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Lehramt studieren, Lehrkraft werden, Lehrkraft sein

Grundschule aktuell 167

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www.grundschulverband.de · September 2024 · D9607F<br />

Grundschule aktuell<br />

Zeitschrift des Grundschulverbandes · Heft 167<br />

<strong>Lehramt</strong> <strong>studieren</strong>,<br />

<strong>Lehrkraft</strong> <strong>werden</strong>,<br />

<strong>Lehrkraft</strong> <strong>sein</strong><br />

Zum Thema<br />

(De-)Professionalisierung<br />

im Grundschullehramt<br />

Forschung<br />

Veränderung der Sprach-Fachbewusstheit<br />

angehender Sachunterrichtslehrkräfte<br />

Rundschau<br />

Ehrenmitgliedschaft<br />

für Maresi Lassek


Inhalt<br />

Tagebuch<br />

S. 2 Warum sind wir im Grundschulverband?<br />

(G. Klenk, Lernwirkstatt Inklusion)<br />

Aus dem Vorstand<br />

S. 3 Abschied (M. Gutzmann)<br />

Thema: <strong>Lehramt</strong> <strong>studieren</strong>, <strong>Lehrkraft</strong> <strong>werden</strong>,<br />

<strong>Lehrkraft</strong> <strong>sein</strong><br />

S. 6 (De-)Professionalisierung im Grundschullehramt<br />

(E. Franz)<br />

S. 9 Was Grundschullehrkräfte können, können nur<br />

Grundschullehrkräfte (M. Peschel)<br />

S. 11 Was wirkt? Die universitäre Ausbildung und<br />

Fortbildungen im DaZ-Bereich sind zentrale<br />

Stellschrauben! (S. Pohlmann-Rother, S. Lange)<br />

S. 13 Zwischen Unterstützung und Herausforderung<br />

(A. Ellersiek, B. Kottmann)<br />

Praxis: <strong>Lehramt</strong> <strong>studieren</strong><br />

S. 15 Sei du selbst die Veränderung (A. Peplow)<br />

S. 16 Inklusive Kompetenz im Studium erwerben<br />

(A. Rank)<br />

S. 18 Die inklusive Universitätsschule Köln<br />

(M. Hensel, M. Martens, A. Niessen)<br />

S. 20 UNI-Klassen: Ein Beitrag zur Professionalisierung<br />

von Studierenden des <strong>Lehramt</strong>s GS (K. Lohrmann)<br />

Praxis: <strong>Lehrkraft</strong> <strong>werden</strong><br />

S. 23 Und wofür machen wir das alles?<br />

Ein Erfahrungsbericht aus Seminaren<br />

S. 24 Wie mein persönliches Interesse meine<br />

Entwicklung als <strong>Lehrkraft</strong> begleitet ( S. Hoyer)<br />

S. 26 Augen zu und durch? Der steinige Weg vom<br />

ersten zum zweiten Staatsexamen<br />

(J. Dannich, N. Bauer)<br />

S. 28 Aber jetzt mal ehrlich: Hat man noch Freizeit im<br />

Referendariat? (H. Hußing)<br />

Praxis: <strong>Lehrkraft</strong> <strong>sein</strong><br />

S. 30 Die kollegiale Fallberatung als Interventionsmaßnahme<br />

für Lehrkräfte (M. Bauernschuster)<br />

S. 32 Schul- und Unterrichtsentwicklung begleiten und<br />

unterstützen (E. Osterhues-Bruns)<br />

S. 34 Professionelle Rahmenbedingungen<br />

von Arbeitszeit (S. Kauder)<br />

Aus der Forschung<br />

S. 35 Veränderung der Sprach-Fach-Bewusstheit<br />

angehender Sachunterrichtslehrkräfte<br />

(P. Peifer, M. Peschel)<br />

Rundschau<br />

S. 39 Aus dem Vorstand: Ehrenmitgliedschaft<br />

für Maresi Lassek<br />

S. 40 Lerninseln: Lernorte der Zukunft – auch für<br />

Grundschulkinder (M. Pallesche)<br />

S. 42 KINDER*RECHTE*SCHULE – Kinderbücher als Impuls<br />

für den Unterricht (U. Oltmanns, H. Brügelmann)<br />

Zwischen Unterstützung und Herausforderung<br />

Aus der Sicht von Grundschullehrkräften und Sonderpädagoginnen<br />

beschreiben Annchristin Ellersiek und Brigitte Kottmann<br />

die Schlüsselfunktion für künftige Lehrkräfte, die sich<br />

in der zweiten Ausbildungsphase befinden. Sie benennen<br />

Rahmenbedingungen ebenso wie berufs- und professionsspezifische<br />

und intrapersonelle Kompetenzen und belegen<br />

diese mit persönlichen Aussagen von Betroffenen. In ihrem<br />

Fazit zeigen sie auf, dass das Referendariat als intensive Phase<br />

in einer professionellen Lerngemeinschaft erlebt <strong>werden</strong> sollte,<br />

aus der im Idealfall alle Beteiligten profitieren.<br />

Impressum<br />

Seiten 13–14<br />

Der Blaue Engel – das Umweltzeichen<br />

Durch die Verwendung eines mit dem „Blauen Engel“<br />

umweltzertifizierten Papiers für unsere Fachzeitschrift<br />

„Grundschule aktuell“ ist der Grundschulverband<br />

hier von nun an berechtigt, das Umweltzeichen<br />

„Blauer Engel“ zu führen. Da uns Umwelt- und Gesundheitsschutz<br />

am Herzen liegen, wir verantwortungsvoll mit Ressourcen umgehen<br />

möchten, freuen wir uns, auf diesem Weg einen Beitrag leisten zu<br />

können.<br />

Mit besten Grüßen, Ihr Grundschulverband e. V.<br />

GRUNDSCHULE AKTUELL, die Zeitschrift des Grundschulverbandes,<br />

erscheint vierteljährlich und wird allen Mitgliedern zugestellt<br />

(ausgenommen Unterstützer:innen).<br />

Das einzelne Heft kostet 12,00 € (zzgl. Versand)<br />

ab zehn Exemplaren 9,50 € (zzgl. Versand)<br />

Verlag: Grundschulverband e. V., Frankfurt am Main<br />

Frankfurter Straße 74–76, 63263 Neu-Isenburg,<br />

Tel. 06102 8821660, Fax: 06102 8821664,<br />

www.grundschulverband.de, info@grundschulverband.de<br />

Herausgeber: der Vorstand des Grundschulverbandes<br />

Redaktion: marion.gutzmann@vs-grundschulverband.de,<br />

gabriele.klenk@grundschuleaktuell.de<br />

Fotos und Grafiken: Titelfoto/Lohrmann, Sina Ettmer Photography/<br />

Shutterstock.com (S. 40/Schloss), Anne Schaar, Kotti e. V., Berlin (S. 41/<br />

Hase), Volker Griener, Naturkundemuseum Karlsruhe (S. 41/Museum),<br />

Bruno Kelzer © Staatliche Kunsthalle Karlsruhe (S. 41/Kunsthalle)<br />

Autorinnen und Autoren (soweit nicht anders vermerkt)<br />

Herstellung: novuprint Agentur GmbH, 30175 Hannover<br />

Anzeigen: Grundschulverband e. V., Tel. 06102 8821660,<br />

info@grundschulverband.de<br />

Druck: Strube Druck & Medien GmbH, 34587 Felsberg<br />

ISSN 1860–8604 / Bestellnummer: 6111<br />

Beilage: Grandfilm GmbH<br />

In manchen Beiträgen dieser Zeitschrift bringen Autorinnen und Autoren<br />

ihr Bemühen um eine gendersensible Sprache durch be son dere schriftsprachliche<br />

Zeichen zum Ausdruck. Da es zurzeit keine allgemein anerkannte<br />

Lösung für das Problem „gendersen sibler“ (Schrift-)Sprache gibt, verwendet<br />

jede Autorin und jeder Autor ihre oder <strong>sein</strong>e bevorzugte Form.<br />

UII<br />

GS aktuell 167 • September 2024


Diesmal<br />

Sei du selbst die Veränderung<br />

In diesem Beitrag beschreibt die junge Grundschullehramtsstudentin<br />

Anna Peplow, wie sie die vergangenen fünf<br />

Jahre ihres Studiums und den Übergang auf das bevorstehende<br />

Referendariat reflektiert. Dabei zeigt sie ihren<br />

persönlichen Weg ins Studium ebenso auf wie ihre sowohl<br />

positiven als auch enttäuschenden Erfahrungen im Zusammenhang<br />

von Studium und Schulpraxis. Während dieses<br />

Prozesses erkannte sie, dass es sehr wichtig ist, nicht in<br />

Phasen von Erschöpfung und Frustration stecken zu bleiben,<br />

sondern aktiv zu <strong>werden</strong> und selbst Verantwortung<br />

zu übernehmen. Dabei sind Netzwerke und Engagement<br />

ebenso von Bedeutung wie bildungspolitische Arbeit.<br />

Anna Peplow zeigt Zukunftsperspektiven und Ziele auf und<br />

macht Mut, sich auch in dieser herausfordernden Zeit für<br />

Kinder der Grundschule zu engagieren.<br />

Noch mehr Grundschulverband?<br />

Sie finden uns auf Social Media,<br />

Stichwort „Grundschulverband“<br />

und unseren Podcast direkt<br />

auf unserer Homepage:<br />

https://grundschulverband.de<br />

Newsletter noch nicht abonniert?<br />

Mit diesem QR-Code gelangen Sie<br />

direkt zur Anmeldung:<br />

www.<br />

grundschule-aktuell.info<br />

Hier finden Sie Informationen zu „Grundschule aktuell“<br />

und hier das Archiv der Zeitschrift:<br />

www.<br />

grundschulverband.de/archiv/<br />

Seiten 15–16<br />

UNI-Klassen: Ein Beitrag zur Professionalisierung von<br />

Studierenden des <strong>Lehramt</strong>s GS<br />

Seit 2010 beschreitet z. B. der Lehrstuhl für Grundschulpädagogik<br />

und Grundschuldidaktik der Ludwig-Maximilians-Universität<br />

München innovative Wege in der Lehrer:innenbildung.<br />

Prof. Dr. Katrin Lohrmann und andere<br />

stellen UNI-Klassen als ein Erfolgsmodell der universitären<br />

Lehrer:innenbildung und Vorbild für die Initiierung weiterer<br />

UNI-Klassen an verschiedenen anderen Universitätsstandorten<br />

vor.<br />

Seiten 20–22<br />

Liebe Leser:innen,<br />

sicherlich schwingen noch die Erinnerungen an eine erholsame<br />

Sommerferienzeit mit und der Start in das neue Schuljahr<br />

kann neben den vielfältigen Herausforderungen auch<br />

Freude auf das Kommende und Neue wecken. Mit Blick auf<br />

den Schuljahresbeginn haben wir das Septemberheft der<br />

Lehrkräftebildung gewidmet. Trotz der Komplexität des Themas<br />

und der vielfältigen Herausforderungen im Ausbildungsund<br />

Berufsfeld wollen wir den Bogen über alle drei Phasen<br />

der Lehrkräftebildung spannen: <strong>Lehramt</strong> <strong>studieren</strong> – <strong>Lehrkraft</strong><br />

<strong>werden</strong> – <strong>Lehrkraft</strong> <strong>sein</strong>. Aktuelle Herausforderungen,<br />

das Belastungserleben und die berufliche Zufriedenheit,<br />

der Umgang mit Heterogenität, die Feedbackkultur und die<br />

Zusammenarbeit im Team sind einige der zentralen Aspekte.<br />

Es ist nicht nur Aufgabe der Grundschule, sondern auch<br />

eine der Gesellschaft, wenn es unter schwierigen Bedingungen<br />

darum geht, Kindern ihr Recht auf vergleichbare Bildungschancen<br />

zu sichern und eine möglichst umfassende, grundlegende<br />

Bildung zukommen zu lassen. So betont Prof. Dr. Eva-<br />

Christina Franz in ihrem einleitenden Beitrag „(De-)Professionalisierung<br />

im Grundschullehramt?“ angesichts sinkender<br />

Schüler:innenleistungen und eines gravierenden Mangels<br />

an qualifizierten Lehrkräften den hohen Stellenwert der Professionalisierung<br />

von Lehrkräften zur Verbesserung der Bildungsqualität.<br />

Sie hebt u. a. hervor, dass die Fähigkeit, Praxis<br />

kritisch zu reflektieren und weiterzuentwickeln, unerlässlich<br />

für ein gelingendes Bildungssystem ist. Dafür bietet die Universität<br />

das geeignete Umfeld, in der Raum und Zeit geschaffen<br />

<strong>werden</strong> sollten, Lehrkräfte für eine zukunftsfähige grundlegende<br />

Bildung stark zu machen.<br />

In den einzelnen Themen- und Praxisbeiträgen wird die Sicht<br />

von Studierenden, Referendar:innen, Lehrkräften, Seminarleitungen,<br />

Schulen und Hochschulen in den Blick genommen sowie<br />

die Bedeutung für die Arbeit in multiprofessionellen Teams.<br />

Wie prägend auch die Gestaltung pädagogischer Beziehungen<br />

ist, zieht sich durch alle Beiträge. Ob im Studium, im Referendariat,<br />

im schulischen Alltag: Der Wunsch nach guten Beziehungen,<br />

nach Feedback, nach gemeinsamer professioneller Weiterentwicklung<br />

wirkt sich auf die Zufriedenheit aller und die Qualität<br />

des Unterrichts aus. Die Ausrichtung an den Bildungsbedürfnissen<br />

der Kinder und die soziale Unterstützung im Team<br />

können auch Belastungen abfedern. Mit dem Beitrag zur Kollegialen<br />

Fallberatung stellt Michael Bauernschuster eine pragmatische<br />

Möglichkeit dar, mit der Lehrkräfte selbst in Belastungssituationen<br />

auf soziale Ressourcen vor Ort in ihrer Schule zurückgreifen<br />

können.<br />

Dieses Heft bietet aber auch Raum für die Würdigung ehrenamtlicher<br />

Tätigkeit im Grundschulverband. Wir möchten<br />

Edgar Bohn, Gabriele Klenk und Thomas Irion von Herzen<br />

Danke sagen für ihre Arbeit im Vorstand, ebenso Maresi<br />

Lassek – ihr wurde für ihre besonderen Verdienste um den<br />

Grundschulverband die Ehrenmitgliedschaft verliehen.<br />

Wir wünschen Ihnen, liebe Leser:innen, ein gutes neues<br />

Schuljahr und bleiben Sie auch weiterhin mit uns im Gespräch.<br />

Herzlichst<br />

Marion Gutzmann, Gabriele Klenk<br />

sowie Maresi Lassek, Hans Brügelmann und Michael Töpler<br />

GS aktuell 167 • September 2024<br />

1


Tagebuch<br />

Warum wir Mitglied im<br />

Grundschulverband sind<br />

Dr. Gerald Klenk<br />

Schulamtsdirektor a. D.,<br />

1. Vorsitzender der Lernwirkstatt<br />

Inklusion e. V.<br />

Die Lernwirkstatt Inklusion e. V. ist ein kleiner Verein mit<br />

Sitz in Feucht bei Nürnberg. Gemäß unserer Satzung richten<br />

sich unsere Ziele auf Maßnahmen zur Aus- und Fortbildung<br />

von pädagogischen Fachkräften im Sinne der<br />

UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK), Beratung<br />

für pädagogische Fachkräfte, Eltern und andere Interessierte<br />

rund um Inklusion, Öffentlichkeitsarbeit und<br />

öffentliche Veranstaltungen zur Inklusion und auf Netzwerkarbeit<br />

auf lokaler, nationaler und internationaler<br />

Ebene. Wir sehen darin viele Überschneidungen mit den<br />

Zielen und der Arbeit des Grundschulverbands als Fachverband<br />

für die Grundschule.<br />

Wenn Inklusion tatsächlich im Sinne der UN-BRK in<br />

den Schulen realisiert <strong>werden</strong> soll, bedarf es grundlegender<br />

Transformationen, wie sie auch in den Positionen des<br />

Grundschulverbandes zum Ausdruck kommen. Die fünf<br />

Forderungen, die im<br />

„Standpunkt inklusive<br />

Bildung“ des GSV<br />

formuliert sind, teilen<br />

wir uneingeschränkt<br />

und über die Grundschule<br />

hinaus. Sie sind<br />

auch aus unserer Sicht<br />

richtungsweisend für<br />

eine Schule für alle in der Zukunft und markieren – auch<br />

zusammen mit den weiteren Standpunkten zu Leistung,<br />

zur nachhaltigen Entwicklung etc. – deutlich den Weg<br />

zu notwendigen Veränderungen. Wir schätzen an diesen<br />

Positionen, dass sie frei von ideologischen Versuchungen<br />

sachlich begründete Anforderungen an eine (Grundschul-)Bildung<br />

darlegen, die leider von vielen Verantwortlichen<br />

in der Bildungspolitik und der Bildungsverwaltung<br />

ignoriert <strong>werden</strong>, wie unsere konkreten Erfahrungen in<br />

Bayern leider immer wieder zeigen.<br />

Unsere Zeit ist geprägt von riesigen Herausforderungen,<br />

die durch Kriege und Klimawandel, Abschottung und<br />

Ausgrenzungen ausgelöst <strong>werden</strong>. Die sog. künstliche Intelligenz<br />

