Special Interest Magazin - Nachhaltiger Einkauf im Baubereich
Nachhaltigkeit ist längst kein Trend mehr, sondern eine Notwendigkeit, die alle Branchen betrifft. Besonders im Bausektor, einem der ressourcenintensivsten Industriezweige, spielt nachhaltiger Einkauf eine zentrale Rolle. Von der Materialauswahl über die Bauweise bis hin zur späteren Nutzung und dem Rückbau eines Gebäudes – nachhaltige Praktiken können immense ökologische und ökonomische Vorteile bieten. In dieser Ausgabe unseres Magazins für nachhaltige Beschaffung möchten wir die Bedeutung des nachhaltigen Einkaufs im Baubereich hervorheben, die sektoralen Ziele beleuchten und aufzeigen, wie Digitalisierung und innovative Geschäftsmodelle von Startups neue Chancen eröffnen.
Nachhaltigkeit ist längst kein Trend mehr, sondern eine Notwendigkeit, die alle Branchen betrifft. Besonders im Bausektor, einem der ressourcenintensivsten Industriezweige, spielt nachhaltiger Einkauf eine zentrale Rolle. Von der Materialauswahl über die Bauweise bis hin zur
späteren Nutzung und dem Rückbau eines Gebäudes – nachhaltige Praktiken können immense ökologische und ökonomische Vorteile bieten. In dieser Ausgabe unseres Magazins für nachhaltige Beschaffung möchten wir die Bedeutung des nachhaltigen Einkaufs im Baubereich hervorheben,
die sektoralen Ziele beleuchten und aufzeigen, wie Digitalisierung und innovative Geschäftsmodelle von Startups neue Chancen eröffnen.
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6,80 EURO<br />
<strong>Special</strong> <strong>Interest</strong> <strong>Magazin</strong><br />
<strong>Nachhaltiger</strong> <strong>Einkauf</strong> <strong>im</strong> <strong>Baubereich</strong><br />
Ausgabe Juli 2024<br />
Circular Economy<br />
in der Bauwirtschaft<br />
Digitalisierung<br />
in der Bauwirtschaft<br />
Regulatorik für Nachhaltigkeit<br />
in der Bauwirtschaft<br />
Mit einem Beitrag von<br />
Dr. Christine Lemaitre,<br />
Geschäftsführender Vorstand DGNB e.V.<br />
Top-Themen:<br />
Best Practice in Unternehmen und Verwaltung zur<br />
nachhaltigen Beschaffung <strong>im</strong> <strong>Baubereich</strong><br />
Kleine Kniffe<br />
1<br />
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2 Kleine Kniffe<br />
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Editorial<br />
Nachhaltigkeit ist längst kein Trend mehr, sondern eine Notwendigkeit, die alle Branchen<br />
betrifft. Besonders <strong>im</strong> Bausektor, einem der ressourcenintensivsten Industriezweige, spielt nachhaltiger<br />
<strong>Einkauf</strong> eine zentrale Rolle. Von der Materialauswahl über die Bauweise bis hin zur<br />
späteren Nutzung und dem Rückbau eines Gebäudes – nachhaltige Praktiken können <strong>im</strong>mense<br />
ökologische und ökonomische Vorteile bieten. In dieser Ausgabe unseres <strong>Magazin</strong>s für nachhaltige<br />
Beschaffung möchten wir die Bedeutung des nachhaltigen <strong>Einkauf</strong>s <strong>im</strong> <strong>Baubereich</strong> hervorheben,<br />
die sektoralen Ziele beleuchten und aufzeigen, wie Digitalisierung und innovative Geschäftsmodelle<br />
von Startups neue Chancen eröffnen.<br />
Die Baubranche steht vor der Herausforderung, die Umweltbelastung drastisch zu reduzieren<br />
und gleichzeitig effizienter zu werden. Die sektoralen Ziele sind klar definiert: Verringerung des<br />
CO 2<br />
-Ausstoßes, Min<strong>im</strong>ierung des Ressourcenverbrauchs und Förderung einer Kreislaufwirtschaft.<br />
<strong>Nachhaltiger</strong> <strong>Einkauf</strong> bedeutet daher, Materialien und Dienstleistungen zu wählen, die<br />
diese Ziele unterstützen.<br />
Die Digitalisierung bietet der Baubranche zahlreiche Möglichkeiten, nachhaltiger zu arbeiten.<br />
Durch den Einsatz von Building Information Modeling (BIM) können Bauprojekte effizienter<br />
geplant und durchgeführt werden, was Materialverschwendung reduziert und die Bauzeit verkürzt.<br />
Digitale Plattformen ermöglichen eine bessere Nachverfolgbarkeit von Materialien und<br />
eine opt<strong>im</strong>ierte Logistik, was wiederum den CO 2<br />
-Fußabdruck eines Projekts senkt. Zudem können<br />
intelligente Gebäudetechnologien den Energieverbrauch während der Nutzungsphase eines<br />
Gebäudes erheblich reduzieren.<br />
Innovative Startups spielen eine entscheidende Rolle bei der Transformation der Baubranche<br />
hin zu mehr Nachhaltigkeit. Sie entwickeln neue Geschäftsmodelle, die auf Kreislaufwirtschaft,<br />
Sharing Economy und nachhaltigen Materialien basieren.<br />
In dieser Ausgabe möchten wir Ihnen inspirierende Beispiele und konkrete Handlungsempfehlungen<br />
vorstellen, wie nachhaltiger <strong>Einkauf</strong> <strong>im</strong> <strong>Baubereich</strong> erfolgreich umgesetzt werden kann.<br />
Lassen Sie uns gemeinsam den Wandel gestalten und die Zukunft des Bauens nachhaltig prägen.<br />
Chefredakteur<br />
Kleine Kniffe<br />
3<br />
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42.ZUKUNFTEINKAUFEN<br />
Impressum<br />
Redaktion<br />
SDG media GmbH<br />
Wagenfeldstraße 7a<br />
44141 Dortmund<br />
Kontakt:<br />
redaktion@kleine-kniffe.de<br />
Chefredaktion und V.i.S.d.P:<br />
Thomas Heine<br />
42<br />
Textbeiträge von:<br />
Johannes Baumann, Carolin Eich, Björn<br />
Häming, Thomas Heine, Andre Hempel, Outi<br />
Ilvonen, Dr. Ute Jasper, Jan Kasper, Michael<br />
Korn, Dr. Christine Lemaitre, Melanie Linke,<br />
T<strong>im</strong>-Oliver Müller, Dr. Tobias Nuß, LL.M., Dr.<br />
Moritz Püstow, Anabelle von Reutern, Karsten<br />
Schellmat, Franziska Stein, Dr. Volker Teichert,<br />
Dr. rer. nat. Volker Thome, Magdalena Zabek<br />
Fotos/Grafiken:<br />
Marcel Bilow, Daiwa House Modular Europe<br />
GmbH, Depositphotos, DGNB, Fraunhofer-Institut<br />
für Bau-physik IBP, Hoffotografen Berlin<br />
Öko-Zentrum NRW, Umweltbundesamt<br />
Titelfoto: DGNB<br />
32<br />
Internet:<br />
www.nachhaltige-beschaffung.com<br />
Social media:<br />
X: https://twitter.com/MKniffe<br />
LinkedIn: https://www.linkedin.com/posts/<br />
thomas-heine-866785<br />
Facebook: https://www.facebook.com/Kleine-<br />
Kniffe-1601748926512841/<br />
06. BUNDES-KLIMA-<br />
ANPASSUNGS-<br />
GESETZ<br />
10. CO 2<br />
-<br />
SCHATTENPREIS<br />
20. KLIMASCHUTZ<br />
MASSNAHMEN UND<br />
DEREN KOSTEN<br />
24. EUROPÄISCHE<br />
REGULATORIK IM<br />
BAUBEREICH<br />
Digitalausgabe:<br />
https://www.yumpu.com/kiosk/nachhaltigebeschaffung<br />
12. ENERGETISCHE<br />
SANIERUNG<br />
28. ENERGETISCHE<br />
SANIERUNG<br />
KOMMUNALER<br />
GEBÄUDE<br />
Herausgeber<br />
SDG media GmbH<br />
Wagenfeldstraße 7a<br />
44141 Dortmund<br />
www.sdg-media.de<br />
kleine kniffe® ist eingetragene Marke<br />
der IMAGO GmbH, Dortmund<br />
16. KLIMASCHUTZ IM<br />
GEBÄUDEBESTAND<br />
18. BAUEN IM BESTAND<br />
HAT KEINE LOBBY<br />
31. NACHHALTIGKEIT<br />
IM BLB NRW<br />
32. CIRCULAR<br />
ECONOMY IN DER<br />
BAUINDUSTRIE<br />
4 Kleine Kniffe<br />
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18 06<br />
56<br />
31<br />
36. NACHHALTIGKEIT<br />
DURCH BAUEN IN<br />
DER FABRIK<br />
52. DIE BNB-<br />
ZERTIFIZIERUNG<br />
40. NACHHALTIGE<br />
BESCHAFFUNG ALS<br />
BAUSTEIN<br />
54. BLAUER ENGEL IM<br />
BAUBEREICH<br />
42. INTERVIEW MIT<br />
JENS LOSCHWITZ<br />
56. CO 2<br />
-MINDERUNG IN<br />
DER ZEMENT-<br />
INDUSTRIE<br />
46. DIE DNA DES<br />
DGNB SYSTEMS<br />
58. SIEGEL FÜR<br />
NACHHALTIGES<br />
BAUEN<br />
50. FURNITURE 4.0<br />
NACHHALTIGE<br />
EINRICHTUNG<br />
Kleine Kniffe<br />
5<br />
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Kl<strong>im</strong>awandel<br />
Kl<strong>im</strong>awandel in Deutschland -<br />
Verabschiedung des Bundes-Kl<strong>im</strong>aanpassungsgesetzes<br />
Die Kl<strong>im</strong>adaten zeigen, dass Deutschland seit 1881 eine signifikante Erhöhung der<br />
durchschnittlichen Lufttemperatur erlebt hat. Ein Anstieg von 1,7°C wurde verzeichnet, der den<br />
globalen Temperaturanstieg von 1,1°C übertrifft und damit vermuten lässt, dass sich Landgebiete<br />
schneller als ozeanische Regionen erwärmen. Besonders in den letzten 50 Jahren hat sich das<br />
Tempo der Erwärmung beschleunigt, mit einer Erwärmungsrate von 0,38°C pro Dekade seit 1971.<br />
Ein Beitrag von Dr. Volker Teichert<br />
Die Abb. 1 verdeutlicht diesen Trend und zeigt die Temperaturanomalien<br />
in Deutschland über die 10-Jahresperioden von 1883<br />
bis 2022 <strong>im</strong> Vergleich zum Referenzzeitraum von 1881 bis 1910. Es<br />
ist eine klare Zunahme der Temperaturanomalien zu beobachten,<br />
wobei die Periode von 2013 bis 2022 eine auffällige Erhöhung von<br />
über 1,5 K aufweist. Diese Zahlen belegen die zunehmende Erwärmung<br />
und unterstreichen die Notwendigkeit von Maßnahmen<br />
gegen den Kl<strong>im</strong>awandel.<br />
Die historische Entwicklung der Temperaturen zeigt Schwankungen,<br />
die durch jährliche Wetteränderungen und dekadische<br />
Kl<strong>im</strong>avariabilitäten verursacht werden. Diese natürlichen Schwankungen<br />
können die Wirkung von externen Kl<strong>im</strong>aantrieben wie<br />
Sonneneinstrahlung und Vulkanaktivität sowie menschlichen Einflüssen<br />
zeitweise überdecken.<br />
Die Erwärmung in Deutschland ist über die Jahreszeiten hinweg<br />
konsistent, mit dem stärksten Anstieg <strong>im</strong> Winter. Die räumlichen<br />
Unterschiede sind gering, und die Erwärmung ist in westlichen<br />
Bundesländern sowie in Bayern und Thüringen tendenziell etwas<br />
höher als in Brandenburg und Berlin.<br />
Niederschlag<br />
In Deutschland hat sich das Niederschlagsverhalten <strong>im</strong> Laufe<br />
der letzten Jahrzehnte merklich verändert. Vor allem <strong>im</strong> Winter ist<br />
eine klare Zunahme der Niederschlagsmengen zu beobachten, mit<br />
einem Anstieg um etwa 48 mm seit dem späten 19. Jahrhundert, was<br />
einer Zunahme von 26% entspricht. Diese Veränderung zeigt sich<br />
insbesondere in den nordwestlichen Bundesländern. Im Sommer<br />
hingegen ist der Trend weniger eindeutig, mit einem geringen<br />
Rückgang der Niederschlagsmenge um etwa 11 mm, der innerhalb<br />
der natürlichen Schwankungen liegt.<br />
Niederschlagsextreme<br />
Wärmere Luft kann mehr Feuchtigkeit aufnehmen, was generell<br />
zu einem Anstieg der Niederschläge führt. Bei Starkniederschlägen,<br />
die durch konvektive Prozesse wie Gewitter entstehen, könnte dies<br />
zu einer Zunahme ihrer Intensität führen. Allerdings ist eine präzise<br />
Analyse von Starkniederschlagsereignissen aufgrund ihrer hohen<br />
Variabilität und regionalen Unterschiede schwierig.<br />
Abb. 2 auf Seite 18 veranschaulicht die Verteilung und Intensität<br />
der Starkniederschläge in Deutschland zwischen 2001 und 2022,<br />
basierend auf den Warnstufen des Deutschen Wetterdienstes. Die<br />
Karte zeigt, dass besonders intensive Niederschläge nicht nur auf<br />
best<strong>im</strong>mte Gebiete beschränkt sind, sondern potenziell überall <strong>im</strong><br />
Land auftreten können. Obwohl der Beobachtungszeitraum für eine<br />
fundierte Trendanalyse noch zu kurz ist, suggeriert der vorläufige<br />
Trend eine Zunahme der Häufigkeit solcher Ereignisse in wärmeren<br />
Jahren.<br />
6 Kleine Kniffe<br />
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Quelle: Umweltbundesamt (2023): Monitoringbericht 2023 zur Deutschen Anpassungsstrategie an den Kl<strong>im</strong>awandel – Bericht der Interministeriellen Arbeitsgruppe Anpassungsstrategie der Bundesregierung.<br />
Dessau, S. 20<br />
In Deutschland hat sich das Auftreten von extremen<br />
Wetterereignissen in den letzten Jahrzehnten verändert, wie aus<br />
einer Analyse der Radardaten des Deutschen Wetterdienstes (DWD)<br />
hervorgeht. Die Daten zeigen eine steigende Anzahl von Starkniederschlagsereignissen<br />
mit besonders kurzer Dauer. Die Abbildung<br />
2 verdeutlicht, dass die Zahl dieser Ereignisse, insbesondere<br />
die von einer bis sechs Stunden Dauer, in den Jahren von 2001 bis<br />
2022 zugenommen hat. Auffällig ist das Jahr 2018, in dem trotz eines<br />
überdurchschnittlich trockenen Gesamtjahres eine erhöhte Zahl<br />
an Starkregenereignissen registriert wurde, was auf die verstärkte<br />
Bildung von konvektiven Niederschlägen in wärmeren Perioden<br />
schließen lässt.<br />
Extreme Trockenheit<br />
Die räumliche Verteilung dieser Trockenheit offenbart, dass<br />
insbesondere der Osten Deutschlands sowie das Rhein-Main-Gebiet<br />
von dieser Zunahme betroffen sind. Diese Regionen zeigen in den<br />
letzten Dekaden eine stetig steigende Anzahl an Tagen mit geringer<br />
Bodenfeuchtigkeit, was die landwirtschaftliche Produktivität und<br />
Ökosysteme zunehmend belastet.<br />
Zusammengefasst weisen die Daten auf eine Zunahme extremer<br />
Wetterphänomene wie Starkniederschlag und Trockenheit<br />
hin, die weitreichende Folgen für die Umwelt, die Landwirtschaft<br />
und die Gesellschaft in Deutschland haben. Während die Datenlage<br />
für Starkregenereignisse zeigt, dass diese Phänomene zunehmend<br />
über das ganze Land verteilt sind, ist die steigende Bodentrockenheit<br />
besonders in best<strong>im</strong>mten Regionen problematisch und erfordert<br />
eine Anpassung der landwirtschaftlichen Praktiken und Wasserwirtschaft.<br />
Entwicklung in 2023<br />
Auch 2023 hat sich der Kl<strong>im</strong>awandel weiter fortgesetzt. Dabei<br />
war der 6. Juli 2023 ein außergewöhnlicher Tag: denn an diesem Tag<br />
wurden gleich zwei Rekorde aufgestellt. Erstens kam es an diesem<br />
Tag zu den meisten Flügen weltweit: 134.186 Passagiermaschinen<br />
waren an diesem Tag unterwegs. Gleichzeitig war der 6. Juli 2023 der<br />
bislang wärmste Tag seit Beginn der Wetteraufzeichnungen. Bereits<br />
am 3. Juli 2023 überschritt die globale Durchschnittstemperatur<br />
erstmals in der Geschichte die 17-Grad-Schwelle. Drei Tage später<br />
waren es sogar 17,23 Grad Celsius. Als Grund für das Ansteigen der<br />
Temperatur wird neben der globalen Erwärmung das Phänomen<br />
El Niño angegeben (vgl. Christ 2023) Der Kl<strong>im</strong>awandel muss also<br />
als unumkehrbar angesehen werden, sodass wir uns vermehrt damit<br />
beschäftigen müssen, was zu tun ist, um sich an den Kl<strong>im</strong>awandel<br />
anzupassen.<br />
Verabschiedung des Bundes-<br />
Kl<strong>im</strong>aanpassungsgesetzes<br />
Der Bundestag hat hierzu <strong>im</strong> November 2023 das Bundes-<br />
Kleine Kniffe<br />
7<br />
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Quelle: Umweltbundesamt (2023): Monitoringbericht 2023 zur Deutschen Anpassungsstrategie an den Kl<strong>im</strong>awandel – Bericht der Interministeriellen Arbeitsgruppe Anpassungsstrategie der Bun-desregierung.<br />
Dessau, S. 25<br />
Kl<strong>im</strong>aanpassungsgesetz (KAnG) beschlossen. Ziel des Gesetzes<br />
ist, negative Auswirkungen des Kl<strong>im</strong>awandels auf Leben, Gesellschaft,<br />
Wirtschaft, Infrastruktur und Natur zu verhindern oder zu<br />
min<strong>im</strong>ieren. Es soll die Widerstandsfähigkeit von Ökosystemen und<br />
der Gesellschaft gegenüber den Kl<strong>im</strong>averänderungen erhöhen und<br />
soziale Ungleichheiten verhindern.<br />
Nach § 3 KAnG ist die Bundesregierung dazu verpflichtet,<br />
spätestens bis zum 30. September 2025 eine vorsorgende Kl<strong>im</strong>aanpassungsstrategie<br />
mit messbaren Zielen vorzulegen. Diese Strategie<br />
muss unter Berücksichtigung aktueller wissenschaftlicher Erkenntnisse<br />
alle vier Jahre aktualisiert werden. Die Entwicklung dieser<br />
Strategie basiert insbesondere auf der Kl<strong>im</strong>arisikoanalyse, auf die in<br />
§ 4 KAnG näher eingegangen wird.<br />
In der vorsorgenden Kl<strong>im</strong>aanpassungsstrategie müssen folgende<br />
Cluster und zugeordnete Handlungsfelder berücksichtigt werden:<br />
• Wasser mit Unterfeldern wie Wasserhaushalt, Wasserwirtschaft,<br />
Küsten- und Meeresschutz und Fischerei;<br />
• Infrastruktur mit Gebäuden, Energieinfrastruktur und<br />
Verkehr.<br />
• Land und Landnutzung mit Boden, biologischer Vielfalt, Landwirtschaft<br />
und Wald sowie Forstwirtschaft;<br />
• Gesundheit mit dem Fokus auf der menschlichen Gesundheit;<br />
• Wirtschaft mit Industrie und Gewerbe sowie Finanzwirtschaft;<br />
• Stadtentwicklung, Raumplanung und Bevölkerungsschutz mit<br />
Stadt- und Siedlungsent-wicklung, Raumplanung und<br />
Bevölkerungsschutz;<br />
• Ein Cluster mit übergreifenden Handlungsfeldern.<br />
Diese Strategie muss ambitionierte, messbare Ziele enthalten,<br />
die innerhalb eines festgelegten zeitlichen Rahmens erreicht werden<br />
sollen und einem best<strong>im</strong>mten Cluster zugeordnet sind. Zudem muss<br />
für jedes Ziel mindestens ein Indikator definiert werden, der den<br />
Fortschritt misst. Die Strategie benennt auch geeignete Maßnahmen<br />
des Bundes zur Erreichung und gibt Empfehlungen für Maßnahmen,<br />
die in die Zuständigkeit der Länder fallen. Außerdem wird ein<br />
Mechanismus zur Bewertung der Fortschritte in der Zielerreichung<br />
festgelegt.<br />
Bei der Auswahl der Maßnahmen, wenn es mehrere gleich<br />
geeignete gibt, sollen nachhaltige Anpassungsmaßnahmen Vorrang<br />
haben. Dies betrifft vor allem jene, die Synergien mit den Bereichen<br />
des natürlichen Kl<strong>im</strong>aschutzes, dem Schutz der biologischen Vielfalt<br />
und der nachhaltigen Stadt- und Siedlungsentwicklung aufweisen.<br />
Die Länder, Verbände und die Öffentlichkeit sollen in die Festlegung<br />
der messbaren Ziele, Indikatoren und Maßnahmen einbezogen<br />
werden. Die Verantwortlichkeit für die Aufstellung, Überprüfung<br />
und eventuelle Aktualisierung der Ziele und Maßnahmen in der<br />
Strategie trägt das jeweilige Bundesministerium, das, in Abst<strong>im</strong>mung<br />
mit anderen betroffenen Bundesministerien, fachlich überwiegend<br />
8 Kleine Kniffe<br />
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für ein Ziel oder eine Maßnahme zuständig ist. Die Zuständigkeitsverteilung<br />
innerhalb der Bundesregierung bleibt dabei unverändert.<br />
Wie bereits erwähnt, ist die Bundesregierung nach § 4 KAnG<br />
dazu verpflichtet, eine Kl<strong>im</strong>arisikoanalyse durchzuführen, die auf<br />
dem aktuellen Stand der Wissenschaft basiert und mindestens alle<br />
zehn Jahre aktualisiert wird. Des Weiteren verpflichtet sich die<br />
Bundesregierung dazu, den Ländern und Kommunen die für die<br />
Kl<strong>im</strong>arisikoanalyse verwendeten Daten, fachliche Grundlagen und<br />
methodische Leitfäden zur Verfügung zu stellen.<br />
Die Bundesregierung will darüber hinaus regelmäßig Daten zu<br />
folgenden Aspekten erheben:<br />
• Informationen über die Schadenssummen, die auf Schäden aus<br />
extremen Wetterereignissen zurückzuführen sind.<br />
Die Anpassung der Bundesliegenschaften zielt auf Nachhaltigkeit<br />
ab und legt einen Schwerpunkt auf Maßnahmen, die Synergien<br />
mit natürlichen Kl<strong>im</strong>aschutzinitiativen, Kreislaufwirtschaft, dem<br />
Schutz der biologischen Vielfalt und der nachhaltigen Entwicklung<br />
von Städten und Siedlungen aufweisen.<br />
Zusätzlich unterstützt die Bundesregierung, innerhalb ihrer<br />
Zuständigkeiten und Haushaltsmög-ichkeiten, Länder und Kommunen<br />
bei der Anpassung ihrer Liegenschaften an den Kl<strong>im</strong>awandel.<br />
Dies wird durch Schulungsangebote, Wissensaustausch und Zertifizierung<br />
nach den Prinzipien des nachhaltigen Bauens gefördert.<br />
Im Weiteren werden in den §§ 9 bis 12 die Aufgaben der Bundesländer<br />
beschrieben, die bis zum 31. Januar 2026 eine eigene<br />
Kl<strong>im</strong>aanpassungsstrategie erarbeiten und verabschieden sollen.<br />
• Ausgaben des Bundes <strong>im</strong> Zusammenhang mit Maßnahmen zur<br />
Anpassung an den Kl<strong>im</strong>awandel.<br />
Die Bundesregierung will in regelmäßigen Abständen einen<br />
Monitoringbericht vorlegen, der auf dem aktuellen Stand der<br />
Wissenschaft basiert. Dieser Bericht dient dazu, die Öffentlichkeit<br />
über die beobachteten Folgen des Kl<strong>im</strong>awandels in Deutschland zu<br />
informieren und den Stand der Zielerreichung zu verdeutlichen.<br />
Ab dem Inkrafttreten des Gesetzes muss der Monitoringbericht<br />
mindestens alle vier Jahre erstellt und veröffentlicht<br />
werden, vorzugsweise vor der geplanten Vorlage der vorsorgenden<br />
Kl<strong>im</strong>aanpassungsstrategie gemäß § 3 KAnG. Das Monitoring<br />
bildet die wissenschaftliche Grundlage, um den Fortschritt bei der<br />
Zielerreichung zu bewerten und die Kl<strong>im</strong>aanpassungsstrategie fortzuschreiben.<br />
Sollte sich auf Grundlage des Monitorings eine Zielverfehlung<br />
ergeben, sind Anpassungen bei den Maßnahmen zur Zielerreichung<br />
<strong>im</strong> Rahmen der Fortschreibung der Kl<strong>im</strong>aanpassungsstrategie<br />
gemäß § 3 KAnG vorzunehmen.<br />
Literatur<br />
Christ, Johannes (2023):<br />
Nicht nur der wärmste Tag: Diese unrühmlichen<br />
Kl<strong>im</strong>arekorde wurden 2023 schon gebrochen. In:<br />
Redaktionsnetzwerk Deutschland vom 13. Juli 2023.<br />
URL: https: /www.rnd.de/wissen/kl<strong>im</strong>awandel-dieseunruehmlichen-kl<strong>im</strong>arekorde-wurden-2023-schongebrochen-VBYVFBA6BFBLRDODVBKHCBNMNA.html<br />
Umweltbundesamt (2023): Monitoringbericht 2023 zur<br />
Deutschen Anpassungsstrategie an den Kl<strong>im</strong>awandel<br />
– Bericht der Interministeriellen Arbeitsgruppe<br />
Anpassungsstrategie der Bundesregierung. Dessau.<br />
URL: https: /www.umweltbundesamt.de/sites/<br />
default/files/medien/376/publikationen/dasmonitoringbericht_2023_bf_korr.pdf.<br />
Außerdem werden dabei die Ziele geprüft und gegebenenfalls<br />
aktualisiert. Wenn aufgrund des Monitorings oder anderer Erkenntnisse<br />
eine Zielverfehlung erwartet wird, können die zuständigen<br />
Ressorts geeignete Maßnahmen zur Verbesserung ergreifen, auch<br />
bevor die Kl<strong>im</strong>aanpassungsstrategie nach § 3 KAnG aktualisiert wird.<br />
Nach § 7 KAnG passt der Bund seine Bundesliegenschaften<br />
an die Auswirkungen des Kl<strong>im</strong>awandels an. Dies wird durch die<br />
Umsetzung angemessener Maßnahmen bei der Errichtung und<br />
Modernisierung von Gebäuden auf diesen Liegenschaften erreicht.<br />
Diese Maßnahmen werden anhand eines Bewertungssystems für<br />
nachhaltiges Bauen durchgeführt, das unter Berücksichtigung der<br />
gesetzlichen Vorgaben kontinuierlich aktualisiert wird.<br />
Autor:<br />
Dr. Volker Teichert<br />
Wissenschaftlicher Mitarbeiter<br />
an der Forschungsstätte<br />
der Evangelischen<br />
Studiengemeinschaft e.V.<br />
Kleine Kniffe<br />
9<br />
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Rechtlicher Rahmen der öffentlichen Vergabe<br />
CO 2<br />
-Schattenpreis –<br />
Wie der Staat seine Kl<strong>im</strong>aschutzziele be<strong>im</strong> Bau erreichen kann<br />
Die Rechtslage ist eindeutig: Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Kl<strong>im</strong>abeschluss<br />
vom 24. März 2021 klargestellt, dass die öffentliche Hand verfas-sungsrechtlich verpflichtet<br />
ist, den Ausstoß von Treibhausgasen drastisch zu reduzieren. Das Bundes-Kl<strong>im</strong>aschutzgesetz<br />
(KSG) konkretisiert dies und best<strong>im</strong>mt einen Reduktionspfad, der gegenwärtig verfehlt wird. Es<br />
verpflichtet sämtliche Träger öffentlicher Aufgaben, bei allen Planungen und Entscheidungen die<br />
Auswirkungen auf den Kl<strong>im</strong>aschutz zu berücksichtigen (§ 13 KSG).<br />
Ein Beitrag von Dr. Moritz Püstow und T<strong>im</strong>-Oliver Müller<br />
(Verfassungs-)Rechtliche Pflichten verlangen<br />
innovative Umsetzung<br />
Auch die Unternehmen der Bauindustrie sind zum Handeln verpflichtet.<br />
Die Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD)<br />
verpflichtet Unternehmen mit mehr als 250 Mitarbeitenden und<br />
