Programmheft herunterladen - Münchner Philharmoniker
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Konzertprogramme
2003/2004
Dirigent: Marc Soustrot
9./10./11./12. Juni 2004
Münchner
Philharmoniker
Konzertsaison 2003/2004
106. Spielzeit seit der Gründung 1893
Mittwoch, 9. Juni 2004, 20 Uhr
8. Abonnementkonzert A
Donnerstag, 10. Juni 2004, 19 Uhr
8. Abonnementkonzert B
Freitag, 11. Juni 2004, 20 Uhr
8. Abonnementkonzert C
Samstag, 12. Juni 2004, 19 Uhr
8. Theatergemeindekonzert
James Levine
Chefdirigent
Bernd Gellermann
Intendant
Paris war die Kulturhauptstadt des Fin-de-siècle
(Jules Chéret: Plakat für „Le Figaro“, 1904)
Sehr geehrtes Publikum,
bitte denken Sie daran, Mobiltelefone
und Uhren mit Signalfunktion vor dem
Konzert auszuschalten. Außerdem
möchten wir Sie im Interesse aller
Konzertbesucher darum bitten, lautes
Husten z.B. mit einem Taschentuch
abzudämpfen.
Ton- und Bildaufnahmen sind
untersagt.
Claude Debussy, der sich energisch
gegen eine Selbstentfremdung der
französischen Musik unter dem Diktat
des aus Deutschland importierten
„wagnérisme“ wandte, empfahl seinen
Landsleuten als identitätsstiftendes
„Gegengift“ gegen die aus Bayreuth eingewanderten
tristanisierenden Viren das
Stilprinzip einer mediterranen „clarté“:
„Französische Musik, das heißt Klarheit,
Eleganz und Freude des Geistes...!“ Auf
dieses von Debussy lebenslang gelebte
Ideal spielt noch die Inschrift „Musicien
Français“ auf seinem schlichten Grabstein
an.
Claude Debussy
(1862–1918)
Prélude à „L’après-midi d’un faune“
(in einem Satz)
Rhapsodie für Klarinette und Orchester
(in einem Satz)
„Images“ für Orchester
1. Gigues
2. Ibéria (Spanien)
– Par les rues et les chemins
(Auf den Straßen und Wegen)
– Les parfums de la nuit
(Die Düfte der Nacht)
– Le matin d’un jour de fête
(Der Morgen eines Festtages)
3. Rondes de printemps (Frühlingsreigen)
––––-------–
Claude Debussy
„La mer“
Drei sinfonische Skizzen
1. „De l’aube à midi sur la mer“
(Von der Morgendämmerung bis zum
Mittag auf dem Meer)
2. „Jeux de vagues“ (Wellenspiele)
3. „Dialogue du vent et de la mer“
(Gespräch zwischen Wind und Meer)
Marc Soustrot
Dirigent
Martin Spangenberg
Klarinette
2
3
Claude Debussy im Salon seines Freundes Pierre Louy¨s
Peter Jost
Der Traum in der Flöte des Fauns
Zu Claude Debussys „Prélude à ,L’après-midi d’un faune‘“
Lebensdaten des Komponisten:
Geboren am 22. August 1862 in Saint-
Germain-en-Laye (Département Yvelines/
Region Paris); gestorben am 25. März
1918 in Paris.
Entstehung:
Debussys Komposition ist der Versuch
einer musikalischen Annäherung an die
1876 publizierte, 110 Alexandriner umfassende
Ekloge „L’après-midi d’un
faune“ (Der Nachmittag eines Fauns)
von Stéphane Mallarmé. Ursprünglich
war die 1891 begonnene Komposition
als sinfonisches Triptychon geplant
und wurde noch im Frühjahr 1894 als
„Prélude, Interlude et Paraphrase pour
,L’après-midi d’un faune‘“ angekündigt.
Zur Ausführung gelangte aber nur das
im September 1894 beendete „Prélude“.
Widmung:
Im Druck widmete Debussy das Werk
Raymond Bonheur, seinem Freund und
ehemaligen Mitschüler am Pariser Conservatoire.
Das handschriftliche Particell
widmete er Gabrielle Dupont, seiner
Lebensgefährtin von 1890 bis 1898 im
gleichen Monat, in dem er Rosalie Texier
heiratete: „À ma chère et très bonne
petite Gaby la sûre affection de son
dévoué Claude Debussy /Octobre 1899“
(Meiner lieben und vortrefflichen kleinen
Gaby ihr in aufrichtiger Zuneigung ergebener
Claude Debussy / Oktober 1899).
Uraufführung:
Am 22. Dezember 1894 in Paris (Orchester
der „Société nationale de musique“
unter Leitung von Gustave Doret).
Ästhetische Wahlverwandtschaft
1884 gewann Debussy den begehrten
Rom-Preis als krönenden Studienabschluss
am Pariser Conservatoire, brach
aber den sich anschließenden Aufenthalt
in der „Ewigen Stadt“ bereits im März
1887 vorzeitig ab, um nach Paris zurückzukehren.
Er wandte sich in den folgenden
Jahren verstärkt den literarischen
Zirkeln der französischen Hauptstadt zu
und kam im Herbst 1890 in Kontakt
mit Stéphane Mallarmé, der ihn für die
Mitarbeit an einer szenischen Fassung
von „L’après-midi d’un faune“ gewinnen
wollte – ein Projekt, das zwar nicht verwirklicht
wurde, aber letztlich Debussy
die Anregung zu seinem gleichnamigen
Orchesterwerk gab.
„Poésie pure“
Mallarmés Dichtung lehnt sich vordergründig
noch an die Schäfer-Szenerien
der klassizistischen Parnasse-Lyrik an.
Aber der Durchbruch zu einer völlig
neuen literarischen Richtung, zur „poésie
pure“ des Symbolismus, zeigt sich in
der Durchführung des Themas wie auch
in der Form. Die künstlerische Gestaltung
ist nicht mehr an die Nachahmung der
Natur gebunden, sondern schafft sich
im Traum ihre eigene Welt; das Dichten
selbst wird jenseits der Abbildung von
Realität zum Thema der Dichtung, wobei
quasi „musikalische“ Mittel wie suggestive
Klangbezüge, wohl kalkulierte
Rhythmen, kunstvolle Pausen zum
Einsatz gelangen.
Mallarmé war vor allem deshalb so angetan
von Debussys Musik, weil er zunächst
befürchtet hatte, der Komponist
versuche eine illustrative „Übertragung“
seiner Verse. Aber gerade das vermied
Debussy: Im „Prélude“ geht es um die
Umsetzung der Stimmung des Gedichts,
nicht seiner Handlungsmotive, um vage
Andeutungen, nicht um konkrete Beschreibungen.
Auf die Nachfrage eines
Musikkritikers äußerte Debussy: „Ist
mein Prélude à ,L’après-midi d’un faune‘
nicht vielleicht das, was in der Flöte des
Fauns von seinem Traum zurückgeblie-
ben ist ? Genauer gesagt: es ist der
,allgemeine‘ Eindruck der Dichtung!“
Magische Schwebezustände
Die Wahl der Soloflöte als Träger des
Hauptgedankens, mit dem das Stück
beginnt, ergibt sich aus dem traditionellen
Attribut der Faune, der Söhne des
römischen Waldgottes Faunus, den man
später mit dem griechischen Hirtengott
Pan gleichsetzte. Dieser Hauptgedanke –
von einem Thema mag man angesichts
der lockeren, unsymmetrischen Fügung
kaum reden – besteht aus einer wiederholten,
chromatisch ab- und aufsteigenden
Bewegung sowie einer nachfolgenden
diatonischen Wendung und enthält
damit keimhaft das komplette motivische
Material des ganzen Stücks. Zunächst
unbegleitet exponiert, kehrt der Komplex
in zehn Varianten wieder, dabei
jedes Mal auf andere Weise harmonisiert.
Die Anlage als Variationswerk wird
jedoch durch andere Formmodelle überlagert:
durch die Sonatensatzform aufgrund
einiger durchführungsartiger
Abschnitte sowie durch die Bogenform,
die sich durch den stark kontrastierenden
Mittelteil ergibt.