wird uns in den kommenden Jahren und Jahrzehnten<br />

vor Entwicklungen stellen, die wir heute nicht<br />

einmal erahnen können. Die „einfachen Antworten“ aus<br />

der rechtsextremen Szene locken die Menschen in eine<br />

verheerende Falle und tragen dazu bei, unsere freiheitliche<br />

Demokratie zu zerstören. Unser Schulsystem antwortet<br />

auf all diese Probleme mit Lösungsvorschlägen aus<br />

dem letzten Jahrhundert. Echt jetzt?<br />

Für die menschenwürdige Zukunft unserer Kinder<br />

brauchen wird deshalb Verbände wie den Grundschulverband,<br />

der klar artikuliert, in welche Richtung wir denken<br />

und planen müssen. Seine Argumente sind nicht dogmatisch,<br />

sondern offen für das, was wir noch nicht kennen<br />

oder wissen. Der Grundschulverband wie die Lernwirkstatt<br />

Inklusion wollen ihren Mitgliedern Mut machen,<br />

gute Wege in die Zukunft zu finden – das verbindet uns.<br />

Janusz Korczak (1878 – 1942) gilt als Vorreiter der Kinderrechte.<br />

Sein Denkansatz, der ausnahmslos vom Kind<br />

ausgeht, ist ein wichtiges Fundament für die Arbeit in der<br />

Lernwirkstatt Inklusion, und genau darin sehen wir eine<br />

tiefe Verbindung zu den Bestrebungen und Denkweisen<br />

des Grundschulverbandes. Was liegt also näher als Mitglied<br />

im GSV zu <strong>sein</strong>?<br />

2<br />

GS aktuell 167 • September 2024


Aus dem Vorstand<br />

Zum Abschied<br />

Lieber Edgar Bohn, liebe Gabriele<br />

Klenk, lieber Thomas Irion, zur letzten<br />

Delegiertenversammlung war der Zeitpunkt<br />

gekommen, Abschied vom Vorstand<br />

zu nehmen. Wir konnten uns<br />

anfangs noch gar nicht so richtig vorstellen,<br />

wie die Vorstandsarbeit ohne euch<br />

<strong>sein</strong> wird. Ihr wart für uns immer ganz<br />

wesentliche Ideen- und Ratgeber:innen.<br />

Als ihr euch 2020 zur Wahl gestellt<br />

habt, war dies genau in einer Zeit, die bereits<br />

von den Einflüssen der Pandemie geprägt<br />

war. Eine eurer ersten Amtshandlungen<br />

war die Positionierung zum Recht<br />

auf Bildung von Grundschulkindern sowie<br />

die Bereitstellung von Anregungen und<br />

Unterstützungsangeboten für Lehrkräfte,<br />

die vor einer völlig unvorhergesehenen<br />

und unbekannten Herausforderung standen.<br />

Unter anderem mit der Pressemitteilung<br />

„Grundschule in der Zeit der Corona-Pandemie<br />

– Präsenzunterricht möglichst<br />

für alle Kinder beibehalten“ habt ihr<br />

Geschichte geschrieben. Letztendlich gibt<br />

heute auch die Bildungspolitik den damaligen<br />

Forderungen des Verbandes recht.<br />

Dennoch waren und sind die Kinder, Eltern<br />

und Pädagog:innen dieser Zeit diejenigen,<br />

die eine ungeahnte Hauptlast getragen<br />

haben und auf deren Kosten Schulen<br />

viel zu lange geschlossen blieben.<br />

Gemeinsam mit den Landesgruppen<br />

wurde im Herbst 2020 die Arbeit von<br />

sechs Strategiegruppen initiiert, um eine<br />

zukunftsfähige Verbandsarbeit zu gestalten.<br />

So wurde in dieser Zeit der Newsletter<br />

neu aufgelegt, der inzwischen eine<br />

gewachsene Zahl von Interessierten erreicht.<br />

Die Social-Media-Gruppe postet<br />

regelmäßig zu einer Vielzahl von Bundes-<br />

und Länderaktivitäten. Grundschule<br />

aktuell zeigt sich mit einem moderneren<br />

„Gesicht“ und wird von einem Redaktionsteam<br />

betreut – in jeder Ausgabe finden<br />

sich neben den Beiträgen zum Thema<br />

vor allem Praxisbeiträge aus den verschiedensten<br />

Landesgruppen, die sich aktiver<br />

an der Mitgestaltung der Zeitschrift<br />

beteiligen. Schaut man auf die Website<br />

unseres Verbandes, so lädt ein länderübergreifender<br />

Veranstaltungskalender<br />

ein, vielleicht einmal beim Klönschnack<br />

im Norden, bei der Happy Hour in Bayern<br />

oder beim Pädagogischen Frühstück<br />

in NRW dabei zu <strong>sein</strong>. Auch der 1. Juni<br />

2022 bleibt unvergessen – mit einer starken<br />

Positionierung für das Kinderrecht<br />

auf Bildung startete eine bundesweite<br />

Kampagne des Grundschulverbandes für<br />

eine zukunftsfähige Grundschule, begleitet<br />

von vielen Aktionen in den einzelnen<br />

Landesgruppen. Als ein Höhepunkt eurer<br />

Vorstandsarbeit ist auch die erfolgreiche<br />

Frühjahrstagung in Weimar im März<br />

dieses Jahres in Zusammenarbeit mit<br />

der Thüringer Landesgruppe zu nennen:<br />

„KINDER.LERNEN.ZUKUNFT.JETZT!<br />

2.0 – Herausforderungen und Perspektiven“.<br />

Nicht nur mit diesem Motto habt ihr<br />

an den letzten Bundeskongress von 2019<br />

angeschlossen, sondern auch die Anforderungen<br />

an eine zukunftsfähige Grundschule<br />

auf den Prüfstand gestellt.<br />

Euer unermüdlicher Einsatz für den<br />

Grundschulverband und damit für das,<br />

was euch wichtig ist, nämlich die Zukunft<br />

der Kinder in einer zukunftsfähigen<br />

Grundschule, haben uns beeindruckt und<br />

beeinflusst – so habt ihr letztendlich ein<br />

großes Vertrauen in uns gesetzt und uns<br />

für die Mitarbeit im neuen Vorstand gewonnen.<br />

Zum Glück seid ihr für uns nicht<br />

aus der Welt, die Türen im Grundschulverband<br />

<strong>werden</strong> immer für euch offen <strong>sein</strong>.<br />

Für den Vorstand<br />

Marion, Eva, Andrea,<br />

Stanzi, Svenja und Maxi<br />

Danke, lieber Edgar!<br />

„Kein Kind zurücklassen, keines<br />

beschämen und dabei die geltenden<br />

Rahmenbedingungen niemals<br />

einfach so hinnehmen“ – so könnte<br />

man dich beschreiben. Schon als<br />

Schulleiter einer Freiburger Brennpunktschule<br />

hast du dich mit Tatkraft<br />

und vor allem politischem Geschick<br />

dadurch ausgezeichnet, dass du nicht<br />

zufriedenstellende Dinge angegangen<br />

und verändert hast. Sei es ein Schulhof,<br />

der mit dem gesamten Kollegium<br />

umgestaltet wurde, oder die Bedeutung<br />

der Arbeit im Grundschulverband auf<br />

Landesebene. Du bist ein Macher, der<br />

gern auch mal neue Wege einschlägt<br />

und nicht nur bei der Ausgabe des<br />

Schulessens in der Pandemie unkonventionelle,<br />

aber stets regelkonforme<br />

Lösungen entwickelt hat. In einer<br />

Umgebung, die oft mit besonderen<br />

Herausforderungen konfrontiert war,<br />

hast du stets dafür gesorgt,<br />

dass deine Schülerinnen<br />

und Schüler nicht nur eine<br />

qualitativ hochwertige Bildung<br />

erhalten, sondern<br />

auch in einem sicheren und<br />

unterstützenden Umfeld lernen<br />

können.<br />

Diese Erfahrungen konntest<br />

du in die Arbeit der Landesgruppe<br />

Baden-Württemberg<br />

einbringen: Gemeinsam<br />

habt ihr u. a. neue Formate wie<br />

das Couchsurfing eingeführt.<br />

Du hast maßgeblich dazu beigetragen,<br />

dass sich neue Mitglieder angenommen<br />

und willkommen fühlten. Auch<br />

bildungspolitisch konnte man auf deine<br />

Präsenz zählen: Unermüdlich hast du Gespräche<br />

mit der Landesregierung geführt,<br />

Ärger heruntergeschluckt und aufs Neue<br />

debattiert. Dir ist es zu verdanken, dass der<br />

„Kein Kind zurücklassen,<br />

keines<br />

beschämen und<br />

dabei die geltenden<br />

Rahmenbedingungen<br />

niemals<br />

einfach so<br />

hinnehmen.“<br />

Grundschulverband in Baden-<br />

Württemberg immer mehr<br />

Gehör findet und bei Veranstaltungen<br />

der Kultusverwaltung<br />

und anderen Partnern<br />

miteinbezogen wird. Regelmäßig<br />

hast du die Landesgruppe<br />

an runden Tischen in Stuttgart<br />

vertreten, hast nicht gezögert,<br />

bei kritischen Themen den<br />

Referenten der Kultusministerin<br />

direkt anzurufen und den<br />

Grundschulverband zu einem<br />

gleichwertigen Partner bei der<br />

Lehrer:innenweiterbildung gemacht.<br />

So warst du selbst aktiv im Organisationskomitee<br />

und auf dem Podium<br />

des Demokratietags Baden-Württemberg<br />

dabei.<br />

Vor vier Jahren hast du völlig ohne<br />

Vorerfahrung als Delegierter oder<br />

Fachreferent den Vorstandsvorsitz<br />

GS aktuell 167 • September 2024<br />

3


Aus dem Vorstand<br />

des Grundschulverbands in einer Zeit<br />

übernommen, in der sich viele Menschen<br />

in ihren Wohnungen verkrochen<br />

haben, Kontakte gemieden, Zukunftsängste<br />

entwickelt haben – dafür verdienst<br />

du unseren besonderen Dank.<br />

Den Haushalt konsolidieren, den Verband<br />

stabilisieren – das waren einige<br />

deiner Anliegen, denen du als Vorsitzender<br />

in der Vorstandsarbeit aktiv begegnet<br />

bist. Dir war es von Anfang an<br />

wichtig, viele Menschen zusammenzubringen,<br />

zu beteiligen und mitzunehmen.<br />

Konsequent hast du die Bildung<br />

von Strategiegruppen angeregt, auf Ergebnisse<br />

hingearbeitet und die Weiterentwicklung<br />

des Grundschulverbands<br />

vorangetrieben. Deine Arbeit zeichnete<br />

sich sowohl durch Prozessplanung und<br />

Evaluation als auch durch Optimismus<br />

und Vertrauen in andere aus. In allen<br />

Gesprächen hast du besonderen Wert<br />

auf aktives Zuhören, das Wahrnehmen<br />

unterschiedlicher Bedürfnisse und eine<br />

verständliche Kommunikation gelegt.<br />

Dabei konntest du beharrlich bleiben<br />

und Dinge auch durchsetzen.<br />

Als Vorsitzender des Grundschulverbands<br />

hast du auch das Projekt Eine Welt<br />

in der Schule begleitet. Eine Reise nach<br />

Bremen veränderte deinen Blick auf die<br />

Aktivitäten des Projektes, der daraufhin<br />

gebildete Beirat wird nun weiterhin<br />

die Arbeit unterstützen. Sicherlich war<br />

die Einladung zum Bundespräsidenten<br />

Frank-Walter Steinmeier ins Schloss<br />

Bellevue im letzten Sommer ein Highlight,<br />

konntest du dich dort auch mit<br />

anderen zu wichtigen Positionen und<br />

Werten des Grundschulverbandes austauschen.<br />

Gut, dass du dem Grundschulverband<br />

als Landesvorsitzender in Baden-<br />

Württemberg weiterhin erhalten und<br />

im Kontext der vielfältigen bildungspolitischen<br />

Diskussionen und Gespräche<br />

weiterhin präsent bleibst. Wir freuen<br />

uns auf viele weitere Jahre mit dir an<br />

unserer Seite – wenn auch in anderer<br />

Funktion.<br />

Vielen Dank dafür, lieber Edgar!<br />

„Was brauchen<br />

die Kinder für ihr<br />

Lernen?“<br />

Danke, liebe Gabi!<br />

Für viele von uns ist dein<br />

Leitsatz „Was brauchen<br />

die Kinder für ihr Lernen?“<br />

maßgeblich für all<br />

deine berufliche Arbeit<br />

und dein Engagement im<br />

Grundschulverband. Immer<br />

denkst du vom Kind aus,<br />

für jedes einzelne Kind, und<br />

siehst uns Erwachsene in der<br />

Pflicht, allen Kindern beste Chancen<br />

für ihr weiteres Leben zu ermöglichen.<br />

Das leitet dich bei allen Fragen wie<br />

z. B.: „Wie viel Digitalisierung braucht<br />

Schule?“, „Wie gelingt Inklusion in<br />

der Schule?“, „Wie sieht gelingendes<br />

Lernen in der Grundschule aus?“. Als<br />

langjährige Rektorin der Grundschule<br />

Stein konntest du gemeinsam mit<br />

deinem Kollegium viele neue Wege<br />

gehen und mit den Kindern und deinem<br />

Pädagog:innenteam eine Schule<br />

schaffen, in der sie sich wohlfühlen,<br />

gern miteinander lernen und leben.<br />

Selbst nach deiner Pensionierung hast<br />

du während der Sommerferien vielen<br />

Kindern beim Aufholen nach Corona<br />

geholfen.<br />

Aus eigenem Engagement heraus<br />

hast du die Bildung von regionalen<br />

Landesgruppen in Bayern angeregt,<br />

selbst die Gruppe Mittelfranken mitgegründet<br />

und geleitet. Seit vielen Jahren<br />

bist du auch Vorsitzende der Landesgruppe<br />

Bayern. Der Grundschulverband<br />

in Bayern ist dank deines Engagements<br />

ein wichtiger Austauschpartner<br />

für Gesprächsrunden<br />

mit dem Kultusministerium<br />

geworden und zeichnet auch<br />

für die langjährige sehr gute<br />

Zusammenarbeit mit der<br />

Grundschulreferentin verantwortlich.<br />

Nach wie vor zögerst<br />

du auch nicht, deine Meinung<br />

im Landesschulbeirat oder im<br />

Forum Bildungspolitik kundzutun<br />

und dich für eine kindgerechte<br />

Grundschule auf Landes- und Bundesebene<br />

einzusetzen. Auch für den<br />

Austausch zu bedeutenden Fragen der<br />

Grundschulpädagogik hast du dich stets<br />

eingebracht und u. a. das neue Onlineformat<br />

der Happy Hour etabliert. Gemeinsam<br />

im Landesvorstand plant ihr<br />

diese regelmäßige Stunde insbesondere<br />

zum Gespräch über das Thema der aktuell<br />

erschienenen Zeitschrift Grundschule<br />

aktuell und bringt länderübergreifend<br />

Teilnehmer:innen und Autor:innen in<br />

einen lebendigen Austausch.<br />

Zahlreiche Veröffentlichungen zur<br />

Lern- und Leistungskultur, u. a. mit Beiträgen<br />

zur pädagogischen Leistungskultur<br />

in der Reihe der Bände zur Reform<br />

der Grundschule, bei der Mitarbeit am<br />

Standpunkt „Die Lern- und Leistungsentwicklung<br />

jedes einzelnen Kindes begleiten,<br />

unterstützen und würdigen“<br />

oder die in bayerischen Grundschulen<br />

etablierten Lern- und Entwicklungsgespräche<br />

tragen deine Handschrift.<br />

In einer Pressemitteilung der Landesgruppe<br />

ist – auch hier konsequent von<br />

den Ansprüchen der Kinder her gedacht<br />

– zu lesen: „Das Recht auf Beschreibung<br />

des Lernfortschrittes für jedes<br />

Kind steht vor der Sorge der ‚hohen<br />

Arbeitsbelastung‘ von Lehrkräften“.<br />

Sehr verbunden bist du auch dem Thema<br />

Mathematik. So hast du dich dafür<br />

engagiert, dass das Fachreferat „Mathematisches<br />

Lernen im Kontext von Heterogenität“<br />

eingerichtet und Uta Häsel-Weide<br />

und Marcus Nührenbörger<br />

als Fachreferent:innen gewonnen <strong>werden</strong><br />

konnten. Der Neustart der Onlinefortbildungsreihe<br />

mit acht Veranstaltungen<br />

zum Thema „Ablösung vom<br />

zählenden Rechnen“ ist deinem Engagement<br />

und deiner Leitung zu verdanken<br />

– auch diese Veranstaltung findet<br />

länderübergreifend Beachtung.<br />

Mittendrin und immer mit einer Portion<br />

Selbstironie für dein bayerisches<br />

Herkunftsland hast du im Grundschulverband<br />

für Verständigung sowohl zwischen<br />

Nord, Ost, West und Süd als auch<br />

zwischen den Gremien gestanden. Deine<br />

große Aufmerksamkeit galt der Zusammenarbeit<br />

der Landesgruppen und<br />

dem regelmäßigen Austausch untereinander,<br />

insbesondere im Rahmen der<br />

Delegiertenversammlung. In der Zusammenarbeit<br />

mit dir haben wir deine<br />

ehrliche, offene, immer wertschätzende<br />

Art und kritische Positionierung sehr<br />

schätzen gelernt. Du schaust genau hin,<br />

fragst nach, hinterfragst, und auch dann,<br />

wenn wir glaubten, alles sei fertig oder<br />

4 GS aktuell 167 • September 2024


Aus dem Vorstand<br />

gesagt, hast du nochmals überlegt. Diese<br />

Genauigkeit und die Dinge auf den<br />

Punkt zu bringen, faszinieren uns sehr.<br />

Dein inspirierendes Motto „Einfach anfangen“<br />

hat uns Mut gemacht und deine<br />

Begeisterung und positive Herangehensweise,<br />

die sich nicht in Problemen<br />

verliert, sondern stets Lösungen sucht,<br />

hat gezeigt, wie wir Herausforderungen<br />

professionell und durchdacht begegnen<br />

können.<br />

Du hast der Mitarbeit im Bundesvorstand<br />

Adieu gesagt, aber nicht deinem<br />

Grundschulverband, denn die Redaktion<br />

von Grundschule aktuell liegt weiterhin<br />

auch in deinen Händen. Wie gut!<br />

Ohne deine akribische Arbeit, ohne die<br />

vielen Stunden der redaktionellen Abstimmung<br />

und ohne die kritisch-reflektierte<br />

Sicht auf aktuelle Grundschulfragen<br />

wäre die Zeitschrift nicht das,<br />

was sie heute ist. Auch hier gibst du<br />

den Landesgruppen eine Stimme und<br />

bringst deine schier unerschöpfliche<br />

Ideenvielfalt ein.<br />

Wir sagen nicht Adieu, sondern erfreuen<br />

uns weiterhin an deiner Begeisterung,<br />

Themen aufzugreifen und voranzutreiben.<br />

Vielen Dank dafür, liebe Gabi!<br />

Vielen Dank, lieber Thomas!<br />

Nachdem sich nach deiner Wahl in den<br />

Vorstand 2020 die Strategiegruppen<br />

bildeten, hast du dich mit deiner Fachkenntnis,<br />

Leidenschaft und Innovation<br />

dem Thema der Digitalität und<br />

der Positionierung des Grundschulverbandes<br />

auch im Rahmen der strategischen<br />

Arbeit angenommen. Maßgeblich<br />

hast du den Relaunch der Bundes-<br />

Website vorangetrieben und die Social-<br />

Media-AG mit deiner Kompetenz weit<br />

nach vorn gebracht. Mit deinem Knowhow<br />

hast du uns gezeigt, wie wir digitale<br />

Tools und Plattformen für eine effiziente<br />

Arbeit nutzen können, um noch näher<br />

an unseren Mitgliedern zu <strong>sein</strong>. Immer<br />

den „Return on Invest“ mitzudenken,<br />

das war dir wichtig. Deine Visionen und<br />

Weitsicht haben unsere digitale Präsenz<br />

und Social-Media-Aktivitäten auf<br />

ein neues Niveau gehoben. Unter deiner<br />

Mitwirkung haben wir es geschafft,<br />

unsere Botschaften klar und wirkungsvoll<br />

zu kommunizieren und die Sichtbarkeit<br />

des Grundschulverbandes als<br />

eines weltoffenen, innovativen und<br />

modernen Verbands zu steigern. Danke,<br />

lieber Thomas, dass du trotz deines<br />

Rückzugs aus dem Vorstand noch weiter<br />

die Arbeit in diesen beiden Arbeitsgruppen<br />

unterstützen wirst.<br />

Für den Themenbereich Digitale<br />

Grundbildung hast du dich in den<br />

letzten zehn Jahren im Grundschulverband<br />

als Fachreferent von 2016 bis<br />

2020 und als Vorstandsmitglied stark<br />

engagiert. Du hast uns in diesem Bereich<br />

mit viel Wissen und Aufklärung<br />

bereichert und den Verband „marketingtechnisch“<br />

aus dem Dornröschenschlaf<br />

geweckt. Auf der Grundlage<br />

dieses Engagements konnten in<br />

den letzten Jahren verschiedene<br />

Positionspapiere, Pressemitteilungen,<br />

aber auch<br />

Theorie-Praxis-Publikationen<br />

initiiert <strong>werden</strong>, die<br />

zur Profilierung des Grundschulverbandes<br />

sehr beigetragen<br />

haben.<br />

Mit deinen Veröffentlichungen<br />

und deinem Wirken als<br />

Autor, Herausgeber und Reihenherausgeber<br />

in der Reihe der Bände zur Reform<br />

der Grundschule, u. a. Band 155 „Grundschule<br />

und Digitalität“ (2023), Band 140<br />

„Neue Medien in der Grundschule 2.0“<br />

(2016) sowie bei der Erstellung und der<br />

Verabschiedung des Standpunktes Medienbildung<br />

„Grundschulkinder bei der<br />

Mediennutzung begleiten und innovative<br />

Lernpotenziale in der Grundschule<br />

nutzen“ haben wir deine Expertise in Sachen<br />

Digitalität und dich als Person und<br />

als Fachmann kennen- und sehr schätzen<br />

gelernt. Vielen von uns, die sich dem<br />

Thema Digitalität zuvor noch mit Skepsis<br />

genähert haben, hast du die Augen<br />

geöffnet und einen differenzierteren und<br />

informierteren Blick auf das Thema ermöglicht.<br />

Wichtig war dir dabei immer,<br />

für die Grundschule eine „Grundbildung<br />

in der Digitalität“ einzufordern, die<br />

durch die vier Säulen Reflexion, Analyse,<br />

Nutzung und Gestaltung in Zusammenhang<br />

mit digitalen Medien gekennzeichnet<br />

ist. Du hast gefordert, dass für<br />

die Grundschule ein eigenständiges medienpädagogisches<br />

Konzept entwickelt<br />

<strong>werden</strong> muss und gleichzeitig die Bedeutung<br />

lebensweltlicher und ganzheitlicher<br />

Erfahrungen in Natur und Kultur<br />

keineswegs zu vernachlässigen sind.<br />

Obwohl dich deine berufliche Tätigkeit<br />

als Direktor des Zentrums für Medienbildung,<br />

Abteilung Erziehungswissenschaft<br />

/ Grundschulpädagogik,<br />

an der Pädagogischen<br />

Hochschule<br />

Schwäbisch Gmünd sehr<br />

fordert, hast du den Verband<br />

auch aktuell mit deiner großen<br />

Expertise in Sachen Digitalität<br />

„Return<br />

vorangebracht. So konnten wir<br />

on Invest“<br />

mit deiner Unterstützung eine<br />

Stellungnahme zu den KMK-Handlungsempfehlungen<br />

zum Umgang mit<br />

künstlicher Intelligenz an Schulen abgeben,<br />

deine Rückmeldung zum Digitalpaket<br />

in der Schule wurde von Meinungsbarometer.info<br />

als Debattenbeitrag<br />

veröffentlicht. Interessant sind viele<br />

Veranstaltungen oder Projekte, die du<br />

initiierst und mit denen du sowohl primarspezifisch<br />

als auch medienpädagogisch<br />

Impulse für digitale Bildung in der<br />

Grundschule setzt.<br />

Zwischenmenschlich haben wir dich<br />

als Kollegen auf Augenhöhe und als<br />

wertschätzenden, interessierten Gesprächspartner<br />

erlebt, der auch Meinungen<br />

und Emotionen anderer jederzeit<br />

wahrnehmen konnte. In vielen Diskussionen<br />

hast du geeignete Worte gefunden.<br />

Als Vorstandsmitglied hast du<br />

Ideen, Gedanken und auch Kritik aus<br />

der Delegiertenversammlung aufgenommen<br />

und dich für eine weitere Au<strong>sein</strong>andersetzung<br />

damit eingesetzt. Offene<br />

Worte, Ehrlichkeit in Diskussionen<br />

und unterhaltsame Zugreisen dürfen<br />

wir in unserem Gedächtnis bewahren.<br />

Große, sehr große Fußstapfen hast<br />

du im Grundschulverband gesetzt,<br />

sie fortzusetzen, wird die Aufgabe der<br />

nächsten Jahre <strong>sein</strong>.<br />

Danke, lieber Thomas!<br />

GS aktuell 167 • September 2024<br />

5


Thema: <strong>Lehramt</strong> <strong>studieren</strong>, <strong>Lehrkraft</strong> <strong>werden</strong>, <strong>Lehrkraft</strong> <strong>sein</strong><br />