20 Millionen Jahresumsatz oder 40 Millionen Euro Bilanzsumme<br />
ab dem Geschäftsjahr 2024 über ihre Nachhaltigkeit zu berichten.<br />
Unabhängig von ihrer Größe bekommen Bauunternehmen zu<br />
spüren, dass die Banken bei ihren Finanzierungskonditionen danach<br />
differenzieren, wie nachhaltig das Geschäft des Kreditnehmers ist.<br />
Es besteht also Handlungsbedarf. Dabei gibt es viele Lösungen<br />
und eine hohe Bereitschaft zu Innovationen. So können Treibhausgasemissionen<br />
reduziert werden durch die Opt<strong>im</strong>ierung von<br />
Baukonstruktionen, Baumaterialien, Gebäudetechnik, Baumaschinen,<br />
Transporten und Bauprozessen. Insbesondere <strong>im</strong> öffentlichen<br />
Bau bleiben die Potentiale aber ungenutzt. Bauherren beschränken<br />
sich, wenn überhaupt, darauf, best<strong>im</strong>mte Nachhaltigkeitszertifizierungen<br />
zu erreichen. Zertifikate sind für sich genommen aber<br />
keine Garanten für Kl<strong>im</strong>aschutz <strong>im</strong> Bausektor, da das Treibhauspotenzial<br />
dort nur ein schwach gewichteter Faktor von vielen<br />
ist. Erforderlich ist, dass die öffentliche Hand in der Beschaffung<br />
marktwirtschaftliche Anreize setzt, damit Bauunternehmen die<br />
vorhandenen Möglichkeiten nutzen, Innovationen treiben und den<br />
Weg zu einem nachhaltigen Geschäftsmodelle schaffen können.<br />
CO 2<br />
-Schattenbespreisung als Instrument des<br />
Kl<strong>im</strong>aschutzes<br />
Der Hauptverband der Deutschen Bauindustrie hat daher ein<br />
Impulspapier beauftragt, das <strong>im</strong> Dialog mit dem Markt entwickelt<br />
wurde und ganz konkrete, praktikable Handlungsempfehlungen<br />
für die Gestaltung der Vergabe und Verträge enthält. Der Schlüssel<br />
des Impulspapiers ist die Forderung nach Berücksichtigung eines<br />
CO 2<br />
-Schattenpreises in der Angebotswertung. Diese Lösung ist<br />
einfach, praktisch, rechtssicher und international bereits bewährt.<br />
Auftragsvergabe sollte sich nach folgendem Grundmodell gestalten:<br />
Ökobilanz<br />
Ausgangspunkt ist die Erstellung einer Ökobilanz zur Erfassung<br />
und Bewertung des Treibhauspotenzials <strong>im</strong> Lebenszyklus eines Bauwerks<br />
durch den Bauherrn. Auch wenn viele Auftraggeber hiermit<br />
noch keine Erfahrung haben, gibt es keinen Grund zur Sorge. Die<br />
Methodik der Erstellung einer Ökobilanz ist <strong>im</strong> Hochbau und Infrastrukturbau<br />
standardisiert und die Planer haben mit der Anwendung<br />
keine Mühen. Die notwendigen Daten liegen bereits in frühen<br />
Planungsphasen vor. Um Fördermittel für Neubauvorhaben zu<br />
nutzen ist die Erstellung einer Ökobilanz heute bereits erforderlich.<br />
Im Hochbau wird die Erstellung einer Ökobilanz nach aktuellem<br />
Diskussionsstand darüber hinaus ab 2027 rechtlich verpflichtend.<br />
Opt<strong>im</strong>ierung durch Bieter<br />
Um die Potentiale des Marktes nutzen zu können, dürfen sich<br />
die Bauherren nicht mit den planerischen Ideen begnügen. Denn die<br />
Ökobilanz basiert in frühen Phasen auf generischen Standarddaten.<br />
Die Pflicht zum Kl<strong>im</strong>aschutz erfordert jedoch, dass die Ausführungsvarianten<br />
nach ihrem Verbesserungspotenzial <strong>im</strong> Vergleich zu<br />
Standardlösungen bewertet werden. Daher sollten <strong>im</strong> Vergabeverfahren<br />
Bieter die Möglichkeit erhalten, das in der Ökobilanz des<br />
Auftraggebers ausgewiesene Treibhauspotenzial zu opt<strong>im</strong>ieren.<br />
Dafür können sie für die von ihnen verantworteten Leistungen das<br />
Treibhauspotenzial nach marktüblichen, vom Auftraggeber einheitlich<br />
vorgegebenen Standards konkretisieren. Grundsätzlich ist<br />
10 Kleine Kniffe<br />
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Foto: depositphotos<br />
auch dieser Weg einfach, beispielsweise gibt es für viele Bauprodukte<br />
schon heute Umweltproduktdeklarationen (EPD) der Hersteller.<br />
Um den Markt, insbesondere den Mittelstand, nicht zu überfordern,<br />
sollte die Opt<strong>im</strong>ierung aber keine Pflicht sein.<br />
Schattenpreis<br />
Das Treibhauspotenzial <strong>im</strong> Angebot der Bieter (basierend auf<br />
Daten des Auftraggebers oder des Bieters oder aus einer Kombination)<br />
wird rechnerisch mit einem vom Auftraggeber vorgegebenen<br />
Schattenpreis je Tonne CO 2<br />
multipliziert und so wirtschaftlich<br />
bewertet (monetarisiert). Das Umweltbundesamt empfiehlt derzeit<br />
einen Kostensatz von EUR 237 je Tonne CO 2<br />
. Den „richtigen“<br />
CO 2<br />
-Preis gibt es noch nicht, die Spanne derzeitiger Modelle bewegt<br />
sich zwischen EUR 30 und EUR 809. Je höher dieser Preis ist, desto<br />
wikungsvoller wirkt er bei der Suche nach kl<strong>im</strong>averträglichen<br />
Lösungen. So werden beispielsweise in Norwegen Kl<strong>im</strong>afolgekosten<br />
in Bauprojekten mit EUR 450 je Tonne CO 2<br />
bepreist.<br />
trie wird in der Transformation ihrer Geschäftsmodelle zu mehr<br />
Nachhaltigkeit unterstützt. Mit der Nutzung eines CO 2<br />
-Schattenpreises<br />
in der öffentlichen Bauvergabe würde ein verfahrens- und<br />
technologieoffener, zugleich ökologischer Ansatz geboten, der einen<br />
substanziellen Beitrag zum Kl<strong>im</strong>aschutz leistet.<br />
Öffentliche Auftraggeber, die das große Potential des Marktes<br />
für die Reduktion der Treibhausgasemissionen nutzen möchten,<br />
können die beste Lösung in einem Partnerschaftsmodell mit Planern<br />
und Bauunternehmen gemeinsam suchen oder alternativ die Leistung<br />
funktional beschreiben und die Erstellung der Ökobilanz in die<br />
Verantwortung der Bieter legen.<br />
Wertung<br />
Dieser Schattenpreis wird fiktiv, d.h. nur für die Zwecke der<br />
Angebotswertung, auf den Angebotspreis aufgeschlagen. Die Summe<br />
bildet den Wertungspreis. Der niedrigste Wertungspreis erhält den<br />
Zuschlag. Das Modell ist vergabe- und haushaltsrechtlich zulässig<br />
und wird international bereits genutzt<br />
Fazit und Ausblick<br />
Mit dem auf einen CO 2<br />
-Schattenpreis ausgerichteten Vergabemodell<br />
können drei Dinge erreicht werden: (1.) Der Staat kann<br />
seiner Pflicht zum Kl<strong>im</strong>aschutz gerecht werden. (2.) Innovationen<br />
für kl<strong>im</strong>averträgliches Bauen werden gefördert. (3.) Die Bauindus-<br />
Autoren<br />
Dr. Moritz Püstow KPMG Law<br />
Rechtsanwaltsgesellschaft mbH<br />
und<br />
T<strong>im</strong>-Oliver Müller<br />
Hauptgeschäftsführer des Hauptverbandes<br />
der Deutschen Bauindustrie<br />
Kleine Kniffe<br />
11<br />
Kleine_Kniffe_Nachhaltig_Bauen.indd 11 03.07.24 08:46
Energetische Sanierung<br />
Energetische Sanierung<br />
des Schul- und Sportzentrums in Alpen<br />
Im aktuellen Projekt des Monats präsentieren wir ein Vorhaben unserer Architekturabteilung – die<br />
umfassende, durch EFRE geförderte, energetische Sanierung der Schule und Sporthalle in Alpen. Dies<br />
umfasste die Errichtung einer neuen, farbenfrohen Vorhangfassade, die Dämmung der Dachflächen mit<br />
einem Gründach, den Austausch der Fenster sowie die Implementierung moderner Gebäudetechnik. Dank<br />
dieser Maßnahmen und der Installation einer neuen Heizzentrale können jährlich 165 etwa Tonnen CO 2<br />
eingespart werden. Zusätzlich wurden Verbesserungen in der Verkehrsführung, Verschönerungen des<br />
Schulhofgeländes und die Umsetzung brandschutztechnischer Maßnahmen vorgenommen. Somit vereint<br />
das Projekt den Beitrag zum Umweltschutz mit der Steigerung der Lebensqualität <strong>im</strong> schulischen Umfeld.<br />
Ein Beitrag von Björn Häming<br />
Projektskizze / Qualifizierungsphase<br />
Schule und die Sporthalle sind Bestandteil des Schul- und Sportzentrums,<br />
das sich nordöstlich des Ortskerns von Alpen befindet und<br />
eine wichtige Rolle <strong>im</strong> sozialen Gefüge der Gemeinde einn<strong>im</strong>mt. Mit<br />
diesem Projekt wurde das Ziel verfolgt, diesen besonderen Standort<br />
zukunftsfähig zu gestalten und für kommende Generationen weiterzuentwickeln.<br />
Die Gebäude des Schulzentrums und der Sporthalle wurden<br />
in den Jahren 1978 bzw. 1981 errichtet, wobei die Bauteile und<br />
Anlagentechnik größtenteils noch aus dieser Zeit stammen. Trotz<br />
vereinzelter Instandhaltungsmaßnahmen wurden nur wenige energetische<br />
Verbesserungen vorgenommen. Dies spiegelt sich auch<br />
in den Energiebilanzen wider; als bedeutende Energieverbraucher<br />
tragen die Gebäude einen erheblichen Anteil zum kommunalen<br />
CO 2<br />
-Fußabdruck bei.<br />
Um geeignete energetische Maßnahmen zu identifizieren, hat<br />
das Öko-Zentrum NRW <strong>im</strong> Zeitraum von 2016 bis 2017 <strong>im</strong> Rahmen<br />
einer Förderung des Ministeriums für Wirtschaft und Energie Sanierungskonzepte<br />
für das Schulzentrum und die Mehrfachsporthalle in<br />
der Gemeinde Alpen entwickelt. Diese bildeten die Grundlage für<br />
eine <strong>im</strong> Sommer 2017 be<strong>im</strong> Förderwettbewerb KommunalerKl<strong>im</strong>aschutz.NRW<br />
eingereichte Umsetzungsstrategie. Am Ende desselben<br />
Jahres erhielt die Gemeinde eine positive Bewertung seitens des Gutachtergremiums,<br />
mit der Auflage, den energetischen EnEV-Standard<br />
nach Möglichkeit um 30% zu unterschreiten.<br />
Nach dieser positiven Beurteilung wurde ein Projektteam gebildet,<br />
bestehend aus der Gemeinde Alpen, dem Öko-Zentrum NRW,<br />
redenz. architekten stadtplaner, der Kombiplan GmbH, dem Ingenieurbüro<br />
Schoepke, den DTP Landwirtschaftsarchitekten und<br />
der KommunalAgentur NRW. Dieses Team konkretisierte die<br />
Umsetzungsstrategie, ermittelte die Kosten und errechnete die energetischen<br />
Einsparungen <strong>im</strong> Detail. Ziel war es, ein Gesamtkonzept zu<br />
entwickeln, das aus Sicht der Alpener Verwaltung eine ausgewogene<br />
Balance zwischen energetischen Maßnahmen, Kl<strong>im</strong>aschutz und Kl<strong>im</strong>aanpassung<br />
gewährleistet.<br />
Die Umsetzung des Projektes wurde vom Öko-Zentrum NRW<br />
als Generalplaner, in enger Abst<strong>im</strong>mung mit der Schulleitung<br />
durchgeführt. Ein besonderes Augenmerk wurde daraufgelegt,<br />
Lärmbelästigungen zu vermeiden. Insbesondere die Notwendigkeit,<br />
den Betrieb der Schule während der Bauphase aufrechtzuerhalten,<br />
stellte eine große Herausforderung dar. Um dies zu gewährleisten,<br />
wurden 10 Klassen in ein temporäres Gebäude auf dem Schulhof<br />
12 Kleine Kniffe<br />
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Foto: Öko-Zntrum NRW<br />
verlegt. Die Durchführung der Sanierungsarbeiten erfolgte in Bauabschnitten,<br />
wobei die kontinuierliche Wärmeversorgung über die<br />
gesamte Bauzeit hinweg sichergestellt werden musste. Ein effektives<br />
Umzugsmanagement und eine präzise Terminplanung waren von<br />
großer Bedeutung, insbesondere be<strong>im</strong> Übergang der Bauarbeiten<br />
von einem Bauabschnitt zum nächsten.<br />
Durchgeführte Maßnahmen in beiden<br />
Gebäuden<br />
Die vorhandenen Gasheizungen wurden durch eine neue<br />
CO 2<br />
-neutrale Heizwärmeerzeugung (Pelletkessel) ersetzt. Dabei<br />
wurde eine isolierte Nahwärmeleitung installiert, um den Energievorteil<br />
mehrerer Immobilien zu nutzen. Die Übergabe an die<br />
Gebäude erfolgt über dezentrale Pufferspeicher. Zur Verbesserung<br />
des Wirkungsgrads der Heizkessel wurden Heizkörper und<br />
Heizwasserverteilsystem erneuert. Auch die Heizungsrohre wurden<br />
bedarfsgerecht ausgelegt, um Energieverluste <strong>im</strong> Verteilnetz zu<br />
min<strong>im</strong>ieren. Ein hydraulischer Abgleich der Verbraucher wurde <strong>im</strong><br />
gesamten System durchgeführt.<br />
Neue gedämmte und hinterlüftete Vorhangfassaden ersetzten<br />
die alte Beton- und Verbundmauerwerkfassade der Schule und die<br />
Vorhangfassade aus Beton und Trapezblech der Sporthalle.<br />
Die Außentüren und Außenfenster beider Gebäude sowie die<br />
bodentiefen Öffnungen mit Profilbaubauverglasung in der Sporthalle<br />
verursachten erhebliche Wärmeverluste als Wärmebrücken.<br />
Sie wurden durch Alternativen mit verbesserten wärmedämmenden<br />
Eigenschaften ausgetauscht.<br />
Um den gewünschten Energiestandard zu erreichen, wurden<br />
best<strong>im</strong>mte Dachflächen neu gedämmt, wobei 240 mm EPS als<br />
Gefälledämmung angebracht wurde. Freie Flachdachflächen<br />
wurden zudem mit extensiver Bepflanzung begrünt, was zusätzliche<br />
Dämmung <strong>im</strong> Winter, Verdunstungsabkühlung <strong>im</strong> Sommer und<br />
Wasserrückhaltung bei Starkregenereignissen ermöglichte.<br />
Alle Lampen wurden durch eine hocheffiziente LED-Beleuchtung<br />
zu ersetzt, die sich durch ihre Energieeffizienz und längere<br />
Lebensdauer auszeichnet. In Kombination mit unterschiedlichen<br />
Steuerungstechnologien ist ihr Einsatz nun noch energieeffizienter.<br />
Die Notstrombeleuchtung wurde komplett ausgetauscht und in das<br />
bestehende Beleuchtungssystem integriert.<br />
Kleine Kniffe<br />
13<br />
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Foto: Ökoz-Zntrum NRW<br />
Projektbeteiligte (v.l.n.r.): Herr Mölders (Dipl.-Ing. Architekt); Frau Riekenbrauck (ÖZ); Herr Miller / Herr Ahls, Bürgermeister (Gem. Alpen); Herr Rauschen (GF, ÖZ); Herr Enge (Gem. Alpen); Herr<br />
Schoepke (IB D. Schoepke); Herr Blankenhe<strong>im</strong> / Herr Koch (IB Kombiplan); Herr Hoffmeier (IB D. Schoepke)<br />
Durch eine bedarfsgerechte Gebäudeautomation wurden zusätzliche<br />
Einsparungen in der Energieeffizienz realisiert, indem das<br />
Nutzungsverhalten und die Anlagentechnik miteinander verknüpft<br />
wurden.<br />
Weitere Maßnahmen in der Schule<br />
Die Beleuchtung und Elektroverteilung wurden erneuert, ebenso<br />
wie die Deckenbekleidungen. Zusätzlich wurden in der Schule Sonnenschutzverglasungen<br />
und Raffstoreanlagen in die vorgehängte<br />
Fassade integriert, um Verschattung und zusätzlichen sommerlichen<br />
Wärmeschutz zu gewährleisten.<br />
Hocheffiziente Lüftungsanlagen mit Wärmerückgewinnung<br />
wurden sowohl in den naturwissenschaftlichen Räumen als auch<br />
in der Aula der Schule installiert. Des Weiteren wurden dezentrale<br />
Lüftungsgeräte in den Klassenräumen eingebaut.<br />
Zur Verbesserung der Barrierefreiheit wurde das Gebäude<br />
um einen Anbau für einen Aufzug erweitert. Durch die Umgestaltung<br />
des Grundrisses wurde ein normgerechtes barrierefreies WC<br />
geschaffen. Im Zuge der Sanierung, bedingt durch Schadstoffe,<br />
wurden <strong>im</strong> Obergeschoss alle Innenwände ausgetauscht, das Raumkonzept<br />
überarbeitet und der Grundriss den Anforderungen der<br />
Schule angepasst.<br />
Die Aula erfuhr nicht nur eine optische Aufwertung durch<br />
ein neues Farbkonzept, eine mobile Trennwand und einen neuen<br />
Bodenbelag, sondern erhielt auch eine moderne Veranstaltungstechnik.<br />
Im Rahmen der Erneuerung der Außenanlagen wurden alle<br />
Eingänge barrierefrei gestaltet.<br />
Weitere Maßnahmen in der Sporthalle<br />
Die Erneuerung der Beleuchtung und Elektroverteilung erforderte<br />
Eingriffe in die Deckenbekleidungen, die daher ausgetauscht<br />
wurden. Für den Sportbereich wurden neue energieeffiziente<br />
Lichtkuppeln eingebaut, die <strong>im</strong> Sommer eine Nachtabkühlung des<br />
Gebäudes unterstützen.<br />
Zusätzlich erfolgte eine Umstellung der Beheizung von Lüftungsanlagen<br />
auf eine Beheizung der Halle und des Gymnastikraums<br />
mit Deckenstrahlplatten. Ein statisches Heizsystem mit hohem<br />
Strahlungsanteil ermöglicht es, die Raumlufttemperatur um 2°C bis<br />
3°C zu senken, da die angestrahlten Flächen eine behagliche Raumluftqualität<br />
gewährleisten.<br />
Es wurden neue energieeffiziente Zu- und Abluftanlagen mit<br />
Rotations-Wärmetauscher installiert. Die raumlufttechnische<br />
Anlage wurde auf ein hygienisches Min<strong>im</strong>um reduziert, wobei die<br />
erforderliche Heizleistung über Deckenstrahlplatten eingebracht<br />
wird.<br />
Kl<strong>im</strong>atische Umgestaltung Parkplatz und<br />
Verkehrsanlagen<br />
Die Wegeverbindung zwischen dem Schulgebäude und der<br />
nahegelegenen Sporthalle wurde durch die Einführung eines<br />
„school-walks“ sowohl optisch als auch materiell mit einer „grünen<br />
Pflasterung“ aufgewertet.<br />
Der funktionale Raum der großen Parkplätze und Verkehrsflächen<br />
wurde ökologisch und kl<strong>im</strong>afreundlich umgestaltet. Hierfür<br />
wurde eine neue Schul-Sport-Achse geschaffen, die eine klare Verbindung<br />
zwischen der Sekundarschule, dem Schw<strong>im</strong>mbad und der<br />
Sporthalle für Fußgänger herstellt. Diese Maßnahme erleichtert<br />
Schülern, Lehrern und Besuchern den Zugang zu den Einrichtungen.<br />
Die Gestaltung der Schul-Sport-Achse wurde durch Bäume,<br />
Bänke und energieeffiziente Beleuchtung aufgewertet. Zusätzlich<br />
wurden vor dem Schw<strong>im</strong>mbad und der Sporthalle Fahrradparkplätze<br />
eingerichtet, inklusive Lademöglichkeiten für Elektrofahrräder und<br />
zwei Ladesäulen für Elektrofahrzeuge.<br />
14 Kleine Kniffe<br />
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Foto: Öko-Zntrum NRW<br />
Geplante Maßnahmen zur kl<strong>im</strong>agerechten<br />
Gestaltung des Umfeldes<br />
Blaugrüne Parkentwicklung Weiher<br />
Ein bislang vernachlässigter Bereich rund um einen Weiher<br />
westlich der Schule soll aktiv in die Entwicklung des Schulumfeldes<br />
einbezogen werden. Der Weiher wird entschlammt, um ein Biotop<br />
<strong>im</strong> niederrheinischen Stil zu schaffen. Dadurch entsteht ein Rückzugsort<br />
für he<strong>im</strong>ische Flora und Fauna und die Retentionskapazität<br />
wird erhöht, was zu einer Risikominderung bei Starkregenereignissen<br />
beiträgt. Außerdem wird dann das Regenwasser nicht direkt<br />
in den Kanal abgeleitet, was die Grundwasserneubildung fördert.<br />
Dieser Bereich soll dann als CO 2<br />
-Senke fungieren, die Versickerung<br />
von Regenwasser ermöglichen und weitere Vorteile für den Kl<strong>im</strong>aschutz<br />
bieten. Studien zeigen, dass der Kontakt mit der natürlichen<br />
Umgebung die Aktivität und Aufmerksamkeit von Kindern und<br />
Jugendlichen steigert. Der Bereich soll in das Schul- und Lehrkonzept<br />
integriert werden, mit neuen Wegen, einem Steg und einer<br />
Brücke für ökologische und kl<strong>im</strong>abezogene Lehrpfade. Schüler und<br />
Bürger sollen über lokale Ökologie, Kl<strong>im</strong>aschutz und Anpassung<br />
informiert werden.<br />
Grüner Schulpark<br />
Das blau-grüne Klassenz<strong>im</strong>mer <strong>im</strong> Campuspark soll als Bindeglied<br />
zum nächsten Abschnitt des Projekts fungieren. Es soll Raum<br />
für Unterricht <strong>im</strong> Freien sowie für die öffentliche Nutzung bieten,<br />
einschließlich der Beobachtung von Pflanzen und Tieren am Ufer<br />
des Weihers. Diese Einrichtung soll langfristige Veränderungen <strong>im</strong><br />
Umwelt- und Kl<strong>im</strong>abewusstsein unterstützen.<br />
Maßnahmen wie offene Rinnen und befestigte Flächen mit wasserdurchlässigem<br />
Pflaster sollen Oberflächenwasser zum Weiher<br />
leiten und Probleme bei Starkregen verhindern. Zudem tragen<br />
dann Fassaden- und Dachbegrünungen sowie neue Bäume zum<br />
Kl<strong>im</strong>aschutz bei. Ein umgestalteter Schulhof soll eine Vielzahl von<br />
Aktivitäten für Pausen und Freizeitgestaltung bieten, darunter digitale<br />
Arbeitsbereiche, Spieleinrichtungen und kleine Gärten.<br />
Die Innenhöfe werden mit versickerungsfähigen Belägen und<br />
neuen Pflanzflächen ausgestattet. Der Vorplatz der Schule und die<br />
Mensaterrasse werden durch Sitzmöglichkeiten und Schattenbereiche<br />
attraktiver gestaltet. Um die Nutzung von Fahrrädern zu<br />
fördern, werden sichere Fahrradparkplätze in der Nähe der Hauptwegeverbindung<br />
installiert.<br />
Fazit<br />
Die jährlichen Treibhausgaseinsparungen <strong>im</strong> Vergleich zum<br />
ursprünglichen Zustand belaufen sich auf mindestens 165 Tonnen<br />
CO 2<br />
-Äquivalent. Nach der Sanierung des Schulzentrums und der<br />
Sporthalle wurde der EnEV-Standard „Modernisierter Altbau“ um<br />
mindestens 60% unterschritten. Damit wurden die Anforderungen<br />
des Gutachtergremiums des Förderwettbewerbs KommunalerKl<strong>im</strong>aschutz.NRW<br />
mehr als erfüllt.<br />
Die Maßnahmen dieses Projektes gehen weit über eine energetische<br />
Sanierung hinaus und bildet ein integrales Gesamtkonzept, das<br />
Nachhaltigkeit, Kl<strong>im</strong>aschutz, Umweltschutz und Anpassung an die<br />
Folgen des Kl<strong>im</strong>awandels mit einem pädagogischen Ansatz vereint.<br />
Autor<br />
Björn Häming<br />
Öko-Zentrum NRW GmbH<br />
Planen · Beraten · Qualifizieren<br />
https://oekozentrum.nrw/<br />
Kleine Kniffe<br />
15<br />
Kleine_Kniffe_Nachhaltig_Bauen.indd 15 03.07.24 08:46
Aus Expertensicht<br />
Kl<strong>im</strong>aschutz <strong>im</strong> Gebäudebestand –<br />
rasches Handeln ist dringend erforderlich<br />
Die Deutsche Energie-Agentur (dena) präsentiert mit ihrem neuen Gebäudereport 2024 ein<br />
umfassendes Nachschlagewerk über den aktuellen Stand, Trends und Herausforderungen<br />
hinsichtlich Kl<strong>im</strong>aschutz und Nachhaltigkeit <strong>im</strong> deutschen Gebäudesektor. Mit sechs detaillierten<br />
Kapiteln bietet der Report einen tiefgehenden Einblick in Themen wie Gebäudebestand,<br />
Wärmeerzeuger, Baustoffe, Treibhausgase, Energieverbrauch und Wirtschaftlichkeit.<br />
Der aktuelle dena-Gebäudereport unter dem Titel „Zahlen,<br />
Daten, Fakten zum Kl<strong>im</strong>aschutz <strong>im</strong> Gebäude“ beschreibt die Herausforderungen<br />
für die Wärmewende und die Erreichung von<br />
Kl<strong>im</strong>aneutralität in Deutschland. Die neuesten Daten verdeutlichen,<br />
dass trotz der bisherigen Anstrengungen die Energieverbräuche <strong>im</strong><br />
Gebäudebereich kaum zurückgehen. Fossile Energien dominieren<br />
weiterhin die Wärmeerzeugung, und der Gebäudebereich ist mit<br />
rund 40 Prozent der Bereich, in dem die meisten CO2-Emissionen<br />
in Deutschland verursacht werden. Im Gebäudebestand entfallen<br />
<strong>im</strong>mer noch fast 80 Prozent der Wärmeerzeugung auf fossile<br />
Energieträger wie Gas und Öl, was ein sehr großes Hemmnis zur<br />
Erreichung der Kl<strong>im</strong>aneutralitätsziele bedeutet.<br />
Corinna Enders, Vorsitzende der dena-Geschäftsführung,<br />
betont: „Der dena-Gebäudereport 2024 ist ein eindeutiger Weckruf:<br />
Trotz aller Anstrengungen müssen wir in der Wärmewende<br />
nun konkrete Taten folgen lassen. Die Zahlen und Fakten zeigen<br />
uns deutlich, dass der Gebäudebereich weiterhin eine maßgebliche<br />
Rolle <strong>im</strong> Energieverbrauch und den Treibhausgasemissionen spielt.<br />
Um die Kl<strong>im</strong>aneutralität bis 2045 zu erreichen, ist ein entschlossenes<br />
Tempo bei der Umstellung auf erneuerbare Energien <strong>im</strong> Gebäudebestand<br />
unumgänglich. Die Novelle des Gebäudeenergiegesetzes, die<br />
Bundeförderung Effiziente Gebäude BEG sowie die neuen Regelungen<br />
zur kommunalen Wärmeplanung bieten wichtige Grundlagen,<br />
aber es bedarf jetzt der gemeinsamen Anstrengung von Politik,<br />
Wirtschaft und Gesellschaft, um die notwendigen Veränderungen<br />
auch umzusetzen.“<br />
Aktuelle Situation und dominante Trends <strong>im</strong><br />
Gebäudebestand<br />
Der Gebäudereport der dena zeigt auch: Bei Neubauten von<br />
Wohngebäuden dominiert seit 2021 die Wärmepumpe als Energieträger<br />
mit einem Anteil von über 50 Prozent, gefolgt von Gas<br />
und Fernwärme. Im Gebäudebestand hingegen dominieren Gasund<br />
Ölheizungen. Der Endenergieverbrauch für Raumwärme und<br />
Warmwasser in Wohngebäuden wird weiterhin zu 66 Prozent<br />
