Lehramt studieren, Lehrkraft werden, Lehrkraft sein
Grundschule aktuell 167
Grundschule aktuell 167
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www.grundschulverband.de · September 2024 · D9607F<br />
Grundschule aktuell<br />
Zeitschrift des Grundschulverbandes · Heft 167<br />
<strong>Lehramt</strong> <strong>studieren</strong>,<br />
<strong>Lehrkraft</strong> <strong>werden</strong>,<br />
<strong>Lehrkraft</strong> <strong>sein</strong><br />
Zum Thema<br />
(De-)Professionalisierung<br />
im Grundschullehramt<br />
Forschung<br />
Veränderung der Sprach-Fachbewusstheit<br />
angehender Sachunterrichtslehrkräfte<br />
Rundschau<br />
Ehrenmitgliedschaft<br />
für Maresi Lassek
Inhalt<br />
Tagebuch<br />
S. 2 Warum sind wir im Grundschulverband?<br />
(G. Klenk, Lernwirkstatt Inklusion)<br />
Aus dem Vorstand<br />
S. 3 Abschied (M. Gutzmann)<br />
Thema: <strong>Lehramt</strong> <strong>studieren</strong>, <strong>Lehrkraft</strong> <strong>werden</strong>,<br />
<strong>Lehrkraft</strong> <strong>sein</strong><br />
S. 6 (De-)Professionalisierung im Grundschullehramt<br />
(E. Franz)<br />
S. 9 Was Grundschullehrkräfte können, können nur<br />
Grundschullehrkräfte (M. Peschel)<br />
S. 11 Was wirkt? Die universitäre Ausbildung und<br />
Fortbildungen im DaZ-Bereich sind zentrale<br />
Stellschrauben! (S. Pohlmann-Rother, S. Lange)<br />
S. 13 Zwischen Unterstützung und Herausforderung<br />
(A. Ellersiek, B. Kottmann)<br />
Praxis: <strong>Lehramt</strong> <strong>studieren</strong><br />
S. 15 Sei du selbst die Veränderung (A. Peplow)<br />
S. 16 Inklusive Kompetenz im Studium erwerben<br />
(A. Rank)<br />
S. 18 Die inklusive Universitätsschule Köln<br />
(M. Hensel, M. Martens, A. Niessen)<br />
S. 20 UNI-Klassen: Ein Beitrag zur Professionalisierung<br />
von Studierenden des <strong>Lehramt</strong>s GS (K. Lohrmann)<br />
Praxis: <strong>Lehrkraft</strong> <strong>werden</strong><br />
S. 23 Und wofür machen wir das alles?<br />
Ein Erfahrungsbericht aus Seminaren<br />
S. 24 Wie mein persönliches Interesse meine<br />
Entwicklung als <strong>Lehrkraft</strong> begleitet ( S. Hoyer)<br />
S. 26 Augen zu und durch? Der steinige Weg vom<br />
ersten zum zweiten Staatsexamen<br />
(J. Dannich, N. Bauer)<br />
S. 28 Aber jetzt mal ehrlich: Hat man noch Freizeit im<br />
Referendariat? (H. Hußing)<br />
Praxis: <strong>Lehrkraft</strong> <strong>sein</strong><br />
S. 30 Die kollegiale Fallberatung als Interventionsmaßnahme<br />
für Lehrkräfte (M. Bauernschuster)<br />
S. 32 Schul- und Unterrichtsentwicklung begleiten und<br />
unterstützen (E. Osterhues-Bruns)<br />
S. 34 Professionelle Rahmenbedingungen<br />
von Arbeitszeit (S. Kauder)<br />
Aus der Forschung<br />
S. 35 Veränderung der Sprach-Fach-Bewusstheit<br />
angehender Sachunterrichtslehrkräfte<br />
(P. Peifer, M. Peschel)<br />
Rundschau<br />
S. 39 Aus dem Vorstand: Ehrenmitgliedschaft<br />
für Maresi Lassek<br />
S. 40 Lerninseln: Lernorte der Zukunft – auch für<br />
Grundschulkinder (M. Pallesche)<br />
S. 42 KINDER*RECHTE*SCHULE – Kinderbücher als Impuls<br />
für den Unterricht (U. Oltmanns, H. Brügelmann)<br />
Zwischen Unterstützung und Herausforderung<br />
Aus der Sicht von Grundschullehrkräften und Sonderpädagoginnen<br />
beschreiben Annchristin Ellersiek und Brigitte Kottmann<br />
die Schlüsselfunktion für künftige Lehrkräfte, die sich<br />
in der zweiten Ausbildungsphase befinden. Sie benennen<br />
Rahmenbedingungen ebenso wie berufs- und professionsspezifische<br />
und intrapersonelle Kompetenzen und belegen<br />
diese mit persönlichen Aussagen von Betroffenen. In ihrem<br />
Fazit zeigen sie auf, dass das Referendariat als intensive Phase<br />
in einer professionellen Lerngemeinschaft erlebt <strong>werden</strong> sollte,<br />
aus der im Idealfall alle Beteiligten profitieren.<br />
Impressum<br />
Seiten 13–14<br />
Der Blaue Engel – das Umweltzeichen<br />
Durch die Verwendung eines mit dem „Blauen Engel“<br />
umweltzertifizierten Papiers für unsere Fachzeitschrift<br />
„Grundschule aktuell“ ist der Grundschulverband<br />
hier von nun an berechtigt, das Umweltzeichen<br />
„Blauer Engel“ zu führen. Da uns Umwelt- und Gesundheitsschutz<br />
am Herzen liegen, wir verantwortungsvoll mit Ressourcen umgehen<br />
möchten, freuen wir uns, auf diesem Weg einen Beitrag leisten zu<br />
können.<br />
Mit besten Grüßen, Ihr Grundschulverband e. V.<br />
GRUNDSCHULE AKTUELL, die Zeitschrift des Grundschulverbandes,<br />
erscheint vierteljährlich und wird allen Mitgliedern zugestellt<br />
(ausgenommen Unterstützer:innen).<br />
Das einzelne Heft kostet 12,00 € (zzgl. Versand)<br />
ab zehn Exemplaren 9,50 € (zzgl. Versand)<br />
Verlag: Grundschulverband e. V., Frankfurt am Main<br />
Frankfurter Straße 74–76, 63263 Neu-Isenburg,<br />
Tel. 06102 8821660, Fax: 06102 8821664,<br />
www.grundschulverband.de, info@grundschulverband.de<br />
Herausgeber: der Vorstand des Grundschulverbandes<br />
Redaktion: marion.gutzmann@vs-grundschulverband.de,<br />
gabriele.klenk@grundschuleaktuell.de<br />
Fotos und Grafiken: Titelfoto/Lohrmann, Sina Ettmer Photography/<br />
Shutterstock.com (S. 40/Schloss), Anne Schaar, Kotti e. V., Berlin (S. 41/<br />
Hase), Volker Griener, Naturkundemuseum Karlsruhe (S. 41/Museum),<br />
Bruno Kelzer © Staatliche Kunsthalle Karlsruhe (S. 41/Kunsthalle)<br />
Autorinnen und Autoren (soweit nicht anders vermerkt)<br />
Herstellung: novuprint Agentur GmbH, 30175 Hannover<br />
Anzeigen: Grundschulverband e. V., Tel. 06102 8821660,<br />
info@grundschulverband.de<br />
Druck: Strube Druck & Medien GmbH, 34587 Felsberg<br />
ISSN 1860–8604 / Bestellnummer: 6111<br />
Beilage: Grandfilm GmbH<br />
In manchen Beiträgen dieser Zeitschrift bringen Autorinnen und Autoren<br />
ihr Bemühen um eine gendersensible Sprache durch be son dere schriftsprachliche<br />
Zeichen zum Ausdruck. Da es zurzeit keine allgemein anerkannte<br />
Lösung für das Problem „gendersen sibler“ (Schrift-)Sprache gibt, verwendet<br />
jede Autorin und jeder Autor ihre oder <strong>sein</strong>e bevorzugte Form.<br />
UII<br />
GS aktuell 167 • September 2024
Diesmal<br />
Sei du selbst die Veränderung<br />
In diesem Beitrag beschreibt die junge Grundschullehramtsstudentin<br />
Anna Peplow, wie sie die vergangenen fünf<br />
Jahre ihres Studiums und den Übergang auf das bevorstehende<br />
Referendariat reflektiert. Dabei zeigt sie ihren<br />
persönlichen Weg ins Studium ebenso auf wie ihre sowohl<br />
positiven als auch enttäuschenden Erfahrungen im Zusammenhang<br />
von Studium und Schulpraxis. Während dieses<br />
Prozesses erkannte sie, dass es sehr wichtig ist, nicht in<br />
Phasen von Erschöpfung und Frustration stecken zu bleiben,<br />
sondern aktiv zu <strong>werden</strong> und selbst Verantwortung<br />
zu übernehmen. Dabei sind Netzwerke und Engagement<br />
ebenso von Bedeutung wie bildungspolitische Arbeit.<br />
Anna Peplow zeigt Zukunftsperspektiven und Ziele auf und<br />
macht Mut, sich auch in dieser herausfordernden Zeit für<br />
Kinder der Grundschule zu engagieren.<br />
Noch mehr Grundschulverband?<br />
Sie finden uns auf Social Media,<br />
Stichwort „Grundschulverband“<br />
und unseren Podcast direkt<br />
auf unserer Homepage:<br />
https://grundschulverband.de<br />
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www.<br />
grundschule-aktuell.info<br />
Hier finden Sie Informationen zu „Grundschule aktuell“<br />
und hier das Archiv der Zeitschrift:<br />
www.<br />
grundschulverband.de/archiv/<br />
Seiten 15–16<br />
UNI-Klassen: Ein Beitrag zur Professionalisierung von<br />
Studierenden des <strong>Lehramt</strong>s GS<br />
Seit 2010 beschreitet z. B. der Lehrstuhl für Grundschulpädagogik<br />
und Grundschuldidaktik der Ludwig-Maximilians-Universität<br />
München innovative Wege in der Lehrer:innenbildung.<br />
Prof. Dr. Katrin Lohrmann und andere<br />
stellen UNI-Klassen als ein Erfolgsmodell der universitären<br />
Lehrer:innenbildung und Vorbild für die Initiierung weiterer<br />
UNI-Klassen an verschiedenen anderen Universitätsstandorten<br />
vor.<br />
Seiten 20–22<br />
Liebe Leser:innen,<br />
sicherlich schwingen noch die Erinnerungen an eine erholsame<br />
Sommerferienzeit mit und der Start in das neue Schuljahr<br />
kann neben den vielfältigen Herausforderungen auch<br />
Freude auf das Kommende und Neue wecken. Mit Blick auf<br />
den Schuljahresbeginn haben wir das Septemberheft der<br />
Lehrkräftebildung gewidmet. Trotz der Komplexität des Themas<br />
und der vielfältigen Herausforderungen im Ausbildungsund<br />
Berufsfeld wollen wir den Bogen über alle drei Phasen<br />
der Lehrkräftebildung spannen: <strong>Lehramt</strong> <strong>studieren</strong> – <strong>Lehrkraft</strong><br />
<strong>werden</strong> – <strong>Lehrkraft</strong> <strong>sein</strong>. Aktuelle Herausforderungen,<br />
das Belastungserleben und die berufliche Zufriedenheit,<br />
der Umgang mit Heterogenität, die Feedbackkultur und die<br />
Zusammenarbeit im Team sind einige der zentralen Aspekte.<br />
Es ist nicht nur Aufgabe der Grundschule, sondern auch<br />
eine der Gesellschaft, wenn es unter schwierigen Bedingungen<br />
darum geht, Kindern ihr Recht auf vergleichbare Bildungschancen<br />
zu sichern und eine möglichst umfassende, grundlegende<br />
Bildung zukommen zu lassen. So betont Prof. Dr. Eva-<br />
Christina Franz in ihrem einleitenden Beitrag „(De-)Professionalisierung<br />
im Grundschullehramt?“ angesichts sinkender<br />
Schüler:innenleistungen und eines gravierenden Mangels<br />
an qualifizierten Lehrkräften den hohen Stellenwert der Professionalisierung<br />
von Lehrkräften zur Verbesserung der Bildungsqualität.<br />
Sie hebt u. a. hervor, dass die Fähigkeit, Praxis<br />
kritisch zu reflektieren und weiterzuentwickeln, unerlässlich<br />
für ein gelingendes Bildungssystem ist. Dafür bietet die Universität<br />
das geeignete Umfeld, in der Raum und Zeit geschaffen<br />
<strong>werden</strong> sollten, Lehrkräfte für eine zukunftsfähige grundlegende<br />
Bildung stark zu machen.<br />
In den einzelnen Themen- und Praxisbeiträgen wird die Sicht<br />
von Studierenden, Referendar:innen, Lehrkräften, Seminarleitungen,<br />
Schulen und Hochschulen in den Blick genommen sowie<br />
die Bedeutung für die Arbeit in multiprofessionellen Teams.<br />
Wie prägend auch die Gestaltung pädagogischer Beziehungen<br />
ist, zieht sich durch alle Beiträge. Ob im Studium, im Referendariat,<br />
im schulischen Alltag: Der Wunsch nach guten Beziehungen,<br />
nach Feedback, nach gemeinsamer professioneller Weiterentwicklung<br />
wirkt sich auf die Zufriedenheit aller und die Qualität<br />
des Unterrichts aus. Die Ausrichtung an den Bildungsbedürfnissen<br />
der Kinder und die soziale Unterstützung im Team<br />
können auch Belastungen abfedern. Mit dem Beitrag zur Kollegialen<br />
Fallberatung stellt Michael Bauernschuster eine pragmatische<br />
Möglichkeit dar, mit der Lehrkräfte selbst in Belastungssituationen<br />
auf soziale Ressourcen vor Ort in ihrer Schule zurückgreifen<br />
können.<br />
Dieses Heft bietet aber auch Raum für die Würdigung ehrenamtlicher<br />
Tätigkeit im Grundschulverband. Wir möchten<br />
Edgar Bohn, Gabriele Klenk und Thomas Irion von Herzen<br />
Danke sagen für ihre Arbeit im Vorstand, ebenso Maresi<br />
Lassek – ihr wurde für ihre besonderen Verdienste um den<br />
Grundschulverband die Ehrenmitgliedschaft verliehen.<br />
Wir wünschen Ihnen, liebe Leser:innen, ein gutes neues<br />
Schuljahr und bleiben Sie auch weiterhin mit uns im Gespräch.<br />
Herzlichst<br />
Marion Gutzmann, Gabriele Klenk<br />
sowie Maresi Lassek, Hans Brügelmann und Michael Töpler<br />
GS aktuell 167 • September 2024<br />
1
Tagebuch<br />
Warum wir Mitglied im<br />
Grundschulverband sind<br />
Dr. Gerald Klenk<br />
Schulamtsdirektor a. D.,<br />
1. Vorsitzender der Lernwirkstatt<br />
Inklusion e. V.<br />
Die Lernwirkstatt Inklusion e. V. ist ein kleiner Verein mit<br />
Sitz in Feucht bei Nürnberg. Gemäß unserer Satzung richten<br />
sich unsere Ziele auf Maßnahmen zur Aus- und Fortbildung<br />
von pädagogischen Fachkräften im Sinne der<br />
UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK), Beratung<br />
für pädagogische Fachkräfte, Eltern und andere Interessierte<br />
rund um Inklusion, Öffentlichkeitsarbeit und<br />
öffentliche Veranstaltungen zur Inklusion und auf Netzwerkarbeit<br />
auf lokaler, nationaler und internationaler<br />
Ebene. Wir sehen darin viele Überschneidungen mit den<br />
Zielen und der Arbeit des Grundschulverbands als Fachverband<br />
für die Grundschule.<br />
Wenn Inklusion tatsächlich im Sinne der UN-BRK in<br />
den Schulen realisiert <strong>werden</strong> soll, bedarf es grundlegender<br />
Transformationen, wie sie auch in den Positionen des<br />
Grundschulverbandes zum Ausdruck kommen. Die fünf<br />
Forderungen, die im<br />
„Standpunkt inklusive<br />
Bildung“ des GSV<br />
formuliert sind, teilen<br />
wir uneingeschränkt<br />
und über die Grundschule<br />
hinaus. Sie sind<br />
auch aus unserer Sicht<br />
richtungsweisend für<br />
eine Schule für alle in der Zukunft und markieren – auch<br />
zusammen mit den weiteren Standpunkten zu Leistung,<br />
zur nachhaltigen Entwicklung etc. – deutlich den Weg<br />
zu notwendigen Veränderungen. Wir schätzen an diesen<br />
Positionen, dass sie frei von ideologischen Versuchungen<br />
sachlich begründete Anforderungen an eine (Grundschul-)Bildung<br />
darlegen, die leider von vielen Verantwortlichen<br />
in der Bildungspolitik und der Bildungsverwaltung<br />
ignoriert <strong>werden</strong>, wie unsere konkreten Erfahrungen in<br />
Bayern leider immer wieder zeigen.<br />
Unsere Zeit ist geprägt von riesigen Herausforderungen,<br />
die durch Kriege und Klimawandel, Abschottung und<br />
Ausgrenzungen ausgelöst <strong>werden</strong>. Die sog. künstliche Intelligenz<br />
wird uns in den kommenden Jahren und Jahrzehnten<br />
vor Entwicklungen stellen, die wir heute nicht<br />
einmal erahnen können. Die „einfachen Antworten“ aus<br />
der rechtsextremen Szene locken die Menschen in eine<br />
verheerende Falle und tragen dazu bei, unsere freiheitliche<br />
Demokratie zu zerstören. Unser Schulsystem antwortet<br />
auf all diese Probleme mit Lösungsvorschlägen aus<br />
dem letzten Jahrhundert. Echt jetzt?<br />
Für die menschenwürdige Zukunft unserer Kinder<br />
brauchen wird deshalb Verbände wie den Grundschulverband,<br />
der klar artikuliert, in welche Richtung wir denken<br />
und planen müssen. Seine Argumente sind nicht dogmatisch,<br />
sondern offen für das, was wir noch nicht kennen<br />
oder wissen. Der Grundschulverband wie die Lernwirkstatt<br />
Inklusion wollen ihren Mitgliedern Mut machen,<br />
gute Wege in die Zukunft zu finden – das verbindet uns.<br />
Janusz Korczak (1878 – 1942) gilt als Vorreiter der Kinderrechte.<br />
Sein Denkansatz, der ausnahmslos vom Kind<br />
ausgeht, ist ein wichtiges Fundament für die Arbeit in der<br />
Lernwirkstatt Inklusion, und genau darin sehen wir eine<br />
tiefe Verbindung zu den Bestrebungen und Denkweisen<br />
des Grundschulverbandes. Was liegt also näher als Mitglied<br />
im GSV zu <strong>sein</strong>?<br />
2<br />
GS aktuell 167 • September 2024
Aus dem Vorstand<br />
Zum Abschied<br />
Lieber Edgar Bohn, liebe Gabriele<br />
Klenk, lieber Thomas Irion, zur letzten<br />
Delegiertenversammlung war der Zeitpunkt<br />
gekommen, Abschied vom Vorstand<br />
zu nehmen. Wir konnten uns<br />
anfangs noch gar nicht so richtig vorstellen,<br />
wie die Vorstandsarbeit ohne euch<br />
<strong>sein</strong> wird. Ihr wart für uns immer ganz<br />
wesentliche Ideen- und Ratgeber:innen.<br />
Als ihr euch 2020 zur Wahl gestellt<br />
habt, war dies genau in einer Zeit, die bereits<br />
von den Einflüssen der Pandemie geprägt<br />
war. Eine eurer ersten Amtshandlungen<br />
war die Positionierung zum Recht<br />
auf Bildung von Grundschulkindern sowie<br />
die Bereitstellung von Anregungen und<br />
Unterstützungsangeboten für Lehrkräfte,<br />
die vor einer völlig unvorhergesehenen<br />
und unbekannten Herausforderung standen.<br />
Unter anderem mit der Pressemitteilung<br />
„Grundschule in der Zeit der Corona-Pandemie<br />
– Präsenzunterricht möglichst<br />
für alle Kinder beibehalten“ habt ihr<br />
Geschichte geschrieben. Letztendlich gibt<br />
heute auch die Bildungspolitik den damaligen<br />
Forderungen des Verbandes recht.<br />
Dennoch waren und sind die Kinder, Eltern<br />
und Pädagog:innen dieser Zeit diejenigen,<br />
die eine ungeahnte Hauptlast getragen<br />
haben und auf deren Kosten Schulen<br />
viel zu lange geschlossen blieben.<br />
Gemeinsam mit den Landesgruppen<br />
wurde im Herbst 2020 die Arbeit von<br />
sechs Strategiegruppen initiiert, um eine<br />
zukunftsfähige Verbandsarbeit zu gestalten.<br />
So wurde in dieser Zeit der Newsletter<br />
neu aufgelegt, der inzwischen eine<br />
gewachsene Zahl von Interessierten erreicht.<br />
Die Social-Media-Gruppe postet<br />
regelmäßig zu einer Vielzahl von Bundes-<br />
und Länderaktivitäten. Grundschule<br />
aktuell zeigt sich mit einem moderneren<br />
„Gesicht“ und wird von einem Redaktionsteam<br />
betreut – in jeder Ausgabe finden<br />
sich neben den Beiträgen zum Thema<br />
vor allem Praxisbeiträge aus den verschiedensten<br />
Landesgruppen, die sich aktiver<br />
an der Mitgestaltung der Zeitschrift<br />
beteiligen. Schaut man auf die Website<br />
unseres Verbandes, so lädt ein länderübergreifender<br />
Veranstaltungskalender<br />
ein, vielleicht einmal beim Klönschnack<br />
im Norden, bei der Happy Hour in Bayern<br />
oder beim Pädagogischen Frühstück<br />
in NRW dabei zu <strong>sein</strong>. Auch der 1. Juni<br />
2022 bleibt unvergessen – mit einer starken<br />
Positionierung für das Kinderrecht<br />
auf Bildung startete eine bundesweite<br />
Kampagne des Grundschulverbandes für<br />
eine zukunftsfähige Grundschule, begleitet<br />
von vielen Aktionen in den einzelnen<br />
Landesgruppen. Als ein Höhepunkt eurer<br />
Vorstandsarbeit ist auch die erfolgreiche<br />
Frühjahrstagung in Weimar im März<br />
dieses Jahres in Zusammenarbeit mit<br />
der Thüringer Landesgruppe zu nennen:<br />
„KINDER.LERNEN.ZUKUNFT.JETZT!<br />
2.0 – Herausforderungen und Perspektiven“.<br />
Nicht nur mit diesem Motto habt ihr<br />
an den letzten Bundeskongress von 2019<br />
angeschlossen, sondern auch die Anforderungen<br />
an eine zukunftsfähige Grundschule<br />
auf den Prüfstand gestellt.<br />
Euer unermüdlicher Einsatz für den<br />
Grundschulverband und damit für das,<br />
was euch wichtig ist, nämlich die Zukunft<br />
der Kinder in einer zukunftsfähigen<br />
Grundschule, haben uns beeindruckt und<br />
beeinflusst – so habt ihr letztendlich ein<br />
großes Vertrauen in uns gesetzt und uns<br />
für die Mitarbeit im neuen Vorstand gewonnen.<br />
Zum Glück seid ihr für uns nicht<br />
aus der Welt, die Türen im Grundschulverband<br />
<strong>werden</strong> immer für euch offen <strong>sein</strong>.<br />
Für den Vorstand<br />
Marion, Eva, Andrea,<br />
Stanzi, Svenja und Maxi<br />
Danke, lieber Edgar!<br />
„Kein Kind zurücklassen, keines<br />
beschämen und dabei die geltenden<br />
Rahmenbedingungen niemals<br />
einfach so hinnehmen“ – so könnte<br />
man dich beschreiben. Schon als<br />
Schulleiter einer Freiburger Brennpunktschule<br />
hast du dich mit Tatkraft<br />
und vor allem politischem Geschick<br />
dadurch ausgezeichnet, dass du nicht<br />
zufriedenstellende Dinge angegangen<br />
und verändert hast. Sei es ein Schulhof,<br />
der mit dem gesamten Kollegium<br />
umgestaltet wurde, oder die Bedeutung<br />
der Arbeit im Grundschulverband auf<br />
Landesebene. Du bist ein Macher, der<br />
gern auch mal neue Wege einschlägt<br />
und nicht nur bei der Ausgabe des<br />
Schulessens in der Pandemie unkonventionelle,<br />
aber stets regelkonforme<br />
Lösungen entwickelt hat. In einer<br />
Umgebung, die oft mit besonderen<br />
Herausforderungen konfrontiert war,<br />
hast du stets dafür gesorgt,<br />
dass deine Schülerinnen<br />
und Schüler nicht nur eine<br />
qualitativ hochwertige Bildung<br />
erhalten, sondern<br />
auch in einem sicheren und<br />
unterstützenden Umfeld lernen<br />
können.<br />
Diese Erfahrungen konntest<br />
du in die Arbeit der Landesgruppe<br />
Baden-Württemberg<br />
einbringen: Gemeinsam<br />
habt ihr u. a. neue Formate wie<br />
das Couchsurfing eingeführt.<br />
Du hast maßgeblich dazu beigetragen,<br />
dass sich neue Mitglieder angenommen<br />
und willkommen fühlten. Auch<br />
bildungspolitisch konnte man auf deine<br />
Präsenz zählen: Unermüdlich hast du Gespräche<br />
mit der Landesregierung geführt,<br />
Ärger heruntergeschluckt und aufs Neue<br />
debattiert. Dir ist es zu verdanken, dass der<br />
„Kein Kind zurücklassen,<br />
keines<br />
beschämen und<br />
dabei die geltenden<br />
Rahmenbedingungen<br />
niemals<br />
einfach so<br />
hinnehmen.“<br />
Grundschulverband in Baden-<br />
Württemberg immer mehr<br />
Gehör findet und bei Veranstaltungen<br />
der Kultusverwaltung<br />
und anderen Partnern<br />
miteinbezogen wird. Regelmäßig<br />
hast du die Landesgruppe<br />
an runden Tischen in Stuttgart<br />
vertreten, hast nicht gezögert,<br />
bei kritischen Themen den<br />
Referenten der Kultusministerin<br />
direkt anzurufen und den<br />
Grundschulverband zu einem<br />
gleichwertigen Partner bei der<br />
Lehrer:innenweiterbildung gemacht.<br />
So warst du selbst aktiv im Organisationskomitee<br />
und auf dem Podium<br />
des Demokratietags Baden-Württemberg<br />
dabei.<br />
Vor vier Jahren hast du völlig ohne<br />
Vorerfahrung als Delegierter oder<br />
Fachreferent den Vorstandsvorsitz<br />
GS aktuell 167 • September 2024<br />
3
Aus dem Vorstand<br />
des Grundschulverbands in einer Zeit<br />
übernommen, in der sich viele Menschen<br />
in ihren Wohnungen verkrochen<br />
haben, Kontakte gemieden, Zukunftsängste<br />
entwickelt haben – dafür verdienst<br />
du unseren besonderen Dank.<br />
Den Haushalt konsolidieren, den Verband<br />
stabilisieren – das waren einige<br />
deiner Anliegen, denen du als Vorsitzender<br />
in der Vorstandsarbeit aktiv begegnet<br />
bist. Dir war es von Anfang an<br />
wichtig, viele Menschen zusammenzubringen,<br />
zu beteiligen und mitzunehmen.<br />
Konsequent hast du die Bildung<br />
von Strategiegruppen angeregt, auf Ergebnisse<br />
hingearbeitet und die Weiterentwicklung<br />
des Grundschulverbands<br />
vorangetrieben. Deine Arbeit zeichnete<br />
sich sowohl durch Prozessplanung und<br />
Evaluation als auch durch Optimismus<br />
und Vertrauen in andere aus. In allen<br />
Gesprächen hast du besonderen Wert<br />
auf aktives Zuhören, das Wahrnehmen<br />
unterschiedlicher Bedürfnisse und eine<br />
verständliche Kommunikation gelegt.<br />
Dabei konntest du beharrlich bleiben<br />
und Dinge auch durchsetzen.<br />
Als Vorsitzender des Grundschulverbands<br />
hast du auch das Projekt Eine Welt<br />
in der Schule begleitet. Eine Reise nach<br />
Bremen veränderte deinen Blick auf die<br />
Aktivitäten des Projektes, der daraufhin<br />
gebildete Beirat wird nun weiterhin<br />
die Arbeit unterstützen. Sicherlich war<br />
die Einladung zum Bundespräsidenten<br />
Frank-Walter Steinmeier ins Schloss<br />
Bellevue im letzten Sommer ein Highlight,<br />
konntest du dich dort auch mit<br />
anderen zu wichtigen Positionen und<br />
Werten des Grundschulverbandes austauschen.<br />
Gut, dass du dem Grundschulverband<br />
als Landesvorsitzender in Baden-<br />
Württemberg weiterhin erhalten und<br />
im Kontext der vielfältigen bildungspolitischen<br />
Diskussionen und Gespräche<br />
weiterhin präsent bleibst. Wir freuen<br />
uns auf viele weitere Jahre mit dir an<br />
unserer Seite – wenn auch in anderer<br />
Funktion.<br />
Vielen Dank dafür, lieber Edgar!<br />
„Was brauchen<br />
die Kinder für ihr<br />
Lernen?“<br />
Danke, liebe Gabi!<br />
Für viele von uns ist dein<br />
Leitsatz „Was brauchen<br />
die Kinder für ihr Lernen?“<br />
maßgeblich für all<br />
deine berufliche Arbeit<br />
und dein Engagement im<br />
Grundschulverband. Immer<br />
denkst du vom Kind aus,<br />
für jedes einzelne Kind, und<br />
siehst uns Erwachsene in der<br />
Pflicht, allen Kindern beste Chancen<br />
für ihr weiteres Leben zu ermöglichen.<br />
Das leitet dich bei allen Fragen wie<br />
z. B.: „Wie viel Digitalisierung braucht<br />
Schule?“, „Wie gelingt Inklusion in<br />
der Schule?“, „Wie sieht gelingendes<br />
Lernen in der Grundschule aus?“. Als<br />
langjährige Rektorin der Grundschule<br />
Stein konntest du gemeinsam mit<br />
deinem Kollegium viele neue Wege<br />
gehen und mit den Kindern und deinem<br />
Pädagog:innenteam eine Schule<br />
schaffen, in der sie sich wohlfühlen,<br />
gern miteinander lernen und leben.<br />
Selbst nach deiner Pensionierung hast<br />
du während der Sommerferien vielen<br />
Kindern beim Aufholen nach Corona<br />
geholfen.<br />
Aus eigenem Engagement heraus<br />
hast du die Bildung von regionalen<br />
Landesgruppen in Bayern angeregt,<br />
selbst die Gruppe Mittelfranken mitgegründet<br />
und geleitet. Seit vielen Jahren<br />
bist du auch Vorsitzende der Landesgruppe<br />
Bayern. Der Grundschulverband<br />
in Bayern ist dank deines Engagements<br />
ein wichtiger Austauschpartner<br />
für Gesprächsrunden<br />
mit dem Kultusministerium<br />
geworden und zeichnet auch<br />
für die langjährige sehr gute<br />
Zusammenarbeit mit der<br />
Grundschulreferentin verantwortlich.<br />
Nach wie vor zögerst<br />
du auch nicht, deine Meinung<br />
im Landesschulbeirat oder im<br />
Forum Bildungspolitik kundzutun<br />
und dich für eine kindgerechte<br />
Grundschule auf Landes- und Bundesebene<br />
einzusetzen. Auch für den<br />
Austausch zu bedeutenden Fragen der<br />
Grundschulpädagogik hast du dich stets<br />
eingebracht und u. a. das neue Onlineformat<br />
der Happy Hour etabliert. Gemeinsam<br />
im Landesvorstand plant ihr<br />
diese regelmäßige Stunde insbesondere<br />
zum Gespräch über das Thema der aktuell<br />
erschienenen Zeitschrift Grundschule<br />
aktuell und bringt länderübergreifend<br />
Teilnehmer:innen und Autor:innen in<br />
einen lebendigen Austausch.<br />
Zahlreiche Veröffentlichungen zur<br />
Lern- und Leistungskultur, u. a. mit Beiträgen<br />
zur pädagogischen Leistungskultur<br />
in der Reihe der Bände zur Reform<br />
der Grundschule, bei der Mitarbeit am<br />
Standpunkt „Die Lern- und Leistungsentwicklung<br />
jedes einzelnen Kindes begleiten,<br />
unterstützen und würdigen“<br />
oder die in bayerischen Grundschulen<br />
etablierten Lern- und Entwicklungsgespräche<br />
tragen deine Handschrift.<br />
In einer Pressemitteilung der Landesgruppe<br />
ist – auch hier konsequent von<br />
den Ansprüchen der Kinder her gedacht<br />
– zu lesen: „Das Recht auf Beschreibung<br />
des Lernfortschrittes für jedes<br />
Kind steht vor der Sorge der ‚hohen<br />
Arbeitsbelastung‘ von Lehrkräften“.<br />
Sehr verbunden bist du auch dem Thema<br />
Mathematik. So hast du dich dafür<br />
engagiert, dass das Fachreferat „Mathematisches<br />
Lernen im Kontext von Heterogenität“<br />
eingerichtet und Uta Häsel-Weide<br />
und Marcus Nührenbörger<br />
als Fachreferent:innen gewonnen <strong>werden</strong><br />
konnten. Der Neustart der Onlinefortbildungsreihe<br />
mit acht Veranstaltungen<br />
zum Thema „Ablösung vom<br />
zählenden Rechnen“ ist deinem Engagement<br />
und deiner Leitung zu verdanken<br />
– auch diese Veranstaltung findet<br />
länderübergreifend Beachtung.<br />
Mittendrin und immer mit einer Portion<br />
Selbstironie für dein bayerisches<br />
Herkunftsland hast du im Grundschulverband<br />
für Verständigung sowohl zwischen<br />
Nord, Ost, West und Süd als auch<br />
zwischen den Gremien gestanden. Deine<br />
große Aufmerksamkeit galt der Zusammenarbeit<br />
der Landesgruppen und<br />
dem regelmäßigen Austausch untereinander,<br />
insbesondere im Rahmen der<br />
Delegiertenversammlung. In der Zusammenarbeit<br />
mit dir haben wir deine<br />
ehrliche, offene, immer wertschätzende<br />
Art und kritische Positionierung sehr<br />
schätzen gelernt. Du schaust genau hin,<br />
fragst nach, hinterfragst, und auch dann,<br />
wenn wir glaubten, alles sei fertig oder<br />
4 GS aktuell 167 • September 2024
Aus dem Vorstand<br />
gesagt, hast du nochmals überlegt. Diese<br />
Genauigkeit und die Dinge auf den<br />
Punkt zu bringen, faszinieren uns sehr.<br />
Dein inspirierendes Motto „Einfach anfangen“<br />
hat uns Mut gemacht und deine<br />
Begeisterung und positive Herangehensweise,<br />
die sich nicht in Problemen<br />
verliert, sondern stets Lösungen sucht,<br />
hat gezeigt, wie wir Herausforderungen<br />
professionell und durchdacht begegnen<br />
können.<br />
Du hast der Mitarbeit im Bundesvorstand<br />
Adieu gesagt, aber nicht deinem<br />
Grundschulverband, denn die Redaktion<br />
von Grundschule aktuell liegt weiterhin<br />
auch in deinen Händen. Wie gut!<br />
Ohne deine akribische Arbeit, ohne die<br />
vielen Stunden der redaktionellen Abstimmung<br />
und ohne die kritisch-reflektierte<br />
Sicht auf aktuelle Grundschulfragen<br />
wäre die Zeitschrift nicht das,<br />
was sie heute ist. Auch hier gibst du<br />
den Landesgruppen eine Stimme und<br />
bringst deine schier unerschöpfliche<br />
Ideenvielfalt ein.<br />
Wir sagen nicht Adieu, sondern erfreuen<br />
uns weiterhin an deiner Begeisterung,<br />
Themen aufzugreifen und voranzutreiben.<br />
Vielen Dank dafür, liebe Gabi!<br />
Vielen Dank, lieber Thomas!<br />
Nachdem sich nach deiner Wahl in den<br />
Vorstand 2020 die Strategiegruppen<br />
bildeten, hast du dich mit deiner Fachkenntnis,<br />
Leidenschaft und Innovation<br />
dem Thema der Digitalität und<br />
der Positionierung des Grundschulverbandes<br />
auch im Rahmen der strategischen<br />
Arbeit angenommen. Maßgeblich<br />
hast du den Relaunch der Bundes-<br />
Website vorangetrieben und die Social-<br />
Media-AG mit deiner Kompetenz weit<br />
nach vorn gebracht. Mit deinem Knowhow<br />
hast du uns gezeigt, wie wir digitale<br />
Tools und Plattformen für eine effiziente<br />
Arbeit nutzen können, um noch näher<br />
an unseren Mitgliedern zu <strong>sein</strong>. Immer<br />
den „Return on Invest“ mitzudenken,<br />
das war dir wichtig. Deine Visionen und<br />
Weitsicht haben unsere digitale Präsenz<br />
und Social-Media-Aktivitäten auf<br />
ein neues Niveau gehoben. Unter deiner<br />
Mitwirkung haben wir es geschafft,<br />
unsere Botschaften klar und wirkungsvoll<br />
zu kommunizieren und die Sichtbarkeit<br />
des Grundschulverbandes als<br />
eines weltoffenen, innovativen und<br />
modernen Verbands zu steigern. Danke,<br />
lieber Thomas, dass du trotz deines<br />
Rückzugs aus dem Vorstand noch weiter<br />
die Arbeit in diesen beiden Arbeitsgruppen<br />
unterstützen wirst.<br />
Für den Themenbereich Digitale<br />
Grundbildung hast du dich in den<br />
letzten zehn Jahren im Grundschulverband<br />
als Fachreferent von 2016 bis<br />
2020 und als Vorstandsmitglied stark<br />
engagiert. Du hast uns in diesem Bereich<br />
mit viel Wissen und Aufklärung<br />
bereichert und den Verband „marketingtechnisch“<br />
aus dem Dornröschenschlaf<br />
geweckt. Auf der Grundlage<br />
dieses Engagements konnten in<br />
den letzten Jahren verschiedene<br />
Positionspapiere, Pressemitteilungen,<br />
aber auch<br />
Theorie-Praxis-Publikationen<br />
initiiert <strong>werden</strong>, die<br />
zur Profilierung des Grundschulverbandes<br />
sehr beigetragen<br />
haben.<br />
Mit deinen Veröffentlichungen<br />
und deinem Wirken als<br />
Autor, Herausgeber und Reihenherausgeber<br />
in der Reihe der Bände zur Reform<br />
der Grundschule, u. a. Band 155 „Grundschule<br />
und Digitalität“ (2023), Band 140<br />
„Neue Medien in der Grundschule 2.0“<br />
(2016) sowie bei der Erstellung und der<br />
Verabschiedung des Standpunktes Medienbildung<br />
„Grundschulkinder bei der<br />
Mediennutzung begleiten und innovative<br />
Lernpotenziale in der Grundschule<br />
nutzen“ haben wir deine Expertise in Sachen<br />
Digitalität und dich als Person und<br />
als Fachmann kennen- und sehr schätzen<br />
gelernt. Vielen von uns, die sich dem<br />
Thema Digitalität zuvor noch mit Skepsis<br />
genähert haben, hast du die Augen<br />
geöffnet und einen differenzierteren und<br />
informierteren Blick auf das Thema ermöglicht.<br />
Wichtig war dir dabei immer,<br />
für die Grundschule eine „Grundbildung<br />
in der Digitalität“ einzufordern, die<br />
durch die vier Säulen Reflexion, Analyse,<br />
Nutzung und Gestaltung in Zusammenhang<br />
mit digitalen Medien gekennzeichnet<br />
ist. Du hast gefordert, dass für<br />
die Grundschule ein eigenständiges medienpädagogisches<br />
Konzept entwickelt<br />
<strong>werden</strong> muss und gleichzeitig die Bedeutung<br />
lebensweltlicher und ganzheitlicher<br />
Erfahrungen in Natur und Kultur<br />
keineswegs zu vernachlässigen sind.<br />
Obwohl dich deine berufliche Tätigkeit<br />
als Direktor des Zentrums für Medienbildung,<br />
Abteilung Erziehungswissenschaft<br />
/ Grundschulpädagogik,<br />
an der Pädagogischen<br />
Hochschule<br />
Schwäbisch Gmünd sehr<br />
fordert, hast du den Verband<br />
auch aktuell mit deiner großen<br />
Expertise in Sachen Digitalität<br />
„Return<br />
vorangebracht. So konnten wir<br />
on Invest“<br />
mit deiner Unterstützung eine<br />
Stellungnahme zu den KMK-Handlungsempfehlungen<br />
zum Umgang mit<br />
künstlicher Intelligenz an Schulen abgeben,<br />
deine Rückmeldung zum Digitalpaket<br />
in der Schule wurde von Meinungsbarometer.info<br />
als Debattenbeitrag<br />
veröffentlicht. Interessant sind viele<br />
Veranstaltungen oder Projekte, die du<br />
initiierst und mit denen du sowohl primarspezifisch<br />
als auch medienpädagogisch<br />
Impulse für digitale Bildung in der<br />
Grundschule setzt.<br />
Zwischenmenschlich haben wir dich<br />
als Kollegen auf Augenhöhe und als<br />
wertschätzenden, interessierten Gesprächspartner<br />
erlebt, der auch Meinungen<br />
und Emotionen anderer jederzeit<br />
wahrnehmen konnte. In vielen Diskussionen<br />
hast du geeignete Worte gefunden.<br />
Als Vorstandsmitglied hast du<br />
Ideen, Gedanken und auch Kritik aus<br />
der Delegiertenversammlung aufgenommen<br />
und dich für eine weitere Au<strong>sein</strong>andersetzung<br />
damit eingesetzt. Offene<br />
Worte, Ehrlichkeit in Diskussionen<br />
und unterhaltsame Zugreisen dürfen<br />
wir in unserem Gedächtnis bewahren.<br />
Große, sehr große Fußstapfen hast<br />
du im Grundschulverband gesetzt,<br />
sie fortzusetzen, wird die Aufgabe der<br />
nächsten Jahre <strong>sein</strong>.<br />
Danke, lieber Thomas!<br />
GS aktuell 167 • September 2024<br />
5
Thema: <strong>Lehramt</strong> <strong>studieren</strong>, <strong>Lehrkraft</strong> <strong>werden</strong>, <strong>Lehrkraft</strong> <strong>sein</strong><br />
Eva-Kristina Franz<br />
(De-)Professionalisierung<br />
im Grundschullehramt?<br />
Warum eine Verkürzung der Lehrer:innenbildung<br />
eventuell „zu kurz“ greift<br />
Aufgabe der Grundschule ist es, allen Kindern eine möglichst umfassende, grundlegende<br />
Bildung zukommen zu lassen. Aktuelle Studien zeigen jedoch, dass viele<br />
Viertklässler:innen die Mindeststandards in Sprache und Mathematik nicht erreichen.<br />
Dies verdeutlicht, dass die Grundschule unter den aktuellen Bedingungen<br />
ihrem Bildungsauftrag nicht gerecht <strong>werden</strong> kann. Der akute Lehrkräftemangel<br />
verschärft die Situation und wird voraussichtlich bis 2035 andauern. Zur Kompensation<br />
<strong>werden</strong> Quer- und Seiteneinsteiger:innen eingesetzt, deren Nachqualifizierungsprogramme<br />
stark variieren und oft unzureichend sind. Die Zugangsvoraussetzungen<br />
reichen von einem Masterabschluss in einem Mangelfach bis zu<br />
zweijähriger Berufserfahrung, und die Nachqualifizierung umfasst alles von vierwöchigen<br />
Kompaktkursen bis zu vollständigen Referendariaten. Der Einsatz von<br />
Studierenden ohne <strong>Lehramt</strong>sabschluss verschärft die Problematik zusätzlich.<br />
Zusammenfassend muss also eine<br />
doppelte Herausforderung für die<br />
Grundschulen in Deutschland<br />
festgehalten <strong>werden</strong>: sinkende<br />
Schüler:innenleistungen und ein gravierender<br />
Mangel an qualifizierten Lehrkräften.<br />
Wie aber kann hierbei diese<br />
Professionalisierung gelingen? Was<br />
bedarf es dafür? Zunächst gilt es zu klären,<br />
was eigentlich grundlegende Bildung<br />
im 21. Jahrhundert ist.<br />
Grundlegende Bildung<br />
im 21. Jahrhundert<br />
Grundlegende Bildung umfasst die Vermittlung<br />
von essenziellen Fähigkeiten,<br />