Eva-Kristina Franz<br />

(De-)Professionalisierung<br />

im Grundschullehramt?<br />

Warum eine Verkürzung der Lehrer:innenbildung<br />

eventuell „zu kurz“ greift<br />

Aufgabe der Grundschule ist es, allen Kindern eine möglichst umfassende, grundlegende<br />

Bildung zukommen zu lassen. Aktuelle Studien zeigen jedoch, dass viele<br />

Viertklässler:innen die Mindeststandards in Sprache und Mathematik nicht erreichen.<br />

Dies verdeutlicht, dass die Grundschule unter den aktuellen Bedingungen<br />

ihrem Bildungsauftrag nicht gerecht <strong>werden</strong> kann. Der akute Lehrkräftemangel<br />

verschärft die Situation und wird voraussichtlich bis 2035 andauern. Zur Kompensation<br />

<strong>werden</strong> Quer- und Seiteneinsteiger:innen eingesetzt, deren Nachqualifizierungsprogramme<br />

stark variieren und oft unzureichend sind. Die Zugangsvoraussetzungen<br />

reichen von einem Masterabschluss in einem Mangelfach bis zu<br />

zweijähriger Berufserfahrung, und die Nachqualifizierung umfasst alles von vierwöchigen<br />

Kompaktkursen bis zu vollständigen Referendariaten. Der Einsatz von<br />

Studierenden ohne <strong>Lehramt</strong>sabschluss verschärft die Problematik zusätzlich.<br />

Zusammenfassend muss also eine<br />

doppelte Herausforderung für die<br />

Grundschulen in Deutschland<br />

festgehalten <strong>werden</strong>: sinkende<br />

Schüler:innenleistungen und ein gravierender<br />

Mangel an qualifizierten Lehrkräften.<br />

Wie aber kann hierbei diese<br />

Professionalisierung gelingen? Was<br />

bedarf es dafür? Zunächst gilt es zu klären,<br />

was eigentlich grundlegende Bildung<br />

im 21. Jahrhundert ist.<br />

Grundlegende Bildung<br />

im 21. Jahrhundert<br />

Grundlegende Bildung umfasst die Vermittlung<br />

von essenziellen Fähigkeiten,<br />

Kenntnissen und Werten, die notwendig<br />

sind, um ein selbstbestimmtes Leben zu<br />

führen und aktiv an der Gesellschaft<br />

teilzunehmen. Dabei denken die meisten<br />

Menschen zunächst an Lesen und<br />

Schreiben sowie an mathematische<br />

Grundkenntnisse wie die Beherrschung<br />

grundlegender mathematischer Operationen<br />

und Konzepte. Aber auch<br />

die Fähigkeit, Probleme zu lösen<br />

und logisch zu denken, gehört ebenso<br />

zur grundlegenden Bildung wie die<br />

Beherrschung der eigenen und fremder<br />

Sprachen, um sich präzise ausdrücken<br />

zu können und Kommunikationsfähigkeiten<br />

zu erwerben.<br />

Was aber ist mit grundlegendem Können<br />

und Wissen über die Welt wie der<br />

Entwicklung eines reflektierten Geschichtsbewusst<strong>sein</strong>s,<br />

der Demokratiebildung<br />

und dem politischen Lernen,<br />

der scientific literacy, der ästhetischen<br />

und der kulturellen Bildung? Wo finden<br />

kritisches Denken und Problemlösungsfähigkeiten<br />

ihren Platz? Wo gibt es<br />

Raum, ethische Fragen zu diskutieren?<br />

Grundlegende Bildung legt den<br />

Grundstein für die weitere schulische<br />

und berufliche Bildung und ist entscheidend<br />

für das individuelle lebenslange<br />

Lernen sowie die gesellschaftliche Verantwortungsübernahme.<br />

Grundlegende<br />

Bildung zielt darauf ab, alle Kinder mit<br />

den notwendigen Fähigkeiten und Kompetenzen<br />

auszustatten, um erfolgreich<br />

und verantwortungsvoll in einer komplexen<br />

und sich ständig verändernden<br />

Welt zu agieren.<br />

Um grundlegende Bildung in allerletzter<br />

Konsequenz also zu definieren,<br />

müssen wir heute abschätzen können,<br />

was Kinder in 10, 20, 30 oder 40 Jahren<br />

benötigen. Das ist allerdings schier unmöglich,<br />

denn „Prognosen sind schwierig,<br />

besonders, wenn sie die Zukunft betreffen“<br />

(Mark Twain).<br />

Ein im Jahr 2020 durch Klimawandel<br />

und Pandemie entstandenes Weltbild<br />

kann hier ggf. weiterhelfen.<br />

Lehren und Lernen in<br />

der BANI-World<br />

Die BANI-World (vgl. dazu u. a. Bogatko<br />

& Yakhnovets, 2023) ist ein Konzept,<br />

das unsere aktuelle Zeit beschreibt<br />

und auf die Herausforderungen eingeht,<br />

die durch die zunehmende Komplexität<br />

und Unsicherheit unserer Welt entstehen.<br />

Der Begriff BANI steht für Brittle<br />

(brüchig), Anxious (ängstlich), Nonlinear<br />

(nicht linear) und Incomprehensible<br />

(unverständlich). Diese vier Begriffe<br />

erfassen die wesentlichen Merkmale der<br />

modernen Welt:<br />

Brittle (brüchig) bezeichnet das Phänomen,<br />

dass Systeme und Strukturen, die<br />

früher stabil erschienen, zunehmend<br />

anfällig für Zusammenbrüche <strong>werden</strong>. Ein<br />

kleines Problem kann unvorhersehbare<br />

und weitreichende Auswirkungen haben.<br />

Anxious (ängstlich) markiert die<br />

Unsicherheit und die Unvorhersehbarkeit,<br />

welche zu weit verbreiteter Angst und<br />

Stress in der Bevölkerung führen, da die<br />

Zukunft immer schwerer vorhersehbar ist.<br />

Nonlinear (nicht linear) macht deutlich,<br />

dass Entwicklungen und Veränderungen<br />

nicht mehr linear verlaufen,<br />

sondern oft unvorhersehbaren Mustern<br />

folgen, die plötzliche und drastische<br />

Wendungen nehmen können.<br />

Incomprehensible (unverständlich)<br />

macht auf die Komplexität der Welt aufmerksam,<br />

deren Fülle an Informationen<br />

es schwierig macht, alles zu verstehen<br />

und klare Entscheidungen zu treffen.<br />

In der BANI-World sind Flexibilität,<br />

Resilienz und kontinuierliches Lernen<br />

entscheidend, um erfolgreich mit den<br />

Herausforderungen umzugehen. Es gilt,<br />

sich anzupassen, innovativ zu denken<br />

und bereit zu <strong>sein</strong>, auf unerwartete Veränderungen<br />

zu reagieren.<br />

Grundlegende Bildung im 21. Jahrhundert<br />

scheint daher eine komplexe<br />

6 GS aktuell 167 • September 2024


Thema: <strong>Lehramt</strong> <strong>studieren</strong>, <strong>Lehrkraft</strong> <strong>werden</strong>, <strong>Lehrkraft</strong> <strong>sein</strong><br />

Eva-Kristina Franz<br />

ist Professorin für Grundschulforschung<br />

und Pädagogik der Primarstufe an der<br />

Universität Trier und im Bundesvorstand<br />

des Grundschulverbands. Ihr Forschungsinteresse<br />

gilt Fragen der Grundschullehrer:innenbildung,<br />

insbesondere<br />

der Genese und Entwicklung adaptiver<br />

Lehrkompetenz. Dabei fokussiert sie<br />

vor allem sachliche und sprachliche<br />

Adaptivität im (sozialwissenschaftlichen)<br />

Sachunterricht der Grundschule.<br />

– wenngleich nicht unlösbare – Aufgabe<br />

zu <strong>sein</strong>. Das Center for Curriculum<br />

Redesign (CCR), eine unabhängige, unparteiische,<br />

internationale Organisation,<br />

hat in <strong>sein</strong>em 2015 veröffentlichten Framework<br />

vier Dimensionen der Bildung<br />

zusammengetragen: Wissen, Kompetenzen<br />

oder Skills, Charakter und Metalernen<br />

(vgl. dazu u. a. Fadel et al. 2017).<br />

Kompetenzen<br />

(=„21 st Century Skills“)<br />

„Wie wir nutzen,<br />

was wir wissen“<br />

Kreativität<br />

Kritisches Denken<br />

Kommunikation<br />

Kollaboration<br />

CCR-Framework<br />

Quelle: Center for Curriculum Redesign<br />

Wissen<br />

„Was wir wissen“<br />

Fächerübergreifend<br />

Traditionell (z. B. Mathematik)<br />

Modern (z. B. Entrepreneurship)<br />

Querschnittsthemen (z. B. globale Kompetenz)<br />

Lernen<br />

im 21. Jhdt.<br />

Metalernen<br />

„Wie wir reflektieren und uns anpassen“<br />

Dynamisches Selbstbild<br />

Metakognition<br />

Das klassische Wissen gilt in der aktuellen<br />

Debatte häufig als überholt. „Wir<br />

ertrinken in Wissen und dürsten nach<br />

Einsicht. Die Welt der Zukunft wird von<br />

Synthetisieren beherrscht <strong>werden</strong>, von<br />

Menschen, die in der Lage sind, sich die<br />

richtigen Informationen zur richtigen<br />

Zeit und mit den richtigen Mitteln zu<br />

beschaffen, sie kritisch zu überdenken<br />

und dann einsichtige Entscheidungen zu<br />

treffen“ (Edward O. Wilson). Dennoch<br />

bedarf es für eine grundlegende Bildung<br />

im 21. Jahrhundert traditionellen und<br />

modernen Wissens, welches sich auch<br />

Querschnittsthemen öffnet. Die Frage<br />

des Wissens lässt sich oftmals auch nur<br />

fächerübergreifend beantworten.<br />

Um dieses Wissen dann auch sinnvoll<br />

nutzen zu können, bedarf es der eigentlichen<br />

21st Century Skills, die sich im<br />

4-K-Modell zusammenfassen lassen:<br />

Kreativität, kritisches Denken, Kommunikation<br />

und Kollaboration.<br />

Um sich in einer BANI-Welt zurechtzufinden,<br />

müssen junge Menschen sich<br />

mit der Frage des eigenen Handelns und<br />

Verhaltens au<strong>sein</strong>andersetzen: Themen<br />

wie Achtsamkeit, Neugier, Mut, die oben<br />

bereits angeführte Resilienz, Ethik oder<br />

Fragen des Leaderships sind absolut<br />

bedeutsam, um ein gesundes Leben<br />

meistern zu können.<br />

Charakter<br />

„Wie wir uns in der Welt<br />

verhalten und handeln“<br />

Achtsamkeit<br />

Neugier<br />

Mut<br />

Resilienz<br />

Ethik<br />

Leadership<br />

Auf Ebene des Metalernens kommt<br />

dann noch die Frage dazu, wie wir uns<br />

anpassen und reflektieren, denn ein dynamisches<br />

Selbstbild und metakognitive<br />

Kompetenzen komplettieren die Synopse<br />

an zukunftsfähigen Curricula.<br />

Diese vier Dimensionen sind zentral,<br />

um Schüler:innen und Studierende auf<br />

die Anforderungen des 21. Jahrhunderts<br />

vorzubereiten. Sie spiegeln die Notwendigkeit<br />

wider, nicht nur fachliche Kenntnisse<br />

zu erwerben, sondern auch übergreifende<br />

Kompetenzen zu entwickeln,<br />

die in einer zunehmend komplexen und<br />

vernetzten Welt entscheidend sind.<br />

Professionalisierung für eine<br />

zukunftsfähige Grundschule<br />

Die Grundschulen in Deutschland stehen<br />

also neben sinkenden Schüler:innenleistungen<br />

und einem gravierenden<br />

Mangel an qualifizierten Lehrkräften<br />

vor der Herausforderung, ein eher mit<br />

deklarativem Wissen angehäuftes Curriculum<br />

zukunftsfähig zu machen<br />

und die ihnen anvertrauten Kinder im<br />

Sinne einer zukunftsfähigen grundlegenden<br />

Bildung auszustatten. Dies<br />

erfordert dringende Maßnahmen zur<br />

Verbesserung der Bildungsqualität und<br />

zur Unterstützung der Lehrkräfte. Rank,<br />

Büker, Miller & Martschinke (2023) halten<br />

daher zu Recht fest:<br />

„Eine wesentliche Problematik besteht<br />

somit darin, dass zur Sicherstellung der<br />

genuinen Aufgabe der Grundschule, allen<br />

Kindern eine grundlegende Bildung<br />

zu ermöglichen, eine hohe Professionalität<br />

erforderlich ist, dieser Anspruch<br />

allerdings konterkariert wird, indem<br />

(noch) nicht grundständig und nach<br />

neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen<br />

ausgebildete Personen an der<br />

Grundschule erziehen und unterrichten“.<br />

Angesichts der beschriebenen Notlage<br />

<strong>werden</strong> jedoch „Lösungsideen“ diskutiert<br />

und teilweise bereits umgesetzt,<br />

die die etablierten Standards der wissenschaftlichen<br />

Grundschullehrkräftebildung<br />

missachten.<br />

Dabei soll nicht übersehen <strong>werden</strong>,<br />

dass hinsichtlich der beruflichen Anforderungen<br />

und der bildungswissenschaftlichen<br />

Grundlagen eine große<br />

Übereinstimmung zwischen allen Lehrämtern<br />

besteht. In den Bildungswissenschaften<br />

gelten für alle Lehrämter dieselben<br />

Standards, die als Mindestan-<br />

GS aktuell 167 • September 2024<br />

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Thema: <strong>Lehramt</strong> <strong>studieren</strong>, <strong>Lehrkraft</strong> <strong>werden</strong>, <strong>Lehrkraft</strong> <strong>sein</strong><br />

