Menschen und

Zielgruppen anzupassen, um sie zu erreichen.

Indem das CACM die Räume der Rezipienten

aufsucht, deren Sprache und Ausdrucksformen

adaptiert, gelingt es, bestimmte Zielgruppen zu

kontaktieren. Auf diese Weise kann ein Zugang

zu Kunst und Musik garantiert werden – auch zu

vielleicht zuvor fremden Formen.

Das CACM schafft es, diesen Menschen Raum

für Wertschätzung zu geben und sich einerseits

in der Kultur wiederzufinden und zu entwickeln,

aber auch ein Gruppengefühl zu entwickeln.

Indem die Teilnehmer durch die künstlerischen

bzw. gesellschaftlichen Inhalte Gemeinsamkeiten

ihrer Lebensgeschichten entdecken, erfahren

sie Bestätigung und fühlen sich angenommen.

Das CACM dient deshalb auch dazu, neue Kontakte

knüpfen und sich mit den Gleichgesinnten

austauschen. Das CACM wirkt damit dem Trend

entgegen, dass eher Menschen aus dem Mittelstand

oder der Oberschicht der Gesellschaft an

Kulturveranstaltungen teilnehmen. Indem das

Zentrum ein kostenfreies Angebot schafft, wird

eine wichtige Voraussetzung geschaffen, dass

sich jeder Kultur leisten kann.

Gerade auch für Kinder und Jugendliche ist eine

frühe Begegnung mit Kultur wichtig. Aus diesem

Grund möchte das Team FP 33 das Thema

„Community Arts“ mehr in die Gesellschaft

tragen.

Future Skills

Die blaue

Themen-Box

Future Skills, wie Kreativität, systemisches

Denken, Selbstwirksamkeit, Wertekompetenz

und weitere soziale, persönliche wie digitale

Kompetenzen sind die zukunftsentscheidenden

Stellschrauben für das 21. Jahrhundert.

Für jeden Menschen, jedes Team und jede

Organisation.

Community Arts sind eine Möglichkeit sich

Future Skills zu erschließen und einen individuellen

Einstieg in neue Lerndimensionen zu

finden.

Beispiele für Future Skills, die sich mit Community

Arts spielerisch erschließen lassen,

sind zum Beispiel:

Achtsamkeit

Frei im hier und jetzt

Authentizität

Echt, wahrhaftig und „real“ sein

Begeisterung

bewegt Menschen und Projekte

Empathie

das Tool für ein gutes Miteinander

Innere Führung

Intuition, Herzensitelligenz, Verbindlichkeit

Kommunikation

eine Erfolgsgarant, wenn sie gelingt

Resilienz

positiver Umgang mit Krisen & Widerständen

Die Liste ist lang und es gehören noch weitere

Skills dazu. Mehr dazu auch auf Seite 49!

41


„Schwere(s) Los!“ -

Kreative Freiheit für alle

von Leonie Schwab

Schwere(s)Los! ist ein Verein, der kreative Freiheit für Menschen jeden Hintergrunds

ermöglicht. Durch Kunst, Musik und körperlichen Ausdruck schafft er Begegnungsräume

und fördert kulturelle Teilhabe. Die Gründerin, Maren Moormann,

setzt sich mit großem Engagement für die Entwicklung der Mitglieder ein.

Freie Entfaltung, mit dabei sein und einfach

Spaß haben, das sind die Leitlinien des Vereins

Schwere(s)Los! Die Organisation ermöglicht

einen solidarischen Brückenschlag zwischen

Kunstschaffenden und Interessierten, auch

gerade für die Personen, die über wenig Geld

verfügen.

Die Zielgruppe des Vereins ist vielseitig und

geht von Wohnungslosen über psychisch Erkrankte

bis hin zu Personen, die die Grundlagen

der Kunst entdecken möchten. Für viele Menschen,

die am sogenannten Rand der Gesellschaft

leben (müssen), ist der Verein zu einem

wichtigen Standort in ihrem hoch belasteten

Alltag geworden. Die Gründe für die Belastungen

in ihrem Alltag haben unterschiedlichen

Ursprung. Manche Personen leiden unter

gesundheitlichen Problemen, andere haben

traumatische Erfahrungen durch Gewalt oder

Verlust gemacht, und wiederum andere haben

finanzielle Probleme, die dazu führen, dass die

Menschen Schwierigkeiten haben, ihre Grundbedürfnisse

zu erfüllen.

Die Vision des Vereins ist es, experimentelle,

kreative und interkulturelle Erfahrungs- und

Begegnungsräume zu schaffen. Schwere(s) Los!

ermöglicht Menschen unterschiedlichster Herkunft

und Voraussetzungen durch künstlerischen,

musikalischen und körperlichen Ausdruck,

sich selbst voller Lebendigkeit an- und

ernstzunehmen. Kulturelle Teilhabe für alle ist

im Verein eine Selbstverständlichkeit. Unter kultureller

Teilhabe versteht man, allen Menschen

den Zugang zu Kunst und Kultur zu ermöglichen

sowie das aktive Mitgestalten des kulturellen

Lebens.

42

Geschäftsführerin Maren Moormann

Der Verein entstand aus der Motivation der

aktuellen Geschäftsführerin und Vorsitzenden

Maren Moormann, die selbst Künstlerin ist.

Die Geschichte ihrer ungewöhnlichen Lebenssituation

ist beeindruckend und erzeugt tiefen

Respekt. Sie selbst war im Jahr 2007 alleinerziehend

und auf Hartz IV angewiesen. Der Beruf

als Künstlerin wurde ihr nicht richtig angerechnet,

dies wollte sie ändern. Sie rief zu einer Gemeinschaftsausstellung

auf mit Leuten, die sich

in derselben Lebenssituation befanden. Hieraus

entstand die Initiative KunstHartz, eine Vereinigung

von Künstlern am Existenzminimum.