von Öl und Gas gedeckt. Obwohl erneuerbare Energieträger in der<br />
Wärmeerzeugung an Bedeutung gewinnen, sind die bisherigen Entwicklungen<br />
nicht ausreichend, um das Ziel der Kl<strong>im</strong>aneutralität zu<br />
erreichen. Der Anteil der installierten Wärmepumpen <strong>im</strong> gesamten<br />
Gebäudebestand für Heizung und Warmwasser liegt lediglich bei 7,3<br />
Prozent.<br />
Obwohl die Absatzzahlen von Wärmepumpen <strong>im</strong> Jahr 2022<br />
mit 53 Prozent die höchsten Wachstumsraten verzeichnen, werden<br />
<strong>im</strong>mer noch am häufigsten Gaskessel verkauft. Wärmepumpen spielen<br />
eine entscheidende Rolle in der Energiewende, aber auch der<br />
Strom für ihren Betrieb muss aus erneuerbaren Energien stammen.<br />
Auch die gebäudenahe Photovoltaik übern<strong>im</strong>mt eine wichtige Rolle,<br />
um den steigenden Strombedarf vor Ort erneuerbar zu decken.<br />
Herausforderungen be<strong>im</strong> Ersatzneubau<br />
Ein weiterer herausfordernder Bereich ist der Ersatzneubau<br />
von Wohngebäuden, der trotz stagnierender Zahlen seit fast zehn<br />
16 Kleine Kniffe<br />
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Jahren rund 70 Prozent der Abrisse ausmacht.<br />
Dies führt nicht nur zum Verlust<br />
von Baumaterialien, sondern auch von<br />
grauer Energie, die bei Herstellung,<br />
Transport, Bau und Betrieb der abgerissenen<br />
Gebäude aufgewendet werden<br />
muss. Der Neubau erfordert zudem den<br />
Einsatz weiterer grauer Energie, der<br />
sich reduzieren lässt, wenn auf recycelte,<br />
nachhaltige und regional verfügbare<br />
Baumaterialien gesetzt wird.<br />
Insgesamt bietet der dena-Gebäudereport<br />
2024 eine übersichtliche<br />
Zusammenfassung der aktuellen Daten<br />
zum Gebäudebestand in Deutschland<br />
und dient als wichtige Grundlage für die<br />
Debatte und Umsetzung von Veränderungen<br />
<strong>im</strong> Gebäudesektor.<br />
Über das Gebäudeforum<br />
kl<strong>im</strong>aneutral:<br />
Der dena-Gebäudereport erscheint<br />
<strong>im</strong> Rahmen des Gebäudeforums kl<strong>im</strong>aneutral,<br />
der zentralen Anlaufstelle<br />
der dena zum kl<strong>im</strong>aneutralen Bauen<br />
und Sanieren in Gebäuden und Quartieren.<br />
Es richtet sich an die Fachleute<br />
aus diesem Bereich. Die Plattform stellt<br />
qualitätsgesicherte Informationen<br />
und Arbeitshilfen bereit, sorgt für<br />
Wissensaufbau <strong>im</strong> Themenfeld Innovationen<br />
und macht die Energiewende<br />
<strong>im</strong> Gebäudesektor anhand von guten<br />
Beispielen sichtbar. Unterstützt wird<br />
das Expertenteam der dena <strong>im</strong> Gebäudeforum<br />
von einem kontinuierlich<br />
wachsenden Fachpartnernetzwerk aus<br />
Branchenverbänden und Vertretern aus<br />
allen Regionen Deutschlands. Ziel des<br />
Gebäudeforums kl<strong>im</strong>aneutral ist, Wissen<br />
zu multiplizieren und so die Fortschritte<br />
der Energiewende <strong>im</strong> Gebäudebereich<br />
zu beschleunigen.<br />
Kleine Kniffe<br />
17<br />
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Künstliche Intelligenz<br />
Bauen <strong>im</strong> Bestand hat keine Lobby<br />
Sie fragen sich vielleicht warum es noch einen Verband in der Bau- und Immobilienwirtschaft braucht. Es<br />
wurde jedoch höchste Zeit, dass der Gebäudebestand seine eigene St<strong>im</strong>me bekommt. Die bestehenden<br />
Verbände widmen dem Bestand leider nicht die notwendige Aufmerksamkeit, sondern fokussieren sich<br />
noch <strong>im</strong>mer auf den Neubau. Die Aufgabe, unsere Städte und Kommunen zu transformieren, ist seit vielen<br />
Jahren bekannt, aber nicht in der gebotenen Intensität erfolgt, auch weil die Branche in alten Denkmustern<br />
verhaftet ist. Wir können die Probleme von morgen jedoch nicht mit den Theorien von gestern beantworten.<br />
Daher geben wir dem Bestand eine St<strong>im</strong>me und treiben die Transformation voran.<br />
Ein Beitrag von Anabelle von Reutern<br />
Es ist uns besonders wichtig, den ewigen Bedenken und teilweise<br />
Ausreden und das „ja, aber...“ der Branche gegenüber Bauen<br />
<strong>im</strong> Bestand Lösungen anzubieten. Wir als Branche haben die Verantwortung<br />
für den Lebensraum von Millionen von Menschen und<br />
für eine enkeltaugliche Zukunft und müssen Antworten auf die<br />
vielen Herausforderungen geben. Daher sind wir überzeugt, dass<br />
es notwendig ist, an dieser Stelle die Kompetenzen zu bündeln,<br />
Wissenstransfer und Aufklärung zu leisten sowie Hilfsmittel zur<br />
Verfügung zu stellen. Wir wollen kurzfristig Lösungs<strong>im</strong>pulse setzen<br />
und vorhandenes Wissen teilen, damit alle davon profitieren können<br />
und die Bedenken <strong>im</strong> Umgang mit dem Bestand ausgeräumt werden.<br />
Das sehen wir als unsere Aufgabe.<br />
Der Verband für Bauen <strong>im</strong> Bestand e.V. ist seit dem Frühjahr<br />
2023 tätig und kann bereits über 100 Mitglieder verzeichnen. Alle<br />
Gründungsmitglieder sind bereits vor der Gründung des Verbandes<br />
aktiver Teil des Wandelns hin zur Bauwende gewesen und können<br />
nun gebündelt dem Bestand eine starke St<strong>im</strong>me geben. Dabei ist uns<br />
neben dem Wissenstransfer, auch die Fortbildung und Forschung zu<br />
den konkreten Themen zum Bauen <strong>im</strong> Bestand sehr wichtig. Auch<br />
das Verankern in der Ausbildung und Lehre ist essentiell, sodass<br />
der Umgang mit Bestandsbauten zur Selbstverständlichkeit wird.<br />
Wir müssen über die Branche hinausschauen und ein gemeinsames,<br />
umfassendes und lebenszyklusbasiertes Verständnis von Bauen <strong>im</strong><br />
Bestand generieren.<br />
Wir sagen: Das Silodenken muss aufhören! Um wegweisende<br />
Lösungsmöglichkeiten zur Verfügung zu stellen, benötigen wir alle<br />
Gruppen, denn nur so können wir Lösungen erarbeiten, die wirklich<br />
von allen Markteilnehmern genutzt werden und die Bau- und<br />
Kl<strong>im</strong>awende schaffen. Gerne möchten wir an der Stelle nochmal<br />
eine herzliche Einladung für alle Gruppen auszusprechen, mit uns<br />
gemeinsam den Wandeln zu gestalten. Von der Handwerker:in bis<br />
zur Investor:in sind alle gefragt.<br />
Wir werden oft gefragt, was die Politik denn tun kann, um das<br />
nachhaltige Bauen zu beschleunigen. Unsere Antwort ist, dass wir<br />
alle Teil der Politik sind und selber aktiv werden müssen, wenn wir<br />
Veränderung sehen wollen. Mit dem Verband wollen wir genau das<br />
Schnellboot sein, das die Veränderung von unten befördert. Unsere<br />
Eckpfeiler sind die praxisnahe und umsetzungsorientierte Herangehensweise.<br />
Die Regulatorik <strong>im</strong> Bauen wird vom Neubau abgeleitet.<br />
Wir wollen die Gesetze, Normen und Richtlinien anpassen, um das<br />
Planen, Genehmigen und Bauen <strong>im</strong> Bestand zu erleichtern. Wir<br />
setzen uns also dafür ein, schneller um die bisherigen Vorgaben<br />
drumherum zu planen und aktiv zu werden. Es gibt bereits viele<br />
Entscheidungsträger:innen, die mit Praxisbespielen dafür sorgen,<br />
Beweise zu statuieren, die Ausreden schwer machen. Eigenverantwortung,<br />
Mut und der Dialog aller am Bau Beteiligten muss parallel<br />
zu rechtlichen Änderungen laufen. Reden und handeln – das brauchen<br />
wir und nicht reden, reden, reden und das Handeln in die<br />
Zukunft verlagern.<br />
18 Kleine Kniffe<br />
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Foto: depositphotos<br />
Unsere ersten Schwerpunkte fokussieren sich bisher auf die<br />
direkte Projektenwicklung von Bestands<strong>im</strong>mobilien. Dabei sollen<br />
vor allem das Risikomanagement sowie die Veränderungen von<br />
Kostenschätzungen spezialisiert auf den Bestand angestoßen werden.<br />
Und wenn Sie fragen, warum wir ausgerechnet mit diesen Themen<br />
anfangen, können wir nur sagen: Schaffen wir klare Strukturen und<br />
schaffen wir Transparenz bei den Risiken, erhöht sich die Attraktivität<br />
für Investoren. Attraktive Investments sind letztendlich der<br />
beste Anreiz für die gesamte Branche, sich um den Bestand adäquat<br />
zu kümmern. Ermöglichen statt Regulieren ist unser Ansatz.<br />
Weitere Themen werden in diesem Jahr unter anderem die Vereinfachung<br />
von Aufstockung von Wohngebäuden sein, sowie unsere<br />
Wissensdatenbank mit Best Practise Beispielen zu füllen. Denn sehr<br />
viele Lösungen sind bereits vorhanden. Doch das Teilen und die Skalierung<br />
der Insellösungen fehlt. Da sehen wir uns als Vermittlerin<br />
zwischen den Akteur:innen.<br />
Ziel all unserer Arbeit ist es, zu erreichen, dass Bauen <strong>im</strong> Bestand<br />
priorisiert wird, weil es lukrativ ist. Wie? Durch gesenkte Risiken,<br />
indem wir Wissen teilen und akkumulieren. Aus wirtschaftlicher<br />
Sicht muss sich Bestand wieder lohnen. Risikoarm und gewinnfördernd<br />
sollte es sein. Nicht durch Verbote, sondern durch<br />
Ermöglichung! Letztlich ist es aber auch so: Eigentum verpflichtet<br />
und nachhaltig wirtschaften bedeutet konservativ wirtschaften.<br />
Das Bauen <strong>im</strong> Bestand ist die Königsdisziplin und ja, es bringt<br />
viele Herausforderungen mit sich. Aber in Herausforderungen<br />
stecken sogleich auch die größten Chancen, die wir <strong>im</strong> Bausektor<br />
haben. Wir können umweltschonend Bestand weiterdenken,<br />
umbauen und verdichten und somit den sozialen Anforderungen<br />
der Städte gerecht werden und dabei noch Ressourcen und CO 2<br />
einsparen. Also ist die größte Herausforderung der Umgang in<br />
Herausforderungen Chancen zu sehen.<br />
Zum Erreichen der Kl<strong>im</strong>aziele spielt der Bestandserhalt eine<br />
große Rolle. Denn wenn wir weiter so großzügig abreißen, werden<br />
wir sie definitiv nicht erreichen. Die Zahlen der letzten Jahre haben<br />
gezeigt, dass die Baubranche trotz Coronakrise und Baustillstand,<br />
weiterhin einer der größten Verursacher von CO 2<br />
Emissionen ist.<br />
Abriss und Neubau sind dafür massiv verantwortlich. Das heißt:<br />
Ohne Bauwende wird es keine Kl<strong>im</strong>awende geben.<br />
Autorin:<br />
Anabelle von Reutern<br />
Vorständin Zirkuläres Bauen<br />
Verband für Bauen <strong>im</strong> Bestand e.V.<br />
Kleine Kniffe<br />
19<br />
Kleine_Kniffe_Nachhaltig_Bauen.indd 19 03.07.24 08:46
Aus Wissenschaft und Forschung<br />
Kl<strong>im</strong>aschutzmaßnahmen und deren Kosten<br />
Aufzeigen von Kl<strong>im</strong>aschutzpotenzialen bis 2045<br />
Nach mehreren Studien 1 müssen die Anlagentechnik des Gebäudebestands bis 2045 deutlich<br />
effizienter und die Gebäudehülle gedämmt werden, um zu einem treibhausgasneutralen<br />
Gebäudesektor zu kommen. Parallel sind die Gebäude zudem vollständig auf erneuerbare Energien<br />
umzustellen (siehe Abb. 1). Damit muss innerhalb von knapp zweieinhalb Jahrzehnten, die bis<br />
2045 noch zur Verfügung stehen, jedes Gebäude in Deutschland umfassend energetisch saniert<br />
und neue Wärmelösungen gefunden werden.<br />
Ein Beitrag von Dr. Volker Teichert<br />
Als kosteneffizientester Technologiepfad<br />
für die Mehrheit der<br />
Gebäude wird eine Mischung<br />
aus Wärmepumpen in weniger<br />
dicht besiedelten Gebieten<br />
sowie grüner Fernwärme und<br />
Quartierslösungen in urbanen<br />
Gebieten vorgesehen. Für Gebäude<br />
mit Sanierungsrestriktionen oder<br />
unzureichenden Anschlussmöglichkeiten<br />
sollten darüber hinaus<br />
Biomasse, Biogas, Wasserstoff oder<br />
synthetische Brennstoffe vorgesehen<br />
werden. Um bis 2045 diesen<br />
Zustand umsetzen zu können, ist<br />
die Sanierungsrate auf mehr als zwei<br />
Prozent zu erhöhen.<br />
Neben der Sanierung sind<br />
Neubauten schon heute treibhausgasneutral<br />
zu bauen, um nicht<br />
schon frühzeitig wieder Reinvestitionen tätigen zu müssen. Aktuell<br />
werden jährlich ungefähr 135 Tsd. Gebäude neu errichtet. Aufgrund<br />
bestehender Neubaustandards haben diese Gebäude bereits heute<br />
geringe Energiebedarfe für Raumwärme und Warmwasser <strong>im</strong> Vergleich<br />
zum Gebäudebestand (2019: durchschnittlich 65 kWh pro<br />
Quadratmeter und Jahr <strong>im</strong> Neubau gegenüber durchschnittlich 130<br />
kWh pro Quadratmeter und Jahr <strong>im</strong> Bestand).<br />
Abb. 1: Maßnahmen zur Erreichung der Kl<strong>im</strong>aneutralität <strong>im</strong> Gebäudesektor bis 2045 2<br />
Tab. 1):<br />
Bewertung möglicher<br />
Kl<strong>im</strong>aschutzmaßnahmen<br />
und deren Kosten<br />
Was die Kosten möglicher Kl<strong>im</strong>aschutzmaßnahmen<br />
angeht, so<br />
sind hierzu gegenwärtig nur näherungsweise<br />
valide Angaben zu machen.<br />
Verantwortlich sind hierfür die aktuelle<br />
Situation auf den Rohstoffmärkten, die<br />
Energiekrise und die Lage <strong>im</strong> Handwerksbereich<br />
mit fehlenden Fachkräften<br />
und gestiegenen Kosten. Die<br />
letzte differenzierte Analyse zu einzelnen<br />
Bauteilgruppen hat das Institut<br />
für Wohn und Umwelt (IWU) 2020 3<br />
vorgelegt. Hier wurden für 2020 mithilfe<br />
des Baupreisindex des Statistischen<br />
Bundesamtes und Schätzungen die<br />
Kosten von 2015 4 für folgende Positionen<br />
hochgerechnet (siehe als Beispiel<br />
• Außenwand: nachträgliche Dämmung mit Wärmedämmver<br />
bundsystemen oder Kerndämmung<br />
• Steildach: nachträgliche Dämmung von außen zwischen den<br />
Sparren bzw. auf den Sparren<br />
• Flachdach<br />
• Oberste Geschossdecke: nachträgliche Dämmung begehbar/<br />
nicht begehbar<br />
20 Kleine Kniffe<br />
Kleine_Kniffe_Nachhaltig_Bauen.indd 20 03.07.24 08:46
Tab. 1: Angepasste Kostenfunktionen und Baupreisindizes für 2020 5<br />
• Kellerdecke zum unbeheizten Keller: unterseitig/oberseitig<br />
• Fenster und Fenstertüren: 2-Scheiben-Wärmeschutzverglasung/3-Scheiben-Wärmeschutzverglasung/<br />
passivhaustaugliche Fenster<br />
• Solaranlagen: als Einzelmaßnahmen/mit Kesselaustausch zur<br />
Unterstützung der Warmwasserbereitung/zur Heizungsunter<br />
stützung<br />
• Heizungsanlagen: Gas-Brennwert, Öl-Brennwert, Pellets,<br />
Fernwärme, Heizungsperipherie<br />
• Lüftungsanlagen mit/ohne Wärmerückgewinnung<br />
• Energieberatung, Architektenleistungen, Gerüste<br />
In einer weiteren Untersuchung des Instituts für Technische<br />
Gebäudeausrüstung und des Forschungsinstituts für Wärmeschutz 6<br />
<strong>im</strong> Auftrag der Deutschen Energie-Agentur kamen die Autoren zu<br />
folgenden Kosten (siehe Tab. 2), die sich mit zurzeit beobachteten<br />
Kostenentwicklungen <strong>im</strong> Baugewerbe teils decken (siehe Abb. 2).<br />
Tab. 2: Kostenkennwerte der baulichen Maßnahmen in Abhängigkeit möglicher Modernisierungstiefen 7<br />
Kleine Kniffe<br />
21<br />
Kleine_Kniffe_Nachhaltig_Bauen.indd 21 03.07.24 08:46
Abb. 3:<br />
Kostenübersicht zur energetischen Gebäudemodernisierung in Abhängigkeit zum Ausgangszustand und zum angestrebten energetischen Zielstandard, Ein-/<br />
Zweifamilienhäuser der Baualtersklasse 1949-1978 10<br />
Allein zwischen Mai 2021 und Mai 2022 haben sich die Baukosten<br />
für best<strong>im</strong>mte Gewerke <strong>im</strong> Schnitt um 21 % erhöht. Und<br />
diese Entwicklung wird sich – so die Experten – in den kommenden<br />
Jahren fortsetzen. Dabei sind in diesen Kosten noch nicht einmal die<br />
Kosten für energetische Standards berücksichtigt.<br />
In einer Studie zum 13. Wohnungsbautag kommt die<br />
Arbeitsgemeinschaft für zeitgemäßes Bauen 9 zum Ergebnis, dass<br />
die Vollkosten der energetischen Modernisierung von Ein- und<br />
Zweifamilienhäusern der<br />
Baualtersklasse (1949 bis<br />
1978) z.B. für ein Effizienzhaus<br />
115 (E115)<br />
zwischen 660 und 1.070<br />
€/m² Wohnfläche (Wfl.)<br />
liegen, während sich die<br />
Kosten für die Umsetzung<br />
eines Effizienzhauses<br />
55 (E55) mit 1.060<br />
bis 1.470 €/m² Wfl. und für<br />
die Umsetzung eines Effizienzhauses<br />
40 (E40) <strong>im</strong><br />
Bestand mit 1.160 bis<br />
1.590 €/m² Wfl. auf einem<br />
erheblich höheren Kostenniveau<br />
bewegen (siehe Abb.<br />
3).<br />
Die energiebedingten<br />
Mehrkosten an den<br />
Vollkosten bei den<br />
Ein- und Zweifamilienhäusern,<br />
Abb. 2: Bauen wird deutlich teurer 8<br />
die nicht oder gering<br />
modernisiert wurden, liegen <strong>im</strong> Mittel be<strong>im</strong> betrachteten Ausgangszustand<br />
für das Effizienzhaus 115 (E115) bei ca. 42 %, bei den<br />
mittel oder größtenteils modernisierten Häusern bei 46 %. Be<strong>im</strong><br />
Zielstandard Effizienzhaus 55 (E55) macht der Anteil bei den nur<br />
gering modernisierten Häusern ca. 54 % und be<strong>im</strong> Effizienzhaus 40<br />
(E40) <strong>im</strong> Bestand sogar ca. 59 % aus. Bei den mittel modernisierten<br />
Ein- und Zweifamilienhäusern liegen die Anteile bei E55 bei 59 %<br />
und bei E40 bei 63 %. Bei den umfassend modernisierten Häusern<br />
sind die Anteile bei E100 (64 %), bei E55 (78 %) und bei E40 (80 %).<br />
Kostenumlegung auf Miet- bzw. Kaufpreis<br />
Mit Blick auf die zuvor vorgestellten Kosten zur<br />
energetischen Gebäudemodernisierung<br />
scheint es<br />
in zunehmendem Maße<br />
schwierig, diese Kosten<br />
auf den Mietpreis vollständig<br />
umzulegen. Zwar<br />
müssen gemäß § 555d Abs.<br />
1 BGB Mieter Modernisierungsmaßnahmen<br />
und somit<br />
auch die Kosten für eine energetische<br />
Sanierung dulden.<br />
Eine Duldungspflicht nach Abs.<br />
1 besteht aber nicht, wenn die<br />
Modernisierungsmaßnahme<br />
für den Mieter, seine Familie<br />
oder einen Angehörigen<br />
seines Haushalts eine Härte<br />
bedeuten würde, die auch unter<br />
Würdigung der berechtigten<br />
Interessen sowohl des<br />
Vermieters als auch anderer<br />
Mieter in dem Gebäude sowie<br />
von Belangen der Energieeinsparung<br />
und des Kl<strong>im</strong>aschutzes nicht zu rechtfertigen ist. Die zu<br />
erwartende Mieterhöhung sowie die voraussichtlichen künftigen<br />
Betriebskosten bleiben bei der Abwägung <strong>im</strong> Rahmen der Duldungspflicht<br />
außer Betracht; sie sind nach § 559 Abs. 4 und 5 bei einer<br />
22 Kleine Kniffe<br />
Kleine_Kniffe_Nachhaltig_Bauen.indd 22 03.07.24 08:46
Mieterhöhung zu berücksichtigen.<br />
Gemäß § 559 BGB ist eine Umlage von 8 % der Kosten auf die<br />
Jahresmiete möglich. Doch <strong>im</strong>mer wieder kommt es bei der Frage,<br />
ob eine energetische Modernisierung vorliegt und welche Kosten<br />
davon auf den Mieter umgelegt werden können, zu gerichtlichen<br />
Auseinandersetzungen.<br />
Vor dem Hintergrund der drastisch steigenden Betriebskosten<br />
von 2,93 € (2019/2020) auf 6,39 € (2022) pro Quadratmeter und<br />
Monat 11 dürfte es <strong>im</strong>mer schwieriger werden, von den Mietern<br />
auch noch weitere Kosten für eine energetische Modernisierung<br />
zu verlangen. Verantwortlich für die erwartete Verdoppelung sind<br />
vorrangig die Kosten für Heizung und Warmwasser. Eine energetische<br />
Maßnahme und damit Verteuerung der Mietwohnung<br />
wird nur dann von den Mietern akzeptiert werden, wenn sich<br />
<strong>im</strong> Gegenzug die Betriebskosten erkennbar reduzieren lassen. Best<strong>im</strong>mte<br />
Maßnahmen sind allerdings unumgänglich, da sie sich aus<br />
dem Gebäudeenergiegesetz (GEG) ergeben.<br />
Hierzu zählen unter anderem:<br />
• Austausch von Öl- und Gas-Heizkesseln, die älter als 30 Jahre<br />
sind und eine übliche Größe haben (4-400 kW Heizleistung);<br />
• Nachträgliche Dämmung der obersten Geschossdecken<br />
zu unbeheizten Dachräumen. Die Dämmpflicht gilt für alle<br />
zugänglichen obersten Geschossdecken, unabhängig davon,<br />
ob sie begehbar sind oder nicht ‒ also zum Beispiel auch für<br />
Spitzböden und für nicht ausgebaute Aufenthalts- oder<br />
Trockenräume. Alternativ dazu kann auch das darüberliegende<br />
Dach mindestens entsprechend gedämmt sein.<br />
Was den Kauf einer Immobilie angeht, so wird sich hier dessen<br />
Preis pr<strong>im</strong>är am Energieausweis orientieren, der nach §§ 79ff. GEG<br />
Pflicht ist. Mit dem Dokument sollen Kaufinteressenten über die<br />
energetischen Kennwerte und die daraus resultierenden Treibhausgasemissionen<br />
des Gebäudes informiert werden.<br />
Autor<br />
Dr. Volker Teichert<br />
ist Umwelt- und Nachhaltigkeitsberater<br />
sowie wissenschaftlicher Mitarbeiter <strong>im</strong><br />
Arbeitsbereich Nachhaltige Entwicklung<br />
der Forschungsstätte der Evangelischen<br />
Studiengemeinschaft (FEST).<br />
Quellen:<br />
1. Vgl. Deutsche Energie-Agentur (2021): Kl<strong>im</strong>aneutralität 2045 – Transformation des<br />
Gebäudesektors. Gebäudespezifische Modellierung und Begleitung des Studienprozesses.<br />
Berlin: dena, URL: https://t1p.de/epcys<br />
2. Deutsche Energie-Agentur (2021): Kl<strong>im</strong>aneutralität 2045 – Transformation des<br />
Gebäudesektors. Gebäudespezifische Modellierung und Begleitung des Studienprozesses.<br />
Berlin: dena, S. 16; URL: https://t1p.de/epcys<br />
3. Vgl. Hinz, Eberhard (2015): Kosten energierelevanter Bau- und Anlagenteile bei der<br />
energetischen Modernisierung von Altbauten. Darmstadt: IWU. URL: https://t1p.<br />
de/vtara, Koch, Thilo/Achenbach, Samuel/Müller, André (2021): Anpassung der<br />
Kostenfunktionen energierelevanter Bau- und Anlagenteile bei der energetischen<br />
Modernisierung von Altbauten auf das Preisniveau 2020. Werkstattbericht. Darmstadt:<br />
IWU. URL: https://t1p.de/tm838<br />
4. Die Ergebnisse energiesparender Maßnahmen bei der energetischen Modernisierung<br />
von 2015 beruhten auf der Auswertung von gewerkebezogenen<br />
Kostenfeststellungen an insgesamt 1.177 Wohngebäuden. Ziel der Studie war es,<br />
einen möglichst repräsentativen Querschnitt typischer Kosten solcher energiesparenden<br />
Maßnahmen <strong>im</strong> Bestand herauszuarbeiten, die bereits am Markt eingeführt<br />
sind. Eine Konsequenz aus diesem Ansatz ist, dass die Auswertungen nur<br />
bedingt auf sehr hochwertige energetische Modernisierungen nahe am Passivhausstandard<br />
übertragen werden können.<br />
5. Koch, Thilo/Achenbach, Samuel/Müller, André (2021): Anpassung der Kostenfunktionen<br />
energierelevanter Bau- und Anlagenteile bei der energetischen<br />
Modernisierung von Altbauten auf das Preisniveau 2020. Werkstattbericht. Darmstadt:<br />
IWU. URL: https://t1p.de/tm838<br />
6. Deutsche Energie-Agentur (2021): Kl<strong>im</strong>aneutralität 2045 – Transformation des<br />
Gebäudesektors. Gebäudespezifische Modellierung und Begleitung des Studienprozesses.<br />
Berlin: dena, S. 20; URL: https://t1p.de/epcys<br />
7. Deutsche Energie-Agentur (2021): Kl<strong>im</strong>aneutralität 2045 – Transformation des<br />
Gebäudesektors. Gebäudespezifische Modellierung und Begleitung des Studienprozesses.<br />
Berlin: dena, S. 20; URL: https://t1p.de/lpqtb<br />
8. Quelle: statista<br />
9. Vgl. Walberg, Dietmar/Gniechwitz, T<strong>im</strong>o/Paare, Klaus/Schulze, Thorsten (2022):<br />
Wohnungsbau. Die Zukunft des Bestandes. Studie zur aktuellen Bewertung des<br />
Wohngebäudebestands in Deutschland und seiner Potenziale, Modernisierungsund<br />
Anpassungsfähigkeit. Kiel: Verbändebündnis Wohnungsbau. URL: https://<br />
t1p.de/l92mh<br />
10. Vgl. Walberg, Dietmar/Gniechwitz, T<strong>im</strong>o/Paare, Klaus/Schulze, Thorsten (2022):<br />
Wohnungsbau. Die Zukunft des Bestandes. Studie zur aktuellen Bewertung des<br />
Wohngebäudebestands in Deutschland und seiner Potenziale, Modernisierungsund<br />
Anpassungsfähigkeit. Kiel: Verbändebündnis Wohnungsbau, S. 62. URL:<br />
https://t1p.de/l92mh<br />
11. Vgl. Spiegel (2022): Nebenkosten könnten sich in diesem Jahr verdoppeln. URL:<br />
https://t1p.de/jh92u<br />
Kleine Kniffe<br />
23<br />
Kleine_Kniffe_Nachhaltig_Bauen.indd 23 03.07.24 08:46
Gesetzliche Regulation<br />
Europäische Regulatorik<br />
in der Bau- und Immobilienwirtschaft<br />