Kenntnissen und Werten, die notwendig<br />
sind, um ein selbstbestimmtes Leben zu<br />
führen und aktiv an der Gesellschaft<br />
teilzunehmen. Dabei denken die meisten<br />
Menschen zunächst an Lesen und<br />
Schreiben sowie an mathematische<br />
Grundkenntnisse wie die Beherrschung<br />
grundlegender mathematischer Operationen<br />
und Konzepte. Aber auch<br />
die Fähigkeit, Probleme zu lösen<br />
und logisch zu denken, gehört ebenso<br />
zur grundlegenden Bildung wie die<br />
Beherrschung der eigenen und fremder<br />
Sprachen, um sich präzise ausdrücken<br />
zu können und Kommunikationsfähigkeiten<br />
zu erwerben.<br />
Was aber ist mit grundlegendem Können<br />
und Wissen über die Welt wie der<br />
Entwicklung eines reflektierten Geschichtsbewusst<strong>sein</strong>s,<br />
der Demokratiebildung<br />
und dem politischen Lernen,<br />
der scientific literacy, der ästhetischen<br />
und der kulturellen Bildung? Wo finden<br />
kritisches Denken und Problemlösungsfähigkeiten<br />
ihren Platz? Wo gibt es<br />
Raum, ethische Fragen zu diskutieren?<br />
Grundlegende Bildung legt den<br />
Grundstein für die weitere schulische<br />
und berufliche Bildung und ist entscheidend<br />
für das individuelle lebenslange<br />
Lernen sowie die gesellschaftliche Verantwortungsübernahme.<br />
Grundlegende<br />
Bildung zielt darauf ab, alle Kinder mit<br />
den notwendigen Fähigkeiten und Kompetenzen<br />
auszustatten, um erfolgreich<br />
und verantwortungsvoll in einer komplexen<br />
und sich ständig verändernden<br />
Welt zu agieren.<br />
Um grundlegende Bildung in allerletzter<br />
Konsequenz also zu definieren,<br />
müssen wir heute abschätzen können,<br />
was Kinder in 10, 20, 30 oder 40 Jahren<br />
benötigen. Das ist allerdings schier unmöglich,<br />
denn „Prognosen sind schwierig,<br />
besonders, wenn sie die Zukunft betreffen“<br />
(Mark Twain).<br />
Ein im Jahr 2020 durch Klimawandel<br />
und Pandemie entstandenes Weltbild<br />
kann hier ggf. weiterhelfen.<br />
Lehren und Lernen in<br />
der BANI-World<br />
Die BANI-World (vgl. dazu u. a. Bogatko<br />
& Yakhnovets, 2023) ist ein Konzept,<br />
das unsere aktuelle Zeit beschreibt<br />
und auf die Herausforderungen eingeht,<br />
die durch die zunehmende Komplexität<br />
und Unsicherheit unserer Welt entstehen.<br />
Der Begriff BANI steht für Brittle<br />
(brüchig), Anxious (ängstlich), Nonlinear<br />
(nicht linear) und Incomprehensible<br />
(unverständlich). Diese vier Begriffe<br />
erfassen die wesentlichen Merkmale der<br />
modernen Welt:<br />
Brittle (brüchig) bezeichnet das Phänomen,<br />
dass Systeme und Strukturen, die<br />
früher stabil erschienen, zunehmend<br />
anfällig für Zusammenbrüche <strong>werden</strong>. Ein<br />
kleines Problem kann unvorhersehbare<br />
und weitreichende Auswirkungen haben.<br />
Anxious (ängstlich) markiert die<br />
Unsicherheit und die Unvorhersehbarkeit,<br />
welche zu weit verbreiteter Angst und<br />
Stress in der Bevölkerung führen, da die<br />
Zukunft immer schwerer vorhersehbar ist.<br />
Nonlinear (nicht linear) macht deutlich,<br />
dass Entwicklungen und Veränderungen<br />
nicht mehr linear verlaufen,<br />
sondern oft unvorhersehbaren Mustern<br />
folgen, die plötzliche und drastische<br />
Wendungen nehmen können.<br />
Incomprehensible (unverständlich)<br />
macht auf die Komplexität der Welt aufmerksam,<br />
deren Fülle an Informationen<br />
es schwierig macht, alles zu verstehen<br />
und klare Entscheidungen zu treffen.<br />
In der BANI-World sind Flexibilität,<br />
Resilienz und kontinuierliches Lernen<br />
entscheidend, um erfolgreich mit den<br />
Herausforderungen umzugehen. Es gilt,<br />
sich anzupassen, innovativ zu denken<br />
und bereit zu <strong>sein</strong>, auf unerwartete Veränderungen<br />
zu reagieren.<br />
Grundlegende Bildung im 21. Jahrhundert<br />
scheint daher eine komplexe<br />
6 GS aktuell 167 • September 2024
Thema: <strong>Lehramt</strong> <strong>studieren</strong>, <strong>Lehrkraft</strong> <strong>werden</strong>, <strong>Lehrkraft</strong> <strong>sein</strong><br />
Eva-Kristina Franz<br />
ist Professorin für Grundschulforschung<br />
und Pädagogik der Primarstufe an der<br />
Universität Trier und im Bundesvorstand<br />
des Grundschulverbands. Ihr Forschungsinteresse<br />
gilt Fragen der Grundschullehrer:innenbildung,<br />
insbesondere<br />
der Genese und Entwicklung adaptiver<br />
Lehrkompetenz. Dabei fokussiert sie<br />
vor allem sachliche und sprachliche<br />
Adaptivität im (sozialwissenschaftlichen)<br />
Sachunterricht der Grundschule.<br />
– wenngleich nicht unlösbare – Aufgabe<br />
zu <strong>sein</strong>. Das Center for Curriculum<br />
Redesign (CCR), eine unabhängige, unparteiische,<br />
internationale Organisation,<br />
hat in <strong>sein</strong>em 2015 veröffentlichten Framework<br />
vier Dimensionen der Bildung<br />
zusammengetragen: Wissen, Kompetenzen<br />
oder Skills, Charakter und Metalernen<br />
(vgl. dazu u. a. Fadel et al. 2017).<br />
Kompetenzen<br />
(=„21 st Century Skills“)<br />
„Wie wir nutzen,<br />
was wir wissen“<br />
Kreativität<br />
Kritisches Denken<br />
Kommunikation<br />
Kollaboration<br />
CCR-Framework<br />
Quelle: Center for Curriculum Redesign<br />
Wissen<br />
„Was wir wissen“<br />
Fächerübergreifend<br />
Traditionell (z. B. Mathematik)<br />
Modern (z. B. Entrepreneurship)<br />
Querschnittsthemen (z. B. globale Kompetenz)<br />
Lernen<br />
im 21. Jhdt.<br />
Metalernen<br />
„Wie wir reflektieren und uns anpassen“<br />
Dynamisches Selbstbild<br />
Metakognition<br />
Das klassische Wissen gilt in der aktuellen<br />
Debatte häufig als überholt. „Wir<br />
ertrinken in Wissen und dürsten nach<br />
Einsicht. Die Welt der Zukunft wird von<br />
Synthetisieren beherrscht <strong>werden</strong>, von<br />
Menschen, die in der Lage sind, sich die<br />
richtigen Informationen zur richtigen<br />
Zeit und mit den richtigen Mitteln zu<br />
beschaffen, sie kritisch zu überdenken<br />
und dann einsichtige Entscheidungen zu<br />
treffen“ (Edward O. Wilson). Dennoch<br />
bedarf es für eine grundlegende Bildung<br />
im 21. Jahrhundert traditionellen und<br />
modernen Wissens, welches sich auch<br />
Querschnittsthemen öffnet. Die Frage<br />
des Wissens lässt sich oftmals auch nur<br />
fächerübergreifend beantworten.<br />
Um dieses Wissen dann auch sinnvoll<br />
nutzen zu können, bedarf es der eigentlichen<br />
21st Century Skills, die sich im<br />
4-K-Modell zusammenfassen lassen:<br />
Kreativität, kritisches Denken, Kommunikation<br />
und Kollaboration.<br />
Um sich in einer BANI-Welt zurechtzufinden,<br />
müssen junge Menschen sich<br />
mit der Frage des eigenen Handelns und<br />
Verhaltens au<strong>sein</strong>andersetzen: Themen<br />
wie Achtsamkeit, Neugier, Mut, die oben<br />
bereits angeführte Resilienz, Ethik oder<br />
Fragen des Leaderships sind absolut<br />
bedeutsam, um ein gesundes Leben<br />
meistern zu können.<br />
Charakter<br />
„Wie wir uns in der Welt<br />
verhalten und handeln“<br />
Achtsamkeit<br />
Neugier<br />
Mut<br />
Resilienz<br />
Ethik<br />
Leadership<br />
Auf Ebene des Metalernens kommt<br />
dann noch die Frage dazu, wie wir uns<br />
anpassen und reflektieren, denn ein dynamisches<br />
Selbstbild und metakognitive<br />
Kompetenzen komplettieren die Synopse<br />
an zukunftsfähigen Curricula.<br />
Diese vier Dimensionen sind zentral,<br />
um Schüler:innen und Studierende auf<br />
die Anforderungen des 21. Jahrhunderts<br />
vorzubereiten. Sie spiegeln die Notwendigkeit<br />
wider, nicht nur fachliche Kenntnisse<br />
zu erwerben, sondern auch übergreifende<br />
Kompetenzen zu entwickeln,<br />
die in einer zunehmend komplexen und<br />
vernetzten Welt entscheidend sind.<br />
Professionalisierung für eine<br />
zukunftsfähige Grundschule<br />
Die Grundschulen in Deutschland stehen<br />
also neben sinkenden Schüler:innenleistungen<br />
und einem gravierenden<br />
Mangel an qualifizierten Lehrkräften<br />
vor der Herausforderung, ein eher mit<br />
deklarativem Wissen angehäuftes Curriculum<br />
zukunftsfähig zu machen<br />
und die ihnen anvertrauten Kinder im<br />
Sinne einer zukunftsfähigen grundlegenden<br />
Bildung auszustatten. Dies<br />
erfordert dringende Maßnahmen zur<br />
Verbesserung der Bildungsqualität und<br />
zur Unterstützung der Lehrkräfte. Rank,<br />
Büker, Miller & Martschinke (2023) halten<br />
daher zu Recht fest:<br />
„Eine wesentliche Problematik besteht<br />
somit darin, dass zur Sicherstellung der<br />
genuinen Aufgabe der Grundschule, allen<br />
Kindern eine grundlegende Bildung<br />
zu ermöglichen, eine hohe Professionalität<br />
erforderlich ist, dieser Anspruch<br />
allerdings konterkariert wird, indem<br />
(noch) nicht grundständig und nach<br />
neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen<br />
ausgebildete Personen an der<br />
Grundschule erziehen und unterrichten“.<br />
Angesichts der beschriebenen Notlage<br />
<strong>werden</strong> jedoch „Lösungsideen“ diskutiert<br />
und teilweise bereits umgesetzt,<br />
die die etablierten Standards der wissenschaftlichen<br />
Grundschullehrkräftebildung<br />
missachten.<br />
Dabei soll nicht übersehen <strong>werden</strong>,<br />
dass hinsichtlich der beruflichen Anforderungen<br />
und der bildungswissenschaftlichen<br />
Grundlagen eine große<br />
Übereinstimmung zwischen allen Lehrämtern<br />
besteht. In den Bildungswissenschaften<br />
gelten für alle Lehrämter dieselben<br />
Standards, die als Mindestan-<br />
GS aktuell 167 • September 2024<br />
7
Thema: <strong>Lehramt</strong> <strong>studieren</strong>, <strong>Lehrkraft</strong> <strong>werden</strong>, <strong>Lehrkraft</strong> <strong>sein</strong><br />
forderungen nach den Vorgaben der<br />
Kultusministerkonferenz in allen Ausbildungscurricula<br />
erfüllt <strong>werden</strong> müssen.<br />
Auf dieser Grundlage stimmen die<br />
Kompetenzanforderungen für die zentralen<br />
Aufgabenbereiche von Lehrkräften<br />
– Unterrichten, Erziehen, Beurteilen<br />
und Innovieren – in allen <strong>Lehramt</strong>stypen<br />
überein. Bereits der Bildungsrat betonte<br />
in den 1970er-Jahren, dass kein<br />
grundlegender Unterschied zwischen<br />
den Lernprozessen zu Beginn oder am<br />
Ende der Schulzeit besteht, wohl aber in<br />
der Vermittlung, der Differenziertheit<br />
des Schülerverhaltens und der Form der<br />
Problemstellung (Deutscher Bildungsrat<br />
1970, 133).<br />
Schon allein deshalb sollten alle <strong>Lehramt</strong>sstudiengänge<br />
zehn Semester andauern<br />
und vollwertige Masterabschlüsse<br />
mit Promotionsrecht beinhalten. Das<br />
lange Zeit vorherrschende Stereotyp der<br />
kindorientierten Grundschullehrkräfte<br />
und der fachorientierten Gymnasiallehrkräfte<br />
gilt nach aktueller Forschungslage<br />
als widerlegt (Rothland 2022). Stattdessen<br />
sollten die Spezifika der Grundschule<br />
(Rank, Büker, Miller & Martschinke<br />
2023) stärker in der Lehrkräftebildung<br />
berücksichtigt <strong>werden</strong>:<br />
Ein erstes Spezifikum der Profession<br />
ergibt sich aus dem Gründungsversprechen<br />
der Grundschule, eine Schule für<br />
alle Kinder zu <strong>sein</strong> und als Schule der<br />
Demokratie einen Beitrag zur sozialen<br />
Integration, zu Inklusion und zum<br />
Chancenausgleich zu leisten. Dies bedeutet,<br />
der Heterogenität der Schülerschaft<br />
gerecht zu <strong>werden</strong>, indem die<br />
vielfältigen Lernvoraussetzungen und<br />
Erfahrungswelten der Kinder in Erziehungs-<br />
und Bildungsfragen aufgegriffen<br />
und individuell adaptiv weiterentwickelt<br />
<strong>werden</strong> (Miller 2022, 25). In der<br />
Rahmenvereinbarung der Kultusministerkonferenz<br />
über die Ausbildung und<br />
die Prüfung für das <strong>Lehramt</strong> an Grundschulen<br />
wird daher neben den pädagogischen,<br />
fachlichen und didaktischen Basisqualifikationen<br />
den Themen Lehren<br />
und Lernen in der digitalen Welt, Heterogenität,<br />
Inklusion und Förderdiagnostik<br />
besondere Bedeutung beigemessen.<br />
Grundschullehrkräfte haben die besondere<br />
Aufgabe, Übergänge im Schulsystem<br />
zu gestalten und die Anschlussfähigkeit<br />
sowohl zum Elementar- als auch<br />
zum Sekundarbereich sicherzustellen.<br />
Der Schulanfang und die Entwicklung<br />
von Schulfähigkeit erfordern spezifische<br />
Kompetenzen. Die Grundschule muss<br />
sowohl kindgemäß als auch anschlussfähig<br />
an das leider immer noch mehrgliedrige<br />
Sekundarschulsystem <strong>sein</strong>, wodurch<br />
die widersprüchlichen Funktionen von<br />
Förderung und Selektion deutlich <strong>werden</strong>.<br />
Helsper (2022, 67) beschreibt, dass<br />
Grundschullehrkräfte als „Inklusionsund<br />
Exklusionsprofessionelle“ agieren<br />
und für diese Verantwortung im Rahmen<br />
ihrer Professionalisierung sensibilisiert<br />
<strong>werden</strong> müssen.<br />
Grundschullehrkräfte arbeiten mit<br />
sehr jungen Kindern und müssen sich<br />
mit den besonderen entwicklungsbezogenen<br />
Voraussetzungen und Lebensbedingungen<br />
dieser Altersgruppe<br />
vertraut machen. Sie spielen in<br />
der sensiblen Phase des Schulbeginns<br />
eine zentrale Gatekeeperrolle für die<br />
Schulerfahrungen und die grundlegende<br />
Entwicklung der Lernfähigkeit der<br />
Kinder (Helsper 2022, 59). Lehrund<br />
Lernprozesse, der Aufbau von<br />
Allgemeinwissen, Sensibilisierung für<br />
Schlüsselprobleme und Unterstützung<br />
der Persönlichkeitsentwicklung müssen<br />
auf die individuellen Voraussetzungen<br />
der Schüler:innen abgestimmt <strong>sein</strong>, bevor<br />
eine nachhaltige Vermittlung abstrakter<br />
Inhalte erfolgen kann (Helsper<br />
2022, 62). Der besondere Erziehungsauftrag<br />
der Grundschullehrkräfte ist<br />
eng mit der Funktion als Klassenlehrkraft<br />
verknüpft, die im internationalen<br />
Vergleich ein weitverbreiteter Standard<br />
ist (Blömeke 2006, 396).<br />
Entsprechend der Rahmenverordnung<br />
der KMK sind im Grundschullehramt<br />
Studieninhalte aus den Fächern<br />
Deutsch, Mathematik sowie einem weiteren<br />
Fach oder Lernbereich der Grundschule<br />
neben einer umfassenden bildungswissenschaftlichen<br />
Qualifizierung<br />
Pflicht. Das Kompetenzprofil für die Primarstufe<br />
lässt sich wie folgt zusammenfassen:<br />
Studienabsolvent:innen haben<br />
den Auftrag der Grundschule, Bildung<br />
grundzulegen, theoretisch-systematisch<br />
und forschungsorientiert zu erschließen,<br />
anwendungsorientiert zu erproben und<br />
wissenschaftsbasiert zu reflektieren. Sie<br />
verstehen sich als Vermittler:innen zwischen<br />
den Bildungsansprüchen der Kinder<br />
und den gesellschaftlichen Bildungsanforderungen,<br />
basierend auf einem förderorientierten,<br />
respektvollen Umgang<br />
mit allen Kindern, einer wertschätzenden<br />
Haltung für Diversität und einer differenzierten<br />
Wahrnehmung individueller<br />
kindlicher Weltzugänge. Damit wird<br />
deutlich, dass alle Bildungsinhalte und<br />
Fächer in Hinblick auf die Grundschulspezifika<br />
und ihre Komplexität professionell<br />
erarbeitet <strong>werden</strong> müssen (Mammes<br />
& Rotter 2022).<br />
Es ist dringend erforderlich, dass die<br />
Professionalisierung nicht ausschließlich<br />
in der Praxis erfolgt. Die Universität<br />
als Ort der Wissenschaftlichkeit und des<br />
theoriegeleiteten Hinterfragens bietet<br />
den Rahmen, um forschendes Lernen in<br />
Distanz zur Alltagserfahrung anzubahnen.<br />
Dass die momentane Unterrichtspraxis<br />
keine genügenden Bildungserfolge<br />
aufweist, zeigen die zitierten Studien<br />
zur Kompetenzentwicklung von Grundschulkindern.<br />
Insofern ist die Fähigkeit,<br />
Praxis kritisch zu reflektieren und weiterzuentwickeln,<br />
unerlässlich für ein gelingendes<br />
Bildungssystem. Dazu bietet<br />
die Universität das geeignete Umfeld.<br />
Hier sollte Raum und Zeit geschaffen<br />
<strong>werden</strong>, Lehrkräfte für eine zukunftsfähige<br />
grundlegende Bildung stark zu machen<br />
und ihnen das notwendige Wissen,<br />
die richtigen Skills und Raum zu geben,<br />
sich mit der Frage des eigenen Handelns<br />
und Verhaltens au<strong>sein</strong>andersetzen und<br />
das eigene Lernen auf einer Metaebene<br />
zu reflektieren. Reflektierte Praxis sollte<br />
in ihrem Wert nicht gering geschätzt<br />
<strong>werden</strong>, der Wunsch nach mehr Praxis<br />
wird leider oft mit dem nach mehr beruflichen<br />
Lernmöglichkeiten verwechselt<br />
(Fahrenbach & Klink 2024). Es bedarf<br />
jedoch zunächst einer eigenen<br />
grundlegenden Bildung, um Kinder mit<br />
qualitätsvollen Angeboten zu einer solchen<br />
zu verhelfen.<br />
„Bildung ist der Schlüssel für eine<br />
echte gesellschaftliche Transformation.<br />
Denn Bildung kann fördern, was unsere<br />
Gesellschaft für die Zukunft mehr<br />
denn je braucht: mutige und kreative<br />
Bürgerinnen und Bürger, weltoffen und<br />
mit Gemeinsinn, die es gewohnt sind,<br />
lösungsorientiert zu denken und Verantwortung<br />
zu übernehmen – für sich<br />
selbst, ihre Mitmenschen und unseren<br />
Planeten. Menschen, die die Zukunft<br />
verändern.“ (Rasfeld 2021, 84) <br />
Literaturangaben zum Artikel<br />
können Sie von unserer Website herunterladen:<br />
https://t1p.de/GSa167Lit<br />
8 GS aktuell 167 • September 2024
Thema: <strong>Lehramt</strong> <strong>studieren</strong>, <strong>Lehrkraft</strong> <strong>werden</strong>, <strong>Lehrkraft</strong> <strong>sein</strong><br />
Markus Peschel<br />
Warum eine akademische Qualifikation<br />
von Grundschullehrer:innen<br />
sinnvoll und notwendig ist<br />
In Heft 164 hat Hans Brügelmann am Beispiel von Neuwegs Theorie des impliziten<br />
Wissens gezeigt, dass pädagogisches Handeln in hohem Maße auf praktische<br />
Erfahrung angewiesen ist, um im Alltag erfolgreich zu <strong>sein</strong>. In diesem Heft betont<br />
Markus Peschel im Anschluss an ein Modell von Shulman die Bedeutung<br />
der Fachdidaktik und den Wert einer akademischen Ausbildung für die Entwicklung<br />
von Lehrer:innenkompetenz, vor allem für die Planung von Unterricht<br />
und die Reflexion von Erfahrung.<br />
Grundschullehrkräfte müssen<br />
akademisch bzw. universitär<br />
ausgebildet <strong>werden</strong> (These)<br />
Info „Knowledge“<br />
Die Übersetzung des englischen Begriffs<br />
„Knowledge“ bei Shulman (1986) als „Wissen“<br />
wird teilweise kritisch gesehen, obwohl<br />
im deutschen Sprachraum der Begriff<br />
„Wissen“ allgemein gebräuchlich ist. In der<br />
Fachdidaktik hat sich die Übersetzung etabliert,<br />
um den Begriff „Pedagogical Content<br />
Knowledge“ (PCK) als Fachdidaktik<br />
zu beschreiben. PCK bezieht sich auf das<br />
spezifische Wissen, das Lehrkräfte benötigen,<br />
um Fachinhalte vermitteln zu können.<br />
Der Beruf der Grundschullehrkraft stellt<br />
eine zentrale Säule des Bildungssystems<br />
dar und hat enormen Einfluss auf die<br />
Entwicklung und das Lernen von Kindern<br />
sowie die bildende Vorbereitung<br />
von Individuen als demokratische Mitglieder<br />
einer pluralistischen und modernen<br />
Gesellschaft (vgl. u. a. GDSU 2013).<br />
Entsprechend benötigt es eine in mehreren<br />
Bereichen (s. u.) fundierte und professionelle<br />
Ausbildung, um mit den aktuellen<br />
Erfordernissen und vor allem den<br />
zukünftigen Anforderungen der Gesellschaft<br />
an Bildung und Schule umgehen<br />
zu können. Die Notwendigkeit einer professionellen<br />
Ausbildung aufgrund der<br />
Wichtigkeit dieses Berufs basiert u. a. auf<br />
verschiedenen Argumenten, die wie folgt<br />
klassifiziert <strong>werden</strong> können:<br />
1. CK, PK, PCK: Professionelles Handeln<br />
in einem Schulfach erfordert (auch)<br />
in der Grundschule fundierte Fachkenntnisse,<br />
pädagogische Methoden<br />
und fachdidaktische Kenntnisse<br />
Grundschullehrkräfte müssen über tiefgehendes<br />
Wissen (Knowledge, s. Kasten)<br />
in verschiedenen Fachbereichen wie u. a.<br />
Mathematik, Deutsch und Sachunterricht<br />
resp. deren Fachdidaktiken verfügen,<br />
um fachdidaktisch versiert, reflektiert<br />
und begründet handeln zu können.<br />
Eine universitäre Ausbildung stellt sicher,<br />
dass Lehrer:innen nicht nur die fachlichen<br />
Inhalte beherrschen, sondern vor allem<br />
fachdidaktische Konzepte und Methoden<br />
sowie pädagogische Grundlegungen kennen,<br />
um diese Inhalte kindgerecht und<br />
adäquat in verschiedenen Situationen zu<br />
vermitteln. Dabei sind zudem moderne<br />
pädagogische Ansätze und Erkenntnisse<br />
aus der Bildungsforschung zu berücksichtigen,<br />
damit Lehrkräfte ihren Unterricht<br />
kontinuierlich weiterentwickeln<br />
können. Eine erste Grundlegung, über<br />
welche Kenntnisse (Knowledge) professionell<br />
handelnde Lehrkräfte verfügen<br />
sollen, entwickelte Shulman (1986) – mit<br />
drei miteinander vernetzten Bereichen<br />
PK, CK, PCK (s. Kasten S. 10).<br />
2. Psychologische und entwicklungsbezogene<br />
Kenntnisse<br />
Kinder im Grundschulalter befinden<br />
sich in einer entscheidenden Phase ihrer<br />
kognitiven und sozialen Entwicklung<br />
(vgl. Limbourg & Steins 2011). Eine<br />
professionelle Lehrer:innenausbildung<br />
umfasst in der Regel auch Module zur<br />
Entwicklungspsychologie (vgl. Oerter<br />
& Montada 2008) bzw. zur Kindheitspsychologie,<br />
um die individuellen<br />
Bedürfnisse der Kinder zu erkennen<br />
und angemessen darauf reagieren zu<br />
können. Dies ist wichtig, um (fachliche,<br />
aber auch emotionale) Lernschwierigkeiten<br />
von Grundschüler:innen frühzeitig<br />
zu identifizieren und gezielte Förderungen<br />
zu ermöglichen sowie eine<br />
inklusive Lernumgebung zu schaffen,<br />
in der alle Kinder individuell gefördert<br />
und gefordert <strong>werden</strong>.<br />
3. Professionalisierung und<br />
gesellschaftliche Anerkennung<br />
Die Akademisierung des Lehrberufs trägt<br />
insgesamt zur Professionalisierung der<br />
Bildung bei und erhöht das gesellschaftliche<br />
Ansehen der Grundschullehrkräfte<br />
1 : Ein akademischer Abschluss<br />
signalisiert, dass dieser Beruf aufgrund<br />
der Komplexität und der Wichtigkeit<br />
eine hohe Qualifikation erfordert, was<br />
nicht durch (duale) Ausbildungssysteme,<br />
Lehrberufe oder Fachhochschulausbildung<br />
geleistet <strong>werden</strong> kann. Dies<br />
stärkt m. E. – ähnlich wie bei Ärzt:innen<br />
oder Anwält:innen – das Vertrauen der<br />
Eltern und der Gesellschaft in die Qualität<br />
der durch Lehrkräfte vermittelten Bildung<br />
und trägt dazu bei, dass Lehrkräfte<br />
als Expert:innen auf ihrem Gebiet wahrgenommen<br />
<strong>werden</strong>.<br />
4. Vorbereitung auf komplexe Herausforderungen<br />
Der Schulalltag bringt zahlreiche Herausforderungen<br />
mit sich, von der Gestaltung<br />
des Unterrichts über die Zusammenarbeit<br />
mit Eltern bis hin zum Umgang<br />
mit sozialen und emotionalen Problemen<br />
der Kinder. Ferner sind sowohl die aktuellen<br />
gesellschaftlichen Anforderungen<br />
(Demokratie, Digitalisierung, Nachhaltigkeit<br />
u. v. a. m.) als auch die zukünftigen<br />
Entwicklungen 2 einzubeziehen. Eine universitäre<br />
Ausbildung bereitet Lehrkräfte<br />
auf diese komplexen Anforderungen vor,<br />
indem sie ihnen sowohl grundlegendes<br />
theoretisches Wissen als auch praktische<br />
Fähigkeiten vermittelt.<br />
GS aktuell 167 • September 2024<br />
9
Thema: <strong>Lehramt</strong> <strong>studieren</strong>, <strong>Lehrkraft</strong> <strong>werden</strong>, <strong>Lehrkraft</strong> <strong>sein</strong><br />
5. Förderung von Forschung,<br />
Innovation und Reflexion<br />
Universitäten sind Zentren der Forschung<br />
und der Innovation. Lehrkräfte,<br />
die an Universitäten ausgebildet <strong>werden</strong>,<br />
erfahren somit aktuelle Erkenntnisse<br />
aus Forschungsprojekten und können<br />
selbst an der Entwicklung neuer pädagogischer<br />
Konzepte und Methoden mitwirken.<br />
Dies fördert eine kontinuierliche<br />
Weiterentwicklung des Bildungssystems<br />
und trägt dazu bei, dass neue<br />
Erkenntnisse schnell in die Praxis transferiert<br />
und dort umgesetzt <strong>werden</strong> können.<br />
Dazu kommt die grundlegende<br />
Reflexion der eigenen Entwicklung im<br />
Rahmen der Reflexion eigenen pädagogischen<br />
Handelns, wie es in integrierten<br />
Schulpraktika vermittelt wird, sowie<br />
die grundlegende Reflexion der eigenen<br />
Lern- und Lehrerfahrung – und<br />
dies in Hinblick auf die Schulpraxis in<br />
der gesamten Berufszeit (vgl. Reintjes &<br />
Kunze).<br />
Fazit und Ausblick<br />
Eine akademische bzw. universitäre<br />
Ausbildung der Grundschullehrkräfte<br />
ist eine zentrale Grundlage, um eine<br />
hohe Qualität der schulischen Bildung<br />
im Primarbereich zu gewährleisten. Sie<br />
stellt sicher, dass Grundschullehrkräfte<br />
nicht nur fachlich kompetent sind,<br />
sondern auch über die notwendigen<br />
pädagogischen, psychologischen und<br />
methodischen Kenntnisse verfügen,<br />
um den vielfältigen Anforderungen<br />
des Schulalltags fachdidaktisch gerecht<br />
zu <strong>werden</strong> (vgl. u. a. Forneck 2015).<br />
Die Professionalisierung des Lehrberufs<br />
wirkt zudem insgesamt auf das<br />
Bildungssystem und stärkt dieses nachhaltig<br />
bzw. zukunftsorientiert. Dabei<br />
sind die Aspekte von Shulman (PCK,<br />
PK, CK) nur ein Aspekt in den Modellierungen<br />
der Professionalisierung.<br />
Generell wäre weiter zu diskutieren,<br />
wie die Ausbildung von Grundschullehrkräften<br />
gestaltet <strong>werden</strong> soll, wie<br />
viele ECTS bzw. welche Länge der Ausbildung<br />
dafür notwendig sind, wie viele<br />
Fächer in einem eher breiten Grundschulbereich<br />
studiert <strong>werden</strong> sollten<br />
usw. <br />
Literaturangaben zum Artikel<br />
können Sie von unserer Website herunterladen:<br />
https://t1p.de/GSa167Lit<br />
Shulmans Dimensionen (PK, CK, PCK)<br />
für den professionellen Lehrerberuf 1<br />
Lee Shulman hat mit <strong>sein</strong>en Dimensionen des pädagogischen Wissens (Pedagogical Knowledge,<br />
PK), des Fachwissens (Content Knowledge, CK) und des fachdidaktischen Wissens<br />
(Pedagogical Content Knowledge, PCK) wesentliche Beiträge zur Professionalisierung des<br />
Lehrer:innenberufs geleistet. Diese Dimensionen sind grundlegend für die Ausbildung und<br />
die Praxis von Lehrkräften und tragen maßgeblich zur Qualität des Unterrichts bei.<br />
Pädagogisches Wissen (PK): Pädagogisches Wissen umfasst allgemeine Prinzipien und<br />
Methoden des Lehrens und Lernens, die für alle Fächer und Altersstufen relevant sind. Es<br />
schließt Kenntnisse über Lernprozesse, Klassenzimmermanagement, Schüler:innenverhalten,<br />
Beurteilung und Evaluation sowie Planung und Strukturierung von Unterricht ein. Dazu<br />
gehören nach Shulman u. a.:<br />
• Effektive Unterrichtsgestaltung: Unterricht ist so zu gestalten, dass er den unterschiedlichen<br />
Bedürfnissen und Lernstilen der Schüler:innen gerecht wird. Dies fördert ein inklusives<br />
und unterstützendes Lernumfeld.<br />
• Förderung des Lernens: Pädagogisches Wissen hilft Lehrkräften, die Motivation der<br />
Schüler:innen zu steigern und deren Lernprozesse gezielt zu unterstützen.<br />
Fachwissen (CK): Fachwissen bezieht sich auf ein tiefgehendes Verständnis der spezifischen<br />
Inhalte und Konzepte, die in einem bestimmten Fach unterrichtet <strong>werden</strong>. Es umfasst die<br />
Kenntnis der zentralen Theorien, Prinzipien, Fakten und Methoden des Fachgebiets – u. a.:<br />
• Sicherstellung der inhaltlich-fachlichen Korrektheit: Ein fundiertes Fachwissen ist unerlässlich,<br />
um Fehlinformationen zu vermeiden und den Schüler:innen ein fundiertes Verständnis<br />
der Fachinhalte zu vermitteln.<br />
• Vertiefung und Erweiterung des Wissens der Schüler:innen: Lehrkräfte mit vertieftem Fachwissen<br />
können tiefere Einblicke und zusätzliche Perspektiven bieten, die über das Basiswissen<br />
hinausgehen. Schüler:innen stellen häufig komplexe und unvorhersehbare<br />
Fragen. Ein umfassendes Fachwissen befähigt Lehrkräfte, kompetent zu reagieren.<br />
Fachdidaktisches Wissen (PCK): Fachdidaktisches Wissen ist die Fähigkeit, fachliche Inhalte so<br />
zu vermitteln, dass sie für eine Schüler:innengruppe verständlich sind bzw. zugänglich <strong>werden</strong>.<br />
Es ist nach Shulman die „Synthese“ von Fachwissen und pädagogischem Wissen und umfasst<br />
die Kenntnis spezifischer Lehrstrategien und -methoden, die für das jeweilige Fach und die<br />
jeweilige Schüler:innengruppe geeignet sind. Dies bedeutet u. a.:<br />
• Anpassung der Unterrichtsmethoden: PCK ermöglicht es Lehrkräften, ihre Unterrichtsmethoden<br />
an die spezifischen Anforderungen des Fachs und die Lernvoraussetzungen der<br />
Schüler:innen anzupassen.<br />
• Verständnis für Lernschwierigkeiten: Lehrkräfte mit fachdidaktischem Wissen können typische<br />
Missverständnisse und Schwierigkeiten antizipieren, die Schüler:innen in einem<br />
bestimmten Sachthema aufweisen könnten, und gezielt darauf reagieren.<br />
Durch den Einsatz geeigneter didaktischer Methoden und Materialien können Lehrkräfte<br />
das Interesse und die Motivation der Schüler:innen stärken.<br />
Fazit: Die Dimensionen des pädagogischen Wissens (PK), des Fachwissens (CK) und vor<br />
allem des fachdidaktischen Wissens (PCK) nach Shulman sind von zentraler Bedeutung für<br />
professionelle Lehrkräfte. Sie bilden die Grundlage für eine fundierte und professionelle<br />
Ausbildung von Lehrkräften. Die Integration<br />
und die Anwendung dieser<br />
Dimensionen tragen maßgeblich zur<br />
Professionalisierung von Lehrkräften<br />
und zur Verbesserung der Bildungsund<br />
Unterrichtsqualität bei.<br />
1 Auf weitere Entwicklungen, die auf Shulmans<br />
Dimensionen bzw. Differenzierungen aufbauen,<br />
wird hier nicht weiter eingegangen, u. a. TPACK,<br />
DPACK …<br />
Anmerkungen<br />
1 Die fehlende Anerkennung kann man – trotz<br />
teilweiser Akademisierung – weiterhin beobachten,<br />
wenn es heißt, dass „nur“ Grundschullehramt<br />
studiert wird oder man eben „nur“ Grundschullehrer:in<br />
ist. Dies schlägt sich auch in der – trotz<br />
Bemühungen von inzwischen einigen Bundesländern<br />
– nicht gleichwertigen Besoldung nieder.<br />
So sind in vielen Bundesländern immer noch<br />
Pedagogical<br />
Knowledge<br />
(PK)<br />
Pedagogical<br />
Content<br />
Knowledge<br />
(PCK)<br />
Content<br />
Knowledge<br />
(CK)<br />
Differenzen zwischen den Schulformen und damit<br />
auch den Ausbildungszeiten etc. vorhanden.<br />
2 Zukünftige Entwicklungen sind generell nur begrenzt<br />
zu antizipieren. Allein der Rückblick auf die<br />
Entwicklungen der letzten 10 bis 15 Jahre in Bezug<br />
auf Digitalisierung und Demokratie zeigt, dass nur<br />
sehr begrenzt abgeschätzt <strong>werden</strong> kann, wie sich<br />
z. B. die nächsten 10 bis 15 Jahre entwickeln <strong>werden</strong>.<br />
10 GS aktuell 167 • September 2024
Thema: <strong>Lehramt</strong> <strong>studieren</strong>, <strong>Lehrkraft</strong> <strong>werden</strong>, <strong>Lehrkraft</strong> <strong>sein</strong><br />
Sarah Désirée Lange, Sanna Pohlmann-Rother<br />
Was wirkt?<br />
Die universitäre Ausbildung und Fortbildungen<br />
im DaZ-Bereich sind zentrale Stellschrauben!<br />
In vielen Grundschulklassen an deutschen Grundschulen wachsen mehr als die<br />
Hälfte der Kinder mit einer anderen Familiensprache als Deutsch auf. Aktuelle<br />
Zahlen beispielsweise aus dem IQB-Bildungsbericht 2021 zeigen, dass die<br />
Bedeutung von Mehrsprachigkeit in den Familien von Grundschulkindern<br />
zugenommen hat (Stanat et al. 2022, 204).<br />
Was bedeutet das für Grundschullehrkräfte,<br />
von denen<br />
in der Regel nur wenige<br />
selbst mehrsprachig aufwachsen und<br />
daher selbst oft nur wenig Berührungspunkte<br />
mit lebensweltlicher Mehrsprachigkeit<br />
haben? Wie können sich<br />
angehende Grundschulehrkräfte auf<br />
eine mehrsprachige Klasse einstellen?<br />
Worauf kommt es in der universitären<br />
Ausbildung und in Fortbildungen an,<br />
um Grundschullehrkräfte bestmöglich für<br />
den konstruktiven Umgang mit Mehrsprachigkeit<br />
zu rüsten? Diesen Fragen<br />
widmete sich die BLUME-I 1 -Fragebogenstudie.<br />
In der quantitativ angelegten Studie<br />
wurden berufstätige Grundschullehrkräfte<br />
mit einem Onlinefragebogen<br />
per Zoom zu ihren Überzeugungen<br />
befragt.<br />
Wie Lehrkräfte zu dem Thema Mehrsprachigkeit<br />
stehen und welche Überzeugungen<br />
sie zum Umgang mit Mehrsprachigkeit<br />
im Unterricht haben, hat<br />
Auswirkungen auf ihr unterrichtliches<br />
Handeln. Die Überzeugungen der Lehrkräfte<br />
haben beispielsweise einen Einfluss<br />
darauf, wie sie mit mehrsprachigen<br />
Kindern im Unterricht umgehen und<br />
welche Bedeutung sie der potenziellen<br />
Ressource Mehrsprachigkeit im Unterricht<br />
zuweisen. Im Fokus des vorliegenden<br />
Beitrags stehen daher die folgenden<br />
Forschungsfragen:<br />
1) Welche Überzeugungen zum Umgang<br />
mit Mehrsprachigkeit im Unterricht<br />
haben Grundschullehrkräfte?<br />
2) Welche Faktoren beeinflussen die<br />
Überzeugungen der Lehrkräfte: Inwieweit<br />
lassen sich Stellschrauben im universitären<br />
sowie berufsbezogenen Abschnitt<br />
der Lehrkräftebildung identifizieren,<br />
die bedeutsam für mehrsprachigkeitsbezogene<br />
Überzeugungen sind?<br />
Zur Beantwortung dieser Fragen wurden<br />
Daten der quantitativen BLUME I 1 -<br />
Fragebogenstudie ausgewertet (vgl. Lange<br />
& Pohlmann-Rother 2020). Diese<br />
wurden im Sommer 2018 in einem<br />
Schulamtsbezirk in Süddeutschland anhand<br />
eines Onlinefragebogens erhoben.<br />
Befragt wurden 123 berufstätige Grundschullehrkräfte.<br />
Ergebnisse<br />
Welche Überzeugungen zum Umgang<br />
mit Mehrsprachigkeit haben Grundschullehrkräfte?<br />
Grundsätzlich ist festzuhalten, dass die<br />
Überzeugungen der befragten Grundschullehrkräfte<br />
zu Mehrsprachigkeit im<br />
Unterricht überwiegend befürwortend<br />
ausfallen (M=4,14, SD=0,80). Die Mehrzahl<br />
der befragten Grundschullehrkräfte<br />
gab an, Mehrsprachigkeit in der Klasse<br />
grundsätzlich als Bereicherung zu empfinden.<br />
Zeit für DaZ-Ausbildung<br />
Besuch von Fortbildungen mit inhaltlicher Breite an DaZ-Themen<br />
Positive Kontakterfahrungen mit mehrsprachigen Kindern<br />
Anzahl an Kontakterfahrungen mit mehrsprachigen Kindern<br />
Sprachsensibles Schulprogramm<br />
Tabelle 1: Auf einen Blick! Wie können befürwortende Überzeugungen zum Umgang<br />
mit Mehrsprachigkeit bei Grundschullehrkräften unterstützt <strong>werden</strong>?<br />
✔<br />
✔<br />
✔<br />
✗<br />
✗<br />
Welche Faktoren beeinflussen die<br />
Überzeugungen der Lehrkräfte?<br />
Die Ergebnisse der Regressionsanalysen<br />
zeigen, dass von den untersuchten Faktoren<br />
vor allem der Nutzung formaler<br />
Aus- und Fortbildungsangebote eine<br />
hohe Bedeutung zukommt. Insbesondere<br />
ein hoher Zeitaufwand im Rahmen der<br />
universitären DaZ-Ausbildung führt<br />
zu wertschätzenderen Überzeugungen<br />
gegenüber Mehrsprachigkeit im Unterricht.<br />
Lehrkräfte, die also viel Zeit in<br />
eine DaZ-Ausbildung investierten, weisen<br />
befürwortendere Überzeugungen<br />
zur Mehrsprachigkeit im Unterricht auf<br />
(0,216) als die Lehrkräfte, die weniger Zeit<br />
in diese Ausbildung investierten. Auch<br />
die inhaltliche Breite der DaZ-Themen<br />
in besuchten Fortbildungen ist ein signifikanter<br />
Einflussfaktor. Je umfangreicher<br />
die in den Fortbildungen behandelten Themen<br />
sind, desto positiver sind die Überzeugungen<br />
der Lehrkräfte in Bezug auf<br />
Mehrsprachigkeit im Unterricht (0,331).<br />
Wenn Lehrkräfte die Erfahrungen mit<br />
mehrsprachigen Lernenden im Unterricht<br />
als bereichernd bewerten, führt dies<br />
ebenfalls zu befürwortenderen Überzeugungen<br />
(0,284) im Vergleich zu Lehrkräften,<br />
die ihre Erfahrungen als nicht bereichernd<br />
bewerten. Wie viele Kontakterfahrungen<br />
Lehrkräfte mit mehrsprachigen<br />
Kindern im Unterricht sammeln, ist<br />
hingegen weniger relevant. Eine Tätigkeit<br />
an Schulen mit sprachsensiblem Schulprogramm<br />
geht mit marginal ablehnenderen<br />
Überzeugungen zu Mehrsprachigkeit<br />
im Unterricht einher. (s. Abb.1 S. 12)<br />
Diskussion: Auf die<br />
Ausbildung kommt es an!<br />
Viele Grundschullehrkräfte fühlen sich<br />
wenig oder gar nicht auf das Unterrichten<br />
von mehrsprachigen Kindern<br />
vorbereitet und wünschen sich mehr<br />
Fortbildungen zu dem Thema (vgl.<br />
Pohlmann-Rother & Lange 2020). Nicht<br />