Im Jahr 2008 stieß der Mitgründer des Vereins

Michael Labres dazu. Daraus entstand dann im


Der BettlerChor vor vollbesetztem Publikum beim Schlußapplaus in Freiburg

Jahr 2011 der Verein Schwere(s)Los!. Im Jahr

2013 wurde der Verein Schwere(s)Los! von der

Aktion Mensch unterstützt, was eine große Hilfe

war. Hierdurch konnte sich der Verein richtig

aufbauen und vergrößern. Seit 2016 mietet die

Organisation eigene Räume mit einer Fläche

von gut 200 Quadratmeter, in denen mittlerweile

Menschen aus der breiten Bevölkerung, inklusive

Geflüchtete, erreicht werden. Das Team

besteht mittlerweile aus 25 Personen, die sich

in verschiedenster Weise engagieren. Darunter

sind beispielsweise viele Ehrenamtliche, Kunstlehrer

und -therapeuten oder auch Personen,

die sich um die Buchhaltung kümmern.

Die Gründerin Maren Moormann steckt überaus

viel Engagement in diesen Verein. Ihre

formelle 25-Stunden-Woche weitet sich oftmals

in eine 60-Stunden-Woche aus. Sie verwirklicht

neue Projekte und Kurspläne, leitet Kunstangebote

und organisiert viele Dinge rund um

den Verein Schwere(s)Los!. Was sie motiviert,

diese Arbeit zu leisten, ist ihre Selbsterfahrung

und der Wunsch, die Entwicklung der einzelnen

Personen zu begleiten.

Personen, die ein deprimiertes oder eingeengtes

Leben bestreiten, blühen in der Kunst auf.

Sie lernen die Welt der Fantasie kennen, in der

sie ihre Freiheit entfalten können.

Der Verein bietet Kunstprojekte in verschiedenen

Bereichen an. Von Tango tanzen, Puppenbau,

Malen nach Arno Stein bis hin zum

gemeinsamen Singen ist alles mit dabei.

Der BettlerChor im Projekt AusDRUCKstark

Das Projekt AusDRUCKstark beschäftigt sich mit

der künstlerischen Gestaltung von Text und Bild

und hat zum Ziel, armutsbetroffenen Menschen

zu Selbstwirksamkeit und Verantwortung zu

verhelfen. Beispielweise gehören die Probearbeiten

im BettlerChor zu diesem Projekt. Singen

hat eine positive Wirkung auf den Menschen, es

kann das Wohlbefinden und die Lebensqualität,

zumindest für den Augenblick, verbessern.

Der BettlerChor ist ein Chor, der im Jahr 2009

im Zuge der Produktion „Die Bettleroper“ am

Theater Freiburg entstanden ist. Der Chor besteht

aus Menschen, die Lust haben zu singen

und die etwas zu sagen haben über sich und

ihre Erfahrungen in der Welt. Die Spezialität

dieses Chors ist der Raum für das So-Sein jedes

Einzelnen, aus dem etwas Gemeinsames ent-

43


steht. Der Chor hat vielen Personen geholfen,

ihr Gesangstalent und die Freude am Singen

zu entdecken und ist daher ein wichtiger Bestandteil

des Vereins. Mit dem Schreiben der

Liedtexte können die Personen ihre eigenen

Erfahrungen auf eine bestimmte Art und Weise

ausdrücken, darüber nachdenken und sie

in manchen Fällen auch loswerden. Der BettlerChor

hat bereits bei vielen Theaterproduktionen,

Veranstaltungen, Demos und beim jährlichen

Münstergottesdienst zum Andenken an

die verstorbenen Wohnungslosen mitgewirkt.

Die Lieder des Chors gehen unter die Haut, so

wie auch das ganz neue Programm „Mensch!“.

Dieses Stück wurde im Wintererfoyer des Theaters

Freiburg vor circa 150 aufmerksamen und

bewegten Zuschauern aufgeführt. Die Perfomance

geht von Mensch zu Mensch. Es zeigen

sich Menschen mit ihren innersten Themen,

die schwere Schicksale erlitten haben und für

die Ausgrenzung zum eigenen Alltag gehört.

Die Aufführung besteht aus einzelnen Stücken,

die die Teilnehmenden selbst geschrieben

haben, wobei jeder das eigene Stück verkörpert

und darstellt. Die gesamte Aufführung regt zu

Mitgefühl und Begegnung an und ist ein sehr

kraftvolles Stück.

Der BettlerChor ist nicht der einzige Chor des

Vereins. Ein weiterer Chor ist der Chor Weingarten

- Mon Amour!; er entstand durch die gleichnamige

geschrieben Stadtteil- Hymne. Seit 2016

trifft sich der Chor wöchentlich, singt ein Mix

aus Popsongs und deutschen Volksliedern und

lässt den Stadtteil Weingarten bunt und dynamisch

erklingen.

Theater in verschiedensten Konstellationen

Theater bietet die Möglichkeit, die Geschichten

zu entdecken und zum Leben zu erwecken, die

man in sich trägt. Theater ist Spiel, Bewegung,

Stimme, Sprache und Körper. Durch das Schauspielern

können die sozialen Fähigkeiten verbessert

werden, man kann sich in eine andere

Lebenssituation hineinversetzen und das Selbstwertgefühl

stärken.

Ein weiteres solidarisches Projekt des Vereins

Schwere(s)Los! ist Kunst am Haken. Hier sind

mehrere Künstler involviert, die wöchentlich

44

verschiedenste Aktivitäten anbieten. Ein Angebot

im Projekt Kunst am Haken sind „Die Einzig

Artigen - Das Theater mit der Inklusion“. Auch

die Theatergruppe gibt es mittlerweile seit dem

Jahr 2012. Es wird regelmäßig geprobt und die

Kunst des Theaterspielens in einer ganz besonderen

Art und Weise aufgeführt.