Der Gebäudesektor in Deutschland hat wiederholt seine Kl<strong>im</strong>aziele verfehlt. Beispielsweise<br />
lagen die CO₂-Emissionen dieses Sektors in den letzten Jahren konstant über den <strong>im</strong> Bundes-<br />
Kl<strong>im</strong>aschutzgesetz (KSG) festgelegten Jahreszielen. Darüber hinaus fällt ein erheblicher Teil der<br />
CO₂-Emissionen in der Bau- und Immobilienwirtschaft schon bei der Errichtung von Gebäuden<br />
an, was zusätzliche Herausforderungen für die Reduzierung der Emissionen mit sich bringt.<br />
Diese wiederholten Verfehlungen der Emissionsziele könnten rechtliche Konsequenzen nach sich<br />
ziehen (vgl. für die Energiewirtschaft bereits die Verfahren gegen RWE und Shell, oder für die<br />
Automobilwirtschaft das Verfahren von Greenpeace gegen VW).<br />
Ein Beitrag von Michael Korn, Melanie Linke und Dr. Tobias Nuß, LL.M.<br />
Der wachsende Druck durch die Öffentlichkeit und Umweltorganisationen<br />
könnte zu vermehrten Kl<strong>im</strong>a- und Umweltschutzklagen<br />
gegen die Bau- und Immobilienwirtschaft führen, da sie einen signifikanten<br />
Beitrag zu den nationalen CO₂-Emissionen leistet und<br />
damit die Erreichung der Kl<strong>im</strong>aziele gefährdet.<br />
Die Bau- und Immobilienwirtschaft befindet sich nicht nur<br />
deswegen inmitten einer fundamentalen Transformation. Der Paradigmenwechsel<br />
wird u. a. getrieben von den Themen Nachhaltigkeit,<br />
Digitalisierung und Fachkräftemangel. Um wettbewerbsfähig zu<br />
bleiben, müssen Unternehmen Antworten auf diese Herausforderungen<br />
finden. Es gilt, viele (neue) Aufgaben zu bewältigen, um u.<br />
a. Finanzierungs- und Investitionsinteressen einerseits sowie Haftungsrisiken<br />
andererseits gerecht zu werden.<br />
Die (europäische) Regulatorik – <strong>im</strong> Kern ursprünglich Gesetzesregeln<br />
für Banken und Finanzmarktteilnehmer – ist gleichermaßen<br />
Treiber und Lösung für die Immobilienwirtschaft. Unternehmen,<br />
die über ambitionierte und integrierte ESG-Strategien verfügen,<br />
wachsen schneller, sind profitabler, wettbewerbsfähiger, resilienter<br />
und für den Markt sowie Fachkräfte attraktiver. Die Gründe hierfür<br />
werden durch ein besseres Verständnis des European Green Deals<br />
(Green Deal) und anhand ausgewählter Regulatorik aufgezeigt.<br />
Daneben sollen Praxisbeispiele das Bewusstsein schärfen, wie die<br />
Regulatorik bereits heute unmittelbar die Entscheidungsagenda für<br />
die Immobilienwirtschaft vorgibt, und welche Herausforderungen,<br />
aber eben auch Chancen eröffnet werden.<br />
II.<br />
European Green Deal<br />
Unter dem Titel „Green Deal“ hat die <strong>im</strong> Jahre 2019 eingesetzte<br />
EU-Kommission Maßnahmen gegen den Kl<strong>im</strong>awandel und für eine<br />
„kl<strong>im</strong>aneutrale“ Wirtschaft innerhalb der Europäischen Union (EU)<br />
vorgeschlagen. Anknüpfend an die Vorgaben des Pariser Kl<strong>im</strong>aschutzübereinkommens<br />
(2015) sollen diese dazu führen, dass die EU<br />
bis 2050 „kl<strong>im</strong>aneutral“ ist und die Treibhausgasemissionen bis zum<br />
Jahr 2030 netto um mindestens 55 % <strong>im</strong> Vergleich zu 1990 reduziert<br />
werden (Fit for 55). Dies soll u. a. durch nachhaltiges Wirtschaftswachstum<br />
angestoßen werden. Zur Finanzierung der Programme<br />
sollen öffentliche Mittel aufgewendet und privates Kapital mobilisiert<br />
werden. Letzteres soll durch die Lenkung der Kapitalflüsse<br />
hin zu nachhaltigen Investitionen erfolgen. Transparenz und Taxonomie<br />
sollen dabei helfen, die jeweilige Wirtschaftstätigkeit von<br />
außen, aber auch von innen zu beurteilen. Das regulatorische Fundament<br />
und dessen Zweck- und Stoßrichtung sind damit eindeutig:<br />
Der Erhalt der langfristigen weltweiten Wettbewerbsfähigkeit der<br />
europäischen Wirtschaft hängt von einem gesunden Planeten ab.<br />
Unternehmen müssen die planetaren Grenzen beachten. Diese Zielsetzung<br />
wird weiter bestehen und die Maßnahmen werden schärfer<br />
und ausdifferenzierter, je präziser die erforderlichen Daten verfügund<br />
auswertbar werden.<br />
1. Verbesserungspotential für die<br />
Immobilienbranche<br />
Entsprechend hatte bereits der European Green Deal verschie-<br />
24 Kleine Kniffe<br />
Kleine_Kniffe_Nachhaltig_Bauen.indd 24 03.07.24 08:46
Foto: depositphotos<br />
dene Zielgruppen, von Haushalten über Unternehmen bis hin zu<br />
Finanzinstitutionen und Ratingagenturen. Dessen Umsetzung in der<br />
Regulatorik führt bereits heute spürbar zu einer gezielten Lenkung<br />
von Kapitalströmen in nachhaltige Wirtschaftsaktivitäten, fördert<br />
die ökologische Nachhaltigkeit und unterstützt die Erreichung der<br />
Kl<strong>im</strong>aziele der EU.<br />
Während zunächst die Lenkung von Kapitalströmen in nachhaltiges<br />
Wirtschaften <strong>im</strong> Fokus der Regulatorik stand, werden<br />
zunehmend auch die ebenfalls vom European Green Deal identifizierten<br />
Bereiche Soziales (Social) und Unternehmensführung<br />
(Governance) Regelungsgegenstand von Verordnungen und Richtlinien,<br />
wenngleich sich derzeit für die Immobilienwirtschaft noch<br />
konstatieren lässt, dass sie <strong>im</strong> Hinblick auf die Umsetzung von<br />
„Social“- und „Governance“-Anforderungen noch zahlreiche Möglichkeiten<br />
für Verbesserungen hat. Dies liegt zum einen daran, dass<br />
für eine „gute“ Governance ein erhebliches Maß an Transparenz<br />
erforderlich ist, zum anderen aber auch daran, dass etwa hinreichend<br />
gefestigte Kriterien für das sozial nachhaltige Wirtschaften noch<br />
nicht in letzter Konsequenz nachvollziehbar sind (es kann mit guten<br />
Gründen angezweifelt werden, warum etwa Gebäude mit einem<br />
Mieter der öffentlichen Hand als sozial nachhaltig qualifizieren).<br />
2. „Regulatorische Bausteine“<br />
Die mit dem European Green Deal festgelegten Nachhaltigkeitsziele<br />
wurden durch eine Vielzahl von Gesetzesinitiativen<br />
weiter konkretisiert. Im absoluten Fokus stehen u. a. die Offenle-<br />
gungs-Verordnung (SFDR), Taxonomie-Verordnung (Tax-VO),<br />
die sich aktuell noch in Umsetzung befindlichen Corporate Social<br />
Responsibility Directive (CSRD) und die European Sustainablity<br />
Reporting Standards (ESRS). In einem ersten Schritt legen<br />
sie offenzulegende Nachhaltigkeitsinformationen der jeweiligen<br />
Finanzmarktteilnehmer resp. Unternehmen fest und best<strong>im</strong>men<br />
Standards, die derzeit allein für ökologische Kriterien weitgehend<br />
bestehen. Ziel ist es daher, durch Veröffentlichungsverpflichtungen<br />
für Transparenz und damit Vergleichbarkeit von Marktteilnehmern<br />
zu sorgen. Gleichzeitig dienen die Regelungen dazu, den Nachhaltigkeitsbegriff<br />
zu schärfen und eine Orientierungshilfe darzustellen,<br />
die sich <strong>im</strong> stetigen Wandel hin zu weitreichenderen Maßnahmen<br />
<strong>im</strong> Sinne der Nachhaltigkeitsförderung befindet. Das von der Regulatorik<br />
aufgestellte – in engen Grenzen – einheitliche Korsett für<br />
die Berichterstattung fördert ein einheitliches Verständnis für die<br />
jeweiligen Berichtskriterien. Die durch die Offenlegung vermittelte<br />
Transparenz <strong>im</strong> Binnenmarkt und auch global sorgt entsprechend<br />
für Vergleichbarkeit <strong>im</strong> internationalen Wettbewerb: Der Gedanke<br />
ist, dass Investoren die Nachhaltigkeitsbemühungen eines Unternehmens<br />
durch deren Messbarkeit vergleichen können, um dann<br />
Investitionsentscheidungen bewusst <strong>im</strong> Sinne einer tiefergreifenden<br />
Nachhaltigkeitsstrategie zu treffen.<br />
Jüngstes Beispiel hierfür ist die politische Einigung zur<br />
ESG-Rating-VO. Die Veröffentlichung der ESG-Rating-VO <strong>im</strong><br />
EU-Amtsblatt wird für Ende 2024 erwartet. Finanzmarktteilnehmer<br />
und -berater nutzen schon heute von Drittgesellschaften bereitgestellte<br />
ESG-Ratings, die Bewertungen zum Nachhaltigkeitsprofil<br />
Kleine Kniffe<br />
25<br />
Kleine_Kniffe_Nachhaltig_Bauen.indd 25 03.07.24 08:46
eines Kapitalanlageproduktes oder eines Unternehmens erhalten.<br />
Vor diesem Hintergrund soll gemäß Art. 1 ESG-Rating-VO ein<br />
einheitlicher Regulierungsansatz eingeführt werden, um damit die<br />
Integrität, Transparenz, Vergleichbarkeit und Unabhängigkeit von<br />
ESG-Ratings zu verbessern.<br />
III.<br />
Herausforderungen und Chancen für<br />
Projektentwicklungen<br />
Projektentwicklungen leiden derzeit unter geopolitisch multiplen<br />
Krisen und einem fundamental veränderten Zinsumfeld.<br />
Die Beschaffung von Liquidität ist die zentrale Aufgabe von<br />
Projektentwicklern. Festzuhalten ist zunächst, dass nicht jeder Projektentwickler<br />
von den Anforderungen der Regulatorik unmittelbar<br />
betroffen sein dürfte. Aufgrund ihrer Größe und Unternehmensstruktur<br />
dürften sogar die wenigsten Projektentwickler unmittelbar<br />
von den Berichts- und Veröffentlichungspflichten selbst betroffen<br />
sein. Allerdings dürften in der anerkanntermaßen fremdkapitalhungrigen<br />
Projektentwicklungsbranche die finanzierenden Kapitalgeber,<br />
insbesondere Banken von den Berichtspflichten erfasst sein, die<br />
also in ihren Berichten prüfbar zu erklären haben, welche Finanzierung<br />
zu welchem Nachhaltigkeitszweck ausgegeben wurde.<br />
Demzufolge ist diejenige Projektentwicklung einem regulierten<br />
Fremdkapitalgeber leichter zu vermitteln, die in der Lage ist,<br />
erforderliche Kennzahlen für den Finanzierer bereitzustellen, weil<br />
der Projektentwickler die Anforderungen an seine Kapitalgeber<br />
gleichsam mitdenkt. Durch die CSRD wird zusätzlich erforderlich,<br />
weitreichendere Daten für die nichtfinanzielle Berichterstattung<br />
zu erheben, auszuwerten und bereitzustellen. Letztere betreffen<br />
die weiteren Stakeholder (bspw. Planungsbüros, Bauunternehmen<br />
oder Mieter). Dies ist bereits bei der Projektentwicklung und den<br />
Verhandlungsgesprächen mit Banken zu beachten. Die jeweils <strong>im</strong><br />
Projekt entstehenden Datenströme (Länge der Anlieferungswege,<br />
verwendete Materialien, Bauablauf und die hierbei jeweils freigesetzte<br />
Menge an CO₂ usw.) sind <strong>im</strong> Projekt zu erfassen und vor dem<br />
Hintergrund einer Lebenszyklusbetrachtung auszuwerten. Es gilt,<br />
sowohl Nachhaltigkeitsrisiken auf die eigene Wirtschaftstätigkeit<br />
als auch ihre Auswirkungen auf Umwelt und Gesellschaft zu prüfen<br />
(Double Materiality), abzuwägen und letztlich auch zu entscheiden.<br />
Dies sollte ganzheitlich gedacht und Synergien gehoben werden<br />
(dazu weiter Kap. V.).<br />
Gerade weil die Projektentwicklung sämtliche Leistungen vom<br />
Grundstückserwerb bis zum späteren Betrieb des Gebäudes umfasst,<br />
muss der gesamte Lebenszyklus eines Gebäudes berücksichtigt<br />
werden, was eben von der Regulatorik adressiert wird. Es soll eine<br />
ganzheitliche Bewertung der Nachhaltigkeit von Immobilien erfolgen.<br />
Dies indes nicht nur mit Blick auf Umweltkriterien, bspw. das<br />
Ziel der Kreislaufwirtschaft oder Biodiversität, sondern auch unter<br />
sozialen Kriterien und mit Blick auf die Unternehmensführung. In<br />
Bezug auf Umweltkriterien lassen sich damit korrespondierende<br />
Pflichten und Anforderungen <strong>im</strong> Neubau sicherlich einfacher als <strong>im</strong><br />
Bestand realisieren. Gleichwohl ist auch Letzterer von der Regulatorik<br />
umfasst, denn vor dem Hintergrund der vorgegeben Richtung<br />
der zunehmenden Entsiegelung, weniger Versiegelung und mehr<br />
Nachverdichtung, kommt ihm eine wichtige Rolle zu. Um diese ökologischen<br />
Ziele möglichst ökonomisch umzusetzen, sollten die dazu<br />
erforderlichen Investitionen mit einem individuellen Sanierungsfahrplan<br />
systematisch priorisiert werden, soll die eigene Immobilie<br />
nachhaltig bewirtschaftet, resp. kein unveräußerliches „stranded<br />
asset“ entstehen.<br />
Bei Bestands<strong>im</strong>mobilien ist Kernpunkt der Kaufentscheidung<br />
eines Investors die Due-Diligence-Prüfung zur Bewertung tatsächlicher<br />
und rechtlicher Risiken. Eine schlechte oder fehlende Datenlage<br />
führt zu Risiken bei der Bewertung resp. <strong>im</strong> schl<strong>im</strong>msten Fall zu<br />
einem unveräußerlichen Objekt. Um dennoch von einer schwierigen<br />
Datenlage betroffene Objekte veräußern zu können, bietet es<br />
sich bspw. an, mit dem Know-How eines Projektentwicklers ein<br />
Ertüchtigungskonzept beizufügen, welches unter Beachtung der<br />
regulatorischen Anforderungen die Tauglichkeit der Immobilie für<br />
die Zukunft best<strong>im</strong>mt. Vertraglich sind entsprechende Regelungen<br />
zum Kaufpreis zu regeln. Daneben muss aber auch bei der Vertragsgestaltung<br />
die Dynamik der Regulatorik berücksichtigt werden:<br />
So können sich die Technischen Bewertungskriterien (Anlage zur<br />
Tax-VO) oder sonstige Klassifizierungen ändern, sodass bei der Projektentwicklung<br />
aufgrund eines ggf. langen Realisierungszeitraums<br />
weitere Fragen vor dem Hintergrund einer aktualisierten Regulatorik<br />
beantwortet werden müssen.<br />
Vorrangig und essenziell ist zu beachten, dass ein einheitliches<br />
Verständnis über die Nachhaltigkeit geschaffen wird, entsprechende<br />
Kenndaten definiert und der Lebenszyklus als Maßstab dient, um<br />
über die lange Laufzeit bspw. nicht am Ende eine Immobilie zu entwickeln<br />
oder ertüchtigen, die der Dynamik der Regulatorik nicht<br />
standgehalten hat. Es empfiehlt sich alle Stakeholder in die Planung<br />
und Realisierung so frühzeitig wie möglich einzubinden.<br />
IV.<br />
Vertrags- und Nachtragsmanagement<br />
Bei bereits in Umsetzung befindlichen Bauprojekten kann es i. R.<br />
d. Vertrags- und Nachtragsmanagements schnell zu regulatorischen<br />
Einflüssen auf Leistungsänderungen kommen. Dies verdeutlichen<br />
die drei nachfolgend dargestellten Beispiele.<br />
1. Geplante oder vereinbarte Leistungsänderungen müssen<br />
auf deren Compliance mit einer Finanzierung des Projekts geprüft<br />
26 Kleine Kniffe<br />
Kleine_Kniffe_Nachhaltig_Bauen.indd 26 03.07.24 08:46
werden, bspw. wenn das Unternehmen einen sog. Green Bond, eine<br />
Anleihe ausgegeben hat. Mittlerweile emittieren auch Unternehmen<br />
aus umweltnahen Bereichen diese Wertpapiere, um entsprechend<br />
ausgerichtete Investitionen zu erhalten. Investoren, deren Fokus auf<br />
einer nachhaltigkeitsorientierten Rendite liegt, werden sich auf derartige<br />
Investments festlegen. Umgekehrt wird der Projektentwickler<br />
attraktiv für derartige Investments, sodass das vom Green Deal beabsichtige<br />
„Win-Win“ zum Zwecke der Nachhaltigkeit greifbar wird.<br />
2. Eine Überprüfung von Verträgen und Nachträgen hat vor<br />
dem Hintergrund der Ziele des Green Deals und der Zweckrichtung<br />
der bestehenden Regulatorik zu erfolgen. Daher sind Maßnahmen<br />
zur Erreichung der Zielvorgaben (Grunddatenstock) zu ergreifen.<br />
Diese Maßnahmen müssen dabei <strong>im</strong> Grundsatz flexibel aufgesetzt<br />
sein, damit regulatorische veränderte Zielrichtungen beantwortet<br />
werden können, z. B. auch vor dem Hintergrund, dass der Stand der<br />
Technik sich kontinuierlich verändert.<br />
3. Abschließend enthält die Regulatorik (z. B. durch die<br />
Tax-VO) sog. Technische Bewertungskriterien, die mitunter den<br />
Stand der Technik definieren. Sie fungiert als mögliche Quelle, den<br />
Nachhaltigkeitsbegriff zu schärfen und an entsprechende Finanzierungs-<br />
und Berichterstattungspflichten zu knüpfen. Dies ist u. a. von<br />
Planern und ausführenden Unternehmen zu beachten, soll mangelfrei<br />
geplant und gebaut werden.<br />
Es erscheint für die Beteiligten einer Projektentwicklung essenziell,<br />
eine fortlaufende Kommunikation zu Nachhaltigkeitsthemen<br />
während der Vertragslaufzeit zu gewährleisten, um durch partnerschaftliches<br />
Zusammenwirken gemeinsam das gesamte Potential<br />
des Objekts vor dem Hintergrund einer Nachhaltigkeitsbewertung<br />
auszuschöpfen. Es wird zu beobachten bleiben, ob sich das sog. „Partnering-Modell“,<br />
das zuletzt bei größeren Projektentwicklungen sehr<br />
häufig zu beobachten war, insgesamt als Zukunftsmodell für die Baubranche<br />
durchsetzen wird.<br />
sowie Skalierbarkeit zu schaffen. Ein gutes Verständnis der Regulatorik<br />
ist dafür zwingend, will man v. a. die Nachhaltigkeit definieren.<br />
Dabei hilft enorm, dass Datenpunkte neutral sind, sodass für jeden<br />
Stakeholder, trotz möglicher unterschiedlicher Interessenlagen, die<br />
Erfassung der relevanten einen Mehrwert bietet; der Zweck der<br />
Datenerhebung und -auswertung wird bereits durch die Regulatorik<br />
best<strong>im</strong>mt. Das sollte gerade bei der Vertragsgestaltung berücksichtigt<br />
werden, denn je besser die Datenlage und je besser diese aufbereitet<br />
ist, desto leichter wird es entsprechende Stakeholder für das Projekt<br />
zu gewinnen.<br />
VI.<br />
Fazit / Ausblick<br />
Die bestehende Dynamik und teilweise Unbest<strong>im</strong>mtheit der<br />
Regulatorik ist herausfordernd, gleichzeitig bietet sie das Potenzial,<br />
die Bau- und Immobilienwirtschaft grundlegend zu verändern.<br />
Nachhaltiges Bauen und Sanieren wird zur Norm werden und Unternehmen,<br />
die sich frühzeitig darauf einstellen oder eingestellt haben,<br />
können von diesem Wandel profitieren. Die Datenverfügbarkeit ist<br />
essenziell. Bei Neubauvorhaben ist die Berücksichtigung relevanter<br />
ESG-Daten gut zu bewerkstelligen; <strong>im</strong> Bestand wird dies zwar deutlich<br />
diffiziler, aber zwingend und daher umzusetzen. Für Letztere<br />
ist eine (neu gedachte) Due-Diligence unter Beachtung möglicher<br />
Ertüchtigungskonzepte und entsprechender Vertragsgestaltung<br />
wesentlich. Die Risiken lassen sich mit einer entsprechenden Vertragsgestaltung<br />
adressieren, sodass für Investition und Innovation<br />
Raum geschaffen werden kann. Gleichzeitig gilt es zu betonen, dass<br />
auch der beste Vertrag nicht hilft, wenn die Parteien ein entsprechendes<br />
Verständnis und eine partnerschaftliche Herangehensweise<br />
nicht aufweisen und teilen.<br />
V. Datenaufbereitung und-opt<strong>im</strong>ierung<br />
Die Regulatorik best<strong>im</strong>mt Berichts- und Transparenzerfordernisse.<br />
Die dafür erforderlichen „Nachhaltigkeitsangaben“ hängen von<br />
der Datenverfügbarkeit und -genauigkeit ab, sodass es sinnvoll ist,<br />
entsprechende Kennzahlen <strong>im</strong> Voraus zu determinieren und in der<br />
Projektrealisierung zu erfassen. Dies gelingt <strong>im</strong> Neubau einfacher<br />
als <strong>im</strong> Bestand. Gerade bei Letzterem liegt ein wesentliches Problem<br />
darin, dass die Datenlage in Deutschland weiterhin eine Herausforderung<br />
darstellt. Zu wenige liegen vor und zu selten werden<br />
diese interessengerecht aufbereitet. Daher sollte ein wesentliches<br />
Augenmerk darauf gerichtet werden, die erforderlichen Daten zu<br />
best<strong>im</strong>men, erfassen und eine rechtzeitige Verfügbarkeit zu sichern<br />
Autoren<br />
Michael Korn,<br />
PwC Legal, Rechtsanwalt, Bau- und Immobilienrecht<br />
Melanie Linke,<br />
PwC, Senior Manager | ESG Real Estate<br />
Dr. Tobias Nuß, LL.M.,<br />
Rechtsanwalt, Immobilienwirtschaftsrecht<br />
Kleine Kniffe<br />
27<br />
Kleine_Kniffe_Nachhaltig_Bauen.indd 27 03.07.24 08:46
Energetische Sanierung in öffentlichen Gebäuden<br />
Energetische Sanierung kommunaler Gebäude:<br />
Herausforderungen und Umsetzungsstrategien<br />
Der Gebäudesektor in Deutschland ist für etwa 35 Prozent des Endenergieverbrauchs und 30<br />
Prozent der CO₂-Emissionen verantwortlich. Viele kommunale Gebäude wie Schulen, Kitas,<br />
Rathäuser und Sportanlagen sind dringend sanierungsbedürftig. Das betrifft bei einer Stadt<br />
mit etwa 200.000 Einwohnern ungefähr 600 Gebäude. Durch energetische Sanierungen ihrer<br />
Lie-genschaften können Städte und Gemeinden den Energieverbrauch senken, zum Kl<strong>im</strong>aschutz<br />
beitragen und Kosten sparen.<br />
Ein Beitrag von Rechtsanwältin Dr. Ute Jasper und Rechtsanwalt Johannes Baumann<br />
In Deutschland ist die Reduktion von CO2-Emissionen <strong>im</strong><br />
Verkehrs- und Gebäudesektor eine zentrale Herausforderung, um<br />
die hohen Kl<strong>im</strong>aschutzziele zu erreichen. Besonders die gebäu-derelevanten<br />
Emissionen, die 2021 knapp 30 % der gesamten<br />
CO2-Emissionen ausmachten, sind ein großer Hebel. Die Bundesregierung<br />
hat sich das ehrgeizige Ziel gesetzt, bis 2045 den gesamten<br />
Bestand privater und öffentlicher Gebäude kl<strong>im</strong>aneutral zu versorgen.<br />
Viele Kommu-nen haben sich zudem verpflichtet, bis spätestens<br />
2035 Kl<strong>im</strong>aneutralität zu erreichen. Sie sind nun gefordert, effektive<br />
Maßnahmen zu finden und zeitnah umzusetzen.<br />
1. Ausgangslage und Zielkonflikte<br />
Um ihrer Vorbildrolle gerecht zu werden, müssen die Kommunen<br />
die Initiative ergreifen und mit der energetischen Sanierung<br />
ihrer Gebäude beginnen. Nicht ausreichend ist, nur energieeffizient<br />
zu bauen oder Solaranlagen auf Schulen zu installieren; vielmehr<br />
sind umfassendere Maßnah-men und ganzheitliche Lösungen erforderlich.<br />
Neben der energetischen Sanierung ihrer Gebäude haben Kommunen<br />
<strong>im</strong> Hinblick auf ihren Ge-bäudebestand zahlreiche andere<br />
Ziele zu verfolgen, wie die Schaffung moderner Arbeitsplätze, den<br />
Bedarf an neuen Schulen und Kitas, Nutzungswandel, notwendige<br />
Neubauten, sowie die Entwicklung von Innenstadtflächen. Die<br />
Kommunen müssen daher abwägen, welche Maßnah-men sie priorisieren.<br />
Standardlösungen für Sanierungsprojekt gibt es nicht.<br />
Gefordert sind maß-geschneiderte Ansätze, die die spezifischen<br />
Belange und Ziele einer Kommune berücksichtigen. Der Zeitfaktor<br />
spielt dabei eine wichtige Rolle. Häufig ist es ist besser, schnell zu<br />
handeln und 70 % der Maßnahmen umzusetzen, als perfekte Pläne<br />
zu schmieden, die nie realisiert werden.<br />
Energetische Sanierungsmaßnahmen erfordern hohe finanzielle<br />
Investitionen, die in Einklang mit anderen kommunalen Zielen wie<br />
städtischer Entwicklung, Bildung und Infrastruktur zu bringen sind.<br />
Die Kommunen stehen vor der Aufgabe, geeignete Finanzierungsmodelle<br />
zu finden. Contracting-Modelle, die Sanierungen über die<br />
eingesparten Energiekosten finanzieren, bieten eine Möglichkeit,<br />
den Haushalt zu schonen.<br />
Der Ablauf eines energetischen Sanierungsprojekts beinhaltet<br />
mehrere Phasen, von der Organi-sation und der Klärung von<br />
Zuständigkeiten über die Erfassung des Gebäudebestandes, die<br />
Erstellung eines Vergabefahrplans, der Vergabe der Leistungen<br />
bin hin zur Überwachung der Umsetzung. Kommunen müssen<br />
sich dabei überlegen, welche Kapazitäten sie für die Planung und<br />
Durchführung von Sanierungsmaßnahmen selbst haben und welche<br />
Leistungen extern zu vergeben sind. Sie müssen sicherstellen, dass<br />
sie sowohl über die notwendigen internen Kapazi-täten als auch<br />
über Zugang zu externem Fachwissen verfügen, um nachhaltige<br />
Sanierungspro-jekte erfolgreich durchzuführen.<br />
Zu den typischerweise auszuschreibenden Leistungen zählen<br />
Energieberatung, Projektsteue-rung, Architekten- und Ingenieurleistungen,<br />
Bauleistungen sowie die Objektbetreuung und<br />
-verwaltung. Häufig können Kommunen ihre Tochtergesellschaften<br />
durch Direktvergaben in den Prozess einbinden und Förderbanken<br />
sowie Energieberater helfen, Drittmittel zu identifizieren.<br />
28 Kleine Kniffe<br />
Kleine_Kniffe_Nachhaltig_Bauen.indd 28 03.07.24 08:46
Foto: depositphotos<br />
2. Erfassung des Gebäudebestandes<br />