Daraus resultiert unter formalem Aspekt
ein eigenartiger Schwebezustand, der
durch Rhythmik und Harmonik, vor
allem aber durch besondere Instrumentation
noch zusätzlich bekräftigt wird.
Letztere ist betont transparent und leicht
gehalten; bezeichnenderweise sieht die
Besetzung zwei Harfen und ein reichhaltiges
Holzbläserensemble vor, verzichtet
aber auf Trompeten, Posaunen, Tuben
und Pauken. Der ganz neuartigen Klanglichkeit
des „Prélude“, das trotz aller
Vorbehalte gegenüber Schlagworten
immer wieder als „Geburtsstunde des
musikalischen Impressionismus“ bezeichnet
wurde, konnte sich auch das
Publikum der Uraufführung nicht entziehen.
Die Begeisterung war so groß,
dass das Stück unmittelbar wiederholt
werden musste.
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Debussy mit Bassklarinette im Salon seines Freundes Pierre Louÿs
Peter Jost
„Phantasievolle Arabesken“
Zu Claude Debussys Klarinetten-Rhapsodie
Lebensdaten des Komponisten:
Geboren am 22. August 1862 in Saint-
Germain-en-Laye (Département Yvelines/
Region Paris); gestorben am 25. März
1918 in Paris.
Entstehung:
1909/10 schrieb Debussy für die im
Pariser Conservatoire zum Abschluss
des Studienjahres 1910 anberaumte
Abschlussprüfung im Fach „Klarinette“
zwei kurze einsätzige Stücke für Klarinette
und Klavier („Première Rapsodie“
und „Petite Pièce“), von denen er das
erste 1910/11 zum Konzertgebrauch
für Klarinette mit Orchesterbegleitung
transkribierte.
Widmung:
„À Prosper Mimart en témoignage de
sympathie“ (Für Prosper Mimart als
Zeichen meiner Sympathie).
Uraufführung:
Fassung mit Orchesterbegleitung: Am
16. Januar 1911 in Paris; dieser ersten
öffentlichen Aufführung war 1910 die
Uraufführung der Originalfassung mit
Klavierbegleitung während eines Abschlusskonzerts
am Pariser Conservatoire
vorausgegangen.
Mit Rhapsodien gegen die Konvention
Der Begriff „Rhapsodie“ wurde seit dem
17. Jahrhundert als Ausdruck für eine
heterogene oder fragmentarische Sammlung
von Erzählungen, Gedichten, Liedern
usw. gebraucht. Er geht zurück auf
die griechische Antike (altgriechisch:
rháptein = aneinanderreihen), in der der
Rhapsode Bruchstücke epischer Dichtungen
zusammenstellte und vortrug. Seit
dem späten 18. Jahrhundert wurde der
Terminus auch auf die Musik übertragen,
zunächst vor allem auf Vokalwerke, später
aber immer öfter auch auf die Instrumentalmusik.
Der Erfolg von Franz Liszts
„Ungarischen Rhapsodien“, insbesondere
in der Orchesterfassung, wurde dann
zum Fanal für zahlreiche Orchesterrhapsodien,
oft unter folkloristischen oder
nationalen Vorzeichen. Der Bogen der
namhaften Komponisten reicht von Antonín
Dvorˇák („Slawische Rhapsodien“,
1878) über Maurice Ravel („Rapsodie
espagnole“, 1907) bis zu George
Gershwin („Rhapsody in blue“, 1924).
Die Musikkritik tat sich lange schwer mit
dieser neuen Gattung, die sich durch die
Abkehr von traditionellen Formschemata
auszeichnete. „In der Regel mehr bunt
als künstlerisch abgerundet gehalten“,
charakterisierte sie 1877 etwa das „Musikalische
Conversations-Lexikon“. Für
Claude Debussy, der den konventionellen
Formenkanon als Einengung der
künstlerischen Phantasie empfand, war
der Begriff dagegen durchaus positiv
besetzt. 1910 äußerte er sich zu Werken
von Cyril Scott, einem damals Aufsehen
erregenden jungen britischen Komponisten,
indem er sie in die Nähe von
Rhapsodien stellte, „welche sich an
Stelle des Zwangs traditioneller Formen
phantasievoll in zahlreichen Arabesken
entfalten“. Der Zusammenhang mit seinen
eigenen, mit „Rapsodie“ betitelten
Kompositionen ist evident: Denn für
beide Werke, für die zuerst komponierte,
aber erst posthum erschienene „Rhapsodie
für Saxophon und Orchester“
(1903 –11), wie auch für das in der orchestrierten
Version von 1911 als „Première
Rapsodie“ bezeichnete Schwesterwerk
für die Klarinette, spielen arabeskenartige
Verläufe eine tragende Rolle.
Reizvoller Klarinettenpart
Beide Rhapsodien sind Auftragsarbeiten
– diejenige für Saxophon nahm Debussy
allerdings nur wegen des in Aussicht
gestellten hohen Honorars an. Denn
eigentlich war er mit dem Saxophon
kaum vertraut, worunter die selten gespielte
Komposition bis heute leidet.
Bei der für die Abschlussprüfungen am
Pariser Conservatoire komponierten
„Rhapsodie für Klarinette“ zeigt dagegen
gerade die Solostimme mit ihren idiomatischen
Wendungen und ihrer effektiven
Nutzung der spezifischen Eigenschaften
der verschiedenen Register,
dass Debussy sich mit den spieltechnischen
und klanglichen Möglichkeiten der
Klarinette bestens auskannte. Die sich
zwischen träumerischer Expressivität,
Scherzo-Episoden und brillanter Virtuosität
bewegende Solopartie dürfte denn
auch entscheidend dazu beigetragen
haben, dass das Gelegenheitswerk sehr
schnell Eingang ins Konzertrepertoire
fand.
Zwischen Einheit und Kontrast
Auf den ersten Blick handelt es sich bei
der Komposition tatsächlich um eine
freie Phantasie, die in ihren arabeskenhaften
Zügen nicht von ungefähr an
die Flötenpartie aus dem „Prélude à
,L’après-midi d’un faune‘“ erinnert. Die
scheinbar willkürliche Aneinanderreihung
von tonartenmäßig, rhythmischmetrisch
wie auch im Tonfall kontrastierenden
Abschnitten entpuppt sich bei
näherem Hinhören jedoch als ausgeklügelte
Reprisenform mit zwei themenartigen
Gebilden. Debussy wird damit einerseits
den durch den Titel „Rhapsodie“
geweckten Erwartungen rhapsodischer
Gestaltung, andererseits aber auch den
eigenen Ansprüchen an künstlerische
Kohärenz gerecht.
Die von Beginn an dominierende Soloklarinette
erprobt zunächst traumverloren
(„rêveusement lent“), gleichsam
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wie improvisierend, ihre Klangmöglichkeiten,
bevor sie ein zartes, von Synkopen
bestimmtes Thema intoniert. Das
Thema wird tonartenmäßig versetzt
nach einem ersten Scherzando-Einschub
wiederholt, muss dann aber dem lebhaften
Wechselspiel zwischen Klarinette,
Englisch Horn und erstem Fagott Platz
machen, aus dem sich eine neue Scherzando-Episode
entwickelt. Diese mündet
in ein Staccato-Thema mit chromatisch
absteigenden Achteln, das zunächst im
tiefsten, dann bei der Wiederholung im
höchsten Register der Klarinette erklingt.
Virtuose Spielfiguren bilden die Über-
leitung zur Reprise des ersten Themas
mit allerdings beträchtlich veränderter
Begleitung. Eine bereits innerhalb der
beiden Scherzando-Teile kurz angeklungene
Ableitung aus diesem Thema dient
nun bei beschleunigtem Tempo und zunehmender
Lautstärke als Sprungbrett
für eine virtuose Stretta, die überraschenderweise
einer Reprise des
Scherzando-Themas weicht, die aber
ebenfalls noch nicht das letzte Wort hat.
Dieses bleibt nach einer Fortissimo-
Introduktion der Hörner dann doch der
Soloklarinette vorbehalten.
Claude Debussy am Pianino seines Freundes Ernest Chausson,
der ihm die Noten umblättert
Peter Jost
„Leicht wie eine Frauenhand“
Zu Claude Debussys „Images“ für Orchester
Lebensdaten des Komponisten:
Geboren am 22. August 1862 in Saint-
Germain-en-Laye (Département Yvelines/
Region Paris); gestorben am 25. März
1918 in Paris.