forderungen nach den Vorgaben der<br />

Kultusministerkonferenz in allen Ausbildungscurricula<br />

erfüllt <strong>werden</strong> müssen.<br />

Auf dieser Grundlage stimmen die<br />

Kompetenzanforderungen für die zentralen<br />

Aufgabenbereiche von Lehrkräften<br />

– Unterrichten, Erziehen, Beurteilen<br />

und Innovieren – in allen <strong>Lehramt</strong>stypen<br />

überein. Bereits der Bildungsrat betonte<br />

in den 1970er-Jahren, dass kein<br />

grundlegender Unterschied zwischen<br />

den Lernprozessen zu Beginn oder am<br />

Ende der Schulzeit besteht, wohl aber in<br />

der Vermittlung, der Differenziertheit<br />

des Schülerverhaltens und der Form der<br />

Problemstellung (Deutscher Bildungsrat<br />

1970, 133).<br />

Schon allein deshalb sollten alle <strong>Lehramt</strong>sstudiengänge<br />

zehn Semester andauern<br />

und vollwertige Masterabschlüsse<br />

mit Promotionsrecht beinhalten. Das<br />

lange Zeit vorherrschende Stereotyp der<br />

kindorientierten Grundschullehrkräfte<br />

und der fachorientierten Gymnasiallehrkräfte<br />

gilt nach aktueller Forschungslage<br />

als widerlegt (Rothland 2022). Stattdessen<br />

sollten die Spezifika der Grundschule<br />

(Rank, Büker, Miller & Martschinke<br />

2023) stärker in der Lehrkräftebildung<br />

berücksichtigt <strong>werden</strong>:<br />

Ein erstes Spezifikum der Profession<br />

ergibt sich aus dem Gründungsversprechen<br />

der Grundschule, eine Schule für<br />

alle Kinder zu <strong>sein</strong> und als Schule der<br />

Demokratie einen Beitrag zur sozialen<br />

Integration, zu Inklusion und zum<br />

Chancenausgleich zu leisten. Dies bedeutet,<br />

der Heterogenität der Schülerschaft<br />

gerecht zu <strong>werden</strong>, indem die<br />

vielfältigen Lernvoraussetzungen und<br />

Erfahrungswelten der Kinder in Erziehungs-<br />

und Bildungsfragen aufgegriffen<br />

und individuell adaptiv weiterentwickelt<br />

<strong>werden</strong> (Miller 2022, 25). In der<br />

Rahmenvereinbarung der Kultusministerkonferenz<br />

über die Ausbildung und<br />

die Prüfung für das <strong>Lehramt</strong> an Grundschulen<br />

wird daher neben den pädagogischen,<br />

fachlichen und didaktischen Basisqualifikationen<br />

den Themen Lehren<br />

und Lernen in der digitalen Welt, Heterogenität,<br />

Inklusion und Förderdiagnostik<br />

besondere Bedeutung beigemessen.<br />

Grundschullehrkräfte haben die besondere<br />

Aufgabe, Übergänge im Schulsystem<br />

zu gestalten und die Anschlussfähigkeit<br />

sowohl zum Elementar- als auch<br />

zum Sekundarbereich sicherzustellen.<br />

Der Schulanfang und die Entwicklung<br />

von Schulfähigkeit erfordern spezifische<br />

Kompetenzen. Die Grundschule muss<br />

sowohl kindgemäß als auch anschlussfähig<br />

an das leider immer noch mehrgliedrige<br />

Sekundarschulsystem <strong>sein</strong>, wodurch<br />

die widersprüchlichen Funktionen von<br />

Förderung und Selektion deutlich <strong>werden</strong>.<br />

Helsper (2022, 67) beschreibt, dass<br />

Grundschullehrkräfte als „Inklusionsund<br />

Exklusionsprofessionelle“ agieren<br />

und für diese Verantwortung im Rahmen<br />

ihrer Professionalisierung sensibilisiert<br />

<strong>werden</strong> müssen.<br />

Grundschullehrkräfte arbeiten mit<br />

sehr jungen Kindern und müssen sich<br />

mit den besonderen entwicklungsbezogenen<br />

Voraussetzungen und Lebensbedingungen<br />

dieser Altersgruppe<br />

vertraut machen. Sie spielen in<br />

der sensiblen Phase des Schulbeginns<br />

eine zentrale Gatekeeperrolle für die<br />

Schulerfahrungen und die grundlegende<br />

Entwicklung der Lernfähigkeit der<br />

Kinder (Helsper 2022, 59). Lehrund<br />

Lernprozesse, der Aufbau von<br />

Allgemeinwissen, Sensibilisierung für<br />

Schlüsselprobleme und Unterstützung<br />

der Persönlichkeitsentwicklung müssen<br />

auf die individuellen Voraussetzungen<br />

der Schüler:innen abgestimmt <strong>sein</strong>, bevor<br />

eine nachhaltige Vermittlung abstrakter<br />

Inhalte erfolgen kann (Helsper<br />

2022, 62). Der besondere Erziehungsauftrag<br />

der Grundschullehrkräfte ist<br />

eng mit der Funktion als Klassenlehrkraft<br />

verknüpft, die im internationalen<br />

Vergleich ein weitverbreiteter Standard<br />

ist (Blömeke 2006, 396).<br />

Entsprechend der Rahmenverordnung<br />

der KMK sind im Grundschullehramt<br />

Studieninhalte aus den Fächern<br />

Deutsch, Mathematik sowie einem weiteren<br />

Fach oder Lernbereich der Grundschule<br />

neben einer umfassenden bildungswissenschaftlichen<br />

Qualifizierung<br />

Pflicht. Das Kompetenzprofil für die Primarstufe<br />

lässt sich wie folgt zusammenfassen:<br />

Studienabsolvent:innen haben<br />

den Auftrag der Grundschule, Bildung<br />

grundzulegen, theoretisch-systematisch<br />

und forschungsorientiert zu erschließen,<br />

anwendungsorientiert zu erproben und<br />

wissenschaftsbasiert zu reflektieren. Sie<br />

verstehen sich als Vermittler:innen zwischen<br />

den Bildungsansprüchen der Kinder<br />

und den gesellschaftlichen Bildungsanforderungen,<br />

basierend auf einem förderorientierten,<br />

respektvollen Umgang<br />

mit allen Kindern, einer wertschätzenden<br />

Haltung für Diversität und einer differenzierten<br />

Wahrnehmung individueller<br />

kindlicher Weltzugänge. Damit wird<br />

deutlich, dass alle Bildungsinhalte und<br />

Fächer in Hinblick auf die Grundschulspezifika<br />

und ihre Komplexität professionell<br />

erarbeitet <strong>werden</strong> müssen (Mammes<br />

& Rotter 2022).<br />

Es ist dringend erforderlich, dass die<br />

Professionalisierung nicht ausschließlich<br />

in der Praxis erfolgt. Die Universität<br />

als Ort der Wissenschaftlichkeit und des<br />

theoriegeleiteten Hinterfragens bietet<br />

den Rahmen, um forschendes Lernen in<br />

Distanz zur Alltagserfahrung anzubahnen.<br />

Dass die momentane Unterrichtspraxis<br />

keine genügenden Bildungserfolge<br />

aufweist, zeigen die zitierten Studien<br />

zur Kompetenzentwicklung von Grundschulkindern.<br />

Insofern ist die Fähigkeit,<br />

Praxis kritisch zu reflektieren und weiterzuentwickeln,<br />

unerlässlich für ein gelingendes<br />

Bildungssystem. Dazu bietet<br />

die Universität das geeignete Umfeld.<br />

Hier sollte Raum und Zeit geschaffen<br />

<strong>werden</strong>, Lehrkräfte für eine zukunftsfähige<br />

grundlegende Bildung stark zu machen<br />

und ihnen das notwendige Wissen,<br />

die richtigen Skills und Raum zu geben,<br />

sich mit der Frage des eigenen Handelns<br />

und Verhaltens au<strong>sein</strong>andersetzen und<br />

das eigene Lernen auf einer Metaebene<br />

zu reflektieren. Reflektierte Praxis sollte<br />

in ihrem Wert nicht gering geschätzt<br />

<strong>werden</strong>, der Wunsch nach mehr Praxis<br />

wird leider oft mit dem nach mehr beruflichen<br />

Lernmöglichkeiten verwechselt<br />

(Fahrenbach & Klink 2024). Es bedarf<br />

jedoch zunächst einer eigenen<br />

grundlegenden Bildung, um Kinder mit<br />

qualitätsvollen Angeboten zu einer solchen<br />

zu verhelfen.<br />

„Bildung ist der Schlüssel für eine<br />

echte gesellschaftliche Transformation.<br />

Denn Bildung kann fördern, was unsere<br />

Gesellschaft für die Zukunft mehr<br />

denn je braucht: mutige und kreative<br />

Bürgerinnen und Bürger, weltoffen und<br />

mit Gemeinsinn, die es gewohnt sind,<br />

lösungsorientiert zu denken und Verantwortung<br />

zu übernehmen – für sich<br />

selbst, ihre Mitmenschen und unseren<br />

Planeten. Menschen, die die Zukunft<br />

verändern.“ (Rasfeld 2021, 84) <br />

Literaturangaben zum Artikel<br />

können Sie von unserer Website herunterladen:<br />

https://t1p.de/GSa167Lit<br />

8 GS aktuell 167 • September 2024


Thema: <strong>Lehramt</strong> <strong>studieren</strong>, <strong>Lehrkraft</strong> <strong>werden</strong>, <strong>Lehrkraft</strong> <strong>sein</strong><br />

Markus Peschel<br />

Warum eine akademische Qualifikation<br />

von Grundschullehrer:innen<br />

sinnvoll und notwendig ist<br />

In Heft 164 hat Hans Brügelmann am Beispiel von Neuwegs Theorie des impliziten<br />

Wissens gezeigt, dass pädagogisches Handeln in hohem Maße auf praktische<br />

Erfahrung angewiesen ist, um im Alltag erfolgreich zu <strong>sein</strong>. In diesem Heft betont<br />

Markus Peschel im Anschluss an ein Modell von Shulman die Bedeutung<br />

der Fachdidaktik und den Wert einer akademischen Ausbildung für die Entwicklung<br />

von Lehrer:innenkompetenz, vor allem für die Planung von Unterricht<br />

und die Reflexion von Erfahrung.<br />

Grundschullehrkräfte müssen<br />

akademisch bzw. universitär<br />

ausgebildet <strong>werden</strong> (These)<br />

Info „Knowledge“<br />

Die Übersetzung des englischen Begriffs<br />

„Knowledge“ bei Shulman (1986) als „Wissen“<br />

wird teilweise kritisch gesehen, obwohl<br />

im deutschen Sprachraum der Begriff<br />

„Wissen“ allgemein gebräuchlich ist. In der<br />

Fachdidaktik hat sich die Übersetzung etabliert,<br />

um den Begriff „Pedagogical Content<br />

Knowledge“ (PCK) als Fachdidaktik<br />

zu beschreiben. PCK bezieht sich auf das<br />

spezifische Wissen, das Lehrkräfte benötigen,<br />

um Fachinhalte vermitteln zu können.<br />

Der Beruf der Grundschullehrkraft stellt<br />

eine zentrale Säule des Bildungssystems<br />

dar und hat enormen Einfluss auf die<br />

Entwicklung und das Lernen von Kindern<br />

sowie die bildende Vorbereitung<br />

von Individuen als demokratische Mitglieder<br />

einer pluralistischen und modernen<br />

Gesellschaft (vgl. u. a. GDSU 2013).<br />

Entsprechend benötigt es eine in mehreren<br />

Bereichen (s. u.) fundierte und professionelle<br />

Ausbildung, um mit den aktuellen<br />

Erfordernissen und vor allem den<br />

zukünftigen Anforderungen der Gesellschaft<br />

an Bildung und Schule umgehen<br />

zu können. Die Notwendigkeit einer professionellen<br />

Ausbildung aufgrund der<br />

Wichtigkeit dieses Berufs basiert u. a. auf<br />

verschiedenen Argumenten, die wie folgt<br />

klassifiziert <strong>werden</strong> können:<br />

1. CK, PK, PCK: Professionelles Handeln<br />

in einem Schulfach erfordert (auch)<br />

in der Grundschule fundierte Fachkenntnisse,<br />

pädagogische Methoden<br />

und fachdidaktische Kenntnisse<br />

Grundschullehrkräfte müssen über tiefgehendes<br />

Wissen (Knowledge, s. Kasten)<br />

in verschiedenen Fachbereichen wie u. a.<br />

Mathematik, Deutsch und Sachunterricht<br />

resp. deren Fachdidaktiken verfügen,<br />

um fachdidaktisch versiert, reflektiert<br />

und begründet handeln zu können.<br />

Eine universitäre Ausbildung stellt sicher,<br />

dass Lehrer:innen nicht nur die fachlichen<br />

Inhalte beherrschen, sondern vor allem<br />

fachdidaktische Konzepte und Methoden<br />

sowie pädagogische Grundlegungen kennen,<br />

um diese Inhalte kindgerecht und<br />

adäquat in verschiedenen Situationen zu<br />

vermitteln. Dabei sind zudem moderne<br />

pädagogische Ansätze und Erkenntnisse<br />

aus der Bildungsforschung zu berücksichtigen,<br />

damit Lehrkräfte ihren Unterricht<br />

kontinuierlich weiterentwickeln<br />

können. Eine erste Grundlegung, über<br />

welche Kenntnisse (Knowledge) professionell<br />

handelnde Lehrkräfte verfügen<br />

sollen, entwickelte Shulman (1986) – mit<br />

drei miteinander vernetzten Bereichen<br />

PK, CK, PCK (s. Kasten S. 10).<br />

2. Psychologische und entwicklungsbezogene<br />

Kenntnisse<br />

Kinder im Grundschulalter befinden<br />

sich in einer entscheidenden Phase ihrer<br />

kognitiven und sozialen Entwicklung<br />

(vgl. Limbourg & Steins 2011). Eine<br />

professionelle Lehrer:innenausbildung<br />

umfasst in der Regel auch Module zur<br />

Entwicklungspsychologie (vgl. Oerter<br />

& Montada 2008) bzw. zur Kindheitspsychologie,<br />

um die individuellen<br />

Bedürfnisse der Kinder zu erkennen<br />

und angemessen darauf reagieren zu<br />

können. Dies ist wichtig, um (fachliche,<br />

aber auch emotionale) Lernschwierigkeiten<br />

von Grundschüler:innen frühzeitig<br />

zu identifizieren und gezielte Förderungen<br />

zu ermöglichen sowie eine<br />

inklusive Lernumgebung zu schaffen,<br />

in der alle Kinder individuell gefördert<br />

und gefordert <strong>werden</strong>.<br />

3. Professionalisierung und<br />

gesellschaftliche Anerkennung<br />

Die Akademisierung des Lehrberufs trägt<br />

insgesamt zur Professionalisierung der<br />

Bildung bei und erhöht das gesellschaftliche<br />

Ansehen der Grundschullehrkräfte<br />

1 : Ein akademischer Abschluss<br />

signalisiert, dass dieser Beruf aufgrund<br />

der Komplexität und der Wichtigkeit<br />

eine hohe Qualifikation erfordert, was<br />

nicht durch (duale) Ausbildungssysteme,<br />

Lehrberufe oder Fachhochschulausbildung<br />

geleistet <strong>werden</strong> kann. Dies<br />

stärkt m. E. – ähnlich wie bei Ärzt:innen<br />

oder Anwält:innen – das Vertrauen der<br />

Eltern und der Gesellschaft in die Qualität<br />

der durch Lehrkräfte vermittelten Bildung<br />

und trägt dazu bei, dass Lehrkräfte<br />

als Expert:innen auf ihrem Gebiet wahrgenommen<br />

<strong>werden</strong>.<br />

4. Vorbereitung auf komplexe Herausforderungen<br />

Der Schulalltag bringt zahlreiche Herausforderungen<br />

mit sich, von der Gestaltung<br />

des Unterrichts über die Zusammenarbeit<br />

mit Eltern bis hin zum Umgang<br />

mit sozialen und emotionalen Problemen<br />

der Kinder. Ferner sind sowohl die aktuellen<br />

gesellschaftlichen Anforderungen<br />

(Demokratie, Digitalisierung, Nachhaltigkeit<br />

u. v. a. m.) als auch die zukünftigen<br />

Entwicklungen 2 einzubeziehen. Eine universitäre<br />

Ausbildung bereitet Lehrkräfte<br />

auf diese komplexen Anforderungen vor,<br />

indem sie ihnen sowohl grundlegendes<br />

theoretisches Wissen als auch praktische<br />

Fähigkeiten vermittelt.<br />

GS aktuell 167 • September 2024<br />

9


Thema: <strong>Lehramt</strong> <strong>studieren</strong>, <strong>Lehrkraft</strong> <strong>werden</strong>, <strong>Lehrkraft</strong> <strong>sein</strong><br />

5. Förderung von Forschung,<br />

Innovation und Reflexion<br />

Universitäten sind Zentren der Forschung<br />

und der Innovation. Lehrkräfte,<br />

die an Universitäten ausgebildet <strong>werden</strong>,<br />

erfahren somit aktuelle Erkenntnisse<br />

aus Forschungsprojekten und können<br />

selbst an der Entwicklung neuer pädagogischer<br />

Konzepte und Methoden mitwirken.<br />

Dies fördert eine kontinuierliche<br />

Weiterentwicklung des Bildungssystems<br />

und trägt dazu bei, dass neue<br />

Erkenntnisse schnell in die Praxis transferiert<br />

und dort umgesetzt <strong>werden</strong> können.<br />

Dazu kommt die grundlegende<br />

Reflexion der eigenen Entwicklung im<br />

Rahmen der Reflexion eigenen pädagogischen<br />

Handelns, wie es in integrierten<br />

Schulpraktika vermittelt wird, sowie<br />

die grundlegende Reflexion der eigenen<br />

Lern- und Lehrerfahrung – und<br />

dies in Hinblick auf die Schulpraxis in<br />

der gesamten Berufszeit (vgl. Reintjes &<br />

Kunze).<br />

Fazit und Ausblick<br />

Eine akademische bzw. universitäre<br />

Ausbildung der Grundschullehrkräfte<br />

ist eine zentrale Grundlage, um eine<br />

hohe Qualität der schulischen Bildung<br />

im Primarbereich zu gewährleisten. Sie<br />

stellt sicher, dass Grundschullehrkräfte<br />

nicht nur fachlich kompetent sind,<br />

sondern auch über die notwendigen<br />

pädagogischen, psychologischen und<br />

methodischen Kenntnisse verfügen,<br />

um den vielfältigen Anforderungen<br />

des Schulalltags fachdidaktisch gerecht<br />

zu <strong>werden</strong> (vgl. u. a. Forneck 2015).<br />

Die Professionalisierung des Lehrberufs<br />

wirkt zudem insgesamt auf das<br />

Bildungssystem und stärkt dieses nachhaltig<br />

bzw. zukunftsorientiert. Dabei<br />

sind die Aspekte von Shulman (PCK,<br />

PK, CK) nur ein Aspekt in den Modellierungen<br />

der Professionalisierung.<br />

Generell wäre weiter zu diskutieren,<br />

wie die Ausbildung von Grundschullehrkräften<br />

gestaltet <strong>werden</strong> soll, wie<br />

viele ECTS bzw. welche Länge der Ausbildung<br />

dafür notwendig sind, wie viele<br />

Fächer in einem eher breiten Grundschulbereich<br />

studiert <strong>werden</strong> sollten<br />

usw. <br />

Literaturangaben zum Artikel<br />

können Sie von unserer Website herunterladen:<br />

https://t1p.de/GSa167Lit<br />

Shulmans Dimensionen (PK, CK, PCK)<br />

für den professionellen Lehrerberuf 1<br />

Lee Shulman hat mit <strong>sein</strong>en Dimensionen des pädagogischen Wissens (Pedagogical Knowledge,<br />

PK), des Fachwissens (Content Knowledge, CK) und des fachdidaktischen Wissens<br />

(Pedagogical Content Knowledge, PCK) wesentliche Beiträge zur Professionalisierung des<br />

Lehrer:innenberufs geleistet. Diese Dimensionen sind grundlegend für die Ausbildung und<br />

die Praxis von Lehrkräften und tragen maßgeblich zur Qualität des Unterrichts bei.<br />

Pädagogisches Wissen (PK): Pädagogisches Wissen umfasst allgemeine Prinzipien und<br />

Methoden des Lehrens und Lernens, die für alle Fächer und Altersstufen relevant sind. Es<br />

schließt Kenntnisse über Lernprozesse, Klassenzimmermanagement, Schüler:innenverhalten,<br />

Beurteilung und Evaluation sowie Planung und Strukturierung von Unterricht ein. Dazu<br />

gehören nach Shulman u. a.:<br />

• Effektive Unterrichtsgestaltung: Unterricht ist so zu gestalten, dass er den unterschiedlichen<br />

Bedürfnissen und Lernstilen der Schüler:innen gerecht wird. Dies fördert ein inklusives<br />

und unterstützendes Lernumfeld.<br />

• Förderung des Lernens: Pädagogisches Wissen hilft Lehrkräften, die Motivation der<br />

Schüler:innen zu steigern und deren Lernprozesse gezielt zu unterstützen.<br />

Fachwissen (CK): Fachwissen bezieht sich auf ein tiefgehendes Verständnis der spezifischen<br />

Inhalte und Konzepte, die in einem bestimmten Fach unterrichtet <strong>werden</strong>. Es umfasst die<br />

Kenntnis der zentralen Theorien, Prinzipien, Fakten und Methoden des Fachgebiets – u. a.:<br />

• Sicherstellung der inhaltlich-fachlichen Korrektheit: Ein fundiertes Fachwissen ist unerlässlich,<br />

um Fehlinformationen zu vermeiden und den Schüler:innen ein fundiertes Verständnis<br />

der Fachinhalte zu vermitteln.<br />

• Vertiefung und Erweiterung des Wissens der Schüler:innen: Lehrkräfte mit vertieftem Fachwissen<br />

können tiefere Einblicke und zusätzliche Perspektiven bieten, die über das Basiswissen<br />

hinausgehen. Schüler:innen stellen häufig komplexe und unvorhersehbare<br />

Fragen. Ein umfassendes Fachwissen befähigt Lehrkräfte, kompetent zu reagieren.<br />

Fachdidaktisches Wissen (PCK): Fachdidaktisches Wissen ist die Fähigkeit, fachliche Inhalte so<br />

zu vermitteln, dass sie für eine Schüler:innengruppe verständlich sind bzw. zugänglich <strong>werden</strong>.<br />

Es ist nach Shulman die „Synthese“ von Fachwissen und pädagogischem Wissen und umfasst<br />

die Kenntnis spezifischer Lehrstrategien und -methoden, die für das jeweilige Fach und die<br />

jeweilige Schüler:innengruppe geeignet sind. Dies bedeutet u. a.:<br />

• Anpassung der Unterrichtsmethoden: PCK ermöglicht es Lehrkräften, ihre Unterrichtsmethoden<br />

an die spezifischen Anforderungen des Fachs und die Lernvoraussetzungen der<br />

Schüler:innen anzupassen.<br />

• Verständnis für Lernschwierigkeiten: Lehrkräfte mit fachdidaktischem Wissen können typische<br />

Missverständnisse und Schwierigkeiten antizipieren, die Schüler:innen in einem<br />

bestimmten Sachthema aufweisen könnten, und gezielt darauf reagieren.<br />

Durch den Einsatz geeigneter didaktischer Methoden und Materialien können Lehrkräfte<br />

das Interesse und die Motivation der Schüler:innen stärken.<br />

Fazit: Die Dimensionen des pädagogischen Wissens (PK), des Fachwissens (CK) und vor<br />

allem des fachdidaktischen Wissens (PCK) nach Shulman sind von zentraler Bedeutung für<br />

professionelle Lehrkräfte. Sie bilden die Grundlage für eine fundierte und professionelle<br />