Der erste Schritt zur Umsetzung eines Sanierungsprojekts<br />
besteht darin, den Gebäudebestand zu erfassen. Nur wenn Kommunen<br />
wissen, welchen energetischen Zustand ihre Gebäude ha-ben<br />
und wie deren Energieverbrauch ist, können sie passende Maßnahmen<br />
ergreifen.<br />
Ein innovatives Beispiel wie dies gelingen kann, sind thermographische<br />
Befliegungen, bei der Wärmebildkameras aus der Luft<br />
Wärmeverluste von Gebäuden erfassen. Solche Daten helfen, Prioritäten<br />
für energetische Sanierungen zu setzen, indem sie schlecht<br />
isolierte Bereiche identifi-zieren. Die Daten lassen sich sowohl für<br />
öffentliche als auch für private Gebäude nutzen.<br />
3. Handlungsvarianten: Einzelgebäude oder<br />
Gebäudepools<br />
Kommunen stehen vor der Wahl, einzelne Gebäude oder ganze<br />
Gebäudepools energetisch zu sanieren. Während die Sanierung einzelner<br />
Gebäude oft detaillierter auf spezifische Probleme eingeht,<br />
ermöglicht die Poolbildung eine effizientere Ressourcennutzung<br />
und Kostenteilung über mehrere Gebäude hinweg. Wenn Gebäude<br />
eines best<strong>im</strong>mten Typs und Alters, wie Turnhallen oder Krankenhäuser,<br />
besonders ineffizient sind, kann die Kommune diese in einem<br />
Gebäudepool zusammenfassen. Dies ermöglicht, den Gebäudepool<br />
einheitlich zu betrachten und schrittweise zu sanieren. Kommunen<br />
können beispielsweise mehrere gleichaltrige Schulen gemeinsam<br />
ana-lysieren und passende Sanierungsmaßnahmen entwickeln, die<br />
möglicherweise gemeinsam um-gesetzt werden können.<br />
4. Vergaberechtliche Gestaltung<br />
a) Planungs- und Bauleistungen<br />
Hat eine Kommune Sanierungsobjekte- und potentiale identifiziert,<br />
sind in der Regel Planungs- und Bauleistungen auszuschreiben.<br />
Kommunen haben hierbei verschiedene Optionen: die ge-trennte<br />
Vergabe von Planungs- und Bauleistungen und die Paketvergabe.<br />
Bei der getrennten Vergabe schreibt die Kommune zunächst Planungsleistungen<br />
aus, die von Architekten und Ingenieuren erbracht<br />
werden und in der Regel die Objektplanung und die Fach-planung,<br />
insbesondere die technische Ausrüstung der Gebäude, umfassen. Oft<br />
sind spezielle Planungsleistungen notwendig, insbesondere wenn es<br />
um Bausubstanzerhalt, Bestandsaufnah-men, technische Substanzerkundungen<br />
und Machbarkeitsstudien geht. Nach Abschluss der<br />
Planungsphase beauftragt der Auftraggeber dann Bauunternehmen,<br />
diese Planungen umzuset-zen, wobei die getrennte Vergabe typischerweise<br />
durch viele Schnittstellen zwischen den einzelnen Phasen<br />
gekennzeichnet ist.<br />
Bei der Paketvergabe vergibt die Kommune Planungs- und<br />
Bauleistungen zusammen auf Basis funktionaler Vorgaben an einen<br />
einzigen Auftragnehmer. Die Paketvergabe ist besonders dann<br />
geeignet, wenn die wesentlichen Rahmenbedingungen des späteren<br />
Auftrags feststehen. Vorteil einer Paketvergabe ist, das Know-How<br />
der Bieter durch Opt<strong>im</strong>ierungsvorschläge zu nutzen, Schnittstellen<br />
Kleine Kniffe<br />
29<br />
Kleine_Kniffe_Nachhaltig_Bauen.indd 29 03.07.24 08:46
Foto: depositphotos<br />
zwischen Planung und Bau zu vermeiden, den Bauunternehmer<br />
frühzeitig einzu-binden und so eine höhere Termin- und Kostensicherheit<br />
und einen geringeren Koordinations-aufwand für den<br />
Auftraggeber zu erreichen. Darüber hinaus eignet sich die Paketvergabe<br />
gut für die Integration neuer Techniken wie Building<br />
Information Modelling oder Lean Construction Ma-nagement. Vergaberechtlich<br />
ist zu beachten, dass Paketvergaben nur dann zulässig<br />
sind, wenn wirtschaftliche oder technische Gründe die gemeinsame<br />
Vergabe rechtfertigen (§ 97 Abs. 4 GWB). Ein wirtschaftlicher<br />
Grund für einen Losverzicht liegt insbesondere dann vor, wenn eine<br />
Aufteilung in Lose unverhältnismäßige Kostennachteile mit sich<br />
bringt oder zu einer starken zeit-lichen Verzögerung der Projekte<br />
führt.<br />
b) Energiespar-Contracting<br />
Auch Energiespar-Contracting-Modelle können für Kommunen<br />
attraktiv sein. Das Energiespar-Contracting ist auf die Steigerung der<br />
Energieeffizienz und die Reduzierung von Emissionen in kommunalen<br />
Gebäuden ausgerichtet. Dabei verpflichtet sich der Contractor,<br />
über einen festge-legten Zeitraum best<strong>im</strong>mte Energieeinsparungen<br />
zu erzielen, wobei er sowohl die Planungs- als auch die Bauleistungen<br />
erbringt. Dieser Ansatz führt zu einer hohen energetischen<br />
Qualität der Gebäude, da der Contractor durch seine technischen<br />
Kompetenzen und Erfahrungen effiziente Lösungen umsetzt, die zu<br />
Energieeinsparungen von bis zu 30-50 % führen.<br />
Ein Vorteil des Energiespar-Contractings liegt darin, dass die<br />
Kommunen keine unmittelbaren Investitionen tätigen müssen. Der<br />
Contractor übern<strong>im</strong>mt die erforderlichen Investitionen und trägt<br />
das wirtschaftliche sowie das technische Risiko der Maßnahmen.<br />
Nach Ablauf der Vertragslauf-zeit profitiert die Kommune vollständig<br />
von den Einsparungen, da die installierten Anlagen in ihr<br />
Eigentum übergehen. Dieses Modell bietet auch einen bedeutenden<br />
Wissenstransfer und eine Entlastung der kommunalen Ressourcen,<br />
da die Kommune während der Vertragslaufzeit vom Fachwissen des<br />
Contractor profiziert, ohne dass sie eigene Risiken eingeht.<br />
5. Fazit<br />
Kommunen sind dringend gefordert, ihre Gebäude energetisch<br />
zu sanieren, um Energiekosten zu reduzieren und ihre<br />
Kl<strong>im</strong>aschutzziele zu erreichen. Allerdings existiert keine universell<br />
geeig-nete Sanierungsstrategie, die auf alle Kommunen gleichermaßen<br />
anwendbar ist, da die Aus-gangslagen und Ziele stark von der<br />
jeweiligen kommunalen Ausgangslage abhängen. Eine effek-tive<br />
Sanierungsstrategie erfordert eine detaillierte, individuelle Analyse<br />
für jede Kommune, insbe-sondere des energetischen Zustands der<br />
Gebäude. Dabei müssen die Kommunen sicherstellen, dass sie nicht<br />
in der Planung stecken bleiben, sondern pragmatische und innovative<br />
Wege zur Umsetzung finden.<br />
Autoren<br />
RA. Dr. Ute Jasper und RA. Johannes Baumann<br />
Heuking Kühn Lüer Wojtek<br />
30 Kleine Kniffe<br />
Kleine_Kniffe_Nachhaltig_Bauen.indd 30 03.07.24 08:46
Kommunale Bau- und Liegenschaften<br />
BLB NRW setzt<br />
auf zukunftsweisende Maßnahmen<br />
Nachhaltigkeit ist für den Bau- und Liegenschaftsbetrieb NRW (BLB NRW), dem landeseigenen<br />
Immobiliendienstleister, kein Trend! Mit der Einrichtung des Zentralbereichs „Externes<br />
Environmental Social Governance Consulting“ (EESGC) <strong>im</strong> September 2023 schafft der BLB NRW<br />
eine neue Ebene: Die Beratung externer Landesangehöriger zu ESG-Themen.<br />
Ein Beitrag von Carolin Eich und Jan Kasper<br />
Der neue Zentralbereich unterstützt Kundinnen und Kunden<br />
umfassend und kompetent dabei, ökologische Standards mit ökonomischen<br />
Überlegungen zu verknüpfen und in ihren Projekten<br />
zu verwirklichen. Ziel ist es, Brücken zu unseren Kundinnen und<br />
Kunden zu bauen und als Dienstleister für die operativen Einheiten<br />
des BLB NRW zu fungieren.<br />
Fokus auf nachhaltige Sanierung<br />
Ein Schwerpunkt des Bereichs EESGC liegt auf der Beratung zur<br />
nachhaltigen Sanierung bestehender Gebäude, um deren CO2-Fußabdruck<br />
zu reduzieren und die Kl<strong>im</strong>aschutzziele zu erreichen. Diese<br />
Maßnahmen sind ökologisch sinnvoll und tragen zur Senkung der<br />
Energiekosten bei. Der BLB NRW unterstützt ebenfalls die Integration<br />
nachhaltiger Baupraktiken in die Planung von Gebäuden und<br />
betont die Bedeutung von Ressourcenschonung und Recycling <strong>im</strong><br />
Bauwesen.<br />
Eine Beratung zu verschiedenen Zertifizierungssystemen wird<br />
nicht angeboten. Gemäß Erlass muss das BNB-Zertifizierungssystem<br />
angewendet werden, dessen Systemvariante von der Konformitätsprüfungstelle<br />
der Oberfinanzdirektion (OFD) festgelegt wird.<br />
Abst<strong>im</strong>mungen dazu erfolgen direkt auf Projektebene unter Einbeziehung<br />
des Fachbereichs Planen, Bauen, Instrumente (FB PBI). Die<br />
Beurteilung der Gleichwertigkeit von anderen Zertifizierungssystemen<br />
zum BNB-System bei Ankauf und Anmietung ist bisher nicht<br />
geregelt.<br />
Beratung zu kl<strong>im</strong>afreundlichen Materialien<br />
Die Beratung zu kl<strong>im</strong>afreundlichen Materialien findet auf Projektebene<br />
statt, da hierfür umfangreiches operatives Fachwissen<br />
erforderlich ist. Dies erfolgt in den Niederlassungen. Der FB PBI ist<br />
bei der Erstellung und Begleitung der Ökobilanzen in den einzelnen<br />
Projekten tätig, wobei viele Aspekte gegeneinander abzuwägen sind.<br />
Eine globale Beratung zu nachhaltigen Materialien ist relativ schwer<br />
vorstellbar und wird nicht als zielführend angesehen.<br />
Der ZB EESGC berät jedoch übergeordnet zu Thema wie beispielsweise<br />
Umweltmanagement und den Umgang mit der Ressource<br />
Wasser, Kl<strong>im</strong>aresilienz (Begrünung, Verschattung, Mikrokl<strong>im</strong>a,<br />
Biodiversität) und innovative Energieversorgung.<br />
Insgesamt verfolgt der BLB NRW einen ganzheitlichen Ansatz,<br />
um nachhaltiges Bauen und Sanieren in Nordrhein-Westfalen voranzutreiben<br />
und damit einen wichtigen Beitrag zum Umwelt- und<br />
Kl<strong>im</strong>aschutz zu leisten.<br />
Bei Fragen zu den oben genannten Themen, können Sie sich<br />
gerne an unser Postfach ESG-Consulting@blb.nrw.de wenden.<br />
Autoren<br />
Carolin Eich:<br />
Referentin des Zentralbereichsleiters ESG-Consulting<br />
Jan Kasper:<br />
Fachbereichsleitung Environmental Governance<br />
Kleine Kniffe<br />
31<br />
Kleine_Kniffe_Nachhaltig_Bauen.indd 31 03.07.24 08:46
Kreislaufwirtschaft<br />
Ressourceneffizienz und<br />
Circular Economy (CE) in der Bauindustrie<br />
Strategien und Maßnahmen zur Gestaltung zukünftiger Bauprojekte<br />
Die offensichtliche Rolle des Baugewerbes be<strong>im</strong> Kl<strong>im</strong>awandel best<strong>im</strong>mt derzeit den architektonischen<br />
Diskurs. Historisch gesehen konzentrierte sich die Nachhaltigkeitsdebatte pr<strong>im</strong>är auf den<br />
Energieverbrauch während der Nutzungsphase von Gebäuden, seit die Politik in den 1970er Jahren<br />
Energieeffizienzbeschränkungen eingeführt hat, was zu einer verbesserten Energieeffizienz während dieser<br />
Phase führte. Wenig Fortschritt wurde jedoch bei der Herstellung und dem Abriss von Gebäuden erzielt,<br />
was zu einem <strong>im</strong>mensen Verbrauch von globalen Ressourcen, einer hohen Produktion von Abfall und einem<br />
bedeutenden Anteil an globalen CO 2<br />
-Emissionen <strong>im</strong> Bausektor geführt hat [1]. Infolgedessen besteht eine<br />
moralische Verpflichtung für die Bauindustrie, Ressourcen zu erhalten und ihre Auswirkungen auf die<br />
Umwelt auszugleichen.<br />
Ein Beitrag von Magdalena Zabek<br />
Obwohl europaweit Vorschriften<br />
zur Einsparung natürlicher<br />
Ressourcen und zur Erhöhung der<br />
Recyclingquoten erlassen wurden,<br />
dominiert nach wie vor eine lineare<br />
Wirtschaftsweise. Die Europäische<br />
Kommission führte 2018 [2] die<br />
EU-Abfallrichtlinie ein, die vorschreibt,<br />
dass ab 2020 alle neuen<br />
Bauprojekte eine Recyclingquote<br />
von 70 % nach Masse aufweisen<br />
müssen. Diese Diskrepanz zwischen<br />
politischen Vorgaben und<br />
praktischer Umsetzung bedeutet,<br />
dass Architekten und Planer nun<br />
in der Verantwortung stehen, Ressourceneinsparungsmaßnahmen<br />
in<br />
die Praxis umzusetzen.<br />
Übersicht<br />
Obwohl europaweit Vorschriften zur Einsparung natürlicher<br />
Ressourcen und zur Erhöhung der Recyclingquoten erlassen haben,<br />
dominiert nach wie vor eine lineare Wirtschaftsweise.<br />
Schlüsselfaktoren zu einer Kreislaufwirtschaft, die diesen Übergang<br />
unterstützen, sind die Schaffung eines Angebots und einer<br />
Nachfrage nach recycelten und nachwachsenden Bauprodukten.<br />
Insbesondere für die Anschaffung von nachhaltigen Produkten<br />
und die Beauftragung von Dienstleistungen kann eine funktionelle<br />
Vergabe durchgeführt werden. Dabei wird nicht das Günstigste,<br />
sondern das wirtschaftlichste Angebot ausgewählt. Zuschlagskriterien<br />
<strong>im</strong> Sinne des Ressourcenschutzes, wie Nachhaltigkeitszertifikate<br />
oder Ökobilanzindikatoren wie CO 2<br />
-Emissionen oder der Verbrauch<br />
von Ressourcen, können bewertet werden.<br />
Um Ressourceneffizienz und Kreislaufgerechtigkeit zu fördern,<br />
sollten klarere Regeln und Unterstützung für Planende und Bauherrschaften<br />
bereitgestellt werden.<br />
Das Konzept der Circular Economy<br />
als Antwort auf begrenzte<br />
Ressourcen und politische Ziele<br />
erscheint als eine <strong>im</strong>mer wichtigere<br />
Alternative. Mithilfe der CE als restauratives und regeneratives<br />
Modell besteht das Potenzial, den Verbrauch von Ressourcen, die<br />
Produktion von Abfällen und die erzeugten Emissionen zu min<strong>im</strong>ieren.<br />
Erwartete Nachfrage- und Investitionssteigerungen <strong>im</strong><br />
Baugewerbe werden prognostiziert, was mit einem globalen Anstieg<br />
bei der Förderung nicht erneuerbarer Ressourcen einhergeht. Daher<br />
besteht ein dringender Bedarf, diesen Übergang zu einer zirkulären-<br />
und ressourceneffizienteren<br />
Bauwirtschaft zu gestalten.<br />
Schlüsselfaktoren, die diesen<br />
Übergang unterstützen, sind die<br />
Schaffung eines Angebots und<br />
einer Nachfrage nach recycelten<br />
und nachwachsenden Bauprodukten.<br />
Um eine Circular Economy zu<br />
erreichen, müssen Strategien für die<br />
Wiederverwendbarkeit, hochwertiges<br />
Recycling von Bauprodukten<br />
und Einsatz von biogenen Baustoffen<br />
bereits bei der Beschaffung von<br />
Materialien umgesetzt werden.<br />
Dabei ist es wichtig, nicht nur<br />
nach dem wirtschaftlichsten Angebot<br />
zu entscheiden, sondern auch<br />
nach dem ressourceneffizientesten<br />
und zirkulärsten. Dafür müssen<br />
best<strong>im</strong>mte Kriterien wie die graue<br />
Energie oder die Nutzung von<br />
Ressourcen in die Entscheidungsprozesse<br />
integriert werden. Oft fehlt jedoch das Wissen über die<br />
Umsetzung, und Bauherrschaften planen und bauen weiterhin nach<br />
althergebrachten Kriterien. Dabei haben Kommunen als Bauherrschaft<br />
eine enorme Hebelwirkung, um Nachhaltigkeit umzusetzen.<br />
Dies jedoch erfordert ein ganzheitliches Denken entlang der gesamten<br />
Wertschöpfungskette, angefangen bei der Beschaffung von<br />
Materialien über die Beauftragung von Ressourcenfachplanern bis<br />
32 Kleine Kniffe<br />
Kleine_Kniffe_Nachhaltig_Bauen.indd 32 03.07.24 08:46
Abbildung 1: Circular Economy als regeneratives Modell<br />
hin zum selektiven Rückbau von Gebäuden. Gleichzeitig muss eine<br />
ökologische Beschaffung auf allen Ebenen erfolgen, von Infrastruktur<br />
und Außenanlagen bis hin zum Einfamilienhaus.<br />
Produktneutrale Ausschreibung<br />
Eine konkrete Umsetzung kann in verschiedenen Projektbereichen<br />
erfolgen, darunter Architekturwettbewerbe,<br />
Leistungsverzeichnisse für Fachplanerleistungen, Ausschreibungen<br />
von Generalunternehmern, Konzeption von Neubaugebieten oder<br />
Nachverdichtungen sowie die Anschaffung von nachhaltigen Produkten<br />
und die Umsetzung eines selektiven Rückbaus.<br />
Insbesondere für die Anschaffung von nachhaltigen Produkten<br />
und die Beauftragung von Dienstleistungen kann eine funktionelle<br />
Vergabe durchgeführt werden. Dabei wird nicht das Günstigste,<br />
sondern das wirtschaftlichste Angebot ausgewählt. Zuschlagskriterien<br />
<strong>im</strong> Sinne des Ressourcenschutzes, wie Nachhaltigkeitszertifikate<br />
oder Ökobilanzindikatoren wie CO 2<br />
-Emissionen oder der Verbrauch<br />
von Ressourcen, können bewertet werden.<br />
Ein weiteres wichtiges Zuschlagskriterium kann die Transportdistanz<br />
sein. Allerdings gilt dies nicht bei europaweiten<br />
Wettbewerben, da so Produkte aus dem Ausland ohne quantitative<br />
Bewertung benachteiligt würden. Als Lösung kann hier der<br />
CO 2<br />
-Ausstoß von Produktion und Transport als Zuschlagskriterium<br />
herangezogen werden.<br />
Neukonzeption von Architekturwettbewerben<br />
Architekturwettbewerbe und Konzeptvergaben von Gebäuden<br />
sind ein weiterer wichtiger Aspekt. Zukunftsfähiges Bauen beginnt<br />
bereits bei der Ausformulierung der Aufgabenstellung und der<br />
Definition des Bedarfs. Daher sollten Kriterien für unterschiedliche<br />
Teilleistungen genau beschrieben werden, um eine ganzheitliche<br />
Betrachtung zu ermöglichen. Zusätzlich zu den konventionellen<br />
Leistungen sollten auch neue Aufgaben wie baulogistische Konzepte,<br />
Funktionalitäts- und Flexibilitätskonzepte sowie Kreislaufgerechtigkeits-<br />
und Rückführungskonzepte gefordert werden.<br />
Das Bundesbauministerium hat 2013 Richtlinien zur Durchführung<br />
verschiedener Wettbewerbsformate zur Vergabe von<br />
Planungsleistungen herausgegeben. Mit der novellierten Richtlinie<br />
für Planungswettbewerbe [3] wurde ein Rahmen geschaffen,<br />
der eine rechtssichere Vergabe von Planungsleistungen mit Verfahrensabläufen,<br />
definierten Anforderungen und Vergabekriterien<br />
erleichtert. Formulierungen für eine ressourceneffiziente und kreislauffähige<br />
Wettbewerbsausschreibung können der „Systematik für<br />
Nachhaltigkeitsanforderungen in Planungswettbewerben“ (SNAP)<br />
[4] des BBSR entnommen werden.<br />
Zur Beurteilung der Wirtschaftlichkeit des Angebotes können<br />
eine Vielzahl von Einzelkriterien zur Anwendung kommen, deren<br />
prozentuale Gewichtung in der Ausschreibung offengelegt wird.<br />
Beispielsweise können folgende Zuschlagskriterien zur Vergabe<br />
herangezogen werden: Ideenskizze, Organisation, Qualifikation und<br />
Erfahrung des Projektteams oder Honorarangebot.<br />
Kleine Kniffe<br />
33<br />
Kleine_Kniffe_Nachhaltig_Bauen.indd 33 03.07.24 08:46
Abbildung 3: Planungshandbuch Ressourcenwende ReBAU. Bildquelle: Marcel Bilow<br />
Ressourcenplanende als Fachplanende<br />
Ein weiterer wichtiger Aspekt ist die Einbeziehung von Fachplanenden.<br />
Beispielweise hat die Stadt Viersen bei der Konzeption eines<br />
Wettbewerbes für ein Straßenverkehrsamt und eine Förderschule<br />
ressourceneffiziente und kreislauffähige Lösungen für Gebäude<br />
gefordert. Dabei hatten Planende die Möglichkeit, diese Anforderungen<br />
mithilfe von Ressourcenplanenden zu erfüllen. Ein Team von<br />
Planenden gewann den Wettbewerb und zeigte Wege zukünftiger<br />
Materialströme ihres Projekts auf. Durch eine enge Zusammenarbeit<br />
von unterschiedlichen Disziplinen gelang es, in einem sehr frühen<br />
Entwurfsstadium erfolgreich eine Ressourcenplanung zu integrieren.<br />
Somit spielen Fachplanende für Ressourcen eine entscheidende<br />
Rolle bei der Gewährleistung von Nachhaltigkeit und Effizienz in<br />
Bauprojekten. Potenzielle erbrachten Leistungen kann die Entwicklung<br />
von Konzepten zur Wiederverwendung, zum Rückbau und<br />
Recycling von Materialien und Strukturen nach ihrem Lebenszyklus<br />
sein. Auch die Konzeption von multifunktionalen Entwürfen sowie<br />
die Darstellung alternativer Nutzungsszenarien gehören zu diesen<br />
neuen Aufgabenspektrum. Die Erstellung eines Materialkatalogs ist<br />
ebenfalls von großer Bedeutung.<br />
Diese Leistungen müssen zukünftig in Ausschreibungen berücksichtigt<br />
und beauftragt werden. Es ist wichtig, dass sie auch in die<br />
Honorarverordnung für Architekten und Ingenieure (HOAI) einfließen,<br />
um eine einheitliche Bezahlung sicherzustellen. Zusätzliche<br />
Leistungen, die in einem kürzlich veröffentlichten digitalen Planungshandbuch<br />
beschrieben wurden, bieten eine Anleitung für eine<br />
ressourcenschonende und zirkuläre Planung entlang der HOAI-Phasen.<br />
Dabei werden Wege aufgezeigt, wie wiederverwendete oder<br />
recycelte Bauprodukte eingesetzt und nach dem Lebensende des<br />
Projekts als Bauprodukte zurückgewonnen werden können [5].<br />
Selektiver Rückbau statt Abriss<br />
Ein weiterer wichtiger Punkt zur Reduzierung von Abfall und<br />
zur Förderung von Recyclingprodukten ist die Umsetzung eines<br />
selektiven Rückbaus anstelle eines Abrisses. Bei der Ausschreibung<br />
für einen solchen Rückbau müssen mehrere Aspekte berücksichtigt<br />
werden. Dies beinhaltet die Festlegung von Qualifikationsanforderungen<br />
an die beteiligten Unternehmen, wie Zertifizierungen mit<br />
Fremdüberwachung, Vorlage von Zulassungen und Sicherheitsstandards.<br />
Die Ausschreibung sollte die Bieter auch über den Umfang<br />
des Angebots, den Schwierigkeitsgrad der Arbeiten, die Rahmenbedingungen<br />
sowie den Verwertungs- und Entsorgungsumfang<br />
informieren. Dabei ist es wichtig, dass sämtliche Entsorgungen und<br />
Verwertungen gemäß den Vorgaben des Kreislaufwirtschaftsgesetzes<br />
(KrWG) in Verbindung mit der Gewerbeabfallverordnung<br />
(GewAbfV) erfolgen. Des Weiteren müssen klare Anforderungen<br />
an die Verwertungsanlagen gestellt werden, etwa die Zertifizierung<br />
nach DIN EN 12620 für die Herstellung von rezyklierter Gesteinskör-<br />
34 Kleine Kniffe<br />
Kleine_Kniffe_Nachhaltig_Bauen.indd 34 03.07.24 08:46
Abbildung 2: 1. Preis Wettbewerb Neubau des Straßenverkehrsamtes und einer Förderschule in Viersen, nach dem Prinzip der „Zirkulären<br />
Wertschöpfung“, Architektenbüro Heiermann in Zusammenarbeit mit Fritzen + Müller-Giebeler Architekten BDA, Knüvener Architekturland<br />
und Linda Hildebrand. Quelle: Heiermann Architekten<br />
nung für Beton. Vorgaben für die Separierung der Abfallfraktionen<br />
sind ebenfalls wesentlich, insbesondere hinsichtlich der sortenreinen<br />
Verwertung von Mineralstofffraktionen wie Beton oder<br />
Ziegel. Dabei ist ein detailliertes Schadstoffgutachten mit einem<br />
Schadstoffkataster unabdingbar. Hierbei sollte der Prozess von der<br />
Bauüberwachung kontrolliert werden, um eine ordnungsgemäße<br />
Trennung von Gefahrstoffen und „sauberen“ Materialien sicherzustellen<br />
und Kontaminationen zu verhindern.<br />
Insgesamt erfordert die Gestaltung zukünftiger Bauprojekte ein<br />
Umdenken entlang der gesamten Wertschöpfungskette hin zu einer<br />
ressourceneffizienten und kreislauforientierten Bauwirtschaft. Dabei<br />
sind die Schaffung von Angeboten und Nachfragen nach recycelten<br />
und nachwachsenden Bauprodukten sowie die Einbindung von<br />
Fachplanenden entscheidend. Durch eine umfassende Betrachtung<br />
entlang der Wertschöpfungskette und die Berücksichtigung ökologischer<br />
Kriterien bei der Materialbeschaffung können Bauherrschaften<br />
einen erheblichen Beitrag zur Nachhaltigkeit leisten.<br />
Produktneutrale Ausschreibungen und ressourceneffiziente<br />
Architekturwettbewerbe sind wichtige Instrumente, um den Übergang<br />
zu einer kreislauforientierten Bauwirtschaft voranzutreiben.<br />
Ein zentraler Punkt ist die Umsetzung eines selektiven Rückbaus<br />
anstelle von Abriss, wobei klare Anforderungen an die beteiligten<br />
Unternehmen und Verwertungsanlagen gestellt werden müssen, um<br />
ein ordnungsgemäßes Recycling und Wiederverwerten von Bauteilen<br />
sicherzustellen.<br />
Um Ressourceneffizienz und Kreislaufgerechtigkeit zu fördern,<br />
sollten klarere Regeln und Unterstützung für Planende und Bauherrschaften<br />
bereitgestellt werden. Eine Novellierung der HOAI nach<br />
Ressourcenschutzleistungen ist dringend erforderlich. Gleichseitig<br />
kann durch die Bevorzugung ressourcenschonender Produkte bei<br />
Ausschreibungen sowie durch Förderungen von innovativen Ansätzen<br />
die Umsetzung einer Circular Economy unterstützt werden.<br />
Kostenlose Beratung für Kommunen, Bauherren und Planende kann<br />