Entstehung:
Neben den beiden zwischen 1905 und
1907 entstandenen Bänden der „Images“
für Klavier zu zwei Händen, plante
Debussy einen zweiten „Images“-Zyklus
für Klavier zu vier Händen, aus dem sich
von 1906 bis 1912 sein umfangreichstes
Orchesterwerk entwickelte. Das in sich
dreiteilige Mittelstück „Ibéria“ wurde
1908 vollendet, die abschließenden
„Rondes de printemps“ folgten 1909.
Im selben Jahr begann die Arbeit am
Eingangsstück „Gigues“, dessen Instrumentation
1912 Debussys Schüler
André Caplet ausführte.
Widmung:
Nur das Manuskript der „Rondes de
printemps“ von 1906 enthält eine Widmung:
An Emma Debussy, geb. Bardac,
die zweite Ehefrau des Komponisten.
Uraufführung:
„Gigues“: Am 26. Januar 1913 in Paris
(Orchester der „Concerts Colonne“ unter
Leitung von Gabriel Pierné); „Ibéria“:
Am 20. Februar 1910 in Paris (Orchester
der „Concerts Colonne“ unter Leitung
von Gabriel Pierné); „Rondes de printemps“:
Am 2. März 1910 in Paris (Orchester
der „Concerts Durand“ unter
Leitung von Claude Debussy).
8
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Imaginierte Bilderfolge aus drei Ländern
Nach den beiden 1905 und 1907 entstandenen
Serien der „Images“ für (zweihändiges)
Klavier sollte eine weitere
Reihe von „Images“ für Klavier zu vier
Händen folgen. Aber zwei der bereits
konzipierten Stücke wurden für Orchester
bestimmt und bildeten den Grundstock
für „Gigues“ und „Ibéria“, die schließlich
zusammen mit „Rondes de printemps“
zu den „Images“ für Orchester wurden.
Ausgearbeitet wurden die drei Teile der
„Images“ dann allerdings in anderer Reihenfolge
als der Druck suggeriert, nämlich
zunächst „Ibéria“, dann „Rondes de
printemps“ und schließlich, unter Assistenz
des Freundes André Caplet, der die
Instrumentation vollendete, „Gigues“.
Schon die Entstehungsgeschichte, aber
auch die ungleichen Proportionen der
Einzelteile weisen darauf hin, dass die
„Images“ kaum als zusammenhängender
Zyklus gedacht sind. Zwar ist allen
die Imagination folkloristischer Szenen
aus England (Satz 1), Spanien (Satz 2)
und Frankreich (Satz 3) gemeinsam,
jedoch unterscheiden sie sich deutlich in
der Art der angewandten Mittel.
Während etwa „Gigues“ harmonisch
zwischen Diatonik und Ganztonleitern
changiert, bereichern polytonale und
modale Verläufe „Ibéria“, und während
„Rondes de printemps“ eine komplexe
Variationsform aufweist, dominieren in
„Ibéria“ verschiedene Reprisenformen.
Debussys selbst sprach davon, dass er
mit den „Images“ etwas anderes, als
üblicherweise von ihm erwartet, machen
wollte, nämlich „Realitäten schaffen“.
Das heißt nun nicht, dass er sich um realistische
Illustrationen bemühte, vielmehr
geht es um musikalische „Bilder“,
um Beschwörungen imaginierter Landschaften
und Situationen. Bezeichnenderweise
werden die benützten Tänze und
Lieder eben nicht völlig „realistisch“,
sondern in einer für Debussy typischen
leichten Verfremdung eingesetzt. Das
jeweilige Kolorit ergibt sich über authentische
oder nachgeahmte Tänze und
Lieder unter Verwendung von jeweils
charakteristischen Instrumenten. Zwar
befürwortete der Komponist selbst die
Aufführung aller „Images“ im Konzert,
konnte aber bereits zu Lebzeiten Einzelaufführungen
sowie die Vorliebe der
Dirigenten für das mittlere Bild, „Ibéria“,
nicht verhindern.
„Gigues“
Das relativ kurze Stück trug zunächst
den Namen „Gigues tristes“. Die Bezeichnung
wird durch den etwas schwermütigen
Charakter des Hauptthemas
(„doux et mélancolique“) verständlich.
Es ist einer altenglischen Gigue nachempfunden
– einem Tanz, der im 17. Jahrhundert
bezeichnenderweise vor allem
durch französische Komponisten populär
wurde – , wobei der archaische
Charakter durch ein typisches Barockinstrument,
die Oboe d’amore, noch
unterstrichen wird. Schon bald erklingt
aber ein heiterer, scharf rhythmisierter
Gedanke als wirkungsvoller Kontrast.
Er lehnt sich an das Lied „Dansons la
gigue“ des Debussy-Zeitgenossen
Charles Bordes (des Begründers der
Pariser „Schola cantorum“) an und
bringt vor allem Schlaginstrumente wie
Becken, Trommel und Xylophon zu
wirkungsvollen Einsätzen.
Das Wechselspiel zwischen melancholischen
und tänzerischen Passagen wird
durch eine zuerst von den Flöten vorgetragene
Melodie mit charakteristischer
Achteltriole vermittelt, die entfernt an
schottische Dudelsackstücke erinnert.
Überdies fügte Debussy raffinierte Übergänge
ein, in denen Fragmente des Anfangsthemas
mit punktierten Rhythmen
des Tanzthemas übereinandergeschichtet
werden. Zuletzt mündet nach einer
letzten Präsentation des Hauptgedankens
durch die Oboe d’amore das Stück
in einen Schlussteil ein, in dem alle zuvor
exponierten Motive anklingen und
damit in gewisser Weise zur Synthese
gelangen.
„Ibéria“
Der mit Abstand ausgedehnteste Teil der
„Images“ gliedert sich wiederum in drei
Teile, von denen die ersten beiden etwa
den Umfang von „Gigues“ und „Rondes
de printemps“ besitzen. Die interne Gliederung
von „Ibéria“ lässt sich als Bogenform
beschreiben, da die beiden Außenteile,
„Par les rues et par les chemins“
(„Auf den Straßen und Wegen“) sowie
„Le matin d’un jour de fête“ („Der Morgen
eines Festtages“) durch einen
Bolero- bzw. Marschrhythmus, der konträre
Mittelteil, „Les parfums de la nuit“
(„Die Düfte der Nacht“), dagegen durch
eine eigenartige Statik charakterisiert
sind. Der Zusammenhalt der Abschnitte
untereinander wird durch motivische
Verklammerungen abgesichert. Die
Suggestion einer zusammenhängenden
Abfolge von Zeitabschnitten (Tag-Nacht-
Morgen) wird damit über die Titelgebung
hinaus auch musikalisch unterstrichen.
Gerade durch sein gleichsam
idealtypisches España-Kolorit, zu dem
auch der Einsatz von Tamburin und
Kastagnetten beiträgt, ist „Ibéria“ zum
Inbegriff spanischer Musik geworden,
obwohl kein einziges Zitat authentischer
spanischer Folklore in ihm enthalten ist.
Wie vor ihm Georges Bizet, der Schöpfer
der unvergänglichen „Carmen“, so
unterhielt auch Debussy keinen unmittelbaren
Kontakt zum südlichen Nachbarland
Frankreichs, aber wusste Spanien
in einer Zeit, in der alles „Fremde“
seinen exotischen Reiz entfaltete, auf
ideale Weise heraufzubeschwören.
Für den ersten Abschnitt bedient sich
Debussy der altfranzösischen Rondeau-
Form, in der die Auftritte des Hauptthemas
mit seiner typischen Bolero-
Triole („élégant et bien rythmé“) durch
kontrastierende Episoden, darunter ein
sehnsuchtsvolles Oboen-Solo, getrennt
sind. Die augenscheinliche Heterogenität
dieser Einschübe steht in direkter Verbindung
mit dem Titel. Offenbar geht es
um ein Panorama von verschiedenen
Beobachtungen und Geräuschen, die
sozusagen unterschiedliche Facetten
Spaniens einzufangen versuchen. Er
müsse „nur hörbaren Landschaften“
nachsinnen, schrieb Debussy während
der Komposition an seinen Verleger, und
höre „den Straßenlärm in Katalonien,
zugleich aber auch die Musik in
Grenada“.
