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35_Agenda_KI

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AGENDA<br />

KÜNSTLICHE INTELLIGENZ<br />

Überwachen<br />

Ukrainische Soldaten in der<br />

Nähe von Bachmut schauen<br />

sich den Videofeed einer<br />

Drohne an. Sie sehen live,<br />

was vor Ort passiert<br />

Krieg der Algorithmen<br />

Keine Technologie hat die Kriegsführung des 21. Jahrhunderts so<br />

revolutioniert wie künstliche Intelligenz. Das zeigt sich bereits<br />

auf den Schlachtfeldern in der Ukraine und in Gaza<br />

TEXT VON CORINNA BAIER<br />

Fo t o : L i b k o s /A P<br />

22 FOCUS <strong>35</strong>/2024 FOCUS <strong>35</strong>/2024<br />

23


AGENDA<br />

KÜNSTLICHE INTELLIGENZ<br />

Abwerfen<br />

Soldaten beladen eine<br />

ukrainische Vampir-Drohne<br />

mit einer Panzerabwehrmine,<br />

um russische Stellungen<br />

anzugreifen. Durch<br />

die Wärmebildkamera kann<br />

das Gerät nachts sehen<br />

Auswerten<br />

Früher suchten Soldaten<br />

mit Joysticks auf Videound<br />

Satellitenbildern<br />

nach bestimmten Objekten.<br />

Dank Computer Vision<br />

kann das die <strong>KI</strong> besser<br />

und sehr viel schneller<br />

D<br />

Da saßen sie und starrten angestrengt<br />

auf ihre Bildschirme. Reihenweise ukrainische<br />

Programmierer zwischen Kisten,<br />

die Software schrieben. Sie arbeiteten im<br />

Büro einer verlassenen Kosmetikfirma in<br />

Kiew und beeinflussten das Kriegsgeschehen.<br />

An der Wand hingen noch Plakate<br />

von Models, und Chris Kirchhoff fühlte<br />

sich, als sei er in einem „James Bond“-<br />

Film gelandet. Der einstige Sicherheitsberater<br />

der Obama-Regierung hatte viel<br />

Zeit in Situation Rooms verbracht, aber<br />

so etwas hatte er noch nicht gesehen. In<br />

Garagen schraubten Leute an Drohnen,<br />

designten Abwehrsysteme, selbstfahrende<br />

Fahrzeuge und Roboter, die Minen<br />

finden. Hier im Mil-Tech Valley, wie die<br />

Gegend genannt wird, saßen bei Kirchhoffs<br />

Besuch 2023 längst nicht mehr nur<br />

Ukrainer, sondern Ingenieure und Hacker<br />

aus aller Welt. Die Ukraine war zu einem<br />

Testgelände für wilde Ideen geworden,<br />

einer Blaupause für künftige Konflikte.<br />

Natürlich wird weiterhin vor allem mit<br />

Panzern, Eurofighter-Jets, Schiffen und<br />

Bomben im Milliardenwert gekämpft. Nicht<br />

umsonst schickte Deutschland von Leopard<br />

bis Jaguar das halbe Tierreich in die<br />

Ukraine. Aber tatsächlich hätte das Land<br />

gegen das klar überlegene Russland keine<br />

Chance gehabt ohne die Programmierer<br />

in den Büroräumen, ohne den Einsatz von<br />

künstlicher Intelligenz.<br />

Der erste echte Drohnenkrieg der Welt<br />

Billige Drohnen aus China, die man auf<br />

Amazon bestellen kann, dirigierten gerade<br />

zu Beginn selbst die modernsten Lenkraketensysteme.<br />

Die Drohnen sammelten<br />

Informationen, kundschafteten Ziele aus<br />

und sparten den Ukrainern so Millionen<br />

an Munition. Doch der Vorsprung hielt<br />

nicht lange an: Die Technik, die eben<br />

noch funktionierte, konnte vier Wochen<br />

später schon nichts mehr gegen die Russen<br />

ausrichten. Denn auch die rüsteten<br />

auf. Sie entwickelten Störsignale, die<br />

die Spielzeugdrohnen vom Himmel holten,<br />

und hielten mit Superdrohnen dagegen,<br />

die deutsche Leopard-Panzer an<br />

der Form erkannten und selbstständig<br />

ausschalten konnten. Die Ukraine reagierte<br />

mit US-Kamikaze-Drohnen, die<br />

gar kein GPS-Signal mehr brauchen,<br />

sondern mithilfe von Algorithmen sehen<br />

und kommunizieren. Vor allem Start-ups<br />

aus dem Silicon Valley richteten sich im<br />

Schützengraben ein. Sie liefern autonome<br />

Flugtaxis, Daten von SAR-Satelliten oder<br />

Analyseplattformen. Panzer können inzwischen<br />

selbstständig ihre Umgebung scannen.<br />

Das Pentagon gab an, dass 20<strong>35</strong> schon<br />

70 Prozent der Air-Force-Flotte remote gesteuert<br />

werden können. <strong>KI</strong> hilft auch den<br />

Generälen dabei, Entscheidungen schneller<br />

zu treffen, könnte sogar Schlachtpläne<br />

liefern. Laut Experten ist <strong>KI</strong> die historisch<br />

derzeit bedeutendste Revolution<br />

der Kriegsführung. 2022 investierten US-<br />

Wagniskapitalgeber 33 Milliarden Dollar<br />

in Verteidigungs-Start-ups.<br />