dabei helfen, das Bewusstsein für Nachhaltigkeit in der Bauindustrie<br />
zu stärken und entsprechende Maßnahmen voranzutreiben.<br />
Literaturverzeichnis<br />
1. IRP, I.R.P., Assessing Global Resource Use. A Systems Approach to<br />
Resource Efficiency and Pollution Reduction. United Nations Environment<br />
Programme, 2017.<br />
2. BMJV, F.M.o.J.a.C.P., Commercial Waste Ordinance (Gewerbeabfallverordnung<br />
– GewAbfV). 2017.<br />
3. Bundesministerium für Umwelt, N., Bau und Reaktorsicherheit BMUB,<br />
Richtlinie für Planungswettbewerbe – RPW 2013. 2013, https://www.<br />
bmi.bund.de/SharedDocs/downloads/DE/veroeffentlichungen/2013/<br />
richtlinie-planungswettbewerbe.pdf?__blob=publicationFile&v=2.<br />
4. Bundesministerium für Verkehr, B.u.S.B., Systematik für Nachhaltigkeitsanforderungen<br />
in Planungswettbewerben SNAP – Empfehlungen.<br />
2013, https://www.nachhaltigesbauen.de/fileadmin/publikationen/<br />
SNAP_1_Empfehlungen-korr.pdf.<br />
5. Kreiß, L., et al., Baustelle Ressourcenwende, Planungshandbuch ressourceneffiziente<br />
und zirkuläre Architektur ReBAU, 2022, https://nextcloud.<br />
resscore.de/index.php/s/oQC6RoZdRewLpWs.<br />
Autorin:<br />
Magdalena Zabek<br />
Wissenschaftlerin<br />
Technische Universität Delft,<br />
Niederlande<br />
Kleine Kniffe<br />
35<br />
Kleine_Kniffe_Nachhaltig_Bauen.indd 35 03.07.24 08:46
Praxis des nachhaltigen Bauens<br />
Vorteile der industriellen, nachhaltigen<br />
Bauweise am Beispiel eines Wohngebäudes<br />
Das EU-weit höchste Wohngebäude in Modulbauweise entsteht in Bochum, Deutschlands<br />
fünftgrößter Universitätsstadt. 737 Apartments werden hier <strong>im</strong> Halbstundentakt zu einem<br />
Community-Campus für Studierende gefügt. Das zwölfgeschossige Wohngebäude ist Teil<br />
des Kl<strong>im</strong>aschutzquartiers Seven-Stones, das einen maßgeblichen Beitrag zum Erreichen der<br />
Kl<strong>im</strong>aschutzziele 2050 leisten soll. Hier zeigt sich, was modulares Bauen in der Fabrik mit<br />
vorgefertigten Raummodulen dazu beitragen kann und welche Rolle digitale Prozesse dabei<br />
spielen. Mit zusätzlichen Aspekten der Qualitätssicherung und Recyclingmaterialien gestaltet<br />
sich der Wohnungsneubau für Quartiere profitabel und nachhaltig.<br />
In Deutschland ist dieses zirkuläre Konzept noch weitgehend unbekannt. Wir wollten wissen,<br />
ob und wie diese Annahmen in die Praxis umgesetzt werden und sprachen deshalb mit Andreas<br />
Göbel von der Daiwa House Modular Europe GmbH.<br />
Das Interview führte Thomas Heine<br />
Wenn man an eine<br />
standardisierte Bauweise<br />
denkt, stellt sich schnell die<br />
Assoziation zur Uniformität<br />
ein. Wird dieses Vorurteil in<br />
Bochum bestätigt?<br />
Das Interview<br />
seit dreißig Jahren <strong>im</strong> Strukturwandel<br />
befindet und dabei <strong>im</strong>mer wieder neu<br />
erfindet.<br />
Was kostet modulares<br />
Bauen?<br />
Der Bochumer Community<br />
Campus ist in seinen D<strong>im</strong>ensionen<br />
einzigartig. Ebenso innovativ<br />
wie die Bauweise ist auch das<br />
neuartige Wohnkonzept für<br />
Studierende. Das neue Haus will<br />
mehr sein als ein herkömmliches<br />
Studentenwohnhe<strong>im</strong>.<br />
Wie eine vertikale Stadt in der<br />
Stadt beinhaltet der Community<br />
Campus neben Fitness-Studio,<br />
Cafeteria, Lounge, Waschsalon,<br />
Kopier- und Druckservice auch<br />
Studienräume für die gemeinsame<br />
Arbeit. Ein Concierge arbeitet<br />
zugleich als Community Manager<br />
am guten Zusammenleben auf dem Campus. Und den Studierenden<br />
stehen 500 hauseigene Fahrradstellplätze für den kurzen Weg<br />
zur Uni zur Verfügung. Viele neue Ideen für Menschen mit unterschiedlichen<br />
Lebensentwürfen und für eine Ruhrmetropole, die sich<br />
Andreas Göbel ist Architekt und und als Head of Acquisition<br />
bei der Daiwa House Modular Europe GmbH beschäftigt. Dieses<br />
Unternehmen ist bekannt für seine modulare Bauweise. Einer<br />
Bauweise mit min<strong>im</strong>alen Auswirkungen auf die Umwelt und die<br />
Gesellschaft, bei welcher hohe Qualität, Kreislauffähigkeit und<br />
Skalierbarkeit <strong>im</strong> Mittelpunkt stehen.<br />
Modulares Bauen ist eine ökologisch<br />
und ökonomisch sinnvolle<br />
Alternative zum herkömmlichen<br />
Bauen. Die Vorteile des seriellen<br />
Bauens werden auch <strong>im</strong> Hinblick auf<br />
Nachhaltigkeit konsequent genutzt.<br />
Aufgrund der präzisen digitalen<br />
Planung ist eine effiziente Materialbeschaffung<br />
möglich. Über den digitalen<br />
Zwilling des Gesamtgebäudes und<br />
der individuellen Module lässt sich<br />
ressourcenschonend bestellen und<br />
bauen.<br />
Die Kosten für den Bau eines<br />
Hauses mit standardisierten Modulen<br />
sind <strong>im</strong> Vergleich zum Massivbau in etwa 20% preiswerter. In<br />
beiden Fällen fallen Kosten für die Planung, das Grundstück und die<br />
technischen Anlagen an. Der größte Unterschied liegt in der Dauer<br />
des Bauprozesses. Während be<strong>im</strong> Massivbau mit einer Bauzeit von<br />
36 Kleine Kniffe<br />
Kleine_Kniffe_Nachhaltig_Bauen.indd 36 03.07.24 08:46
Foto: Daiwa House Modular Europe GmbH<br />
bis zu einem Jahr gerechnet werden muss, ist das Haus aus modularen<br />
Elementen bereits nach drei bis sechs Monaten bezugsfertig.<br />
Die MieterInnen oder StudentInnen können sich also schnell über<br />
einen Einzug in die Mietwohnungen oder die Studierendenwohnungen<br />
freuen.<br />
Wie gelingt es, die Geschwindigkeit des Bauprozess<br />
so enorm zu steigern?<br />
Schon be<strong>im</strong> ersten Gespräch mit ArchitektInnen, ProjektentwicklerInnen<br />
und AuftraggeberInnen beginnt die digitale<br />
Prozesskette. Wir erfassen die Wünsche am Tablet und entwickeln<br />
digitale Raumszenarien. In Grundrisskonstellation und Fassadengestaltung<br />
ist kaum wahrnehmbar, dass alles auf definierbaren<br />
Modulen basiert. Mit der Digitalisierung serieller Module sind<br />
zugleich zahlreiche Daten hinterlegt, die eine frühe Richtpreiskalkulation<br />
ermöglichen. Sind die wesentlichen Rahmendaten erfasst<br />
und die grundsätzliche Konstellation definiert, erfolgt die weitere<br />
Bearbeitung in einem dreid<strong>im</strong>ensionalen BIM-Modell. Dieses dient<br />
der kollisionsfreien Detailplanung für Raumbildung, Konstruktion<br />
und technischen Ausbau. Gleichzeitig bildet es die Basis für die Produktion<br />
der Module.<br />
Automatisierung und Robotisierung unterstützen diesen<br />
Prozess, da sie die Arbeitsproduktivität und die Produktionsgeschwindigkeit<br />
erhöhen. Dank der erhöhten Produktivität kann der<br />
Prozess in fast jedem Maßstab beschleunigt werden. Das schnelle<br />
Tempo hat also mehrere Gründe. Die Standardisierung ermöglicht<br />
es uns z.B., unmittelbar nach der Genehmigung der Baupläne mit<br />
der Projektdurchführung zu beginnen. Die Arbeiten auf der Baustelle<br />
können zeitgleich mit der Produktion der Wohnungsmodule <strong>im</strong><br />
Werk ausgeführt ausgeführt werden.<br />
Wie kann man sich die vorbereitenden Arbeiten in den<br />
Modulfabriken vorstellen?<br />
Die Vorfertigung <strong>im</strong> Modulwerk kann man sich vorstellen<br />
wie auf einer Werft: Witterungsunabhängig in einer großen Halle<br />
werden Stahlrahmen zum tragenden Gerüst gefügt. Schweißroboter<br />
verbinden die Stahlprofile, die zu 90 % aus Recyclingstahl bestehen.<br />
Die Fertigungsstraßen sind an moderne Produktionsverfahren in der<br />
Automobilindustrie angelehnt. Jedes Modul erhält einen QR-Code<br />
und ist jederzeit identifizierbar, die verbauten Materialien sind nachvollziehbar.<br />
An allen Stationen werden passgenau die benötigten<br />
Teile bereitgestellt. Auf diese Weise können Verschnitt und Abfälle<br />
reduziert werden. Trockenbauwände werden von Robotern gebaut.<br />
Auch Fenster werden bereits werkseitig montiert. Die in der Regel<br />
auf der Baustelle ausgeführte vorgehängte hinterlüftete Gesamtfassade<br />
ist vielfältig gestaltbar und lässt sich individuell auf Standort und<br />
städtebauliche Gegebenheiten abst<strong>im</strong>men<br />
Kann man bei dieser industrialisierten Bauweise auch<br />
den Aspekt der Nachhaltigkeit berücksichtigen?<br />
Die Vorteile des seriellen Bauens werden auch <strong>im</strong> Hinblick auf<br />
Nachhaltigkeit konsequent genutzt. Aufgrund der präzisen digitalen<br />
Planung ist eine effiziente Materialbeschaffung möglich. Über<br />
den digitalen Zwilling des Gesamtgebäudes und der individuellen<br />
Kleine Kniffe<br />
37<br />
Kleine_Kniffe_Nachhaltig_Bauen.indd 37 03.07.24 08:46
Foto: Daiwa House Modular Europe GmbH<br />
Module lässt sich ressourcenschonend bestellen und bauen. Auch<br />
Verschnitt kann auf diese Weise erfasst und gegebenenfalls an<br />
anderer Stelle wieder eingesetzt werden. Schon heute sind 83 % der<br />
Produktionsabfälle recycelbar. Außerdem kann über das Monitoring<br />
der CO₂-Bilanzierung die Umweltbelastung weiter reduziert werden.<br />
Modulares Bauen ist also nicht nur ressourcenschonend, sondern<br />
auch umweltschonend – auch das spart Kosten. Durch die<br />
serielle Produktion von Modulen lässt sich effizient und schonend<br />
mit Ressourcen umgehen, da die Module in einer Fabrik produziert<br />
werden und somit weniger Baustellenabfälle anfallen.<br />
Auf welche Weise verfolgen Sie die Zielsetzung einer<br />
Kreislaufwirtschaft in der Produktion und Verwendung<br />
der Komponenten?<br />
Eine besondere Chance liegt <strong>im</strong> Wiederverwertungspotenial<br />
der hybriden Module. Die cloudbasierte Erfassung aller Daten eines<br />
Moduls ermöglicht die digitale Begleitung während des gesamten<br />
Lebenszyklus: von Produktion, Transport und mill<strong>im</strong>etergenauer<br />
Positionierung auf der Baustelle über Pflege, Wartung und Revision<br />
während der Nutzungsdauer bis zu Umnutzung oder Umbau,<br />
Rückbau und Reuse/Wiedernutzung der Module Die komplette<br />
Dokumentation darüber, welches Modul wo eingesetzt und verfügbar<br />
ist, eröffnet ganz neue D<strong>im</strong>ensionen für die Kreislaufwirtschaft<br />
von Gebäuden. Cradle to Cradle ist bei Daiwa House Modular<br />
Europe seit Jahren ein gelebtes Prinzip. Hier gilt es in großem Maßstab:<br />
nicht nur für einzelne Produkte oder Werkstoffe, sondern für<br />
ganze Gebäude. Schon heute werden 80 % der Module wiederverwendet.<br />
Ähnlich wie mit Legosteinen lassen sich aus den einzelnen<br />
Elementen neue Konstellationen kreieren und neue Häuser für neue<br />
Anforderungen entwickeln. Für ganze Gebäude bietet der Hersteller<br />
eine Rücknahmegarantie. Denn jedes Modul hat einen Restwert –<br />
auch wenn es in seinem ersten originären Einsatz <strong>im</strong> Gebäude nicht<br />
mehr benötigt wird.<br />
Der CO 2<br />
-Ausstoss in der Lieferkette ist zurzeit ein best<strong>im</strong>mendes<br />
Thema <strong>im</strong> <strong>Einkauf</strong>. Wie reduzieren Sie den<br />
CO 2<br />
-Ausstoss in der Produktion?<br />
Bis 2030 wird eine Nullprozent-Abfallquote angestrebt. Die<br />
Modulfabriken in den Niederlanden werden mit 100 % Ökostrom<br />
betrieben. Mit der Materialdaten-Software Ecochain erfolgt ein<br />
kontinuierliches Monitoring der CO 2<br />
-Bilanzierung des Herstellungs-<br />
und Bauprozesses, um die Emissionen weiter zu reduzieren<br />
38 Kleine Kniffe<br />
Kleine_Kniffe_Nachhaltig_Bauen.indd 38 03.07.24 08:46
und für den in den Niederlanden mittlerweile benötigten Neubau-CO<br />
2<br />
-Nachweis zu dokumentieren.<br />
Wie würden Sie die Vorteile einer industrialisierten<br />
Modulbauweise zusammenfassen?<br />
Eine nachhaltige Bauweise mit min<strong>im</strong>alen Auswirkungen auf die<br />
Umwelt und die Gesellschaft, bei welcher hohe Qualität, Kreislauffähigkeit<br />
und Skalierbarkeit <strong>im</strong> Mittelpunkt stehen. Industrialisierte,<br />
modulare Bauweise bedeutet zirkulär und demontierbar bauen. Die<br />
standardisierten Module erhalten nach der Erstnutzung von rund 60<br />
bis 80 Jahren ein zweites und ggf. drittes Leben. Zirkuläres Bauen<br />
revolutionär die Baubranche, da wir mit unseren Ressourcen sparsam<br />
umgehen sollten. Zum Wohl unserer Enkel!<br />
Das Interview führte<br />
Thomas Heine<br />
Chefredakteur<br />
www.nachhaltige-beschaffung.com<br />
Foto: depositphotos<br />
Kleine Kniffe<br />
39<br />
Kleine_Kniffe_Nachhaltig_Bauen.indd 39 03.07.24 08:46
Kreislaufwirtschaft<br />
Kreislaufwirtschaft als zentraler<br />
Baustein der nachhaltigen Beschaffung<br />
In Deutschland und Europa ist ein klarer Trend zum kreislaufgerechten Bauen zu erkennen.<br />
Seitens der politischen Gesetzgeber spricht sich nicht nur die aktuelle Regierung deutlich für<br />
das zirkuläre Bauen aus. Der Grund hierfür: 40 Prozent des CO 2<br />
-Ausstoßes und 60 Prozent des<br />
Abfalls stammen aus der Baubranche. Nur ein Bruchteil aller Materialien dieser umsatzstarken<br />
Branche werden nach dem Rückbau aktuell wiederverwendet und machen sie somit zum größten<br />
Umweltverschmutzer weltweit.<br />
Ein Beitrag von Franziska Stein<br />
Trend zum Urban Mining<br />
Seitens der freien Wirtschaft stehen sämtliche Akteure der<br />
Baubranche unter gesellschaftlichen und politischen Druck,<br />
CO 2<br />
-Emissionen und Abfälle zu reduzieren und ihre Nachhaltigkeitsaktivitäten<br />
zu berichten.<br />
Für große Unternehmen mit Gebäudeeigentum, auch außerhalb<br />
der Baubranche, wird Nachhaltigkeit somit <strong>im</strong>mer mehr zu einem<br />
Thema und die verschiedenen Akteure der Branche werden sich<br />
zunehmend ihres Einflusses auf den Kl<strong>im</strong>awandel und der damit<br />
einhergehenden Verantwortung bewusst. Ersparnisse müssen<br />
verstärkt in den Nachhaltigkeitsberichten der Investor:innen ausgewiesen<br />
werden. Hersteller von Bauprodukten- und Materialien sind<br />
aufgrund von Vorschriften und der erweiterten Herstellerverantwortung<br />
(ERP) zunehmend verpflichtet, ihre eigenen Materialien<br />
zurückzunehmen und wieder aufzubereiten. Und <strong>im</strong>mer mehr Architektur-<br />
und Ingenieurbüros schreiben sich nachhaltiges Bauen auf<br />
ihre Fahnen.<br />
Aber auch außerhalb von Nachhaltigkeitstrends gibt es eine<br />
<strong>im</strong>mer größer werdende Notwendigkeit für wiederverwendbare<br />
Baumaterialien. Die Ressourcenknappheit ist ein Thema, das langfristig<br />
die Baubranche beschäftigen wird. Die sinkende Verfügbarkeit<br />
von Materialien und Baustoffen sowie aktuell zu beobachtende<br />
Preissteigerungen von Produkten verlangen einen Umbruch in der<br />
Baubranche, hin zu einem nachhaltigen System, das synergetisch mit<br />
seiner Umwelt umgeht. Die Erfassung und Bewertung von Materialien<br />
und Bauteilen <strong>im</strong> Bestand sowie für neue Gebäude sind dabei<br />
ein zentraler Baustein eines kreislauffähigen Systems.<br />
Kreislaufgerechte Beschaffung<br />
Ressourcenknappheit und zukünftige Berichtspflichten wirken<br />
sich auch auf die Beschaffung aus. Kreislaufgerechtes Wirtschaften<br />
kann hier durch effiziente und messbare Einsparungen bei Emissionen<br />
und Ressourcen zu erheblichen Wettbewerbsvorteilen führen.<br />
Das Ziel für alle Unternehmen mit Nachhaltigkeitszielen sollte sein,<br />
Materialien und Produkte so oft wie möglich wiederzuverwenden,<br />
anstatt <strong>im</strong>mer wieder neues Material beschaffen zu müssen.<br />
Auf Plattformen für zirkuläre Materialien oder auch Re-Use-Materialien<br />
können Baumaterialien, aber auch Büroeinrichtung aus<br />
der Wiedergewinnung in großem Maßstab erworben werden.<br />
Plattformen wie Concular stellen ein ganzes Ökosystem zirkulärer<br />
Beschaffungslösungen zur Verfügung. Über die zirkuläre Ökobilan-<br />
40 Kleine Kniffe<br />
Kleine_Kniffe_Nachhaltig_Bauen.indd 40 03.07.24 08:46
Foto: depositphotos<br />
zierung werden die Einsparungen, die über die Verwendung von<br />
Re-Use-Produkten erzielt werden, gemessen und auf das notwendige<br />
Reporting abgest<strong>im</strong>mt. Bei Bedarf übern<strong>im</strong>mt der Anbieter<br />
außerdem Leistungen wie die Zwischenlagerung in “Urban Mining<br />
Hubs”, die Aufbereitung der Produkte und auch die Sicherstellung<br />
einer Gewährleistung, die gleichwertig ist zu jener, die Neuprodukte<br />
mitbringen.<br />
Wirtschaftliche Perspektiven durch die<br />
Wiederverwendung<br />
Durch die Wiederverwendung von bestehenden Materialien<br />
und Ressourcen, können nicht nur negative Auswirkungen auf die<br />
Umwelt erheblich reduziert, sondern auch wirtschaftliche Vorteile<br />
erzielt werden. Für Bauherren, die Materialien in Sekundärnutzung<br />
verwenden, entsteht aktuell ein erheblicher wirtschaftlicher Anreiz,<br />
bestehend aus der Kosteneinsparung durch die Vermeidung der Entsorgungs-<br />
und Deponiekosten und bessere Finanzierungsoptionen<br />
am Finanzmarkt, Treiber sind hier ESG-Kriterien und EU-Gesetze<br />
wie z.B. die Taxonomy for Sustainable Finance.<br />
Ebenfalls kann durch die Wiederverwendung aktuell zu<br />
beobachtenden Preissteigerungen sowie auch einer steigenden<br />
CO 2<br />
-Bepreisung begegnet werden. Mit entsprechenden digitalen<br />
Tools und Softwarelösungen zur Nachhaltigkeitsberichterstattung<br />
zeigt sich schon heute in der Praxis, in welchem Maß ein Mehrwert<br />
aus der Wiederverwendung von Baumaterialien und Gebäudeausstattung<br />
entstehen kann. Insbesondere bei Bauprojekten besteht<br />
schon jetzt die Möglichkeit, die Ausstattung mit Systemtrennwänden,<br />
Fußboden- und Deckenelementen sowie Möblierung mit bis zu<br />
90% Re-Use-Materialien zu gestalten. Das Einsparpotenzial liegt hier<br />
bei über 80 % gegenüber einer herkömmlichen Bauweise mit Neuware.<br />
Zusätzlich biete eine zirkuläre Bauweise die Möglichkeit, auch<br />
diese MAterialien in der Zukunft nach Ausbau wiederzuverwenden<br />
und damit den Materialkreislauf geschlossen zu halten.<br />
Autorin<br />
Franziska Stein<br />
Concular GmbH<br />
franziska.stein@concular.com<br />
M +49 157 736 77125<br />
Kleine Kniffe<br />
41<br />
Kleine_Kniffe_Nachhaltig_Bauen.indd 41 03.07.24 08:46
Rahmenbedingungen<br />
„Transformation ist ein Marathon und kein Sprint“<br />
Jens Loschwitz, Geschäftsführer be<strong>im</strong> BDE Bundesverband der Deutschen Entsorgungs-, Wasser-<br />
und Kreislaufwirtschaft e. V., wirbt seit längerem für die Gründung einer neuen EU-Agentur für<br />
Kreislaufwirtschaft. Im Gespräch mit Thomas Heine erklärt er, warum.<br />
Das Interview führte Thomas Heine<br />
Warum brauchen wir eine EU-Agentur für Kreislaufwirtschaft?<br />
Können sich nicht die EU-Mitgliedstaaten um die<br />
Umsetzung kümmern?<br />
Mit der neuen Legislaturperiode der Europäischen Institutionen<br />
ab Juni 2024 wird eine künftige EU-Kommission neue politische<br />
Schwerpunkte setzen. Der Green Deal und insbesondere die<br />
Transformation des europäischen Wirtschaftsraums hin zu einer<br />
Kreislaufwirtschaft ist indes noch gar nicht abgeschlossen. Im nächsten<br />
Jahrzehnt geht es darum, den in den letzten Jahren gezeichneten<br />
Rechtsrahmen auch <strong>im</strong> Detail umzusetzen. Darum wird sich jemand<br />
kümmern müssen. Eine neue EU-Agentur für Kreislaufwirtschaft<br />
wäre hierfür geeignet.<br />
Reichen denn die vielen Änderungen des EU-Rechtsrahmens<br />
der letzten Jahre nicht?<br />
Die EU-Mitgliedstaaten werden dies aller Erfahrung nach nicht<br />
leisten. Es braucht einen kompetenten Akteur, der – unabhängig<br />
von politischen Wetterlagen – dauerhafter und resilienter Motor<br />
und St<strong>im</strong>me des Green Deals ist. Tatsächlich werden EU-Rechtstexte<br />
in den EU-Mitgliedstaaten häufig <strong>im</strong>mer noch unterschiedlich<br />
interpretiert. Sofern die Umsetzung einer EU-Richtlinie in nationales<br />
Recht auf dem Papier 1:1 erfolgt, erleben wir nicht selten, dass<br />
gesetzliche Vorgaben von den Behörden vor Ort nicht durchgesetzt<br />
werden. Das gilt in Deutschland beispielsweise für die Getrennterfassungsvorgaben<br />
für Bio- und Gewerbeabfälle.<br />
Sind das denn nicht Petitessen?<br />
Es geht vor allem darum, den gezeichneten Rahmen auch ins<br />
Kleingedruckte zu übersetzen und die Transformation zu einem<br />
Business Case zu machen. Die PS des Green Deals müssen praktisch<br />
sowie dauerhaft auf die Straße gebracht werden. Auch der<br />
Unternehmensappell „Die Transformation als Jahrhundertprojekt”,<br />
initiiert von der Stiftung Kl<strong>im</strong>aWirtschaft, von Anfang des Jahres,<br />
machte klar, dass die Transformation ein Marathon und kein Sprint<br />
ist. Der Unternehmensappell hat vollkommen zurecht die Botschaft,<br />
dass Transformationsprozesse und die notwendigen Investitionsentscheidungen<br />
„auf 20, 30 oder 40 Jahre angelegt“ sind und „nicht<br />
nach jedem Regierungswechsel angepasst oder gar revidiert werden“<br />
können.<br />
Ganz <strong>im</strong> Gegenteil: Der jüngste Frühwarnbericht der<br />
EU-Kommission hat deutlich gemacht, dass die Mehrheit der<br />
EU-Mitgliedstaaten Gefahr läuft, die aktuellen EU-Vorgaben zum<br />
Recycling nicht zu erreichen. Das ist nicht nur ein ökologisches<br />
Problem, sondern wird vor allem ein strategisches Problem für den<br />
Standort Europa, wenn es um die dauerhafte Versorgung der produzierenden<br />
Industrie in Europa mit Rohstoffen geht. Auch der sog.<br />
Critical Raw Materials Act sieht eine maßgebliche Säule <strong>im</strong> Einsatz<br />
von Recyclingmaterialien in Produkten. Eine stärker kreislauforientierte<br />
Wirtschaft ist also auch ein Standortvorteil in einer Welt<br />
zunehmend knapper werdender Ressourcen.<br />
42 Kleine Kniffe<br />
Kleine_Kniffe_Nachhaltig_Bauen.indd 42 03.07.24 08:46
Foto: Hoffotografen Berlin<br />
Das Potential von Recyclingrohstoffen wird doch<br />
bisher gar nicht gehoben. Die Circular Material Use Rate<br />
steigt kaum Nach Angaben von Eurostat betrug die Circular<br />
Material Use Rate in der EU 2022 11,5 Prozent.<br />
Die Ursachen hierfür sind vielfältig. Beispielhaft möchte<br />
ich nur die beiden großen Hebel Green Public Procurement und<br />
Mindestrezyklateinsatzquoten für best<strong>im</strong>mte Stoffströme nennen.<br />
Was fehlt ist ein Transmissionsriemen zwischen Rechtsetzung auf<br />
EU-Ebene einerseits und der Praxis in den EU-Mitgliedstaaten<br />
andererseits. Recyclingrohstoffe als Teil der EU-Rohstoffstrategie<br />
einzuordnen, heißt auch, dass der (Nicht-) Vollzug der EU-Abfallvorschriften<br />
nicht weiter dem Zufall des Verständnisses der<br />
jeweiligen EU-Mitgliedsstaaten überlassen werden darf.<br />
Wer soll das alles <strong>im</strong> Blick haben?<br />
Genau das ist der Punkt. Bisher fehlt letztlich ein Steuermann<br />
auf der Brücke, der durch die von Eurostat erfassten Daten navigiert,<br />
diese einordnet und vor allem das strategische Transformationsziel<br />
zu einer gelebten Kreislaufwirtschaft <strong>im</strong> Blick hat und die zur Verfügung<br />
gestellten Instrumente auch einsetzt. Genau diese Aufgabe<br />
könnte eine Europäische Kreislaufwirtschaftsagentur übernehmen.<br />
Gibt es denn Vorbilder?<br />
ECHA). Ähnlich wie die ECHA faktisch die „administrative Adresse“<br />
für einen funktionierenden Chemikalienmarkt ist, wäre eine neue<br />
EU-Agentur für Kreislaufwirtschaft ein praxisnaher „Ermöglicher“<br />
und Motor einer funktionierenden Kreislaufwirtschaft <strong>im</strong> Binnenmarkt.<br />
Diese könnte auch das sogenannte Ende der Abfalleigenschaft<br />
in den Blick nehmen.<br />
Ist denn der Weg aus dem Abfallrecht so einfach?<br />
In der Praxis häufig eben nicht. Gerade am Beispiel der ECHA<br />
zeigt sich auch, wie wichtig ein „Verbindungsoffizier“ zur ECHA ist.<br />
Eine Kreislaufwirtschaft kann nur funktionieren, wenn die Kommunikation<br />
