Himmel Erde - Ev. Grunewald-Gemeinde
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Die Neugier hat nicht nur ihre –<br />
immer wieder hervorgehobene<br />
– positive Seite, etwa als Voraussetzung<br />
des Denkens und Forschens,<br />
sondern auch ihre Schattenseite.<br />
In ihrer Abgleitung gerät Neugier<br />
zur Gier nach Klatsch und Tratsch,<br />
richtet sich etwa auf Nachbarn oder<br />
vielleicht mehr noch auf prominente<br />
Personen, an deren bevorzugtem<br />
Leben man teilhaben möchte. Illustrierte,<br />
selbst Tageszeitungen bedienen<br />
diese Art von Neugier und<br />
nehmen die Dienste der Paparazzi<br />
in Anspruch, die als Eindringlinge<br />
in die Privatsphäre von Menschen<br />
oft jede Grenze der Zurückhaltung<br />
und des Anstands überschreiten.<br />
Über das Bedürfnis nach Klatsch und<br />
Tratsch kann man lange spekulieren.<br />
Wer ‚sich selbst genug’ ist und ein<br />
gesundes Selbstwertgefühl besitzt,<br />
wird kaum versucht sein, anderen –<br />
aus welchen Gründen auch immer<br />
– hinterherzusehen.<br />
Interessanter ist die Frage, mit<br />
welchen Mitteln die Unterhaltungsund<br />
Meinungsbildungsindustrie<br />
diese Sucht, andere Menschen zu<br />
bewundern oder schadenfroh an ih-<br />
4<br />
Titel<br />
Das Geschäft mit der Neugier<br />
Von Peter Nusser<br />
rem Unglück teilzunehmen, für ihre<br />
Profitinteressen ausnutzt. Neben den<br />
Manipulationsstrategien der Personalisierung,<br />
die das Interesse immer<br />
auf Personen statt auf Sachverhalte<br />
lenkt, und der Emotionalisierung,<br />
die Mitleid, aber über Identifikationsprozesse<br />
auch Ängste auslöst<br />
und sie gleich wieder beschwichtigt,<br />
ist die Strategie des Aktionismus<br />
hier von besonderer Bedeutung.<br />
Wenn wir im Fernsehen Nachrichten<br />
sehen, wird uns eine stets bewegte<br />
Oberfläche der Wirklichkeit gezeigt.<br />
Irgendwer kommt mit dem Flugzeug<br />
irgendwo an, man trifft sich,<br />
schüttelt die Hände, verabschiedet<br />
sich usw. – Inhalte von Gesprächen<br />
treten zurück. Dies mag weitgehend<br />
dem visuellen Medium geschuldet<br />
sein. Aber auch die Printmedien,<br />
jedenfalls die massenhaft verbreiteten,<br />
berichten immerzu über Abläufe<br />
von Ereignissen. Ein Massenblatt<br />
wie die Bild-Zeitung ist übersät von<br />
kleinschrittigen Informationsreizen,<br />
die keine Konzentration aufkommen<br />
lassen wollen. Auch die Wirtschaftswerbung<br />
zeigt Konsumenten, ja auch<br />
Waren fast immer in Bewegung. Wer<br />
so auf Bewegungen und Bewegtes<br />
fixiert ist, spielt mit unserem Zeitgefühl.<br />
Nur das Neue zählt, das<br />
noch nicht Gesehene, und zugleich<br />
das Sensationelle, das unsere Emotionen<br />
‚bewegen’ will. Dass es sich<br />
um immer wiederkehrende Muster<br />
handelt, wird von uns Konsumenten<br />
kaum durchschaut.<br />
Auch Christen haben Interesse<br />
am anderen Menschen. Die Hilfsbereitschaft<br />
ist ein oberstes Gebot.<br />
Aber wer hilfsbereit ist, durchstößt<br />
die Oberfläche und dringt in eine<br />
tiefere Dimension des Lebens vor.<br />
Er achtet auf die Befindlichkeit des<br />
anderen und lernt dabei vielleicht<br />
auch an sich selbst eine Seite kennen,<br />
die im Alltag der Informations- und<br />
Konsumgesellschaft normalerweise<br />
zugeschüttet wird.<br />
Dr. Peter Nusser ist em. Professor<br />
für Deutsche Philologie an der Freien<br />
Universität Berlin<br />
<strong>Himmel</strong> & <strong>Erde</strong>