Die folgenden „Parfums de la nuit“
basieren auf dem Rhythmus der Habanera,
allerdings in einer Art von Zerdehnung,
dass gleichsam die Zeit angehalten
wird, wodurch sich die laszive
Stimmung einer südländischen Sommernacht
ausbreiten kann. Formal handelt
es sich um eine dreiteilige Liedform
mit angehängter Coda. Das zentrale
Motiv des ersten Teils nimmt das Oboensolo
aus „Par les rues et par les chemins“
wieder auf. Der Mittelteil beginnt
dagegen mit einem Hornsolo „doux et
mélancolique“, das später verkleinert in
der Solovioline wiederkehrt, während
sich in der nachfolgenden Reprise Elemente
beider vorheriger Teile mischen.
Der Übergang zu „Le matin d’un jour de
fête“ vollzieht sich durch Vorwegnahmen
und Rückgriffe, die bis zum Zitat reichen.
Der zunächst nur entfernt zu hörende
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Marschrhythmus dominiert bald das
Geschehen. Der suggestive Vorbeimarsch
einer Gitarren-Banda reicht bis
zur quasi-realistischen Nachahmung: Die
Geiger und Bratscher sollen nicht nur
durch Akkordarpeggien den Klang von
Gitarren imitieren, sondern ihre Instrumente
sogar wie Gitarren „unter den
Arm“ nehmen. Dieser Marsch wird nicht
nur von einem ruhigeren Mittelteil unterbrochen,
sondern auch, vor allem in der
relativ langsamen Einleitung, durch
heterogene Klangsplitter wie Glockengeläut
und Posaunenchoral. Feste Tempi
werden gerade in diesem Schlussabschnitt
von „Ibéria“ ständig durch Beschleunigungen
und Verzögerungen
oder gar durch freies Rubato unterlaufen
– ein probates Mittel, um die Gleichzeitigkeit
heterogener Sinneseindrücke bei
dieser Evokation eines spanischen Festtages
musikalisch überzeugend umzusetzen.
„Rondes de printemps“
Dieser letzte Teil der „Images“ weist zu
Beginn ein Motto auf, das einem Frühlingslied
der Renaissance entnommen
ist: „Vive le Mai, bienvenu soit le Mai /
Avec son gonfalon sauvage“ (Es lebe
der Mai, willkommen sei der Mai / Mit
seinem wilden Banner). Das Pathos der
Verse will allerdings zum vorherrschenden
Charakter des Stücks wenig passen.
Offenbar ging es Debussy mehr um die
„zeitlose“ Frühlingslust, die er mit einer
gewissen „Patina“ umgeben wollte.
Insofern diente ihm das verbale Motto
gleichsam als Rahmen für die Verwendung
des alten französischen Volkslieds
„Nous n’irons plus au bois“, das als
melodische Basis für das dritte und letzte
Stück der „Images“ dient.
Der „Frühlingsreigen“ ließe eigentlich
eine Rondoform erwarten, aber Debussy
zog ihr eine Art von Variationsfolge vor,
die wohl noch eindringlicher das zugrunde
liegende Bild des erwachenden Frühlings
vermitteln kann. Wie dieser sich
in verschiedenen Formen und Farben
äußert, so auch die Volksliedmelodie,
die zahlreichen subtilen wie auch uner-
warteten Veränderungen unterworfen
wird – sei es in der Mollvariante, in der
Vergrößerung oder Verkleinerung, mit
Triolen versehen oder – wie unmittelbar
vor der Coda – auf den bloßen Rhythmus
reduziert, den das Tamburin skandiert.
Dabei ist Debussy um einen betont
leichten, hellen Klang bemüht, verzichtet
auf schwere Blechblasinstrumente und
setzt auch das Schlagwerk äußerst zart
ein. Bei den Proben zur ersten Aufführung
äußerte er begeistert: „Das Orchester
klingt wie Kristall und ist leicht
wie eine Frauenhand.“
Lebensdaten des Komponisten:
Geboren am 22. August 1862 in Saint-
Germain-en-Laye (Département Yvelines/
Region Paris); gestorben am 25. März
1918 in Paris.
Entstehung:
Debussy begann das von Anfang an dreiteilig
geplante Werk im August / September
1903, als er bei den Eltern seiner
ersten Frau Rosalie Texier in Bichain /
Burgund wohnte. Der 1. Satz trug anfangs
noch den Titel „Mer belle aux Îles
Sanguinaires“ (Ruhige See vor den Îles
Sanguinaires, einer kleinen Inselgruppe
bei Korsika), der 3. Satz „Le vent fait
danser la mer“ (Der Wind lässt das Meer
tanzen); nach einer Umarbeitung des
Schlusses von Satz 2 wurde die Partiturreinschrift
am 5. März 1905 in Paris
beendet. Der revidierte Druck von 1909
unterscheidet sich von der 1905 erschienenen
Erstausgabe durch 80 Änderun-
Für die Titelillustration der
Erstausgabe wählte Debussy
die stilisierte „Große Woge“
des japanischen Künstlers Hokusai
Peter Jost
Bilder, nicht Abbilder der Natur
Zu Claude Debussys „La mer“
gen der Instrumentation, Phrasierung
und Dynamik.
Widmung:
„Pour la p.m. [= petite mienne] dont les
yeux rient dans l’ombre“ (Für meine
Kleine, deren Augen im Schatten lachen);
die Widmung bezieht sich auf Emma
Bardac, Debussys (spätere) zweite Frau,
wurde in der handschriftlichen Partitur
im nachhinein getilgt und erschien nicht
in der gedruckten Partitur, die der Komponist
seinem Verleger Jacques Durand
widmete.
Uraufführung:
Am 15.Oktober 1905 in Paris (Orchester
der „Concerts Lamoureux“ unter Leitung
von Camille Chevillard); Erstaufführung
der von Debussy durchgeführten
Revision der Partitur: Am 19. Januar
1908 in Paris (Orchester der „Concerts
Colonne“ unter Leitung von Claude
Debussy).
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Gruppenbild mit Dame (von links nach rechts: Pierre Lalo, Claude Debussy,
Lily Debussy, Paul Poujaud; sitzend: Paul Dukas)
Annäherungsversuche an die Sinfonie
Bereits in den ersten Briefen, in denen
Debussy über sein neues Orchesterprojekt
„La mer“ berichtete, wählte er die
Bezeichnung „sinfonische Skizzen“, die
auch als Untertitel in der Druckpartitur
beibehalten wurde. Der Ausdruck mutet
eigentümlich an, ja birgt scheinbar einen
Widerspruch in sich. Denn mit „Skizzen“
verbindet man im Allgemeinen etwas
noch Unfertiges – also Kompositionen,
die keinen Anspruch auf „Größe“ erheben,
sondern allenfalls als flüchtige
Momentaufnahmen gelten dürfen; die
Bezeichnung „sinfonisch“ ist dagegen
zielgerichteten Entwicklungen vorbehalten,
die auf detaillierte kompositorische
Ausarbeitung verweisen. Dennoch enthüllt
eine nähere Beschäftigung mit
der Partitur rasch, wie berechtigt das
Epitheton „sinfonisch“ ist.
Dabei fällt die teilweise Entsprechung zu
Satzcharakteren der traditionellen Sinfonie
– Satz 1: langsame Einleitung bzw.
langsamer Satz, Satz 2: Scherzo in
Bogenform, Satz 3: Rondo-Finale – weniger
ins Gewicht als die unverkennbare
Präsenz von sinfonischen Merkmalen
wie Progression (Satz 1), Degression im
Sinne von Aufspaltung (Satz 2) sowie
Dualismus und Synthese (Satz 3). So
gesehen wirkt der Terminus „Skizzen“
wie eine letztlich unangemessene
Zurücknahme; aber vermutlich wollte
Debussy nur falschen Erwartungen von
festgefügten konventionellen Formen,
von Gliederungen nach den Schemata
des Sonatensatzmodells vorbeugen.