nur Praxiserfahrungen sind bedeut-<br />
GS aktuell 167 • September 2024<br />
11
Thema: <strong>Lehramt</strong> <strong>studieren</strong>, <strong>Lehrkraft</strong> <strong>werden</strong>, <strong>Lehrkraft</strong> <strong>sein</strong><br />
0,174<br />
sam, sondern das kritisch-konstruktive<br />
Nachdenken über die erlebten Praxiserfahrungen.<br />
Die Ergebnisse zu den Einflussfaktoren<br />
zeigen, dass die DaZ-Ausbildung<br />
mit befürwortenden Überzeugungen der<br />
Lehrkräfte gegenüber Mehrsprachigkeit<br />
im Unterricht einhergeht. Die Überzeugungen<br />
fallen zudem umso befürwortender<br />
aus, je breiter DaZ-Inhalte in<br />
Fortbildungen während der Berufspraxis<br />
behandelt wurden, was in Einklang mit<br />
vorliegenden Untersuchungen steht (z. B.<br />
Brooks & Adams 2015).<br />
Anders als angenommen <strong>werden</strong> könnte,<br />
ist nicht der Umfang der Kontakterfahrungen<br />
für die Überzeugungen der<br />
Lehrkräfte relevant, sondern die Bewertung<br />
der Erfahrungen: Eine positive Bewertung<br />
des Kontakts führt zu befürwortenderen<br />
Überzeugungen. Lehrkräfte an<br />
Schulen mit einem sprachsensiblen Schulprogramm<br />
weisen ablehnendere Überzeugungen<br />
gegenüber Mehrsprachigkeit<br />
auf als Lehrkräfte an Schulen ohne ein solches<br />
Schulprogramm. Eine Erklärung für<br />
diesen Befund könnte <strong>sein</strong>, dass Lehrkräfte<br />
an Schulen mit sprachsensiblen Schulprogrammen<br />
ein ausgeprägteres Bewusst<strong>sein</strong><br />
für Mehrsprachigkeit entwickeln, sodass<br />
die Überzeugungen differenzierter und<br />
damit im Einzelnen kritischer ausfallen<br />
als bei Lehrkräften, die einen weniger differenzierten<br />
Blick auf die Mehrsprachigkeit<br />
im Unterricht haben.<br />
Fazit<br />
-0,013<br />
0,216<br />
0,331<br />
0,100<br />
-0,093 -0,079 -0,105<br />
0,284<br />
Insgesamt kann festgehalten <strong>werden</strong>,<br />
dass von den untersuchten Einflussfaktoren<br />
vor allem der Nutzung formaler<br />
Aus- und Fortbildungsangebote<br />
-0,177<br />
■ universitäre DaZ-Ausbildung: ja (ref. nein)<br />
■ Zeitaufwand für DaZ-Ausbildung (ref. sehr<br />
niedrig): eher niedrig<br />
■ eher hoch<br />
■ sehr hoch<br />
■ inhaltliche Breite DaZ-Themen<br />
(1 = gar nicht, 5 = sehr häufig besucht)<br />
■ MSK-Lehrerfahrung (ref. sehr niedrig):<br />
eher niedrig<br />
■ eher hoch<br />
■ sehr hoch<br />
■ Positive MSK-Bewertung (ref. negativ)<br />
■ Pädagogischer Ansatz für<br />
MSK an Schulen: ja (ref. nein)<br />
Abbildung 1: Einflussfaktoren auf befürwortende Überzeugungen zum Umgang mit<br />
Mehrsprachigkeit (Beta-Koeffizienten)<br />
Bedeutung zukommt. Wie viele Kontakterfahrungen<br />
Lehrkräfte mit mehrsprachigen<br />
Kindern im Unterricht<br />
sammeln, ist weniger relevant. Wenn<br />
Lehrkräfte die Erfahrungen mit mehrsprachigen<br />
Lernenden im Unterricht für<br />
sich als bereichernd bewerten, führt dies<br />
zu befürwortenderen Überzeugungen.<br />
Das Ergebnis, dass die Grundschullehrkräfte<br />
tendenziell befürwortende<br />
Überzeugungen der Lehrkräfte gegenüber<br />
Mehrsprachigkeit im Unterricht<br />
aufweisen, stimmt optimistisch! Dennoch<br />
zeigen die Ergebnisse auch die<br />
Notwendigkeit, das Thema Mehrsprachigkeit<br />
und DaZ insbesondere in der<br />
ersten Phase der Lehrkräftebildung systematisch<br />
zu verankern und auch Fortbildungsangebote<br />
für berufstätige Lehrkräfte<br />
flächendeckend mit entsprechender<br />
thematischer Breite anzubieten.<br />
Ausblick<br />
Die vorliegenden Ergebnisse zeigen<br />
die tendenziell befürwortenden Überzeugungen<br />
der Grundschullehrkräfte.<br />
Allerdings wird wenig von der Bandbreite<br />
der Überzeugungen und ihren<br />
Ambivalenzen deutlich. Mit dem<br />
Ziel, diese Differenziertheit der Überzeugungen<br />
aufzudecken, wird die<br />
BLUME-II-Vignettenstudie durchgeführt,<br />
in der qualitative, vignettengestützte<br />
Interviews erhoben und ausgewertet<br />
<strong>werden</strong>. Die Ergebnisse der<br />
Vignettenstudie zeigen deutlich, wie<br />
differenziert, vielschichtig und teilweise<br />
auch widersprüchlich die Überzeugungen<br />
der Lehrkräfte zu dem<br />
Thema Mehrsprachigkeit sind (vgl.<br />
Lange et al. 2023). <br />
Prof. Dr. Sanna Pohlmann-Rother (links)<br />
ist Inhaberin des Lehrstuhls für<br />
Grundschulpädagogik und -didaktik<br />
der Julius-Maximilians-Universität<br />
Würzburg, Forschungsschwerpunkte<br />
u. a. empirische Grundschul- und<br />
Unterrichtsforschung, Unterrichtsqualitätsforschung,<br />
Transitionsforschung,<br />
Mehrsprachigkeitsforschung,<br />
medienpädagogische Professionalisierung,<br />
Digitalkompetenzen von<br />
Grundschulkindern.<br />
Prof. Dr. Sarah Désirée Lange<br />
ist Inhaberin der Professur für Schulpädagogik<br />
der Primarstufe, Zentrum<br />
für Lehrkräftebildung und Bildungsforschung,<br />
Technische Universität<br />
Chemnitz, Forschungsschwerpunkte<br />
u. a. Lehrkräfteprofessionalität,<br />
Mehrsprachigkeitsforschung, Bildung<br />
für nachhaltige Entwicklung, digitale<br />
Medien und informatische Bildung<br />
in der Grundschule, soziale Ungleichheitsforschung,<br />
Internationale und<br />
vergleichende Erziehungswissenschaft.<br />
Anmerkungen<br />
1 Die BLUME-Studie besteht aus verschiedenen<br />
Teilstudien und wird von<br />
Prof. Dr. habil. Sarah Désirée Lange an der<br />
Professur Schulpädagogik der Primarstufe<br />
an der Technischen Universität Chemnitz<br />
geleitet. Die vorliegenden Daten wurden im<br />
Rahmen der quantitativen BLUME-Fragebogenstudie<br />
(2017–2020) erfasst. Seit April<br />
2022 läuft die qualitative DFG-geförderte<br />
BLUME-Vignettenstudie (=ÜBerzeugungen<br />
von GrundschulLehrkräften zum Umgang<br />
mit MEhrsprachigkeit).<br />
Literaturangaben zum Artikel<br />
können Sie von unserer Website herunterladen:<br />
https://t1p.de/GSa167Lit<br />
12 GS aktuell 167 • September 2024
Thema: <strong>Lehramt</strong> <strong>studieren</strong>, <strong>Lehrkraft</strong> <strong>werden</strong>, <strong>Lehrkraft</strong> <strong>sein</strong><br />
Annchristin Ellersiek, Brigitte Kottmann<br />
Zwischen Unterstützung<br />
und Herausforderung<br />
„Hölle Referendariat – so <strong>werden</strong> die Lehrer von morgen vergrault“ titelte der Spiegel<br />
im Januar 2024. Der Bildungsblogger Bob Blume konterte im Februar 2024 mit<br />
„Gelassenheit im Referendariat“. Diese beiden markanten Überschriften verdeutlichen,<br />
wie prägend das Referendariat für angehende Lehrer:innen <strong>sein</strong> kann. Es<br />
gilt als sagenumwobene Phase im Berufsleben, die mit zahlreichen Erfahrungen,<br />
Einblicken, Anekdoten und teilweise auch belastenden Erlebnissen verbunden ist.<br />
Nach dem Studium – das je nach<br />
Bundesland unterschiedlich<br />
viele und unterschiedlich ausgestaltete<br />
Praxisphasen beinhaltet –<br />
gehen die angehenden Lehrkräfte in die<br />
schulpraktische Ausbildungsphase<br />
(Referendariat / Vorbereitungsdienst)<br />
über, die in den meisten Bundesländern<br />
18 Monate umfasst. Hier <strong>werden</strong> sie mit<br />
neuen schul- und unterrichtspraktischen<br />
Herausforderungen, Aufgaben und<br />
Anforderungen konfrontiert, müssen oft<br />
zügig eigenständigen Unterricht übernehmen<br />
und gleichzeitig verschiedene<br />
Erwartungen erfüllen. In diese zweite<br />
Phase der Lehrer:innenausbildung sind<br />
zahlreiche Akteur:innen eingebunden,<br />
die durch ihre jeweiligen Rollen und<br />
Funktionen eine reichhaltige Dynamik<br />
und Anforderungen auf mehreren Ebenen<br />
in den Ausbildungsprozess bringen.<br />
So spielt am Ausbildungsort Schule<br />
neben der:dem Ausbildungsbeauftragten<br />
die Schulleitung eine zentrale Rolle. In<br />
den Studienseminaren oder Zentren für<br />
schulpraktische Lehrerbildung (ZfsL)<br />
<strong>werden</strong> die Referendar:innen zudem von<br />
den (Fach-)Seminarleitungen begleitet<br />
und bewertet.<br />
Die wohl prägendste und ausbildungsrelevanteste<br />
Schlüsselfunktion nehmen<br />
in dieser Phase die jeweiligen Mentor:innen<br />
an den Schulen ein. Aufgabe dieser<br />
ist es, die angehenden Kolleg:innen individuell<br />
in fachlichen und pädagogischen<br />
Fragen zu beraten und sie innerhalb<br />
von Unterrichtsaktivitäten in ihrer<br />
beruflichen (Weiter-)Entwicklung zu<br />
fördern (vgl. Richter et al. 2011). Dafür<br />
öffnen sie ihren Unterricht und Klassenraum<br />
und bieten sich für einen längeren<br />
Zeitraum an, ebendiese Rolle verantwortlich<br />
zu übernehmen. Dies ist aus Sicht der<br />
Mentor:innen häufig herausfordernd, da<br />
sie nicht nur die Verantwortung für ihre<br />
eigenen Klassen und Aufgaben tragen,<br />
sondern zusätzlich Zeit und Energie in<br />
die Betreuung und die Unterstützung der<br />
<strong>Lehramt</strong>sanwärter:innen investieren.<br />
Mentoring<br />
Obwohl Mentoring professionelle<br />
Arbeitskulturen generieren kann,<br />
Innovationspotenziale für Unterrichts-<br />
und Schulentwicklung bietet<br />
und Mentor:innen entscheidend in den<br />
Professionalisierungsprozess der <strong>Lehramt</strong>sanwärter:innen<br />
eingreifen können<br />
bzw. darin eine zentrale Rolle einnehmen,<br />
wird Mentoring gegenwärtig<br />
nicht hinreichend genutzt (vgl. Glockentöger<br />
2014). Unter Mentoring-Prozessen<br />
innerhalb des Vorbereitungsdienstes<br />
<strong>werden</strong> didaktische Maßnahmen<br />
verstanden, die angehenden<br />
Lehrkräften in ihren Praxisphasen<br />
Unterstützung bei ihrer professionellen<br />
Entwicklung bieten sollen (vgl.<br />
Schnebel 2020). Mentoring gilt als eine<br />
(professionelle) Lerngemeinschaft, in<br />
der Mentor:innen und <strong>Lehramt</strong>sanwärter:innen<br />
gemeinsam lernen und<br />
sich weiterentwickeln (vgl. Boecker<br />
2017). Die schulischen Mentor:innen<br />
sind in der konkreten Ausgestaltung<br />
von Betreuung, Beratung und Unterstützung<br />
weitestgehend frei, sodass sich<br />
eine große Bandbreite und Handlungsspielräume<br />
ergeben (vgl. Gergen 2021).<br />
Um diesen Fragen und Leerstellen<br />
systematisch nachzugehen, fanden im<br />
Rahmen einer Dissertation an der Universität<br />
Paderborn im Jahr 2023 verschiedene<br />
Befragungen mit den einzelnen<br />
Akteur:innengruppen statt. So<br />
wurden zunächst Seminarleitungen und<br />
Schulleitungen interviewt und anschlie-<br />
„Ich lenke das Boot, während<br />
meine Referendarin<br />
entscheidet, in welche<br />
Richtung sie segeln will“<br />
ßend eine Fragebogenstudie konzipiert,<br />
an der insgesamt 196 <strong>Lehramt</strong>sanwärter:innen<br />
für das <strong>Lehramt</strong> Grundschule<br />
und 284 Mentor:innen der ausbildenden<br />
Grundschulen in NRW teilgenommen<br />
haben. Die von uns ausgewählten O-Töne<br />
entstammen diesen Befragungen und<br />
geben einen Einblick in die verschiedenen<br />
Perspektiven und Rollen.<br />
Für die erfolgreiche Ausbildung<br />
spielen die Rahmenbedingungen, berufsspezifische<br />
und interpersonale<br />
Kompetenzen (wie z. B. Beratungskompetenz<br />
oder transparente Kommunikation)<br />
eine wesentliche Rolle. Hierbei<br />
betrachten die beteiligten Akteur:innen<br />
die Aspekte mit unterschiedlichen<br />
Brillen, die ihre eigenen Rollen und<br />
Verantwortlichkeiten widerspiegeln.<br />
Rahmenbedingungen<br />
Für ein erfolgreiches Mentoring im<br />
Referendariat sind verschiedene Rahmenbedingungen<br />
entscheidend. Dazu gehören<br />
das Ausbildungsverständnis der Schule,<br />
die zeitliche Strukturierung der Beratung,<br />
Ressourcen, die zur Verfügung gestellt<br />
<strong>werden</strong>, um die Arbeitsbeziehung zu<br />
unterstützen, klar definierte Rollenverständnisse<br />
und eine effektive Kooperation<br />
zwischen Zentren für schulpraktische<br />
Lehrerausbildung (ZfsL) und Schulen<br />
sowie Rückhalt auf Schulleitungsebene.<br />
Dazu gehört auch die Erkenntnis, dass<br />
die gegenseitigen Erwartungen und Ziele<br />
möglichst transparent kommuniziert und<br />
im Sinne einer erfolgreichen Begleitung<br />
der <strong>Lehramt</strong>sanwärter:innen realistisch<br />
formuliert <strong>sein</strong> sollten.<br />
Hinsichtlich der zeitlichen Struktur,<br />
um ausreichend Zeit für Beratung und<br />
Ausbildung zu haben, wünschen sich die<br />
Mentor:innen Entlastungsstunden sowie<br />
fest verankerte Zeiten im Stundenplan.<br />
Dies unterstützen die Referendar:innen<br />
gleichermaßen, indem sie verbindliche<br />
Feedback-Termine sowohl mit ihren<br />
Mentor:innen als auch mit der Schulleitung,<br />
von der sie am Ende ihrer Ausbildung<br />
bewertet <strong>werden</strong>, fordern.<br />
GS aktuell 167 • September 2024<br />
13
Thema: <strong>Lehramt</strong> <strong>studieren</strong>, <strong>Lehrkraft</strong> <strong>werden</strong>, <strong>Lehrkraft</strong> <strong>sein</strong><br />
Annchristin Ellersiek (links)<br />
ist Grundschullehrerin und Sonderpädagogin<br />
und als wissenschaftliche<br />
Mitarbeiterin im Arbeitsbereich<br />
Sonderpädagogische Förderung und<br />
Inklusion in der Schule an der Universität<br />
Paderborn tätig.<br />
Brigitte Kottmann<br />
ist Grundschullehrerin und Professorin<br />
für Sonderpädagogische Förderung<br />
und Inklusion in der Schule an der Universität<br />
Paderborn und bis heute mit<br />
ihrer Mentorin und ihren Mitreferendarinnen<br />
befreundet.<br />
Insbesondere Seminarleitungen heben<br />
die fachliche und methodische Qualifizierung<br />
der Mentor:innen hervor, da sie<br />
entscheidend für ihre Wirksamkeit bei<br />
der Begleitung der Referendar:innen<br />
ist: „vielleicht wäre es strukturell auch<br />
eine Hilfe über die Schule hinaus zu gucken<br />
oder eben auch strukturell irgendwo<br />
noch Angebote zu haben, um sich<br />
fachlich weiter oder methodisch weiterentwickeln<br />
zu können“, formuliert eine<br />
Seminarleitung. Des Weiteren <strong>werden</strong><br />
Überlegungen angestellt hinsichtlich<br />
einer übergeordneten Ausbildung für<br />
Mentor:innen, die „den Reiz hätte, dass<br />
die so ausgebildet <strong>werden</strong> wie es standardmäßig<br />
<strong>sein</strong> muss und nicht wie es<br />
ein Standort gerne hätte“. Dieser Aspekt<br />
wird von allen Befragten betont.<br />
Berufs- und professionsspezifische<br />
Kompetenzen<br />
Mentor:innen, die über professionsspezifische<br />
Kompetenzen verfügen, können<br />
eine effektive und unterstützende<br />
Arbeitsbeziehung aufbauen und den<br />
Referendar:innen dabei zur Seite stehen,<br />
ihr fachliches Wissen zu vertiefen und<br />
eine professionelle Identität als <strong>Lehrkraft</strong><br />
zu entwickeln.<br />
Professionsspezifische Kompetenzen,<br />
die im Rahmen der Arbeitsbeziehung<br />
insbesondere eine Rolle spielen, sind<br />
die Beratungskompetenz, die fachliche<br />
Kompetenz und die Reflexionskompetenz.<br />
Seitens der Referendar:innen <strong>werden</strong><br />
eine angemessene Gesprächsführung<br />
und Impulssetzung gefordert.<br />
Neben der beratenden Rolle sind<br />
Mentor:innen gleichzeitig beurteilende<br />
Ausbildungsinstanzen, wodurch sich<br />
eine Rollenambiguität und ein asymmetrischer<br />
Charakter für das Mentoring-Verhältnis<br />
ergeben. Diese Doppelfunktion<br />
trägt eine Problematik in sich,<br />
da Beratungsprozesse Hierarchiefreiheit<br />
voraussetzen, die durch die parallele<br />
Bewertungsinstanz jedoch Machtpositionen<br />
im Ausbildungsverhältnis<br />
mit sich bringen können (vgl. Glockentöger<br />
2014). Der Spagat zwischen Beratung<br />
und Bewertung kann einen wesentlichen<br />
Einfluss auf die Beziehung nehmen<br />
und von beiden Seiten als belastend<br />
empfunden <strong>werden</strong>.<br />
Interpersonale Kompetenzen<br />
Interpersonale Faktoren beziehen sich<br />
auf Merkmale, Dynamiken und Prozesse,<br />
die in Beziehungen zwischen Menschen<br />
auftreten und zwischenmenschliche<br />
Interaktionen beeinflussen (vgl.<br />
Krautz & Schieren 2013). Wie eine<br />
Seminarleitung aus NRW betont: „Und<br />
dann gibt es eine ganz, ganz wichtige<br />
Schiene, bedeutet Beziehung, also<br />
Beziehungsarbeit.“<br />
Eine erfolgreiche Beziehungsgestaltung<br />
ist von verschiedenen Faktoren abhängig.<br />
Dazu gehören individuelle Charaktereigenschaften,<br />
gegenseitige Wertschätzung,<br />
Vertrauen, Empathie, Authentizität<br />
und Verständnis (vgl. Kärner<br />
et al. 2021). Diese <strong>werden</strong> auch von der<br />
individuellen professionellen Haltung<br />
beeinflusst, die sich bereits im Studium<br />
anbahnt und über die gesamte Berufsbiografie<br />
weiterentwickelt.<br />
Die positive Gestaltung pädagogischer<br />
Beziehungen ist eine Grundlage für die<br />
Wirksamkeit von Lernprozessen (vgl.<br />
Faber et al. 2018), das gilt sowohl für<br />
Beziehungen zu Schüler:innen als auch<br />
zu <strong>Lehramt</strong>sanwärter:innen. Eine Mentorin<br />
einer inklusiven Grundschule beschreibt<br />
ihre vielfältige Rolle: „Ich berate,<br />
informiere und unterstütze. Ich lenke<br />
das Boot, während meine LAA entscheidet,<br />
in welche Richtung sie segeln will.<br />
So kann ich sie in allen Entscheidungen<br />
unterstützen.“<br />
Es existieren jedoch auch hohe Erwartungshaltungen<br />
seitens der angehenden<br />
Lehrpersonen im Vorbereitungsdienst<br />
an ihre Mentor:innen, die vor dem Hintergrund<br />
der aktuellen Arbeitsbelastung<br />
gesehen und seitens der Schulleitung<br />
wahrgenommen <strong>werden</strong> müssen. Eine<br />
klare Kommunikation und Transparenz<br />
über die Entwicklung sowie eine Arbeit<br />
auf Augenhöhe sind daher entscheidend<br />
für eine erfolgreiche Zusammenarbeit<br />
und gewinnbringende Arbeitsbeziehung.<br />
Dann kann im Idealfall auch eine professionelle<br />
Lerngemeinschaft entstehen,<br />
von der beide Seiten profitieren.<br />
Fazit<br />
Damit <strong>Lehramt</strong>sanwärter:innen und<br />
Mentor:innen bereits während des Vorbereitungsdienstes<br />
und auch zukünftig<br />
zu Kolleg:innen und Kooperationspartner:innen<br />
<strong>werden</strong> können, sollten<br />
die Bedingungen für Aus-, Fort- und<br />
Weiterbildung so gestaltet <strong>sein</strong>, dass<br />
das Referendariat als intensive Phase in<br />
einer professionellen Lerngemeinschaft<br />
erlebt wird. Von dieser Zusammenarbeit<br />
profitieren im Idealfall alle Beteiligten.<br />
Dazu stellt die Kommunikation einen<br />
zentralen Aspekt im Mentoring dar.<br />
Eine offene Gesprächsbereitschaft, aktives<br />
Zuhören und eine positive Grundeinstellung<br />
fördern die Transparenz und<br />
ermöglichen ein konstruktives Arbeitsverhältnis.<br />
Dabei entsteht ein komplexes<br />
Geflecht gegenseitiger Erwartungen,<br />
das eine klare Verständigung über Rollen,<br />
Aufgaben und Ziele erfordert.<br />
Dies dient dazu, Missverständnissen<br />
und Enttäuschungen vorzubeugen und<br />
eine wechselseitige Arbeitsbeziehung zu<br />
fördern, von der beide Seiten sowohl persönlich<br />
als auch fachlich profitieren können.<br />
In Anbetracht des aktuellen Lehrer:innenmangels,<br />
der hohen Anforderungen<br />
an die tätigen Lehrkräfte und der<br />
Komplexität des Berufsfelds Grundschule<br />
sind die Ausbildung und die Unterstützung<br />
angehender Lehrkräfte umso bedeutender.<br />
Es ist entscheidend, dass Mentor:innen<br />
und Referendar:innen in einer<br />
positiven und konstruktiven Arbeitsbeziehung<br />
zusammenarbeiten, um „gemeinsam<br />
das Boot zu segeln“. <br />
Literaturangaben zum Artikel<br />
können Sie von unserer Website herunterladen:<br />
https://t1p.de/GSa167Lit<br />
14 GS aktuell 167 • September 2024
Praxis: <strong>Lehramt</strong> <strong>studieren</strong><br />
Anna Maria Peplow<br />
„Sei du selbst die Veränderung …“<br />
Wie ich gelernt habe, Widersprüche zwischen<br />
Studium und Schulpraxis einzuordnen<br />
Am Ende meines Grundschullehramtsstudiums – ich bin 23 Jahre alt – ist es<br />
für mich kaum greifbar, dass mein Studium nach fünf Jahren und zwei großen<br />
Abschlüssen dem Ende entgegengeht und ich mich nun auf das Referendariat<br />
vorbereiten kann.<br />
Die vielen Jahre im <strong>Lehramt</strong>sstudium<br />
haben mich überrascht,<br />
inspiriert und gefordert<br />
und mir einen tiefen Einblick in mein<br />
späteres Berufsfeld gegeben. In diesem<br />
Beitrag möchte ich meinen Weg ins Studium,<br />
meine Erfahrungen und meine<br />
persönliche Reflexion teilen.<br />
Mein Weg ins Studium<br />
Nach dem Abitur standen mir viele Wege<br />
offen: Studium, Ausbildung, Reisen ins<br />
Ausland. Ich entschied mich für ein Bundesfreiwilligenjahr<br />
an einer Grundschule<br />
in meiner Heimatstadt an der Nordsee.<br />
Dies war der erste große Perspektivwechsel.<br />
Nachdem ich zwölf Jahre lang<br />
selbst die Schule besucht hatte, stand ich<br />
nun vor einer Klasse und versuchte, die<br />
stürmische 4c in den Griff zu bekommen.<br />
Bereits nach kurzer Zeit entfachte sich<br />
bei mir eine Leidenschaft für den Lehrberuf,<br />
ausgelöst durch die jungen Menschen,<br />
die strahlend und zufrieden nach<br />
Hause gingen, nachdem sie etwas Neues<br />
in meinem Unterricht gelernt hatten.<br />
Studium und<br />
Schulpraxis – Widersprüche<br />
te und Beispiele der Dozierenden. Mit<br />
Blick auf die reale Schulpraxis in Bremen<br />
ließen sich dann aber erschreckende<br />
Erkenntnisse sammeln. In den Mitarbeiter:innenzimmern<br />
wurde über Brennpunktschulen<br />
und hohe Krankheitsstände<br />
unter den Lehrkräften berichtet. Die<br />
Realität war geprägt von Stress, Lehrkräftemangel<br />
und überfüllten Klassen.<br />
Die im Studium vermittelten Ideale der<br />
Inklusion waren oft nicht umsetzbar,<br />
auch stellten die Praxisphasen während<br />
der Corona-Pandemie zusätzliche Herausforderungen<br />
dar.<br />
Enttäuschende Erfahrungen<br />
auf dem Weg<br />
Besonders während des Bachelorstudiums<br />
erlebte ich Phasen von<br />
Erschöpfung und Frustration. Tolle Ideen<br />
aus dem Studium wurden im Kollegium<br />
oft belächelt, und ich wurde mit der harten<br />
Realität an den Schulen konfrontiert.<br />
In dieser Phase motivierten mich<br />
die Herausforderungen während der<br />
Corona-Pandemie: Ansätze des Lernens<br />
mit digitalen Medien, Fortbildungen<br />
im Bereich Gesundheit und Hygiene<br />
und das Lernen über Fernunterricht.<br />
Ich erkannte, dass ich aktiv <strong>werden</strong> und<br />
selbst Verantwortung übernehmen musste,<br />
um meine Ideen und Projekte umzusetzen.<br />
Mein Wunsch, Kinder zu unterrichten,<br />
der im Bundesfreiwilligenjahr<br />
entfacht worden war, wuchs stetig. Es<br />
ging mir dabei nicht nur um das Unterrichten,<br />
sondern zunehmend um die<br />
Möglichkeiten, die ich als Lehrerin habe,<br />
das Lernen der einzelnen Kinder zu formen<br />
und sie in ihrer Entwicklung zu<br />
unterstützen. Kindern gerecht zu <strong>werden</strong>,<br />
Kinder zu fördern und zu fordern<br />
und auf ihrem individuellen Lernweg zu<br />
Anna Maria Peplow,<br />
Studium Grundschullehramt mit den<br />
Schwerpunkten inklusive Pädagogik,<br />
Deutsch und Kunst, Sprecherin des Jungen<br />
Grundschulverbands in Bremen.<br />
Noch während des Bundesfreiwilligenjahres<br />
bewarb ich mich für das <strong>Lehramt</strong>sstudium<br />
in Bremen, das besonders mit<br />
dem Fach Inklusive Pädagogik warb, das<br />
mir bekannt, aber inhaltlich Neuland für<br />
mich war. In Bremen angekommen, stand<br />
ich vor der ersten Herausforderung: Universität!<br />
Dieser folgten die zahlreichen<br />
Praxi<strong>sein</strong>heiten an Grundschulen.<br />
Meine Erwartungen an das Fach Inklusive<br />
Pädagogik wurden im Studium<br />
voll erfüllt. Neben theoretischem Input<br />
gab es immer wieder praxisnahe Projekbegleiten,<br />
war besonders während des<br />
Praxissemesters meine tägliche Motivation.<br />
Netzwerke und Engagement<br />
Das Praxissemester sah ich als Vorbereitung<br />
und ersten Einblick in das<br />
Referendariat. In der Zeit knüpfte ich<br />
wertvolle Kontakte in der Uni und in<br />
den Schulen. Das angeeignete Wissen<br />
und meine Motivation und Euphorie aus<br />
den Projekten gaben mir bei der Durchführung<br />
der Unterricht<strong>sein</strong>heiten Sicherheit.<br />
Nach Abschluss meines Praxissemesters<br />
war nach dem häufigen Auf<br />
und Ab der Gefühle bezüglich meiner<br />
Berufswahl deutlich, dass ich die absolut<br />
richtige Entscheidung getroffen hatte.<br />
Mir war klar, ich musste mit der Realität<br />
an den Schulen konfrontiert <strong>werden</strong>,<br />
auch die Handlungsunsicherheit spüren<br />
und mich aus dieser befreien und meinen<br />
eigenen Weg finden.<br />
Während dieser Findungsphase im<br />
Studium habe ich viele Kommiliton:innen<br />
auf dem Weg verloren, Studierende,<br />
die – ähnlich wie ich – schockiert von der<br />
Realität an den Schulen waren. Ich entschloss<br />
mich daher, dem Grundschulverband<br />
beizutreten, und schloss mich<br />
der in Bremen bestehenden Gruppe Junger<br />
Grundschulverband an. Der Gruppe<br />
GS aktuell 167 • September 2024<br />
15
Praxis: <strong>Lehramt</strong> <strong>studieren</strong><br />
gehören Studierende an, die gemeinsam<br />
neue Studierende darin bestärken möchten,<br />
dass sie handlungsfähig sind, dass sie<br />
selbst etwas tun und wir uns gemeinsam<br />
für die Grundschulen und letztendlich<br />
für die Kinder einsetzen können.<br />
Bildungspolitische Arbeit<br />
Inzwischen bin ich Sprecherin im Jungen<br />
Grundschulverband. Mir wurde die Aufgabe<br />
zuteil, unsere Ideen und Aufgaben<br />
regelmäßig dem Vorstand der Landesgruppe<br />
zu präsentieren. Damit kam ich<br />
in ein spannendes Netzwerk, das sich<br />
aus Beziehungen zu Dozierenden, Lehrkräften,<br />
Schulleiter:innen, emeritierten<br />
Professor:innen, Autor:innen, Politiker:innen<br />
und auch Referendar:innen<br />
zusammensetzt. Ich habe das Gefühl,<br />
endlich angekommen zu <strong>sein</strong>. Bildungspolitische<br />
Themen <strong>werden</strong> auf hohem<br />
Niveau diskutiert und wir konfrontierten<br />
politische Entscheidungsträger:innen<br />
mit unseren Aspekten. Themen, die<br />
uns Studierende über Jahre beschäftigen,<br />
können wir auf unterschiedlichen Plattformen<br />
aufgreifen und in Podcasts mit<br />
Expert:innen besprechen. Die Gründe,<br />
warum Inhalte und Aspekte aus dem<br />
Studium an den Schulen nicht umgesetzt<br />
<strong>werden</strong> konnten, <strong>werden</strong> endlich gehört,<br />
diskutiert und hinterfragt.<br />
Vorbereitung auf das Referendariat<br />
Nun befinde ich mich am Ende meines<br />
Studiums und stehe vor dem nächsten<br />
großen Schritt, dem Referendariat. Regelmäßig<br />
kommen unter Freund:innen und<br />
Kommiliton:innen Fragen auf, an welche<br />
Schule man nun gehen würde, in<br />
welchem Bundesland man bleiben oder<br />
welche Ziele man sich setzen wolle. Das<br />
Thema Inklusion ist mir während meines<br />
Studiums sehr ans Herz gewachsen. Das<br />
Referendariat an den Schulen in Bremen<br />
zu absolvieren, an denen ich zu diesem<br />
Aspekt geforscht und gearbeitet habe, ist<br />
für mich nur logisch. Auch die Ideale, die<br />
wir als Junger Grundschulverband vertreten,<br />
möchte ich im Referendariat weiter<br />
verfolgen. Die Vorbereitung und die Einblicke<br />
durch die Universität in die Schulpraxis,<br />
die Vorbereitung auf das Referendariat<br />
und der tatsächliche Handlungsspielraum<br />
einer Studierenden waren mir<br />
oft zu theoretisch und zu wenig praxisorientiert.<br />
Wäre ich nicht meiner eigenen<br />
Motivation nachgegangen, hätte ich viele<br />
Informationen und Erfahrungen bis jetzt<br />
nicht sammeln können. An dieser Stelle<br />
betrachte ich das Studium daher kritisch.<br />
Auf fachlicher und theoretischer Ebene<br />
wurde ich in den Fächern sehr gut vorbereitet.<br />
Die Frustration der Studierenden<br />
an den Schulen wird jedoch nicht durch<br />
das Wissen über die Gehirnaktivitäten<br />
von Schüler:innen während des Lernens<br />
gesenkt. Vielmehr interessiert uns, welche<br />
bildungspolitischen Entscheidungen<br />
hinter unserem späteren Berufsfeld liegen,<br />
welche Herausforderungen auf uns<br />
zukommen <strong>werden</strong> und wie wir aktiv<br />
<strong>werden</strong> können.<br />
Zukunftsperspektiven und Ziele<br />
Meine zukünftigen Erwartungen und<br />
persönlichen Ziele setzen sich aus zwei<br />
wesentlichen Aspekten zusammen. Erstens<br />
würde ich Studierenden gern zeigen,<br />
wie umfangreich und vielseitig Grundschule<br />
und das Grundschullehramt <strong>sein</strong><br />
können, z. B. durch die Teilnahme an<br />
Projekten wie dem Besuch von Modellschulen,<br />
Draußenschulprojekten und interessanten<br />
bildungspolitischen Gesprächen<br />
mit Expert:innen. Zweitens möchte ich im<br />
Referendariat meine Leidenschaft weiterentwickeln<br />
und noch mehr Facetten des<br />
Berufs kennenlernen, z. B. durch konkrete<br />
Bezüge zu Schulen. Dabei liegen mir<br />
besonders die Arbeit mit Kolleg:innen,<br />
Kooperation und Elternarbeit in Schule,<br />
Leitung und Engagement am Herzen.<br />
Astrid Rank<br />
Inklusive Kompetenz im<br />
Studium erwerben<br />
Die Entwicklung von Kompetenzen, insbesondere im Bereich der Inklusion, ist<br />
ein zentrales Thema in der Lehrkräftebildung. Sowohl Schulen als auch Universitäten<br />
legen zunehmend Wert auf die Fähigkeit, theoretisches Wissen praktisch<br />
anzuwenden. In diesem Zusammenhang gewinnen Programme wie das Zusatzstudium<br />
Inklusion Basiskompetenzen (ZIB) an Bedeutung, da sie eine enge Verknüpfung<br />
von Theorie und Praxis ermöglichen.<br />
Dieser Text zeigt zunächst auf,<br />
was inklusive Kompetenz <strong>sein</strong><br />
kann. Im Folgenden wird das<br />
ZIB als Modell für inklusionsbezogene<br />
Kompetenzentwicklung vorgestellt und<br />
durch die Einschätzung einer Studentin<br />
ergänzt (s. https://t1p.de/GSa167Lit).<br />
Kompetenz<br />
Seit vielen Jahren liegt der Fokus in Schule<br />
und Studium auf der Entwicklung<br />
von Kompetenzen, also Fähigkeiten, die<br />
in bestimmten Domänen angewendet<br />
<strong>werden</strong> können. Hierzu existieren ver-<br />
schiedene Positionen, je nachdem, ob<br />
man eher die Disposition in den Blick<br />
nimmt oder die Anwendung in konkreten<br />
Situationen. Für das schulische<br />
und universitäre Lernen sind beide<br />
Aspekte entscheidend. Schule und Studium<br />
sind darauf ausgelegt, Wissen für<br />
die Zukunft „auf Vorrat“ zu vermitteln.<br />
Denn das, was gelernt wird, wird erst<br />
später gebraucht. Die Forschung zeigt<br />
allerdings, dass Anwendungssituationen<br />
auch bereits beim Wissenserwerb relevant<br />
sind (situiertes Lernen, vgl. Rank<br />
2022). Deshalb sollte Lernen in kon-<br />
16 GS aktuell 167 • September 2024
Praxis: <strong>Lehramt</strong> <strong>studieren</strong><br />
kreten Situationen stattfinden oder das<br />
Gelernte während des Lernprozesses auf<br />
Anwendungssituationen bezogen <strong>werden</strong>.<br />
Das muss für Lehrerinnen und Lehrer<br />
nicht immer der konkrete Unterricht<br />
<strong>sein</strong>. Zielführend ist vor allem das Arbeiten<br />
in spezifisch für die Kompetenzerwartung<br />
zugeschnittenen Situationen,<br />
etwa mit Filmen oder Schülerprodukten.<br />
Inklusion<br />
Die Diskussion um den Inklusionsbegriff<br />
wird seit Längerem geführt (vgl.<br />
Rank 2024). Man unterscheidet grob<br />
zwischen einem engen und einem weiten<br />
Verständnis. Das enge Verständnis<br />
fokussiert vor allem die Integration<br />
von Menschen mit Behinderungen<br />
in das bestehende Regelschulsystem<br />
und hat seit der Ratifizierung der UN-<br />
Behindertenrechtskonvention 2009 an<br />
Bedeutung gewonnen. Das weite Verständnis<br />
hingegen bezieht sich auf alle<br />
Heterogenitätsmerkmale und zielt auf<br />
eine Überwindung der Zwei-Gruppen-<br />
Theorie (mit und ohne Förderbedarf)<br />
ab. In der Lehrkräftebildung ist das enge<br />
Verständnis von Inklusion durchaus<br />
nicht unerheblich, da in der Praxis vor<br />
allem über die Gruppe der Schülerinnen<br />
und Schüler mit Förderbedarf diskutiert<br />
wird. Grundschulen sollten jedoch als<br />
Schulen der Vielfalt das weite Verständnis<br />
leben oder zumindest anstreben.<br />
Inklusionsbezogene Kompetenz<br />
Eine Literatursichtung von König et al.<br />
(2019) zeigt, dass sich die Anforderungen<br />
an Lehrkräfte in inklusiven Settings<br />
auf Diagnose, Intervention und Förderung,<br />
Management und Organisation,<br />
Beratung und Kommunikation<br />
erweitern. Die üblichen Kompetenzbereiche<br />
Erziehen, Unterrichten, Beraten,<br />
Beurteilen, Innovieren, Kooperieren,<br />
Organisieren, inklusive Pädagogik (hier<br />
aufgelistet nach der bayerischen Zulassungs-<br />
und Ausbildungsordnung für das<br />
<strong>Lehramt</strong> für Sonderpädagogik (ZALS):<br />
§ 15 Kompetenzbereiche und Inhalte<br />
der Ausbildung) <strong>werden</strong> also vertieft<br />
und erweitert. Modelle zu professioneller<br />
Kompetenz von Lehrkräften beziehen<br />
sich in der Regel auf die Trias aus Wissen,<br />
Haltungen und Handlungskompetenzen.<br />
Die Teilkompetenzen <strong>werden</strong> dann nochmals<br />
untergliedert (z. B. das professionelle<br />
Wissen in fachdidaktisches Wissen, Fachwissen,<br />
pädagogisches Wissen, Beratungswissen<br />
und Organisationswissen).<br />
Ein umfassender Kompetenzkatalog<br />
für das Thema Inklusion ist das „Profil<br />
für inklusive Lehrerinnen und Lehrer<br />
(TE4I)“ der Europäischen Agentur<br />
(European Agency for Development<br />
in Special Needs and Inclusive Education<br />
2012). In diesem Profil <strong>werden</strong> vier<br />
Grundwerte formuliert, welche auch als<br />
Kompetenzbereiche gesehen <strong>werden</strong><br />
können: Wertschätzung der Diversität,<br />
Unterstützung aller Lernenden, Kooperation,<br />
berufliche Weiterentwicklung.<br />
Diese Kompetenzbereiche <strong>werden</strong> dann<br />
in Einstellungen und Überzeugungen/<br />
Wissen und Verständnis / Fähigkeiten<br />
und Fertigkeiten unterteilt.<br />
Das Zusatzstudium Inklusion<br />
Basiskompetenzen (ZIB)<br />
Prof. Dr. Astrid Rank<br />
ist Inhaberin des Lehrstuhls für allgemeine<br />
Grundschulpädagogik und<br />
Grundschuldidaktik an der Universität<br />
Regensburg. Sie ist als Dozentin und<br />
Fortbildnerin tätig und forscht in mehreren<br />
Drittmittelprojekten zu Inklusion<br />
und Lehrkräfteprofessionalisierung.<br />
Das ZIB beruht inhaltlich auf dem „Profil<br />
für inklusive Lehrerinnen und Lehrer“<br />
und erstreckt sich über drei Semester,<br />
die in einer festen Abfolge und in<br />
einer festen Gruppe absolviert <strong>werden</strong>.<br />
Ein zentraler Bestandteil ist die systematische<br />
Theorie-Praxis-Verknüpfung.<br />
Die Studierenden sammeln wöchentlich<br />
vielfältige Erfahrungen in einer<br />
fest zugeteilten Praktikumsklasse an<br />
einer inklusiv arbeitenden Regel- oder<br />
Förderschule und vertiefen diese freitags<br />
in Seminaren. Hier <strong>werden</strong> Inhalte<br />
erarbeitet, welche die Studierenden<br />
in der Woche darauf dann in ihrer<br />
Praktikumsklasse ausprobieren und<br />
anwenden. So findet eine sehr enge Verzahnung<br />
von Theorie und Praxis statt.<br />
Zudem sammeln die Studierenden in<br />
einem dreiwöchigen Blockpraktikum,<br />
das sowohl an einer Regelschule als auch<br />
an einer Förderschule absolviert wird,<br />
weitere unterschiedliche Einblicke in<br />
die inklusive Arbeit. Jedes Semester findet<br />
ein zusätzliches Blockseminar statt,<br />
das theoretische Inhalte vermittelt. In<br />
den drei Semestern <strong>werden</strong> die Studierenden<br />
durchgehend von einem Dozierendentandem<br />
begleitet.<br />
Ein weiterer wichtiger Baustein ist der<br />
sukzessive Aufbau des ZIB. Dieser steigert<br />
die Anforderungen und die Komplexität<br />
von Semester zu Semester. Das<br />
erste Semester ist der individuellen Förderung<br />
gewidmet. Im Praktikum <strong>werden</strong><br />
diagnostische Beobachtungen durchgeführt,<br />
ein Förderplan für ein Kind erstellt<br />
und ein Förderangebot erarbeitet,<br />
welches selbstständig geplant, durchgeführt<br />
und evaluiert wird. Im zweiten<br />
Semester beziehen sich die gesteigerten<br />
Anforderungen auf die Förderung einer<br />
Kleingruppe. Es <strong>werden</strong> Methoden und<br />
Differenzierungsmaßnahmen entwickelt.<br />
Das dritte Semester wird theoretisch<br />
unter den Aspekt des Classroom<br />
Managements gestellt und in der Praxis<br />
übernehmen die Studierenden eine<br />