Ausbildung von Lehrkräften. Die Integration<br />

und die Anwendung dieser<br />

Dimensionen tragen maßgeblich zur<br />

Professionalisierung von Lehrkräften<br />

und zur Verbesserung der Bildungsund<br />

Unterrichtsqualität bei.<br />

1 Auf weitere Entwicklungen, die auf Shulmans<br />

Dimensionen bzw. Differenzierungen aufbauen,<br />

wird hier nicht weiter eingegangen, u. a. TPACK,<br />

DPACK …<br />

Anmerkungen<br />

1 Die fehlende Anerkennung kann man – trotz<br />

teilweiser Akademisierung – weiterhin beobachten,<br />

wenn es heißt, dass „nur“ Grundschullehramt<br />

studiert wird oder man eben „nur“ Grundschullehrer:in<br />

ist. Dies schlägt sich auch in der – trotz<br />

Bemühungen von inzwischen einigen Bundesländern<br />

– nicht gleichwertigen Besoldung nieder.<br />

So sind in vielen Bundesländern immer noch<br />

Pedagogical<br />

Knowledge<br />

(PK)<br />

Pedagogical<br />

Content<br />

Knowledge<br />

(PCK)<br />

Content<br />

Knowledge<br />

(CK)<br />

Differenzen zwischen den Schulformen und damit<br />

auch den Ausbildungszeiten etc. vorhanden.<br />

2 Zukünftige Entwicklungen sind generell nur begrenzt<br />

zu antizipieren. Allein der Rückblick auf die<br />

Entwicklungen der letzten 10 bis 15 Jahre in Bezug<br />

auf Digitalisierung und Demokratie zeigt, dass nur<br />

sehr begrenzt abgeschätzt <strong>werden</strong> kann, wie sich<br />

z. B. die nächsten 10 bis 15 Jahre entwickeln <strong>werden</strong>.<br />

10 GS aktuell 167 • September 2024


Thema: <strong>Lehramt</strong> <strong>studieren</strong>, <strong>Lehrkraft</strong> <strong>werden</strong>, <strong>Lehrkraft</strong> <strong>sein</strong><br />

Sarah Désirée Lange, Sanna Pohlmann-Rother<br />

Was wirkt?<br />

Die universitäre Ausbildung und Fortbildungen<br />

im DaZ-Bereich sind zentrale Stellschrauben!<br />

In vielen Grundschulklassen an deutschen Grundschulen wachsen mehr als die<br />

Hälfte der Kinder mit einer anderen Familiensprache als Deutsch auf. Aktuelle<br />

Zahlen beispielsweise aus dem IQB-Bildungsbericht 2021 zeigen, dass die<br />

Bedeutung von Mehrsprachigkeit in den Familien von Grundschulkindern<br />

zugenommen hat (Stanat et al. 2022, 204).<br />

Was bedeutet das für Grundschullehrkräfte,<br />

von denen<br />

in der Regel nur wenige<br />

selbst mehrsprachig aufwachsen und<br />

daher selbst oft nur wenig Berührungspunkte<br />

mit lebensweltlicher Mehrsprachigkeit<br />

haben? Wie können sich<br />

angehende Grundschulehrkräfte auf<br />

eine mehrsprachige Klasse einstellen?<br />

Worauf kommt es in der universitären<br />

Ausbildung und in Fortbildungen an,<br />

um Grundschullehrkräfte bestmöglich für<br />

den konstruktiven Umgang mit Mehrsprachigkeit<br />

zu rüsten? Diesen Fragen<br />

widmete sich die BLUME-I 1 -Fragebogenstudie.<br />

In der quantitativ angelegten Studie<br />

wurden berufstätige Grundschullehrkräfte<br />

mit einem Onlinefragebogen<br />

per Zoom zu ihren Überzeugungen<br />

befragt.<br />

Wie Lehrkräfte zu dem Thema Mehrsprachigkeit<br />

stehen und welche Überzeugungen<br />

sie zum Umgang mit Mehrsprachigkeit<br />

im Unterricht haben, hat<br />

Auswirkungen auf ihr unterrichtliches<br />

Handeln. Die Überzeugungen der Lehrkräfte<br />

haben beispielsweise einen Einfluss<br />

darauf, wie sie mit mehrsprachigen<br />

Kindern im Unterricht umgehen und<br />

welche Bedeutung sie der potenziellen<br />

Ressource Mehrsprachigkeit im Unterricht<br />

zuweisen. Im Fokus des vorliegenden<br />

Beitrags stehen daher die folgenden<br />

Forschungsfragen:<br />

1) Welche Überzeugungen zum Umgang<br />

mit Mehrsprachigkeit im Unterricht<br />

haben Grundschullehrkräfte?<br />

2) Welche Faktoren beeinflussen die<br />

Überzeugungen der Lehrkräfte: Inwieweit<br />

lassen sich Stellschrauben im universitären<br />

sowie berufsbezogenen Abschnitt<br />

der Lehrkräftebildung identifizieren,<br />

die bedeutsam für mehrsprachigkeitsbezogene<br />

Überzeugungen sind?<br />

Zur Beantwortung dieser Fragen wurden<br />

Daten der quantitativen BLUME I 1 -<br />

Fragebogenstudie ausgewertet (vgl. Lange<br />

& Pohlmann-Rother 2020). Diese<br />

wurden im Sommer 2018 in einem<br />

Schulamtsbezirk in Süddeutschland anhand<br />

eines Onlinefragebogens erhoben.<br />

Befragt wurden 123 berufstätige Grundschullehrkräfte.<br />

Ergebnisse<br />

Welche Überzeugungen zum Umgang<br />

mit Mehrsprachigkeit haben Grundschullehrkräfte?<br />

Grundsätzlich ist festzuhalten, dass die<br />

Überzeugungen der befragten Grundschullehrkräfte<br />

zu Mehrsprachigkeit im<br />

Unterricht überwiegend befürwortend<br />

ausfallen (M=4,14, SD=0,80). Die Mehrzahl<br />

der befragten Grundschullehrkräfte<br />

gab an, Mehrsprachigkeit in der Klasse<br />

grundsätzlich als Bereicherung zu empfinden.<br />

Zeit für DaZ-Ausbildung<br />

Besuch von Fortbildungen mit inhaltlicher Breite an DaZ-Themen<br />

Positive Kontakterfahrungen mit mehrsprachigen Kindern<br />

Anzahl an Kontakterfahrungen mit mehrsprachigen Kindern<br />

Sprachsensibles Schulprogramm<br />

Tabelle 1: Auf einen Blick! Wie können befürwortende Überzeugungen zum Umgang<br />

mit Mehrsprachigkeit bei Grundschullehrkräften unterstützt <strong>werden</strong>?<br />

✔<br />

✔<br />

✔<br />

✗<br />

✗<br />

Welche Faktoren beeinflussen die<br />

Überzeugungen der Lehrkräfte?<br />

Die Ergebnisse der Regressionsanalysen<br />

zeigen, dass von den untersuchten Faktoren<br />

vor allem der Nutzung formaler<br />

Aus- und Fortbildungsangebote eine<br />

hohe Bedeutung zukommt. Insbesondere<br />

ein hoher Zeitaufwand im Rahmen der<br />

universitären DaZ-Ausbildung führt<br />

zu wertschätzenderen Überzeugungen<br />

gegenüber Mehrsprachigkeit im Unterricht.<br />

Lehrkräfte, die also viel Zeit in<br />

eine DaZ-Ausbildung investierten, weisen<br />

befürwortendere Überzeugungen<br />

zur Mehrsprachigkeit im Unterricht auf<br />

(0,216) als die Lehrkräfte, die weniger Zeit<br />

in diese Ausbildung investierten. Auch<br />

die inhaltliche Breite der DaZ-Themen<br />

in besuchten Fortbildungen ist ein signifikanter<br />

Einflussfaktor. Je umfangreicher<br />

die in den Fortbildungen behandelten Themen<br />

sind, desto positiver sind die Überzeugungen<br />

der Lehrkräfte in Bezug auf<br />

Mehrsprachigkeit im Unterricht (0,331).<br />

Wenn Lehrkräfte die Erfahrungen mit<br />

mehrsprachigen Lernenden im Unterricht<br />

als bereichernd bewerten, führt dies<br />

ebenfalls zu befürwortenderen Überzeugungen<br />

(0,284) im Vergleich zu Lehrkräften,<br />

die ihre Erfahrungen als nicht bereichernd<br />

bewerten. Wie viele Kontakterfahrungen<br />

Lehrkräfte mit mehrsprachigen<br />

Kindern im Unterricht sammeln, ist<br />

hingegen weniger relevant. Eine Tätigkeit<br />

an Schulen mit sprachsensiblem Schulprogramm<br />

geht mit marginal ablehnenderen<br />

Überzeugungen zu Mehrsprachigkeit<br />

im Unterricht einher. (s. Abb.1 S. 12)<br />

Diskussion: Auf die<br />

Ausbildung kommt es an!<br />

Viele Grundschullehrkräfte fühlen sich<br />

wenig oder gar nicht auf das Unterrichten<br />

von mehrsprachigen Kindern<br />

vorbereitet und wünschen sich mehr<br />

Fortbildungen zu dem Thema (vgl.<br />

Pohlmann-Rother & Lange 2020). Nicht<br />

nur Praxiserfahrungen sind bedeut-<br />

GS aktuell 167 • September 2024<br />

11


Thema: <strong>Lehramt</strong> <strong>studieren</strong>, <strong>Lehrkraft</strong> <strong>werden</strong>, <strong>Lehrkraft</strong> <strong>sein</strong><br />

0,174<br />

sam, sondern das kritisch-konstruktive<br />

Nachdenken über die erlebten Praxiserfahrungen.<br />

Die Ergebnisse zu den Einflussfaktoren<br />

zeigen, dass die DaZ-Ausbildung<br />

mit befürwortenden Überzeugungen der<br />

Lehrkräfte gegenüber Mehrsprachigkeit<br />

im Unterricht einhergeht. Die Überzeugungen<br />

fallen zudem umso befürwortender<br />

aus, je breiter DaZ-Inhalte in<br />

Fortbildungen während der Berufspraxis<br />

behandelt wurden, was in Einklang mit<br />

vorliegenden Untersuchungen steht (z. B.<br />

Brooks & Adams 2015).<br />

Anders als angenommen <strong>werden</strong> könnte,<br />

ist nicht der Umfang der Kontakterfahrungen<br />

für die Überzeugungen der<br />

Lehrkräfte relevant, sondern die Bewertung<br />

der Erfahrungen: Eine positive Bewertung<br />

des Kontakts führt zu befürwortenderen<br />

Überzeugungen. Lehrkräfte an<br />

Schulen mit einem sprachsensiblen Schulprogramm<br />

weisen ablehnendere Überzeugungen<br />

gegenüber Mehrsprachigkeit<br />

auf als Lehrkräfte an Schulen ohne ein solches<br />

Schulprogramm. Eine Erklärung für<br />

diesen Befund könnte <strong>sein</strong>, dass Lehrkräfte<br />

an Schulen mit sprachsensiblen Schulprogrammen<br />

ein ausgeprägteres Bewusst<strong>sein</strong><br />

für Mehrsprachigkeit entwickeln, sodass<br />

die Überzeugungen differenzierter und<br />

damit im Einzelnen kritischer ausfallen<br />

als bei Lehrkräften, die einen weniger differenzierten<br />

Blick auf die Mehrsprachigkeit<br />

im Unterricht haben.<br />

Fazit<br />

-0,013<br />

0,216<br />

0,331<br />

0,100<br />

-0,093 -0,079 -0,105<br />

0,284<br />

Insgesamt kann festgehalten <strong>werden</strong>,<br />

dass von den untersuchten Einflussfaktoren<br />

vor allem der Nutzung formaler<br />

Aus- und Fortbildungsangebote<br />

-0,177<br />

■ universitäre DaZ-Ausbildung: ja (ref. nein)<br />

■ Zeitaufwand für DaZ-Ausbildung (ref. sehr<br />

niedrig): eher niedrig<br />

■ eher hoch<br />

■ sehr hoch<br />

■ inhaltliche Breite DaZ-Themen<br />

(1 = gar nicht, 5 = sehr häufig besucht)<br />

■ MSK-Lehrerfahrung (ref. sehr niedrig):<br />

eher niedrig<br />

■ eher hoch<br />

■ sehr hoch<br />

■ Positive MSK-Bewertung (ref. negativ)<br />

■ Pädagogischer Ansatz für<br />

MSK an Schulen: ja (ref. nein)<br />

Abbildung 1: Einflussfaktoren auf befürwortende Überzeugungen zum Umgang mit<br />

Mehrsprachigkeit (Beta-Koeffizienten)<br />

Bedeutung zukommt. Wie viele Kontakterfahrungen<br />

Lehrkräfte mit mehrsprachigen<br />

Kindern im Unterricht<br />

sammeln, ist weniger relevant. Wenn<br />

Lehrkräfte die Erfahrungen mit mehrsprachigen<br />

Lernenden im Unterricht für<br />

sich als bereichernd bewerten, führt dies<br />

zu befürwortenderen Überzeugungen.<br />

Das Ergebnis, dass die Grundschullehrkräfte<br />

tendenziell befürwortende<br />

Überzeugungen der Lehrkräfte gegenüber<br />

Mehrsprachigkeit im Unterricht<br />

aufweisen, stimmt optimistisch! Dennoch<br />

zeigen die Ergebnisse auch die<br />

Notwendigkeit, das Thema Mehrsprachigkeit<br />

und DaZ insbesondere in der<br />

ersten Phase der Lehrkräftebildung systematisch<br />

zu verankern und auch Fortbildungsangebote<br />

für berufstätige Lehrkräfte<br />

flächendeckend mit entsprechender<br />

thematischer Breite anzubieten.<br />

Ausblick<br />

Die vorliegenden Ergebnisse zeigen<br />

die tendenziell befürwortenden Überzeugungen<br />

der Grundschullehrkräfte.<br />

Allerdings wird wenig von der Bandbreite<br />

der Überzeugungen und ihren<br />

Ambivalenzen deutlich. Mit dem<br />

Ziel, diese Differenziertheit der Überzeugungen<br />

aufzudecken, wird die<br />

BLUME-II-Vignettenstudie durchgeführt,<br />

in der qualitative, vignettengestützte<br />

Interviews erhoben und ausgewertet<br />

<strong>werden</strong>. Die Ergebnisse der<br />

Vignettenstudie zeigen deutlich, wie<br />

differenziert, vielschichtig und teilweise<br />

auch widersprüchlich die Überzeugungen<br />

der Lehrkräfte zu dem<br />

Thema Mehrsprachigkeit sind (vgl.<br />

Lange et al. 2023). <br />

Prof. Dr. Sanna Pohlmann-Rother (links)<br />

ist Inhaberin des Lehrstuhls für<br />

Grundschulpädagogik und -didaktik<br />

der Julius-Maximilians-Universität<br />

Würzburg, Forschungsschwerpunkte<br />

u. a. empirische Grundschul- und<br />

Unterrichtsforschung, Unterrichtsqualitätsforschung,<br />

Transitionsforschung,<br />

Mehrsprachigkeitsforschung,<br />

medienpädagogische Professionalisierung,<br />

Digitalkompetenzen von<br />

Grundschulkindern.<br />

Prof. Dr. Sarah Désirée Lange<br />

ist Inhaberin der Professur für Schulpädagogik<br />

der Primarstufe, Zentrum<br />

für Lehrkräftebildung und Bildungsforschung,<br />

Technische Universität<br />

Chemnitz, Forschungsschwerpunkte<br />

u. a. Lehrkräfteprofessionalität,<br />

Mehrsprachigkeitsforschung, Bildung<br />

für nachhaltige Entwicklung, digitale<br />

Medien und informatische Bildung<br />

in der Grundschule, soziale Ungleichheitsforschung,<br />

Internationale und<br />

vergleichende Erziehungswissenschaft.<br />

Anmerkungen<br />

1 Die BLUME-Studie besteht aus verschiedenen<br />

Teilstudien und wird von<br />

Prof. Dr. habil. Sarah Désirée Lange an der<br />

Professur Schulpädagogik der Primarstufe<br />

an der Technischen Universität Chemnitz<br />

geleitet. Die vorliegenden Daten wurden im<br />

Rahmen der quantitativen BLUME-Fragebogenstudie<br />

(2017–2020) erfasst. Seit April<br />

2022 läuft die qualitative DFG-geförderte<br />

BLUME-Vignettenstudie (=ÜBerzeugungen<br />

von GrundschulLehrkräften zum Umgang<br />

mit MEhrsprachigkeit).<br />

Literaturangaben zum Artikel<br />

können Sie von unserer Website herunterladen:<br />

https://t1p.de/GSa167Lit<br />

12 GS aktuell 167 • September 2024


Thema: <strong>Lehramt</strong> <strong>studieren</strong>, <strong>Lehrkraft</strong> <strong>werden</strong>, <strong>Lehrkraft</strong> <strong>sein</strong><br />

Annchristin Ellersiek, Brigitte Kottmann<br />

Zwischen Unterstützung<br />

und Herausforderung<br />

„Hölle Referendariat – so <strong>werden</strong> die Lehrer von morgen vergrault“ titelte der Spiegel<br />

im Januar 2024. Der Bildungsblogger Bob Blume konterte im Februar 2024 mit<br />

„Gelassenheit im Referendariat“. Diese beiden markanten Überschriften verdeutlichen,<br />

wie prägend das Referendariat für angehende Lehrer:innen <strong>sein</strong> kann. Es<br />

gilt als sagenumwobene Phase im Berufsleben, die mit zahlreichen Erfahrungen,<br />

Einblicken, Anekdoten und teilweise auch belastenden Erlebnissen verbunden ist.<br />