an den wichtigen Schnittstellen wie von Chemikalien- und<br />
Abfallrecht eben keine Brüche aufweist. Das Silo-Denken ist das<br />
größte Hindernis für eine funktionierende Kreislaufwirtschaft.<br />
Welche Aufgaben sehen Sie noch bei einer<br />
EU-Agentur für Kreislaufwirtschaft?<br />
Eine EU-Agentur für Kreislaufwirtschaft könnte auch die Aufgabe<br />
einer EU-Verbringungsbehörde bei notifizierungspflichtigen<br />
Verbringungen ohne Berührung zu Drittstaaten wahrnehmen. In<br />
einem funktionierenden „Schengenraum für Abfälle“, der möglichst<br />
alle Mitgliedstaaten umfasst, muss Kreislaufwirtschaft EU-weit<br />
gemeinsam organisiert und gelebt werden.<br />
In der EU gibt es über 30 EU-Agenturen. Eine davon ist die<br />
Europäische Chemikalienagentur (European Chemicals Agency -<br />
Kleine Kniffe<br />
43<br />
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Foto: depositphotos<br />
Könnte das nicht die Europäische Umweltagentur<br />
machen?<br />
Bestehende EU-Agenturen wie beispielsweise die Europäische<br />
Umweltagentur (EUA) haben einen ganz anderen Fokus; bei der<br />
EUA ist das zum Beispiel die Entwicklung, Umsetzung und Bewertung<br />
umweltpolitischer Maßnahmen. Die EUA kann nicht „nebenbei“<br />
auch die Transformation der EU-Wirtschaft bewerkstelligen.<br />
Scheitert die Gründung einer solchen Agentur nicht<br />
am „Brüsseler Dickicht“?<br />
Eine EU-Agentur für Kreislaufwirtschaft würde den verabredeten<br />
gemeinsamen Anforderungen von Europäischem Parlament,<br />
EU-Rat und EU-Kommission an die Gründung von EU-Agenturen<br />
gerecht. Agenturen müssen insbesondere einen Beitrag zur Implementierung<br />
wichtiger EU-Politiken in den EU-Mitgliedstaaten<br />
leisten. Das gilt zweifelsohne für die „Herzkammer“ des EU-Green<br />
Deals: dem Neuen Kreislaufwirtschaftsaktionsplan. Neben der bereits<br />
ausgeführten strategischen Bedeutung von Recyclingrohstoffen<br />
für den Produktionsstandort Europa ist dessen Umsetzung essentiell<br />
zur Erreichung der Kl<strong>im</strong>aneutralität der EU bis zum Jahr 2050.<br />
Wo ist der Mehrwert für die EU-Bürger?<br />
Mit dem europäischen Grünen Deal hat die EU-Kommission<br />
große Erwartungen geweckt. Neben dem Ziel Kl<strong>im</strong>aneutralität bis<br />
2050 waren auch das Versprechen enthalten, das Wirtschaftswachstum<br />
von der Ressourcennutzung abzukoppeln und „niemanden,<br />
weder Mensch noch Region, <strong>im</strong> Stich zu lassen“. Dieses Versprechen<br />
gilt es auch einzulösen und nun auch – mit einem Hands on-Ansatz -<br />
in der globalen Transformation eine entscheidende Rolle zu spielen.<br />
Der Erfolg der Transformation entscheidet letztlich über den künftigen<br />
Wohlstand.<br />
Das Interview führte<br />
Thomas Heine<br />
Chefredakteur<br />
www.nachhaltige-beschaffung.com<br />
44 Kleine Kniffe<br />
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Kleine Kniffe<br />
45<br />
Kleine_Kniffe_Nachhaltig_Bauen.indd 45 03.07.24 08:46
Zertifizierung<br />
Ganzheitlich und lebenszyklus orientiert:<br />
die DNA des DGNB Systems<br />
Von Kl<strong>im</strong>akrise über Ressourcenknappheit bis hin zum Verlust der Biodiversität, der Bau- und<br />
Immobiliensektor hat auf zahlreiche der aktuell vorherrschenden Krisenthemen einen großen<br />
Einfluss. Gefragt ist ein ganzheitlich nachhaltiges Handeln aller Beteiligten, um unsere Umwelt für<br />
alle Menschen weltweit nicht nur heute, sondern auch für die Zukunft positiv zu gestalten. Dabei<br />
gilt es viele Faktoren zu beachten.<br />
Ein Beitrag von Dr. Christine Lemaitre<br />
Neben einer kl<strong>im</strong>aschonenden und energieeffizienten Bauweise<br />
sind die eingesetzten Materialien ausschlaggebend sowohl bei der<br />
Sanierung als auch bei der Errichtung zukunftsfähiger Gebäude. Zu<br />
den Hauptmaterialien für Konstruktion und Fassade kommen die<br />
Materialien für den Innenausbau und die Möblierung ebenso wie<br />
die verbaute Technik. Bereits vor dem <strong>Einkauf</strong> der einzelnen Teile<br />
werden eine ganze Menge an Energie und Ressourcen benötigt.<br />
Begonnen be<strong>im</strong> Abbau der Rohstoffe über die Produktion bis hin<br />
zu Transport und Einbau. Neben einem reduzierten Materialeinsatz<br />
geht es also darum, kl<strong>im</strong>aneutrale, kreislauffähige, gesunde und sozialverträgliche<br />
Produkte auszuwählen. Bei all diesen Themen wird<br />
der EU Green Deal und die damit einhergehenden Regularien zum<br />
nachhaltigen Wirtschaften helfen. Gefragt ist aber auch die Bereitschaft<br />
jedes Einzelnen, das Opt<strong>im</strong>um <strong>im</strong> eigenen Wirkungskreis<br />
rauszuholen. Die Zukunftsaufgabe liegt darin, Gebäude und Außenräume<br />
wieder für den Menschen zu planen und auf eine langfristige<br />
qualitätvolle Nutzung auszulegen.<br />
Nachhaltige Gebäude mit System<br />
Seit ihrer Gründung <strong>im</strong> Jahr 2007 hat sich die Deutsche Gesellschaft<br />
für Nachhaltiges Bauen (DGNB) zum größten Netzwerk in<br />
Europa entwickelt, in dem die gesamte Wertschöpfungskette der<br />
Bau- und Immobilienwirtschaft vertreten ist. Architekten, Planer,<br />
Bauunternehmer, Projektentwickler und Investoren bringen ihre<br />
Expertise ebenso ein wie Bauproduktehersteller, Kommunen und<br />
Hochschulen. Ziel ist es, das nachhaltige Bauen gemeinsam als feste<br />
Größe in der Branche zu etablieren und ein Bewusstsein dafür in<br />
der gesamten Gesellschaft zu verankern. Vom Ein-Personen-Büro<br />
bis hin zum Weltkonzern zählt der Verein aktuell rund 2.600 Mitgliedsorganisationen.<br />
In den zahlreichen DGNB Gremien herrscht<br />
ein reger wie kritischer Austausch zu allen relevanten Themen rund<br />
um das nachhaltige Bauen. Darin vertreten sind Wissenschaftler<br />
und Praktiker gleichermaßen. So ist sichergestellt, dass die konkrete<br />
Umsetzung der Themen und Methoden nicht nur in der Theorie<br />
funktionieren, sondern auch in der Praxis realistisch anwend- und<br />
umsetzbar sind.<br />
Das, <strong>im</strong> Zuge der Vereinsgründung entwickelte DGNB Zertifizierungssystem<br />
verhilft allen am Bau beteiligten zu einem<br />
gemeinsamen Verständnis darüber, welche Möglich- aber auch<br />
Notwendigkeiten das nachhaltige Bauen mit sich bringt. Als Planungs-<br />
und Opt<strong>im</strong>ierungsinstrument unterstützt das DGNB System<br />
dabei, das selbstgesteckte Ziel <strong>im</strong> Projekt nicht aus den Augen zu<br />
verlieren. Weltweit wurden bereits mehr als 10.000 Projekte nach<br />
DGNB zertifiziert. Das Bewertungssystem erhöht nicht nur nachweislich<br />
die Nachhaltigkeit in Bauprojekten, es hilft auch dabei<br />
Risiken zu min<strong>im</strong>ieren, Kosten realistisch einzuschätzen und den<br />
Wert der Immobilie langfristig zu sichern. Der Planungsprozess läuft<br />
in der Regel effizienter ab, für den Nutzer erhöht sich die Lebensqualität<br />
und es fallen weniger Nebenkosten an. Durch den Fokus<br />
auf nachhaltige Bauprodukte kommen Herstellerunternehmen zum<br />
Zuge, die von der Rohstoffbeschaffung über die Arbeitsbedingungen<br />
bis hin zu einer energieeffizienten Produktion bereits Verantwortung<br />
übernehmen.<br />
National wie international steigen die gesetzlichen Anforderungen,<br />
Nachweispflichten aber auch Fördermöglichkeiten <strong>im</strong><br />
46 Kleine Kniffe<br />
Kleine_Kniffe_Nachhaltig_Bauen.indd 46 03.07.24 08:46
„Foto: DGNB<br />
Bereich Nachhaltigkeit und Kl<strong>im</strong>aschutz. Im Sinne eines einheitlichen<br />
Nachhaltigkeitsstandards ist das DGNB System mit zahlreichen<br />
anderen Systemen abgeglichen und kann in vielen Bereichen als<br />
Nachweisinstrument genutzt werden. Neben den Anforderungen<br />
des Qualitätssiegels Nachhaltiges Gebäude (QNG) für die Bundesförderung<br />
für effiziente Gebäude (BEG), ist auch die, mit dem EU<br />
Green Deal einhergehende Regulatorik auf europäischer Ebene<br />
inkludiert. Dazu zählen die Kriterien der EU-Taxonomie zum nachhaltigen<br />
Wirtschaften und das Rahmenwerk Level(s), in dem die<br />
EU-Anforderungen an nachhaltige Gebäude definiert sind. Auch die<br />
Vereinbarkeit mit den 17 Zielen für Nachhaltige Entwicklung der<br />
Vereinten Nationen wird <strong>im</strong> DGNB System dargestellt.<br />
Zugeschnitten auf Nutzungstyp und<br />
Lebensphase<br />
Das DGNB System ist in unterschiedlichen Varianten für Gebäude<br />
und Quartiere verfügbar. Die jeweils richtige Variante ergibt sich<br />
zum einen aus dem Nutzungstyp, zum anderen daraus, in welchem<br />
Lebenszyklus sich das Gebäude gerade befindet. Je nach Projektstatus<br />
lässt sich das DGNB System als Planungs-, Opt<strong>im</strong>ierungs- oder<br />
Managementtool anwenden. So gibt es bei Gebäuden beispielsweise<br />
Varianten für den Neubau, für Sanierungen und für Gebäude <strong>im</strong><br />
Betrieb. Betrachtet werden dabei <strong>im</strong>mer alle relevanten Lebenszyklusphasen,<br />
von der Rohstoffgewinnung und der Errichtung über<br />
eine möglichst lange Nutzungsdauer bis hin zum Rückbau und einer<br />
Verwertung darüber hinaus. So lassen sich nicht nur Kosten realistisch<br />
einschätzen, es wird auch vermieden, dass Umweltprobleme<br />
einfach nur nach hinten verschoben werden. Das DGNB System<br />
bewertet grundsätzlich die gesamte Gebäudeperformance und nicht<br />
einzelne Maßnahmen, Konstruktionen oder Bauteile. So ist sichergestellt,<br />
dass die Ziele über sinnvolle, auf das Projekt und seinen<br />
Standort zugeschnittene Lösungen erreicht werden.<br />
Allen Nutzungsprofilen liegt das ganzheitliche Nachhaltigkeitsverständnis<br />
der DGNB zugrunde. Dieses wird anhand von Kriterien<br />
in den sechs Themenfeldern ökologische Qualität, ökonomische Qualität,<br />
soziokulturelle und funktionale Qualität, technische Qualität,<br />
Prozessqualität und Standortqualität abgebildet. In den Kriterienkatalogen<br />
sind messbare Nachhaltigkeitsziele definiert, die je nach<br />
Nutzungstyp unterschiedlich gewichtet sind. Anhand des erreichten<br />
Gesamterfüllungsgrades wird am Ende die Auszeichnungsstufe<br />
DGNB Silber, Gold oder Platin ermittelt. Die Kriterienkataloge zu<br />
den einzelnen Nutzungsprofilen stehen auf der DGNB Website frei<br />
zugänglich zum Download bereit. Damit zeigt der Non-Profit-Verein<br />
auch, wie wichtig den beteiligten Akteuren Transparenz und<br />
die Weitergabe von Wissen ist. Zeit, das Rad <strong>im</strong>mer wieder neu zu<br />
erfinden bleibt schließlich längst nicht mehr. Vielmehr muss es das<br />
gemeinsame Ziel sein, auf bereits gemachten Erfahrungen aufzubauen<br />
und auch Rückschläge offen zu kommunizieren, um gemeinsam<br />
daraus zu lernen.<br />
Wer nach DGNB zertifizieren möchte, muss einen DGNB Auditor<br />
als unabhängigen Nachhaltigkeitsberater beauftragen. Über 3.400<br />
solcher Expertinnen und Experten wurden bereits über die DGNB<br />
Akademie ausgebildet. Der DGNB Auditor begleitet den gesamten<br />
Prozess eines Projektes bis zur Fertigstellung und ist idealerweise<br />
bereits während der Konzeption involviert. Er stellt sicher, dass<br />
Kleine Kniffe<br />
47<br />
Kleine_Kniffe_Nachhaltig_Bauen.indd 47 03.07.24 08:46
„Foto: DGNB<br />
… Sanierungen: Zu den wohl wichtigsten Aufgaben der Bauund<br />
Immobilienbranche zählt aktuell der nachhaltige Umgang mit<br />
den rund 20 Millionen hierzulande bestehenden Gebäuden. Daher<br />
lautet das Credo bei der DGNB: Erhalt statt Neubau. Vorhandene<br />
Bausubstanz <strong>im</strong> Rahmen einer Sanierung zukunftsfähig zu gestalten,<br />
bietet große Potentiale für den Kl<strong>im</strong>aschutz, speziell <strong>im</strong> Bereich<br />
Ressourcenschonung und Reduktion der CO2-Emission. Als Planungs-<br />
und Opt<strong>im</strong>ierungstool unterstützt das DGNB System für<br />
Sanierungen dabei, mit dem verfügbaren Budget und einer systedie<br />
notwendigen Schritte zum richtigen Zeitpunkt gedacht und<br />
umgesetzt werden. Fehlentwicklungen können dadurch frühzeitig<br />
aufgezeigt und abgewendet werden.<br />
Das DGNB Zertifizierungssystem für…<br />
… Neubauten: Im Falle eines Neubaus sollte dieser <strong>im</strong> Sinne<br />
von Nachhaltigkeit und Kl<strong>im</strong>aschutz auf allerhöchstem Niveau<br />
errichtet werden. Dabei hilft die aktuelle Version 2023 des DGNB<br />
Systems für Neubauten. Die ganzheitliche Nachhaltigkeitsbewertung<br />
findet hier anhand von 29 Kriterien statt. Sie zeigen auf, wie<br />
heute geplant und gebaut werden muss, um auch in Jahrzehnten<br />
noch zukunftsfähig zu sein. Um überhaupt zertifizieren zu können,<br />
gilt es dabei zunächst über alle sechs Themenfelder hinweg einige<br />
Mindestanforderungen zu erfüllen. Welche Maßnahmen darüber<br />
hinaus zum Erreichen der angestrebten Nachhaltigkeitsziele<br />
am sinnvollsten sind, wird vom Bauherrn gemeinsam mit dem<br />
DGNB Auditor und dem Planungsteam diskutiert, festgelegt und<br />
während der gesamten Ausführung kontinuierlich überprüft. Zu<br />
den Mindestanforderungen gehören <strong>im</strong> Themenfeld zur ökologischen<br />
Qualität die Offenlegung der Lebenszyklusbilanzen, sprich<br />
die Berechnung der Ökobilanz für den Treibhausgasausstoß und<br />
die nicht erneuerbare Pr<strong>im</strong>ärenergie. Gebäude, die nicht bereits für<br />
einen netto-treibhausgasneutralen Betrieb ausgelegt sind, benötigen<br />
einen Kl<strong>im</strong>aschutzfahrplan, der den kl<strong>im</strong>aneutralen Betrieb bis<br />
zum national festgelegten Zieljahr garantiert. Im Falle des Einsatzes<br />
von Holz muss nachgewiesen werden, dass mindestens 50 Prozent<br />
aus zertifiziert nachhaltig bewirtschafteten Quellen stammen. Das<br />
Themenfeld zur ökonomischen Qualität fordert die Garantie einer<br />
Grundresilienz des Gebäudes gegenüber Kl<strong>im</strong>arisiken und damit<br />
verbundenen Elementarschäden beispielsweise durch Starkregen,<br />
Überschwemmungen, Hochwasser, Erdbeben und Stürme. Im<br />
Themenfeld zur soziokulturellen und funktionalen Qualität wird<br />
vorausgesetzt, dass die Innenraumluftmessung die Mindestanforderungen<br />
an die Bewertung der Raumluftkonzentration flüchtiger<br />
organischer Verbindungen erfüllt. Zudem muss bei der Barrierefreiheit<br />
für alle Nutzungen die Qualitätsstufe QS1 gemäß der definierten<br />
DGNB Mindestanforderungen eingehalten werden. Die Beachtung<br />
zirkulärer Aspekte bei der Planung und der Umsetzung gilt es <strong>im</strong><br />
Themenfeld zur technischen Qualität nachzuweisen. Als Mindestanforderung<br />
zur Zertifizierbarkeit wird hier eine Rückbauanleitung<br />
oder die Erreichung der Mindestpunktzahl <strong>im</strong> gesamten Kriterium<br />
gefordert. Im Themenfeld zur Prozessqualität ist ein technisches<br />
Monitoring-Konzept (Anlagenmonitoring) zu entwickeln, in dem<br />
das energetische Monitoring eingebunden ist. So soll sichergestellt<br />
werden, dass die Anlagen langfristig richtig eingestellt sind. Im<br />
Themenfeld zur Standortqualität wird eine Kl<strong>im</strong>arisikoanalyse vorausgesetzt,<br />
die über die gesamte Nutzungsdauer hinweg Aufschluss<br />
über zu erwartende Naturgefahren gibt.<br />
Weiterführende Informationen zum gesamten DGNB System<br />
für Neubauten finden Sie hier: www.dgnb.de/version2023.<br />
48 Kleine Kniffe<br />
Kleine_Kniffe_Nachhaltig_Bauen.indd 48 03.07.24 08:46
„Foto: DGNB<br />
matischen Vorgehensweise das Max<strong>im</strong>um an Nachhaltigkeitsqualität<br />
zu realisieren. Die 37 zu bearbeitenden Kriterien enthalten ebenfalls<br />
Mindestanforderungen. Darunter die Bestandsaufnahme als<br />
Grundlage der Planung. Kenntnisse über den baulichen Ist-Zustand<br />
inklusive genauer Pläne sind ausschlaggebend, um angemessen mit<br />
dem Vorhandenen umgehen zu können. Auch die Erstellung eines<br />
gebäudeindividuellen Kl<strong>im</strong>aschutzfahrplans ist Voraussetzung,<br />
um das Gebäude systematisch in die Kl<strong>im</strong>aneutralität zu führen.<br />
Darüber hinaus werden insbesondere die ressourcenschonende<br />
Schadstoffsanierung unterstützt und Maßnahmen zur Stärkung der<br />
Kreislaufwirtschaft, der Flächenentsiegelung und zum Erhalt der<br />
Biodiversität gefördert. Im Sinne des ganzheitlichen Nachhaltigkeitsverständnisses<br />
stehen darüber hinaus der Mensch mit seinem<br />
Bedürfnis nach Gesundheit und Komfort genauso wie die langfristige<br />
Wirtschaftlichkeit der Baumaßnahme <strong>im</strong> Fokus.<br />
Weiterführende Informationen zum gesamten DGNB System<br />
für Sanierungen finden Sie hier: www.dgnb.de/sanierung.<br />
… Gebäude <strong>im</strong> Betrieb: Ein großer Hebel be<strong>im</strong> Kl<strong>im</strong>aschutz<br />
liegt <strong>im</strong> Gebäudebetrieb. Hier fallen 30 Prozent der Treibhausgasemissionen<br />
in Deutschland an. Bis 2045 muss auch der gesamte<br />
Gebäudebestand gemäß Kl<strong>im</strong>aschutzgesetz kl<strong>im</strong>aneutral sein. Eine<br />
weitere große Herausforderung für die Branche. Um das zu bewerkstelligen,<br />
wurde das DGNB System für Gebäude <strong>im</strong> Betrieb<br />
entwickelt. Konzipiert als Transformations- und Managementinstrument,<br />
werden Gebäudebetreiber, Bestandshalter und Nutzende<br />
dabei unterstützt, eine zukunftsfähige, auf den Kl<strong>im</strong>aschutz ausgelegte<br />
Strategie für die Immobilie zu entwickeln. Betrachtet werden<br />
alle relevanten Informationen zum Gebäude inklusive der Nutzungssituation<br />
und realer Verbrauchskennwerte, womit sich dann<br />
das Opt<strong>im</strong>ierungspotential identifizieren lässt. Durch die Umsetzung<br />
werden der nachhaltige Gebäudebetrieb ebenso wie ein langfristiger<br />
Werterhalt der Immobilie gesichert. Gebäude, die kl<strong>im</strong>aneutral<br />
betrieben werden, erhalten zusätzlich zum DGNB Zertifikat die<br />
Auszeichnung „Kl<strong>im</strong>apositiv“ (www.dgnb.de/kl<strong>im</strong>apositiv). Dem<br />
DGNB System Gebäude <strong>im</strong> Betrieb liegen neun Kriterien aus den<br />
Themenfeldern ökologische, ökonomische sowie soziokulturelle und<br />
funktionale Qualität zugrunde. Die Kriterien für einen nachhaltigen<br />
Gebäudebetrieb sind überwiegend nach dem Managementsystem<br />
„Plan-Do-Check-Act“ aufgebaut, wodurch ein kontinuierlicher Verbesserungsprozess<br />
sichergestellt ist. Das erreichte Zertifikat ist drei<br />
Jahre lang gültig und muss regelmäßig rezertifiziert werden.<br />
Weiterführende Informationen zum gesamten DGNB System<br />
für Gebäude <strong>im</strong> Betrieb finden Sie hier: www.dgnb.de/gebaeude-<strong>im</strong>-betrieb.<br />
Autorin:<br />
Dr. Christine Lemaitre<br />
Deutsche Gesellschaft für<br />
Nachhaltiges Bauen – DGNB e.V.<br />
Kleine Kniffe<br />
49<br />
Kleine_Kniffe_Nachhaltig_Bauen.indd 49 03.07.24 08:46
Kreislaufwirtschaft<br />
„FURNITURE 4.0 - Eine Reise in die Zukunft der Möbel –<br />
und Einrichtungsbranche“<br />
In unserer heutigen Zeit, in der nachhaltiges Handeln zu einem Imperativ geworden ist, steht die Möbel<br />
– und Einrichtungsbranche vor der Herausforderung, nicht nur Trends zu setzen, sondern fundamentale<br />
Veränderungen herbeizuführen. Im Kontext der Neo-Ökologie bedeutet dies mehr als eine bloße Anpassung<br />
an Umweltstandards - es ist ein tiefgreifender Wandel in der unternehmerischen Denkweise und dem<br />
ökologischen, sozialen und ökonomischen Agieren.<br />
Ein Beitrag von Andre Hempel<br />
Circular Economy, als Herzstück der Neo-Ökologie, definiert<br />
ein Wirtschaften, in dem Produkte, Materialien und Ressourcen<br />
in geschlossenen Kreisläufen zirkulieren. Die dafür notwendige<br />
Transformation erfordert einen Changeprozess mit konkreten Maßnahmen<br />
unter Einbeziehung aller Stakeholder der Branche.<br />
Der Ausgangspunkt für die Netzwerk-Initiative<br />
„FURNITURE 4.0“ als Circular Community der<br />
Möbel- und Einrichtungsbranche.<br />
Ein äthiopisches Sprichwort sagt: “Wenn Spinnen vereint<br />
weben, können sie einen Löwen fesseln”. Alles begann in einem<br />
kleinen Stakeholder-Kreis und der Überlegung, gemeinsam eine<br />
FURNITURE 4.0-Initiative zu starten. „Think big, start small!“ – das<br />
Credo des Kickoff am 27.10.2022 in Köln während der ORGATEC.<br />
Als Outcome stand, dass wir gemeinsam die Reise weiter fortsetzen<br />
und zu einer starken Community entwickeln wollen.<br />
Gemeinsam wollen wir Kräfte bündeln, Partner einbinden und<br />
Fahrt aufnehmen. Hierbei stehen drei Leitmotive <strong>im</strong> Fokus unseres<br />
Handelns: circular, digital und cooperate.<br />
circular - Ressourceneffizienz neu denken und in Wertschöpfungs-Kreisläufen<br />
fixieren.<br />
Wir setzen uns intensiv mit den Grundlagen der Circular Economy<br />
auseinander und eruieren gemeinsam Optionen für innovative<br />
Geschäftsmodelle, die die Umweltauswirkungen min<strong>im</strong>ieren und die<br />
Ressourcen effizient nutzen. Unser Ziel ist es, innerhalb der Möbel –<br />
und Einrichtungsbranche geschlossene Kreisläufe zu generieren, um<br />
ökologische Belastungen zu reduzieren.<br />
digital - Digitale Umsetzung der Produkt – und Servicetransparenz<br />
forcieren.<br />
Die Digitalisierung ist ein unverzichtbarer Treiber für Fortschritt<br />
und Effizienz. Wir setzen uns intensiv mit der digitalen<br />
Entwicklung für die Branche auseinander. Über digitale Konzepte<br />
soll u.a. eine umfassende Verfolgung der zirkulären Lebenszyklen<br />
der Produkte unter Einbeziehung aller relevanten Daten und mit<br />
der jeweiligen Stakeholder Responsibility ermöglicht werden (Fokus<br />
DPP).<br />
cooperate - Zusammenarbeit aller Stakeholder am Puls<br />
der Zeit ausrichten.<br />
Erfolgreicher Wandel basiert auf Zusammenarbeit und dem<br />
Teilen von Best Practices.<br />
Mit Blick auf die Verankerung von zirkulären Strukturen in der<br />
Branche bedeutet es, die bestehenden Beziehungen zu überprüfen<br />
und gemeinsam nach zusätzlichen, alternativen und auch neuen<br />
Ansätzen zu suchen. Auf der Basis eines aktiven Austausch mit und<br />
zwischen den Stakeholdern wollen wir „Best Practices“ sichtbar<br />
machen, gemeinsam zu „Next Practices“ entwickeln.<br />
FURNITURE 4.0 – Community<br />
Der Austausch mit Stakeholdern bildet das Fundament unserer<br />
aktiven Gemeinschaft.<br />
50 Kleine Kniffe<br />
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Foto: depositphotos<br />
Innerhalb unserer Community wollen wir praxisnahe und<br />
umsetzungsreife Lösungen aufzeigen, ein Lernen aus bereits vorhandenen<br />
Konzepten von Unternehmen und Organisation für neue<br />
und zusätzliche Optionen ermöglichen und die Potentialsteigerung<br />
durch neue Kooperationen gestalten. Im Verständnis eines gelebten<br />
Think Tank – Charakters.<br />
Eine lebendige Community benötigt dafür auch Orte der Begegnung<br />
zum persönlichen Kennenlernen, Vertiefen der Themen und<br />
zum Wachsen mit weiteren Interessierten.<br />
Die ist unsere Zielsetzung mit den „Circular Cooperate Network<br />
Days (CCND)“-Events der FURNITURE 4.0.<br />
FURNITURE 4.0 – Best Practices To Next<br />
Practices<br />
Unser Ziel ist es, nicht nur Best Practices sichtbar zu machen,<br />
sondern diese in einem kollektiven Prozess zu Next Practices weiterzuentwickeln.<br />
Dabei liegt der Fokus nicht nur auf innovativen<br />
Lösungen, sondern auch auf der Schaffung der notwendigen Rahmen-bedingungen<br />
für eine nachhaltige Transformation.<br />
In einem aktiven Dialog wollen wir Impulse für zukünftige<br />
Entwicklungen setzen und alle Stakeholder ermutigen, sich einzubringen<br />
und gemeinsam an innovativen Lösungen zu arbeiten.<br />
Ein Weg, wie die Umsetzung gelingen kann, zeigt ein Beispiel<br />
in NRW.<br />
Im Rahmen der Kreislaufwirtschaftsstrategie des Landes NRW<br />
wird innerhalb des Gremiums „Runden Tisch zirkuläre Wertschöpfung“<br />