Denn trotz vielfacher Bezüge kann man
„La mer“ mit seinen weiten athematischen
Flächen und ständig mutierenden
Motivzellen nicht als Sinfonie im Sinne
der Gattungsnorm bezeichnen.
Absage an die Programmmusik
Zahlreiche Aussagen des Komponisten
belegen, wie sehr er von Naturphänomenen
jeder Art fasziniert war. In seiner
Frühzeit bildeten öfters stilisierte (Literatur-)
Landschaften die Vorlage für Werke;
im Falle von „La mer“ wollte er jedoch
ausdrücklich der Gefahr entgehen, wie
ein Maler „im Atelier entstandene Landschaftsbilder“
zu produzieren. Er begann
zwar die Komposition in burgundischen
Weinbergen fernab des Meers, berief
sich jedoch ausdrücklich auf seine präzisen
„Erinnerungen“ ans Meer, und die
seien seiner Meinung nach „mehr wert
als eine Realität, deren Zauber in der
Regel die Gedanken zu schwer belastet“.
Auf die unmittelbare Erfahrung der
Meeres-„Realität“ kam es Debussy um
so weniger an, als er eine Konzeption
jenseits aller Programmmusik im Sinne
hatte, die er als bloße Zeiterscheinung
oder gar „Mode“ verachtete. Er wollte
„Bilder“ des Meers geben, die empfangenen
Eindrücke in musikalische Gestalten
„übersetzen“, nicht aber ein
„Abbild“ mit den bekannten Mitteln der
Tonmalerei. Diese Absage bedeutet zwar
keinen gänzlichen Verzicht auf illustrative
Mittel wie etwa Wellenbewegungen
in „Jeux des vagues“; aber sie sind eben
nur Nebenprodukte bei Debussys Versuch
der Transkription von Farben und
Bewegungen in Klangfarben und Rhythmen,
die die Musik selbst zu einem
Naturphänomen erheben.
Stilistischer Neubeginn
Beispielsweise ist beim Beginn des
1. Satzes zu beobachten, wie vom Einzelton
aus Motive und Klänge entfaltet
werden, also der Gang der Natur vom
Amorphen zu konzisen Gestalten nachgezeichnet
wird. Vor diesem Hintergrund
legitimieren sich die ständigen Modifikationen
von Tonfolgen und Klangkombinationen
und nicht zuletzt auch die
zukunftsweisenden komplexen Rhythmusüberlagerungen
(Satz 1) und klanglichen
Aufsplitterungen (Satz 2). Der stilistische
Neubeginn von nuancenreicher
Andeutung zu klaren, prägnanten Linien
verstörte noch das Premierenpublikum,
darunter zahlreiche Anhänger Debussys,
die eine Fortsetzung des Stils von
„Pelléas et Mélisande“ erwarteten. Bezeichnend
für das Missverständnis war
die vielfach geäußerte Kritik, in Debussys
„La mer“ könne man das Meer
weder hören noch sehen.
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Marc Soustrot
Der in Lyon geborene Dirigent studierte
am Konservatorium in Paris Posaune
und Klavier. Nachdem er Erste Preise in
seinen Instrumentalfächern gewonnen
hatte, schloss er 1974 auch das Dirigierstudium
mit Auszeichnung ab. Darüber
hinaus errang er Erste Preise bei Dirigier-Wettbewerben
in London und
Besançon. In seinem Wirken als Chefdirigent
und Künstlerischer Leiter (Orchestre
Philharmonique des Pays de la
Loire 1976–1994, Beethoven Orchester
Bonn 1995 –2003, Brabants Orkest Eindhoven
seit 1996) konnte Marc Soustrot
ein im Hinblick auf Umfang und Vielseitigkeit
bemerkenswert großes Repertoire
aufbauen. In seinen Programmen kreiert
er immer ein Gleichgewicht zwischen
traditionellen und zeitgenössischen Werken.
Sein Opernrepertoire beinhaltet
„Don Giovanni“, „Carmen“, aber auch
Wagners „Ring“, Bergs „Wozzeck“ und
Kreneks „Karl V.“ Gastdirigate führen
ihn regelmäßig zu den Bamberger Symphonikern,
dem NDR-Sinfonieorchester
Hamburg, dem English Chamber Or-
chestra, dem Tokyo Philharmonic Orchestra
und den holländischen Rundfunkorchestern.
Zudem ist er häufig
Gastdirigent in den Opernhäusern
von Sevilla, Madrid, Genf, Brüssel u.a.
Soustrot hat eine Reihe von CDs eingespielt,
darunter Aufnahmen mit
Mirella Freni, José van Dam, Shlomo
Mintz und Mstislav Rostropovich. Einige
seiner Aufnahmen sind preisgekrönt
(z.B. Prix du disque, Prix de la critique)
und von der Fachkritik begeistert aufgenommen
worden. Besonders zu erwähnen
sind die Aufnahmen von „Leonore“,
einer Frühfassung von Beethovens
„Fidelio“, die in Zusammenarbeit mit
dem Beethoven-Archiv Bonn erstmals
beim 35. Beethovenfest 1997 produziert
wurde; außerdem die „Lukas-Passion“
von Krzysztof Penderecki und die erstmalig
ungekürzte Gesamtfassung von
Ernst Kreneks „Karl V.“
Martin Spangenberg
Der 1965 in Wangen/ Allgäu geborene
Musiker begann im Alter von acht
Jahren mit dem Klarinettenspiel und
war mehrfach Bundespreisträger bei
„Jugend musiziert“; von 1984 bis 1989
studierte er bei Hans Deinzer an der
Hochschule für Musik und Theater in
Hannover. Martin Spangenberg war Mitglied
des Landesjugendorchesters
Baden-Württemberg, des Bundesjugendorchesters
sowie des Jugendorchesters
der Europäischen Gemeinschaft, 1989
gewann er den deutschen Musikwettbewerb,
den Förderpreis der Mozart-
Gesellschaft Wiesbaden sowie die Louis-
Spohr-Medaille der Stadt Seesen. Von
1988 bis 2003 war Martin Spangenberg
Soloklarinettist bei den Münchner Philharmonikern.
Schon 1990 begann er
regelmäßig bei den „Jeunesses musicales“
zu unterrichten, seit 1997 ist er
Professor an der Hochschule für Musik
„Franz Liszt“ in Weimar. 1996 und 1997
war er Mitglied des Bayreuther Festspielorchesters.
Martin Spangenberg
gibt zahlreiche Solokonzerte im In- und
Ausland. Seine kammermusikalische
Tätigkeit umfasst u.a. Auftritte mit dem
Artemis- und Mandelring-Quartett,
mit dem Albert-Schweitzer-Oktett sowie
zahlreiche Recitals mit dem Pianisten
Stephan Kiefer. Als Solist trat Martin
Spangenberg 1996 mit den Münchner
Philharmonikern unter der Leitung von
Sergiu Celibidache und 2002 unter
James Levine sowohl in München als
auch während einer Europatournee auf.
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„Ein neuer Übervaterkult wäre
schlecht für das Orchester“
Interview mit Bernd Gellermann, dem scheidenden
Intendanten der Münchner Philharmoniker
Er ist gebürtiger Münchner und stammt
aus einer musikalischen Familie. Sein Vater
spielte als stellvertretender Solocellist im
Orchester der Bayerischen Staatsoper. In
diese Fußstapfen trat Bernd Gellermann,
scheidender Intendant der Münchner
Philharmoniker. Seine musikalische Ausbildung
als Violinist erhielt er zunächst am
Richard-Strauss-Konservatorium, dann bei
Max Rostal in Bern, sammelte erste Orchestererfahrung
im Staatsopernorchester,
im Münchner Bachorchester sowie im Symphonieorchester
des Bayerischen Rundfunks.