Nach dem Studium – das je nach<br />

Bundesland unterschiedlich<br />

viele und unterschiedlich ausgestaltete<br />

Praxisphasen beinhaltet –<br />

gehen die angehenden Lehrkräfte in die<br />

schulpraktische Ausbildungsphase<br />

(Referendariat / Vorbereitungsdienst)<br />

über, die in den meisten Bundesländern<br />

18 Monate umfasst. Hier <strong>werden</strong> sie mit<br />

neuen schul- und unterrichtspraktischen<br />

Herausforderungen, Aufgaben und<br />

Anforderungen konfrontiert, müssen oft<br />

zügig eigenständigen Unterricht übernehmen<br />

und gleichzeitig verschiedene<br />

Erwartungen erfüllen. In diese zweite<br />

Phase der Lehrer:innenausbildung sind<br />

zahlreiche Akteur:innen eingebunden,<br />

die durch ihre jeweiligen Rollen und<br />

Funktionen eine reichhaltige Dynamik<br />

und Anforderungen auf mehreren Ebenen<br />

in den Ausbildungsprozess bringen.<br />

So spielt am Ausbildungsort Schule<br />

neben der:dem Ausbildungsbeauftragten<br />

die Schulleitung eine zentrale Rolle. In<br />

den Studienseminaren oder Zentren für<br />

schulpraktische Lehrerbildung (ZfsL)<br />

<strong>werden</strong> die Referendar:innen zudem von<br />

den (Fach-)Seminarleitungen begleitet<br />

und bewertet.<br />

Die wohl prägendste und ausbildungsrelevanteste<br />

Schlüsselfunktion nehmen<br />

in dieser Phase die jeweiligen Mentor:innen<br />

an den Schulen ein. Aufgabe dieser<br />

ist es, die angehenden Kolleg:innen individuell<br />

in fachlichen und pädagogischen<br />

Fragen zu beraten und sie innerhalb<br />

von Unterrichtsaktivitäten in ihrer<br />

beruflichen (Weiter-)Entwicklung zu<br />

fördern (vgl. Richter et al. 2011). Dafür<br />

öffnen sie ihren Unterricht und Klassenraum<br />

und bieten sich für einen längeren<br />

Zeitraum an, ebendiese Rolle verantwortlich<br />

zu übernehmen. Dies ist aus Sicht der<br />

Mentor:innen häufig herausfordernd, da<br />

sie nicht nur die Verantwortung für ihre<br />

eigenen Klassen und Aufgaben tragen,<br />

sondern zusätzlich Zeit und Energie in<br />

die Betreuung und die Unterstützung der<br />

<strong>Lehramt</strong>sanwärter:innen investieren.<br />

Mentoring<br />

Obwohl Mentoring professionelle<br />

Arbeitskulturen generieren kann,<br />

Innovationspotenziale für Unterrichts-<br />

und Schulentwicklung bietet<br />

und Mentor:innen entscheidend in den<br />

Professionalisierungsprozess der <strong>Lehramt</strong>sanwärter:innen<br />

eingreifen können<br />

bzw. darin eine zentrale Rolle einnehmen,<br />

wird Mentoring gegenwärtig<br />

nicht hinreichend genutzt (vgl. Glockentöger<br />

2014). Unter Mentoring-Prozessen<br />

innerhalb des Vorbereitungsdienstes<br />

<strong>werden</strong> didaktische Maßnahmen<br />

verstanden, die angehenden<br />

Lehrkräften in ihren Praxisphasen<br />

Unterstützung bei ihrer professionellen<br />

Entwicklung bieten sollen (vgl.<br />

Schnebel 2020). Mentoring gilt als eine<br />

(professionelle) Lerngemeinschaft, in<br />

der Mentor:innen und <strong>Lehramt</strong>sanwärter:innen<br />

gemeinsam lernen und<br />

sich weiterentwickeln (vgl. Boecker<br />

2017). Die schulischen Mentor:innen<br />

sind in der konkreten Ausgestaltung<br />

von Betreuung, Beratung und Unterstützung<br />

weitestgehend frei, sodass sich<br />

eine große Bandbreite und Handlungsspielräume<br />

ergeben (vgl. Gergen 2021).<br />

Um diesen Fragen und Leerstellen<br />

systematisch nachzugehen, fanden im<br />

Rahmen einer Dissertation an der Universität<br />

Paderborn im Jahr 2023 verschiedene<br />

Befragungen mit den einzelnen<br />

Akteur:innengruppen statt. So<br />

wurden zunächst Seminarleitungen und<br />

Schulleitungen interviewt und anschlie-<br />

„Ich lenke das Boot, während<br />

meine Referendarin<br />

entscheidet, in welche<br />

Richtung sie segeln will“<br />

ßend eine Fragebogenstudie konzipiert,<br />

an der insgesamt 196 <strong>Lehramt</strong>sanwärter:innen<br />

für das <strong>Lehramt</strong> Grundschule<br />

und 284 Mentor:innen der ausbildenden<br />

Grundschulen in NRW teilgenommen<br />

haben. Die von uns ausgewählten O-Töne<br />

entstammen diesen Befragungen und<br />

geben einen Einblick in die verschiedenen<br />

Perspektiven und Rollen.<br />

Für die erfolgreiche Ausbildung<br />

spielen die Rahmenbedingungen, berufsspezifische<br />

und interpersonale<br />

Kompetenzen (wie z. B. Beratungskompetenz<br />

oder transparente Kommunikation)<br />

eine wesentliche Rolle. Hierbei<br />

betrachten die beteiligten Akteur:innen<br />

die Aspekte mit unterschiedlichen<br />

Brillen, die ihre eigenen Rollen und<br />

Verantwortlichkeiten widerspiegeln.<br />

Rahmenbedingungen<br />

Für ein erfolgreiches Mentoring im<br />

Referendariat sind verschiedene Rahmenbedingungen<br />

entscheidend. Dazu gehören<br />

das Ausbildungsverständnis der Schule,<br />

die zeitliche Strukturierung der Beratung,<br />

Ressourcen, die zur Verfügung gestellt<br />

<strong>werden</strong>, um die Arbeitsbeziehung zu<br />

unterstützen, klar definierte Rollenverständnisse<br />

und eine effektive Kooperation<br />

zwischen Zentren für schulpraktische<br />

Lehrerausbildung (ZfsL) und Schulen<br />

sowie Rückhalt auf Schulleitungsebene.<br />

Dazu gehört auch die Erkenntnis, dass<br />

die gegenseitigen Erwartungen und Ziele<br />

möglichst transparent kommuniziert und<br />

im Sinne einer erfolgreichen Begleitung<br />

der <strong>Lehramt</strong>sanwärter:innen realistisch<br />

formuliert <strong>sein</strong> sollten.<br />

Hinsichtlich der zeitlichen Struktur,<br />

um ausreichend Zeit für Beratung und<br />

Ausbildung zu haben, wünschen sich die<br />

Mentor:innen Entlastungsstunden sowie<br />

fest verankerte Zeiten im Stundenplan.<br />

Dies unterstützen die Referendar:innen<br />

gleichermaßen, indem sie verbindliche<br />

Feedback-Termine sowohl mit ihren<br />

Mentor:innen als auch mit der Schulleitung,<br />

von der sie am Ende ihrer Ausbildung<br />

bewertet <strong>werden</strong>, fordern.<br />

GS aktuell 167 • September 2024<br />

13


Thema: <strong>Lehramt</strong> <strong>studieren</strong>, <strong>Lehrkraft</strong> <strong>werden</strong>, <strong>Lehrkraft</strong> <strong>sein</strong><br />