Aktuell beschäftigt sich die Gruppe mit der Barrierefreiheit

und der Inklusion in der Stadt

Freiburg. Sie besuchen verschiedene Institutionen

und möchten mit ihrer theatralischen

Intervention daran erinnern, was noch zu tun

ist laut dem Aktionsplan Inklusion der Stadt.

Beispielweise wurde die Stadtbibliothek oder

auch ein Museum besucht und unter die Lupe

genommen. Die Vorständin Maren Moormann

sagt, dass Freiburg die letzten 900 Jahre nicht

barrierefrei war und es sich vom „nice to have“

zum „must have“ ändern muss.

In die kunsttherapeutische Richtung geht das

Konzept von MuT - Muse und Therapie. MuT

möchte mit Kunstangeboten Personen begleiten,

die sich Hilfe und Begleitung wünschen.

Täglich macht man neue Erfahrungen, meistert

die Schicksale, vieles gelingt, manches nicht,

und dann kommt man an einen Punkt, an dem

man eine Hand benötigt, die einen begleitet.

MuT bietet einen geschützten Raum und eine

achtsame Zeit, um verschiedene künstlerische

Therapien und Ausdrucksformen zu entfalten.

Es ist wichtig, die Wirkung der künstlerischen

Therapie, die hier erlebt wird, von der gesundheitlichen

Therapie abzugrenzen Die Mitarbeiter

des Vereins Schwere(s)Los! sind keine Sozialarbeiter,

sondern Künstler und Kulturschaffende


bringen. Durch das Theaterspiel ist es möglich,

Themen zu erforschen und neu zu entdecken,

die die Menschen stark beschäftigen, und

bisher Unerhörtem zuzuhören. Für die Theatergruppe

muss niemand schauspielerische Vorerfahrung

mitbringen, es wird einfach gemeinsam

in eine fantastische Welt eingetaucht.

Finanzierung

Eine große Frage ist natürlich, wie finanziert

sich ein Verein, der Personen anspricht, die

wenig Geld zur Verfügung haben. Geschäftsführerin

Maren Moormann teilt mit, dass dies ein

komplexes Thema sei. Der Verein Schwere(s)

Los! finanziert sich durch ständige Akquise, aus

Fördermitteln und Spendengeldern. Seit 2017

wird der Verein auch aus dem Kulturetat der

Stadt Freiburg (Kulturelle Bildung) institutionell

bezuschusst. Die drei größten Geldgeber sind

mit circa 22 % die Bundesagentur für Arbeit,

dann folgt die Stadt Freiburg mit 17,6 % und

schon als drittes kommen die Spendengelder

mit circa 10 %. Die restlichen Gelder kommen

durch verschiedenste Förderungen und Projekte

zusammen.

Statement

und somit ist es nicht das Ziel, die Personen in

einen anderen Lebensstandort zu begleiten,

sondern ihnen Raum für Kunst zu bieten. Die

Teilnehmer sind nicht hilfesuchend, wenn sie an

den verschiedenen Projekten teilnehmen, sie

leben in der aktuellen Situation - welche erst

einmal so hinzunehmen ist - und können sich

künstlerisch entfalten.

„Du trägst in dir alle Geschichten dieser Welt“,

das ist der Leitsatz der therapeutischen Theatergruppe

„Die Kraft der Geschichten“. Geleitet

wird dieses wöchentliche Angebot von einer

Theatertherapeutin. Es werden Zugänge eröffnet

zu eigenen inneren Geschichten, die im

Spiel eigene Ressourcen und Potenziale erfahrbar

machen und uns lebendig und kreativ mit

den Herausforderungen des Lebens in Kontakt

Der Verein Schwere(s)Los! fügt sich gut in das

Konstrukt des Community Arts ein. Es werden

Kunst und Gemeinschaft durch soziale Verbindungen

unterschiedlichster Menschen zusammengebracht.

Das Zentrum wurde zu einem

Ort, an dem unterschiedlichsten Menschen ein

Stück Heimat und Geborgenheit gegeben wird,

unabhängig von ethnischer, gesundheitlicher

oder finanzieller Situation.

Der Verein hat den starken Gedanken, die Menschen

zu unterstützen. Ihnen wird jedoch nicht

mit den Dingen geholfen, die im ersten Augenblick

auf der Hand liegen wie Geld, einer Wohnstätte

oder einem sozialen Status, sondern mit

der Stärkung persönlicher und emotionaler

Fähigkeiten. Im Chor vertraut man auf seine

eigene Stimme und im Tango verlässt man sich

auf seinen Tanzpartner bei jedem Tanzschritt.

Kunst ist nicht Luxus, sondern Notwendigkeit!

Lyonel Feininger

45


Jubez – Let’s Dance

von Nicole Zimny

Junge Menschen in Karlsruhe aus verschiedenen

gesellschaftlichen, sozialen und weiten

Gruppen haben die Möglichkeit im Jubez aktiv

und kreativ zu werden. Sie können dabei ihr

Selbstvertrauen stärken und sich in einem

geschützten Raum frei entfalten. Hier findet die

gegenseite Begegnung auf Augenhöhe statt –

keiner ist besser oder schlechter, weil jeder der

herkommt, einfach Spaß an einer Sache hat und

diesen mit anderen Teilen will.