unter der Führung der Ministerien für Umwelt, Naturschutz<br />
und Verkehr (MUNV) sowie für Wirtschaft, Industrie, Kl<strong>im</strong>aschutz<br />
und Energie (MWIKE) und dem Verband der Deutschen<br />
Möbelindustrie (VDM) gemeinsam mit weiteren Stakeholdern der<br />
FURNITURE 4.0 ein „Thementisch Möbel“ etabliert.<br />
Basierend auf inhaltlichen Best Practices-Ansätzen wird eine<br />
NRW-Vertiefung in den beiden Themenschwerpunkten „Furniture<br />
Re:Public“ und „Materials Re:turns“ erfolgen. Die Auftaktveranstaltung<br />
dazu fand Anfang Februar 2024 in Düsseldorf statt.<br />
Die Zukunft der Branche wird von den strategischen Schritten<br />
heute geprägt. In enger Zusammenarbeit mit allen Stakeholdern<br />
möchten wir diese Reise gemeinsam gestalten. Durch die gemeinsame<br />
Definition von strategischen Zielen wollen wir sicherstellen,<br />
dass die Branche als Ganzes voranschreitet.<br />
Autor<br />
Andre Hempel<br />
lab of rent<br />
Kleine Kniffe<br />
51<br />
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Zertifizierung<br />
Die BNB-Zertifizierung –<br />
ein ganzheitlicher Ansatz für das Planen und Bauen<br />
Der Bau- und Liegenschaftsbetrieb NRW (BLB NRW) zertifiziert seine Kernsanierungs- und<br />
Neubauprojekte, die über 15 Mio. Euro Baukosten liegen, nach dem Bewertungssystem<br />
Nachhaltiges Bauen (BNB) <strong>im</strong> Standard Silber. Das BNB-System ist das Bewertungssystem<br />
für das öffentliche Bauen und kann als OpenSource-System von jedem Bauherrn angewendet<br />
werden. Hierbei werden die Projekte ganzheitlich betrachtet. Das System dient gleichzeitig<br />
zur Qualitätskontrolle und wird als Planungswerkzeug eingesetzt. So werden nachhaltige<br />
Entscheidungen bereits zu einem frühen Zeitpunkt in der Planung berücksichtigt. Mittlerweile<br />
werden bereits mehr als 60 Projekte <strong>im</strong> BLB NRW mit dem BNB-System in der Bearbeitung<br />
unterstützt.<br />
Ein Beitrag von Karsten Schellmat<br />
Das BNB-System betrachtet nicht nur den Gebäudebetrieb, denn<br />
dessen Emissionen machen mittlerweile nur noch etwa die Hälfte der<br />
Gesamtemissionen eines Gebäudes innerhalb seines Lebenszyklus<br />
aus – Tendenz fallend. Auch der Anteil der Ressourcenverbräuche<br />
und die hiermit zusammenhängenden Emissionen aus den Herstellungsprozessen<br />
werden bei einem Neubau in der BNB-Zertifizierung<br />
<strong>im</strong> Rahmen der sogenannten Ökobilanz (auch Lebenszyklusanalyse<br />
oder kurz LCA genannt) betrachtet. Hierbei werden parallel zu den<br />
Betriebsemissionen auch die Umweltauswirkungen der Herstellung<br />
der Bauteile und Materialien umfassend betrachtet und bilanziert. Es<br />
ist <strong>im</strong> Einzelfall zu betrachten, ob ein Abriss und Neubau oder eine<br />
Sanierung eines Bestandsgebäudes sinnvoll sind. Die ökobilanziellen<br />
Vorteile einer Sanierung müssen hierbei mit weiteren Anforderungen<br />
an das Gebäude abgewogen werden.<br />
Das Thema des Ressourcenverbrauchs, wie beispielsweise der<br />
von Sand und Kies für die Herstellung von Beton, ist noch nicht<br />
ausreichend ins allgemeine Problembewusstsein vorgedrungen.<br />
Auch dies wird in der Lebenszyklusanalyse bilanziert und gewinnt<br />
bei der Abwägung zwischen Bestandserneuerung oder Abriss und<br />
Neubau sowie bei der Wahl der Konstruktionsmaterialien deutlich<br />
an Gewicht.<br />
Auf Materialebene wird bei der BNB-Bewertung zusätzlich das<br />
Thema der Innenraumlufthygiene betrachtet. Dies bedeutet, dass<br />
Materialien, die für weniger Schadstoffemissionen sorgen, höher<br />
bewertet werden, was am Ende der Gesundheit der späteren Nutzer<br />
zugutekommt.<br />
Die LCA bedingt eine ganzheitliche Betrachtung des gesamten<br />
Planungs- und Bauprozesses. Zusammengenommen hat dies positive<br />
Konsequenzen für den Einsatz nachhaltiger Planungsprinzipien, der<br />
nachhaltigen Beschaffung und in der Folge für einen nachhaltigen<br />
Betrieb.<br />
Hinzu kommen die Themen Kl<strong>im</strong>aresilienz, Biodiversität, Flächenversiegelung<br />
und Flächeneffizienz, der Planungsansatz von<br />
LowTech-Gebäuden, das sogenannte Urban Mining (die Gebäude<br />
einer Stadt als Materiallager) sowie die Kreislaufwirtschaft nach dem<br />
Prinzip des „Fügens statt Klebens“, um am Ende des Lebenszyklus<br />
eines Gebäudes durch den Verzicht auf Verbundstoffe kreislauffähige<br />
Bauteile und Materialien zu erhalten. All diese Themen werden<br />
<strong>im</strong> aktuellen BNB-System bereits adressiert. Dies soll mit der Überarbeitung<br />
des Zertifizierungssystems aber in Zukunft noch deutlich<br />
stärker betrachtet und bewertet werden.<br />
Nach einer Phase der Fokussierung auf die Energieeffizienz <strong>im</strong><br />
Betrieb – eine Sichtweise, mit der der BLB NRW wahrscheinlich<br />
nicht alleine dastand – kommt nun <strong>im</strong>mer mehr der allumfassende,<br />
ganzheitliche Betrachtungsansatz zum Tragen. Der BLB NRW hat<br />
mit seinem Gebäudeportfolio, welches <strong>im</strong> Schnitt rund 80 Jahre alt<br />
ist, <strong>im</strong> Sinne einer ganzheitlichen Betrachtung eine gute Ausgangs-<br />
52 Kleine Kniffe<br />
Kleine_Kniffe_Nachhaltig_Bauen.indd 52 03.07.24 08:46
position. Er ist sich der Verantwortung bewusst, welchen großen<br />
Einfluss das Planen und Bauen, aber auch der Betrieb der Gebäude<br />
und insbesondere die Nutzung vorhandener Ressourcen durch Revitalisierungen,<br />
bei einem solch großem Gebäudeportfolio auf eine<br />
nachhaltige Zukunft in Nordrhein-Westfalen und darüber hinaus<br />
hat. Mit dem BNB-System besitzen wir ein hervorragendes Werkzeug,<br />
um unser Gebäudeportfolio nachhaltig auszurichten.<br />
Um die Mitarbeitenden des BLB NRW kontinuierlich an das<br />
Thema heranzuführen und um es <strong>im</strong> Arbeitsalltag zu verankern,<br />
bietet der BLB NRW in seiner Fortbildungsakademie Seminare<br />
an. Zudem koordiniert und richtet der BLB NRW die Fortbildung<br />
von BNB-Koordinatoren für verschiedene Landesinstitutionen aus.<br />
Darüber hinaus befindet er sich intern und extern <strong>im</strong> intensiven<br />
Austausch, um die Themen der BNB-Zertifizierung kontinuierlich<br />
weiter in die eigenen Prozesse zu integrieren.<br />
Autor<br />
Karsten Schellmat,<br />
BNB-Koordinator<br />
in der Zentrale des BLB NRW<br />
Weitere Informationen<br />
Bau- und Liegenschaftsbetrieb NRW<br />
Der Bau und Liegenschaftsbetrieb NRW (BLB NRW) ist<br />
das Immobilienunternehmen des Landes Nordrhein-<br />
Westfalen. Er ist Eigentümer der meisten Grundstücke<br />
und Gebäude des Landes.<br />
Diese bewirtschaftet und vermietet er an<br />
Landeseinrichtungen, -ministerien und -behörden, an<br />
Hochschulen, die Justiz, die Polizei oder an Finanzämter.<br />
Daneben plant, baut und saniert der BLB NRW auch<br />
<strong>im</strong> Auftrag der Bundesrepublik und befreundeter<br />
Streitkräfte..<br />
In jeder dieser D<strong>im</strong>ensionen der Nachhaltigkeit orientiert<br />
sich der BLB NRW an anerkannten Vereinbarungen<br />
und bewährten Vorgaben, etwa der DIN ISO 26.000<br />
(Leitfaden zur gesellschaftlichen Verantwortung),<br />
dem Deutschen Nachhaltigkeitskodex (DNK) und den<br />
Sustainable Development Goals (SDG) der Vereinten<br />
Nationen.<br />
Kleine Kniffe<br />
53<br />
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Zertifizierung<br />
Blauer Engel unterstützt zirkuläres Bauen und<br />
Ressourcenschutz in neuen Produktgruppen<br />
Die Kommission Nachhaltiges Bauen <strong>im</strong> Umweltbundesamt (KNBAu) fordert die Erhöhung des<br />
Rezyklatanteils <strong>im</strong> Beton, um das Bauen mit Beton nachhaltiger und ressourcenschonender zu gestalten.<br />
Der Blauer Engel hat diese Herausforderung angenommen und entsprechende Vergabekriterien für<br />
Pflastersteine aus Beton entwickelt. Der Absatz von Betonsteinpflaster beträgt laut Statista in Deutschland<br />
aktuell ca. 115 Millionen m 2 pro Jahr. Hier besteht ein hohes Potential, den Einsatz von pr<strong>im</strong>ären Rohstoffen<br />
zu verringern.<br />
Ein Beitrag von Outi Ilvonen<br />
Das Umweltzeichen für Betonwaren (DE-UZ 216) fördert den<br />
Einsatz von Recyclingmaterial in den gekennzeichneten Produkten<br />
und erleichtert die Wiederverwendung und das Recycling der ausgezeichneten<br />
Produkte am Ende ihrer Nutzungszeit. Die verwendeten<br />
Gesteinskörnungen müssen einen Recyclinganteil von mindestens<br />
30 Massen-% aufweisen. Besorgniserregende Hydrophobierungen<br />
und Imprägnierungen, die die Kreislaufführung erschweren<br />
können (zum Beispiel Beschichtungen mit PFAS), sind ausgeschlossen.<br />
Um eine möglichst geringe Schadstoffbelastung von Gewässern<br />
und Klärwerken durch abfließendes Regenwasser sicherzustellen,<br />
müssen alle Blauer Engel -Pflastersteine und -Platten ökotoxikologische<br />
Tests bestehen und ihre Unbedenklichkeit nachweisen.<br />
Zudem verlangen die Vergabekriterien die Vermeidung und Reduzierung<br />
von Treibhausgasemissionen sowie als letzten Schritt dieses<br />
Dreiklangs die Kompensation von nicht vermeidbaren und nicht<br />
mehr reduzierbaren Emissionen, die bei der Herstellung und be<strong>im</strong><br />
Transport der Produkte und ihrer Ausgangsmaterialien entstehen.<br />
Ressourcenschutz be<strong>im</strong> Bauen <strong>im</strong> Bestand und Sanierung<br />
sind die Antreiber für weitere neue Blauer Engel–Bauprodukte<br />
für Dächer. Für die nachträgliche Abdichtung von Dächern und<br />
Balkonen empfiehlt das Umweltbundesamt (UBA) Bauwerksabdichtungen<br />
aus Flüssigkunststoffen mit dem Blauen Engel (DE-UZ<br />
233), für größere Dächer mechanisch befestigte Dachbahnen mit<br />
dem Blauen Engel (DE-UZ 224). Um Ressourcenschonung durch<br />
Dauerhaftigkeit sichtbar zu machen, müssen Dachbahnen in der<br />
Verbraucherinformation eine Mindestnutzungsdauer des Produkts<br />
angeben. Beide Dach-Umweltzeichen min<strong>im</strong>ieren umweltbelastende<br />
Schadstofffrachten ins Dachablaufwasser und darüber hinaus in<br />
spätere Recyclingprozesse. So sind sie mit einer vielfältigen Nutzung<br />
des Dachablaufwassers und mit einer Kreislaufwirtschaft kompatibel.<br />
Die Auslaugung von herbiziden Wirkstoffen oder anderen<br />
gefährlichen Stoffen von Dächern in das Dachablaufwasser ist eine<br />
Sorge, die Bürgerinnen und Bürger häufig dem Bürgerservice des<br />
UBA vortragen. Nun sind unbedenkliche Produkte über die Seite des<br />
Blauen Engels auffindbar.<br />
Durch ihre umfassenden Kriterien unterstützen Blauer Engel<br />
-Produkte die Gestaltung von zirkulären und kl<strong>im</strong>aresilienten Städten.<br />
In allen vorgestellten Produktgruppen sind bereits Produkte<br />
verfügbar.<br />
Autorin<br />
Outi Ilvonen<br />
Umweltbundesamt<br />
Stoffbezogene Produktfragen<br />
www.uba.de<br />
www.blauer-engel.de<br />
54 Kleine Kniffe<br />
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Kleine Kniffe<br />
55<br />
Kleine_Kniffe_Nachhaltig_Bauen.indd 55 03.07.24 08:46
Forschung<br />
Möglichkeiten, den CO 2<br />
-Fußabdruck <strong>im</strong><br />
Beton zu reduzieren<br />
Gut ein Drittel aller Treibhausgasemissionen eines Gebäudes entstehen vor der tatsächlichen<br />
Nutzung – bei der Herstellung und Errichtung. Die Hebel zur Reduktion dieser verbauten CO 2<br />
-<br />
Emissionen liegen unter anderem in der Bauweise, den Bauteilen mit großer Masse und der<br />
Nutzungsdauer der Baustoffe. Im Vordergrund der Forschung <strong>im</strong> Fraunhofer-Institut für Bauphysik<br />
IBP steht u.a. die Entwicklung von innovativen, nachhaltigen Baustoffen.<br />
Ein Beitrag von Dr. rer. nat. Volker Thome<br />
Obwohl Zement nur zwischen sieben und 20 Massenprozent des<br />
Baustoffs Beton ausmacht, ist dieser für mehr als 90 Prozent der mit<br />
der Betonherstellung assoziierten Treibhausgasemissionen verantwortlich.<br />
Als einer der weltweit großen CO 2<br />
-Emittenten (ca. sieben<br />
bis acht Prozent) hat sich auch die Zementindustrie dazu verpflichtet,<br />
bis zum Jahr 2050 CO 2<br />
-neutral zu produzieren.<br />
Dementsprechend steht die Baustoffindustrie in den kommenden<br />
Jahrzehnten vor der enormen Herausforderung, ihre<br />
Treibhausgasemissionen den Pariser Kl<strong>im</strong>azielen entsprechend<br />
deutlich zu reduzieren.<br />
Welche Möglichkeiten gibt es nun, den CO 2<br />
-Fußabdruck <strong>im</strong><br />
Beton zu reduzieren, um einen evtl. sogar kl<strong>im</strong>aneutralen Beton<br />
herzustellen, der zudem keine nachteiligen Eigenschaften aufweist<br />
<strong>im</strong> Vergleich zu einem herkömmlichen Beton? Um kl<strong>im</strong>aneutralen<br />
Beton herzustellen, gibt es verschiedene vielversprechende<br />
Ansätze. Eine effektive Methode ergibt sich durch die Integration<br />
von Pyrokohle in Beton. Pyrokohle wird durch Pyrolyse erzeugt,<br />
bei der organische Materialien wie Biomasse und Biogas in einer<br />
sauerstoffarmen Umgebung einer thermischen Konversion unterzogen<br />
werden. Dieser Prozess verhindert, dass ein Großteil des<br />
Kohlenstoffs als CO 2<br />
in die Atmosphäre entweicht und speichert ihn<br />
stattdessen in Form eines Feststoffs, der Pyrokohle. Je nach Ausgangsstoff<br />
und Pyrolyseverfahren können so bis zu ca. 40 Prozent des<br />
Gesamtkohlenstoffgehaltes der Ausgangsstoffe aus dem natürlichen<br />
Kohlenstoffkreislauf entfernt werden. Als Daumenregel kann man<br />
festhalten, dass ein Teil Pyrokohle ca. drei Teile an CO 2<br />
reduzieren.<br />
Zusätzlich entstehen noch verwertbare Produkte wie z.B. Synthesegas,<br />
welches zur Wärme- und Energiegewinnung vor Ort genutzt<br />
werden kann, oder verwertbare Öle für die chemische Industrie. Die<br />
Bauindustrie mit ihren großen Stoffströmen bietet sich nun idealerweise<br />
an, als Kohlenstoffsenke bzw. als Depot für die Pyrokohle zu<br />
dienen. Durch die Integration großer Mengen Pyrokohle in Bauprodukte<br />
wie Beton können die produktionsbedingten Eigenemissionen<br />
reduziert werden, zudem trägt dies gleichzeitig auch zu einer signifikanten<br />
Reduktion von CO 2<br />
in der Atmosphäre bei. Da Bauprodukte<br />
sowie deren Herstellung einer Vielzahl technischer Regelungen,<br />
Normen und Standards unterliegen und sich die Pyrokohlen auf<br />
Grund ihrer Eigenschaften nicht ohne weiters einmischen lassen,<br />
besteht die Herausforderung darin, diese Kohlenstoffdepots industriell<br />
zu erschließen. Die Forscher am Fraunhofer IBP haben hierfür<br />
mehrere Lösungen erarbeitet. Durch Adaptionen von Material<br />
und Mixtur lassen sich Pyrokohlen einfacher in Betonmischungen<br />
integrieren, ohne die Verarbeitbarkeit zu beeinträchtigen. Erste<br />
Ergebnisse sind in Abb. 1 dargestellt:<br />
Der in Abb. 1 dargestellte Pyrokohlenbeton enthält bereits so<br />
viel Pyrokohle, dass er rein rechnerisch als „kl<strong>im</strong>aneutral“ bezeichnet<br />
werden kann. Die CO 2<br />
-Emissionen, die während der Produktions-<br />
56 Kleine Kniffe<br />
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Foto: Abb. 1: links „kl<strong>im</strong>aneutraler Pyrokohlenbeton“, rechts herkömmlicher Beton<br />
phase entstehen, werden durch Zusatz von Pyrokohle vollständig<br />
kompensiert. Dieser Beton unterscheidet sich bzgl. seiner mechanischen<br />
Eigenschaften wie Druckfestigkeiten kaum von einem<br />
herkömmlichen Beton. Dauerhaftigkeit und Langzeitverhalten<br />
werden derzeit noch ausgiebig erforscht. Sobald alle erforderlichen<br />
betontechnologischen Tests abgeschlossen und die erforderlichen<br />
Qualitätskriterien erfüllt sind, soll eine bauaufsichtliche Zulassung<br />
über das DIBt (Deutsches Institut für Bautechnik) erfolgen.<br />
Dieses Beispiel verdeutlicht, dass innovative Baustoffe sowohl<br />
zur Speicherung als auch zur Vermeidung von CO 2<br />
-Emissionen<br />
beitragen können und somit zu nachhaltigeren und kl<strong>im</strong>afreundlicheren<br />
Bauprodukten führen.<br />
Autor<br />
Dr. rer. nat. Volker Thome<br />
Abteilungsleiter<br />
Fraunhofer-Institut für Bauphysik IBP<br />
Telefon: +498024643623<br />
volker.thome@ibp.fraunhofer.de<br />
Weitere Informationen<br />
Fraunhofer-Institut für Bauphysik IBP<br />
Die Abteilung »Mineralische Werkstoffe und<br />
Baustoffrecycling« des Fraunhofer- Instituts für<br />
Bauphysik IBP umfasst mittlerweile vier Arbeitsgruppen<br />
mit ca. 30 Mitarbeiter*innen und vereint Kompetenzen<br />
aus den Fachgebieten Mineralogie, Feststoffanalytik,<br />
sowie Konservierungswissenschaften und<br />
Bauingenieurswesen. Im Vordergrund der Forschung<br />
stehen die Entwicklung von innovativen, nachhaltigen<br />
Baustoffen, die effiziente Aufbereitung und das<br />
Recycling von anorganischen Stoffströmen wie Altbeton<br />
oder Bauschutt, sowie die Forschung zum Erhalt und<br />
Konservierung von Bestandsbauten bzw. historischer<br />
Bausubstanzen.<br />
Neben der Entwicklung von Betonrezepturen für<br />
individuelle Anforderungen sowie der Herstellung von<br />
Leichtbeton und Dämmstoffen liegt ein besonderer<br />
Fokus auf der Formulierung von zementarmen bzw.<br />
zementfreien Baustoffen.<br />
Kleine Kniffe<br />
57<br />
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Zertifizierung<br />
Siegel für nachhaltiges Bauen<br />
Siegel und Zertifizierungen zeigen, welche Bausysteme oder Baustoffe geprüft sind –<br />
entscheidend für Gesundheit und Wohlbefinden der Bewohnerinnen und Bewohner. Außerdem<br />
wichtig: Die Rohstoffe sollten möglichst nachhaltig produziert werden. Aber auch bei den Siegeln<br />
und Zertifizierungen lohnt es sich genauer hinzusehen. Manche sind von staatlicher Stelle initiiert,<br />
manche von privatwirtschaftlichen Unternehmen. Wir geben einen Überblick. Welche Gütesiegel<br />
gibt es als Orientierung für eine nachhaltig orientierte Bauwirtschaft?<br />
Ein Beitrag von Thomas Heine<br />
Umweltzeichen erleichtern die Berücksichtigung von Umweltaspekten<br />
in Ausschreibungen wesentlich. So können bei der<br />
Formulierung der technischen Anforderungen, der Zuschlagskriterien<br />
und der Auftragsausführungsbedingungen öffentliche<br />
Auftraggeber auf best<strong>im</strong>mte Umweltzeichen, wie das EU Ecolabel,<br />
verweisen.<br />
Im Bereich nachhaltiges Bauen existieren zahlreiche Siegel und<br />
Standards, die mit unterschiedlichen Schwerpunkten und Kriterien<br />
aufwarten, so dass es auf den ersten Blick nicht eindeutig klar ist, was<br />
sich genau dahinter verbirgt. Einen ersten Überblick soll die nachfolgende<br />
Zusammenstellung von fünf in Deutschland verbreiteten<br />
Siegeln geben.<br />
Autor<br />
Thomas Heine<br />
Hrausgeber<br />
<strong>Magazin</strong> für nachhaltige<br />
Beschaffung “Kleine Kniffe”<br />
Blauer Engel<br />
Der Blaue Engel ist ein freiwilliges Umweltzeichen<br />
des Bundesumweltministeriums und<br />
kennzeichnet branchenübergreifend umweltschonende<br />
Produkte und Dienstleistungen. Im Bereich des<br />
Bauwesens ist der Blaue Engel z.B. auf Dämmstoffen, Bodenbelägen<br />
und -versiegelungen, Spanplatten, Lacken und vielen anderen Produkten<br />
zu finden.<br />
Ziel des Blauen Engels ist es, Beschaffenden sowie Verbraucherinnen<br />
und Verbrauchern eine verlässliche Orientierung<br />
bei der Auswahl umweltfreundlicher Produkte zu geben. Die Zertifizierung<br />
mit dem Blauen Engel basiert auf öffentlich zugänglichen<br />
Kriterien, die von einer Fachjury unter Beteiligung interessierter<br />
Kreise auf Grundlage etablierter Bewertungsverfahren erarbeitet<br />
werden. Die Geschäftsstelle der “Jury Umweltzeichen” ist be<strong>im</strong><br />
Umweltbundesamt angesiedelt. Die Vergabe des Blauen Engels<br />
erfolgt durch die RAL gGmbH als unabhängige Zertifizierungsorganisation.<br />
https://www.blauer-engel.de/de<br />
58 Kleine Kniffe<br />
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QNG -<br />
Qualitätssiegel<br />
Nachhaltiges<br />
Gebäude<br />
Mit dem<br />
Qualitätssiegel Nachhaltiges<br />
Gebäude (QNG) , entwickelt durch das Bundesministerium für<br />
Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen (BMWSB), wird ein einheitliches<br />
Verständnis von Nachhaltigkeit gefördert und gleichzeitig<br />
eine rechtssichere Grundlage für die Vergabe von Fördermitteln geschaffen.<br />
Grundanforderung für die Vergabe des Qualitätssiegels ist ein<br />
Nachweis der Erfüllung allgemeiner und besonderer Anforderungen<br />
an die ökologische, soziokulturelle und ökonomische Qualität von<br />
Gebäuden. Die Erfüllung der Anforderungen ist durch eine unabhängige<br />
Prüfung nach Baufertigstellung anhand der abgeschlossenen<br />
Planungs- und Bauprozesse und auf Grundlage der Überprüfung<br />
ausgewählter realisierter Qualitäten nachzuweisen.<br />
https://t1p.de/svnoj<br />
DGNB Zertifikat<br />
Um nachhaltiges Bauen praktisch anwendbar,<br />
messbar und damit vergleichbar zu machen,<br />
hat die DGNB ein eigenes Zertifizierungssystem<br />
entwickelt.<br />
Erstmals am Markt angewandt wurde dieses 2009. heute gilt<br />
es weltweit nicht nur als das fortschrittlichste, sondern ist international<br />
anerkannt als Global Benchmark for Sustainability. Das<br />
DGNB Zertifizierungssystem ist in unterschiedlichen Varianten für<br />
Gebäude, Quartiere und Innenräume verfügbar. Als Planungs- und<br />
Opt<strong>im</strong>ierungstool hilft es allen am Bau Beteiligten bei der Umsetzung<br />
einer ganzheitlichen Nachhaltigkeitsqualität.<br />
Das DGNB System fußt auf den drei zentralen Nachhaltigkeitsbereichen<br />
Ökologie, Ökonomie und Soziokulturelles, die<br />
gleichgewichtet in die Bewertung mit einfließen. Im Sinne einer<br />
ganzheitlichen Betrachtung bewertet das DGNB System zudem den<br />
Standort sowie die technische und prozessuale Qualität.<br />
https://t1p.de/anxme<br />
Bewertungssystems<br />
Nachhaltiges Bauen<br />
BNB<br />
Die Deutsche<br />
Akkreditierungsstelle (DAkkS) hat am 26.03.2024 die Akkreditierungsfähigkeit<br />
des Zertifizierungsprogramms BNB bestätigt. Auf<br />
dieser Grundlage können sich interessierte Zertifizierungsstellen bei<br />
der DAkkS für die Vergabe von BNB-Zertifikaten mit oder ohne<br />
QNG-Siegel akkreditieren lassen.<br />
Hinter dem BNB-Zertifikat steht ein Zertifizierungsprogramm,<br />
das Regeln und Rahmenbedingungen für die Prüfung der <strong>im</strong> Bewertungssystem<br />
Nachhaltiges Bauen beschriebenen Anforderungen<br />
durch die Zertifizierungsstellen festlegt.<br />
Die Zulassung wird durch das BMWSB als Systemeigner des<br />
Bewertungssystems Nachhaltiges Bauen erfolgen. Durchgeführt<br />
wird das Antragsverfahren kommissarisch von der Geschäftsstelle<br />
Nachhaltiges Bauen.<br />
https://www.bnb-nachhaltigesbauen.de/<br />
Cradle2Cradle<br />
Die Cradle to Cradle (C2C) Zertifizierung<br />
bewertet <strong>im</strong> Sinne der Nachhaltigkeit, wie<br />
Produkte sich wiederverwerten lassen, entweder<br />
natürlich wie Textilien aus Naturfasern oder technisch in<br />
gleicher Form oder aufgearbeitet als „technischer Nährstoff“.<br />
Verliehen wird das Siegel vom Cradle to Cradle Products Innovation<br />
Institute in San Francisco, USA. Das Siegel gibt es in Bronze,<br />
Silber, Gold und Platin. Aktuell sind 930 Produkte ausgezeichnet, vor<br />
allem Baumaterialien wie Steinwolle, Glas oder Bodenbeläge oder<br />
Inneneinrichtungsgegenstände wie Bürostühle, aber auch Kosmetikprodukte<br />
wie Body Spray.<br />
Seit mehr als einem Jahrzehnt hilft Cradle to Cradle Certified<br />
Unternehmen bei der Innovation und Opt<strong>im</strong>ierung von Materialien<br />
und Produkte nach den weltweit fortschrittlichsten wissenschaftlich<br />
fundierten Maßstäben zu opt<strong>im</strong>ieren.<br />
https://c2ccertified.org/<br />
Kleine Kniffe<br />
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60 Kleine Kniffe<br />
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