1966 wurde Gellermann erster Konzertmeister
im Orchester des Staatstheaters
am Gärtnerplatz, bevor ihm 1971 der
Sprung zu Herbert von Karajans Berliner
Philharmonikern gelang. Doch die Position
als Tutti-Geiger schien den jungen Musiker
nicht auszufüllen. So fungierte Gellermann
1974 bis 1980 als Primarius des Philharmonischen
Oktetts Berlin, mit dem er weltweit
auftrat. 1987 gründete er die Berliner
Solisten, bei denen er in der Schubertschen
Oktettbesetzung gleichfalls als Primarius
wirkte und das einschlägige Repertoire für
CD und Video einspielte. Seine organisatorische
Begabung stellte er (bis 1982) als
Leiter des Archivs der Berliner Philharmoniker
unter Beweis. Pädagogisch engagierte
er sich in der Orchesterakademie, der
Nachwuchsschmiede des Berliner Philharmonischen
Orchesters. Von 1983 bis 1995
war Gellermann schließlich Geschäftsführer
der Berliner Philharmoniker GbR, einer
Gesellschaft, welche für alle massenmedialen
Aktivitäten des Orchesters zuständig
war. Er koordinierte das Aufnahmerepertoire
organisatorisch und inhaltlich mit den
Konzertterminen des Berliner Philharmonischen
Orchesters, entwickelte zusammen
mit renommierten Dirigenten, Schallplattengesellschaften
und der Intendanz eigene
Repertoire-Ideen. Zu seinen „Erfindungen“
zählt etwa das Europakonzert, ein jährliches
TV-Event am 1. Mai, dem Gründungstag
des Orchesters. 1997 wurde Gellermann
Intendant der Münchner Philharmoniker
und prägte in der Ära Levine maßgeblich
Programm und Erscheinungsbild des Orchesters.
Mit dem Abschied von James
Levine im Sommer dieses Jahres und dem
Amtsantritt des neuen Generalmusikdirektors
Christian Thielemann wird Gellermann
die Münchner Philharmoniker verlassen.
Im Interview mit Georg Etscheit zieht er
eine Bilanz seiner siebenjährigen Tätigkeit
in München und erläutert, warum er seinen
Vertrag vorzeitig auflöste.
Wie standen die Münchner Philharmoniker
künstlerisch da, als Sie 1997 die Intendanz
des Orchesters übernahmen?
Gellermann: Künstlerisch befand sich das
Orchester unter Sergiu Celibidache auf
einem sehr hohen Niveau. Die Spätromantik
war das anerkannte Markenzeichen der
Münchner Philharmoniker. Im Zentrum
standen natürlich die Sinfonien Anton
Bruckners in diesem breiten, sehr traditionellen,
tiefgründigen, glutvollen Klang.
Das Orchester war damit auf der ganzen
Welt präsent und hat Maßstäbe gesetzt.
Ansonsten war das Repertoire unter
Celibidache aber recht überschaubar...
Gellermann: Celibidache stand sicher
nicht nur für Bruckner, auch für Schubert,
Beethoven und Brahms u.a. Auch einige
Zeitgenossen hat er dirigiert. Doch je
weiter seine Ära voranschritt, desto mehr
verengte und spezialisierte sich das Repertoire.
Dabei blieb die notwendige Flexibilität,
über die ein professionelles Orchester
verfügen sollte, auf der Strecke. Wenn ein
bestimmtes Repertoire häufig wiederholt
wird, bringt das ja eine gewisse Einförmigkeit
und Eindimensionalität mit sich, wenn
auch bei Celibidache auf sehr hohem
Niveau.
Sie wollten also die Fixierung des
Orchesters auf Bruckner & Co. aufbrechen.
Gellermann: Es ist sehr schön, von einem
Chef eine Richtung vorgelebt zu bekommen
und diese auch überwiegend zu pflegen.
Aber es ist bestimmt genauso interessant,
auch für die Zuhörer, die gleichen Werke
unter anderen, auch jüngeren Dirigenten,
alternativ zu spielen und zu hören. Das
setzte natürlich voraus, dass Orchester und
Zuhörerschaft loslassen mussten von gewohnten,
man muss schon sagen, Ritualen,
sich einlassen mussten auf völlig neue
Ideen und Einflüsse.
Welche Ideen waren das?
Gellermann: Es ging darum, mit James
Levine und vielen jungen Dirigentinnen
und Dirigenten neue Programmlinien zu
entwickeln. Dabei kam es mir auf eine ausgewogene
Mischung von traditionellem
Repertoire mit dem Repertoire des 20. Jahrhunderts
an. Ich wollte Gegensätze und
Verbindungen aufzeigen, verdeutlichen,
wie Musikgeschichte abgelaufen ist. Ich
wollte eine neue Form der geistigen Auseinandersetzung
jedes Einzelnen im Orchester
und auch im Auditorium.
Welche Rolle spielte James Levine bei
diesem Öffnungsprozess?
Gellermann: Er spielte eine ganz wichtige
Rolle. Als er in München begann – er übernahm
erstmals in seiner Karriere ein reines
Konzertorchester – war er ja weiß Gott kein
Unbekannter mehr. Er war gefeierter Chef
der Met in New York und war weltweit als
Gastdirigent gefragt. Aber ihm haftete auch
etwas der Ruf eines Mainstream-Künstlers
an. Ich habe mit ihm über diese Einschätzung
offen gesprochen und ihm den Gedanken
offeriert, gemeinsam mit dem Orchester
ein neues Repertoire zu entdecken. Darauf
ist er auch sehr bereitwillig eingegangen.
Was kam bei dieser Entdeckungsreise
heraus?
Gellermann: Zuerst einmal die Linie der
zeitgenössischen Musik amerikanischer
Komponisten, die wir völlig neu begründeten.
Viele Werke, etwa von Aaron Copland,
Elliott Carter, Robert di Domenica, Roger
Sessions, Charles Wuorinen und Charles
Ives, hat Levine mit den Münchner Philharmonikern
in Deutschland in exemplarischen
Interpretationen präsentiert. Dann die Linie
der konzertanten Oper, die exzeptionellen
Aufführungen der Sinfonien Gustav Mahlers,
die das Orchester unter Celibidache
nie gespielt hatte. Und das europäische
20. Jahrhundert, die zweite Wiener Schule:
Schönbergs „Moses und Aron“ sowie die
selten gespielte „Jakobsleiter“ etwa mit
Michael Gielen.
Sie haben aber auch die Auftritte der
Gastdirigenten sehr bewusst geplant...
Gellermann: Levine war natürlich der
Leuchtturm. Ich wollte aber ein Gleichgewicht
herstellen und habe versucht, viele
junge Gastdirigenten an das Orchester zu
binden, mit ihnen eigene Repertoirelinien
zu entwickeln. Ich nenne etwa Daniele
Gatti, der sich, ungewöhnlich für einen
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Italiener, vorgenommen hatte, ein dezidiert
deutsches Repertoire zu entwickeln: Schumann,
Brahms, Wagner, Hindemith. Oder
Paavo Järvi, mit dem wir eine russischskandinavische
Linie um Schostakowitsch
erarbeitet haben. Dabei bin ich ganz bewusst
auch Risiken eingegangen, etwa in
Richtung zeitgenössischer Musik oder mit
der Verpflichtung des sehr jungen Finnen
Mikko Franck, der ein ganz wunderbarer
Künstler ist und einen sehr guten Zugang
zum Orchester gefunden hat. Da haben wir
nach Celibidache, der ja leider sehr viele
Dirigenten schlicht aus München vergrault
hatte, eine ganze Palette junger Musiker
zusammengestellt, die zu einem neuen
Markenzeichen des Orchesters wurde.
Sie wollten also vor allem mehr Pluralität
anstelle der monolithischen Programmatik
Celibidaches.
Gellermann: So ist es. Wenn man heute zur
Klasse der weltweiten Top-Orchester gehören
will, muss man diese Form der Vielseitigkeit
und Internationalität für sich akzeptieren
und pflegen. Die Aufgabe eines
öffentlich subventionierten Orchesters kann
nicht sein, nur die Ideen eines Einzelnen
umzusetzen. Es muss im Orchester so viel
kreativer Spielraum und künstlerische
Kapazität verfügbar sein, dass es, neben
dem Chefdirigenten, auch auf andere interessante
Dirigenten und Solisten reagieren
kann. Erst dann spreche ich von einem
wirklich professionellen Orchesterbetrieb.
Alles andere kann man, bei entsprechender
Probenarbeit, auch von einem Jugendorchester
erwarten. Professionalität liegt in
der schnellen Reaktionsfähigkeit und Flexibilität,
im Einstellen auf unterschiedliche
künstlerische Einflüsse.
Auf welche Programme sind Sie persönlich
besonders stolz?