Annchristin Ellersiek (links)<br />

ist Grundschullehrerin und Sonderpädagogin<br />

und als wissenschaftliche<br />

Mitarbeiterin im Arbeitsbereich<br />

Sonderpädagogische Förderung und<br />

Inklusion in der Schule an der Universität<br />

Paderborn tätig.<br />

Brigitte Kottmann<br />

ist Grundschullehrerin und Professorin<br />

für Sonderpädagogische Förderung<br />

und Inklusion in der Schule an der Universität<br />

Paderborn und bis heute mit<br />

ihrer Mentorin und ihren Mitreferendarinnen<br />

befreundet.<br />

Insbesondere Seminarleitungen heben<br />

die fachliche und methodische Qualifizierung<br />

der Mentor:innen hervor, da sie<br />

entscheidend für ihre Wirksamkeit bei<br />

der Begleitung der Referendar:innen<br />

ist: „vielleicht wäre es strukturell auch<br />

eine Hilfe über die Schule hinaus zu gucken<br />

oder eben auch strukturell irgendwo<br />

noch Angebote zu haben, um sich<br />

fachlich weiter oder methodisch weiterentwickeln<br />

zu können“, formuliert eine<br />

Seminarleitung. Des Weiteren <strong>werden</strong><br />

Überlegungen angestellt hinsichtlich<br />

einer übergeordneten Ausbildung für<br />

Mentor:innen, die „den Reiz hätte, dass<br />

die so ausgebildet <strong>werden</strong> wie es standardmäßig<br />

<strong>sein</strong> muss und nicht wie es<br />

ein Standort gerne hätte“. Dieser Aspekt<br />

wird von allen Befragten betont.<br />

Berufs- und professionsspezifische<br />

Kompetenzen<br />

Mentor:innen, die über professionsspezifische<br />

Kompetenzen verfügen, können<br />

eine effektive und unterstützende<br />

Arbeitsbeziehung aufbauen und den<br />

Referendar:innen dabei zur Seite stehen,<br />

ihr fachliches Wissen zu vertiefen und<br />

eine professionelle Identität als <strong>Lehrkraft</strong><br />

zu entwickeln.<br />

Professionsspezifische Kompetenzen,<br />

die im Rahmen der Arbeitsbeziehung<br />

insbesondere eine Rolle spielen, sind<br />

die Beratungskompetenz, die fachliche<br />

Kompetenz und die Reflexionskompetenz.<br />

Seitens der Referendar:innen <strong>werden</strong><br />

eine angemessene Gesprächsführung<br />

und Impulssetzung gefordert.<br />

Neben der beratenden Rolle sind<br />

Mentor:innen gleichzeitig beurteilende<br />

Ausbildungsinstanzen, wodurch sich<br />

eine Rollenambiguität und ein asymmetrischer<br />

Charakter für das Mentoring-Verhältnis<br />

ergeben. Diese Doppelfunktion<br />

trägt eine Problematik in sich,<br />

da Beratungsprozesse Hierarchiefreiheit<br />

voraussetzen, die durch die parallele<br />

Bewertungsinstanz jedoch Machtpositionen<br />

im Ausbildungsverhältnis<br />

mit sich bringen können (vgl. Glockentöger<br />

2014). Der Spagat zwischen Beratung<br />

und Bewertung kann einen wesentlichen<br />

Einfluss auf die Beziehung nehmen<br />

und von beiden Seiten als belastend<br />

empfunden <strong>werden</strong>.<br />

Interpersonale Kompetenzen<br />

Interpersonale Faktoren beziehen sich<br />

auf Merkmale, Dynamiken und Prozesse,<br />

die in Beziehungen zwischen Menschen<br />

auftreten und zwischenmenschliche<br />

Interaktionen beeinflussen (vgl.<br />

Krautz & Schieren 2013). Wie eine<br />

Seminarleitung aus NRW betont: „Und<br />

dann gibt es eine ganz, ganz wichtige<br />

Schiene, bedeutet Beziehung, also<br />

Beziehungsarbeit.“<br />

Eine erfolgreiche Beziehungsgestaltung<br />

ist von verschiedenen Faktoren abhängig.<br />

Dazu gehören individuelle Charaktereigenschaften,<br />

gegenseitige Wertschätzung,<br />

Vertrauen, Empathie, Authentizität<br />

und Verständnis (vgl. Kärner<br />

et al. 2021). Diese <strong>werden</strong> auch von der<br />

individuellen professionellen Haltung<br />

beeinflusst, die sich bereits im Studium<br />

anbahnt und über die gesamte Berufsbiografie<br />

weiterentwickelt.<br />

Die positive Gestaltung pädagogischer<br />

Beziehungen ist eine Grundlage für die<br />

Wirksamkeit von Lernprozessen (vgl.<br />

Faber et al. 2018), das gilt sowohl für<br />

Beziehungen zu Schüler:innen als auch<br />

zu <strong>Lehramt</strong>sanwärter:innen. Eine Mentorin<br />

einer inklusiven Grundschule beschreibt<br />

ihre vielfältige Rolle: „Ich berate,<br />

informiere und unterstütze. Ich lenke<br />

das Boot, während meine LAA entscheidet,<br />

in welche Richtung sie segeln will.<br />

So kann ich sie in allen Entscheidungen<br />

unterstützen.“<br />

Es existieren jedoch auch hohe Erwartungshaltungen<br />

seitens der angehenden<br />

Lehrpersonen im Vorbereitungsdienst<br />

an ihre Mentor:innen, die vor dem Hintergrund<br />

der aktuellen Arbeitsbelastung<br />

gesehen und seitens der Schulleitung<br />

wahrgenommen <strong>werden</strong> müssen. Eine<br />

klare Kommunikation und Transparenz<br />

über die Entwicklung sowie eine Arbeit<br />

auf Augenhöhe sind daher entscheidend<br />

für eine erfolgreiche Zusammenarbeit<br />

und gewinnbringende Arbeitsbeziehung.<br />

Dann kann im Idealfall auch eine professionelle<br />

Lerngemeinschaft entstehen,<br />

von der beide Seiten profitieren.<br />

Fazit<br />

Damit <strong>Lehramt</strong>sanwärter:innen und<br />

Mentor:innen bereits während des Vorbereitungsdienstes<br />

und auch zukünftig<br />

zu Kolleg:innen und Kooperationspartner:innen<br />

<strong>werden</strong> können, sollten<br />

die Bedingungen für Aus-, Fort- und<br />

Weiterbildung so gestaltet <strong>sein</strong>, dass<br />

das Referendariat als intensive Phase in<br />

einer professionellen Lerngemeinschaft<br />

erlebt wird. Von dieser Zusammenarbeit<br />

profitieren im Idealfall alle Beteiligten.<br />

Dazu stellt die Kommunikation einen<br />

zentralen Aspekt im Mentoring dar.<br />

Eine offene Gesprächsbereitschaft, aktives<br />

Zuhören und eine positive Grundeinstellung<br />

fördern die Transparenz und<br />

ermöglichen ein konstruktives Arbeitsverhältnis.<br />

Dabei entsteht ein komplexes<br />

Geflecht gegenseitiger Erwartungen,<br />

das eine klare Verständigung über Rollen,<br />

Aufgaben und Ziele erfordert.<br />

Dies dient dazu, Missverständnissen<br />

und Enttäuschungen vorzubeugen und<br />

eine wechselseitige Arbeitsbeziehung zu<br />

fördern, von der beide Seiten sowohl persönlich<br />

als auch fachlich profitieren können.<br />

In Anbetracht des aktuellen Lehrer:innenmangels,<br />

der hohen Anforderungen<br />

an die tätigen Lehrkräfte und der<br />

Komplexität des Berufsfelds Grundschule<br />

sind die Ausbildung und die Unterstützung<br />

angehender Lehrkräfte umso bedeutender.<br />

Es ist entscheidend, dass Mentor:innen<br />

und Referendar:innen in einer<br />

positiven und konstruktiven Arbeitsbeziehung<br />

zusammenarbeiten, um „gemeinsam<br />

das Boot zu segeln“. <br />

Literaturangaben zum Artikel<br />

können Sie von unserer Website herunterladen:<br />

https://t1p.de/GSa167Lit<br />

14 GS aktuell 167 • September 2024


Praxis: <strong>Lehramt</strong> <strong>studieren</strong><br />

Anna Maria Peplow<br />

„Sei du selbst die Veränderung …“<br />

Wie ich gelernt habe, Widersprüche zwischen<br />

Studium und Schulpraxis einzuordnen<br />

Am Ende meines Grundschullehramtsstudiums – ich bin 23 Jahre alt – ist es<br />

für mich kaum greifbar, dass mein Studium nach fünf Jahren und zwei großen<br />

Abschlüssen dem Ende entgegengeht und ich mich nun auf das Referendariat<br />

vorbereiten kann.<br />

Die vielen Jahre im <strong>Lehramt</strong>sstudium<br />

haben mich überrascht,<br />

inspiriert und gefordert<br />

und mir einen tiefen Einblick in mein<br />

späteres Berufsfeld gegeben. In diesem<br />

Beitrag möchte ich meinen Weg ins Studium,<br />

meine Erfahrungen und meine<br />

persönliche Reflexion teilen.<br />

Mein Weg ins Studium<br />

Nach dem Abitur standen mir viele Wege<br />

offen: Studium, Ausbildung, Reisen ins<br />

Ausland. Ich entschied mich für ein Bundesfreiwilligenjahr<br />

an einer Grundschule<br />

in meiner Heimatstadt an der Nordsee.<br />

Dies war der erste große Perspektivwechsel.<br />

Nachdem ich zwölf Jahre lang<br />

selbst die Schule besucht hatte, stand ich<br />

nun vor einer Klasse und versuchte, die<br />

stürmische 4c in den Griff zu bekommen.<br />

Bereits nach kurzer Zeit entfachte sich<br />

bei mir eine Leidenschaft für den Lehrberuf,<br />

ausgelöst durch die jungen Menschen,<br />

die strahlend und zufrieden nach<br />

Hause gingen, nachdem sie etwas Neues<br />

in meinem Unterricht gelernt hatten.<br />

Studium und<br />

Schulpraxis – Widersprüche<br />

te und Beispiele der Dozierenden. Mit<br />

Blick auf die reale Schulpraxis in Bremen<br />

ließen sich dann aber erschreckende<br />

Erkenntnisse sammeln. In den Mitarbeiter:innenzimmern<br />

wurde über Brennpunktschulen<br />

und hohe Krankheitsstände<br />

unter den Lehrkräften berichtet. Die<br />

Realität war geprägt von Stress, Lehrkräftemangel<br />

und überfüllten Klassen.<br />

Die im Studium vermittelten Ideale der<br />

Inklusion waren oft nicht umsetzbar,<br />

auch stellten die Praxisphasen während<br />

der Corona-Pandemie zusätzliche Herausforderungen<br />

dar.<br />

Enttäuschende Erfahrungen<br />

auf dem Weg<br />

Besonders während des Bachelorstudiums<br />

erlebte ich Phasen von<br />

Erschöpfung und Frustration. Tolle Ideen<br />

aus dem Studium wurden im Kollegium<br />

oft belächelt, und ich wurde mit der harten<br />

Realität an den Schulen konfrontiert.<br />

In dieser Phase motivierten mich<br />

die Herausforderungen während der<br />

Corona-Pandemie: Ansätze des Lernens<br />

mit digitalen Medien, Fortbildungen<br />

im Bereich Gesundheit und Hygiene<br />

und das Lernen über Fernunterricht.<br />

Ich erkannte, dass ich aktiv <strong>werden</strong> und<br />

selbst Verantwortung übernehmen musste,<br />

um meine Ideen und Projekte umzusetzen.<br />

Mein Wunsch, Kinder zu unterrichten,<br />

der im Bundesfreiwilligenjahr<br />

entfacht worden war, wuchs stetig. Es<br />

ging mir dabei nicht nur um das Unterrichten,<br />

sondern zunehmend um die<br />

Möglichkeiten, die ich als Lehrerin habe,<br />

das Lernen der einzelnen Kinder zu formen<br />

und sie in ihrer Entwicklung zu<br />

unterstützen. Kindern gerecht zu <strong>werden</strong>,<br />

Kinder zu fördern und zu fordern<br />

und auf ihrem individuellen Lernweg zu<br />

Anna Maria Peplow,<br />

Studium Grundschullehramt mit den<br />

Schwerpunkten inklusive Pädagogik,<br />

Deutsch und Kunst, Sprecherin des Jungen<br />

Grundschulverbands in Bremen.<br />

Noch während des Bundesfreiwilligenjahres<br />

bewarb ich mich für das <strong>Lehramt</strong>sstudium<br />

in Bremen, das besonders mit<br />

dem Fach Inklusive Pädagogik warb, das<br />

mir bekannt, aber inhaltlich Neuland für<br />

mich war. In Bremen angekommen, stand<br />

ich vor der ersten Herausforderung: Universität!<br />

Dieser folgten die zahlreichen<br />

Praxi<strong>sein</strong>heiten an Grundschulen.<br />

Meine Erwartungen an das Fach Inklusive<br />

Pädagogik wurden im Studium<br />

voll erfüllt. Neben theoretischem Input<br />

gab es immer wieder praxisnahe Projekbegleiten,<br />

war besonders während des<br />

Praxissemesters meine tägliche Motivation.<br />

Netzwerke und Engagement<br />

Das Praxissemester sah ich als Vorbereitung<br />

und ersten Einblick in das<br />

Referendariat. In der Zeit knüpfte ich<br />

wertvolle Kontakte in der Uni und in<br />

den Schulen. Das angeeignete Wissen<br />

und meine Motivation und Euphorie aus<br />

den Projekten gaben mir bei der Durchführung<br />

der Unterricht<strong>sein</strong>heiten Sicherheit.<br />

Nach Abschluss meines Praxissemesters<br />

war nach dem häufigen Auf<br />

und Ab der Gefühle bezüglich meiner<br />

Berufswahl deutlich, dass ich die absolut<br />

richtige Entscheidung getroffen hatte.<br />

Mir war klar, ich musste mit der Realität<br />

an den Schulen konfrontiert <strong>werden</strong>,<br />

auch die Handlungsunsicherheit spüren<br />

und mich aus dieser befreien und meinen<br />

eigenen Weg finden.<br />

Während dieser Findungsphase im<br />

Studium habe ich viele Kommiliton:innen<br />

auf dem Weg verloren, Studierende,<br />

die – ähnlich wie ich – schockiert von der<br />

Realität an den Schulen waren. Ich entschloss<br />

mich daher, dem Grundschulverband<br />

beizutreten, und schloss mich<br />

der in Bremen bestehenden Gruppe Junger<br />

Grundschulverband an. Der Gruppe<br />

GS aktuell 167 • September 2024<br />

15


Praxis: <strong>Lehramt</strong> <strong>studieren</strong><br />

gehören Studierende an, die gemeinsam<br />

neue Studierende darin bestärken möchten,<br />

dass sie handlungsfähig sind, dass sie<br />

selbst etwas tun und wir uns gemeinsam<br />

für die Grundschulen und letztendlich<br />

für die Kinder einsetzen können.<br />

Bildungspolitische Arbeit<br />

Inzwischen bin ich Sprecherin im Jungen<br />

Grundschulverband. Mir wurde die Aufgabe<br />

zuteil, unsere Ideen und Aufgaben<br />

regelmäßig dem Vorstand der Landesgruppe<br />

zu präsentieren. Damit kam ich<br />

in ein spannendes Netzwerk, das sich<br />

aus Beziehungen zu Dozierenden, Lehrkräften,<br />

Schulleiter:innen, emeritierten<br />

Professor:innen, Autor:innen, Politiker:innen<br />

und auch Referendar:innen<br />

zusammensetzt. Ich habe das Gefühl,<br />

endlich angekommen zu <strong>sein</strong>. Bildungspolitische<br />

Themen <strong>werden</strong> auf hohem<br />

Niveau diskutiert und wir konfrontierten<br />

politische Entscheidungsträger:innen<br />

mit unseren Aspekten. Themen, die<br />

uns Studierende über Jahre beschäftigen,<br />

können wir auf unterschiedlichen Plattformen<br />

aufgreifen und in Podcasts mit<br />

Expert:innen besprechen. Die Gründe,<br />

warum Inhalte und Aspekte aus dem<br />

Studium an den Schulen nicht umgesetzt<br />

<strong>werden</strong> konnten, <strong>werden</strong> endlich gehört,<br />

diskutiert und hinterfragt.<br />

Vorbereitung auf das Referendariat<br />

Nun befinde ich mich am Ende meines<br />

Studiums und stehe vor dem nächsten<br />

großen Schritt, dem Referendariat. Regelmäßig<br />

kommen unter Freund:innen und<br />

Kommiliton:innen Fragen auf, an welche<br />

Schule man nun gehen würde, in<br />

welchem Bundesland man bleiben oder<br />

welche Ziele man sich setzen wolle. Das<br />

Thema Inklusion ist mir während meines<br />

Studiums sehr ans Herz gewachsen. Das<br />

Referendariat an den Schulen in Bremen<br />

zu absolvieren, an denen ich zu diesem<br />

Aspekt geforscht und gearbeitet habe, ist<br />

für mich nur logisch. Auch die Ideale, die<br />

wir als Junger Grundschulverband vertreten,<br />

möchte ich im Referendariat weiter<br />

verfolgen. Die Vorbereitung und die Einblicke<br />

durch die Universität in die Schulpraxis,<br />

die Vorbereitung auf das Referendariat<br />

und der tatsächliche Handlungsspielraum<br />

einer Studierenden waren mir<br />

oft zu theoretisch und zu wenig praxisorientiert.<br />

Wäre ich nicht meiner eigenen<br />

Motivation nachgegangen, hätte ich viele<br />

Informationen und Erfahrungen bis jetzt<br />

nicht sammeln können. An dieser Stelle<br />

betrachte ich das Studium daher kritisch.<br />

Auf fachlicher und theoretischer Ebene<br />

wurde ich in den Fächern sehr gut vorbereitet.<br />

Die Frustration der Studierenden<br />

an den Schulen wird jedoch nicht durch<br />

das Wissen über die Gehirnaktivitäten<br />

von Schüler:innen während des Lernens<br />

gesenkt. Vielmehr interessiert uns, welche<br />

bildungspolitischen Entscheidungen<br />

hinter unserem späteren Berufsfeld liegen,<br />

welche Herausforderungen auf uns<br />

zukommen <strong>werden</strong> und wie wir aktiv<br />

<strong>werden</strong> können.<br />

Zukunftsperspektiven und Ziele<br />

Meine zukünftigen Erwartungen und<br />

persönlichen Ziele setzen sich aus zwei<br />

wesentlichen Aspekten zusammen. Erstens<br />

würde ich Studierenden gern zeigen,<br />

wie umfangreich und vielseitig Grundschule<br />

und das Grundschullehramt <strong>sein</strong><br />

können, z. B. durch die Teilnahme an<br />

Projekten wie dem Besuch von Modellschulen,<br />

Draußenschulprojekten und interessanten<br />

bildungspolitischen Gesprächen<br />

mit Expert:innen. Zweitens möchte ich im<br />

Referendariat meine Leidenschaft weiterentwickeln<br />

und noch mehr Facetten des<br />

Berufs kennenlernen, z. B. durch konkrete<br />

Bezüge zu Schulen. Dabei liegen mir<br />

besonders die Arbeit mit Kolleg:innen,<br />

Kooperation und Elternarbeit in Schule,<br />

Leitung und Engagement am Herzen.<br />

Astrid Rank<br />

Inklusive Kompetenz im<br />

Studium erwerben<br />

Die Entwicklung von Kompetenzen, insbesondere im Bereich der Inklusion, ist<br />

ein zentrales Thema in der Lehrkräftebildung. Sowohl Schulen als auch Universitäten<br />

legen zunehmend Wert auf die Fähigkeit, theoretisches Wissen praktisch<br />

anzuwenden. In diesem Zusammenhang gewinnen Programme wie das Zusatzstudium<br />

Inklusion Basiskompetenzen (ZIB) an Bedeutung, da sie eine enge Verknüpfung<br />

von Theorie und Praxis ermöglichen.<br />

Dieser Text zeigt zunächst auf,<br />

was inklusive Kompetenz <strong>sein</strong><br />

kann. Im Folgenden wird das<br />

ZIB als Modell für inklusionsbezogene<br />

Kompetenzentwicklung vorgestellt und<br />

durch die Einschätzung einer Studentin<br />

ergänzt (s. https://t1p.de/GSa167Lit).<br />

Kompetenz<br />

Seit vielen Jahren liegt der Fokus in Schule<br />

und Studium auf der Entwicklung<br />

von Kompetenzen, also Fähigkeiten, die<br />

in bestimmten Domänen angewendet<br />

<strong>werden</strong> können. Hierzu existieren ver-<br />

schiedene Positionen, je nachdem, ob<br />

man eher die Disposition in den Blick<br />

nimmt oder die Anwendung in konkreten<br />

Situationen. Für das schulische<br />

und universitäre Lernen sind beide<br />

Aspekte entscheidend. Schule und Studium<br />

sind darauf ausgelegt, Wissen für<br />

die Zukunft „auf Vorrat“ zu vermitteln.<br />

Denn das, was gelernt wird, wird erst<br />

später gebraucht. Die Forschung zeigt<br />

allerdings, dass Anwendungssituationen<br />

auch bereits beim Wissenserwerb relevant<br />

sind (situiertes Lernen, vgl. Rank<br />

2022). Deshalb sollte Lernen in kon-<br />

16 GS aktuell 167 • September 2024


Praxis: <strong>Lehramt</strong> <strong>studieren</strong><br />

kreten Situationen stattfinden oder das<br />

Gelernte während des Lernprozesses auf<br />

Anwendungssituationen bezogen <strong>werden</strong>.<br />

Das muss für Lehrerinnen und Lehrer<br />

nicht immer der konkrete Unterricht<br />

<strong>sein</strong>. Zielführend ist vor allem das Arbeiten<br />

in spezifisch für die Kompetenzerwartung<br />

zugeschnittenen Situationen,<br />

etwa mit Filmen oder Schülerprodukten.<br />

Inklusion<br />

Die Diskussion um den Inklusionsbegriff<br />

wird seit Längerem geführt (vgl.<br />

Rank 2024). Man unterscheidet grob<br />

zwischen einem engen und einem weiten<br />

Verständnis. Das enge Verständnis<br />

fokussiert vor allem die Integration<br />

von Menschen mit Behinderungen<br />

in das bestehende Regelschulsystem<br />

und hat seit der Ratifizierung der UN-<br />

Behindertenrechtskonvention 2009 an<br />

Bedeutung gewonnen. Das weite Verständnis<br />

hingegen bezieht sich auf alle<br />

Heterogenitätsmerkmale und zielt auf<br />

eine Überwindung der Zwei-Gruppen-<br />

Theorie (mit und ohne Förderbedarf)<br />

ab. In der Lehrkräftebildung ist das enge<br />

Verständnis von Inklusion durchaus<br />

nicht unerheblich, da in der Praxis vor<br />

allem über die Gruppe der Schülerinnen<br />

und Schüler mit Förderbedarf diskutiert<br />

wird. Grundschulen sollten jedoch als<br />

Schulen der Vielfalt das weite Verständnis<br />

leben oder zumindest anstreben.<br />

Inklusionsbezogene Kompetenz<br />

Eine Literatursichtung von König et al.<br />

(2019) zeigt, dass sich die Anforderungen<br />

an Lehrkräfte in inklusiven Settings<br />

auf Diagnose, Intervention und Förderung,<br />

Management und Organisation,<br />

Beratung und Kommunikation<br />

erweitern. Die üblichen Kompetenzbereiche<br />

Erziehen, Unterrichten, Beraten,<br />

Beurteilen, Innovieren, Kooperieren,<br />

Organisieren, inklusive Pädagogik (hier<br />

aufgelistet nach der bayerischen Zulassungs-<br />

und Ausbildungsordnung für das<br />

<strong>Lehramt</strong> für Sonderpädagogik (ZALS):<br />

§ 15 Kompetenzbereiche und Inhalte<br />

der Ausbildung) <strong>werden</strong> also vertieft<br />

und erweitert. Modelle zu professioneller<br />

Kompetenz von Lehrkräften beziehen<br />

sich in der Regel auf die Trias aus Wissen,<br />

Haltungen und Handlungskompetenzen.<br />

Die Teilkompetenzen <strong>werden</strong> dann nochmals<br />

untergliedert (z. B. das professionelle<br />

Wissen in fachdidaktisches Wissen, Fachwissen,<br />

pädagogisches Wissen, Beratungswissen<br />

und Organisationswissen).<br />

Ein umfassender Kompetenzkatalog<br />

für das Thema Inklusion ist das „Profil<br />

für inklusive Lehrerinnen und Lehrer<br />

(TE4I)“ der Europäischen Agentur<br />

(European Agency for Development<br />

in Special Needs and Inclusive Education<br />

2012). In diesem Profil <strong>werden</strong> vier<br />

Grundwerte formuliert, welche auch als<br />

Kompetenzbereiche gesehen <strong>werden</strong><br />

können: Wertschätzung der Diversität,<br />

Unterstützung aller Lernenden, Kooperation,<br />

berufliche Weiterentwicklung.<br />

Diese Kompetenzbereiche <strong>werden</strong> dann<br />

in Einstellungen und Überzeugungen/<br />

Wissen und Verständnis / Fähigkeiten<br />

und Fertigkeiten unterteilt.<br />

Das Zusatzstudium Inklusion<br />

Basiskompetenzen (ZIB)<br />

Prof. Dr. Astrid Rank<br />

ist Inhaberin des Lehrstuhls für allgemeine<br />

Grundschulpädagogik und<br />

Grundschuldidaktik an der Universität<br />

Regensburg. Sie ist als Dozentin und<br />

Fortbildnerin tätig und forscht in mehreren<br />

Drittmittelprojekten zu Inklusion<br />

und Lehrkräfteprofessionalisierung.<br />

Das ZIB beruht inhaltlich auf dem „Profil<br />

für inklusive Lehrerinnen und Lehrer“<br />

und erstreckt sich über drei Semester,<br />

die in einer festen Abfolge und in<br />

einer festen Gruppe absolviert <strong>werden</strong>.<br />

Ein zentraler Bestandteil ist die systematische<br />

Theorie-Praxis-Verknüpfung.<br />

Die Studierenden sammeln wöchentlich<br />

vielfältige Erfahrungen in einer<br />

fest zugeteilten Praktikumsklasse an<br />

einer inklusiv arbeitenden Regel- oder<br />

Förderschule und vertiefen diese freitags<br />

in Seminaren. Hier <strong>werden</strong> Inhalte<br />

erarbeitet, welche die Studierenden<br />

in der Woche darauf dann in ihrer<br />

Praktikumsklasse ausprobieren und<br />

anwenden. So findet eine sehr enge Verzahnung<br />

von Theorie und Praxis statt.<br />

Zudem sammeln die Studierenden in<br />

einem dreiwöchigen Blockpraktikum,<br />

das sowohl an einer Regelschule als auch<br />

an einer Förderschule absolviert wird,<br />

weitere unterschiedliche Einblicke in<br />

die inklusive Arbeit. Jedes Semester findet<br />

ein zusätzliches Blockseminar statt,<br />

das theoretische Inhalte vermittelt. In<br />

den drei Semestern <strong>werden</strong> die Studierenden<br />

durchgehend von einem Dozierendentandem<br />

begleitet.<br />

Ein weiterer wichtiger Baustein ist der<br />

sukzessive Aufbau des ZIB. Dieser steigert<br />

die Anforderungen und die Komplexität<br />

von Semester zu Semester. Das<br />

erste Semester ist der individuellen Förderung<br />

gewidmet. Im Praktikum <strong>werden</strong><br />

diagnostische Beobachtungen durchgeführt,<br />

ein Förderplan für ein Kind erstellt<br />

und ein Förderangebot erarbeitet,<br />

welches selbstständig geplant, durchgeführt<br />

und evaluiert wird. Im zweiten<br />

Semester beziehen sich die gesteigerten<br />

Anforderungen auf die Förderung einer<br />

Kleingruppe. Es <strong>werden</strong> Methoden und<br />

Differenzierungsmaßnahmen entwickelt.<br />

Das dritte Semester wird theoretisch<br />

unter den Aspekt des Classroom<br />

Managements gestellt und in der Praxis<br />

übernehmen die Studierenden eine<br />

Schulstunde, die sie selbstständig planen<br />

und durchführen.<br />

Die Studierenden fertigen über ihre<br />

Zeit im ZIB ein Portfolio an, welches als<br />

Leistungsnachweis dient.<br />

Die Begleitforschung lässt bei den<br />

Teilnehmenden eine ausgesprochen<br />

positive und gegenüber einer Kontrollgruppe<br />

signifikant höhere Kompetenzentwicklung<br />

erkennen.<br />

Fazit<br />

Das ZIB wird sowohl von den Studierenden<br />

als auch von den beteiligten Schulen<br />

als wertvolle Bereicherung empfunden.<br />

Die signifikant höhere Kompetenzentwicklung<br />

bei den Teilnehmenden<br />

bestätigt diesen Eindruck. Dennoch<br />

bleibt die Herausforderung, eine ZIBartige<br />

Struktur für alle Studierenden<br />

zu schaffen und relevante Elemente ins<br />

Regelstudium zu integrieren.<br />

Literaturangaben und Langversion dieses<br />

Artikels können Sie von unserer Website<br />

herunterladen: https://t1p.de/GSa167Lit<br />

GS aktuell 167 • September 2024<br />

17


Praxis: <strong>Lehramt</strong> <strong>studieren</strong><br />

Andreas Niessen, Matthias Martens, Marion Hensel, Hildegard Horstkemper-Schürmann<br />

Die Genese der IUS – ein Kurzporträt<br />

Neue Wege in der Lehrer:innenbildung –<br />

die inklusive Universitätsschule Köln<br />

Am Beginn des Weges hin zur Gründung der Inklusiven Universitätsschule Köln<br />

(IUS) stand eine studentische Initiative. Während der Proteste gegen die Einführung<br />

von Studiengebühren 2008 forderten <strong>Lehramt</strong>s<strong>studieren</strong>de der Universität<br />

zu Köln die Erprobung neuer Wege in der Lehrer:innenbildung. Vorbild waren<br />

die finnischen Teacher Training Schools. Wesentliche Impulse erhielt diese Initiative<br />

durch die Debatte um die Inklusion in Schule und Bildung im Kontext<br />

der Ratifizierung der UN-Behindertenrechtskonvention durch die Bundesrepublik<br />