Jubez

Das Jubez ist ein Kunst- und Kulturzentrum am

Kronenplatz in Karlsruhe, das unterschiedliche

Veranstaltungsräume, ein Café, verschiedene

Werkstätten und einen Sportbereich bietet, das

auch seit 15 Jahren inklusive Angebote hat. Es

ist eine zentrale kulturelle Einrichtung im Stadtjugendausschuss

e.V. Karlsruhe. Hier haben

Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene im

Alter von 6-27 Jahren viele Möglichkeiten aktiv

und kreativ zu werden, wofür es ein breites

Spektrum an offenen Angeboten am Nachmittag

gibt. Um Kinder und Jugendlichen aus allen

Schichten zu erreichen, werden Kooperationen

mit Schulen und Bildungseinrichtungen getätigt.

Dazu ist es auch ein Veranstaltungsort für

Livemusik, Comedy, Theater, Lesungen und Vortragsveranstaltungen

in kultureller Bandbreite

(vor allem auch für Nachwuchskünstler). Dabei

gibt es auch Auseinandersetzungen mit gesellschaftlich

und politisch relevanten Themen.

Das Jubez bietet auch einen Möglichkeitsraum,

46


um Aktionen und Projekte verschiedener Form

und Größe zu realisieren. Zum Beispiel hat die

Ludwig Guttmann Schule einen Roll- und Sehbehinderten

Parcour erstellt, um Kinder und Jugendliche

auf Behinderungen zu sensibilisieren.

Es wurde beobachtet, wie Kinder und Jugendliche

Behinderungen sehen und wahrnehmen.

Dabei ist aufgefallen, dass wenn beispielsweise

zwei Kinder die gleichen Interessen haben, es

für sie nebensächlich ist, ob einer von ihnen

im Rollstuhl sitzt oder ob die Kommunikation

auf anderem Weg als üblich verläuft. Das Ziel

ist, Barrieren abzubauen und eine offene sowie

vorurteilsfreie Begegnung – auch zum Austausch

– zu schaffen und den Nutzer*innen die

Möglichkeit geben, neues zu entdecken, eigenes

zu realisieren und ihr Potential zu entfalten.

Let’s Dance

Let’s Dance bietet den Jugendlichen mit und

ohne Beeinträchtigung die Möglichkeit, ihrer

Freude an der Bewegung Ausdruck zu verleihen.

Gemeinsam ergründen sie die Möglichkeiten

des Bewegens, in dem es nicht um die richtigen

oder falschen Schritte geht, sondern um

das Gefühl beim Tanzen und den Spaß. Hierbei

wird sein Rhythmus- und Körpergefühl trainiert,

das auch zur Stärkung des Selbstbewusstseins

führen kann. Durch das gemeinsame Tanzen

kommt man sich näher und fördert die gegenseitige

Begegnung sowie das Gemeinschaftsgefühl

/ das Gruppenerlebnis, das zur eigenen

Persönlichkeitsentwicklung beiträgt. Es werden

auch kleine gemeinsame Choreografien einstudiert,

die dann an verschiedenen Veranstaltungen

im Jubez wie zum Beispiel bei the show präsentiert

werden. The show ist eines der größten

Street Dance Contest in Baden- Württemberg

das vom Jubez einmal pro Jahr organisiert wird.

Dabei nimmt die Tanzgruppe von Let’s Dance

auf einer offenen Bühne teil, wofür sie ihre T-

Shirts im Atelier vom Jubez einheitlich bemalen.

Auch beim Theaterfest gibt es die Möglichkeit,

dass alle mittanzen können.

Zurzeit besteht die Tanzgruppe von Let’s Dance

aus sieben Teilnehmer*innen und einer Trainerin.

Tanja, die aktuelle Trainerin, ist hauptberuflich

im Jubez tätig und kümmert sich um

Schulkoopreationen als auch um die allgemeinen

Vorbereitungen für the show. Für sie ist der

inklusive Bereich eine Herzensangelegenheit

und sie hat schon verschiedene Visionen, um

Netzwerke aufzubauen oder Barrieren durch

Begegnungen abzubauen. Inklusion bedeutet

für sie nicht, dass in jeder Gruppe im Jubez

Menschen mit und ohne Beeinträchtigung

vertreten sein müssen, sonder, dass jeder der

in Haus kommen will, kommen kann und willkommen

ist. Somit ist die Tanzgruppe für jeden

offen und bietet den Raum für Kreativität sowie

Vielseitigkeit, da jeder seine eigenen Stärken

hat, die in den Vordergrund gerückt werden.

47


Eine Tanzstunde im Let’s Dance

Ich durfte ein Teil einer Tanzstunde sein und

wurde sehr herzlich aufgenommen. Jeder kam

auf mich zu, um mit mir zu reden und mir Erlebnisse

oder Geschichten zu erzählen, wodurch

ich mich willkommen gefühlt habe. Wir konnten

auch viel lachen und es war schön mitanzusehen,

wie sie sich durch die Musik leiten lassen

konnten und sich einfach fallen gelassen haben.

Eine Tanzstunde ist grundsätzlich so aufgebaut:

Zuerst sitzen alle im Kreis und machen eine

kleine Einführungsrunde, in der jeder ein paar

Sätze über sich und/oder seinen Tag erzählt. Dafür

werden die Sätze mit „Mir geht es heute gut

…“ und „Ich freue mich …“ begonnen. Danach

geht es mit dem Aufwärmen weiter. Hierbei

steht die Gruppe auf einer Seite des Raumes

und es tanzt immer einer nach dem anderen in

die Mitte. Dort bleiben sie dann stehen, bis alle

da sind und sich berühren. Im Anschluss wird

sich noch gemeinsam im Kreis gedehnt. Nach

dem Aufwärmen wird an der derzeitigen Choreografie

weitergearbeitet. Zuerst werden die

Schritte vom letzten Mal trocken geübt, damit

sich wieder jeder daran erinnert, bis sie den

Tanz auf Musik tanzen. Währenddessen ist die

Stimmung ziemlich ausgelassen und es wird viel

zusammen gelacht, hauptsächlich, weil jemand

einen Witz oder eine Quatschfigur macht.