Schulstunde, die sie selbstständig planen<br />
und durchführen.<br />
Die Studierenden fertigen über ihre<br />
Zeit im ZIB ein Portfolio an, welches als<br />
Leistungsnachweis dient.<br />
Die Begleitforschung lässt bei den<br />
Teilnehmenden eine ausgesprochen<br />
positive und gegenüber einer Kontrollgruppe<br />
signifikant höhere Kompetenzentwicklung<br />
erkennen.<br />
Fazit<br />
Das ZIB wird sowohl von den Studierenden<br />
als auch von den beteiligten Schulen<br />
als wertvolle Bereicherung empfunden.<br />
Die signifikant höhere Kompetenzentwicklung<br />
bei den Teilnehmenden<br />
bestätigt diesen Eindruck. Dennoch<br />
bleibt die Herausforderung, eine ZIBartige<br />
Struktur für alle Studierenden<br />
zu schaffen und relevante Elemente ins<br />
Regelstudium zu integrieren.<br />
Literaturangaben und Langversion dieses<br />
Artikels können Sie von unserer Website<br />
herunterladen: https://t1p.de/GSa167Lit<br />
GS aktuell 167 • September 2024<br />
17
Praxis: <strong>Lehramt</strong> <strong>studieren</strong><br />
Andreas Niessen, Matthias Martens, Marion Hensel, Hildegard Horstkemper-Schürmann<br />
Die Genese der IUS – ein Kurzporträt<br />
Neue Wege in der Lehrer:innenbildung –<br />
die inklusive Universitätsschule Köln<br />
Am Beginn des Weges hin zur Gründung der Inklusiven Universitätsschule Köln<br />
(IUS) stand eine studentische Initiative. Während der Proteste gegen die Einführung<br />
von Studiengebühren 2008 forderten <strong>Lehramt</strong>s<strong>studieren</strong>de der Universität<br />
zu Köln die Erprobung neuer Wege in der Lehrer:innenbildung. Vorbild waren<br />
die finnischen Teacher Training Schools. Wesentliche Impulse erhielt diese Initiative<br />
durch die Debatte um die Inklusion in Schule und Bildung im Kontext<br />
der Ratifizierung der UN-Behindertenrechtskonvention durch die Bundesrepublik<br />
Deutschland (2009).<br />
Die Inklusive Universitätsschule<br />
Köln (IUS) besteht aus zwei<br />
eigenständigen Schulen: Die<br />
zweizügige Helios-Primarstufe wurde<br />
2015 gegründet, die Gründung der<br />
Helios-Sekundarstufe folgte 2018 als<br />
vierzügige Gesamtschule. Als Schulen in<br />
städtischer Trägerschaft arbeiten beide<br />
Schulen nach den jeweils geltenden<br />
Bestimmungen des Schulgesetzes NRW<br />
und den entsprechenden Ausbildungsund<br />
Prüfungsordnungen.<br />
Am Entstehungsprozess waren von<br />
Anfang an Studierende, Dozierende und<br />
Wissenschaftler:innen der Universität zu<br />
Köln, Personen aus der Schulpraxis sowie<br />
aus der Kölner Stadtgesellschaft beteiligt.<br />
Ein zentrales Element des Projekts<br />
ist die Errichtung eines gemeinsamen<br />
Schulgebäudes, das nach dem<br />
Konzept der offenen Lernlandschaften<br />
gestaltet ist und den Erfordernissen<br />
einer zeitgemäßen inklusiven Lernkultur<br />
Rechnung trägt (Hubeli et al. 2017).<br />
Die Universität zu Köln wird im Neubau<br />
eigene Räume für Lehrer:innenbildung<br />
und Forschung beziehen.<br />
Zentrale Anliegen und<br />
Ziele des Projekts IUS – der<br />
Kooperationsvertrag<br />
Das zentrale Anliegen der IUS besteht<br />
darin, eine Schule zu entwickeln, die<br />
inklusive Bildung für alle ermöglicht<br />
und als innovativer Ort der Lehrer:innenbildung<br />
in allen Phasen neue Wege<br />
einer zeitgemäßen Professionalisierung<br />
eröffnet sowie neue, sinnstiftende Formen<br />
der Theorie-Praxis-Verknüpfung<br />
anbietet. Die IUS soll Studierenden der<br />
verschiedenen <strong>Lehramt</strong>sstudiengänge<br />
und Fächer die Gelegenheit geben,<br />
Haltungen und Kompetenzen für ein<br />
erfolgreiches Arbeiten an inklusiven<br />
Schulen zu erwerben (Reich et al. 2015;<br />
Hensel et al. 2020). In einem ganzheitlichen<br />
und interprofessionellen Ansatz<br />
sollen außerdem Verknüpfungen zur<br />
Ausbildung in anderen pädagogischen<br />
Professionen (Sozialpädagogik, Soziale<br />
Arbeit) geschaffen <strong>werden</strong>.<br />
Der im Mai 2022 unterzeichnete Kooperationsvertrag<br />
zwischen der Universität<br />
zu Köln, der Stadt Köln und der<br />
Bezirksregierung Köln definiert vier<br />
zen-trale Handlungsfelder: Lehrer:innenbildung,<br />
Schulentwicklung, Forschung<br />
und Innovationstransfer. Dass<br />
die Lehrer:innenbildung im Zentrum<br />
der Kooperation steht, ist unter den<br />
deutschen Universitätsschulen einmalig.<br />
Aktuell starten wir eine Pilotierung<br />
des IUS-Praxissemesters mit einer<br />
deutlich erhöhten Zahl von Studierenden<br />
(zwölf an der Primarstufe und 24<br />
an der Sekundarstufe) und evaluieren<br />
das Ausbildungskonzept im Zusammenspiel<br />
der beteiligten professionellen<br />
Lernorte.<br />
Darüber hinaus ist die IUS auch in<br />
den anderen universitären Praxisphasen<br />
aktiv und bietet im Eignungs- und<br />
Orientierungspraktikum sowie im Berufsfeldpraktikum<br />
spezifische Ausbildungskonzepte<br />
an. In allen lehrer:innenbildenden<br />
Fakultäten haben sich<br />
Kooperationen zwischen universitären<br />
Lehrveranstaltungen und den beiden<br />
Heliosschulen etabliert.<br />
Im Fokus: Lehrer:innenbildung<br />
an einer interprofessionell<br />
arbeitenden inklusiven Teamschule<br />
Die IUS versteht sich in allen Bereichen<br />
als Team- und Beziehungsschule. Dabei<br />
bilden die sogenannten Lernlandschaften<br />
den strukturellen Rahmen für<br />
die Kooperation. Teams aus Lehrer:innen,<br />
Ganztagskräften, Inklusionsbegleiter:innen<br />
und gegebenenfalls Mitarbeiter:innen<br />
weiterer Professionen<br />
betreuen jeweils 50 (Primarstufe) bis<br />
110 (Sekundarstufe) Schüler:innen.<br />
Dies bezieht sich sowohl auf die psychosoziale<br />
und pädagogische Arbeit als<br />
auch auf die Begleitung und die Förderung<br />
der Schüler:innen bei den vielfältigen<br />
Lerngelegenheiten (Projekte,<br />
Werkstätten, Stammgruppenzeit, Fachunterricht).<br />
Die Fächer der Stundentafeln<br />
für die jeweiligen Schulstufen<br />
und Jahrgänge <strong>werden</strong> zu größeren<br />
Einheiten – Lernformate – zusammengefasst.<br />
In der Primarstufe orientiert<br />
sich das fachliche Lernen der<br />
Schüler:innen an Themenklammern,<br />
die für eine bestimmte Lernepoche festgelegt<br />
<strong>werden</strong>.<br />
Für die konkrete Gestaltung des<br />
Lernens sind vor allem die Voraussetzungen,<br />
Bedarfe und Potenziale der<br />
Kinder und Jugendlichen ausschlaggebend.<br />
Im Sinne einer partizipativen<br />
Bildung ist die Mitbestimmung der<br />
Schüler:innen bei der Auswahl von<br />
Lerninhalten, Lernmethoden, Lernorten,<br />
Lernprodukten, etc. von besonderer<br />
Bedeutung. Grundlage für die<br />
Lernkultur an der IUS sind der konstruktivistische<br />
Lernbegriff (Reich 2012)<br />
sowie – neben den Vorgaben der Stundentafeln<br />
und der Kernlehrpläne des<br />
Landes NRW – die Sustainable Development<br />
Goals der Vereinten Nationen<br />
bzw. die Grundsätze der Bildung<br />
für nachhaltige Entwicklung, wie sie in<br />
der entsprechenden Leitlinie des Landes<br />
NRW formuliert sind.<br />
18 GS aktuell 167 • September 2024
Praxis: <strong>Lehramt</strong> <strong>studieren</strong><br />
Im Sinne eines weit gefassten Verständnisses<br />
von Inklusion steht an beiden<br />
Schulen im Zentrum des pädagogischen<br />
Handelns eine hohe Sensibilität<br />
für die Gestaltung kontinuierlicher Bildungsverläufe<br />
und die Reduzierung von<br />
Bildungsungerechtigkeiten. Barrierefreiheit,<br />
Partizipation und Demokratie,<br />
Digitalisierung, offene Lernformate sowie<br />
selbst gesteuertes, projektorientiertes<br />
und interdisziplinäres Lernen sind<br />
wesentliche Gestaltungselemente einer<br />
zeitgemäßen und zukunftsfähigen Pädagogik<br />
an der IUS, die von den Studierenden<br />
der verschiedenen Lehrämter adaptiert<br />
und mitgestaltet <strong>werden</strong> soll.<br />
Inhalte und Methoden der überwiegenden<br />
Zahl der Lerngelegenheiten an<br />
der IUS <strong>werden</strong> in kleinen fachbezogenen<br />
bzw. überfachlichen Teams kollaborativ<br />
entwickelt. Auch die Umsetzung<br />
von Lernplänen, Projekten, und sonstigen<br />
Lerngelegenheiten wird in aller Regel<br />
von Teams statt von Einzelpersonen<br />
verantwortet. Die Studierenden in den<br />
verschiedenen Praxisphasen und insbesondere<br />
im Praxissemester <strong>werden</strong> konsequent<br />
in die teamorientierte Schulentwicklung<br />
und die pädagogische Arbeit<br />
einbezogen. Sie haben so die Möglichkeit,<br />
schon in der ersten Phase der Lehrer:innenbildung<br />
Konzepte der Kooperation<br />
und der Kollaboration kennenzulernen<br />
und entsprechende Erfahrungen<br />
zu sammeln.<br />
Eine Universitätsschule entwickeln<br />
und aufbauen – Herausforderungen<br />
und Potenziale<br />
Die Entwicklung der didaktisch-pädagogischen<br />
Konzepte für die Arbeit mit<br />
den Schüler:innen ist ein hochgradig<br />
komplexer Prozess, wenn der Aufbau<br />
einer Universitätsschule gemeinsam mit<br />
Studierenden und Lehrer:innen erfolgt.<br />
Damit die an diesem Prozess beteiligten<br />
Institutionen und Personen intensiv und<br />
dabei ressourcenschonend eingebunden<br />
sind, bedarf es einer gemeinsamen Haltung<br />
mit einem expliziten Commitment<br />
(Kooperationsvertrag), einer durchdachten<br />
und effektiven Governance-<br />
Struktur und eines langen Atems im<br />
Entwicklungsprozess. Um diese für den<br />
Erfolg des Projekts bedeutsamen Strukturen<br />
aufzubauen und zu erhalten, sind<br />
zum einen personelle und zeitliche<br />
Ressourcen auf der Ebene der Leitung<br />
Von links:<br />
Dr. Matthias Martens ist Professor für Schulforschung mit dem Schwerpunkt Unterrichtsentwicklung<br />
an der Universität zu Köln und wissenschaftlicher Leiter der Inklusiven<br />
Universitätsschule Köln (IUS). Kontakt: m.martens@uni-koeln.de<br />
Andreas Niessen ist Schulleiter der Helios-Sekundarstufe, Inklusive Universitätsschule<br />
Köln (IUS). Kontakt: andreas.niessen@heliosschule.de<br />
Marion Hensel ist Schulleiterin der Helios-Primarstufe, Inklusive Universitätsschule<br />
Köln (IUS). Kontakt: marion.hensel@heliosschule.de<br />
Hildegard Horstkemper-Schürmann ist Vorständin des Vereins Perspektive Bildung<br />
e. V. (www.perspektive-koeln.de). Kontakt: hhs@perspektive-koeln.de<br />
und der Koordinierung unerlässlich;<br />
zum anderen braucht es Mitwirkungsund<br />
Kooperationbereitschaft sowie<br />
Begeisterung bei den Menschen an<br />
den Heliosschulen, der Universität und<br />
den Ausbildungsinstitutionen der Ausbildungsregion<br />
Köln.<br />
In Hinblick auf die Gestaltung inklusiver<br />
Bildung und der Gewährleistung<br />
von Chancengerechtigkeit für alle<br />
Schüler:innen erweist sich die Einbindung<br />
eines kompetenten, mit inklusiver<br />
Schulentwicklung erfahrenen Jugendhilfeträgers<br />
als außerordentlich wertvoll.<br />
Die Perspektive Bildung e. V. ist<br />
als Beschäftigungsträger aller Mitarbeiter:innen<br />
im offenen (Primarstufe) und<br />
im gebundenen Ganztag (Sekundarstufe)<br />
sowie aller Inklusionsbegleiter:innen<br />
bzw. Assistenzkräfte fester Bestandteil<br />
der interprofessionellen Kooperation<br />
innerhalb der IUS. Unserer Erfahrung<br />
nach ist dieses Konstrukt eine wesentliche<br />
Voraussetzung für die Umsetzung<br />
eines ganzheitlichen Bildungsverständnisses<br />
und für die Schnittstellen und die<br />
Übergänge in den Bildungsbiografien<br />
der Schüler:innen.<br />
In den Bereichen Lehrer:innenbildung<br />
und Forschung übernimmt das Team der<br />
wissenschaftlichen Leitung eine zentrale<br />
koordinierende Funktion. Es steuert die<br />
Vernetzung der Akteur:innen aufseiten der<br />
Universität (Rektorat, Verwaltung, Fakultäten,<br />
Zentrum für Lehrer:innenbildung)<br />
mit den pädagogischen Mitarbeiter:innen,<br />
den Lehrkräften und den Studierenden an<br />
den beiden Schulen der IUS.<br />
Der oben erwähnte Kooperationsvertrag<br />
für die IUS sieht vor, dass die innovativen<br />
Ansätze in der Schulentwicklung<br />
und der Lehrer:innenbildung auch für<br />
die Weiterentwicklung des Schul- und<br />
Ausbildungssystems außerhalb der IUS<br />
genutzt <strong>werden</strong>. Um dies zu erreichen,<br />
ist perspektivisch ein deutlich höheres<br />
Maß an Autonomie der Schulen wünschenswert<br />
– etwa in Fragen der Stellenbewirtschaftung<br />
und innovativer Arbeitszeitmodelle,<br />
der Personalentwicklung,<br />
der Gestaltung von Stundentafeln und<br />
Curricula, der Leistungsbewertung, der<br />
Strukturen, der Lerngruppen und der Gestaltung<br />
der Übergänge.<br />
Literatur:<br />
Hensel, M., Niessen, A., Reuther, E., Rosen, L.,<br />
Sehnbruch, L., Şengüler, B., Weber, B. &<br />
Werker, B. (2020): Die „Heliosschulen – Inklusive<br />
Universitätsschulen der Stadt Köln“.<br />
Gründungsgeschichte und aktuelle Entwicklungsperspektiven.<br />
WE_OS-Jahrbuch<br />
3, 37–47.<br />
Hubeli, E., Paßlick, U., Pampe, B., Reich, K,<br />
Schneider, J., Seydel, O.: Schulen planen und<br />
bauen 2.0. (2017); Hrsg.: Montag Stiftung<br />
Jugend und Gesellschaft. Berlin: Jovis-Verlag.<br />
Reich, K., Asselhoven, D., & Kargl, S. (Hrsg.)<br />
(2015). Eine inklusive Schule für alle: Das<br />
Modell der Inklusiven Universitätsschule<br />
Köln. Weinheim: Beltz.<br />
GS aktuell 167 • September 2024<br />
19
Praxis: <strong>Lehramt</strong> <strong>studieren</strong><br />
Katrin Lohrmann, Marcel Metten, Julia Kantreiter, Michael Kirch<br />
UNI-Klassen<br />
Professionalisierung von Studierenden<br />
des <strong>Lehramt</strong>s für Grundschule<br />
Seit 2010 beschreitet der Lehrstuhl für Grundschulpädagogik und Grundschuldidaktik<br />
der Ludwig-Maximilians-Universität München innovative Wege in der<br />
Lehrer:innenbildung: Im Rahmen der UNI-Klassen – als Video- und Audiolabore<br />
ausgestattete Klassenzimmer an zwei Münchner Grundschulen – erhalten<br />
angehende Grundschullehrkräfte praxisnahe Lerngelegenheiten, um professionelle<br />
Kompetenzen für die Berufspraxis aufzubauen.<br />
Die beiden UNI-Klassen an<br />
der Grundschule Haimhauserstraße<br />
und der Grundschule<br />
Burmesterstraße unterstützen durch die<br />
Zusammenarbeit mit Lehrkräften und<br />
Schüler:innen sowie durch die theoriegeleitete<br />
Planung, Durchführung und<br />
Reflexion von Unterricht die Professionalisierung<br />
von Studierenden im <strong>Lehramt</strong><br />
an Grundschulen (vgl. Abb. 1).<br />
Professionelle Kompetenzen<br />
entwickeln – professionelles<br />
Handeln ermöglichen<br />
Was macht eine gute <strong>Lehrkraft</strong> aus? Teil<br />
der professionellen Handlungskompetenz<br />
von Lehrkräften ist das Professionswissen<br />
(Baumert/Kunter 2006, 482 ff.).<br />
Dieses pädagogische Wissen, Fachwissen<br />
und fachdidaktische Wissen bildet die<br />
Grundlage professioneller Unterrichtswahrnehmung<br />
(Seidel 2022, 20 f.): Diese<br />
umfasst sowohl Noticing (Fähigkeit<br />
von Lehrkräften, die Aufmerksamkeit<br />
gezielt auf jene Ereignisse im Klassenraum<br />
zu richten, die für Lehr-Lern-Prozesse<br />
besonders relevant sind) als auch<br />
Reasoning (Fähigkeit, diese Ereignisse<br />
anschließend theoriegeleitet zu reflektieren<br />
und zu interpretieren). Professionswissen<br />
und die Fähigkeit zur professionellen<br />
Unterrichtswahrnehmung sind<br />
Basis für die Planung und die Gestaltung<br />
qualitätsvollen Unterrichts (Kunter/<br />
Ewald 2016).<br />
Ein solches qualitätsvolles Unterrichtsangebot<br />
beeinflusst Schüler:innen<br />
sowohl in ihrer Lernentwicklung (z. B.<br />
fachliche und fächerübergreifende Ziele)<br />
als auch in ihrer Persönlichkeitsentwicklung<br />
(z. B. Lernfreude, Motivation,<br />
Selbstwirksamkeit) positiv und wird damit<br />
dem Auftrag der Grundschule nach<br />
grundlegender Bildung gerecht (Lohrmann/Kantreiter/Lenzgeiger<br />
2022).<br />
Professionalisierung für<br />
die vielfältigen Ansprüche<br />
an den Lehrberuf<br />
Das Studium legt die Grundlagen für<br />
diese Professionalisierung und sollte<br />
<strong>Lehramt</strong>s<strong>studieren</strong>den vielfältige<br />
Theorie-Praxis-Bezüge eröffnen. Insbesondere<br />
die professionelle Begleitung<br />
von Praxisphasen ist entscheidend<br />
dafür, ob diese Lerngelegenheiten die<br />
Professionalisierung anregen und unterstützen<br />
(Festner/Gröschner/Goller/<br />
Hascher 2020). Professionelle Unterrichtswahrnehmung<br />
wird sowohl durch<br />
die Analyse von Fremdvideos als auch<br />
Eigenvideos gefördert (Hellermann/<br />
Gold/Holodynski 2015, Nitsche 2014).<br />
Lehren und lernen sichtbar machen<br />
Die UNI-Klassen bieten Studierenden<br />
bereits in der universitären Aus-<br />
Abb. 1: Schüler:innen und Studierende bauen Lego-Bausätze<br />
und programmieren diese<br />
Abb. 2: Im Beobachtungsraum verfolgen Studierende den<br />
videografierten Unterricht der Kommiliton:innen<br />
20 GS aktuell 167 • September 2024
Praxis: <strong>Lehramt</strong> <strong>studieren</strong><br />
Lernräume flexibel gestalten<br />
Von links:<br />
Prof. Dr. Katrin Lohrmann, Inhaberin des Lehrstuhls für Grundschulpädagogik und<br />
Grundschuldidaktik der Ludwig-Maximilians-Universität München<br />
Marcel Metten, Akad. Rat am Lehrstuhl für Grundschulpädagogik und Grundschuldidaktik<br />
der Ludwig-Maximilians-Universität München<br />
Dr. Julia Kantreiter, Akad. Forschungsrätin am Lehrstuhl für Grundschulpädagogik<br />
und Grundschuldidaktik der Ludwig-Maximilians-Universität München<br />
Dr. Michael Kirch, Schulentwickler, Referat für Bildung und Sport, Landeshauptstadt<br />
München<br />
bildungsphase die Chance, theoriegeleitet<br />
Lernarrangements zu planen, im<br />
Unterricht durchzuführen und zu reflektieren.<br />
Der von Studierenden gestaltete<br />
Unterricht in der UNI-Klasse kann<br />
durch die im Raum installierten Kameras<br />
und Mikrofone aufgezeichnet und<br />
in einen Nebenraum übertragen <strong>werden</strong><br />
(vgl. Abb. 2). Hier wird der videografierte<br />
Unterricht von den anderen<br />
Studierenden, den Dozierenden und der<br />
<strong>Lehrkraft</strong> zeitgleich (live) verfolgt oder<br />
zu einem späteren Zeitpunkt betrachtet<br />
und theoriegeleitet reflektiert. Leitend<br />
ist dabei der Dreischritt Unterricht zu<br />
entwickeln, zu erproben und zu evaluieren<br />
(Unterricht e 3 ).<br />
Unterricht e 3<br />
Unterricht entwickeln: Studierende<br />
erschließen sich Professionswissen,<br />
erheben die Lernvoraussetzungen der<br />
Schüler:innen, strukturieren Lerninhalte<br />
und entwickeln ein adaptives, qualitätsvolles<br />
Lernangebot. Dabei arbeiten sie<br />
kooperativ mit anderen Studierenden,<br />
mit Dozierenden, Lehrkräften und / oder<br />
<strong>Lehramt</strong>sanwärter:innen zusammen.<br />
Unterricht erproben: Studierende<br />
erproben die erarbeiteten Lernarrangements<br />
in Plenums- und/oder<br />
Kleingruppensettings. Der Unterricht<br />
wird videografiert und audiografiert,<br />
sofern Schüler:innen und Erziehungsberechtigte<br />
dem zustimmen.<br />
Unterricht evaluieren: Zur Förderung<br />
der professionellen Unterrichtswahrnehmung<br />
filtern (Noticing), interpretieren<br />
und reflektieren (Reasoning)<br />
Studierende den videografierten Unterricht<br />
theoriegeleitet anhand (fach)didaktischer<br />
Kategorien. Die so gewonnenen<br />
Erkenntnisse können die Studierenden<br />
zudem für die weitere Planung und<br />
Durchführung der Unterrichtssequenz<br />
nutzen.<br />
Lehren und Lernen in<br />
den UNI-Klassen<br />
Das Konzept der UNI-Klassen mit dem<br />
Unterricht-e 3 -Prinzip wird in vielfältigen<br />
phasenvernetzenden Kooperationen<br />
umgesetzt: Studierende und Dozent:innen<br />
kooperieren mit Lehrkräften sowie<br />
mit den an den UNI-Klassen-Schulen<br />
angesiedelten Seminarrektor:innen und<br />
<strong>Lehramt</strong>sanwärter:innen. Ziel ist, dass<br />
alle Beteiligten ihre Expertise einbringen<br />
und die Kooperation als gewinnbringend<br />
erleben.<br />
Die entwickelten Lernarrangements<br />
richten sich sowohl auf pädagogische<br />
(z. B. Persönlichkeitsentwicklung der<br />
Schüler:innen: Förderung von Interesse,<br />
von emotionaler Kompetenz) wie auf didaktische<br />
Aspekte von Unterricht (z. B.<br />
Lernentwicklung von Schüler:innen:<br />
Umgang mit Heterogenität in der Zusammenarbeit<br />
mit jahrgangsgemischten<br />
Klassen, Erwerb von Kompetenzen im<br />
Bereich Computational Thinking).<br />
Eine Besonderheit der UNI-Klassen<br />
ist, dass alle Beteiligten Möglichkeiten<br />
der flexiblen Raumgestaltung erproben<br />
können, wie die Erweiterung des Unterrichts<br />
über das Klassenzimmer hinaus,<br />
z. B. durch den Einbezug von Fluren und<br />
anderen Flächen zum eigenständigen<br />
Arbeiten (Ramseger/Kirch 2024) sowie<br />
den Einsatz flexiblen Mobiliars (z. B.<br />
Kreistisch, X-Brick, Z-Tool). Darüber<br />
hinaus können Studierende die Arbeit<br />
mit dem Mobiliar auch in den regulären<br />
Klassen der Kooperationsschulen<br />
erleben (vgl. Abb. 3, 4).<br />
Kooperationen gestalten –<br />
Brücken bauen<br />
Die Arbeit in den UNI-Klassen ist so<br />
konzipiert, dass sowohl für die Universität<br />
als auch für die beteiligten Schulen<br />
ein Mehrwert entsteht.<br />
Für Studierende eröffnen sich in den<br />
UNI-Klassen gewinnbringende Lernund<br />
Erfahrungsmöglichkeiten:<br />
● Entwicklung professioneller Kompetenzen<br />
und der Fähigkeit zur professionellen<br />
Unterrichtswahrnehmung<br />
● Überprüfung der Motivation für die<br />
Berufswahl<br />
● Teamarbeit in allen Phasen von<br />
Unterricht e 3 und Reflexion gelungener<br />
phasenvernetzender Kooperation<br />
● Reflexion von Eigen- und Fremdvideos<br />
auf theoretischer Grundlage und<br />
Formulieren von kollegialem Feedback<br />
● Feedback aus vielfältigen Perspektiven<br />
(Kommiliton:innen, <strong>Lehramt</strong>sanwärter:innen,<br />
Dozierende, Lehrkräfte,<br />
Schüler:innen)<br />
Die Videografie der Unterricht<strong>sein</strong>heiten<br />
spielte eine entscheidende Rolle. Durch<br />
die Videos konnte ich mein eigenes Lehrverhalten<br />
reflektieren und konkrete Bereiche<br />
identifizieren, in denen ich mich<br />
verbessern kann. <br />
Tamina Erlacher, Studentin<br />
Es war es sehr spannend, die Kinder bei<br />
ihrem Tun aufmerksam zu beobachten<br />
und intensiv zu begleiten. Die Arbeit mit<br />
den Kindern in der UNI-Klasse hat mir<br />
einen zusätzlichen Motivationsschub für<br />
mein Studium gegeben und mich in meiner<br />
Berufswahl bestätigt.<br />
Leonie Döbl, Studentin<br />
GS aktuell 167 • September 2024<br />
21
Praxis: <strong>Lehramt</strong> <strong>studieren</strong><br />
Abb. 3 und 4: Der Kreistisch wird sowohl in der UNI-Klasse als auch in einer jahrgangsgemischten FleGS-Klasse (Flexible Grundschule)<br />
an der Kooperationsschule genutzt<br />
Für Lehrkräfte und Schulleitungen<br />
eröffnen die UNI-Klassen Möglichkeiten<br />
der schulinternen Professionalisierung:<br />
● Berücksichtigung thematischer<br />
Wünsche der Lehrkräfte für die Lernarrangements<br />
(z. B. Entwicklung von<br />
Lernspielen zur Wiederholung von Inhalten<br />
am Schuljahresende)<br />
● Maßnahmen zur kognitiven Aktivierung<br />
und Lernunterstützung in Kleingruppen<br />
(z. B. Entwicklung und Durchführung<br />
von Versuchen im Sachunterricht,<br />
Lesen und Strukturieren von<br />
Informationen bei der Erstellung eines<br />
Steckbriefs für ein Referat, individuelle<br />
Diagnose und anschließende Entwicklung<br />
sowie – auch längerfristige – Umsetzung<br />
von Förderplänen im Schriftspracherwerb)<br />
● Inspiration durch „neue“ Medien,<br />
Methoden und Themen (z. B. Computational<br />
Thinking: BeeBots, Lego WeDo<br />
2.0, Lego Spike, Dash Robot)<br />
● Perspektivwechsel durch Möglichkeiten<br />
der Beobachtung – im Falle der<br />
Videografie in einem separaten Beobachtungsraum<br />
Die Kooperation in den UNI-Klassen<br />
wird auch von den beteiligten<br />
Schüler:innen geschätzt, wie die Äußerungen<br />
aus Einzelinterviews mit 23<br />
Zweitklässler:innen aus einer der<br />
Kooperationsschulen zeigen:<br />
● positive Lernarrangements (toll, cool,<br />
spannend, spaßig, überraschend, besonders)<br />
und inhaltliche Vielfalt<br />
● aktives Lernen in Kleingruppen – kognitiv<br />
und handelnd<br />
● Wertschätzung der Zusammenarbeit<br />
mit den Studierenden und der erfahrenen<br />
Lernunterstützung<br />
● flexible Nutzung des Raumes und der<br />
anderen Flächen<br />
In der UNI-Klasse kann man ein Problem in<br />
der Gruppe lösen und die anderen Kinder<br />
helfen. <br />
Arne, 8 Jahre<br />
Wenn ihr da seid und Kinder kommen,<br />
macht ihr immer was Besonderes. Eigentlich<br />
etwas, was für die Schule sonst gar<br />
nicht so normal ist. Laura, 8 Jahre<br />
Mir gefallen sehr die Studentinnen und<br />
Studenten, weil sie so nett sind. Sie finden<br />
immer so neue schöne Themen heraus, die<br />
den Kindern gefallen. David, 8 Jahre<br />
Es macht uns Spaß, Unterricht und Schulleben zu zeigen und gemeinsam mit der Uni Ideen<br />
zu entwickeln und zu gestalten. Durch den Support der Studierenden und Dozierenden<br />
lassen sich auch größere Projekte sehr gewinnbringend für die Schüler:innen umsetzen.<br />
Ulrike Arndt und Martina Hezel, Rektorin und Konrektorin<br />
der Grundschule an der Burmesterstraße<br />
Wenn die Studierenden mit den Schüler:innen in Kleingruppen arbeiten, habe ich Zeit, zu<br />
beobachten. Es ist interessant zu sehen, wie motiviert manche Schüler:innen sind, wenn es<br />
um Lego oder Programmieren geht.<br />
Frau Berger, Lehrerin an der Grundschule an der Haimhauserstraße<br />
Fazit<br />
Ermöglicht wurden und <strong>werden</strong><br />
die UNI-Klassen dank Beteiligung,<br />
Zusammenarbeit und Unterstützung<br />
vieler Akteur:innen: Neben dem bayerischen<br />
Kultusministerium, der Regierung<br />
von Oberbayern, dem Staatlichen<br />
Schulamt in der Landeshauptstadt München,<br />
dem Referat für Bildung und Sport<br />
der Landeshauptstadt München, der<br />
Ludwig-Maximilians-Universität München,<br />
der UnterrichtsMitschau, dem<br />
Lehrstuhl für Grundschulpädagogik<br />
und Grundschuldidaktik sowie den<br />
engagierten Schulleitungen sind dies die<br />
aufgeschlossenen Kollegien sowie die<br />
Schüler:innen und Eltern der beteiligten<br />
Grundschulen. Seit vielen Jahren sind<br />
die UNI-Klassen ein Erfolgsmodell<br />
der universitären Lehrer:innenbildung<br />
und Vorbild für die Initiierung weiterer<br />
UNI-Klassen an verschiedenen anderen<br />
Universitätsstandorten. Zwar eröffnen<br />
die als Video- und Audiolabore ausgestatteten<br />
Klassenzimmer mit dem<br />
Beobachtungsraum besondere Möglichkeiten<br />
der Professionalisierung, heutige<br />
technische Entwicklungen ermöglichen<br />
es aber auch, Videografie und Audiografie<br />
an Kooperationsschulen in leicht<br />
umsetzbarer Form (z. B. mit Tablets) zu<br />
realisieren. <br />
Literaturangaben zum Artikel<br />
können Sie von unserer Website herunterladen:<br />
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22 GS aktuell 167 • September 2024
Praxis: <strong>Lehrkraft</strong> <strong>werden</strong><br />
Und wofür machen wir das alles?<br />
Ein Erfahrungsbericht – Seminararbeit und Vorbereitungsdienst<br />
über Bewertung und Prüfung hinausgedacht<br />
In den sechzehn Bundesländern ist der zweite Ausbildungsabschnitt sehr unterschiedlich<br />
gegliedert: von 12 bis 24 Monaten Vorbereitungsdienst mit vorhergehendem<br />
Studium, dieses mit oder ohne Praxissemester und einer Regelstudienzeit<br />
von 7 bis 10 Semestern und mit einer Prüfungskultur, die viele Fragen nach<br />
der Anpassung an die aktuellen Erfordernisse in der Praxis aufwirft.<br />
Dies alles bestand bereits vor der<br />
Coronakrise. Aktuell scheint sich<br />
zusammen mit dem schweren<br />
Gepäck der Pandemienachwirkungen und<br />
den Diskussionen um Klimakrise,<br />
wirtschaftliche Unsicherheiten, Ungewissheiten<br />
durch Digitalisierung und künstliche<br />
Intelligenz, gepaart mit einem riesigen<br />
Lehrkräftemangel und der – gefühlt<br />
täglich – wachsenden Herausforderung an<br />
den Schulen vieles ins Unerträgliche zu<br />
steigern.<br />
Wie geht es <strong>Lehramt</strong>sanwärter:innen<br />
in dieser Situation? Nimmt der Vorbereitungsdienst<br />
darauf Rücksicht? Wie<br />
reagieren Seminarleitungen auf sich ändernde<br />
Herausforderungen? Werden aktuelle<br />
Situationen oder kritische Veränderungen<br />
in die Bewertung einbezogen?<br />
Und warum ist es trotzdem so wichtig,<br />
dass der Vorbereitungsdienst grundsätzliche<br />
Anforderungen an alle stellt?<br />
Schließlich <strong>werden</strong> alle <strong>Lehramt</strong>sanwärter:innen<br />
dringend gebraucht.<br />
Müssen Herausforderungen, die neben<br />
den fachlichen Kompetenzen einen<br />
wachsenden Anteil an professionellem<br />
Handeln von Lehrkräften einnehmen,<br />
intensiver in die Ausbildung einbezogen<br />
<strong>werden</strong> und deutlich mehr Berücksichtigung<br />
finden? Dringend wäre eine der<br />
Entwicklungssituation angemessene Verständigung<br />
über die aktuellen Ansprüche<br />
an den Vorbereitungsdienst herzustellen<br />
und auch über Handwerkszeug und Haltungen,<br />
die es braucht.<br />
Realitätscheck aus Bayern<br />
Nachfolgend zitierte Fragen formulierten<br />
<strong>Lehramt</strong>sanwärter:innen nach<br />
Ablauf einiger Lehrproben. Fragen, die<br />
wahrscheinlich auch außerhalb Bayerns<br />
auftauchen könnten und Seminarleitungen<br />
nachdenklich <strong>werden</strong> lassen:<br />
„Wofür machen wir das alles? Wir haben<br />
Lernstände erhoben, uns eingearbeitet,<br />
Lernangebote auf verschiedensten<br />
Niveaus hergestellt, uns fokussiert und<br />
dann alles eine ganze Stunde lang gezeigt,<br />
dabei auch noch die Kinder mit<br />
Deutsch als Zweitsprache in einer Art<br />
Sprachlabor passgenau unterstützt. Wochen<br />
und Monate haben wir uns vorbereitet<br />
und dann ist es nur die Note 3!“<br />
(Die Note 3 wird in Bayern definiert<br />
als eine Leistung, die in jeder Hinsicht<br />
durchschnittlichen Anforderungen entspricht.)<br />
Wofür machen wir das alles?<br />
Diese Frage löst Ratlosigkeit aus, weil<br />
sie ausdrückt, wie enttäuschend und<br />
demotivierend nach all der Arbeit die<br />
Note 3 <strong>sein</strong> kann. All der individuelle<br />
Aufwand lohnt sich in den Augen<br />
von <strong>Lehramt</strong>sanwärter:innen nicht für<br />
eine Durchschnittsnote, wenn das zur<br />
Standardbewertung wird, weil an fachlichen<br />
und methodischen Kriterien<br />
gemessen wird und pädagogische sowie<br />
Beziehungsstärken kaum einfließen.<br />
Welche Signale sendet solch eine Frage<br />
der Seminarleitung, was sagt sie über<br />
das Verständnis und die Bedeutung<br />
der Ausbildungsinhalte für den Beruf<br />
aus und gleichzeitig über den Bedarf<br />
an Transparenz und Verständnis über<br />
Ausbildungsabläufe und Bewertungskriterien?<br />
Trifft die Form dieser Rückmeldung<br />
den Anspruch an Beratung<br />
und gibt sie Antwort auf die Frage der<br />
<strong>Lehramt</strong>sanwärter:innen?<br />
Besonders deutlich wird „das Wofür“<br />
in einer Situation wie dieser:<br />
In Unterrichtsvorbereitungen (in Bayern<br />
sind insgesamt zwölf UVs in 1,3 Jahren<br />
anzufertigen) passiert es z. B. immer<br />
wieder, dass durch das plötzliche Feh-<br />
len der Klassenlehrerin Unruhe bei den<br />
Kindern entsteht. Dann gilt für <strong>Lehramt</strong>sanwärter:innen<br />
in besonderem<br />
Maße, Ruhe zu bewahren und auch die<br />
Kinder, die übertrieben und aufgekratzt<br />
reagieren, aufzufangen. Kinder, die ihre<br />
Grenzen austesten, einzufangen und den<br />
Inhalt der vorbereiteten Stunde nicht<br />
aus den Augen zu verlieren, also überall<br />
zu <strong>sein</strong> und das unter Beobachtung<br />
… welch eine Anforderung! Und welch<br />
eine Leistung, wenn es gelingt, auch diese<br />
Kinder zu interessieren, weil der angehenden<br />
<strong>Lehrkraft</strong> offensichtlich gelungen<br />
ist, eine tragende Beziehung zu<br />
einem Kind, das droht, die Stunde zu<br />
werfen, aufzubauen, eine Beziehung, die<br />
auch diesem Kind ermöglicht, dabei zu<br />
<strong>sein</strong>.<br />
Schon Realität oder noch Zukunft<br />
Um mit „Dafür machen Sie das!“ Antworten<br />
geben zu können, ist Voraussetzung,<br />
für Rückmeldung und<br />
Bewertung grundsätzlich die Gesamtsituation<br />
eines Unterrichtsverlaufs zu<br />
analysieren und in die Bewertung miteinzubeziehen.<br />
Also die Unterrichtsvorbereitung<br />
und -durchführung aufzuschlüsseln<br />
in Hinblick auf die pädagogische<br />
und emotionale Herausforderung<br />
für die angehende <strong>Lehrkraft</strong>, deren<br />
Handlungsoptionen sowie die Wirkung<br />
der Interventionen. Diese dann<br />
einzubeziehen in die Würdigung der<br />
fachlichen Teilkompetenzen und der<br />
Lerneffekte für die Lerngruppe, würde<br />
den Anforderungen an den Lehrberuf,<br />
wie er heute ist und es heute erfordert,<br />
gerechter <strong>werden</strong> können. Ein differenziertes<br />
Feedback verlangt ein würdigendes<br />
pädagogisches Gespräch mit Zeit für<br />
Rückfragen und Erklärungen.<br />
Fragen an Seminarleitungen mit diesem<br />
Ziel sind u. a.: Gelingt es im Ausbildungszusammenhang<br />
ausreichend,<br />
die Reaktionen der Kinder nicht nur als<br />
Beweis für eine mehr oder minder gut<br />
geplante Unterrichtsvorbereitung und<br />
die Erfüllung der fachlichen Ansprü-<br />
GS aktuell 167 • September 2024<br />
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Praxis: <strong>Lehrkraft</strong> <strong>werden</strong><br />
che zu bewerten? Erleben <strong>Lehramt</strong>sanwärter:innen<br />
ausreichend, dass ihre Beziehung<br />
zu den Kindern, die Fähigkeit,<br />
deren Bedürfnisse wahrzunehmen und<br />
pädagogisch angemessen darauf zu reagieren,<br />
gesehen und gewürdigt <strong>werden</strong>?<br />
Wird die Zeit, die solche Ereignisse im<br />
Stundenablauf einnehmen, als wichtige<br />
und berechtigte Lernphase bewertet?<br />
Der Wert von pädagogischen Gesprächen,<br />
von Teamarbeit und vom Lernen<br />
aus und durch kritische Situationen und<br />
durch gegenseitige Öffnung wäre in der<br />
Phase des Vorbereitungsdienstes eine<br />
wesentliche und bereichernde Erfahrung.<br />
Auswertungsgespräche würden<br />
offensichtlicher zur Kompetenzerweiterung<br />
beitragen können, weil der Fokus<br />
auf Analysefähigkeit und auf perspektivische<br />
Änderungen und Lösungen gelegt<br />
würde. Beratungsgespräche hätten<br />
Potenzial für mehr Nachhaltigkeit.<br />
Sarah Hoyer<br />
Wenn der Funke überspringt<br />
Wie mein persönliches Interesse meine Entwicklung als <strong>Lehrkraft</strong><br />
begleitet – aufgezeigt am Beispiel der erneuerbaren Energien<br />
Wie können Grundschulkinder für komplexe fachwissenschaftliche Probleme<br />
begeistert <strong>werden</strong>? Diese Frage stellte sich mir, als ich nach meinem Studium<br />
mit Schwerpunkt Geografie den Vorbereitungsdienst antrat. Ist es beispielsweise<br />
möglich, das weite Feld der erneuerbaren Energien und ihrer Einsatzmöglichkeiten<br />
so aufzubereiten, dass auch Drittklässler:innen zu Energieplaner:innen<br />
<strong>werden</strong>? Meine Erfahrung zeigt: Ja – wenn die persönliche Motivation und ein<br />
Interesse am Thema seitens der <strong>Lehrkraft</strong> vorhanden sind und der „Funke der<br />
Begeisterung“ auf die Schüler:innen übertragen wird.<br />
Eines der Grundprobleme unserer<br />
modernen, westlichen Gesellschaft<br />
stellt die Energieversorgung<br />
dar. Obwohl die negativen Auswirkungen<br />
der Stromgewinnung durch<br />
fossile Brennstoffe wie Braunkohle und<br />
Erdgas längst bekannt sind, geht der<br />
Wandel zu erneuerbaren Energien nur<br />
langsam voran. Im Rahmen meines<br />
Geografiestudiums an der Universität<br />
Bamberg konnte ich mich mit den technischen<br />
und sozialen Details des Themas<br />
intensiv beschäftigen. Dadurch<br />
erhielt ich einen fachlichen Einblick in<br />
die Alternativen der Stromerzeugung:<br />
die erneuerbaren Energien und ihre<br />
Umsetzungschancen in Deutschland –<br />
ein sehr spannender, jedoch auch komplexer<br />
Themenbereich. Währenddessen<br />
wuchs mein persönliches Interesse am<br />
Thema stetig, da mir eine umweltbewusste<br />
und nachhaltige Lebensgestaltung<br />
wichtig ist.<br />
Mit Beginn des Vorbereitungsdienstes<br />
an einer Nürnberger Grundschule<br />
überlegte ich, inwiefern ich fachliche<br />
Inhalte meines Studiums den Schüler:innen<br />
näherbringen kann. Mein Interesse<br />
an den erneuerbaren Energien rückte<br />
dabei immer mehr in den Vordergrund,<br />