Die Automatisierungsbegeisterung wirft<br />

aber auch Fragen auf: Kann eine <strong>KI</strong> zuverlässig<br />

zwischen einem IS-Kämpfer und<br />

einem Kind mit Spielzeuggewehr unterscheiden?<br />

Kennt sie den Unterschied<br />

zwischen legal und gerecht? Schon 2017<br />

mahnte das Future of Life Institute, ein<br />

<strong>KI</strong>-Wettrüsten rund um automatische<br />

Waffensysteme zu verhindern, Human<br />

Rights Watch forderte einen Bann, ebenso<br />

die Initiative „Stop Killer Robots“, unterstützt<br />

von Elon Musk und einst Stephen<br />

Hawking. Sogar der Papst warnte davor.<br />

Doch haben wir eine Wahl?<br />

Chris Kirchhoff hatte ein gutes Gefühl<br />

nach seinem Besuch in der Ukraine. „Wir<br />

trafen eine Firma, die Open-Source-Software<br />

benutzt, um Sensorendaten und Bil-<br />

Fo t o s : Pablo Miranzo/Anadolu/Getty Images, imago images, Courtesy of the authors<br />

der von Drohnen in Echtzeit zusammenzusetzen.<br />

Man bekommt auf sein Tablet<br />

einen Plan, was passiert“, erzählt er. „Mit<br />

westlichen Kampfsystemen wäre das teuer<br />

geworden. Doch die Ukrainer haben es<br />

fast kostenlos geschafft.“ Das sei unglaublich,<br />

könne aber nicht skalieren. Es braucht<br />

Masse. Kirchhoff sitzt beim Gespräch vor<br />

seiner Bücherwand in San Francisco. Er<br />

hat viele Jahre damit verbracht, das anzutreiben,<br />

was in der Ukraine jetzt passiert<br />

und was er für überlebenswichtig hält:<br />

Innovation in der Verteidigung.<br />

Schon 2015 bekam er den Auftrag, das<br />

Pentagon mit dem Silicon Valley in Kontakt<br />

zu bringen. Es war kurz nach den<br />

Enthüllungen von Edward Snowden, und<br />

die Tech-Leute hatten wenig Lust auf eine<br />

Kooperation mit der Regierung. Investoren<br />

rieten sogar davon ab, weil das Pentagon<br />

so schwerfällig arbeite. Kirchhoff und<br />

sein Kollege Raj M. Shah beschreiben den<br />

langen Weg in ihrem Buch „Unit X“. Als<br />

einige der großen Firmen bei dem Projekt<br />

Maven dann mit dem Ministerium<br />

zusammenarbeiteten, gingen die Google-Mitarbeiter<br />

in Streik. Dabei sei es<br />

nur darum gegangen, Computer Vision,<br />

also das <strong>KI</strong>-gestützte Auswerten von Bildern,<br />

einzusetzen, um die Massen an<br />

Videomaterial, die in Afghanistan anfielen,<br />

sehr viel schneller zu sichten. Nach<br />

dem öffentlichen Druck stieg Google zumindest<br />

vorläufig aus.<br />

„Wenn autonome<br />

Systeme statt Menschen<br />

kämpfen, wäre das toll.<br />

Aber auch eine düsterere<br />

Zukunft ist denkbar“<br />

Christopher Kirchhoff<br />

Anschauen<br />

Christopher Kirchhoff und sein Kollege Raj Shah<br />

steuern eine Drohne auf einem Feld bei Lviv<br />

Erst der russische Angriff auf die Ukraine<br />

veränderte alles. Auch das liberale Valley<br />

blickte nun anders auf die sicher geglaubte<br />

Welt. Und Investoren witterten einen Goldrausch.<br />

Niemand im Pentagon wollte und<br />

konnte mehr jahrelang auf maßgeschneiderte<br />

Lösungen warten und sich in Datensilos<br />

verlieren. Das Silicon Valley sprang<br />

ein. Was auch Probleme mit sich brachte.<br />

Denn: Was passiert, wenn die Interessen<br />

der Regierung und die der Tech-Milliardäre<br />

nicht mehr zusammenpassen? Das<br />

ukrainische Militär ist etwa auf Starlink<br />

angewiesen, ein von Elon Musks Raumfahrtfirma<br />

SpaceX betriebenes Satellitennetzwerk.<br />

Ohne Starlink kein Internet, keine<br />

<strong>KI</strong>, keine Drohnen. Bei einem Einsatz<br />

2023 verweigerte er aber die Zusammenarbeit.<br />

Wie geht man mit dem Machtgefälle<br />

um? Eine offene Frage.<br />

Einer der ersten Gründer, die in der<br />

Ukraine eintrafen, war Palmer Luckey,<br />

Chef von dem <strong>KI</strong>-Verteidigungs-Start-up<br />

Anduril. Der 31-Jährige ist für seinen Vokuhila<br />

und Hawaiihemden bekannt. Als<br />

Teenager entwickelte er VR-Brillen und<br />

verkaufte seine Firma Oculus später für<br />

zwei Milliarden Dollar an Facebook. Anduril<br />

stellt smarte, mit Sensoren beladene<br />

Drohnen und Abwehrsysteme her, bietet<br />

die mächtige <strong>KI</strong>-Plattform namens Lattice<br />

an, die Daten auswertet. Auch für das<br />

Pentagon. Inzwischen ist das Unternehmen<br />

rund 14 Milliarden Dollar wert,<br />

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