48

Wenn sich jeder wieder an die alten Schritte

erinnert hat und es auch auf Musik sitzt, wird

gemeinsam überlegt, wie die Choreografie

weiter geht. Dabei werden die Ideen von allen

zusammengetragen und ausprobiert. Wenn

es für alle in Ordnung geht, werden die neuen

Tanzschritte eingebracht und so wird dann die

Choreografie Stück für Stück erweitert. Dabei

kommt die Kreativität und Vielseitigkeit der

Gruppe zur Geltung, da jeder seine eigenen

Vorlieben sowie auch seine Stärken einbringen

kann. Am Ende der Stunde wird der ganze Tanz

auf Musik gefilmt.

Das Jubez bietet mit Let´s Dance einen geschützten

Raum, indem sich junge Menschen

ausprobieren und frei Entfalten können. Durch

die Offenheit der Teilnehmer*innen und der

Trainerin war es für mich eine ungezwungene

Begegnung, bei der ich mich wohl und aufgehoben

gefühlt habe. Es war schön mitanzusehen,

wie sie Spaß hatten und sich durch die Musik

leiten ließen. Im Vordergrund liegt nicht der

perfekte Tanz, sondern das ungezwungene Miteinander,

bei dem jeder sein Talent zeigen kann

und neues ausprobieren kann, ohne, dass man

dafür verurteilt wird.


Persönlichkeitsentwicklung

und die Künste

Die blaue

Themen-Box

Eine gute Fremd- und Selbstwahrnehmung hilft

uns, sich und die anderen mehr zu verstehen:

Wer bin ich? Wie wirke ich auf andere? Wer

sind die anderen?

Jeder Mensch, jede Persönlichkeit ist anders

und einzigartig. Sie wächst mit den Jahren und

kann sich wandeln. Ein Teil von ihr ist genetisch

geprägt, ein anderer durch die Umwelt

(Erziehung, Werte, Erfahrungen etc.). Vielleicht

kann man sie am ehesten mit dem Wuchs eines

Baumes vergleichen, dessen innere Struktur anhand

der Vielzahl an Jahresringen deutlich wird.

Im Kern ist die Persönlichkeit schwer veränderlich,

aber je weiter man nach außen kommt,

quasi zur Rinde, die in direktem Kontakt mit

und unter Beeinflußung der Umwelt steht,

umso mehr können wir an ihr arbeiten, sie

verändern bzw. mit der Zeit persönliche Fähigkeiten

(Soft & Hard Skills) ausprägen. Das

geschieht ständig mal mehr oder mal weniger t

durch unsere täglichen Erfahrungen.

Genau an dieser Stelle können Community Arts

mit dem Bewusstmachen, vor allem für Soft

Skills, und durch interaktive Lernprozessen wirksam

werden. Da, ganz gleich welche künstlerische

Disziplin ausgeübt wird, alles in Gemeinschaft

geschieht und werden die drei eingangs

erwähnten Grundfragen spielerisch geklärt.

Community Arts können eine Persönlichkeit

„aufschließen“, d.h. man kann sich selbst und

seine Wechselwirkung mit der Gemeinschaft in

einem geschützten Raum entdecken. Das hat

eine positive Wirkung auf den Menschen selbst,

wie auf seine Interaktion mit der Gemeinschaft.

Community Arts rücken immer mehr in den

Fokus, da sich durch sie eine Reihe von Future

Skills, die für das Arbeitsleben im 21. Jahrhundert

immer wichtiger werden, erschließen

lassen, dazu mehr auf Seite 41.

Im Diagramm sind Skills die mit Community Arts

angeregt werden können • markiert.

Wichtige Soft & Hard Skills im Überblick

Soft Skills

Soziale Kompetenzen

Emotionale Intelligenz

Empathie

Teamfähigkeit

Menschenkenntnis

Persönliche Kompetenzen

Selbstreflektion

Neugier

Leidenschaft

Selbstbewusstsein & Selbstvertrauen

Hard Skills

Methodische Kompetenzen

Messbare Kompetenzen

Auffassungsgabe

Selbstmanagement

Disziplin

Frustrationstoleranz

Fachkompetenzen

Berufliche Qualifikationen

Sprachkenntnisse

Erfahrungen

49


Capoeira für alle:

Eine Kampfkunst, die Grenzen überwindet

Von Louisa Bender

Capoeira – brasilianische Kampfkunst, die

begeistert, Menschen in ihren Bann zieht und

dabei eine Geschichte der Sklaverei und des

Widerstands erzählt in Verbindung mit Inklusion

und Gemeinschaftskunst.

Gemeinschaft durch Kunst - Tauchen Sie ein

in die Welt von Capoeira: Ein Bericht über die

künstlerische Verschmelzung von Kampf, Tanz,

Musik, Sport, Vergnügen und sozialer Inklusion.

Sowie mein außergewöhnliches Erlebnis bei

meinem ersten Kontakt mit Capoeira.

Am 28.11.2023, einem Dienstagabend durfte

ich die Atmosphäre selbst erleben und für zwei

Stunden in die Welt des Capoeiras eintauchen.