jedoch stellte sich die Frage: Wie bereite<br />
ich dieses komplexe Themenfeld so auf,<br />
dass eine dritte Klasse damit umgehen<br />
kann? Und interessieren sich die Kinder<br />
überhaupt dafür? Nachdem ich sowohl<br />
durch meine Betreuungslehrerin als<br />
auch meine Seminarleitung unterstützt<br />
wurde, erarbeitete ich eine Sequenz zum<br />
Thema erneuerbare Energien. Ziel dieser<br />
Sequenz war es, die Kinder zu befähigen,<br />
unter Einbezug verschiedener<br />
technischer, rechtlicher und sozialer Aspekte<br />
den Einsatz erneuerbarer Energien<br />
für einen geografischen Raum zu planen.<br />
1. Eine Klasse plant erneuerbare<br />
Energien – konkrete<br />
Umsetzungsmöglichkeiten<br />
Zunächst begrenzte ich die Auswahl an<br />
Möglichkeiten der Stromerzeugung auf<br />
Windkraft und Solarenergie, da diese<br />
Sarah Hoyer<br />
Ich bin Grundschullehrerin in Bayern<br />
und habe im Sommer 2024 meinen<br />
Vorbereitungsdienst in Nürnberg abgeschlossen,<br />
nachdem ich zuvor an der<br />
Otto-Friedrich-Universität Bamberg<br />
Grundschullehramt mit Hauptfach<br />
Geografie studiert habe.<br />
in der Lebenswelt der Kinder am häufigsten<br />
auftreten und wahrgenommen<br />
<strong>werden</strong>. Die Wasserkraft wurde nach<br />
der Unterricht<strong>sein</strong>heit „Energieplanung“<br />
noch ergänzt. Um dem geografischen<br />
Prinzip „vom Nahen zum<br />
Fernen“ gerecht zu <strong>werden</strong>, wählte ich<br />
als Betrachtungsraum die nähere Schulumgebung.<br />
Außerdem erkundeten wir<br />
am Wandertag ein Gebiet bei Nürnberg<br />
unter kartografischen Aspekten, da dies<br />
den späteren Planungsraum darstellte.<br />
Der Wandertag war zudem eingebettet<br />
in eine Sequenz, in welcher die Kinder<br />
Wissen über die wichtigsten Kartenmerkmale<br />
(Höhenlinien, Kartenzeichen,<br />
24 GS aktuell 167 • September 2024
Praxis: <strong>Lehrkraft</strong> <strong>werden</strong><br />
Kartenarten und Himmelsrichtungen)<br />
erwarben.<br />
Von Beginn an ließ sich in der Klasse<br />
bei vielen Kindern großes Interesse<br />
feststellen. Die Schüler:innen brachten<br />
sich ein, indem sie eigene Beobachtungen<br />
schilderten: seien es die Solaranlage<br />
beim Nachbarn auf dem Hausdach oder<br />
die Windräder, die beim Ausflug oder<br />
im Urlaub gesehen wurden. Nach und<br />
nach erarbeitete ich mit den Kindern die<br />
Vor- und Nachteile der Windkraftanlagen<br />
und der Solaranlagen. Ein besonderes<br />
Augenmerk wurde dabei auf soziale<br />
Probleme gelegt, die mit dem Bau der<br />
Anlagen einhergehen. Schnell war den<br />
Schüler:innen klar, weshalb ein Windrad<br />
nicht mitten in Nürnberg stehen oder ein<br />
Spielplatz nicht für eine Solaranlage abgerissen<br />
<strong>werden</strong> kann. Aus diesen sozialen<br />
Aspekten der Planung von erneuerbaren<br />
Energien ergeben sich auch in der<br />
Politik und der Gesellschaft oft Diskussionsgrundlagen.<br />
Daher liegt es nahe,<br />
bereits jungen Menschen die Komplexität<br />
altersangemessen näherzubringen.<br />
Damit alle Kinder, unabhängig von Leistung<br />
oder Sprachverständnis, miteinbezogen<br />
<strong>werden</strong> konnten, führte ich oft<br />
Gruppenarbeit mit heterogenen Gruppen<br />
durch. So wurden auch die unterschiedlichen<br />
Präkonzepte und Vorkenntnisse<br />
im Austausch mit Klassenkamerad:innen<br />
angeglichen.<br />
Der FREIDAY an Schulen<br />
Das Konzept dient der Umsetzung der 17 Ziele für nachhaltige Entwicklung und gibt<br />
Kindern die Chance, sich als selbstwirksam zu erleben und Geschehnisse in ihrer direkten<br />
Umgebung zu beeinflussen. An einem Tag in der Woche finden sich für vier<br />
Stunden (meist) alle Kinder in unterschiedlichen altersgemischten Gruppen zusammen<br />
und setzen sich für ein Ziel ein. Die <strong>Lehrkraft</strong> hilft vor allem bei der Einigung auf ein<br />
Thema und unterstützt anschließend die Schüler:innen im Hintergrund. Wichtige<br />
Entscheidungen treffen die Kinder selbst und Handlungen führen sie eigenständig<br />
durch (z. B. telefonieren, Gespräche führen, Informationen einholen).<br />
Quelle: https://frei-day.org/, zuletzt aufgerufen am 19.05.2024<br />
Als es nun darum ging, das gesammelte<br />
Wissen als „Energieplaner:innen“<br />
anzuwenden, waren die Schüler:innen<br />
hoch motiviert. Sie sollten für den bereits<br />
erkundeten Raum Solaranlagen und<br />
Windräder in Gruppen planen – unter<br />
Beachtung der wichtigsten Vor- und<br />
Nachteile. Ein intensiver Austausch fand<br />
statt, denn es handelte sich um komplizierte<br />
Entscheidungen.<br />
In der Reflexion der Stunde zeigte<br />
sich, dass das Thema auch von Drittklässler:innen<br />
umfänglich verstanden<br />
<strong>werden</strong> kann: Beim Zusammentragen<br />
der Ergebnisse in eine gemeinsame Karte<br />
wurde von den Kindern verbalisiert<br />
und deutlich aufgezeigt, dass Solaranlagen<br />
vielseitiger planbar sind als Windräder.<br />
Diese sind aufgrund der Abstandsregelung<br />
zu Wohnbebauung in unserer<br />
Region (Ballungsraum Nürnberg) kaum<br />
einsetzbar. Des Weiteren reflektierten die<br />
Schüler:innen, dass Solaranlagen und<br />
Windräder nicht die ganze Zeit Strom<br />
liefern, da sie stark vom Wetter abhängig<br />
sind. Hier schloss sich ein Ausblick<br />
auf nachfolgende Stunden an, da mit der<br />
Wasserkraft dieses Problem zumindest<br />
teilweise behoben <strong>werden</strong> kann.<br />
2. Meine Weiterarbeit am<br />
Thema in der Zukunft<br />
Eine Anpassung oder Weiterentwicklung<br />
der Sequenz zu den<br />
erneuerbaren Energieanlagen würde<br />
ich so gestalten, dass noch mehr<br />
Unterrichtsgänge in ein bestimmtes<br />
Gebiet unternommen würden. Außerdem<br />
wäre die Besichtigung eines Windrades<br />
oder einer Solaranlage aus nächster<br />
Nähe für die Schüler:innen sicher<br />
interessant. Hier könnte auch eine<br />
Expertin oder ein Experte hinzugezogen<br />
<strong>werden</strong>, um noch mehr Informationen<br />
zu erhalten. Außerdem werde ich, um<br />
das Thema der Wasserkraft noch vertiefter<br />
in die Unterrichtsplanung aufzunehmen,<br />
den Kartenausschnitt auf<br />
das Bundesland Bayern erweitern, um<br />
erarbeitete Lösungsstrategien der Kinder<br />
erneut aufzugreifen und in neuen<br />
Räumen anzuwenden.<br />
Nach der erfolgreichen Umsetzung<br />
des Themas in meiner dritten Klasse<br />
stellt sich mir die Frage, wie ich in Zukunft<br />
weitere Klassen und Lehrkräfte<br />
dafür begeistern kann. Denn dass ich<br />
Abb. 1: Ergebnisse einer Gruppe aus der Gruppenarbeit mit Klebepunkten (rosa:<br />
Windräder, gelb: Solaranlagen)<br />
Die am weitesten verbreiteten erneuerbaren<br />
Energien in Deutschland<br />
- Fotovoltaik und Solarthermieanlagen:<br />
Strom- und Wärmegewinnung aus der<br />
Wärmeenergie der Sonne<br />
- Windkraftanlagen: Stromgewinnung<br />
aus der Bewegungsenergie des Windes<br />
- Wasserkraftanlagen: Stromgewinnung<br />
aus der Bewegungsenergie des Wassers<br />
GS aktuell 167 • September 2024<br />
25
Praxis: <strong>Lehrkraft</strong> <strong>werden</strong><br />
auch weiterhin erneuerbare Energien<br />
im Unterricht aufgreifen möchte, steht<br />
fest. Grundlegend ist es wichtig, dass<br />
wir Lehrkräfte Hintergrundwissen zum<br />
behandelten Inhalt haben und selbst Interesse<br />
dafür mitbringen. Durch die Verankerung<br />
der Ziele für Bildung für nachhaltige<br />
Entwicklung im Lehrplan sind<br />
die Legitimation und die Dringlichkeit<br />
des Themas gegeben. Als Ansprechpartnerin<br />
zur Verfügung zu stehen, wenn<br />
andere Kolleg:innen meine Idee unterrichtlich<br />
umsetzen möchten, wäre mir<br />
wichtig. Außerdem möchte ich gern im<br />
Rahmen des FREIDAY-Konzeptes eine<br />
Projektgruppe begleiten, beispielsweise<br />
für den Einsatz von Solaranlagen an der<br />
Schule.<br />
Abschließend lässt sich sagen, dass<br />
das persönliche Interesse am Thema<br />
und die Begeisterung dafür sich leicht<br />
auf die Kinder übertragen ließen. Die<br />
Vielfalt an Fächern und Inhalten in der<br />
Grundschule lässt uns Lehrkräften großen<br />
Gestaltungsfreiraum, der nicht ungenutzt<br />
bleiben darf. Denn wenn der<br />
„Funke der Begeisterung“ überspringt<br />
und Kinder auch bei komplexen Themen<br />
dabei sind, steigert das wiederum<br />
meine Zufriedenheit als Lehrerin.<br />
Nicht zuletzt deswegen habe ich diesen<br />
Beruf ergriffen und freue mich darauf,<br />
in Zukunft noch viele Stunden „Begeisterungsunterricht“<br />
halten zu dürfen!<br />
Jana Dannich, Nadja Bauer<br />
Augen zu und durch?<br />
Der steinige Weg vom ersten zum zweiten Staatsexamen<br />
„Aller Anfang ist schwer“ – das gilt für den Vorbereitungsdienst in besonderer<br />
Weise. Während die schwierigen Bedingungen im Lehrberuf immer mehr Gehör<br />
in der Öffentlichkeit finden, bleiben die Herausforderungen der <strong>Lehramt</strong>sausbildung<br />
weitgehend unbeachtet. Dabei bringt dieser Teil der Ausbildung besonders<br />
viele Abbrecher:innen hervor. Wir haben Erfahrungen und Aussagen<br />
aus verschiedenen mittelfränkischen Seminaren gesammelt, um einen Einblick<br />
in die Hürden des Vorbereitungsdienstes zu ermöglichen. Dabei ist zu beachten,<br />
dass die Probleme, die auftreten können, sehr individuell und die Erfahrungen<br />
nur zum Teil vergleichbar sind.<br />
wertvoll, wenn es erfahrene Kolleg:innen<br />
gibt, die einen an die Hand nehmen. Ist<br />
man dagegen ganz auf sich allein gestellt,<br />
<strong>werden</strong> die ersten Wochen im Vorbereitungsdienst<br />
meist von Unsicherheit und<br />
Überforderung begleitet.<br />
Zwischen Seminarinhalten<br />
und Schulalltag<br />
Der Übergang vom <strong>Lehramt</strong>sstudium<br />
in den Vorbereitungsdienst<br />
gleicht für die meisten<br />
<strong>Lehramt</strong>sanwärter:innen (LAAs) einem<br />
Sprung ins kalte Wasser. Viele Dinge, die<br />
entscheidend für die kommenden beiden<br />
Jahre <strong>sein</strong> <strong>werden</strong>, erfährt man erst spät:<br />
Wie sieht mein neues Arbeitsumfeld aus?<br />
Wer sind meine Kolleg:innen? Welche<br />
und wie viele Klassen werde ich unterrichten?<br />
All diese Fragen <strong>werden</strong> erst bei<br />
der Anfangskonferenz beantwortet, am<br />
Tag vor dem Schulbeginn.<br />
Die ersten Wochen im<br />
Vorbereitungsdienst<br />
Nach der Anfangskonferenz geht es aufregend<br />
weiter, denn schon ab der zweiten<br />
Schulwoche halten LAAs eigenverantwortlichen<br />
Unterricht. Das bringt<br />
viele neue Aufgaben mit sich, bei denen<br />
man sich immer wieder fragt: Wo fange<br />
ich überhaupt an? Während des Studiums<br />
bereitet man in einem dreiwöchigen<br />
Praktikum nur eine einzige<br />
Unterrichtsstunde vor. Nun sind es<br />
in Bayern plötzlich acht Unterrichtsstunden<br />
pro Woche und dazu kommen<br />
Sequenz- und Jahrespläne,<br />
Schülerbeobachtungen,<br />
Hospitations- und<br />
Praktikumsnachweise,<br />
Unterrichtsmitschriften,<br />
Korrekturen,<br />
Rückmeldungen<br />
und vieles mehr.<br />
Das Schriftwesen ist<br />
aufwendig und die Aufgaben in<br />
Schule und Seminar sind zum Teil unübersichtlich,<br />
sodass man als LAA ständig<br />
das Gefühl hat, etwas zu vergessen.<br />
Der Grund, warum man <strong>Lehrkraft</strong> <strong>werden</strong><br />
wollte, nämlich Kinder zu unterrichten,<br />
rückt beinahe in den Hintergrund.<br />
In dieser Zeit ist es besonders<br />
Im Anfangsunterricht<br />
hat man das Gefühl, man<br />
geht in den ganzen neuen<br />
Aufgaben unter.<br />
(LAA im zweiten Dienstjahr,<br />
anonym)<br />
Die ersten größeren Erfolge lassen sich<br />
dann verbuchen, wenn sich die wachsende<br />
Beziehung zu den Schüler:innen<br />
bemerkbar macht und man sich im<br />
Schulalltag allmählich zurechtfindet.<br />
Dort haben wir LAAs mit unterschiedlichen<br />
Herausforderungen<br />
zu kämpfen, denn egal,<br />
wie die Realität an der<br />
jeweiligen Schule aussieht,<br />
sie lässt es oft<br />
nur schwer zu, dass die<br />
Inhalte aus dem Seminar<br />
auch im Unterricht<br />
umgesetzt <strong>werden</strong> können.<br />
Während manche<br />
Anwärter:innen einem Jahrgangsstufenteam<br />
verpflichtet sind, sind andere<br />
weitgehend auf sich allein gestellt. Die<br />
Kooperation im Jahrgangsstufenteam<br />
birgt Sicherheit, aber auch Abhängigkeit,<br />
sodass die hochgelobte pädagogische<br />
Freiheit in diesem Rahmen oft<br />
26 GS aktuell 167 • September 2024
Praxis: <strong>Lehrkraft</strong> <strong>werden</strong><br />
nicht ausgelebt <strong>werden</strong><br />
kann. Dabei ist es<br />
gerade die Zeit der<br />
Ausbildung, in der<br />
man unterschiedliche<br />
Arbeitsweisen<br />
ausprobieren sollte.<br />
LAAs, die vorrangig<br />
allein arbeiten, haben all<br />
diese Freiheiten, müssen sich aber<br />
mit mehr Unsicherheiten au<strong>sein</strong>andersetzen.<br />
Von mangelnder Ausstattung<br />
bis zur Unmöglichkeit, Farbkopien zu<br />
erstellen – die Bedingungen an den Einsatzschulen<br />
gehen weit au<strong>sein</strong>ander.<br />
Viele davon haben zur Folge, dass auch<br />
<strong>Lehramt</strong>sanwärter:innen regelmäßig für<br />
den Beruf in die eigene Tasche greifen<br />
müssen, obwohl die Anwärter:innenbezüge<br />
– die dem erforderlichen Arbeitspensum<br />
von LAAs bei Weitem nicht<br />
gerecht <strong>werden</strong> – allein für die Lebenshaltungskosten<br />
schon knapp bemessen<br />
sind.<br />
Die größten Herausforderungen<br />
im Vorbereitungsdienst<br />
Ein wichtiger Meilenstein im Prüfungsjahr<br />
sind die Lehrproben. Über Wochen<br />
hinweg <strong>werden</strong> die Prüfungsstunden<br />
geplant, ausgearbeitet und vorbereitet,<br />
bis sie dann endlich der Prüfungskommission<br />
präsentiert <strong>werden</strong> können.<br />
Doch zu diesen aufpolierten Unterrichtsstunden<br />
kommt eine Klassenführung<br />
und damit Elternarbeit,<br />
Leistungsnachweise und 15 weitere<br />
Wochenstunden, die ebenso geplant,<br />
ausgeführt und nachbereitet <strong>werden</strong><br />
müssen. Der Schulalltag läuft unentwegt<br />
weiter. Die Arbeit geht gewissermaßen<br />
nie aus. Unter einer optimalen<br />
und dadurch meist zeitintensiven Unterrichts-<br />
und Prüfungsvorbereitung muss<br />
eine gesunde Work-Life-Balance<br />
oft leiden. Persönliche Ressourcen<br />
sind mitentscheidend, wie<br />
lange man diese Phasen der<br />
Überarbeitung erträgt.<br />
Ein weiterer entscheidender<br />
Faktor ist die Atmosphäre<br />
in Seminar und Schule. Einige<br />
Seminarleitungen versuchen,<br />
den LAAs ein möglichst<br />
effektives Arbeiten zu ermöglichen,<br />
gewinnbringendes Feedback zu geben<br />
und Kooperation zu fördern. Doch<br />
es gibt auch Seminarleitungen, die zu<br />
Ich habe das Gefühl,<br />
dass nicht meine Entwicklung<br />
zu einer besseren Lehrerin im<br />
Vordergrund steht, sondern<br />
meine Resilienz.<br />
(LAA im ersten Dienstjahr,<br />
anonym)<br />
einem konkurrenzorientierten<br />
Arbeitsklima<br />
im Seminar beitragen,<br />
den Anwärter:innen<br />
destruktive<br />
Kritik geben und bezüglich<br />
Seminaraufgaben<br />
nach dem Motto<br />
arbeiten: Mehr ist immer<br />
besser. Auch in der Schule wird<br />
man mit unerwarteten Gepflogenheiten<br />
konfrontiert: Die Erwartung, auch krank<br />
zur Arbeit zu kommen, sowie mangelnde<br />
Rückendeckung von Vorgesetzten stehen<br />
bei vielen Schulen an der Tagesordnung.<br />
Gelingensfaktoren: Erfolge planen<br />
Der Vorbereitungsdienst ist eine außerordentlich<br />
ereignis- und lehrreiche<br />
Zeit, in der Ausdauer, Willenskraft und<br />
Frustrationstoleranz wichtige Eigenschaften<br />
sind. Man erlebt immer wieder<br />
Rückschläge und sollte bei aller Selbstreflexion<br />
im Gedächtnis behalten, dass<br />
Misserfolge einen weder als Mensch<br />
noch als <strong>Lehrkraft</strong> definieren. Sich im<br />
Zweifel auch davon abgrenzen zu können,<br />
kann entscheidend <strong>sein</strong> für den<br />
Erhalt der psychischen Gesundheit im<br />
Vorbereitungsdienst.<br />
Dass Bewertungen und Rückmeldungen<br />
kaum nachvollziehbar und willkürlich<br />
sind, scheint Konsens unter vielen<br />
LAAs zu <strong>sein</strong>. Das mag zum Teil auch<br />
stimmen, jedoch durften wir persönlich<br />
deutlich positivere Erfahrungen machen.<br />
Der größte Gelingensfaktor hierfür war,<br />
die Dinge, die man selbst in der Hand<br />
hat, auch wirklich anzupacken.<br />
Dafür muss man<br />
Die Bewertung<br />
der Seminarleitung lief bei<br />
keinem von uns professionell,<br />
sondern nach purer Sympathie.<br />
Das war sehr frustrierend.<br />
(LAA im zweiten Dienstjahr,<br />
anonym)<br />
Was mich hat<br />
durchhalten lassen, sind<br />
Unterstützung und Empathie<br />
von außen und die<br />
Glücksmomente mit den Kindern.<br />
(LAA im zweiten Dienstjahr,<br />
anonym)<br />
Mit Unterricht<br />
zeigt man auch immer ein<br />
Stück weit <strong>sein</strong>e Persönlichkeit.<br />
Die größte Herausforderung des<br />
Referendariats war, durchgehend<br />
kritisiert zu <strong>werden</strong> – eben auch<br />
auf dieser persönlichen Ebene.<br />
(LAA im zweiten Dienstjahr,<br />
anonym)<br />
Jana Dannich (links),<br />
26 Jahre, <strong>Lehramt</strong>sanwärterin im<br />
zweiten Dienstjahr an einer Grundschule<br />
in Bayern<br />
Nadja Bauer,<br />
28 Jahre, <strong>Lehramt</strong>sanwärterin im<br />
zweiten Dienstjahr an einer Grundschule<br />
in Bayern<br />
vor allem fähig <strong>sein</strong>,<br />
Kritik anzunehmen<br />
und umzusetzen. Wenn man bereit<br />
ist, sich anzustrengen und zu reflektieren,<br />
und es schafft, dabei authentisch zu<br />
bleiben, wird dies in der Regel auch von<br />
Prüfenden wertgeschätzt. Rückblickend<br />
war die Zeit des Vorbereitungsdienstes<br />
für uns eine positive Erfahrung, die uns<br />
dazu befähigt hat, über uns hinauszuwachsen.<br />
Auch wenn die Erfahrungen der<br />
LAAs individuell sind, gibt es sicherlich<br />
Grundsätze, die für uns alle hilfreich<br />
<strong>sein</strong> können: In Hinblick auf die Planung<br />
von Prüfungsstunden sollte man<br />
die eigenen Stärken sowie die der Kinder<br />
in den Fokus nehmen. Diese zu erkennen<br />
und hervorzuheben verleiht uns<br />
und den Schüler:innen Sicherheit und<br />
Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten.<br />
Dabei ist es wichtig, ausreichend Pausen<br />
einzuplanen, um einen kühlen Kopf<br />
zu bewahren. Insbesondere<br />
möchten wir den Austausch<br />
und die Kooperation<br />
im Seminar hervorheben.<br />
Dies gelingt<br />
insbesondere, wenn<br />
die Seminarleitung<br />
sich für ein Klima der<br />
Wertschätzung und der<br />
Stärkung einsetzt. Das<br />
gemeinsame Arbeiten<br />
haben wir stets als Mittel<br />
der Unterstützung wahrgenommen<br />
und hoffen,<br />
dass wir dies auch nach<br />
dem Vorbereitungsdienst<br />
beibehalten können.<br />
GS aktuell 167 • September 2024<br />
27
Praxis: <strong>Lehrkraft</strong> <strong>werden</strong><br />
Hannah Hußing<br />
„Aber jetzt mal ehrlich, hat man<br />
noch Freizeit im Referendariat?“<br />
Vier Dinge, die ich statt Horrorschilderungen lieber<br />
vor Beginn meines Referendariats gehört hätte<br />
Mit dem Referendariat ist es ähnlich wie mit Bewertungen für Restaurants im<br />
Internet: Auch wenn es durchaus gute Bewertungen gibt, vermiesen einem die<br />
negativen Kommentare doch die Vorfreude auf ein schönes Erlebnis. Aus irgendeinem<br />
Grund scheint es so, als würde das menschliche Gehirn den negativen<br />
Bewertungen mehr Gewicht zuteilen und sich diese eher merken. Bei einem<br />
Restaurant hält sich die persönliche Betroffenheit eher in Grenzen, schließlich<br />
kann man einfach an einen anderen Ort gehen. Beim Referendariat sieht das jedoch<br />
anders aus. Als angehende <strong>Lehrkraft</strong> führt nun mal kein Weg daran vorbei<br />
und man muss da irgendwie durch.<br />
Im August 2023 bin ich in mein<br />
Referendariat gestartet. Ich bin also<br />
noch mittendrin in dieser sagenumwobenen<br />
Zeit, auf die man als <strong>Lehramt</strong>sstudent:in<br />
so ehrgeizig hinarbeitet<br />
und die man trotzdem mit einer<br />
gewissen Ehrfurcht erwartet. Schuld<br />
daran sind jene Horrorgeschichten, die<br />
man während der Schulpraktika von<br />
erfahrenen Lehrkräften, aber auch im<br />
Freundes- oder Bekanntenkreis immer<br />
wieder zu hören bekommt. „Ich kenne<br />
mehrere, die das Ref nicht gepackt<br />
haben!“, „Fahr unbedingt noch mal in<br />
den Urlaub, dafür wirst du im Ref keine<br />
Zeit mehr haben“, „Ich habe nächtelang<br />
vorbereitet, laminiert und ausgeschnitten“,<br />
„Du wirst so wenig verdienen<br />
und musst trotzdem richtig viel<br />
Geld für Materialien ausgeben“ sind nur<br />
einige Beispiele für Sätze, die ich (und<br />
sicherlich auch viele, wenn nicht sogar<br />
alle meiner Mitanwärter:innen) oftmals<br />
gesagt bekommen habe. Da steigt die<br />
Vorfreude auf die anderthalb bis<br />
zwei Jahre Referendariat doch<br />
gleich noch mal mehr, oder?<br />
Ich habe an der Bremer<br />
Universität meinen Master<br />
mit der Doppelqualifikation<br />
Grundschullehramt und Sonderpädagogik<br />
/ Inklusive Pädagogik<br />
abgeschlossen und mich<br />
danach für einen Bundeslandwechsel<br />
nach Niedersachsen entschieden, um<br />
dort den Vorbereitungsdienst als Son-<br />
derpädagogin anzutreten. Damit habe<br />
ich das mir vertraute inklusive Bremer<br />
Schulsystem verlassen und zu den vorhersehbaren<br />
Sorgen und Aufregungen<br />
vor dem Referendariat (Wie wird wohl<br />
meine Schule <strong>sein</strong>? Wer wird mein:e<br />
Mentor:in? Wie sind die anderen Referendar:innen?<br />
Wie ist das mit der privaten<br />
Krankenversicherung? Ob meine<br />
Schüler:innen und meine Fachseminarleitungen<br />
mich wohl mögen <strong>werden</strong>?)<br />
kam auch noch Umzugsstress hinzu.<br />
Um zwischen all diesen Gedanken und<br />
bekannten Geschichten mit einer zuversichtlicheren<br />
Erwartungshaltung ins<br />
Referendariat zu starten, hätte ich mir<br />
gewünscht, auch mal positive (oder wenigstens<br />
positivere) Gedanken über den<br />
Vorbereitungsdienst zu hören.<br />
Schaffe dir eine Work-Life-Balance<br />
„Aber jetzt mal ehrlich, hat man noch<br />
Freizeit während des Refs?“ Die neue<br />
Referendarin, die mir und<br />
anderen Mitgliedern des<br />
Anwärter:innen-Personalrats<br />
dieses Jahr im Januar<br />
bei der Einführungswoche<br />
diese Frage stellt, schaut<br />
uns zwar mit einem großen<br />
Lächeln an und versucht die<br />
Frage als einen lockeren Scherz<br />
darzustellen, aber wenn man genau hinsieht,<br />
erkennt man in ihren Augen ein<br />
wenig Unsicherheit und vielleicht sogar<br />
Hannah Hußing<br />
ist Anwärterin für Sonderpädagogik an<br />
einer Förderschule in Braunschweig.<br />
Angst vor unserer Antwort. Gefühlt<br />
ist es auf einmal ganz ruhig in dem<br />
Seminarraum, denn alle sind gespannt<br />
auf unsere (ehrliche) Einschätzung,<br />
schließlich ist die vermutlich bekannteste<br />
Horrorfloskel über das Referendariat,<br />
dass man sich kaputtarbeitet und<br />
nur Überstunden macht.<br />
Das Referendariat stellt den Einstieg<br />
in das „echte“ Berufsleben dar.<br />
Allerdings gibt es, anders als bei anderen<br />
Jobs, keinen komplett festgelegten<br />
Zeitrahmen für die Arbeitszeiten<br />
einer <strong>Lehrkraft</strong>, nicht nur im Referendariat,<br />
sondern in der gesamten Berufslaufbahn.<br />
Hinzu kommen der eigene<br />
Perfektionismus und das Gefühl, unter<br />
ständiger Beobachtung zu stehen. Umso<br />
schwerer ist es, einen Schlusspunkt zu<br />
finden beziehungsweise die Arbeit für<br />
den Tag zu beenden und Feierabend zu<br />
machen.<br />
Und trotzdem würde ich der Sorge<br />
der neuen Referendarin (auch jetzt,<br />
nach einem weiteren halben Jahr im<br />
Referendariat, immer noch) widersprechen.<br />
Allerdings mit einer kleinen Einschränkung:<br />
Freizeit haben (nur) diejenigen,<br />
die sich diese nehmen, und das<br />
ganz bewusst. Wie gesagt, die Arbeit<br />
einer <strong>Lehrkraft</strong> hört nie so richtig auf,<br />
28 GS aktuell 167 • September 2024
Praxis: <strong>Lehrkraft</strong> <strong>werden</strong><br />
die To-do-Liste wird vielleicht kurzzeitig<br />
kürzer, aber offene Aufgaben gibt es<br />
trotzdem immer, der Unterricht könnte<br />
immer noch besser vorbereitet und das<br />
Material noch schöner gestaltet <strong>werden</strong>.<br />
Dabei kann es aber auch schnell passieren,<br />
dass man den Wald vor lauter<br />
Bäumen (oder die Möglichkeiten vor<br />
lauter Methoden) nicht mehr sieht, sodass<br />
Freizeit, bewusste Pausen und Abstand<br />
vom Thema Schule meiner Meinung<br />
nach sogar zum Referendariat dazugehören<br />
sollten! Wenn ich mich ausgeschlafen<br />
und erholt fühle, bin ich<br />
automatisch ausgeglichener, konzentrierter<br />
und habe bessere Laune und kann<br />
mit diesem Gemütszustand vermutlich<br />
auch eine bessere und aufmerksamere<br />
<strong>Lehrkraft</strong> <strong>sein</strong>. Und damit kann es doch<br />
nicht nur mir so gehen?<br />
Lerne deinen persönlichen<br />
Lern- und Arbeitstyp kennen<br />
Um sich jedoch solche bewussten<br />
Auszeiten von der Schule<br />
zu nehmen, ist es sehr hilfreich,<br />
den eigenen Tagesrhythmus<br />
zu kennen und<br />
sich diesem anzupassen.<br />
Ich habe beispielsweise erst<br />
im Referendariat gemerkt,<br />
dass ich abends viel produktiver<br />
arbeiten kann als nachmittags<br />
direkt nach der Schule. Anders sieht es<br />
bei mir jedoch aus, wenn ich nach dem<br />
Unterricht noch in der Schule bleibe,<br />
dann bin ich an einem Ort mit „Arbeitsatmosphäre“<br />
und kann auch nach dem<br />
Unterricht noch gut weiter vorbereiten,<br />
korrigieren und planen. Seit dieser<br />
Erkenntnis kann ich mich nach dem<br />
Unterricht viel mehr und vor allem ohne<br />
schlechtes Gewissen ausruhen und mich<br />
dann auch mit viel mehr Kraft wieder an<br />
den Schreibtisch setzen.<br />
Zusätzlich haben sich bei mir beim<br />
Schreiben von Unterrichtsentwürfen<br />
kleine Rituale (wie das Anzünden einer<br />
Kerze, die immer gleiche ruhige Hintergrundmusik<br />
…) eingeschlichen sowie<br />
mein eigenes Belohnungssystem etabliert,<br />
das mich vor allem für<br />
die Unterrichtsbesuche motiviert.<br />
Struktur und Transparenz<br />
tun nicht nur unseren<br />
Schüler:innen im Unterricht<br />
gut, sondern man kann sie<br />
auch als Referendar:in wunderbar<br />
nutzen, um sich eine ausgeglichene<br />
Work-Life-Balance zu schaffen.<br />
Austausch ist wichtig,<br />
vergleichen eher nicht<br />
Zusätzlich ist der Kontakt zu<br />
Kolleg:innen vor Ort und<br />
auch zu anderen Referendar:innen<br />
wichtig. Häufig<br />
habe ich das Gefühl,<br />
dass Lehrkräfte zu Einzelkämpfer:innen<br />
erzogen <strong>werden</strong>,<br />
dabei ist eine der zentralen<br />
Erkenntnisse aus meinem Studium, dass<br />
guter Unterricht und vor allem auch die<br />
Inklusion nur durch das Zusammenhalten<br />
und -arbeiten eines Teams<br />
umgesetzt <strong>werden</strong> und funktionieren<br />
können. Der Input beziehungsweise die<br />
Tipps von erfahrenen Lehrkräften oder<br />
den „Leidensgenossen“ oder auch (und<br />
manchmal sogar vor allem) von „Fachfremden“<br />
sind hilfreich, um mal aus den<br />
eigenen Denkmustern auszubrechen<br />
und Situationen durch andere<br />
Augen wahrnehmen zu können.<br />
Allerdings birgt vor allem<br />
der Austausch mit anderen<br />
Anwärter:innen in meinen<br />
Augen auch eine gewisse Gefahr,<br />
nämlich die Möglichkeit<br />
zum Vergleich. Dabei sind wir Referendar:innen<br />
genauso individuell wie<br />
unsere Schüler:innen: Wir haben unterschiedliche<br />
Vorerfahrung, haben an<br />
unterschiedlichen Universitäten studiert<br />
und wurden dementsprechend anders<br />
auf das Ref vorbereitet, wir treffen auf<br />
unterschiedliche Gegebenheiten, Klassen<br />
und einzelne Schüler:innen an den Ausbildungsschulen<br />
und haben im Privatleben<br />
andere Herausforderungen. Wieso<br />
sollte man dann die von uns erbrachten<br />
Leistungen oder das Feedback nach<br />
Unterrichtsbesuchen bis aufs kleinste<br />
Detail miteinander vergleichen?<br />
Dein Unterricht ist für<br />
deine Lerngruppe<br />
Vor einiger Zeit hat eine meiner<br />
Seminarleitungen zu mir<br />
gesagt: „Sie machen den<br />
Unterricht nicht für eine Person,<br />
die sie alle paar Monate<br />
besucht, sondern für ihre<br />
Schüler:innen und deren<br />
Lernzuwachs!“ Dieser Satz hat mir Mut<br />
gemacht, schließlich hört man vor dem<br />
Referendariat, dass die Unterrichtsbesuche<br />
sich an den Präferenzen der<br />
Seminarleitungen orientieren. Deine<br />
Seminarleitung ist Fan von der<br />
Kugellager-Methode oder dem<br />
Gruppenpuzzle? Natürlich<br />
zeigst du ihr nur das! Wenn<br />
man aber mutig ist, neue<br />
Methoden und Ansätze ausprobiert<br />
und diese begründet<br />
darstellen und kritisch reflektieren<br />
kann, dann muss man sich nicht<br />
(nur) an den Präferenzen der Seminarleitung<br />
orientieren, sondern kann die<br />
eigene, authentische Lehrer:innenpersönlichkeit<br />
finden und präsentieren.<br />
Fazit: Lass dich drauf ein!<br />
Meine Erfahrungen haben mit Sicherheit<br />
keinen Allgemeingültigkeitsstatus<br />
und es gibt mit großer Wahrscheinlichkeit<br />
viele Lehrkräfte, die mit einem sehr<br />
mulmigen Gefühl an ihr Referendariat<br />
zurückdenken oder gerade noch mittendrinnen<br />
stecken. Aber hätte ich die oben<br />
beschriebenen Punkte vor meinem Ref<br />
gehört, wäre ich definitiv entspannter<br />
und hoffnungsvoller in diesen Lebensabschnitt<br />
gestartet.<br />
Ich bin der festen Überzeugung, dass<br />
das Referendariat nicht für jede:n eine<br />
negative selbsterfüllende Prophezeiung<br />
<strong>sein</strong> muss, solange man offen und positiv<br />
in diese Ausbildungsphase startet und<br />
sich selbst die Chance gibt, eigene Erfahrungen<br />
zu sammeln und daran professionell<br />
und persönlich zu wachsen.<br />
GS aktuell 167 • September 2024<br />
29
Praxis: <strong>Lehrkraft</strong> <strong>sein</strong><br />
Michael Bauernschuster<br />
Lehrergesundheit unterstützen<br />
Kollegiale Fallberatung – eine gemeinschaftsfördernde<br />
und niedrigschwellige Interventionsmaßnahme<br />
2020 gab der Grundschulverband beim Bremer Institut für interdisziplinäre<br />
Schulforschung ein Gutachten in Auftrag, das die Arbeitssituation in der Grundschule<br />
untersuchen sollte. Der Titel der daraus resultierenden Studie weist auf<br />
eine hohe Arbeitsbelastung hin und bringt Risikofaktoren für Belastungserleben<br />
auf den Punkt – zu viele Aufgaben, zu wenig Zeit: Überlastung von Lehrkräften<br />
in der Grundschule. (Institut für interdisziplinäre Schulforschung 2020)<br />
nimmt. Dabei <strong>werden</strong> in der Praxis erkannte<br />
Potenziale und Herausforderungen<br />
deutlich.<br />
Was ist Kollegiale Fallberatung?<br />
Welche Ziele verfolgt sie?<br />
„Kollegiale Beratung ist ein strukturiertes<br />
Beratungsgespräch in einer Gruppe,<br />
in dem ein Teilnehmer von den übrigen<br />
Teilnehmenden nach einem feststehenden<br />
Ablauf mit verteilten Rollen<br />
beraten wird mit dem Ziel, Lösungen für<br />
eine konkrete berufliche Schlüsselfrage<br />
zu entwickeln.“ (Tietze 2021) Unter<br />
anderem kann es darum gehen, „Kommunikations-,<br />
Interaktions- und<br />
Frustrationsprobleme des beruflichen<br />
Alltags aufzuarbeiten.“ (Tietze 2021)<br />
Ziel ist, sowohl die persönliche (Arbeits-)Zufriedenheit<br />
wie auch eine<br />
günstige Dynamik im Kollegium zu<br />
fördern: Man erfährt Rückhalt, erlebt<br />
weitere Blickwinkel und bekommt Ideen<br />
für die Bewältigung von als belastend<br />
wahrgenommenen Situationen.<br />
Ablauf der Fallberatung<br />
Vorbereitend <strong>werden</strong> die Hauptrollen<br />
Fallerzähler:in, Moderator:in und Berater:innen<br />
verteilt. Die Rollen sind dynamisch<br />
angelegt, das heißt, sie <strong>werden</strong> in<br />
jeder Sitzung neu festgelegt.<br />
1. Casting: Bei der Rollenbesetzung<br />
<strong>werden</strong> kurz mögliche Fälle in den<br />
Raum gegeben. Die Teilnehmenden entscheiden<br />
sich demokratisch für einen<br />
Fall. Meist wird hier nachgefragt, wer<br />
den dringenndsten Bedarf derzeit hat.<br />
2. Spontanbericht: Die Fallerzählerin<br />
stellt das Problem knapp dar. Danach<br />
Aus den Berechnungen des<br />
Forschungsteams wird ersichtlich,<br />
dass die Anzahl der in den<br />
Regelungen festgelegten Aufgaben<br />
innerhalb der vom Bundesinnenministerium<br />
bestimmten Jahresarbeitszeit<br />
nicht zu bewältigen ist. Damit wird<br />
das subjektive Belastungserleben von<br />
Lehrkräften befeuert: Es kann das<br />
Gefühl entstehen, mit Aufgaben nicht<br />
fertig zu <strong>werden</strong> bzw. unzureichende<br />
Kapazitäten für deren gewünschte qualitative<br />
Bearbeitung zu haben. Im Rahmen<br />
von Interviews nennen Lehrkräfte<br />
weitere persönliche Belastungsfaktoren<br />
wie bürokratische Aufgaben, Umgang<br />
mit Verhaltensschwierigkeiten und<br />
Unterrichtsstörungen, zu hohe Klassengrößen<br />
und zu hohe Ansprüche von<br />
Erziehungsberechtigten an die Schule<br />
(vgl. Institut für interdisziplinäre Schulforschung<br />
2020).<br />
Um aus der Unvereinbarkeit von zu<br />
vielen Aufgaben und zu wenig Zeit für<br />
deren Bewältigung herauszukommen<br />
und mit Blick auf den Lehrkräftemangel<br />
und steigende Herausforderungen,<br />
braucht es Strategien, um dem subjektiven<br />
Belastungserleben von Lehrkräften<br />
zu begegnen und eine Unterstützungskultur<br />
an Schulen aufzubauen. Der vorliegende<br />
Beitrag konzentriert sich auf<br />
die Methode Kollegiale Fallberatung als<br />
eine mögliche und relativ schnell umsetzbare<br />
Maßnahme. Sie ersetzt jedoch<br />
nicht andere notwendige Entlastungen.<br />
Im Folgenden gehe ich auf die wichtigsten<br />
theoretischen Aspekte des Formats<br />
ein und stelle abschließend konkret<br />
erlebte Erfahrungen einer Grundschullehrkraft<br />
vor, die an ihrer Schule<br />
an Kollegialen Fallberatungen aktiv teilkönnen<br />
die Berater:innen (reine)<br />
Verständnisfragen stellen.<br />
3. Schlüsselfrage: Im Anschluss wird<br />
im Dialog eine konkrete Schlüsselfrage<br />
formuliert, zu der die Fallerzählerin Rat<br />
einholen möchte.<br />
4. Methodenwahl: Die Fallerzählerin<br />
wählt mithilfe der Moderation einen<br />
Methodenbaustein aus.<br />
5. Beratung: Die Berater:innen beraten<br />
mit Unterstützung der Moderation nach<br />
dem ausgewählten Methodenbaustein.<br />
Die Fallerzählerin hört nur zu.<br />
6. Abschluss: Zum Abschluss gibt die<br />
Fallerzählerin den Beratenden ein Feedback.<br />
Jede Phase folgt einem Zeitplan. Insgesamt<br />
ist eine Dauer von etwa 50 Minuten<br />
angesetzt (vgl. Tietze 2021).<br />
Welche Methoden gibt es zur<br />
Bearbeitung der Schlüsselfrage?<br />
Die Methoden stammen aus professionellen<br />
Beratungskontexten. Sie haben<br />
unterschiedliche Schwerpunkte und<br />
Ziele wie: Lösungsideen für die Fallerzählerin<br />
sammeln, Probleme aus<br />
einem anderen Blickwinkel betrachten,<br />
Stellungnahmen abgeben. Sie sind<br />
lösungs- und ressourcenorientiert,<br />
strukturierend und Anteil nehmend.<br />
Was ist der Unterschied<br />
zu einer Supervision?<br />
Die Themen der Kollegialen Fallberatung<br />
und der Supervision betreffen<br />
beide dienstliche Fragen. Während die<br />
Kollegiale Fallberatung hauptsächlich<br />
darauf abzielt, verschiedene mögliche<br />
Interventionsmaßnahmen zu klären,<br />
konzentriert sich die Supervision darauf,<br />
die Einstellung der Fallgeberin<br />
oder des Fallgebers zur gestellten Frage<br />
zu reflektieren (vgl. Schulberatung Bayern<br />
2024). Für die Supervision sind ausschließlich<br />
ausgebildete Supervisor:innen<br />
als Leitung vorgesehen.<br />
30 GS aktuell 167 • September 2024
Praxis: <strong>Lehrkraft</strong> <strong>sein</strong><br />
Wie führe ich die Kollegiale<br />
Fallberatung an meiner Schule ein?<br />
In Bayern beispielsweise kann man an<br />
den Staatlichen Schulberatungsstellen<br />
Beratungslehrkräfte mit Zusatzqualifikation<br />
anfordern. Sie führen die Fallberatung<br />
an der Schule ein und moderieren<br />
sie. Das Kollegium soll dazu<br />
befähigt <strong>werden</strong>, die Fallberatungen<br />
selbst nach Vorgabe des systematischen<br />
Ablaufs und der möglichen Methoden<br />
durchzuführen.<br />
Welche Stimmen aus der<br />
Praxis gibt es dazu?<br />
Folgende Ansichten gehen aus einem<br />
Interview mit Monika Steiner, Grundschullehrerin<br />
in München-Stadt, hervor,<br />