Gellermann: Ich glaube, unser Strauss-
Zyklus zum 50. Todestag des Komponisten
im Jahre 1999 war sehr gelungen, auch der
Beethoven-Schönberg-Zyklus 2002/2003.
Für diese Saison haben wir ja auch den
Preis des Deutschen Musikverlegerverbandes
für das beste Programm der Saison
erhalten. Gelungen heißt bei mir, wenn es
möglich ist, in einem Programm spannungsreiche
Gegensätze und neuartige
Beziehungen herzustellen.
Was wird bleiben von der Ära Levine?
Gellermann: Eben die programmatische
Vielfalt. Und die konzertante Oper. Ein Orchester,
das nur sinfonisch tätig ist, wird
auch die Möglichkeit verlieren, am Abend
sehr schnell auf sängerische Freiheiten zu
reagieren. Andererseits kann es eine Frische
und Unverbrauchtheit einbringen, die man
im regulären Opernorchester oft vergeblich
sucht. Außerdem ist es für die Spieler eine
unglaubliche Bereicherung und Erfrischung,
wenn sie die Detailarbeit der Sinfonik einmal
im Jahr auf eine Oper übertragen
können. Bei den Berliner Philharmonikern
haben wir uns jedes Jahr wahnsinnig auf
die Salzburger Osterfestspiele gefreut.
Ist Ihnen das Publikum auf Ihrem Weg
gefolgt?
Gellermann: Ich erhalte gerade zur Zeit Zuschriften
und werde häufig in den Pausen
von Abonnenten angesprochen, die danken
wollen für die vielen neuen, unbekannten
Werke, die sie in den vergangenen Jahren
bei uns erleben konnten. Auf eine sehr
gute Akzeptanz deuten auch die Abonnentenzahlen
hin. Durch die Steigerung der
Zahl der Konzerte – wir geben heute in
einer Saison in München etwa 90 Konzerte,
so viel wie die Berliner Philharmoniker –
und auch durch die Einführung zweier neuer
Aboreihen konnten wir 34 Prozent mehr
Abonnenten gewinnen. Wir liegen zur Zeit
bei etwa 16.000 Abonnenten. Ein historischer
Höchststand war mit fast 17.000
Abonnenten in der Saison 2002/2003 erreicht.
Natürlich gab es Leute, die uns auf
unserem Weg nicht gefolgt sind. Es gab
böse Briefe. Aber das ändert nichts daran,
dass die Erneuerung nötig und richtig war.
Ein Orchester vom Format der Philharmoniker
muss nun mal bei Bruckner ebenso
zu Hause sein wie bei Bartók, Schönberg
oder Trojahn.
Nicht wenige hätten es gerne gesehen,
wenn James Levine in München stärker
präsent gewesen wäre...
Gellermann: Es wäre natürlich für das
Orchester angenehm gewesen, öfter mit
Levine zu arbeiten. Aber er hatte einen
Vertrag und den hat er voll erfüllt. Wenn
München mehr gewollt hätte, hätte die
Stadt einen anderen Vertrag schließen
müssen. Übrigens befürchte ich, dass unter
Christian Thielemann ähnliche Klagen zu
hören sein werden. Er wird, und zwar erst
ab der dritten Spielzeit, 30 Konzerte dirigieren,
das sind gerade sechs Abende
mehr als Levine. Ist das etwa so gigantisch
mehr?
Ist zumindest der Wunsch, Thielemann
möge das Heft bei den Philharmonikern
wieder stärker in die Hand nehmen,
eine Art Rückwendung zum Bild des Übervaters,
wie es Celibidache war?
Gellermann: Die Sehnsucht nach einem
Übervater, einem musikalischen Beschützer,
der für einen einsteht und mit dem man
Erfolg hat, gibt es in allen Orchestern. Aber
die Zeit der Diktatoren am Dirigentenpult,
die ihr Orchester wie ein Privatinstitut behandelten,
ist doch ein für allemal vorbei.
Es stimmt, bei Levine war das Orchester
deutlich mehr auf sich selbst gestellt. Das
hatte aber den Vorteil, dass es eine künstlerische
Selbstverantwortung entwickeln
musste. Erst wenn ein Klangkörper ein solches
Selbstbewusstsein besitzt, ist es ein
adäquater Partner für einen großen Dirigenten.
Und nicht nur willfähriges Instrument,
ein verlängerter Arm sozusagen.
Was waren, neben dem Programm, die
wichtigsten Neuerungen Ihrer Amtszeit?
Gellermann: Ganz vorne: Unsere dezidierte
Jugendarbeit. Wir führen heute pro Spielzeit
etwa 20.000 Kinder und Jugendliche in
mehr als 150 Veranstaltungen an die klassische
Musik und die Orchesterarbeit heran.
Als wir damit begannen, waren wir in
München die ersten. Heute ist es längst
Standard. Keiner kann es sich mehr leisten,
auf Jugendarbeit zu verzichten. Auch bei
der Darstellung des Orchesters im Internet
und auf CD-ROM waren wir ganz vorne
dabei. Man kann sich jetzt sogar unsere
Programmhefte vor dem Konzert aus dem
Internet herunterladen und eingehend stu-
dieren. Diesen Service gibt es nur bei uns.
Nicht zuletzt haben wir mit den anlässlich
des Millennium 2000 konzipierten Open Air
Konzerten „Klassik am Odeonsplatz“ ein
großes neues Publikum gewinnen können.
Wenig geschehen ist bei der Vermarktung
des Orchesters auf dem Schallplattenmarkt.
Gellermann: Da ist in der Ära des Schallplattenverächters
Celibidache leider eine
große Chance vertan worden. Immerhin ist
es mir trotz eines desolaten CD-Marktes
gelungen, die Celibidache-Edition zu platzieren,
die auch sehr erfolgreich ist. Zu
Weihnachten soll sogar ein neuer Schuber
auf den Markt kommen. Außerdem arbeiten
wir an einer Levine-Edition, welche
die Repertoirevielfalt unter seiner Ägide
demonstrieren soll.
Kann man eigentlich in Zeiten der Überflutung
mit Kommerz-Musik junge Leute
überhaupt noch für Klassik gewinnen?
Gellermann: Im Prinzip, ja. Da bin ich gar
nicht so pessimistisch. Im Grunde hat
jeder das Potenzial, Klassik zu entdecken.
Denken Sie nur an den türkischen Pianisten
Fazil Say, der nach Ostanatolien geht, wo
man üblicherweise keine Sinfonieorchester
hört. Er spielt dort in Turnhallen und erklärt
die Musik – und Tausende kommen, um
ihm zuzuhören. Oder nehmen Sie das Beispiel
von Daniel Barenboim, der jungen
palästinensischen Musikern Gelegenheit
gibt, mit ihm die grenzenlose Musik zu entdecken.
Keine Kontrolle ist zu streng, um
nicht doch zum Unterricht oder zu Proben
in Ramallah zusammen zu kommen. Das
sagt doch alles. Was gerade in Deutschland
fehlt, ist die frühe Heranführung an die
Musik zu Hause und in der Schule; Schlüsselerlebnisse
zu vermitteln. Da gibt es
große Defizite. Was ist eigentlich in unserer
Gesellschaft passiert, dass die Hemmschwellen
so hoch geworden sind? Sicher
auch wegen der Konkurrenz und Reizüberflutung
durch die rein kommerzielle Musik
mit ihrem Entertainmentstatus und schnell
wechselnden „Idolen“. Aber ist es nicht
hoffnungsvoll, die zahlreichen Jugendorchester
in vielen Ländern der Welt mit
wachsender Teilnehmerzahl zu beobachten?
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Manche Kritiker sagen der klassischen
Musik im 21. Jahrhundert schon den Tod
voraus...
Gellermann: Ich sehe da nicht so schwarz.
Klassische Musik wird es immer geben,
weltweit und in unterschiedlichen Kulturkreisen.
Auch an der Form der Darbietung
wird sich wohl nicht viel ändern. Es wird
immer einen aktiven Part geben, der Musik
macht, und einen passiv-interessierten,
zuhörenden Part, das Publikum. Ändern
wird sich vielleicht die Finanzierung des
Musikbetriebs.
Stichwort Finanzierung: Die Sparmaßnahmen
der Stadt im Kulturbereich gelten
als ein Grund für Ihren vorzeitigen
Rücktritt.