Ich war zu Gast bei der Capoeira-Abteilung des

Sportzentrums Mannheim „Capoeira Ginga

Balança“, dort wird „Multikulti“ und „Offenheit“

großgeschrieben. Ich wurde herzlich aufgenommen

und habe mich dort direkt wohlgefühlt. Da

ich bisher keine Berührungspunkte mit Capoeira

hatte wurde mir viel erklärt und gezeigt,

50

wodurch ich viele spannende Eindrücke erhalten

habe, und viele Erfahrungen mitnehmen

konnte. Das Ziel von „Capoeira Ginga Balança“

gefällt mir sehr gut: Menschen von Capoeira zu

begeistern. Dabei spielt der kulturelle Hintergrund

keine Rolle, zudem können Menschen

mit körperlichen oder geistigen Beeinträchtigungen

kommen – jeder ist dort Willkommen.

Außerdem wird seit kurzem ein inklusiver

Ansatz verfolgt, wodurch Kinder mit Autismus

an dem Capoeira Training teilnehmen können.

Die Vorsitzende des Vereins Mehtap Polat-Erdin

erzählte mir, dass der inklusive Ansatz schon immer

ein Herzensprojekt von ihr war und durch

die Vielseitigkeit des Capoeiras auch Menschen

mit Beeinträchtigungen teilnehmen können.

Geschichte des Capoeiras

Um die Kampfkunst zu verstehen, ist es wichtig

sich mit dem historischen und kulturellen Hintergrund

auseinanderzusetzen. Der Ursprung

liegt im 17. Jahrhundert und wurde von afrika-


nischen Sklaven, die nach Brasilien verschleppt

wurden als Waffe (Kampfsport), die durch Tanz

und Musik getarnt ist, zur Selbstverteidigung

entwickelt. Die Sklaven mussten Zwangsarbeiten

unter schlimmsten Bedingungen verrichten

und erlitten Verluste von Familie, Freunden,

Zugehörigkeit und der eigenen Identität. Im neu

entstandenen Capoeira wurde eine Gemeinschaft

gefunden, die auch Schutz und Sicherheit

bot. Im 19. Jahrhundert wurde die Sklaverei in

Brasilien abgeschafft, jedoch kam es kurz davor

zum Aufblühen des Capoeiras, es wurde sich

zu Banden zusammengeschlossen und blutige

sondern eine brasilianische Kampfkunst. Außerdem

wurde Capoeira 2014 zum immateriellen

Weltkulturerbe der UNESCO anerkannt.

Stile und Formen

Man unterscheidet vor allem in die zwei Stilrichtungen

Capoeira Angola und Capoeira

Regional, eine Mischung aus beiden Stilen ist

Capoeira Contemporânea, welche mittlerweile

als „moderne“ Capoeira angesehen wird. Die

Stile unterscheiden sich hinsichtlich des musikalischen

Rhythmus, den gesungenen Liedern, der

Kämpfe ausgetragen. Grund dafür war die fortschreitende

Urbanisierung Brasiliens und der

damit verbundene erhöhte Bedarf an Sklaven.

Dadurch begann die Regierung die Ausübung

von Capoeira hart zu bestrafen und es wurde

ein Verbot ausgesprochen. Kämpfe wurden

versteckt durchgeführt, die Capoeiristas benutzten

Spitznamen um nicht erkannt und verraten

zu werden. Nach der Abschaffung der Sklaverei

herrschten chaotische Zustände, weshalb

es viele Obdachlose und Arbeitslose gab. Um

Geld zu verdienen, setzten die Capoeiristas ihre

Fähigkeiten als Bodyguards, bezahlte Schläger

oder Auftragskiller ein. Aufgrund dessen sollte

die Gefahr des Capoeiras nicht unterschätzt

werden, denn vor allem in Ghettos werden bei

Straßenkämpfen Messer eingesetzt, jedoch ist

das nicht die Absicht des Capoeiras und dem

geschichtlichen Hintergrund geschuldet, denn

Capoeira selbst ist keine kriminelle Aktivität,

Körpersprache und den Bewegungen. Capoeira

Angola gilt als ursprüngliche Version des Capoeira

und zeichnet sich durch ein langsames und

konzentriertes Spiel aus. Dabei ist es wichtig

durch fließende Bewegungen, Schläge und Ausweichbewegungen

ein harmonisches Zusammenspiel

zu schaffen. Durch explosive Angriffe

und der Überraschungsmacht wird es zu einem

gefährlichen Spiel. Capoeira regional wird

nochmal unterschieden in Sao Bento Grande

und Benguela. Sao Bento Grande zeichnet sich

durch ein schnelles Spiel mit Tritten, Schlägen

und akrobatischen Elementen aus. Im Vergleich

dazu ist Benguela ein langsameres Spiel und

bodennah.

Graduierung und Training

In Mannheim wird Capoeira zweimal wöchentlich

und in verschiedenen Gruppen angeboten,

51


die durch das Alter beschränkt sind. Es gibt zwei

Gruppen für Kinder, zum einen eine Gruppe von

3 bis 5 Jahre und zum anderen eine für Kinder

von 6 bis 8 Jahre. Dann gibt es noch eine Gruppe

für Jugendliche und eine Gruppe für Erwachsene.

Anhand der Kordel, die jeder Capoerista

trägt, lassen sich das Alter und die Graduierung

des Spielers erkennen, die sich durch den Fortschritt

und das Können der Schülerinnen und

Schüler verändern können. Die Kordeln unterscheiden

sich hinsichtlich der Dicke und der

Farbe der Kordel, beispielsweise trägt man zu

Beginn eine Rohe (naturfarbene) Kordel und die

höchste Graduierung ist der Meister in Verbindung

mit einer Weißen Kordel.

Elemente des Capoeiras

Angesichts dessen, dass Capoeira aus vielen Elementen,

wie Akrobatik, Kampf, Musik und Tanz

besteht, lernt man während des Trainings nicht

„nur kämpfen“, sondern auch all die anderen

Elemente, die zu der Kampfkunst gehören. Zu

Beginn ist der kulturelle und historische Hintergrund

für die Kinder nicht verständlich und wird

deshalb erst mit zunehmendem Alter gelehrt.