die seit diesem Schuljahr an Fallberatungen<br />
teilnimmt:<br />
● „Im Gegensatz zu informellen Unterhaltungen<br />
im Lehrerzimmer, die sich<br />
oft hauptsächlich um das Problem drehen,<br />
handelt es sich bei der Kollegialen<br />
Fallberatung um ein strukturiertes Gesprächsformat,<br />
das ganz gezielt nach<br />
Lösungen sucht.“<br />
● „Als Ratsuchende wird man bestärkt<br />
in dem, was man schon alles probiert<br />
hat, um ein Problem zu lösen. Das tut<br />
gut und motiviert. Man erfährt Wertschätzung<br />
für <strong>sein</strong>e Lösungsversuche. Es<br />
geht auch immer wieder darum, eigene<br />
Grenzen zu erkennen und dass es Hilfsangebote<br />
gibt, die man nutzen kann.“<br />
● „Man kommt sich im Kollegium näher,<br />
weil jeder Schwächen und Grenzen<br />
zugibt. Man fühlt sich gehört und gesehen<br />
mit <strong>sein</strong>en Schwierigkeiten.“<br />
● „Man braucht nicht immer super ausgeklügelte<br />
Lösungen. Oft kommt man<br />
als Ratsuchende nicht auf eine Idee, weil<br />
man besonders gefordert ist mit einem<br />
Problem und der Überblick fehlt.“<br />
● „Man bekommt Werkzeuge an die<br />
Hand, wie man mit Problemen umgehen<br />
kann. Ich kann jedes Mal etwas mitnehmen,<br />
auch wenn es mich gerade nicht<br />
betrifft: zum Beispiel auch, wo ich mich<br />
hinwenden kann oder methodische Ideen<br />
für die Bewältigung von Problemen.“<br />
● „Durch die Rollenwechsel ist die Fallberatung<br />
dynamisch. Es entstehen keine<br />
starren, festen Positionen und Hierarchien<br />
im Kollegium.“<br />
● „Es ist schön, sich im Kollegium zu<br />
helfen, sich nicht als Einzelkämpfer zu<br />
sehen.“<br />
● „Voraussetzungen für gewinnbringende<br />
Fallberatungen sind Offenheit, die<br />
Fähigkeit zum Perspektivenwechsel, aktive<br />
Mitsprache, Verständnis für den anderen<br />
und eine wertschätzende Sprache<br />
der Teilnehmenden. Zudem sind äußere<br />
Faktoren wichtig: Lehrkräfte <strong>werden</strong> an<br />
unserer Schule für die Kollegialen Fallberatungen<br />
gegebenenfalls vom Unterricht<br />
befreit. Sie gelten als Fortbildungsveranstaltungen.<br />
Das Format würden<br />
mehr Kolleg:innen nutzen, wenn es zum<br />
Beispiel eine Extrastunde dafür geben<br />
würde. Die Zeit zahlt sich aus.“<br />
Michael Bauernschuster,<br />
Lehrer an der Grundschule Baierbrunn,<br />
Beratungslehrkraft am Schulberatungszentrum<br />
Grünwald, Delegierter der<br />
Landesgruppe Bayern im Grundschulverband,<br />
Leiter der Regionalgruppe<br />
Oberbayern im Grundschulverband e. V.<br />
Das anfangs genannte Gutachten zur<br />
Arbeitssituation an Grundschulen zeigt,<br />
dass sich strukturelle Bedingungen ändern<br />
müssen. Es wird deutlich, dass<br />
übergreifend Maßnahmen getroffen <strong>werden</strong><br />
müssen, um Grundschullehrkräfte<br />
im Beruf zu behalten, Fürsorge für deren<br />
Gesundheit zu leisten und u. a. deren<br />
Motivation und Anstrengungsbereitschaft<br />
zu erhalten. Die Kollegiale Fallberatung<br />
stellt eine pragmatische und ressourcenbedachte<br />
Möglichkeit dar, mit<br />
der Lehrkräfte selbst in Belastungssituationen<br />
auf soziale Ressourcen vor Ort in<br />
ihrer Schule zurückgreifen können.<br />
Literaturangaben zum Artikel<br />
können Sie von unserer Website herunterladen:<br />
https://t1p.de/GSa167Lit<br />
Kartei zum Lernen und Üben<br />
Teil 1<br />
Die Buchstaben<br />
© Grundschrift: www.grundschulverband.de · © Illustrationen & Layout: www.designritter.de<br />
Kartensatz „Grundschrift – Damit<br />
Kinder besser schreiben lernen“<br />
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© Grundschrift: www.grundschulverband.de · © Illustrationen & Layout: www.designritter.de<br />
Kartensatz:<br />
56 Karten (Teil 1) und<br />
20 Karten (Teil 2),<br />
Überarbeitete 4. Auflage<br />
Entwickelt von Horst<br />
Bartnitzky, Ulrich Hecker,<br />
Christina Mahrhofer-Bernt<br />
Download unter<br />
www.grundschulverband.de/<br />
produkt/grundschrift-kartei/<br />
GS aktuell 167 • September 2024<br />
31
Praxis: <strong>Lehrkraft</strong> <strong>sein</strong><br />
Eva-Maria Osterhues-Bruns<br />
Schul- und Unterrichtsentwicklung<br />
begleiten und unterstützen<br />
Das Beratungs- und Unterstützungssystem Niedersachsens<br />
Gerade in den letzten Jahren haben die Anforderungen, denen sich Schulleitungen,<br />
Lehrkräfte und Mitarbeitende, aber auch die Schülerinnen und Schüler<br />
an Schulen stellen müssen, rasant zugenommen. Der Mangel an pädagogischen<br />
Fachkräften lässt viele Kolleg:innen an ihre Belastungsgrenze stoßen. Auch<br />
die vielfältigen Nachwirkungen der Covid-19-Pandemie oder die enorme Geschwindigkeit,<br />
mit der sich der digitale Wandel vollzieht, wirken sich auf Schule<br />
und Unterricht aus. Weitere gesellschaftliche Anforderungen wie die Umsetzung<br />
des Rechtsanspruchs auf eine ganztägige Betreuung sowie der inklusiven Schule<br />
machen eine Weiterentwicklung von Lehrkräften und Schulen notwendig.<br />
Zudem zeigen verschiedene Schulleistungsstudien,<br />
dass viele Schülerinnen<br />
und Schüler geforderte<br />
Mindeststandards nicht erreichen, was<br />
die Frage nach „gutem Unterricht“ aufwirft.<br />
Mindestens genauso deutlich<br />
wird, dass sich die Chancenungerechtigkeit<br />
unter den Kindern weiter verschärft.<br />
Die Benachteiligung von Kindern<br />
aus ökonomisch prekären Haushalten<br />
sowie von Kindern mit<br />
Migrationshintergrund ist in Deutschland<br />
besonders ausgeprägt.<br />
Aber: Kann Schule diese überwältigenden<br />
gesellschaftlichen Herausforderungen<br />
überhaupt bewältigen? Welche<br />
Möglichkeiten gibt es für Lehrkräfte, sich<br />
so fort- und weiterzubilden, um Schülerinnen<br />
und Schüler fit zu machen für<br />
die Gegenwart sowie die Zukunft, von<br />
der wir heute nicht wissen, wie sie morgen<br />
aussehen wird? Wie muss sich Schule<br />
verändern, um den verschiedenen Bedarfen<br />
gerecht zu <strong>werden</strong>? Wie gelingt es<br />
gleichzeitig, Lernumgebungen so zu gestalten,<br />
dass sie ausreichende Lernchancen<br />
für die Kinder bieten und lernwirksam<br />
sind, die Lehrkräfte dabei nicht überfordern?<br />
Die beiden letzten großen Kongresse<br />
des Grundschulverbandes 2019<br />
und 2024 unter dem Motto KINDER.<br />
LERNEN.ZUKUNFT. JETZT! versuchten,<br />
auf diese Fragen Antworten zu finden;<br />
auch die Anforderungen an eine zukunftsfähige<br />
Grundschule 1 , mit welchen<br />
sich der Grundschulverband zu einer zukunftsfähigen<br />
Schule positioniert, zeigen<br />
Wege und Möglichkeiten auf.<br />
sich im Laufe der beruflichen Tätigkeit<br />
nicht nur die Anforderungen kontinuierlich<br />
verändern, sondern auch das<br />
Wissen der Bezugswissenschaften und<br />
damit die Möglichkeiten eines effektiven<br />
professionellen Handelns dynamisch<br />
wachsen. Fortbildung im Sinne der Erhaltung<br />
und Anpassung der professionellen<br />
Kompetenzen muss deshalb als<br />
ein berufsbegleitender Prozess verstanden<br />
<strong>werden</strong>“ (SWK 2023b, 90). Kraus<br />
konstatiert, dass „heute die beständige<br />
Weiterentwicklung der eigenen Professionalität<br />
zu den Erwartungen an den<br />
Lehrberuf gehört“ (Kraus 2021, 8).<br />
Das Land Niedersachsen hat mit <strong>sein</strong>em<br />
Beratungs- und Unterstützungssystem<br />
(B&U) 2 ein Modell entwickelt, welches<br />
beide Säulen zu bedienen und auf<br />
der Grundlage der Freiwilligkeit Schulen<br />
bei ihrer Schul- und Unterrichtsentwicklung<br />
zu unterstützen versucht. Ziel<br />
ist es, die anfragenden Schulen bei ihren<br />
„Fort- und Weiterbildung sind gleichermaßen zentral<br />
für die Bewältigung der sich dynamisch verändernden<br />
schulischen Anforderungen.“<br />
(SWK 2023a, 14)<br />
Doch auch die zuständigen Ministerien<br />
bzw. Schuladministrationen müssen<br />
geeignete Strukturen schaffen, um Schulen<br />
bei der Bewältigung dieser Anforderungen<br />
zu begleiten.<br />
Während für die erste und die zweite<br />
Phase der Lehrkräfteausbildung verschiedene<br />
Konzepte entwickelt <strong>werden</strong>,<br />
um angehende Lehrkräfte zukunftsorientiert<br />
zu qualifizieren, wird<br />
die dritte Phase der Lehrkräftebildung<br />
eher stiefmütterlich evaluiert und weiterentwickelt.<br />
Die Ständige Wissenschaftliche<br />
Kommission (SWK) konstatiert<br />
in der Situationsanalyse ihres<br />
Gutachtens Lehrkräftegewinnung und<br />
Lehrkräftebildung für einen hochwertigen<br />
Unterricht, „dass in den meisten<br />
Ländern weder im Bereich der Fortnoch<br />
in der Weiterbildung hinreichende<br />
Strukturen implementiert sind“ (SWK<br />
2023b, 110). Dabei scheint eine Professionalisierung<br />
von Lehrkräften einerseits<br />
und eine Professionalisierung von Schule<br />
als Organisation<strong>sein</strong>heit andererseits<br />
unabdingbar, um adäquat auf die vielfältigen<br />
Veränderungsprozesse eingehen<br />
zu können. So schreibt auch die SWK in<br />
ihrem o. g. Gutachten weiter: „Für Professionen<br />
gilt in besonderer Weise, dass<br />
Anliegen individuell zu beraten und in<br />
ihrem Prozess zu begleiten; die Ergebnisverantwortung<br />
liegt jedoch allein bei<br />
den anfragenden Schulen, d. h. die Berater:innen<br />
können die Schulen in ihrem<br />
Vorhaben begleiten, die inhaltlichen<br />
Entscheidungen sind aber allein von den<br />
Kollegien zu treffen.<br />
Beratung und Unterstützung <strong>werden</strong><br />
in folgenden Bereichen gegeben:<br />
● Unterrichtsfächer (an den allgemeinbildenden<br />
Schulen): Schulformbezogene<br />
Fachberatungen begleiten<br />
zumeist Fachkonferenzleitungen bzw.<br />
Fachkonferenzen bei der fachbezogenen<br />
Unterrichtsentwicklung, z. B. bei<br />
der Erstellung und der Umsetzung der<br />
32 GS aktuell 167 • September 2024
Praxis: <strong>Lehrkraft</strong> <strong>sein</strong><br />
Eva-Maria Osterhues-Bruns,<br />
Fachreferentin für pädagogische Praxis<br />
im Grundschulverband und Vorsitzende<br />
der Landesgruppe Niedersachsen<br />
schuleigenen Arbeitspläne oder der<br />
Gestaltung guter Lernumgebungen in<br />
ihren Fächern.<br />
● Übergreifende Bildungsaufgaben<br />
(z. B. medienpädagogische Beratung,<br />
BNE, die Region und ihre Sprachen<br />
im Unterricht oder schulische Sozialarbeit):<br />
Die Berater:innen der übergreifenden<br />
Bildungsaufgaben besitzen eine<br />
besondere Expertise in ihrem jeweiligen<br />
Schwerpunktgebiet. So können<br />
sie z. B. bei Bewerbungen als Projektschulen<br />
oder „Plattdeutsche bzw. Saterfriesische<br />
Schulen“ unterstützen, Ansprechpartner*innen<br />
bei der Erstellung<br />
von Medienkonzepten oder bei Fragen<br />
des Datenschutzes <strong>sein</strong>. Berater:innen<br />
BNE begleiten Schulen unter anderem<br />
bei einer nachhaltigen Ausrichtung des<br />
Schulprofils.<br />
● Lernbereiche (an den berufsbildenden<br />
Schulen) 3<br />
● Schulentwicklung und Unterrichtsqualität:<br />
Mögliche Aufgabenfelder von<br />
Schulentwicklungsberater:innen können<br />
unter anderem <strong>sein</strong>, Schulen beim<br />
Aufbau von Strukturen und in ihren<br />
Veränderungsprozessen zu unterstützen,<br />
z. B. bei der Konzepterstellung und<br />
der Umsetzung des Ganztagsschulprozesses,<br />
aber auch bei geplanten Schulfusionen<br />
oder Schulneugründungen.<br />
Sie sind unter anderem auch zuständig<br />
für die Unterstützung beim Erstellen<br />
von Leitbildern oder Schulprogrammen.<br />
Fachberater:innen für Unterrichtsqualität<br />
hingegen begleiten und<br />
beraten Schulen bei der konsequenten<br />
Weiterentwicklung des Unterrichts und<br />
damit einhergehend der Unterrichtsqualität<br />
auf der operativen Ebene. Auch<br />
die Weiterentwicklung systematischer<br />
Fachkonferenzarbeit oder die Erarbeitung<br />
eines gemeinsamen Verständnisses<br />
von Unterrichtsqualität gehören zu<br />
den Aufgabenbereichen der Fachberater:innen<br />
für Unterrichtsqualität. Dieses<br />
Beratungsangebot umfasst unter<br />
anderem die Weiterentwicklung des<br />
Unterrichtes in heterogenen Lerngruppen<br />
in einer inklusiven Schule.<br />
● Pädagogische und psychologische<br />
Unterstützung: Die pädagogische und<br />
psychologische Unterstützung umfasst<br />
sowohl die Begabungsförderung<br />
als auch die sonderpädagogische und<br />
inklusive sowie psychologische Unterstützung.<br />
● Arbeitsschutz und Gesundheitsmanagement:<br />
Dieser Bereich des B&U ist<br />
ebenfalls breit aufgestellt. Verschiedene<br />
Professionen begleiten Schulen und<br />
einzelne Lehrkräfte in den Bereichen<br />
Arbeitsmedizin, Arbeitspsychologie<br />
und Arbeitsgesundheit. Daneben können<br />
Berater:innen dieser Professionen<br />
zur Suchtberatung oder zur Schulbauberatung<br />
angefragt <strong>werden</strong> (vgl. https://<br />
bildungsportal-niedersachsen.de/beratung-unterstuetzung/onlineportal-bu)<br />
4 .<br />
Um eine möglichst passgenaue Beratung<br />
anbieten zu können, arbeiten Berater:innen<br />
unterschiedlicher Professionen<br />
zusammen. Ein Beratungsteam setzt<br />
sich zusammen aus Schulentwicklungsberater:innen<br />
(SEB), Fachberater:innen<br />
für Unterrichtsqualität (FBUQ) und<br />
Berater:innen für Evaluation (BfE) sowie<br />
schulpsychologischen Dezernentinnen<br />
und Dezernenten. Das Team wird<br />
unterstützt durch schulformbezogene<br />
Berater:innen (sfB), die speziell für einzelne<br />
Unterrichtsfächer angefragt und<br />
beauftragt <strong>werden</strong> können, sowie Berater:innen,<br />
die für die übergreifenden<br />
Bildungsaufgaben (z. B. BNE, Medienbildung<br />
oder interkulturelle Sprachbildung)<br />
verantwortlich sind.<br />
Schulen können ihre Anfragen niedrigschwellig<br />
über ein onlinegestütztes<br />
B&U-Portal stellen. Diese <strong>werden</strong> in regelmäßigen<br />
gemeinsamen Sitzungen von<br />
den Mitgliedern des zuständigen Regionalen<br />
Beratungsteams (RBT) 5 gesichtet<br />
und diskutiert. Auf der Grundlage dieser<br />
Anfrage entscheiden die Mitglieder der<br />
RBTs gemeinsam, welche Profession/-en<br />
einen ersten Kontakt zur Schule herstellt/<br />
herstellen. In einem Erstgespräch wird<br />
dann das Beratungsanliegen eruiert. Zumeist<br />
prozessbegleitend unterstützen die<br />
Berater:innen nach der Klärung des Beratungsauftrages<br />
anschließend Steuergruppen,<br />
Fachteams oder Kollegien in<br />
ihrer Schul- und Unterrichtsentwicklung.<br />
Letztendlich stellt eine Evaluation<br />
der durchgeführten Maßnahmen den<br />
Abschluss des Beratungsprozesses dar. In<br />
Bezug auf die Unterrichtsentwicklung erhält<br />
im gesamten Beratungsprozess insbesondere<br />
das Merkmal „Stärkung der kollegialen<br />
unterrichtsbezogenen Kooperation<br />
mit dem Fokus auf Tiefenmerkmale<br />
des Unterrichts durch Expert:innen, die<br />
bei der Zielfokussierung unterstützen“<br />
(SWK 2023b, 102), eine große Bedeutung.<br />
Mit diesem Angebot möchte das Niedersächsische<br />
Kultusministerium Schulen<br />
qualitativ hochwertig begleiten und<br />
Lehrkräften berufsbegleitend Unterstützung<br />
anbieten, um sie zu professionalisieren<br />
und dadurch zu stärken. <br />
Anmerkungen<br />
1<br />
https://grundschulverband.de/unsere-themen/anforderungen-zukunftsfaehige-grundschule/<br />
2<br />
im Folgenden B&U<br />
3<br />
Da die Aufgabenbereiche der Berater:innen<br />
der Lernbereiche an den berufsbildenden<br />
Schulen für die Grundschulen nicht relevant<br />
sind, <strong>werden</strong> sie an dieser Stelle nicht näher<br />
erläutert.<br />
4<br />
Auf dieser Seite des Beratungs- und<br />
Unterstützungsportals können die jeweiligen<br />
Aufgaben und Zuständigkeiten der Fachberater:innen<br />
detailliert eingesehen <strong>werden</strong>.<br />
5<br />
Ein Regionales Beratungsteam setzt sich<br />
zusammen aus jeweils zwei SEB, zwei FBUQ,<br />
zwei BfE und zwei schulpsychologischen<br />
Dezernent:innen.<br />
Literaturangaben zum Artikel<br />
können Sie von unserer Website herunterladen:<br />
https://t1p.de/GSa167Lit<br />
GS aktuell 167 • September 2024<br />
33
Praxis: <strong>Lehrkraft</strong> <strong>sein</strong><br />
Stefan Kauder<br />
Professionelle Rahmengestaltung<br />
von Arbeitszeit<br />
Hamburger Arbeitszeitmodelle an Schulen<br />
Hamburg führte 2005 in den Schulen das sog. Lehrer:innenarbeitszeitmodell<br />
eingeführt. Im Jahr 2018 wurden verschiedene Arbeitszeitmodelle für andere<br />
Professionen in ein einheitliches Arbeitszeitmodell (Dienstzeitregelung) für pädagogisch<br />
therapeutisches Fachpersonal (PTF) zusammengeführt. PTFs sind<br />
zum Beispiel Erziehende, Sozialpädagog*innen, Logopäd:innen, und Ergotherapeut:innen.<br />
So gibt es jetzt in Hamburg zwei Arbeitszeitmodelle, eines für Lehrer:innen<br />
und eines für pädagogisch-therapeutisches Fachpersonal.<br />
Die Arbeitszeitmodelle geben einen<br />
Rahmen, der über die reine<br />
unterrichtliche Tätigkeit bzw. die<br />
„Arbeit am Kind“ hinausgeht. So sind<br />
zum Beispiel Aufsichtszeiten, Vor- und<br />
Nachbereitungszeiten, Funktionszeiten<br />
für Fach- oder Sammlungsleitung,<br />
Koordination usw., Fortbildungszeiten,<br />
Vertretungsstunden und Konferenzzeiten<br />
im Arbeitszeitmodell erfasst. Jedem<br />
Bereich wird ein wöchentlicher oder jährlicher<br />
Zeitfaktor zugewiesen.<br />
Welche Vorteile bietet das<br />
Arbeitszeitmodell?<br />
Das Modell hilft dabei, Arbeitszeit an<br />
Schulen fairer zu verteilen, Transparenz<br />
in den Kollegien zu erzeugen und Aufgabenbereiche,<br />
auch für Berufsanfänger:innen,<br />
zu definieren. Durch die<br />
jährlich 30 Stunden Fortbildungsverpflichtung<br />
dient es auch zur fachlichen<br />
Professionalisierung von Kollegien.<br />
Durch eine festgelegte gemeinsame<br />
Konferenzzeit wird Schul- und Unterrichtsentwicklung<br />
gefördert und als<br />
gemeinsame Aufgabe definiert.<br />
Jede Schule bekommt ihre gesamten<br />
Ressourcen in Wochenarbeitszeit (WaZ)<br />
zugewiesen. Da Hamburger Schulen<br />
sich selbstverantwortet Arbeitsschwerpunkte<br />
setzen, können die Wochenarbeitszeitstunden<br />
flexibel verteilt <strong>werden</strong>,<br />
zum Beispiel für Kulturprojekte<br />
oder Förderung und Forderung. Darüber<br />
entscheiden die Schulen eigenverantwortlich<br />
(Schulleitung, Kollegien,<br />
schulische Personalräte).<br />
Gibt es Nachteile?<br />
Ein Arbeitszeitmodell macht noch keine<br />
gute Schule aus. Es bedarf immer noch<br />
der professionellen positiven Haltung zu<br />
allen Kindern und der Ausgestaltung des<br />
schulischen Rahmens durch Kollegien<br />
und Schulleitung. Es gab auch einmal<br />
eine Hamburger Schulsenatorin, die das<br />
Lehrer:innenarbeitszeitmodell als „Erbsenzählmodell“<br />
bezeichnet hat. Mit dem<br />
Begriff wird deutlich, dass es sehr aufwendig<br />
ist, die wöchentlichen Aufgaben<br />
zu erfassen. Das hat auch Grenzen.<br />
Welches Fazit kann man nach<br />
fast 20 Jahren Hamburger<br />
Lehrer:innenarbeitszeitmodell<br />
ziehen?<br />
Auch durch ein Arbeitszeitmodell<br />
bleibt der Beruf der Lehrer:in herausfordernd,<br />
anstrengend und wunderbar.<br />
Die Gewerkschaften kritisieren, dass<br />
Aufgabenbereiche wie zum Beispiel die<br />
Digitalisierung<br />
nicht<br />
Stefan Kauder<br />
unterrichtet an der Grund- und Stadtteilschule<br />
Alter Teichweg in Hamburg.<br />
Er war 16 Jahre Schulleiter einer Hamburger<br />
Grundschule und fünf Jahre<br />
Leiter des Hamburger Schulversuches<br />
alles>>könner – notenfreie Schulen.<br />
genügend Berücksichtigung im Arbeitszeitmodell<br />
finden. Die Unterrichtsverpflichtung,<br />
gerade an Grundschulen,<br />
ist mit 28 Unterrichtsstunden hoch.<br />
Viele Kolleg:innen gehen in Teilzeit, um<br />
gesund zu bleiben.<br />
Gut ist, dass Kolleg:innen, die Aufgaben<br />
für das gesamte Kollegium übernehmen,<br />
Zeiten dafür bekommen. Zum Beispiel<br />
eine Stunde in der Woche für eine<br />
Deutschfachleitung. Eine Klassenleitung<br />
bekommt mehr Arbeitszeit zugewiesen,<br />
zum Beispiel drei Stunden in der Woche,<br />
als eine reine Fachlehrkraft.<br />
Vorteile bietet das Hamburger<br />
Arbeitszeitmodell eindeutig in der faireren<br />
Verteilung von Arbeitszeiten.<br />
Quellen:<br />
https://www.hamburg.de/politik-undverwaltung/behoerden/schulbehoerde/<br />
themen/informationen-fuer-lehrkraefte/<br />
lehrerarbeitszeitmodell-118822<br />
Weitere<br />
Informationen unter<br />
https://t1p.de/cwcnw<br />
34 GS aktuell 167 • September 2024
Aus der Praxis: Forschung XXXXX<br />
Patrick Peifer, Markus Peschel<br />
Veränderung der<br />
Sprach-Fach-Bewusstheit angehender<br />
Sachunterrichtslehrkräfte<br />
Der Sprache kommt im schulischen Fachunterricht – in diesem Beitrag wird der<br />
Sachunterricht fokussiert – eine wichtige Rolle zu (vgl. z. B. Gottwald 2016; Peschel<br />
2020; Franz et al. 2021). Bislang fokussieren Forschungen vorrangig den<br />
Einfluss der Sprache auf das Fach (vgl. z. B. Gadow 2016; Siegmund 2021) oder,<br />
viel seltener, den Einfluss des Faches auf die Sprache (vgl. z. B. Gottwald 2016).<br />
Fast immer liegt der Fokus der Untersuchungen dieser monodirektional untersuchten<br />
Einflüsse auf sprachlichen oder fachlichen Kenntnissen bei Schüler:innen<br />
(vgl. z. B. Gadow 2016); deutlich seltener <strong>werden</strong> Sprach-Fach-Beziehungen<br />
bei Lehrer*innen untersucht (vgl. z. B. Asen-Molz/Rank 2021; Grewe 2023).<br />
Wie sich die Sprach-Fach-<br />
Bewusstheit angehender<br />
Sachunterrichtslehrkräfte<br />
durch die Au<strong>sein</strong>andersetzung mit dem<br />
Thema „Schwimmen und Sinken“ verändert,<br />
ist Gegenstand eines Promotionsprojektes,<br />
das in diesem Beitrag näher<br />
beschrieben wird. Im Folgenden wird<br />
gezeigt, wie wichtig eine Sprach-Fach-<br />
Bewusstheit für Lehrer:innen ist.<br />
Sprache und<br />
Sachunterricht – Theorie<br />
Dass Sprache im bzw. für den Sachunterricht<br />
eine Rolle spielt, erscheint eine triviale<br />
Erkenntnis. „[S]chnell [wird] deutlich,<br />
dass Sprache ein fester Bestandteil<br />
des Unterrichts […] ist. Unterrichtsinhalte<br />
<strong>werden</strong> über die Sprache vermittelt<br />
und es findet immer ein sprachlicher<br />
Austausch zwischen Lehrendem<br />
und Lernenden statt“ (Archie/Rank/<br />
Franz 2017, 226). Wie aber konkretisiert<br />
sich das Verhältnis bzw. die Beziehung<br />
zwischen Sprache und fachlichen Inhalten<br />
im Sachunterricht?<br />
1. Einerseits wird Sprache als Lernmedium<br />
und somit als Mittel bzw.<br />
Werkzeug sachunterrichtlichen Lernens<br />
verstanden: „Sprache ist zunächst<br />
– im Aufbau und in der Verwendung<br />
von Begriffen oder beim sachgemäßen<br />
Argumentieren – ein wichtiges Mittel<br />
und Werkzeug sachunterrichtlichen<br />
Lernens. Als solches dient sie<br />
der Aneignung, der Verarbeitung, der<br />
Modellierung und Konzeptualisierung<br />
der Inhalte (durch Konstruktion und<br />
Repräsentation) sowie der darauf<br />
bezogenen Kommunikation, Reflexion<br />
und damit der Orientierung und Einordnung<br />
von Erfahrungen“ (GDSU<br />
2013, 11).<br />
2. Andererseits wird Sprache als Lerngegenstand<br />
beschrieben und eine enge<br />
Verknüpfung von Sachunterricht und<br />
Sprachbildung (verstanden als Oberbegriff<br />
für alle Formen von gezielter<br />
Sprachentwicklung; vgl. Morris-Lange/<br />
Wagner/Altinay 2016; Jostes 2017) konstatiert:<br />
„Sprachliche Ausdrucksformen<br />
im Sachunterricht knüpfen auch an die<br />
Erfahrungen und Vorstellungen und<br />
damit an die Alltagssprache der Kinder<br />
an. In der Au<strong>sein</strong>andersetzung mit den<br />
Sachen des Sachunterrichts müssen die<br />
Kinder lernen, Dinge, Erscheinungen und<br />
Zusammenhänge sachadäquat sprachlich<br />
darzustellen, um so – unterstützt von<br />
den Lehrerinnen und Lehrern – (auch<br />
individuelle) Wege von der Alltags- zur<br />
Bildungssprache zu finden. Damit fördern<br />
die einzelnen Perspektiven über die Alltagssprache<br />
hinweg die Entwicklung einer<br />
bestimmten (fach)sprachlichen Kultur.<br />
[…] Der Sachunterricht leistet so einen<br />
wesentlichen Beitrag zur sprachlichen<br />
Bildung von Schülerinnen und Schülern“<br />
(ebd., 11).<br />
Sprache und<br />
Sachunterricht – Empirie<br />
Rekurrierend auf diese theoretischen<br />
Annahmen bzw. Postulate (vgl. GDSU<br />
Patrick Peifer (links)<br />
ist wissenschaftliche Hilfskraft am Lehrstuhl<br />
für Didaktik des Sachunterrichts<br />
an der Universität des Saarlandes und<br />
unterstützt u. a. die Projekte „DiMaS“<br />
und „Sprachlichkeiten – Fachlichkeiten“.<br />
Sein Forschungsinteresse liegt in<br />
der Untersuchung der Veränderung der<br />
Sprach-Fach-Bewusstheit angehender<br />
Sachunterrichtslehrkräfte.<br />
Prof. Dr. Markus Peschel (rechts)<br />
ist Professor für Didaktik des Sachunterrichts<br />
an der Universität des<br />
Saarlandes, Fakultät NT. Seine<br />
Forschungsschwerpunkte liegen in<br />
den Bereichen Digitalisierung und<br />
Medien, (offenes) Experimentieren<br />
sowie naturwissenschaftliche<br />
Grundbildung.<br />
2013) wird in vielen weiteren Publikationen<br />
auf die Notwendigkeit der<br />
Betrachtung des Zusammenhangs<br />
von Sprache und fachlichen Inhalten<br />
im Sachunterricht hingewiesen (vgl.<br />
z. B. Rank/Wildemann 2015 und 2022;<br />
Rank/Wildemann/Hartinger 2016;<br />
Archie/Rank/Franz 2017) und dadurch<br />
„die Relevanz der Sprache für das sachunterrichtliche<br />
Lernen zunehmend ins<br />
Zentrum von Diskussionen“ (Grewe<br />
2023, 36) gerückt (vgl. z. B. Franz et al.<br />
2021) – auch z. T. durch „eine systematische<br />
Forschung zum Zusammenhang<br />
der sprachlichen und fachlichen<br />
Inhalte“ (Grewe 2023, 36). Im Folgenden<br />
<strong>werden</strong> (beispielhaft) empirische<br />
GS aktuell 167 • September 2024<br />
35
Aus Praxis: der XXXXX Forschung<br />
Begriff<br />
Alltagssprache<br />
Bildungssprache<br />
Klärung<br />
Alltagssprache wird v. a. „in Diskursen der alltäglichen Lebenspraxis gesprochen und [kann] zur unproblematischen<br />
Verständigung bei geteiltem Hintergrundwissen jederzeit verwendet <strong>werden</strong>“ (Hoffmann 2019, 1). Zu den konstitutiven<br />
Merkmalen der Alltagssprache zählen v. a. „Informalität und (raum-)zeitliche Nähe der Kommunikationssituation,<br />
Spontaneität und Routinisierung der Interaktion sowie die grundsätzliche Gleichberechtigung der GesprächsteilnehmerInnen“<br />
(Elspaß 2010, 419).<br />
„Bildungssprache ist das Medium, um abstrakte und komplexe Inhalte sprachlich aufzunehmen und auszudrücken.<br />
Dies muss unabhängig von einer konkreten Interaktionssituation geleistet <strong>werden</strong> und in den unterschiedlichsten<br />
Situationen, bei sehr verschiedenen Anforderungen“ (Lange & Gogolin 2010, 9). Der Bildungssprache, die sich durch<br />
Dekontextualisierung, Explizitheit, Komplexität und argumentative Klarheit auszeichnet, kommt eine wissensvermittelnde<br />
Funktion zu (vgl. Ortner 2009).<br />
Fachsprache<br />
Die Fachsprache umfasst „die Gesamtheit aller sprachlichen Mittel, die in einem fachlich begrenzbaren Kommunikationsbereich<br />
verwendet <strong>werden</strong>, um die Verständigung zwischen den in diesem Bereich tätigen Menschen zu<br />
gewährleisten“ (Hoffmann 1976, 170). Charakteristisch für die Fachsprache ist u. a. „die Tendenz zur Explizitheit,<br />
Formalisierung und mehr oder weniger starken Standardisierung bzw. Normierung des Ausdrucks“ (Hahn 1980, 390).<br />
Tabelle 1: Begriffsklärung und -differenzierung – Alltags-, Bildungs- und Fachsprache<br />
Forschungen zum Zusammenhang von<br />
Sprache und fachlichen Inhalten im<br />
naturwissenschaftlich orientierten Sachunterricht<br />
betrachtet, da das in diesem<br />
Beitrag zu skizzierende Promotionsprojekt<br />
(s. u.) in der naturwissenschaftlichen<br />
Perspektive des Sachunterrichts<br />
angesiedelt ist (vgl. GDSU 2013).<br />
In den wenigen empirischen Forschungen<br />
zum Zusammenhang von<br />
Sprache und naturwissenschaftlich<br />
orientiertem Sachunterricht <strong>werden</strong><br />
Schulbücher, z. B. unter bildsprachlichem<br />
Fokus, untersucht (vgl. Neuböck-<br />
Hubinger/Peschel/Andersen 2021; Neuböck-Hubinger/Peschel<br />
2023 und 2024)<br />
oder es stehen Schüler:innen im Fokus,<br />
d. h., es <strong>werden</strong> v. a. Schüler:innen<br />
als Proband:innen bzw. deren sprachliches<br />
und fachliches Lernen beforscht<br />
(vgl. Gadow 2016; Gottwald 2016; Siegmund<br />
2021). Über welche Kompetenzen<br />
Lehrer:innen verfügen müssen, um<br />
das Lernen der Schüler*innen sprachlich<br />
und fachlich angemessen begleiten und<br />
unterstützen zu können, stellt entsprechend<br />
ein Desiderat in der sachunterrichtsdidaktischen<br />
Forschung dar (vgl.<br />
z. B. Pech 2019; Peschel 2020; Grewe<br />
2023). Häufig handelt es sich bei empirischen<br />
Forschungen zur Untersuchungsgruppe<br />
Schüler*innen um Interventionsstudien,<br />
in denen sprachliche und fachliche<br />
Kenntnisse getrennt voneinander<br />
bzw. parallel zueinander erhoben bzw.<br />
rekonstruiert <strong>werden</strong> (vgl. Gottwald<br />
2016; Siegmund 2021).<br />
Ferner erfolgt in empirischen Forschungen<br />
zum Zusammenhang von<br />
Sprache und naturwissenschaftlich<br />
orientiertem Sachunterricht meist eine<br />
Fokussierung auf sprachliche Aspekte<br />
und „Sprache [wird] […] aufgegriffen<br />
im Zusammenhang mit der Entwicklung<br />
von Fach- bzw. Bildungssprache“<br />
(Pech 2019, 112). Aber: Fachsprache<br />
bzw. „[f]achliche Sprache, die auf ‚richtige<br />
Bezeichnungen‘ reduziert wird,<br />
verhindert Hinterfragen und behindert<br />
Zugänge zum Phänomen – wobei schulisch<br />
richtige Fachsprache nicht einmal<br />
zwingend fachwissenschaftlich angemessene<br />
Sprache ist“ (ebd., 117) bzw.<br />
<strong>sein</strong> muss. „Begriffe müssen folglich im<br />
Fach neu semantisiert <strong>werden</strong>“ (Leisen<br />
2011, 11) und „[es] benötigt […] einen<br />
Wechsel zwischen Alltags- und Fachsprache<br />
mit Aspekten der Bildungssprache<br />
als Mittler“ (Peschel 2020, 129; vgl.<br />
auch Pech 2019; Leisen 2022).<br />
Hinzu kommt, dass verschiedene Begriffe<br />
(u. a.) in der Alltags-, Bildungsund<br />
Fachsprache unterschiedliche<br />
sprachliche sowie fachliche Bedeutungen<br />
aufweisen. Dazu kommt im Sachunterricht,<br />
dass „[j]ede Perspektive des<br />
Sachunterrichts […] eigene Fachbegriffe<br />
[hat], die abstrakte Konzepte verdeutlichen.<br />
Diese Begriffe sind oft alltagssprachlich<br />
bekannt, haben aber<br />
fachsprachlich eine andere Bedeutung“<br />
(Rank/Wildemann 2022, 499; siehe Beispiel<br />
„schwimmen“ im Kasten S. 37).<br />
Die beschriebenen Komplexitäten<br />
„erforder[n] es, Begriffe nicht nur fachlich<br />
und eindeutig zu benutzen, sondern<br />
zudem den Transfer von alltagssprachlichem<br />
Verständnis in Fachsprache und<br />
den Transfer von einem Fachverständnis<br />
in Alltagssprache zu berücksichtigen.<br />
Damit können Fachverständnis sowie<br />
Fachsprache mit alltagssprachlichen<br />
Begriffen und Verständnissen bzw. Beschreibungen<br />
verknüpft <strong>werden</strong>“ (Peschel<br />
2020, 129).<br />
„Nahezu völlig unerforscht in diesem<br />
Bereich [gemeint ist der Umgang<br />
mit Sprache im Sachunterricht; Anm.<br />
d. Verf.] ist nach wie vor die Frage, welche<br />
Kompetenzen die Lehrkräfte besitzen<br />
müssen, um gleichzeitig den Erfordernissen<br />
der sprachlichen und sachunterrichtlichen<br />
Förderung gerecht<br />
<strong>werden</strong> zu können und wie diese in geeigneter<br />
Art und Weise aufgebaut <strong>werden</strong><br />
können“ (Rank/Wildemann/Hartinger<br />
2016, 5; Herv. d. Verf.; vgl. Grewe<br />
2023). „Die Anforderung stellt sich<br />
an die fachliche Ausbildung bzw. Qualifikation<br />
von Lehrkräften bzw. von Lehrer*innen“<br />
(Peschel 2020, 128).<br />
Sprache und Sachunterricht –<br />
Promotionsprojekt<br />
Diesem Desiderat – die sprachlichen<br />
und fachlichen Qualifizierungen von<br />
(angehenden) Lehrkräften zu untersuchen<br />
– widmet sich ein aktuelles Projekt<br />
an der Universität des Saarlandes<br />
(Lehrstuhl für Didaktik des Sachunterrichts),<br />
bei dem der Forschungsfrage<br />
nachgegangen wird: Wie verändert<br />
sich die Sprach-Fach-Bewusstheit<br />
angehender Sachunterrichtslehrkräfte<br />
durch die Au<strong>sein</strong>andersetzung<br />
mit dem Thema „Schwimmen und<br />
36<br />
GS aktuell 167 • September 2024
Aus der Praxis: Forschung XXXXX<br />
Sinken“? Das Projekt ist als qualitative<br />
Interventionsstudie im Pre-Post-Follow-up-Design<br />
ohne Kontrollgruppe<br />
angelegt und richtet den Fokus darauf,<br />
herauszufinden, wie sich die Sprach-<br />
Fach-Bewusstheit angehender Sachunterrichtslehrkräfte<br />
bei der Au<strong>sein</strong>andersetzung<br />
mit sprachlichen<br />
und fachlichen Aspekten des Themas<br />
„Schwimmen und Sinken“ verändert.<br />
Das Thema „Schwimmen und Sinken“<br />
wurde ausgewählt, da es „ein häufig<br />
eingesetztes Thema im Sachunterricht<br />
(Möller 2005) und gleichzeitig ein in<br />
der Didaktik des Sachunterrichts viel<br />
erforschtes (Furtner 2016), aber hinsichtlich<br />
<strong>sein</strong>er Eignung für den Grundschulunterricht<br />
auch viel diskutiertes<br />
Thema (Köhler 2006)“ (Fischer/Peschel<br />
2022, 53) ist. Bestehende Forschungen<br />
zu „Schwimmen und Sinken“ unter<br />
fachlichen Gesichtspunkten (vgl. Stern<br />
et al. 2002; Furtner 2016) sollen im<br />
Projekt um das Zusammenspiel von<br />
sprachlichen und fachlichen Aspekten<br />
erweitert <strong>werden</strong> (s. o.; vgl. Andersen<br />
et al. 2024; vgl. dazu auch Peschel 2020;<br />
Peschel/Neuböck-Hubinger/Andersen<br />
2021; Peifer et al. 2023).<br />
Das im Projekt fokussierte Konstrukt<br />
der Sprach-Fach-Bewusstheit generiert<br />
sich aus: (1) der Sprachbewusstheit<br />
(language awareness), verstanden<br />
als „sprachreflexive Tätigkeit[ ]“ (Wildemann<br />
2013, 321). Diese „umfasst<br />
Aufmerksamkeit eines Individuums,<br />
Sprachliches und metasprachliche Fähigkeiten“<br />
(Oomen-Welke 2006, 453) in<br />
Form von Reflexion(en) bzw. „Reflektieren<br />
von und/oder Sprechen über Sprache“<br />
(Hinneberg 2005, 68). In Verbindung<br />
mit der Sprachbewusstheit wird<br />
(2) das Konstrukt der Fachbewusstheit<br />
(content awareness) verwendet, „that<br />
goes beyond […] content knowledge“<br />
(He/Lin 2020, 13) und das verstehbar<br />
ist als Richten der Aufmerksamkeit<br />
auf Fachliches bzw. Reflexion(en)<br />
von Fachlichem bzw. fachlicher Aspekte<br />
(vgl. z. B. Coyle/Meyer 2021; Fritz/Sorger<br />
2023). Sprach-Fach-Bewusstheit basiert<br />
auf beiden Konstrukten und entwickelt<br />
entsprechend eine doppelte Bewusstheit,<br />
nämlich „die Fähigkeit, neben<br />
den fachlichen Inhalten die Form ihrer<br />
Versprachlichung im Auge zu behalten“<br />
(Bien-Miller/Wildemann 2023, 8), um<br />
sowohl sprachlich als auch fachlich korrekt<br />
und angemessen handeln zu können<br />
Beispiel: „schwimmen“<br />
Beispielhaft deutlich wird dies anhand des Vollverbs<br />
„schwimmen“, einem „alltagssprachliche[n]<br />
Begriff, der aber auch in der Fachsprache verwendet<br />
wird – dort allerdings mit klarer fachlicher<br />
Determination und weniger undifferenziert<br />
gebraucht“ (Peschel 2020, 130).<br />
· Alltagssprachlich beschreibt „schwimmen“<br />
meist die (sportliche) Tätigkeit der Fortbewegung<br />
mit Armen und Beinen („Ich gehe schwimmen“);<br />
oder es wird (unpräzise!) das „Schwimmen“<br />
eines Körpers an der Wasseroberfläche<br />
beschrieben, wenn ein „Gegenstand bei gleicher<br />
Größe (Volumen) leichter ist als die entsprechende<br />
Menge (Volumen) Wassers“ (ebd., 130).<br />
· Fachsprachlich bzw. fachlich entscheidet<br />
„[ü]ber ‚schwimmen‘ […] die Wechselwirkung<br />
bzw. Differenz der Dichte eines Körpers […] und<br />
der Dichte des umgebenden Fluids“ (Andersen<br />
et al. 2024, 63): „Im Allgemeinen schwimmt ein<br />
Körper […], wenn <strong>sein</strong>e Dichte geringer ist als<br />
die des Fluids“ (Giancoli 2006, 462; vgl. Köhler<br />
2006; Wodzinski 2006; Konzept der Dichte-Wechselwirkung).<br />
Rekurriert man auf das Konzept<br />
der Auftriebskraft, lässt sich „schwimmen“ bei<br />
einem völlig in ein Fluid eingetauchten Körper<br />
fachsprachlich bzw. fachlich wie folgt definieren:<br />
Ist die Gewichtskraft (FG) eines Körpers geringer<br />
als die Auftriebskraft (FA) des (ihn umgebenden)<br />
Fluids, steigt der Körper an die Fluidoberfläche,<br />
bis ein Teil des Körpers aus der Oberfläche heraustritt;<br />
er „schwimmt“ folglich. Ist die Gewichtskraft<br />
(FG) eines Körpers größer als die Auftriebskraft<br />