Gellermann: Natürlich steht außer Frage,
dass angesichts der prekären Haushaltslage
alle sparen müssen. Doch während
etwa andere Institute recht glimpflich
davonkamen, wurde der Spardruck auf die
Philharmoniker sogar noch verschärft.
Sieben Millionen Euro weniger bis 2007,
das geht nicht ohne Eingriffe in die
Substanz. Das ist ein gewaltiger Betrag.
Das hat mich sehr geschmerzt.
Warum haben Sie oder Levine nicht laut
auf den Tisch geschlagen, wie es einst
Celibidache getan hatte?
Gellermann: Die Zeiten sind vorbei, wo
man mit der großen Keule durchs Rathaus
gehen konnte und dann bekam, was man
wollte. Das lässt der Stadtrat nicht mehr
mit sich machen. Man kann der Stadt nicht
ankreiden, dass auch die Philharmoniker
wieder auf den Boden der Tatsachen
zurückgeholt wurden und nicht der das
meiste Geld bekommt, der am lautesten
„Hier“ schreit. Aber dass wir sogar über
den ursprünglich geplanten Betrag hinaus
sparen müssen, dass man unsere Erfolge,
was Akzeptanz und internationale Bedeutung
anbelangt, nicht gewürdigt hat, ist
schon traurig.
Das Sparprogramm ist aber nicht der
einzige Grund für Sie aufzuhören...
Gellermann: Das stimmt. Fast noch wichtiger
für meine Entscheidung ist die neue
personelle Konstellation. Ich schätze Herrn
Thielemann künstlerisch über alle Maßen.
Aber seine Philosophie, wie man ein
Orchester führt, und seine ausschließliche
Inanspruchnahme eines ganz bestimmten
Repertoires, und dann auch die veränderten
Einflussnahmen des Kulturreferats...
Ich glaube nicht, dass ich damit auf Dauer
zurecht käme.
Zurück zur allein selig machenden
Spätromantik?
Gellermann: Das würde, weil neuere
Musik teuer ist, wohl auch ins Sparkonzept
passen...
Was raten Sie Ihrem Nachfolger
Wouter Hoekstra?
Gellermann: Er ist ein erfahrener Manager,
der selbst wissen wird, welche Akzente er
setzen möchte. Dem Orchester rate ich,
die gewonnene Flexibilität beizubehalten,
neuen Verkrustungen vorzubeugen. Man
sollte nicht wieder in einen Übervaterkult
zurückfallen.
Was werden Sie persönlich in Zukunft
beruflich machen?
Gellermann: Ich glaube derzeit nicht, dass
ich wieder eine feste Position annehmen
werde. Eher mache ich mich selbständig.
Mir schwebt da eine Beratungstätigkeit im
Musikbusiness vor. Näheres kann ich noch
nicht sagen.
Das Interview führte Georg Etscheit.
Programmvorschau
Sonntag, 13. Juni 2004, 11 Uhr
8. Kammerkonzert
Saal des Alten Rathauses
Maurice Ravel
„Introduction et Allegro“ für Flöte,
Klarinette, Streichquartett und Harfe
Sonate für Violine und Violoncello
Claude Debussy
Sonate für Flöte, Viola und Harfe F-Dur
–———————
Claude Debussy
„Syrinx“ für Flöte solo
Maurice Ravel
Streichquartett F-Dur
Michael Martin Kofler Flöte
Albert Osterhammer Klarinette
Matthias Löhlein Violine
Namiko Fuse Violine
Helmut Nicolai Viola
Burkhard Sigl Viola
Veit Wenk-Wolff Violoncello
Sarah O’Brien Harfe
Mittwoch, 23. Juni 2004, 20 Uhr
Abonnentenorchester
Antonín Dvorˇák
Konzert für Violoncello und Orchester
h-Moll op. 104
–———————
Johannes Brahms
„Ein deutsches Requiem“ op. 45
Niklas Eppinger Violoncello
Monika Lichtenegger Sopran
Martin Cooke Bariton
Carl-Orff-Chor Marktoberdorf
Münchner Konzertchor
Heinrich Klug Dirigent
Samstag, 3. Juli 2004, 20.30 Uhr
Klassik am Odeonsplatz
Felix Mendelssohn Bartholdy
„Ein Sommernachtstraum“
op. 21 und op. 61
–———————
Gustav Mahler
Sinfonie Nr. 1 D-Dur „Titan“
James Levine Dirigent
Ji Young Jeon Sopran
Kremena Dilcheva Mezzosopran
Frauenchor des
Philharmonischen Chores München
Samstag, 10. Juli 2004, 17 Uhr
8. Abonnementkonzert D
Montag, 12. Juli 2004, 18 Uhr
5. Abonnementkonzert K5
Richard Wagner
„Parsifal“ (Konzertante Aufführung)
James Levine Dirigent
Robert Gambill Parsifal
René Pape Gurnemanz
Violeta Urmana Kundry
Richard Paul Fink Klingsor
Albert Dohmen Amfortas
Taras Konoshchenko Titurel
Tölzer Knabenchor
Männerchor des Bulgarischen
Nationalrundfunks
Philharmonischer Chor München
Sonntag, 11. Juli 2004, 19 Uhr
2. Benefizkonzert zugunsten der
Orchesterakademie
der Münchner Philharmoniker
Innenhof der Glyptothek (bei
schlechter Witterung: Großer Saal
der Musikhochschule München)
Werke von Julius Klengel,
Heitor Villa-Lobos, Richard Wagner u.a.
Annegeer Stumphius Sopran
Sarah O’Brien Harfe
Die 12 Cellisten der
Münchner Philharmoniker
22 23
Münchner Philharmoniker
Kellerstraße 4, 81667 München
Orchester der
Landeshauptstadt München
Konzertprogramme 2003/2004
Herausgegeben von der Direktion
der Münchner Philharmoniker
Intendant: Bernd Gellermann
Redaktion: Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Auskünfte über Konzerte und
Programmänderungen:
Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Kellerstraße 4, 81667 München
Tel 089.480 98-5100
Fax 089.480 98-5130
presse.philharmoniker@muenchen.de
Abonnementbüro:
Tel 089.480 98-5500
Fax 089.480 98-5400
Mo–Do 9 – 13 Uhr, Do 14 – 16 Uhr
Fr 9 – 12.30 Uhr
abo.philharmoniker@muenchen.de
Kartenbestellungen:
München Ticket GmbH
Postfach 20 14 13, 80014 München
Tel 089.54 81 81 81
Fax 089.54 81 81 54
Mo–Fr 9–20 Uhr, Sa 9–16 Uhr
www.muenchenticket.de
und an allen bekannten Vorverkaufsstellen
KlassikLine 0180 54 81 81 0:
Kartenbuchung und sachkundige
Informationen zu Programminhalten,
Dirigenten, Solisten: Mo – Fr 9 – 18 Uhr
Corporate Identity:
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Gestaltung und Produktion:
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Druck: Color Offset, München
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Eleonore Weidinger
Tel 089.28 15 40, Fax 089.28 05 449
EWeidinger@t-online.de
Das aktuelle Programm der
Münchner Philharmoniker im Internet:
www.muenchnerphilharmoniker.de
Nachweise
Textnachweise:
Peter Jost schrieb seine Texte zur Klarinetten-Rhapsodie
und zu den „Images“ von
Claude Debussy als Originalbeiträge für
dieses Programmheft. Seine Texte zu
Debussys „Prélude à ‚L’après-midi d’un
faune‘“ und zu „La mer“ erschienen erstmals
in den Philharmonischen Programmheften
der Saison 2001/2002. Den Kommentartext
zur Programmfolge und die
lexikalischen Werkangaben verfasste
Stephan Kohler.
Bildnachweise:
Sämtliche Abbildungen zu Claude
Debussy: Michael Raeburn and Alan
Kendall (Hrsg.), Heritage of Music,
Volume IV (Music in the Twentieth
Century), Oxford 1989.
Urheber, die nicht erreicht oder ermittelt
werden konnten, werden wegen nachträglicher
Rechtsabgeltung um Nachricht
gebeten.
Münchner Philharmoniker
Orchester der
Landeshauptstadt München