Da die Musik und Gesang essenziell ist werden

während des Trainings die dafür erforderlichen

Instrumente und Gesänge erlernt. Anfangs werden

einfachere und wenige Instrumente erlernt

wie zum Beispiel die Atabaque, die mit dem Alter

und Können komplexer werden. Das Hauptinstrument

des Capoeiras ist der Berimbau,

ein Saiteninstrument afrikanischen Ursprunges,

das auf den ersten Blick wie ein Pfeil und Bogen

aussieht. Das Instrument wird nur in Basilien

hergestellt und muss von dort importiert werden.

Der Gesang ist auf Portugiesisch, anfangs

werden Buchstaben gesungen, aber mit der Zeit

wird auch der Gesang zunehmend komplexer.

Die Ausübung

Die Vorsitzende und Trainerin Mehtap hat

mir Capoeira wie ein Frage und Antwort Spiel

erklärt. Alle Capoeiristas stellen sich zu einem

Kreis zusammen, der Roda genannt wird. Dabei

stellen sich alle eng aneinander und mit dem

Rücken nach außen, wodurch eine Wand und

Abschirmung nach Außen entstehen soll. In der

Roda spielen zwei Capoeiristas, der Rhythmus

wird von den Instrumenten und dem Gesang

der anderen vorgegeben. Die Bewegungen werden

von den Spielern improvisiert und auf die

Musik angepasst, weshalb die komplexen Bewegungen

schnell, langsam, kraftvoll oder explosiv

sein können. Die Spieler sollen durch fließende

Bewegungen in harmonischer Körpersprache

miteinander kommunizieren.

Die Atmosphäre die durch die Musik, den

Gesang und das Spielen der Capoeristas entsteht,

habe ich zuvor noch nie erlebt und ist nur

schwer in Worte zu fassen. Ich war erstaunt,

was das Spiel in der Roda für eine Auswirkung

auf mich als außenstehende Person haben

kann. Um die Erfahrung nachempfinden zu

52


2.

1.

3. 4.

Typische Musikinstrumente, die sehr eng mit dem Capoeira verbunden sind: 1. Berimbau (der aus Nordafrika

stammende Musikbogen, 2. Agogo (paarige Glocken), 3. Pandeiro (Tamburin), 4. Atabaque (Trommel)

können, muss man selbst dabei gewesen sein,

da es mit keinen meiner bisherigen Erlebnisse

zu vergleichen ist

.

Wettbewerbe

Wettbewerbe finden im Capoeira noch nicht all

zu lange statt. Die erste Capoeira-Meisterschaft

hat 1975 in Brasilien stattgefunden und die

erste Weltmeisterschaft wurde 1982 ausgetragen.

Die Wettkämpfe sind sehr aufwendig

und erfordern sehr viel Organisation. Auch aus

finanzieller Sicht sind die Wettkämpfe sehr

aufwendig, weshalb die Vereine vor allem auf

Spenden angewiesen sind. Daraus wird erstlich,

dass ein großes Team notwendig ist, um ein

solchen Wettbewerb stemmen zu können.

Die Wettbewerbe können zum einen von Organisationen

oder Verbänden organisiert werden,

aber um anderen auch von lokalen Capoeira-

Schulen, Gruppen oder Vereinen. Wobei die

Wettbewerbe verschiedene Formate haben

können, da es nicht nur Turniere, sondern auch

Festivals und Veranstaltungen gibt. Gleichzeitig

erkennt man aber auch, dass Capoeira ein

Einzelsport ist, da man im eins gegen eins gegen

einen anderen Capoeirista spielt, da das System

ungefähr vergleichbar mit dem Turniermodus

einer Europa- oder Weltmeisterschaft im Fußball

ist. Die Bewertung erfolgt durch ein Punktesystem

und der Spieler, der mehr Punkte erzielt

kommt in die nächste Runde und man kann es

bis in die Finalrunde schaffen.

Vielseitigkeit und Inklusion

Capoeira ist sehr vielseitig und bietet viele Vorteile.

Zum einen wird die Entwicklung gefördert,

weil viele koordinative Fähigkeiten gleichzeitig

geschult werden, wie Beweglichkeit, Gleichgewicht,

Koordination, Kraft und Ausdauer. Zum

anderen lernt man Selbstverteidigung, hat ein

kulturelles Erlebnis und durch das Training in

Gruppen hat man viel Spaß und es entsteht ein

Gemeinschaftsgefühl. Zudem ist Capoeira eine

körperliche Herausforderung, bei der alle Muskelgruppe

beansprucht werden, wodurch eine

bessere Körperwahrnehmung erzielt wird.

Vor allem für Menschen mit geistigen als auch

körperlichen Beeinträchtigungen ist die Kampfkunst

besonders geeignet. Mehtap erzählte mir,

dass Kinder mit Entwicklungsstörungen anfangs

Schwierigkeiten haben und daher zuerst zu den

53


jüngeren Kindern in die Gruppe gehen. Doch

die Übungen werden schnell erlernt und der

Vorsprung der anderen aufgeholt. Die Kinder

lernen häufig sehr schnell und haben einen

starken Fokus auf die Übungen, weshalb sie

sich die Kombinationen schneller merken als

die Kinder ohne Beeinträchtigungen. Weitere

Beispiele dafür, dass sich Capoeira besonders

gut für Menschen mit Behinderungen eignet,

sind Capoeristas, die keine Arme oder keine

Beine haben. Man würde denken, dass sie

durch ihre Behinderung sehr eingeschränkt in

der Ausübung von Capoeira zu sein scheinen,

jedoch können durch die Vielseitigkeit des

Capoeiras die Übungen und Kombinationen

angepasst werden. Beispielsweise werden die

Räder einhändig oder ohne Hände gemacht

oder Bewegungen können im Sitzen ausgeführt

werden. Um Menschen mit Beeinträchtigungen

bestmöglich integrieren zu können, werden viel

Erfahrung und besondere Aus- und Weiterbildung

benötigt.