(FA) des (ihn umgebenden) Fluids, sinkt er<br />
(vgl. z. B. Lüders/Pohl 2009).<br />
Komplexer <strong>werden</strong> sprachliche und fachliche<br />
Unterschiede in den Bedeutungen (Semantiken)<br />
des Vollverbs „schwimmen“, wenn<br />
man die Richtigkeit bzw. Präzision von Präpositionen<br />
(„schwimmt auf/im/über dem Wasser“,<br />
„schwimmt an der Wasseroberfläche“ …) miteinbezieht.<br />
So ist bspw. die Formulierung „auf dem<br />
Wasser“ zu unpräzise, da jeder Körper (leicht) in<br />
das Wasser eingetaucht ist; sonst gäbe es keine<br />
Wechselwirkungen, die zu dem Zustand „der Körper<br />
schwimmt“ führen. Präziser wäre es also, z. B.<br />
von einem Wasserball zu sprechen, der leicht eingetaucht<br />
ein wenig im Wasser „schwimmt“.<br />
Weitere Schwierigkeiten ergeben sich bei<br />
einem sprachlich-fachlichen bzw. begrifflichen<br />
Transfer auf weitere Gegebenheiten des<br />
„Schwimmens“ – bspw. von der „Wasserwelt“<br />
auf die „Luftwelt“ (z. B. Heißluftballon). So<br />
„schwimmt“ etwas im Wasser oder an der Wasseroberfläche<br />
(leicht im Wasser eingetaucht). Ein<br />
U-Boot „schwimmt“ aber nicht, obwohl es sich im<br />
Wasser, also komplett unterhalb der Wasseroberfläche,<br />
befindet. Alltagssprachlich „schwimmt“<br />
aber ein Fisch neben einem U-Boot, während<br />
das U-Boot fährt. Wenn es taucht, sinkt es, wenn<br />
es steigt, …? Es ist zu merken, dass hier unsere<br />
(Alltags-)Sprache häufig versagt (vgl. dazu u. a.<br />
Peschel 2020; Peifer et al. 2023; Andersen et al.<br />
2024).<br />
(vgl. ebd.; Lütke/Rödel 2023). Es geht<br />
um den wechselseitigen Zusammenhang<br />
sprachlicher und fachlicher Aspekte<br />
bzw. darum, Fachinhalte in korrekter<br />
Sprache (z. B. Wortschatz, grammatische<br />
Strukturen und Bedeutung) auszudrücken<br />
und gleichzeitig Sprache korrekt<br />
in Bezug auf Fachinhalte (z. B. fachliche<br />
Richtigkeit und Präzision) zu verwenden<br />
(vgl. Bien-Miller/Wildemann 2023;<br />
vgl. dazu auch Peschel 2020; Lütke/Rödel<br />
2023).<br />
Das Konstrukt der Sprach-Fach-Bewusstheit<br />
wird bei angehenden Sachunterrichtslehrkräften<br />
über (kommunikative)<br />
Äußerungen in Gruppendiskussionen,<br />
in denen die Frage „Schwimmt<br />
ein Schiff?“ begründet beantwortet <strong>werden</strong><br />
soll, rekonstruiert. Auch wenn die<br />
Frage auf den ersten Blick sicherlich einfach<br />
(und zumeist mit Ja oder Nein) beantwortet<br />
<strong>werden</strong> kann, bedarf sie intensiver<br />
und diskursiver Au<strong>sein</strong>andersetzung<br />
mit den (siehe Infokasten) sprachlichen<br />
und fachlichen Aspekten (z. B.<br />
Was wird auf sprachlicher und fachlicher<br />
Ebene mit dem Vollverb schwimmen<br />
transportiert? Welche alltagssprachlichen<br />
Assoziationen gehen damit<br />
einher und wie sind diese fachlich haltbar/übertragbar?<br />
Geht ein Schiff nicht<br />
eher nicht unter? Was ist überhaupt ein<br />
Schiff?).<br />
Die in den Gruppendiskussionen verbalisierten<br />
vielfältigen und z. T. parallel<br />
ablaufenden (kommunikativen) Äußerungen<br />
<strong>werden</strong> audio- (mittels Tablets)<br />
und videografisch (mittels Kameras)<br />
erfasst, um „vertiefte Einblicke in das<br />
Interaktionsgeschehen“ (Beeli-Zimmermann/Wannack/Staub<br />
2020, 2) zu erhalten<br />
und „spezifische Abspiel- und Bearbeitungsmöglichkeiten<br />
sowie eine längerfristige<br />
Verfügbarkeit des Ausgangsmaterials“<br />
(ebd., 2) zu ermöglichen (vgl.<br />
Dinkelaker/Herrle 2009; Jewitt 2012).<br />
Die audiovisuellen Daten <strong>werden</strong> in Anlehnung<br />
an Dresing und Pehl (2018) in<br />
Transkripte überführt und mittels qualitativer<br />
Inhaltsanalyse (QIA; vgl. Kuckartz<br />
2018) ausgewertet. Der Fokus der<br />
Auswertung liegt auf sprachlichen und<br />
fachlichen Aspekten sowie deren Zusammenspiel<br />
in den (kommunikativen)<br />
Äußerungen (Sprach-Fach-Bewusstheit)<br />
und deren Entwicklung durch die Intervention<br />
(s. u.).<br />
Zwischen der Pre- und der Post-Erhebung<br />
findet eine Intervention, d. h.<br />
GS aktuell 167 • September 2024<br />
37
Aus Praxis: der XXXXX Forschung<br />
allgemein eine „außengesteuerte, zielorientierte<br />
und systematische Beeinflussung<br />
von Personen- und/oder Systemmerkmalen“<br />
(Hager/Hasselhorn 2000,<br />
41), statt, innerhalb derer „durch systematische<br />
Übungen gezielt Fertigkeiten<br />
und Fähigkeiten [hier: die Sprach-Fach-<br />
Bewusstheit; Anm. d. Verf.] aufgebaut<br />
bzw. optimiert <strong>werden</strong> sollen“ (Dörrenbacher-Ulrich/Zetzmann/Perels<br />
2022,<br />
321). Die Intervention erfolgt im Rahmen<br />
eines universitären Wahlpflichtseminars<br />
in der Didaktik des Sachunterrichts.<br />
Inhalte der Intervention<br />
Die Inhalte innerhalb der Intervention,<br />
die auf die Veränderung der Sprach-<br />
Fach-Bewusstheit abzielen, klären<br />
zunächst begriffliche und theoretische<br />
Grundlagen des Zusammenhangs von<br />
Sprache und fachlichen Inhalten im<br />
Sachunterricht, um den angehenden<br />
Sachunterrichtslehrkräften die Notwendigkeit<br />
dieses Zusammenhangs aufzuzeigen<br />
und transparent zu machen<br />
(vgl. Rank/Wildemann 2015 und 2022;<br />
Rank/Wildemann/Hartinger 2016;<br />
Archie/Rank/Franz 2017; Schomaker/<br />
Gläser 2017). Auf diesen Input folgt ein<br />
Praxisblock, in dem sich die angehenden<br />
Sachunterrichtslehrkräfte mit „Schwimmen<br />
und Sinken“ unter sprachlichem<br />
und fachlichem Fokus au<strong>sein</strong>andersetzen.<br />
Dazu dienen u. a. Unterrichtsvorlagen,<br />
in denen die Frage „Schwimmt<br />
ein Schiff?“ thematisch-didaktisch verortet<br />
ist (vgl. Jonen/Möller/Engelen<br />
2002; Möller 2005). Zunächst experimentieren<br />
(vgl. für Begriff, Definition<br />
und Methode des Experimentierens<br />
Peschel 2016; Kihm/Diener/Peschel<br />
2018) die angehenden Sachunterrichtslehrkräfte<br />
zu „Schwimmen und Sinken“,<br />
um in ihren Beobachtungen und<br />
Erklärungsansätzen die schwierige<br />
sprachliche und fachliche Au<strong>sein</strong>andersetzung<br />
zu erkennen (vgl. Kihm/Diener/<br />
Peschel 2018; Weber et al. 2021); zudem<br />
beschreiten die angehenden Sachunterrichtslehrkräfte<br />
durch das Experimentieren<br />
meist die gleichen Lernwege wie<br />
Grundschüler:innen (vgl. z. B. Grebe-<br />
Ellis/Müller 2019; Barkhau et al. 2021).<br />
Anschließend an das Experimentieren<br />
<strong>werden</strong> Konzepte und Schüler:innenvorstellungen<br />
zum Thema „Schwimmen<br />
und Sinken“ aus der Literatur diskutiert<br />
(vgl. z. B. Furtner 2016; Wodzinski/Wilhelm<br />
2018) und mit Blick auf<br />
die eigenen Experimentiererfahrungen<br />
reflektiert. Dabei stehen Konzepte und<br />
Vorstellungen der angehenden Sachunterrichtslehrkräfte<br />
im Fokus, bevor<br />
die fachlichen Erklärungsansätze (Konzept<br />
der Dichte-Wechselwirkung, Konzept<br />
der Auftriebskraft, s. o.; vgl. Möller/Wyssen<br />
2017; Fischer/Peschel 2022)<br />
samt deren Chancen und Grenzen thematisiert<br />
<strong>werden</strong>. Sprachliche Aspekte<br />
bzw. Komplexitäten <strong>werden</strong> an die fachlichen<br />
Konzepte bzw. Erklärungsansätze<br />
angeschlossen bzw. problematisiert<br />
(s. o.; vgl. Peschel 2020; Peschel/Neuböck-Hubinger/Andersen<br />
2021; Peifer<br />
et al. 2023; Andersen et al. 2024), bevor<br />
sich spezifisch dem Begriff „Schiff “<br />
gewidmet wird (Definition „Schiff “<br />
über spezifische differenzierende Merkmale:<br />
schwimmfähiger Gegenstand,<br />
Hohlkörper, nicht unbedeutende Größe,<br />
Fortbewegung im Wasser, Tragen von<br />
Personen oder Sachen; vgl. z. B. Rabe<br />
2000; Krause 2012; Ramming 2017).<br />
Erste Einblicke in die Pre-Erhebung<br />
zeigen, dass die angehenden Sachunterrichtslehrkräfte<br />
über ein eher geringes<br />
Maß an Sprach-Fach-Bewusstheit verfügen.<br />
Vor allem sprachliche Aspekte<br />
<strong>werden</strong> bei der Au<strong>sein</strong>andersetzung mit<br />
der Frage „Schwimmt ein Schiff?“ diskutiert<br />
bzw. reflektiert; häufig <strong>werden</strong> die<br />
Eignung und die Präzision des Vollverbs<br />
„schwimmen“ diskutiert:<br />
● Ist das Verb „schwimmen“ geeignet?<br />
Oder treibt, schwebt, fährt etc. ein<br />
Schiff nicht eher?<br />
● Geschieht „schwimmen“ eher aktiv,<br />
z. B. durch einen Motor, oder eher<br />
passiv, z. B. durch einen äußeren, natürlichen<br />
Antrieb (wie z. B. Strömung,<br />
Wind)?<br />
● Lässt sich das Verb „schwimmen“<br />
auf weitere Gegebenheiten, v. a. auf die<br />
„Wasserwelt“ (z. B.: „Schwimmt“ ein<br />
U-Boot im Wasser?) oder auf die „Luftwelt“<br />
(z. B. „Schwimmt“ ein Heißluftballon<br />
in der Luft?), übertragen?<br />
Seltener <strong>werden</strong> fachliche Aspekte bei<br />
der Au<strong>sein</strong>andersetzung mit der Frage<br />
„Schwimmt ein Schiff?“ diskutiert<br />
bzw. reflektiert. Teilweise <strong>werden</strong> fachliche<br />
Faktoren wie Form, Material oder<br />
Luft (im Schiffsrumpf) in Bezug auf das<br />
„Schwimm“-Verhalten eines Schiffes diskutiert.<br />
Werden fachliche Konzepte thematisiert,<br />
so geschieht dies meist nur<br />
oberflächlich unter Rückgriff auf Begriffe<br />
wie „Dichte“, „Auftriebskraft“ und<br />
„Gewichtskraft“, die – so die erste Auswertung<br />
– als antrainierte „Sprachhülsen“<br />
(Aufschnaiter/Aufschnaiter 2001,<br />
414) verwendet <strong>werden</strong>, „ohne sie dabei<br />
mit sinnhafter (konzeptueller) Bedeutung<br />
füllen zu können“ (ebd., 414). Dies<br />
zeigen Rückfragen nach der Bedeutung<br />
der Begriffe durch die Gruppenmitglieder<br />
untereinander bzw. innerhalb der<br />
Gruppen, die in den meisten Fällen unbeantwortet<br />
bleiben.<br />
Erwartet wird, dass die angehenden<br />
Sachunterrichtslehrkräfte sich bei der<br />
Post-Erhebung direkt im Anschluss<br />
an die Intervention (mit den o. g. skizzierten<br />
Inhalten) Sprach-Fach-bewusster,<br />
d. h. reflexiver in Hinblick auf o. g.<br />
sprachliche und fachliche Aspekte sowie<br />
deren wechselseitigen Zusammenhang,<br />
mit der Frage „Schwimmt ein Schiff?“<br />
au<strong>sein</strong>andersetzen.<br />
Fazit<br />
Das in diesem Beitrag skizzierte<br />
Promotionsprojekt unterstützt bisherige<br />
Forschungen, indem (1) der wechselseitige<br />
Zusammenhang zwischen Sprache<br />
und fachlichen Inhalten im Sachunterricht<br />
(2) bei angehenden Sachunterrichtslehrkräften<br />
untersucht wird.<br />
Damit erweitert das Projekt nicht nur<br />
bisherige sachunterrichtsdidaktische Forschungen<br />
– v. a. zum Thema „Schwimmen<br />
und Sinken“ – um das wechselseitige<br />
Zusammenspiel von sprachlichen<br />
und fachlichen Aspekten, sondern leistet<br />
auch einen wichtigen Beitrag zur Lehrer:innenbildung,<br />
da durch die Intervention<br />
eine Möglichkeit der sprachlichen<br />
und fachlichen Qualifizierungen<br />
von (angehenden) Lehrkräften aufgezeigt<br />
wird, um „gleichzeitig den Erfordernissen<br />
der sprachlichen und sachunterrichtlichen<br />
Förderung gerecht <strong>werden</strong><br />
zu können“ (Rank/Wildemann/Hartinger<br />
2016, 5). Nicht zuletzt <strong>werden</strong><br />
in diesem Beitrag Anregungen (zum<br />
Weiterdenken) gegeben, wie das Thema<br />
„Schwimmen und Sinken“ im Sachunterricht<br />
Sprach-Fach-bewusster behandelt<br />
<strong>werden</strong> kann.<br />
Literaturangaben zum Artikel<br />
können Sie von unserer Website herunterladen:<br />
https://t1p.de/GSa167Lit<br />
38<br />
GS aktuell 167 • September 2024
Praxis: Rundschau XXXXX<br />
Rundschau<br />
Aus dem Vorstand<br />
Ehrenmitgliedschaft für Maresi Lassek<br />
Für ihre besonderen Verdienste um<br />
den Grundschulverband auf Landes-<br />
und Bundesebene hat die<br />
Delegiertenversammlung am 19. April<br />
2024 Maresi Lassek als engagierte Pädagogin<br />
und langjährige Vorsitzende des<br />
Grundschulverbandes gewürdigt und ihr<br />
die Ehrenmitgliedschaft im Grundschulverband<br />
verliehen. Die kurze Beschreibung<br />
des besonderen Verdienstes auf der<br />
Ehrenurkunde lässt nur erahnen, was das<br />
Wirken von Maresi Lassek für den Verband<br />
auszeichnet und welch großartige<br />
Leistungen sie für die Grundschule und<br />
ihre Kinder erbracht hat. Auch Maresi<br />
Lassek möchten wir an dieser Stelle einen<br />
persönlichen Dank aussprechen.<br />
Liebe Maresi,<br />
wie sehr hatten wir uns auf diesen<br />
Abend im April gefreut, denn es sollte<br />
ein weiterer besonderer Tag für dich<br />
<strong>werden</strong>. Zu einer Ehrung gehört vor<br />
allem auch ein Rückblick – um all die<br />
Facetten deines Wirkens aufzugreifen,<br />
würden viele Stationen zu benennen<br />
<strong>sein</strong>. So liegt noch nicht lange deine<br />
Ehrung mit dem Bundesverdienstkreuz<br />
zurück, mit der du u. a. auch für deine<br />
bewundernswerte Lebensleistung und<br />
langjährigen Verdienste für die Grundschule<br />
und ihre Kinder in einem würdevollen<br />
Festakt eine hohe Anerkennung<br />
und Würdigung durch den Bundespräsidenten<br />
Frank-Walter Steinmeier<br />
erfahren hast.<br />
Schaut man länger zurück, hat dich<br />
der Grundschulverband seit dem Jahr<br />
1989, in dem du zum ersten Mal an<br />
einem Bundesgrundschulkongress teilgenommen<br />
hast, in deiner beruflichen<br />
Arbeit begleitet. Als Konrektorin und<br />
später als Leiterin einer Bremer Schule<br />
in prekärer Lage, die bereits 1994 den<br />
Schulanfang mit jahrgangsübergreifenden<br />
Lerngruppen verändert hat, gab<br />
dir der Grundschulverband mit <strong>sein</strong>en<br />
Veröffentlichungen und Positionierungen<br />
Rückhalt bei schulinternen und -externen<br />
Gesprächen und Diskussionen.<br />
1996 wurdest du von Rudolf Schmitt<br />
davon überzeugt, Aufgaben im Bremer<br />
Landesgruppenvorstand zu übernehmen<br />
und aktiv mitzugestalten. Von da<br />
an konntest du als Delegierte<br />
an den Delegiertenversammlungen<br />
teilnehmen und von<br />
dem bundesweiten Austausch<br />
profitieren.<br />
2004 wurdest du als stellvertretende<br />
Vorsitzende in<br />
den Bundesvorstand gewählt<br />
und schließlich 2010 als Vorsitzende.<br />
Wie du am Abend<br />
der Verleihung deiner Ehrenmitgliedschaft<br />
gesagt hast, „war dieser Schritt,<br />
die Verantwortung als Vorsitzende zu<br />
übernehmen, eine schwierige persönliche<br />
Entscheidung. Einmal wegen der<br />
zeitlichen Investition, zum anderen wegen<br />
der Herausforderungen durch das<br />
verbandsinterne Geschehen und dessen<br />
Vertretung des Grundschulverbands<br />
nach außen“. Wie sehr haben wir diese<br />
verantwortungsvolle Haltung an dir<br />
schätzen gelernt, wenn du klug argumentierend,<br />
empathisch zugewandt und<br />
äußerst charmant auch in Kontroversen<br />
agierend in den mehr als zehn Jahren<br />
deines Engagements als Vorsitzende den<br />
Verband als Fachverband für die Grundschule<br />
nach innen, vor allem aber auch<br />
nach außen würdevoll vertreten und<br />
im Zusammenwirken von Praxis, Wissenschaft<br />
und Bildungspolitik präsentiert<br />
hast. Viele Veröffentlichungen wie<br />
z. B. die Reihe der Bände zur Reform der<br />
Grundschule, die Hefte der Zeitschrift<br />
Grundschule aktuell, Standpunkte und<br />
Pressemitteilungen zeigen deine Haltung.<br />
Immer ist es dir besonders wichtig,<br />
für das Recht der Kinder auf allseitige<br />
Bildung und Stärkung ihrer Persönlichkeit<br />
einzutreten, für eine Kommunikation<br />
auf Augenhöhe zu sorgen und<br />
ein Klima des gegenseitigen Respekts<br />
mit allen an Bildung Beteiligten einzulösen.<br />
Wir sind deshalb sehr dankbar,<br />
dass du im Redaktionsteam von Grundschule<br />
aktuell deine große Expertise einbringst,<br />
im Beirat des Projektes Eine<br />
Welt aktiv mitarbeitest, den Standpunkt<br />
zu BNE mit auf den Weg bringst und als<br />
Herausgeberin des 2025 erscheinenden<br />
Bandes zum Ganztagsanspruch wirken<br />
wirst. Wie sehr schätzen wir auch, dass<br />
wir dich jederzeit um Rat bitten dürfen.<br />
Danke auch dafür, liebe Maresi!<br />
Mit Blick auf den Bundesgrundschulkongress<br />
anlässlich<br />
des 100-jährigen Jubiläums<br />
der Grundschule und<br />
des 50-jährigen Bestehens<br />
des Grundschulverbands mit<br />
der Festveranstaltung in der<br />
Paulskirche zu Frankfurt,<br />
der für dich ein Höhepunkt<br />
auf deinem Weg im Grundschulverband<br />
war, hast du uns in deiner<br />
Dankesrede mit auf den Weg gegeben,<br />
was dich in besonderer Weise auszeichnet:<br />
„Viele Begegnungen waren von Bedeutung<br />
wie das Zusammentreffen mit<br />
Gleichgesinnten, wenn es um das pädagogische<br />
Verständnis von Grundschule<br />
und Entwicklungen in der Grundschule<br />
ging, die Begegnungen, die mich in fachlicher<br />
Hinsicht und in der Zusammenarbeit<br />
für den Grundschulverband vorangebracht<br />
haben, und der Austausch,<br />
aber auch kontroverse Diskussionen, die<br />
Richtungen geklärt haben. Authentische<br />
und persönliche Zusammentreffen belohnten<br />
immer wieder den ehrenamtlichen<br />
Einsatz. Dafür bin ich den vielen<br />
Wegbegleiterinnen und Wegbegleitern,<br />
die mir ihr Vertrauen geschenkt und<br />
ihre Unterstützung gegeben haben, sehr<br />
dankbar. Dem Grundschulverband und<br />
den auf unterschiedlichen Ebenen engagierten<br />
Aktiven wünsche ich viel Erfolg.<br />
Das Mitdenken, Mitgestalten und<br />
Kooperieren im Grundschulverband ist<br />
ein Gewinn für die persönliche Weiterentwicklung<br />
und in der Berufsarbeit, vor<br />
allem aber für die Kinder in den Grundschulen.“<br />
Grund genug, dich in deiner bescheidenen<br />
Art als verehrte und liebenswürdige<br />
Mitstreiterin an diesem Abend<br />
nach der festlichen Ansprache und der<br />
Urkundenverleihung mit großer Dankbarkeit,<br />
langem Applaus, persönlichen<br />
Dankesworten und herzlichen Umarmungen<br />
von den Delegierten, Fachreferent:innen<br />
und dem Vorstand auch auf<br />
diese Art zu würdigen. <br />
Danke, liebe Maresi!<br />
Für den Vorstand und<br />
die Delegiertenversammlung<br />
Marion Gutzmann<br />
GS aktuell 167 • September 2024<br />
39
Praxis: Rundschau XXXXX<br />
Lerninseln<br />
Lernorte der Zukunft – auch für Grundschulkinder<br />
Außerschulische Lernorte spielen<br />
an Schulen von jeher eine wichtige<br />
Rolle. Sie sollten zukünftig<br />
jedoch nicht nur aufgesucht <strong>werden</strong>, um<br />
schulisches Lernen temporär zu<br />
erweitern. Schule könnte zukünftig<br />
grundsätzlich an unterschiedlichen<br />
Orten stattfinden, damit Kinder auf vielfältige<br />
Weise und in beständigem Austausch<br />
mit unterschiedlichen Akteur:innen<br />
dazu angeregt <strong>werden</strong>, gemeinsam<br />
Probleme zu lösen, in den kommunikativen<br />
Austausch zu treten, sich kreativ<br />
mit relevanten Aufgaben au<strong>sein</strong>anderzusetzen<br />
und kritisch zu denken. Das<br />
Konzept der Lerninseln veranschaulicht<br />
diese zukunftsgerichtete Entwicklung<br />
beispielhaft.<br />
Was sind Lerninseln?<br />
Lerninseln orientieren sich am Vorbild<br />
der finnischen Stadt Espoo. Sie<br />
hat im Jahr 2015 das Konzept „School<br />
as a Service“ eingeführt. Gemeinsam<br />
mit Schüler:innen sowie Studierenden<br />
identifizierte die Stadt unterschiedliche<br />
Lernorte mit dem Ziel, Ressourcen<br />
zu bündeln und Lernorte gemeinsam<br />
zu nutzen. Neben der Vernetzung der<br />
Schulen untereinander schuf Espoo<br />
ein Netz an Lernorten im Quartier<br />
und machte diese für die Schüler:innen<br />
und Student:innen der Stadt zugänglich.<br />
So wurden Bibliotheken oder auch<br />
Gemeinderatssäle gefunden, in denen<br />
bis heute außerschulisch gelernt wird<br />
und beispielsweise Politikunterricht<br />
stattfindet. Gerade dieser partizipative<br />
Gedanke und die Vernetzung der unterschiedlichen<br />
Orte führten in Espoo zu<br />
einer größeren sozialen Vielfalt, einer<br />
verbesserten Nutzung der gemeinsamen<br />
Infrastruktur und einer verstärkten<br />
Zusammenarbeit in der Gemeinschaft.<br />
Inspiriert durch die Entwicklungen in<br />
Espoo, aber auch durch die Herausforderungen<br />
der Corona-Pandemie sowie<br />
der daraus resultierenden Lernortsdebatte,<br />
entwickelte die Ernst-Reuter-Gemeinschaftsschule<br />
in Karlsruhe in Zusammenarbeit<br />
mit dem Cyberforum das<br />
Konzept der Lerninseln. Nach und nach<br />
<strong>werden</strong> dabei immer neue analoge und<br />
digitale Orte bestimmt und zugänglich<br />
gemacht, an denen Kindern vielfältige<br />
Angebote zum gemeinsamen Lernen<br />
gemacht <strong>werden</strong> (vgl. https://lerninseln.<br />
com). Auf einer interaktiven Karte der<br />
Stadt Karlsruhe <strong>werden</strong> die Lernorte<br />
markiert, visualisiert und laufend aktualisiert,<br />
um Schüler:innen, aber auch Bürger:innen<br />
auf die zahlreichen Initiativen<br />
und Lernorte in Karlsruhe aufmerksam<br />
zu machen und ihnen den Weg dorthin<br />
zu erleichtern.<br />
Gleichzeitig <strong>werden</strong> auf der Karte<br />
auch die Orte aufgeführt und beschrieben,<br />
die digitale Teilhabe ermöglichen.<br />
So stellen verschiedene Firmen den Lernenden<br />
beispielsweise in nicht genutzten<br />
Büroräumen kostenloses WLAN<br />
und Infrastruktur zur Verfügung. Die<br />
Pädagogische Hochschule in Karlsruhe<br />
unterstützt das Projekt mit <strong>Lehramt</strong>s<strong>studieren</strong>den,<br />
die die Lernenden vor<br />
Ort anleiten und begleiten. Nicht nur<br />
zu Pandemiezeiten wird vor allem den<br />
Schüler:innen, die zu Hause keine Infrastruktur<br />
und Unterstützung vorfinden,<br />
Zugang zu und Hilfe beim Umgang mit<br />
digitalen Geräten ermöglicht. Auch ältere<br />
Menschen finden an diesen Orten<br />
die Möglichkeit, sich digital zu vernetzen.<br />
Zur besseren Unterscheidung der<br />
Angebote sind die Lerninseln mit unterschiedlichen<br />
Symbolen auf der Karte<br />
platziert, die das jeweilige Angebot veranschaulichen.<br />
Dabei können manche<br />
Orte auch mehrere Symbole haben.<br />
Micha Pallesche<br />
Leiter der Ernst-Reuter-Schule in<br />
Karlsruhe, Mitglied des Fachbeirates<br />
zum berufsbegleitenden Masterstudiengang<br />
„Schulmanagement und<br />
Leadership“der Universität Tübingen<br />
Programmbeirat der KMK der Strategie<br />
„Bildung in der digitalen Welt“<br />
Welche Lerninseltypen gibt es?<br />
Grundsätzlich wurden bislang fünf unterschiedliche<br />
Lerninseltypen definiert:<br />
Lerninsel – Typ 1:<br />
Orte der (digitalen) Teilhabe<br />
Hier finden die Lernenden freies WLAN<br />
und bei Bedarf und Verfügbarkeit<br />
Expert:innen, z. B. Studierende der Pädagogischen<br />
Hochschule in Karlsruhe, die<br />
den Lernenden bei technischen, aber<br />
auch fachlichen Fragen weiterhelfen können.<br />
Beispielhaft für diese Orte sind leer<br />
stehende Firmenräume, Cafés, Restaurants,<br />
mobile Spots wie Container (zum<br />
Die erste Lerninsel der Stadt: der Torbogensaal des Karlsruher Schlosses<br />
40<br />
GS aktuell 167 • September 2024
Praxis: Rundschau XXXXX<br />
Rundschau<br />
Von links: In der Kunsthalle; in Makerspaces erschaffen Kinder mit 3D-Druckern eigene Kreationen; Insektenforschung im<br />
Naturkundemuseum<br />
Beispiel boxmeisters.de), in denen das<br />
offene Karlsruher WLAN-Netz (KA-<br />
WLAN) genutzt <strong>werden</strong> kann.<br />
Lerninsel – Typ 2: MINT-Spaces<br />
Diese Orte beinhalten zahlreiche Karlsruher<br />
Initiativen und Aktivitäten, die im<br />
Rahmen von AGs an Schulen, aber auch<br />
außerhalb der Schulen stattfinden, z. B.<br />
die Fischertechnik-/Robotik-AGs der<br />
Karlsruher Technik-Initiative, MINTfreundliche<br />
Schulen, die Sternwarte.<br />
Lerninsel – Typ 3:<br />
(Digitale) dritte Orte<br />
An diesen Orten kann offen und partizipativ<br />
mit digitalen Medien gelernt<br />
<strong>werden</strong>. Solche Orte sind beispielsweise<br />
die Pädagogische Hochschule Karlsruhe<br />
(Zentrum für Informationstechnologie<br />
und Medienbildung (ZIM)), unterschiedliche<br />
Makerspaces mit eigenen<br />
regelmäßigen MINT-Angeboten, das<br />
Zentrum für Kunst und Medien (ZKM)<br />
und MINT-Angebote der Bibliotheken<br />
und Schulen wie beispielsweise der<br />
Ernst-Reuter-Gemeinschaftsschule mit<br />
ihren Angeboten des Makerspaces oder<br />
des Virtual-Reality-Raums.<br />
Lerninsel – Typ 4: Beteiligungsorte<br />
und MINT-Ausstellungsräume<br />
Das sind Orte, an denen Einzelaktionen<br />
(Kunstaktionen, Fischertechnik-<br />
Challenges usw.) stattfinden. Solche Orte<br />
sind beispielsweise das Stadtmuseum<br />
Karlsruhe (Museum X), Jugendzentren,<br />
Angebote des Stadtjugendausschusses<br />
und Kunst- und Theaterbühnen (Poetry-<br />
Slam-Wettbewerbe u. Ä.)<br />
Lerninsel – Typ 5:<br />
Digitale Wissensräume<br />
An diesen digitalen Orten finden ITund<br />
MINT-Wissenstransfers statt.<br />
Zudem stellen sich Berufsvertreter:innen<br />
vor. Solche Orte sind beispielsweise<br />
virtuelle Ferienangebote, z. B.<br />
beim MINT- Feriencamp, Lernvideo-<br />
Angebote (wie beispielsweise der Kanal<br />
der Karlsruher Technik-Initiative), Vorträge<br />
von und Treffen mit Techniker:innen,<br />
Ingenieur:innen, Forscher:innen,<br />
Entwickler:innen, Informatiker:innen<br />
über interessante Projekte und ihre<br />
Tätigkeit, die dadurch zu Role-Models<br />
insbesondere für Mädchen bereits ab<br />
der Grundschule <strong>werden</strong> können.<br />
Warum sind Lerninseln wichtig?<br />
Interessierte finden auf der interaktiven<br />
Karte die Adressdaten und spezielle<br />
Ansprechpartner:innen. Gleichzeitig<br />
informieren die Lerninseln über<br />
ihr Angebot und stellen ihre Ressourcen<br />
und Beteiligungsmöglichkeiten dar.<br />
Zudem sind die Lerninseln in eine App<br />
eingepflegt und können von den Lernenden<br />
direkt gebucht <strong>werden</strong>. Ziel der<br />
Lerninseln als außerschulische Lernorte<br />
ist es, in direkten Begegnungen zur Au<strong>sein</strong>andersetzung<br />
mit der realen Umwelt<br />
anzuregen. Dabei geht es um nicht<br />
weniger als die Etablierung lokaler, aber<br />
auch regionaler Bildungslandschaften,<br />
die weit über bisherige Kooperation<br />
und Vernetzungsstrukturen der Schule<br />
hinausgehen. Die Ausgangspunkte<br />
der Lerninseln sind in diesem Kontext<br />
nicht mehr die curricularen Bildungsziele<br />
in den dafür vorgesehenen Institutionen,<br />
sondern die individuellen<br />
Voraussetzungen und Perspektiven des<br />
lernenden Kindes, das an veränderten<br />
Lernorten individuelle Bildungs- und<br />
Entwicklungsfortschritte machen kann.<br />
Die Bildungsbiografie der Schüler:innen<br />
wird somit in den Vordergrund gerückt<br />
(vgl. Deinet/Derecik in Erhorn/Schwier<br />
2016, 17).<br />
Zudem können außerschulische Lernorte<br />
die Chance bieten, sich von den<br />
Zwängen formalen Lernens zu befreien<br />
und Kindern neue Zugänge zu fachlichen<br />
Inhalten zu eröffnen. Eine spannende,<br />
eher philosophisch angelehnte<br />
Frage könnte in diesem Zusammenhang<br />
nicht nur dem Einfluss von Lernorten<br />
gelten, sondern auch dem des „inneren<br />
Startortes“ eines:einer Lernenden, also<br />
der Frage nach dem Stand der eigenen<br />
Entwicklungsbiografie und den inneren<br />
Lernvoraussetzungen. Diese sind von<br />
entscheidender Relevanz für die Wirksamkeit<br />
der Lerninseln, deren Angebot<br />
es im Sinne der Lernenden laufend zu<br />
erweitern gilt. <br />
Micha Pallesche<br />
Literatur<br />
Baar, Robert & Schönknecht, Gudrun (2018):<br />
Außerschulische Lernorte. Didaktische und<br />
methodische Grundlagen. 1. Auflage.<br />
Weinheim, Basel: Beltz (Pädagogik, Band 30).<br />
Erhorn, Jan & Schwier, Jürgen (2016):<br />
Pädagogik außerschulischer Lernorte. Eine<br />
interdisziplinäre Annäherung. Bielefeld:<br />
Transcript-Verlag.<br />
GS aktuell 167 • September 2024<br />
41
Praxis: Rundschau XXXXX<br />
KINDER*RECHTE*SCHULE – Kinderbücher als Impuls für den Unterricht<br />
Bilder- und Kinderbücher können Kindern<br />
eigene Zugänge zu ihren Rechten eröffnen<br />
1. Ziel und Kontext des Projekts<br />
Allen Kindern weltweit stehen die<br />
Kinderrechte zu. Sie weisen an mehreren<br />
Stellen einen direkten Bezug<br />
zu den 17 Zielen für nachhaltige Entwicklung<br />
(SDGs) auf und sind damit<br />
auch ein wichtiger Themenbereich der<br />
Bildung für nachhaltige Entwicklung (s.<br />
Grundschule aktuell, H. 166). Und: Die<br />
UN-Kinderrechtskonvention bezieht<br />
sich nicht nur auf Schutzrechte (z. B.<br />
gegen Gewalt oder Ausbeutung durch<br />
Kinderarbeit) oder den Anspruch<br />
der Kinder auf Fürsorge bzw. eine<br />
angemessene Grundversorgung (z. B.<br />
mit Blick auf Gesundheit und Bildung).<br />
Auch ihr Recht auf Anhörung und auf<br />
(Mit-)Entscheidung in allen Fragen, die<br />
sie unmittelbar betreffen, ist Bestandteil<br />
dieser Konvention.<br />
Informationen über die Rechte der<br />
Kinder und ihre Umsetzung im Schulalltag<br />
unter Mitwirkung der Kinder<br />
sind zentrale pädagogische Aufgaben<br />
schon für Kita und Grundschule. Daraus<br />
folgen Veränderungen auf der Beziehungsebene<br />
im Sinne einer wechselseitigen<br />
Achtung und Wertschätzung,<br />
die für die Kinder und auch für die Erwachsenen<br />
einen Gewinn bedeuten.<br />
Insofern sollten die Kinderrechte in<br />
Kitas und Schulen nicht nur Aufhänger<br />
für Projekttage <strong>sein</strong>, sondern den<br />
Alltag bestimmen.<br />
Zudem ist die Umsetzung der Kinderrechte<br />
auch ein rechtlich verbindlicher<br />
Auftrag. Mit der Ratifikation<br />
der UN-Kinderrechtskonvention von<br />
1989 sind die Kinderrechte unmittelbar<br />
geltendes Recht in Deutschland<br />
und damit auch für Kitas und Schulen<br />
bindend. Für die Schulen hat die Kultusministerkonferenz<br />
2006, 2009 und<br />
2018 die Bedeutung der Kinderrechte<br />
für den Unterricht und das Schulleben<br />
in mehreren Empfehlungen nachdrücklich<br />
betont. In Bremen ist das<br />
Recht der Kinder auf Beteiligung 2021<br />
sogar explizit in Art. 25 Abs. 2 der Landesverfassung<br />
aufgenommen worden.<br />
2. Pädagogische und didaktische<br />
Rahmung<br />
Im Projekt KINDER*RECHTE*SCHU-<br />
LE geht es darum, Kindern ihre Rechte<br />
zugänglich zu machen und ihnen, aber<br />
auch den Pädagog:innen Möglichkeiten<br />
aufzuzeigen, diese Rechte im Kita- und<br />
Schulalltag umzusetzen (s. https://t1p.<br />
de/bingo-kinderrechte).<br />
Kolleg:innen aus fünf Grundschulen,<br />
eine davon im Verbund mit zwei Kitas,<br />
haben die Materialien im ersten Halbjahr<br />
2024 in ihren Einrichtungen erprobt.<br />
In unserem Leitfaden hatten wir<br />
die Möglichkeiten der Umsetzung in<br />
fünf Perspektiven konkretisiert:<br />
1) Information über Kinderrechte und<br />
Demokratie als Gegenstand inhaltlichen<br />
Lernens (Sachunterricht, Religion/Ethik,<br />
thematisch orientierte Projekte …);<br />
2) Räume für die individuelle Selbstund<br />
Mitbestimmung mit Verantwortung<br />
für Themen und Formen der eigenen<br />
Aktivitäten (z. B. durch Freiarbeit im<br />
Unterricht);<br />
3) Gestaltung des alltäglichen Miteinanders,<br />
d. h. der informellen Beziehungen<br />
in der Gruppe und in<br />
der Kita / Schule insgesamt im Geist<br />
wechselseitigen Respekts;<br />
4) formelle Mitwirkung der Kinder<br />
bzw. ihrer Vertreter:innen bei der Regelung<br />
des Zusammenlebens in der Gruppe<br />
und in Kita / Schule insgesamt über<br />
Gruppenrat, Kinderparlament bis hin<br />
zur Teilnahme an Konferenzen;<br />
5) Beteiligung der Kinder an politischen<br />
Aktivitäten über Kita und Schule hinaus<br />
z. B. in Einrichtungen auf kommunaler<br />
Ebene, bei Demonstrationen oder in<br />
zentralen Gremien wie etwa im Bürgerrat<br />
Bildung und Lernen.<br />
Einschlägige Fachliteratur zu den<br />
verschiedenen pädagogischen und<br />
didaktisch-methodischen Aspekten<br />
und ebenso Materialien für die Hand<br />
der Kinder findet man unter drei verschiedenen<br />
Stichworten, nämlich<br />
– unter dem Stichwort „Kinderrechte“<br />
– mit Bezug auf die ganze Bandbreite<br />
der verschiedenen in der UN-Kinderrechtskonvention<br />
formulierten<br />
Ulrike Oltmanns (links),<br />
wissenschaftliche Mitarbeiterin im<br />
Projekt Eine Welt in der Schule des GSV<br />
Prof. em. Dr. Hans Brügelmann,<br />
Mitglied im Vorstand der GSV-Landesgruppe<br />
Bremen<br />
Rechte der Kinder und Erläuterungen<br />
zu ihrer Bedeutung in allen Lebensbereichen;<br />
– zum Thema „Demokratisierung der<br />
Schule“ – mit dem Fokus auf dem (in<br />
der UN-Kinderrechtskonvention verankerten)<br />
Recht der Kinder, auch in<br />
der Schule und im Unterricht bei Fragen<br />
mitzubestimmen, deren Folgen<br />
sie persönlich betreffen;<br />
– zur Aufgabe „Demokratische Bildung“<br />
– mit der auch über die Gegenwart<br />
hinausweisenden Perspektive,<br />
wie die schulischen Erfahrungen der<br />
Kinder zu gestalten sind, um ihre Bereitschaft<br />
und ihre Fähigkeit zu stärken,<br />
ihre Rechte im gesellschaftlichen<br />
Alltag wahrzunehmen.<br />
Wie schon die kurzen Erläuterungen zu<br />
den drei Kategorien zeigen, überlappen<br />
sich die Bereiche (s. auch Grundschule<br />
aktuell H. 159, 3–6). Das gilt auch für<br />
ihre Umsetzung, wie die Erfahrungsberichte<br />
aus Schulen zeigen, die die<br />
Bücherkisten und die Ideen aus dem<br />
begleitenden Leitfaden im Schuljahr<br />
2023/2024 erprobt haben.<br />
3. Erfahrungen aus der Erprobung<br />
Bei der Au<strong>sein</strong>andersetzung mit den<br />
Kinderrechten haben die beteiligten<br />
Schulen und Kitas nicht nur inhaltlich<br />
eigene Schwerpunkte gesetzt, sie sind<br />
auch methodisch sehr unterschiedlich<br />
vorgegangen: Die einen haben einen<br />
42<br />
GS aktuell 167 • September 2024
Praxis: Rundschau XXXXX<br />
Rundschau<br />
konkreten Anlass in der Lerngruppe<br />
genutzt, um ein bestimmtes Kinderrecht<br />
in den Fokus zu stellen; andere haben<br />
sich dem Thema systematischer über<br />
einen Legekreis (s. Abb. 1) genähert,<br />
in dem die Kinder Rechte und Situationen<br />
einander zuordnen sollten. Eine<br />
Schule hat die Kinderrechte zum Thema<br />
einer Projektwoche gemacht, die dann<br />
in unterschiedliche Aktivitäten in den<br />
beteiligten Klassen mündeten. In einer<br />
anderen hat eine Studentin eine Arbeitsgemeinschaft<br />
zum Thema Kinderrechte<br />
angeboten, und eine dritte Schule nahm<br />
die Kinderrechte in Zusammenhang mit<br />
Themen des Sachunterrichts auf und<br />
will dies auch weiterhin tun.<br />
Aus den Berichten der Kolleg:innen<br />
wurde deutlich:<br />
Viele Kinder interessieren sich für ihre<br />
Rechte oder konnten durch die bereitgestellten<br />
Materialien leicht motiviert <strong>werden</strong>,<br />
sich mit einzelnen Rechten au<strong>sein</strong>anderzusetzen.<br />
Vor allem Berichte über<br />
Kinder, die sich selbst für ihre Rechte<br />
eingesetzt haben, wie z. B. aus der Reihe<br />
„Little People, Big Dreams“, haben angeregt,<br />
auch über die eigenen Rechte und<br />
ihre Durchsetzung nachzudenken.<br />
Kinder dieses Alters können verstehen,<br />
worum es bei den Kinderrechten<br />
geht: welche konkreten Probleme dabei<br />
angesprochen <strong>werden</strong>, welche Chancen<br />
die Rechte eröffnen – aber auch, dass<br />
Rechte immer mit Verantwortung und<br />
mit Respektierung der Rechte anderer<br />
verbunden sind. In einer Klasse war das<br />
Buch „100 Kinder“ Anlass mithilfe von<br />
100 selbst gekneteten Figuren anschaulich<br />
nachzustellen, wie sich konkrete Lebenssituationen<br />
auf verschiedene Länder<br />
oder Bevölkerungsgruppen verteilen.<br />
Ausgehend von diesen Kontrasten haben<br />
sich die Kinder dann mit Fragen der Gerechtigkeit<br />
und der Durchsetzung von<br />
Rechten beschäftigt und in ihrer eigenen<br />
Schule erhoben, wie die Mitschüler:innen<br />
die Umsetzung ihrer Rechte erleben (s.<br />
Abb. 2 aus der Schule Düsseldorfer Straße).<br />
In einer anderen Lerngruppe waren<br />
die Kinderrechte Thema des gemeinsamen<br />
Philosophierens.<br />
Viele Kinder wollen sich selbst engagieren<br />
– und sie können dies, wenn<br />
sie von Erwachsenen unterstützt <strong>werden</strong>.<br />
In mehreren Schulen gab es bereits<br />
Klassenräte, einen Kinderbeirat auf<br />
Schulebene und auch Erfahrungen mit<br />
der Teilhabe in anderen Gremien. Den<br />
Kindern wurde bewusst, dass sie diese<br />
Möglichkeiten auch für eigene Interessen<br />
nutzen können, z. B. für Mitsprache<br />
bei der Gestaltung eines geplanten Spielplatzes<br />
oder für einen häufigeren Einsatz<br />
von iPads im Unterricht.<br />
Die Beschäftigung mit den Kinderrechten<br />