Der Einfluss von Capoeira

Die Reaktionen auf den inklusiven Ansatz sind

bisher sehr positiv, wie auch der Einfluss des Capoeiras

auf die Teilnehmer. Die Nachfrage steigt

zudem auch stetig, denn derzeit nehmen nicht

54

nur Kinder mit Autismus, sondern mittlerweile

auch Erwachsene mit Autismus am Capoeira

Training teil. Die Vorsitzende des Vereins berichtet

mir von den positiven Erfahrungen, die der

Verein bisher gemacht hat und die Vorteile für

die Kinder und Erwachsenen. Vor allem ist die

gestärkte Entwicklung der Teilnehmer von Training

zu Training erkennbar, dadurch steigt das

Selbstbewusstsein und die Körperbeherrschung

nimmt zu. Die Selbstdisziplin wird gestärkt, die

Persönlichkeitsentwicklung unterstützt und das

Selbstbewusstsein gefördert, wobei der positive

Einfluss nicht nur im Training erkennbar ist,

sondern auch in allen anderen Bereichen wie

beispielsweise der Schule. Ein weiterer Vorteil

des Capoeira Trainings ist, dass ein gutes Reaktionsvermögen

benötigt wird, um schnell auf den

Gegenspieler antworten zu können. Des weiteren

werden während des Trainings beide Gehirnhälften

geschult, da während des Spielens

im Kreis ein „Angriff“ von allen Seiten kommen

kann und daher eine Antwort des Gegenspielers

von allen Seiten möglichsein muss.

In Zukunft ist eine Kooperation mit Duha e.V. –

Verein für soziale Dienste in Mannheim geplant.

Duha e.V. leistet Hilfe für Menschen mit

Behinderung und/oder Migrationshintergrund.

Durch die Arbeit des Vereins soll die Teilhabe


Vom 08. bis 09.06.2024 findet das Capoeirafest

Ginga Balança in Mannheim statt oder das Capoeira

Festival Stuttgart des Vereins brasilianischer Kultur

Stuttgart e.V. vom 19. April bis 21. April.

Mehr Information über Capoeira „Ginga Balança“ in

Mannheim findet ihr unter https://capoeiravereinma.de/

am Leben innerhalb der Gesellschaft ermöglicht

werden, Barrieren abgebaut und Brücken gebildet

werden. Derzeit wird an einem Konzept zur

Umsetzung einer Capoeira Trainingsgruppe bei

„Capoeira Ginga Balança“ in Mannheim erarbeitet.

Die Kooperation soll einmal wöchentlich für

Kinder, die von Duha e.v. unterstützt werden,

angeboten werden und vorrangig für Kinder mit

Behinderung sein.

war und ich in ihren Bann gezogen wurde. Ein

mitreißender Rhythmus durchzog die Luft und

die Klänge der Berimbau und der Trommel kreierten

eine magische Atmosphäre, wodurch die

Grenzen zwischen Tanz und Kampf verschwammen.

Die Bewegungen der Capoeristas waren

fließend und kraftvoll und die Spieler Sprachen

dadurch ihre eigene Sprache. Das Erlebnis war

sehr inspirierend, berührend und faszinierend,

vor allem auch die Verschmelzung aus Kunst,

Kultur und Sport. Außerdem lernt man bei der

Ausübung von Capoeira nicht nur das Sportliche

wie die Technik, sondern gerade, weil der kulturelle

Aspekt eine zentrale Rolle spielt, lernt man

dadurch die brasilianische Kultur und Tradition

kennen. Zudem wird die Kreativität durch das

Spielen in der Roda gefordert und gefördert,

da man auf den anderen Spieler reagieren, die

Musik und den Gesang beachten und die Bewegungen

dementsprechend anpassen muss. Des

Weiteren kommt man nicht nur mit Menschen

aus vielen verschiedenen Kulturen in Kontakt,

sondern auch mit Menschen mit und ohne

Beeinträchtigungen, wodurch die Offenheit

gegenüber Neuem gefördert, die Hemmschwelle

gesenkt wird und ein Gemeinschaftsgefühl

entsteht, da jeder wertgeschätzt und akzeptiert

wird, wie er ist.

Mir gefällt besonders gut, dass Capoeira mehr

als nur Sport ist und Brücken in verschiedene

Bereiche schlägt, wie zum einen die Kunst durch

den Tanz, die Musik, den Rhythmus und den

kulturellen Ausdruck. Zum anderen wird die Gemeinschaft

gestärkt, die Vielfalt und Inklusion

gefördert und dadurch ein Raum für kulturellen

Austausch und persönliches Wachstum geschaffen.

Capoeira mehr als nur „Kampfsport“

Für mich war es eine sehr schöne Erfahrung, die

ich erleben durfte und ich kann jedem ans Herz

legen nicht nur die „typischen“ Sportarten auszuprobieren,

sondern auch über den Tellerrand

hinauszuschauen und sich mit Sportarten aus

anderen Kulturen zu befassen. Besonders beeindruckend

war die Energie, die mich am Ende

bei der Roda umgeben hat, da sie ansteckend

55


Die Autorinnen

Friederike Albert

Aylin Altikulac

Laura Arendt

Louisa Bender


Ronja Jabbusch

Lara Kortyka

Helena Lehmann

Leonie Schwab

Valerie Weiß

Nicole Zimny


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