war aber auch Anlass, sich im<br />
Kollegium über pädagogische Grundfragen<br />
abzustimmen. Sie hat zur Teambildung<br />
im Kollegium beigetragen. Diese<br />
Verständigung in der Einrichtung ist<br />
zugleich eine wichtige Voraussetzung<br />
dafür, dass die Au<strong>sein</strong>andersetzung mit<br />
den Kinderrechten in den Lerngruppen<br />
keine folgenlose Inselerfahrung bleibt.<br />
Kinderrechte sind nicht nur ein Thema<br />
für einzelne Unterricht<strong>sein</strong>heiten, sie betreffen<br />
grundsätzlicher die Frage, wie die<br />
Erwachsenen in einer Kita oder Schule<br />
grundsätzlich mit den ihnen anvertrauten<br />
Kindern umgehen wollen.<br />
Eng verknüpft mit der teaminternen<br />
Klärung ist die Beziehung zwischen Schule<br />
/ Kita und Elternhaus. Wenn Kinder zu<br />
Hause ihre Rechte einfordern, Regeln und<br />
Konfliktlösungen aushandeln möchten,<br />
braucht es Eltern, die damit konstruktiv<br />
umgehen können, sonst kann es die<br />
Kinder in schwierige Situationen bringen.<br />
Eine Schule hat versucht, die Eltern<br />
schon bei der Vorbereitung konstruktiv<br />
in ihr Vorhaben zu Kinderrechten einzubeziehen<br />
– hat aber auch erleben müssen,<br />
wie schwierig das <strong>sein</strong> kann. Auf den Einsatz<br />
von „Hin-und-Her-Heften“, über die<br />
Aktivitäten in der Schule und in der Familie<br />
miteinander verknüpft <strong>werden</strong> sollten,<br />
gab es nur wenig Resonanz.<br />
Diese und weitere Erfahrungen und<br />
Ideen aus den Schulen <strong>werden</strong> wir in<br />
die Weiterentwicklung der Bücherkisten<br />
und des Leitfadens einbeziehen, damit<br />
die Materialien ab Anfang 2025 über das<br />
Projekt „Eine Welt in der Schule“ von<br />
Mitgliedern des Grundschulverbands<br />
und weiteren interessierten Pädagog:innen<br />
(auch über Bremen hinaus) genutzt<br />
<strong>werden</strong> können.<br />
Hans Brügelmann<br />
und Ulrike Oltmanns<br />
Kontakt:<br />
www.weltinderschule.uni-bremen.de/<br />
detail/kinder-rechte-schule.html<br />
Abb. 1: Legekreis<br />
der Kinderrechte<br />
(Grundschule<br />
Delfter Straße)<br />
Abb. 2: Umfrage<br />
an der Grundschule<br />
Düsseldorfer<br />
Straße<br />
GS aktuell 167 • September 2024<br />
43
Praxis: aktuell XXXXX … aus den Landesgruppen<br />
Berlin<br />
Kontakt: Ines Garlisch, Sabine Jennerjahn, Agnieszka von Prondzinski, vorstand@gsv-berlin.de<br />
In Berlin wurden in den<br />
vergangenen Monaten die<br />
Gemüter von einer Schulgesetzänderung<br />
bewegt, die<br />
die (neue) Schulsenatorin<br />
Katharina Günther-Wünsch<br />
(CDU) im April dem Abgeordnetenhaus<br />
vorgelegt hat.<br />
Schwerpunkte u. a.:<br />
• Mehr Konsequenz bei der<br />
vorschulischen Sprachförderung:<br />
Kinder sollen zu<br />
ihrem 3. Geburtstag einen<br />
„Willkommensgutschein“<br />
für den Kita-Besuch erhalten.<br />
Falls sie nicht zur<br />
Kita kommen, müssen sie<br />
mit fünf Jahren an einer<br />
Sprachstandsfeststellung teilnehmen.<br />
Bei ungenügenden<br />
Sprachkenntnissen sind sie<br />
verpflichtet, täglich an einer<br />
7-stündigen Sprachförderung<br />
teilzunehmen (also 35 Wochenstunden)<br />
– andernfalls<br />
droht ein Bußgeld.<br />
Es sei hier nur am Rande<br />
bemerkt, dass bereits jetzt<br />
xy Kita-Plätze jährlich fehlen,<br />
ganz zu schweigen von<br />
fehlenden Erzieher*innen.<br />
• Neuregelung des Wechsels<br />
von der Grundschule<br />
in das Gymnasium nach<br />
Klasse 6: Das bisherige 1-jährige<br />
Probejahr in Gymnasien<br />
soll entfallen. Stattdessen<br />
ist eine Verschärfung der<br />
Aufnahmebedingung für<br />
das Gymnasium vorgesehen<br />
geplant: Kinder müssen in<br />
Deutsch, Mathematik und<br />
der 1. Fremdsprache max. mit<br />
2,3 bewertet <strong>sein</strong>. Ein „Ausgleich“<br />
etwa durch andere<br />
Fächer ist nicht möglich!<br />
Bestehen Eltern dennoch auf<br />
eine Gymnasialaufnahme,<br />
muss das Kind entweder<br />
eine „Eignungsprüfung“<br />
absolvieren oder an einem<br />
1–2tägigen „Probeunterricht“<br />
teilnehmen.<br />
Eine Durchschnittszensur für<br />
eine Gymnasialempfehlung<br />
bestand zwar in Berlin bisher<br />
auch, aber diese verhinderte<br />
nicht zwingend die Anmeldung<br />
an einem Gymnasium.<br />
Rechte der Kinder und das<br />
Elternwahlrecht <strong>werden</strong> also<br />
nun ausgehebelt. Außerdem<br />
bedeutet die Beschränkung<br />
auf die Fächer Deutsch, Mathematik<br />
und 1. Fremdsprache<br />
eine Marginalisierung<br />
der Fächer Nawi, Gewi, Kunst<br />
und Musik. Kreative sowie<br />
gesellschaftswissenschaftliche<br />
Bildung wird den Kindern<br />
damit eingeschränkt.<br />
Die Landesgruppe Berlin<br />
hat zu diesem Punkt eine<br />
kritische Stellungnahme<br />
veröffentlicht: Die Auslese<br />
wird verschärft! Die Kinder<br />
müssen endlich vom Auslesedruck<br />
zugunsten der<br />
Einrichtung von Gemeinschaftsschulen<br />
für ALLE<br />
befreit <strong>werden</strong>!<br />
• Erhöhung der „Verbindlichkeit“<br />
von Religions- und<br />
Weltanschauungsunterricht:<br />
Schulen <strong>werden</strong><br />
verpflichtet Religionsunterricht<br />
anzubieten, sobald<br />
sich Schüler*innen dafür<br />
anmelden.<br />
Das Vorhaben, Religion zum<br />
Pflichtfach zu erheben, ist<br />
erstmal ad acta gelegt.<br />
Bei der Anhörung im Schulausschuss<br />
des Abgeordnetenhauses<br />
im Juni wurde<br />
gerade Punkt 2 des Gesetzes-<br />
Vorhabens in unserem Sinne<br />
scharf kritisiert und in Frage<br />
gestellt, insbes. vom Landeselternausschuss<br />
und dem<br />
Berliner Verband der Grundschulleiter*innen.<br />
Nur der<br />
Vertreter der Gymnasialleiter<br />
begrüßte es (!). Kurz danach<br />
hat die CDU-SPD Regierungskoalition<br />
die Schulgesetzänderung<br />
beschlossen, ohne<br />
die Kritikpunkte zu berücksichtigen.<br />
Die Absegnung<br />
durch das Abgeordnetenhaus<br />
wird vermutlich folgen!<br />
In der Landesgruppe planen<br />
wir für November 2024 eine<br />
öffentliche Mitgliederveranstaltung<br />
zum Thema „Das<br />
mehrsprachige Klassenzimmer“,<br />
in der wir Erfahrungen<br />
austauschen und beraten<br />
wollen, wie einerseits die<br />
Probleme von Schüler*innen<br />
mit (sehr) eingeschränkten<br />
deutschen Sprachkenntnissen<br />
bewältigt <strong>werden</strong> und<br />
wie andererseits die Potenziale<br />
von mehrsprachigen<br />
Kindern genutzt <strong>werden</strong> können.<br />
Vorher, im September,<br />
laden wir zu einem kleinen<br />
Herbstfest ein.<br />
Ines Garlisch, Ulla Widmer-<br />
Rockstroh<br />
Baden-Württemberg<br />
Vorsitzender: Edgar Bohn<br />
edgar.bohn@gsv-bw.de, https://gsv-bw.de<br />
Landespolitik in Bewegung<br />
Die Wiedereinführung von<br />
G9 in BW wirkt sich auf<br />
das gesamte Schulsystem<br />
aus. Erfreulich für den<br />
Grundschulbereich ist die<br />
Stärkung der Sprachbildung<br />
im frühkindlichen und<br />
Grundschul-Bereich. Hier<br />
stellt das Land erhebliche<br />
Mittel bereit. Nun wird es<br />
darauf ankommen, dass diese<br />
auch zielgenau und wirksam<br />
eingesetzt <strong>werden</strong>. Wir sind<br />
dazu mit Politik und Administration<br />
in regem Austausch.<br />
Unklar ist für uns, wie sich die<br />
Wiedereinführung von G9<br />
auf das Sekundarschulsystem<br />
auswirken wird. Längeres<br />
gemeinsames Lernen ist mit<br />
der „verbindlicheren“ Grundschul-Empfehlung<br />
leider vom<br />
Tisch.<br />
Was, wenn die gängigen<br />
„Wenn-Dann-Muster“ in<br />
herausfordernden Situation<br />
nicht mehr greifen?<br />
Unter diesem Thema steht<br />
unser Grundschultag am<br />
19. Oktober 2024. In einem<br />
Wechsel von Input, Übungen,<br />
Videoclips und Refelexionsschleifen<br />
wird uns die<br />
Referentin, Sabine Ostertag,<br />
basierend auf dem Konzept<br />
der systemischen Autorität<br />
durch den Tag begleiten. Der<br />
Tag hat das Ziel, konkrete<br />
Hilfestellungen zur besseren<br />
Bewältigung des Unterrichtsalltags<br />
zu geben.<br />
Tag: Samstag,<br />
19. Oktober 2024<br />
Ort: Falkertschule Stuttgart,<br />
Falkertstraße 27<br />
Zeit: 10:30 Uhr bis 16:00 Uhr<br />
Im Anschluss an den Grundschultag<br />
wird unsere Mitgliederversammlung,<br />
diesmal<br />
turnusgemäß mit Neuwahlen<br />
stattfinden.<br />
Für die Landesgruppe:<br />
Edgar Bohn<br />
44<br />
GS aktuell 167 • September 2024
aktuell … aus den Landesgruppen<br />
Bayern<br />
Vorsitzende: Gabriele Klenk, Konstanze von Unold<br />
https://grundschulverband-bayern.de<br />
Zu Besuch in Südtirol:<br />
Gelebte Begeisterung, die<br />
fasziniert!<br />
In den Osterferien machten<br />
wir uns mit der Landesgruppe<br />
Bayern auf zum Besuch zu<br />
unseren Freunden in Südtirol:<br />
Josef Watschinger und<br />
Josef Kühebacher. Schon vor<br />
mindestens einem Jahrzehnt<br />
waren wir dort mit einer<br />
großen Abordnung bayerischer<br />
Mitglieder und ließen<br />
uns an verschiedensten Orten<br />
von der dort praktizierten<br />
Inklusion inspirieren.<br />
Das Programm, das sich beide<br />
für uns im Schulverbund<br />
Pustertal ausgedacht hatten,<br />
begeisterte uns!<br />
Es war die Begeisterung, die<br />
man in den Augen der Kolleginnen<br />
und Kollegen sah, die<br />
Begeisterung, die von den<br />
lichtdurchfluteten, warm und<br />
lebendig wirkenden Räumen<br />
ausging, die Begeisterung für<br />
die einzelnen Geschichten<br />
der Kinder, die stellvertretend<br />
für viele positive Lernentwicklungen<br />
standen und die<br />
Begeisterung der Menschen<br />
vor Ort für ihre Schulen im<br />
Tal!<br />
Was an vielen Stellen deutlich<br />
wurde, war die scheinbar<br />
besondere Begabung der<br />
Menschen hier, laufend im<br />
Diskurs, im Austausch <strong>sein</strong><br />
und miteinander denken<br />
– also gelebte Demokratie!<br />
Lange zuhören, dann erst<br />
nachfragen und schließlich<br />
mit Hilfe von Fragen immer<br />
wieder Undenkbares oder<br />
Unvorstellbares drehen,<br />
wenden und weiterentwickeln.<br />
„Ist das denn auch noch<br />
möglich?“, schien ein geflügeltes<br />
Wort zu <strong>sein</strong>, das durch<br />
das Schulautonomiegesetz in<br />
Südtirol weitere Umsetzungen<br />
ermöglichte.<br />
Auf unseren Kanälen Instagram<br />
und Facebook berichten<br />
wir derzeit im Einzelnen<br />
über die faszinierenden<br />
Einblicke, die wir vor Ort im<br />
Pustertal erhalten haben.<br />
Ein paar Auszüge:<br />
• Wie ein Tal <strong>sein</strong>e Schule<br />
selbst plant und baut! – Die<br />
Grundschule im Gsieser Tal<br />
mit Simone Oberarzbacher<br />
• Eine Flurschule alten<br />
Maßes wird zu einem Lernraum,<br />
der zum personalisierten<br />
Lernen im Gebäude,<br />
im Haus der Kunst und des<br />
Handwerks und in der Natur<br />
einlädt. – Grundschule Taisten<br />
mit Magdalena Haspinger<br />
• Ladinische Schulen mit<br />
ihrem täglichen Anspruch<br />
in gelebter Mehrsprachigkeit<br />
– St. Vigil im Gadertal mit<br />
Heinrich Videsott und Ludwig<br />
Rindler<br />
• Gelebte Bildung zu gesunder<br />
Ernährung in der Mensa<br />
der Landeshotelfachschule in<br />
Bruneck mit Peter Paul Komar<br />
• Beratung und Begleitung<br />
im gemeinsamen Miteinander<br />
zwischen Fachstelle<br />
und Menschen vor Ort zur<br />
Inklusion – Pädagogisches<br />
Beratungszentrum Bruneck<br />
mit Wolfgang Grüner<br />
• Intensive Einblicke mit<br />
Josef Watschinger und Josef<br />
Kühebacher zum Schulverbund<br />
Pustertal<br />
• Wie die Schenkung eines<br />
südtiroler Bauernhofes in<br />
Prags Kindern hilft, die es<br />
nicht so leicht haben – der<br />
Burger Hof mit Alex Unteregger<br />
Wahl des neuen Landesgruppenvorstands<br />
Am 16. April wurde im<br />
Rahmen einer Mitgliederversammlung<br />
und im Anschluss<br />
an unsere Happy Hour zum<br />
Thema „Kinder Stärken erleben<br />
lassen“ der neue Landesgruppenvorstand<br />
gewählt.<br />
Wir freuen uns auf gewinnbringenden<br />
Austausch und<br />
produktives Arbeiten in der<br />
neuen Zusammensetzung.<br />
Neugierig? Hier erfahren Sie<br />
mehr: https://grundschulverband-bayern.de/vorstand/<br />
Für die Landesgruppe:<br />
Bianca Ederer<br />
Niedersachsen<br />
Kontakt: www.gsv-nds.de<br />
Dem Lehrkräftemangel mit<br />
pädagogischen Maßnahmen<br />
begegnen<br />
Zu diesem Arbeitsschwerpunkt<br />
trafen sich am 15.<br />
Februar 2024 Vertreterinnen<br />
und Vertreter einzelner<br />
niedersächsischer Lehrkräfteverbände,<br />
Gewerkschaftsvertreter:innen<br />
sowie<br />
Vertrerter:innen des MK. In<br />
vier schulformspezifischen<br />
Arbeitsgruppen setzten sich<br />
die Teilnehmer:innen mit der<br />
Frage au<strong>sein</strong>ander, welche<br />
pädagogischen Maßnahmen<br />
möglicherweise geeignet<br />
seien, dem Lehrkräftemangel<br />
sowie der hohen Arbeitsbelastung<br />
von Lehrerinnen und<br />
Lehrern im Schulalltag entgegenzuwirken.<br />
Zu den drei<br />
großen Themenkomplexen<br />
• Flexibilisierung der<br />
Stundentafel<br />
• Entlastung durch veränderte<br />
Unterrichtsorganisation<br />
und<br />
• Entlastung durch Änderungen<br />
in der Leistungsbewertung<br />
diskutierten die Vertreter:innen<br />
der Grundschulen<br />
und Föderschulen mit den<br />
Kolleg:innen des Referates 32<br />
des MK verschiedene Maßnahmen.<br />
Dabei konnten wir<br />
uns als Grundschulverband<br />
mit Vorschlägen wie dem<br />
Ersetzen der Halbjahreszeugnisse<br />
durch Lerngespräche,<br />
einer notenfreien Grundschule<br />
(und möglichst darüber<br />
hinaus) oder der Möglichkeit,<br />
durch eine Flexibilisierung<br />
des Klassenarbeits-Erlasses<br />
Lernkontrollen und Arbeiten<br />
zu unterschiedlichen<br />
Zeitpunkten schreiben zu<br />
können, positionieren. Über<br />
die weiteren Entwicklungen<br />
<strong>werden</strong> wir weiter berichten.<br />
Für die Landesgruppe:<br />
Eva Osterhues-Bruns<br />
GS aktuell 167 • September 2024<br />
45
Praxis: aktuell XXXXX … aus den Landesgruppen<br />
Hamburg<br />
Kontakt: Marion Lindner, Plinkstraße 81, 25337 Elmshorn<br />
Lindner_Marion@t-online.de, https://gsvhh.de<br />
Bildungsgipfel in Hamburg<br />
Auf Initiative von Sabine<br />
Boeddinghaus, der bildungspolitischen<br />
Sprecherin der<br />
Fraktion Die Linke, fand<br />
am 22.06.2024 in Hamburg<br />
ein „Bildungsgipfel“ statt.<br />
Vertreter der Verbände der<br />
unterschiedlichen Schulformen<br />
sowie der Fachschaft<br />
<strong>Lehramt</strong>, der GEW, der<br />
Eltern- Schüler*innen- und<br />
Lehrer*innenkammer, sowie<br />
das Bündnis für schulische<br />
Inklusion beteiligten sich<br />
an der Vorbereitung und<br />
Durchführung. „Für eine gerechte<br />
und gesunde Schule!“<br />
stand als Oberbegriff für<br />
Statements mit Blick auf die<br />
Hamburger Bildungslandschaft,<br />
Workshops sowie eine<br />
Ideensammlung und erste<br />
Verabredungen zur Vernetzung.<br />
Ungefähr 80 an Bildung<br />
Interessierte hatten den Weg<br />
in den Kaisersaal des Hamburger<br />
Rathauses gefunden.<br />
Petra Stumpf, Vorstandsmitglied<br />
unserer Landesgruppe,<br />
hatte es übernommen ein<br />
Statement für die Grundschulen<br />
abzugeben. Zunächst<br />
stellte sie den Grundschulverband<br />
im Allgemeinen und<br />
<strong>sein</strong>e Geschichte vor, um<br />
dann eine aktuelle Auswahl<br />
Petra Stumpf<br />
von Standpunkten des Verbandes<br />
zu benennen und zu<br />
erläutern, die speziell für die<br />
aktuelle Schulentwicklung in<br />
Hamburgs große Bedeutung<br />
haben:<br />
• Eine inklusive Grundschule<br />
für alle Kinder gestalten!<br />
• Schule und Lernen nachhaltig<br />
gestalten: Grundschule<br />
ist Lernort und Erfahrungsraum<br />
für die Zukunft.<br />
• Grundschulkinder bei der<br />
Mediennutzung begleiten<br />
und innovative Lernpotenziale<br />
in der Grundschule nutzen!<br />
• Die Lern- und Leistungsentwicklung<br />
jedes einzelnen<br />
Kindes begleiten, unterstützen<br />
und würdigen!<br />
Die Landesgruppe sieht es<br />
kritisch, dass in Hamburg in<br />
letzter Zeit Veränderungen<br />
von Stundentafeln und Aufgabenzuweisungen<br />
behördlich<br />
verfügt wurden ohne gesellschaftlichen<br />
Diskurs. Was<br />
auch im Statement deutlich<br />
wurde: „Der Grundschulverband<br />
Hamburg unterstützt die<br />
Gründung eines Bildungsrates<br />
zur Anhörung und Beteiligung<br />
von Bildungsverbänden an den<br />
entscheidenden schulpolitischen<br />
Fragen.“<br />
Im weiteren Verlauf der<br />
Veranstaltung konnten in<br />
zwei Workshop Phasen verschiedene<br />
Fragen rund um<br />
Bildung, Ausbildung und Vernetzung<br />
diskutiert <strong>werden</strong>.<br />
Die Landesgruppe leitete<br />
einen Workshop zum Thema:<br />
„Gutes Lernen – Wie gelingt<br />
es?“ Petra Stumpf konnte hier<br />
auf die Erfahrungen aus der<br />
eigenen Tätigkeit an der reformpädagogisch<br />
ausgerichteten<br />
Schule Rellingerstrasse,<br />
einer der wenigen 6 -jährigen<br />
Grundschulen in Hamburg,<br />
zurückgreifen, über die<br />
erfolgreiche Arbeit berichten<br />
und mit den Teilnehmer*innen<br />
des Workshops darüber<br />
ins Gespräch kommen.<br />
Abschließend wurde im<br />
Plenum die Forderung nach<br />
Einführung eines Bildungsrates<br />
unter Beteiligung<br />
von Vertretern aller an<br />
Bildung beteiligten Gruppen<br />
diskutiert und erste Verabredungen<br />
getroffen. Eine<br />
Maik Becker<br />
Konkretisierung erfolgt in<br />
einem weiteren Treffen.<br />
Trotz einiger Zweifel im<br />
Vorwege, ob wir als Verband<br />
an einer Veranstaltung teilnehmen<br />
sollten, die von einer<br />
Partei initiiert wurde, finden<br />
wir unsere Teilnahme richtig<br />
und wichtig. So bot sich die<br />
Gelegenheit die Standpunkte<br />
des Grundschulverbandes<br />
vor einer größeren Öffentlichkeit<br />
zu präsentieren und im<br />
speziellen unsere Landesgruppe<br />
„sichtbar zu machen“,<br />
was eines der Ziele unserer<br />
aktuellen Arbeit darstellt.<br />
Für die Landesgruppe:<br />
Marion Lindner<br />
Schleswig-Holstein<br />
Geschäftsführender Vorstand: Maren Barck, Sabine Jesumann, Aenne Thurau<br />
Kontakt: Maren Barck, grundschulverbandSH@gmx.de<br />
Unterstützung der<br />
Schulanfangstagungen<br />
Die Landesgruppe beteiligt<br />
sich auch dieses Jahr mit<br />
einer finanziellen Unterstützung<br />
und einem Grußwort<br />
an der Ausrichtung der<br />
Schulanfangstagung, die am<br />
13.7.24 online und am 28.8.24<br />
an der Europa-Universität<br />
Flensburg stattfindet. Ein sehr<br />
abwechslungsreiches und<br />
praxisorientiertes Workshopangebot<br />
bereitet Kollegen<br />
und Kolleginnen für die<br />
herausfordernde Arbeit mit<br />
Schulanfängern vor.<br />
Veränderungen im Vorstand<br />
der Landesgruppe<br />
Wie bereits in einem der letzten<br />
Landesgruppenberichte<br />
angekündigt wird sich der<br />
Vorstand verändern. Sabine<br />
Jesumann geht für das Schuljahr<br />
2024/25 in ein Sabbatjahr<br />
und zieht sich für die<br />
Zeit aus der Vorstandsarbeit<br />
zurück. Maren Barck und<br />
Aenne Thurau <strong>werden</strong> bis<br />
zur Mitgliederversammlung<br />
mit Vorstandswahlen im Juni<br />
2025 die Arbeit im Vorstand<br />
fortführen. Jedes Mitglied ist<br />
herzlich willkommen, in die<br />
Vorstandsarbeit hineinzuschnuppern.<br />
Einfach per Mail<br />
an den Vorstand schreiben!<br />
Für die Landesgruppe:<br />
Sabine Jesumann<br />
46<br />
GS aktuell 167 • September 2024
aktuell … aus den Landesgruppen<br />
Hessen<br />
Vorsitzender: Mario Michel<br />
mario.michel@gsvhessen.de, www.gsvhessen.de<br />
Live und in Farbe<br />
Auch, aber nicht nur am<br />
Bildschirm – der Vorstand der<br />
Landesgruppe Hessen hat<br />
sich in diesem Jahr bereits<br />
zweimal live und in Farbe<br />
getroffen. Rundum besuchen<br />
wir uns gegenseitig an<br />
unseren Schulen. Im Januar<br />
war dies die Grundschule<br />
Kirchhain, in der Mario Michel<br />
Schulleiter ist. Dort haben wir<br />
über die grundsätzliche Aufgabenverteilung<br />
in unserer<br />
Gruppe gesprochen. Das<br />
zweite Live-Treffen fand im<br />
Juni an der Nibelungenschule<br />
Heppenheim statt. Wir haben<br />
uns über die Grundsatzpositionen<br />
des Grundschulverbandes<br />
ausgetauscht und<br />
unsere eigenen dazu reflektiert.<br />
Der Austausch und das<br />
Kennenlernen der einzelnen<br />
Schulen mit ihren Spezialitäten<br />
erweitert unseren Blick<br />
und macht Freude.<br />
Weniger freudvoll ist die<br />
Tatsache, dass der für den<br />
28.9.2024 geplante zweite<br />
Hessische Grundschultag<br />
abgesagt <strong>werden</strong> musste.<br />
Obwohl bereits viel Arbeit<br />
investiert war, zum Beispiel<br />
in die Akquise von Workshops,<br />
in Gespräche mit dem<br />
gewählten Veranstaltungsort<br />
und so weiter, war keine<br />
ausreichende Finanzierungssicherheit<br />
gegeben. So fiel<br />
die Entscheidung zu vertagen<br />
– aller Voraussicht nach<br />
auf September 2025.<br />
Rosa Heussner-Kahnt und<br />
Pia Hölzel vertreten den<br />
GSV Hessen im Bündnis mit<br />
dem Elternbund Hessen und<br />
der GGG (Gemeinnützige<br />
Gesellschaft Gesamtschule).<br />
Der bildungspolitische Teil<br />
des Koalitionsvertrages der<br />
aktuellen hessischen Landesregierung<br />
(CDU und SPD)<br />
gab Anlass aus diesem Bündnis<br />
heraus eine Stellungnahme<br />
zu schreiben. Trotz allseits<br />
bekannter und zugänglich<br />
nachlesbarer Mängel will<br />
die neue hessische Koalition<br />
die aktuelle Ausgestaltung<br />
Pia Hölzel, Mario Michel, Anette Zinser, Steffi Jurkscheit,<br />
Heidi Fischer, Rosa Heussner-Kahnt (fehlend Ellen Löher)<br />
des Schulsystems in Hessen<br />
ohne jede Änderung fortsetzen.<br />
Dem MUSSTE ein<br />
Aufschrei unsererseits folgen.<br />
EINE Schule für alle – in der<br />
ALLE bestmöglich gefördert<br />
<strong>werden</strong>, das ist schon lange<br />
Standpunkt des Grundschulverbandes<br />
und wir dürfen<br />
nicht aufhören, dies laut zu<br />
verkünden und zu fordern.<br />
Für die Landesgruppe Hessen<br />
Pia Hölzel<br />
Brandenburg<br />
Vorsitzende: Denise Sommer<br />
Gsv-Brandenburg@posteo.de, www.grundschulverband.de<br />
Freude und Kritik zum<br />
Entlastungspaket für<br />
Lehrkräfte<br />
Der Vorstand der Landesgruppe<br />
Brandenburg begrüßt<br />
die kurz vor den Sommerferien<br />
getroffene Vereinbarung<br />
zur Entlastung der Lehrkräfte<br />
und wertet sie als unerlässlich,<br />
um den Schulbetrieb<br />
künftig trotz der erheblichen<br />
Personalengpässe aufrecht<br />
zu erhalten. Forderungen der<br />
Verbände nach Entlastung<br />
wurden seit vielen Jahren<br />
vom Ministerium ignoriert,<br />
deshalb ist diese Vereinbarung<br />
ein deutliches Signal.<br />
Die Grundschullehrkräfte<br />
sind sehr erfreut über die<br />
Gesamtnote Deutsch in den<br />
Jahrgängen 3 und 4. Die<br />
Nutzung der vom LISUM<br />
erarbeiteten Muster-SchiC<br />
sowie die Reduzierung der<br />
Anforderungen an Schulprogramme<br />
sowie an einer<br />
Vielzahl von Konzepten<br />
sind wirksame Maßnahmen<br />
zur Fokussierung auf den<br />
Unterricht. Wünschenswert<br />
aus Sicht der Grundschulen<br />
wären für die gegründete<br />
Arbeitsgruppe Diskussionen<br />
und auch Entscheidungen<br />
zur weiteren Reduzierung der<br />
Verwaltungsaufgaben u.a. die<br />
Verschlankung der Kompetenzzeugnisse<br />
in den Jahrgängen<br />
1 und 2 sowie eine<br />
Überarbeitung der Grundschulgutachten<br />
Klasse 6.<br />
Aus Sicht der Schulleitungen<br />
besteht weiterhin dringender<br />
Handlungsbedarf bzgl. der<br />
Hinterlegung von zahlreichen<br />
Dokumenten im ZENSOS-<br />
Portal und der Verwaltung<br />
des Schulbudgets. Kritisch<br />
sehen wir, dass pädagogisch<br />
innovative und zum Wohl<br />
der Schüler:innen nötige<br />
Projekte wir Ganztag, Flexible<br />
Schuleingangsphase und gemeinsames<br />
Lernen im Land<br />
Brandenburg nicht weiter<br />
ausgebaut <strong>werden</strong> können.<br />
Wir hoffen, dass die Schulen,<br />
die bereits in den genannten<br />
Profilbildungen arbeiten,<br />
trotzdem personell sehr gut<br />
ausgestattet <strong>werden</strong>, damit<br />
dort alle Kinder bestmöglich<br />
gefördert <strong>werden</strong> können<br />
und die Projekte nicht im<br />
Sand verlaufen und scheitern.<br />
Für den Vorstand<br />
Denise Sommer<br />
GS aktuell 167 • September 2024<br />
47
Praxis: aktuell XXXXX … aus den Landesgruppen<br />
Saarland<br />
Sonja Köhler, Landesgruppenvorsitzende,<br />
sonja.koehler@grundschulverband.saarland; www.grundschulverband.saarland<br />
Gespräch mit der Staatssekretärin<br />
zur tragfähigen<br />
Personalisierung an saarländischen<br />
Grundschulen<br />
Im Mai wurden in der saarländischen<br />
Presse über Möglichkeiten<br />
des Quereinstiegs in<br />
das <strong>Lehramt</strong>sstudium und<br />
in den Vorbereitungsdienst<br />
berichtet. Da weder aus<br />
diesen Presseberichten noch<br />
aus den vom Ministerium für<br />
Bildung und Kultur geteilten<br />
Informationen nicht hervorging,<br />
ob sich diese Pläne auch<br />
auf das Grundschullehramt<br />
bezogen, reagierten wir mit<br />
einer Stellungnahme.<br />
Unter der Überschrift „Qualität<br />
statt Schnellschuss“<br />
machten wir deutlich, dass<br />
Hier<br />
geht’s zur<br />
Stellungnahme<br />
gerade im Grundschulbereich<br />
das schulstufenspezifische<br />
Fachwissen, die schulstufenspezifische<br />
Fachdidaktik und<br />
die schulformspezifische<br />
pädagogische Expertise<br />
essenziell sind, um zwischen<br />
den Fachinhalten und den<br />
Lernvoraussetzungen, Bedürfnissen<br />
und Interessen von<br />
Kindern vermitteln zu können.<br />
In einem Gespräch mit Frau<br />
Staatssekretärin Jessica Heide<br />
wurde uns mitgeteilt, dass<br />
sich die vorgestellten Pläne<br />
lediglich auf die Lehrämter<br />
an beruflichen Schulen, der<br />
Sekundarstufe I und II und der<br />
Sonderpädagogik beziehen.<br />
Im weiteren Gesprächsverlauf<br />
konnten wir weitere Forderungen<br />
unserer Landesgruppe<br />
vorstellen und erläutern. So<br />
forderten wir u. a. eine zeitnahe<br />
Reform des Vorbereitungsdienstes<br />
und schlugen z. B.<br />
eine Modernisierung der Prüfungsordnung<br />
vor. Außerdem<br />
diskutierten wir erneut über<br />
unsere Forderungen an eine<br />
tragfähige Personalisierung<br />
saarländischer Grundschulen.<br />
Hierzu gehören unsere Erachtens<br />
Maßnahmen, um die<br />
Einstellung in den saarländischen<br />
Schuldienst für Grundschullehrer*innen<br />
attraktiver<br />
zu gestalten und das Abwandern<br />
in die benachbarten<br />
Bundesländer zu verhindern.<br />
Außerdem sollten die Anzahl<br />
der Studienplätze erhöht und<br />
die Ausbildungsphasen enger<br />
verzahnt <strong>werden</strong>.<br />
Mitgliederversammlung<br />
Am 28.5.24 fand unsere<br />
diesjährige Mitgliederversammlung<br />
statt. Nach den<br />
Berichten über aktuelle<br />
Stellungnahmen, Gespräche<br />
und Veranstaltungen, diskutierten<br />
wir ausgiebig über die<br />
Personalisierung an saarländischen<br />
Grundschulen sowie<br />
über Arbeitsbedingungen<br />
und Arbeitszeiten von Grundschullehrkräften.<br />
Sitzkreis<br />
Am 27.6.24 wurde unsere<br />
Reihe „Sitzkreis“ fortgeführt.<br />
Beim Löwenzahn-Abend an<br />
der Universität des Saarlandes<br />
wurden Folgen der Serie mit<br />
Peter Lustig (1981–2006), aber<br />
auch Folgen mit <strong>sein</strong>em Nachfolger<br />
Fritz Fuchs (2006-heute)<br />
geschaut und unter zeithistorischen,<br />
grundschulpädagogischen<br />
und fachdidaktischen<br />
Gesichtspunkten diskutiert.<br />
Besonderes Highlight:<br />
Einige Computerspiele der<br />
inzwischen eingestellten<br />
Löwenzahn-Reihe des<br />
Terzio-Verlages (1997–2004)<br />
konnten ausprobiert <strong>werden</strong><br />
und erlaubten einigen Teilnehmenden<br />
eine Reise in die<br />
eigene Kindheit und Jugend.<br />
Für die Landesgruppe: Sonja<br />
Köhler und Pascal Kihm<br />
Sachsen-Anhalt<br />
Kontakt: Thekla Mayerhofer, Am Sopienhafen 6, 06108 Halle (Saale)<br />
May_The@web.de, www.gsv-lsa.de<br />
Derzeit hängen viele unserer<br />
Landesgruppenaktivitäten<br />
mit den bildungspolitischen<br />
Entwicklungen in Sachsen-<br />
Anhalt zusammen. Dazu<br />
auszugsweise einige Berichte:<br />
Änderungen des<br />
Schulgesetzes<br />
Als Landesgruppen haben wir<br />
zu zwei geplanten Änderungen<br />
im Schulgesetz Stellung<br />
genommen. Die geplante<br />
Möglichkeit der Einschulung<br />
von Kindern mit einem sonderpädagogischen<br />
Förderschwerpunkt<br />
Lernen in eine<br />
entsprechende Förderschule<br />
haben wir scharf kritisiert, da<br />
diese Maßnahme die sozialen<br />
Ursachen von Bildungsungerechtigkeit<br />
nicht bearbeitet<br />
und stattdessen die ungünstigen<br />
Exklusionseffekte für<br />
diese Kinder noch verstärkt.<br />
Eine weitere Änderung<br />
betrifft die Eröffnung der<br />
Möglichkeit, zur Erprobung<br />
innovativer Modelle der<br />
Lehrer:innenbildung von<br />
den vorliegenden Rechtsvorschriften<br />
abzuweichen. Diese<br />
Änderung soll den Weg für<br />
einen dualen Studiengang<br />
des <strong>Lehramt</strong>s an Sekundarschulen<br />
in Magdeburg frei<br />
machen, was wir als Grundschulverband<br />
eher skeptisch<br />
betrachten. Dennoch unterstützen<br />
wir die Gesetzesänderung,<br />
da sie auch anderen,<br />
durchdachteren Modellen<br />
der Innovation im Bereich des<br />
<strong>Lehramt</strong>sstudiums, die bei<br />
uns derzeit in der Diskussion<br />
sind, Realisierungschancen<br />
einräumt.<br />
Memorandum Bildungsforum<br />
zur Sicherung eines<br />
chancengerechten Bildungsangebots<br />
Gemeinsam mit einem<br />
breiten Bündnis aus Parteien,<br />
Verbänden und Vertretungen<br />
verschiedener Professionen<br />
und auch der Elternschaft<br />
arbeiten wir an einem Memorandum<br />
zur Bildungsreform<br />
mit, das in verschiedenen<br />
Bereichen von Ausbildung<br />
und Schulgestaltung innovative<br />
und konstruktive Maßnahmen<br />
zur Bewältigung des<br />
Lehrkräftemangels anstoßen<br />
soll. Das Memorandum<br />
befindet sich derzeit in der<br />
finalen Abstimmung und soll<br />
der Bildungspolitik unseres<br />
Landes als breiter gesellschaftlicher<br />
Kompromiss<br />
vorgelegt <strong>werden</strong>.<br />
Abschlussbericht der<br />
Expertenkommission zur<br />
inhaltlichen Weiterentwicklung<br />
des Schulwesens<br />
in Sachsen-Anhalt<br />
Auch das Bildungsministerium<br />
arbeitet an einer<br />
Perspektive für die Weiterentwicklung<br />
der Schulen in<br />
Sachsen-Anhalt und hat dazu<br />
eine Expert:innenkommission<br />
zur Erarbeitung entsprechender<br />
Vorschläge eingesetzt.<br />
Der Abschlussbericht dieser<br />
seit Ende 2022 arbeiten-<br />
48<br />
GS aktuell 167 • September 2024
aktuell … aus den Landesgruppen<br />
Bremen<br />
Vorstandssprecher: Chris Barnick, c.barnick@uni-bremen.de<br />
www.grundschulverband-bremen.de<br />
Das Projekt KINDER*RECH-<br />
TE*SCHULE der Bremer<br />
Landesgruppe und des<br />
Projekts „Eine Welt in der<br />
Schule“ hat im Juni die Erprobungsphase<br />
abgeschlossen.<br />
Fünf Schulen und eine KITA<br />
haben die Materialien in ihrer<br />
Arbeit genutzt und wichtige<br />
Erfahrungen zu ihrem Einsatz<br />
gesammelt (s. den Bericht auf<br />
S. 42-44 in diesem Heft). Am<br />
13.6. wurden die Ergebnisse<br />
im „Haus der Bürgerschaft“<br />
(dem Bremer Landesparlament)<br />
vorgestellt (s. das Video<br />
zu der Veranstaltung von<br />
Anna Peplow unter https://<br />
vimeo.com/992867640). Nach<br />
einer Einführung durch die<br />
Projektleiterin Ulrike Oltmanns<br />
und einem von Rahel<br />
Rentz verlesenen Grußwort<br />
der Bürgerschaftspräsidentin<br />
Antje Grotheer eröffnete die<br />
Senatorin für Umwelt, Klima<br />
und Wissenschaft, Kathrin<br />
Moosdorf, die Veranstaltung.<br />
Sie würdigte die hohe Bedeutung<br />
der Schutz- und<br />
Beteiligungsrechte der UN-<br />
Kinderrechtskonvention von<br />
1989, vor allem im Blick auf<br />
die ökologische Verantwortung<br />
gegenüber der nachwachsenden<br />
Generation. Sie<br />
verwies darauf, dass Bremen<br />
zu den wenigen Bundesländern<br />
gehört, in denen<br />
die Kinderrechte in der<br />
Landsverfassung verankert<br />
sind. Für die Landesgruppe<br />
nannte Hans Brügelmann als<br />
zweiten Bezugspunkt des<br />
Projekts, gerade angesichts<br />
der zunnehmenden Spaltung<br />
der Gesellschaft und der<br />
Gefährdung demokratischer<br />
Umgangsformen im Alltag, die<br />
Notwendigkeit einer politischen<br />
Bildung, die sich nicht<br />
in einer abstrakten Institutionenkunde<br />
erschöpft, sondern<br />
Kindern und Jugendlichen<br />
schon frühzeitig und in ihrem<br />
Alltag ernsthafte Selbst- und<br />
Mitbestimmungserfahrungen<br />
ermöglicht. Abschließend<br />
hatten die Teilnehmer/innen<br />
Gelegenheit, die von den<br />
beteiligten Schulen und KITAs<br />
in sehr anschaulicher Weise<br />
präsentierten Ergebnisse ihrer<br />
Arbeit kennenzulernen. Den<br />
regen Erfahrungsaustausch<br />
beschloss die frühere Bundesvorsitzende<br />
Maresi Lassek<br />
mit einem Dank der Landesgruppe<br />
an alle Beteiligten und<br />
einem Ausblick auf die weitere<br />
Nutzung der Materialien<br />
(s. www.weltinderschule.<br />
uni-bremen.de/detail/<br />
kinder-rechte-schule.html ).<br />
Die nächsten Montagstermine<br />
für den „Klönschnack<br />
Lesen und Schreiben“ mit<br />
Erika Brinkmann und Hans<br />
Brügelmann sind die<br />
Montage 7.10., 4.11.<br />
und der 2.12., jeweils<br />
17:00 – 18:30 h, in der<br />
Lese- und Schreibwerkstatt<br />
(https://t1p.de/lsw-video),<br />
Admiralstr. 14 in Bremen-<br />
Findorff. Neben aktuellen<br />
Fragen aus dem Kreis der<br />
Teilnehmer/innen steht<br />
unser Konzept „Didaktische<br />
Prinzipien und methodische<br />
Bausteine eines fachlich und<br />
pädagogisch begründeten<br />
Rechtschreibunterrichts“<br />
zur Diskussion (s. https://t1p.<br />
de/RS_15_thesen).<br />
Hans Brügelmann<br />
den Kommission wurde am<br />
30.05.2024 vorgestellt, wozu<br />
auch unsere Landesgruppe eingeladen<br />
war. Der Bericht enthält<br />
erfreulicherweise viele konstruktive<br />
und sinnvolle Vorschläge,<br />
wie es im Land weitergehen<br />
kann – und diese Vorschläge<br />
zeigen viele Parallelen mit dem<br />
Memorandum des Bildungsforums.<br />
Wir sind gespannt, ob<br />
das Bildungsministerium diese<br />
aufgreifen wird, um dringend<br />
benötigte Schulentwicklungen<br />
für eine zukunftsfähige Bildung<br />
anzustoßen.<br />
Für die Landesgruppe<br />
Wolfgang Grohmann,<br />
Thekla Mayerhofer und<br />
Michael Ritter<br />
Werden Sie Mitglied im Grundschulverband!<br />
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U III
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Tel. 06102 / 88 21 660 · Fax 06102 / 88 21 664<br />
info@grundschulverband.de<br />
www.grundschulverband.de<br />
Ausblick Grundschule aktuell 168<br />
Beobachten – Staunen – Forschen:<br />
Naturwissenschaftliches Lernen in der Grundschule<br />
„Staunen ist der erste Schritt zu einer Erkenntnis.“<br />
(Louis Pasteur, französischer Chemiker und Mikrobiologe)<br />
Kinder kommen neugierig in die Schule. Beobachtungen und daraus resultierende Fragen<br />
gehören seit frühester Kindheit zu ihrer Lebens- und Lernwelt. Wie können diese Beobachtungen<br />
in Schule und Unterricht aufgegriffen und weitergeführt <strong>werden</strong>?<br />
Der Sachunterricht soll <strong>sein</strong>er doppelten Anschlussaufgabe gerecht <strong>werden</strong> und damit<br />
von Anfang an Phänomene in den Mittelpunkt der Au<strong>sein</strong>andersetzung stellen.<br />
Folgenden Fragen widmen sich die Themen- und Praxisbeiträge des Novemberheftes:<br />
• Welche Möglichkeiten gibt es, beim naturwissenschaftlichen Lernen an Beobachtungen und<br />
Erfahrungen der Kinder anzuknüpfen, und welches Fachwissen benötigen Lehrkräfte hierfür?<br />
• Welche Rolle spielen Beobachten, Staunen und Forschen im Unterricht der Grundschule?<br />
• Wie reflektieren Lehrkräfte der Grundschule persönliches Beobachten, Staunen und Forschen?<br />
www.grundschulverband.de · Februar 2024 · D9607F<br />
Grundschule aktuell<br />
Zeitschrift des Grundschulverbandes · Heft 165<br />
Die nächsten<br />
Themen<br />
Zum Thema<br />
• Kinderstärken!<br />
Kinder stärken!! Starke Kinder!!!<br />
Kinder Stärken erleben lassen<br />
Forschung<br />
• Social Entrepreneurship<br />
Education in der GS<br />
Rundschau<br />
• Frühjahrstagung des GSV<br />
am 2. März in Weimar<br />
November 2023 Februar 2024<br />
Mai 2024<br />
Heft 169 | Februar 2025<br />
Schrift und Schreiben<br />
Heft 170 | Mai 2025<br />
Bauen, Konstruieren,<br />
Programmieren<br />
Heft 171 | September 2025<br />
Kinder und Bücher im Kontext<br />
von Mehrsprachigkeit<br />
www.<br />
grundschule-aktuell.info