Deutschland (2009).<br />

Die Inklusive Universitätsschule<br />

Köln (IUS) besteht aus zwei<br />

eigenständigen Schulen: Die<br />

zweizügige Helios-Primarstufe wurde<br />

2015 gegründet, die Gründung der<br />

Helios-Sekundarstufe folgte 2018 als<br />

vierzügige Gesamtschule. Als Schulen in<br />

städtischer Trägerschaft arbeiten beide<br />

Schulen nach den jeweils geltenden<br />

Bestimmungen des Schulgesetzes NRW<br />

und den entsprechenden Ausbildungsund<br />

Prüfungsordnungen.<br />

Am Entstehungsprozess waren von<br />

Anfang an Studierende, Dozierende und<br />

Wissenschaftler:innen der Universität zu<br />

Köln, Personen aus der Schulpraxis sowie<br />

aus der Kölner Stadtgesellschaft beteiligt.<br />

Ein zentrales Element des Projekts<br />

ist die Errichtung eines gemeinsamen<br />

Schulgebäudes, das nach dem<br />

Konzept der offenen Lernlandschaften<br />

gestaltet ist und den Erfordernissen<br />

einer zeitgemäßen inklusiven Lernkultur<br />

Rechnung trägt (Hubeli et al. 2017).<br />

Die Universität zu Köln wird im Neubau<br />

eigene Räume für Lehrer:innenbildung<br />

und Forschung beziehen.<br />

Zentrale Anliegen und<br />

Ziele des Projekts IUS – der<br />

Kooperationsvertrag<br />

Das zentrale Anliegen der IUS besteht<br />

darin, eine Schule zu entwickeln, die<br />

inklusive Bildung für alle ermöglicht<br />

und als innovativer Ort der Lehrer:innenbildung<br />

in allen Phasen neue Wege<br />

einer zeitgemäßen Professionalisierung<br />

eröffnet sowie neue, sinnstiftende Formen<br />

der Theorie-Praxis-Verknüpfung<br />

anbietet. Die IUS soll Studierenden der<br />

verschiedenen <strong>Lehramt</strong>sstudiengänge<br />

und Fächer die Gelegenheit geben,<br />

Haltungen und Kompetenzen für ein<br />

erfolgreiches Arbeiten an inklusiven<br />

Schulen zu erwerben (Reich et al. 2015;<br />

Hensel et al. 2020). In einem ganzheitlichen<br />

und interprofessionellen Ansatz<br />

sollen außerdem Verknüpfungen zur<br />

Ausbildung in anderen pädagogischen<br />

Professionen (Sozialpädagogik, Soziale<br />

Arbeit) geschaffen <strong>werden</strong>.<br />

Der im Mai 2022 unterzeichnete Kooperationsvertrag<br />

zwischen der Universität<br />

zu Köln, der Stadt Köln und der<br />

Bezirksregierung Köln definiert vier<br />

zen-trale Handlungsfelder: Lehrer:innenbildung,<br />

Schulentwicklung, Forschung<br />

und Innovationstransfer. Dass<br />

die Lehrer:innenbildung im Zentrum<br />

der Kooperation steht, ist unter den<br />

deutschen Universitätsschulen einmalig.<br />

Aktuell starten wir eine Pilotierung<br />

des IUS-Praxissemesters mit einer<br />

deutlich erhöhten Zahl von Studierenden<br />

(zwölf an der Primarstufe und 24<br />

an der Sekundarstufe) und evaluieren<br />

das Ausbildungskonzept im Zusammenspiel<br />

der beteiligten professionellen<br />

Lernorte.<br />

Darüber hinaus ist die IUS auch in<br />

den anderen universitären Praxisphasen<br />

aktiv und bietet im Eignungs- und<br />

Orientierungspraktikum sowie im Berufsfeldpraktikum<br />

spezifische Ausbildungskonzepte<br />

an. In allen lehrer:innenbildenden<br />

Fakultäten haben sich<br />

Kooperationen zwischen universitären<br />

Lehrveranstaltungen und den beiden<br />

Heliosschulen etabliert.<br />

Im Fokus: Lehrer:innenbildung<br />

an einer interprofessionell<br />

arbeitenden inklusiven Teamschule<br />

Die IUS versteht sich in allen Bereichen<br />

als Team- und Beziehungsschule. Dabei<br />

bilden die sogenannten Lernlandschaften<br />

den strukturellen Rahmen für<br />

die Kooperation. Teams aus Lehrer:innen,<br />

Ganztagskräften, Inklusionsbegleiter:innen<br />

und gegebenenfalls Mitarbeiter:innen<br />

weiterer Professionen<br />

betreuen jeweils 50 (Primarstufe) bis<br />

110 (Sekundarstufe) Schüler:innen.<br />

Dies bezieht sich sowohl auf die psychosoziale<br />

und pädagogische Arbeit als<br />

auch auf die Begleitung und die Förderung<br />

der Schüler:innen bei den vielfältigen<br />

Lerngelegenheiten (Projekte,<br />

Werkstätten, Stammgruppenzeit, Fachunterricht).<br />

Die Fächer der Stundentafeln<br />

für die jeweiligen Schulstufen<br />

und Jahrgänge <strong>werden</strong> zu größeren<br />

Einheiten – Lernformate – zusammengefasst.<br />

In der Primarstufe orientiert<br />

sich das fachliche Lernen der<br />

Schüler:innen an Themenklammern,<br />

die für eine bestimmte Lernepoche festgelegt<br />

<strong>werden</strong>.<br />

Für die konkrete Gestaltung des<br />

Lernens sind vor allem die Voraussetzungen,<br />

Bedarfe und Potenziale der<br />

Kinder und Jugendlichen ausschlaggebend.<br />

Im Sinne einer partizipativen<br />

Bildung ist die Mitbestimmung der<br />

Schüler:innen bei der Auswahl von<br />

Lerninhalten, Lernmethoden, Lernorten,<br />

Lernprodukten, etc. von besonderer<br />

Bedeutung. Grundlage für die<br />

Lernkultur an der IUS sind der konstruktivistische<br />

Lernbegriff (Reich 2012)<br />

sowie – neben den Vorgaben der Stundentafeln<br />

und der Kernlehrpläne des<br />

Landes NRW – die Sustainable Development<br />

Goals der Vereinten Nationen<br />

bzw. die Grundsätze der Bildung<br />

für nachhaltige Entwicklung, wie sie in<br />

der entsprechenden Leitlinie des Landes<br />

NRW formuliert sind.<br />

18 GS aktuell 167 • September 2024


Praxis: <strong>Lehramt</strong> <strong>studieren</strong><br />

Im Sinne eines weit gefassten Verständnisses<br />

von Inklusion steht an beiden<br />

Schulen im Zentrum des pädagogischen<br />

Handelns eine hohe Sensibilität<br />

für die Gestaltung kontinuierlicher Bildungsverläufe<br />

und die Reduzierung von<br />

Bildungsungerechtigkeiten. Barrierefreiheit,<br />

Partizipation und Demokratie,<br />

Digitalisierung, offene Lernformate sowie<br />

selbst gesteuertes, projektorientiertes<br />

und interdisziplinäres Lernen sind<br />

wesentliche Gestaltungselemente einer<br />

zeitgemäßen und zukunftsfähigen Pädagogik<br />

an der IUS, die von den Studierenden<br />

der verschiedenen Lehrämter adaptiert<br />

und mitgestaltet <strong>werden</strong> soll.<br />

Inhalte und Methoden der überwiegenden<br />

Zahl der Lerngelegenheiten an<br />

der IUS <strong>werden</strong> in kleinen fachbezogenen<br />

bzw. überfachlichen Teams kollaborativ<br />

entwickelt. Auch die Umsetzung<br />

von Lernplänen, Projekten, und sonstigen<br />

Lerngelegenheiten wird in aller Regel<br />

von Teams statt von Einzelpersonen<br />

verantwortet. Die Studierenden in den<br />

verschiedenen Praxisphasen und insbesondere<br />

im Praxissemester <strong>werden</strong> konsequent<br />

in die teamorientierte Schulentwicklung<br />

und die pädagogische Arbeit<br />

einbezogen. Sie haben so die Möglichkeit,<br />

schon in der ersten Phase der Lehrer:innenbildung<br />

Konzepte der Kooperation<br />

und der Kollaboration kennenzulernen<br />

und entsprechende Erfahrungen<br />

zu sammeln.<br />

Eine Universitätsschule entwickeln<br />

und aufbauen – Herausforderungen<br />

und Potenziale<br />

Die Entwicklung der didaktisch-pädagogischen<br />

Konzepte für die Arbeit mit<br />

den Schüler:innen ist ein hochgradig<br />

komplexer Prozess, wenn der Aufbau<br />

einer Universitätsschule gemeinsam mit<br />

Studierenden und Lehrer:innen erfolgt.<br />

Damit die an diesem Prozess beteiligten<br />

Institutionen und Personen intensiv und<br />

dabei ressourcenschonend eingebunden<br />

sind, bedarf es einer gemeinsamen Haltung<br />

mit einem expliziten Commitment<br />

(Kooperationsvertrag), einer durchdachten<br />

und effektiven Governance-<br />

Struktur und eines langen Atems im<br />

Entwicklungsprozess. Um diese für den<br />

Erfolg des Projekts bedeutsamen Strukturen<br />

aufzubauen und zu erhalten, sind<br />

zum einen personelle und zeitliche<br />

Ressourcen auf der Ebene der Leitung<br />

Von links:<br />

Dr. Matthias Martens ist Professor für Schulforschung mit dem Schwerpunkt Unterrichtsentwicklung<br />

an der Universität zu Köln und wissenschaftlicher Leiter der Inklusiven<br />

Universitätsschule Köln (IUS). Kontakt: m.martens@uni-koeln.de<br />

Andreas Niessen ist Schulleiter der Helios-Sekundarstufe, Inklusive Universitätsschule<br />

Köln (IUS). Kontakt: andreas.niessen@heliosschule.de<br />

Marion Hensel ist Schulleiterin der Helios-Primarstufe, Inklusive Universitätsschule<br />

Köln (IUS). Kontakt: marion.hensel@heliosschule.de<br />

Hildegard Horstkemper-Schürmann ist Vorständin des Vereins Perspektive Bildung<br />

e. V. (www.perspektive-koeln.de). Kontakt: hhs@perspektive-koeln.de<br />

und der Koordinierung unerlässlich;<br />

zum anderen braucht es Mitwirkungsund<br />

Kooperationbereitschaft sowie<br />

Begeisterung bei den Menschen an<br />

den Heliosschulen, der Universität und<br />

den Ausbildungsinstitutionen der Ausbildungsregion<br />

Köln.<br />

In Hinblick auf die Gestaltung inklusiver<br />

Bildung und der Gewährleistung<br />

von Chancengerechtigkeit für alle<br />

Schüler:innen erweist sich die Einbindung<br />

eines kompetenten, mit inklusiver<br />

Schulentwicklung erfahrenen Jugendhilfeträgers<br />

als außerordentlich wertvoll.<br />

Die Perspektive Bildung e. V. ist<br />

als Beschäftigungsträger aller Mitarbeiter:innen<br />

im offenen (Primarstufe) und<br />

im gebundenen Ganztag (Sekundarstufe)<br />

sowie aller Inklusionsbegleiter:innen<br />

bzw. Assistenzkräfte fester Bestandteil<br />

der interprofessionellen Kooperation<br />

innerhalb der IUS. Unserer Erfahrung<br />

nach ist dieses Konstrukt eine wesentliche<br />

Voraussetzung für die Umsetzung<br />

eines ganzheitlichen Bildungsverständnisses<br />

und für die Schnittstellen und die<br />

Übergänge in den Bildungsbiografien<br />

der Schüler:innen.<br />

In den Bereichen Lehrer:innenbildung<br />

und Forschung übernimmt das Team der<br />

wissenschaftlichen Leitung eine zentrale<br />

koordinierende Funktion. Es steuert die<br />

Vernetzung der Akteur:innen aufseiten der<br />

Universität (Rektorat, Verwaltung, Fakultäten,<br />

Zentrum für Lehrer:innenbildung)<br />

mit den pädagogischen Mitarbeiter:innen,<br />

den Lehrkräften und den Studierenden an<br />

den beiden Schulen der IUS.<br />

Der oben erwähnte Kooperationsvertrag<br />

für die IUS sieht vor, dass die innovativen<br />

Ansätze in der Schulentwicklung<br />

und der Lehrer:innenbildung auch für<br />

die Weiterentwicklung des Schul- und<br />

Ausbildungssystems außerhalb der IUS<br />

genutzt <strong>werden</strong>. Um dies zu erreichen,<br />

ist perspektivisch ein deutlich höheres<br />

Maß an Autonomie der Schulen wünschenswert<br />

– etwa in Fragen der Stellenbewirtschaftung<br />

und innovativer Arbeitszeitmodelle,<br />

der Personalentwicklung,<br />

der Gestaltung von Stundentafeln und<br />

Curricula, der Leistungsbewertung, der<br />

Strukturen, der Lerngruppen und der Gestaltung<br />

der Übergänge.<br />

Literatur:<br />

Hensel, M., Niessen, A., Reuther, E., Rosen, L.,<br />

Sehnbruch, L., Şengüler, B., Weber, B. &<br />

Werker, B. (2020): Die „Heliosschulen – Inklusive<br />

Universitätsschulen der Stadt Köln“.<br />

Gründungsgeschichte und aktuelle Entwicklungsperspektiven.<br />

WE_OS-Jahrbuch<br />

3, 37–47.<br />

Hubeli, E., Paßlick, U., Pampe, B., Reich, K,<br />

Schneider, J., Seydel, O.: Schulen planen und<br />

bauen 2.0. (2017); Hrsg.: Montag Stiftung<br />

Jugend und Gesellschaft. Berlin: Jovis-Verlag.<br />

Reich, K., Asselhoven, D., & Kargl, S. (Hrsg.)<br />

(2015). Eine inklusive Schule für alle: Das<br />

Modell der Inklusiven Universitätsschule<br />

Köln. Weinheim: Beltz.<br />

GS aktuell 167 • September 2024<br />

19


Praxis: <strong>Lehramt</strong> <strong>studieren</strong><br />

Katrin Lohrmann, Marcel Metten, Julia Kantreiter, Michael Kirch<br />

UNI-Klassen<br />

Professionalisierung von Studierenden<br />

des <strong>Lehramt</strong>s für Grundschule<br />

Seit 2010 beschreitet der Lehrstuhl für Grundschulpädagogik und Grundschuldidaktik<br />

der Ludwig-Maximilians-Universität München innovative Wege in der<br />

Lehrer:innenbildung: Im Rahmen der UNI-Klassen – als Video- und Audiolabore<br />

ausgestattete Klassenzimmer an zwei Münchner Grundschulen – erhalten<br />

angehende Grundschullehrkräfte praxisnahe Lerngelegenheiten, um professionelle<br />

Kompetenzen für die Berufspraxis aufzubauen.<br />

Die beiden UNI-Klassen an<br />

der Grundschule Haimhauserstraße<br />

und der Grundschule<br />

Burmesterstraße unterstützen durch die<br />

Zusammenarbeit mit Lehrkräften und<br />

Schüler:innen sowie durch die theoriegeleitete<br />

Planung, Durchführung und<br />

Reflexion von Unterricht die Professionalisierung<br />

von Studierenden im <strong>Lehramt</strong><br />

an Grundschulen (vgl. Abb. 1).<br />

Professionelle Kompetenzen<br />

entwickeln – professionelles<br />

Handeln ermöglichen<br />

Was macht eine gute <strong>Lehrkraft</strong> aus? Teil<br />

der professionellen Handlungskompetenz<br />

von Lehrkräften ist das Professionswissen<br />

(Baumert/Kunter 2006, 482 ff.).<br />

Dieses pädagogische Wissen, Fachwissen<br />

und fachdidaktische Wissen bildet die<br />

Grundlage professioneller Unterrichtswahrnehmung<br />

(Seidel 2022, 20 f.): Diese<br />

umfasst sowohl Noticing (Fähigkeit<br />

von Lehrkräften, die Aufmerksamkeit<br />

gezielt auf jene Ereignisse im Klassenraum<br />

zu richten, die für Lehr-Lern-Prozesse<br />

besonders relevant sind) als auch<br />

Reasoning (Fähigkeit, diese Ereignisse<br />

anschließend theoriegeleitet zu reflektieren<br />

und zu interpretieren). Professionswissen<br />

und die Fähigkeit zur professionellen<br />

Unterrichtswahrnehmung sind<br />

Basis für die Planung und die Gestaltung<br />

qualitätsvollen Unterrichts (Kunter/<br />

Ewald 2016).<br />

Ein solches qualitätsvolles Unterrichtsangebot<br />

beeinflusst Schüler:innen<br />

sowohl in ihrer Lernentwicklung (z. B.<br />

fachliche und fächerübergreifende Ziele)<br />

als auch in ihrer Persönlichkeitsentwicklung<br />

(z. B. Lernfreude, Motivation,<br />

Selbstwirksamkeit) positiv und wird damit<br />

dem Auftrag der Grundschule nach<br />

grundlegender Bildung gerecht (Lohrmann/Kantreiter/Lenzgeiger<br />

2022).<br />

Professionalisierung für<br />

die vielfältigen Ansprüche<br />

an den Lehrberuf<br />

Das Studium legt die Grundlagen für<br />

diese Professionalisierung und sollte<br />

<strong>Lehramt</strong>s<strong>studieren</strong>den vielfältige<br />

Theorie-Praxis-Bezüge eröffnen. Insbesondere<br />

die professionelle Begleitung<br />

von Praxisphasen ist entscheidend<br />

dafür, ob diese Lerngelegenheiten die<br />

Professionalisierung anregen und unterstützen<br />

(Festner/Gröschner/Goller/<br />

Hascher 2020). Professionelle Unterrichtswahrnehmung<br />

wird sowohl durch<br />

die Analyse von Fremdvideos als auch<br />

Eigenvideos gefördert (Hellermann/<br />

Gold/Holodynski 2015, Nitsche 2014).<br />

Lehren und lernen sichtbar machen<br />

Die UNI-Klassen bieten Studierenden<br />

bereits in der universitären Aus-<br />

Abb. 1: Schüler:innen und Studierende bauen Lego-Bausätze<br />

und programmieren diese<br />

Abb. 2: Im Beobachtungsraum verfolgen Studierende den<br />

videografierten Unterricht der Kommiliton:innen<br />

20 GS aktuell 167 • September 2024


Praxis: <strong>Lehramt</strong> <strong>studieren</strong><br />

Lernräume flexibel gestalten<br />

Von links:<br />

Prof. Dr. Katrin Lohrmann, Inhaberin des Lehrstuhls für Grundschulpädagogik und<br />

Grundschuldidaktik der Ludwig-Maximilians-Universität München<br />

Marcel Metten, Akad. Rat am Lehrstuhl für Grundschulpädagogik und Grundschuldidaktik<br />

der Ludwig-Maximilians-Universität München<br />

Dr. Julia Kantreiter, Akad. Forschungsrätin am Lehrstuhl für Grundschulpädagogik<br />

und Grundschuldidaktik der Ludwig-Maximilians-Universität München<br />

Dr. Michael Kirch, Schulentwickler, Referat für Bildung und Sport, Landeshauptstadt<br />

München<br />

bildungsphase die Chance, theoriegeleitet<br />

Lernarrangements zu planen, im<br />

Unterricht durchzuführen und zu reflektieren.<br />

Der von Studierenden gestaltete<br />

Unterricht in der UNI-Klasse kann<br />

durch die im Raum installierten Kameras<br />

und Mikrofone aufgezeichnet und<br />

in einen Nebenraum übertragen <strong>werden</strong><br />

(vgl. Abb. 2). Hier wird der videografierte<br />

Unterricht von den anderen<br />

Studierenden, den Dozierenden und der<br />

<strong>Lehrkraft</strong> zeitgleich (live) verfolgt oder<br />

zu einem späteren Zeitpunkt betrachtet<br />

und theoriegeleitet reflektiert. Leitend<br />

ist dabei der Dreischritt Unterricht zu<br />

entwickeln, zu erproben und zu evaluieren<br />

(Unterricht e 3 ).<br />

Unterricht e 3<br />

Unterricht entwickeln: Studierende<br />

erschließen sich Professionswissen,<br />

erheben die Lernvoraussetzungen der<br />

Schüler:innen, strukturieren Lerninhalte<br />

und entwickeln ein adaptives, qualitätsvolles<br />

Lernangebot. Dabei arbeiten sie<br />

kooperativ mit anderen Studierenden,<br />

mit Dozierenden, Lehrkräften und / oder<br />

<strong>Lehramt</strong>sanwärter:innen zusammen.<br />

Unterricht erproben: Studierende<br />

erproben die erarbeiteten Lernarrangements<br />

in Plenums- und/oder<br />

Kleingruppensettings. Der Unterricht<br />

wird videografiert und audiografiert,<br />

sofern Schüler:innen und Erziehungsberechtigte<br />

dem zustimmen.<br />

Unterricht evaluieren: Zur Förderung<br />

der professionellen Unterrichtswahrnehmung<br />

filtern (Noticing), interpretieren<br />

und reflektieren (Reasoning)<br />

Studierende den videografierten Unterricht<br />

theoriegeleitet anhand (fach)didaktischer<br />

Kategorien. Die so gewonnenen<br />

Erkenntnisse können die Studierenden<br />

zudem für die weitere Planung und<br />

Durchführung der Unterrichtssequenz<br />

nutzen.<br />

Lehren und Lernen in<br />

den UNI-Klassen<br />

Das Konzept der UNI-Klassen mit dem<br />

Unterricht-e 3 -Prinzip wird in vielfältigen<br />

phasenvernetzenden Kooperationen<br />

umgesetzt: Studierende und Dozent:innen<br />

kooperieren mit Lehrkräften sowie<br />

mit den an den UNI-Klassen-Schulen<br />

angesiedelten Seminarrektor:innen und<br />

<strong>Lehramt</strong>sanwärter:innen. Ziel ist, dass<br />

alle Beteiligten ihre Expertise einbringen<br />

und die Kooperation als gewinnbringend<br />

erleben.<br />

Die entwickelten Lernarrangements<br />

richten sich sowohl auf pädagogische<br />

(z. B. Persönlichkeitsentwicklung der<br />

Schüler:innen: Förderung von Interesse,<br />

von emotionaler Kompetenz) wie auf didaktische<br />

Aspekte von Unterricht (z. B.<br />

Lernentwicklung von Schüler:innen:<br />

Umgang mit Heterogenität in der Zusammenarbeit<br />

mit jahrgangsgemischten<br />

Klassen, Erwerb von Kompetenzen im<br />

Bereich Computational Thinking).<br />

Eine Besonderheit der UNI-Klassen<br />

ist, dass alle Beteiligten Möglichkeiten<br />

der flexiblen Raumgestaltung erproben<br />

können, wie die Erweiterung des Unterrichts<br />

über das Klassenzimmer hinaus,<br />

z. B. durch den Einbezug von Fluren und<br />

anderen Flächen zum eigenständigen<br />

Arbeiten (Ramseger/Kirch 2024) sowie<br />

den Einsatz flexiblen Mobiliars (z. B.<br />

Kreistisch, X-Brick, Z-Tool). Darüber<br />

hinaus können Studierende die Arbeit<br />

mit dem Mobiliar auch in den regulären<br />

Klassen der Kooperationsschulen<br />

erleben (vgl. Abb. 3, 4).<br />

Kooperationen gestalten –<br />

Brücken bauen<br />

Die Arbeit in den UNI-Klassen ist so<br />

konzipiert, dass sowohl für die Universität<br />

als auch für die beteiligten Schulen<br />

ein Mehrwert entsteht.<br />

Für Studierende eröffnen sich in den<br />

UNI-Klassen gewinnbringende Lernund<br />

Erfahrungsmöglichkeiten:<br />

● Entwicklung professioneller Kompetenzen<br />

und der Fähigkeit zur professionellen<br />

Unterrichtswahrnehmung<br />

● Überprüfung der Motivation für die<br />

Berufswahl<br />

● Teamarbeit in allen Phasen von<br />

Unterricht e 3 und Reflexion gelungener<br />

phasenvernetzender Kooperation<br />

● Reflexion von Eigen- und Fremdvideos<br />

auf theoretischer Grundlage und<br />

Formulieren von kollegialem Feedback<br />

● Feedback aus vielfältigen Perspektiven<br />

(Kommiliton:innen, <strong>Lehramt</strong>sanwärter:innen,<br />

Dozierende, Lehrkräfte,<br />

Schüler:innen)<br />

Die Videografie der Unterricht<strong>sein</strong>heiten<br />

spielte eine entscheidende Rolle. Durch<br />

die Videos konnte ich mein eigenes Lehrverhalten<br />

reflektieren und konkrete Bereiche<br />

identifizieren, in denen ich mich<br />

verbessern kann. <br />

Tamina Erlacher, Studentin<br />

Es war es sehr spannend, die Kinder bei<br />

ihrem Tun aufmerksam zu beobachten<br />

und intensiv zu begleiten. Die Arbeit mit<br />

den Kindern in der UNI-Klasse hat mir<br />

einen zusätzlichen Motivationsschub für<br />

mein Studium gegeben und mich in meiner<br />

Berufswahl bestätigt.<br />

Leonie Döbl, Studentin<br />

GS aktuell 167 • September 2024<br />

21


Praxis: <strong>Lehramt</strong> <strong>studieren</strong><br />

Abb. 3 und 4: Der Kreistisch wird sowohl in der UNI-Klasse als auch in einer jahrgangsgemischten FleGS-Klasse (Flexible Grundschule)<br />

an der Kooperationsschule genutzt<br />

Für Lehrkräfte und Schulleitungen<br />

eröffnen die UNI-Klassen Möglichkeiten<br />

der schulinternen Professionalisierung:<br />

● Berücksichtigung thematischer<br />

Wünsche der Lehrkräfte für die Lernarrangements<br />

(z. B. Entwicklung von<br />

Lernspielen zur Wiederholung von Inhalten<br />

am Schuljahresende)<br />

● Maßnahmen zur kognitiven Aktivierung<br />

und Lernunterstützung in Kleingruppen<br />

(z. B. Entwicklung und Durchführung<br />

von Versuchen im Sachunterricht,<br />

Lesen und Strukturieren von<br />

Informationen bei der Erstellung eines<br />

Steckbriefs für ein Referat, individuelle<br />

Diagnose und anschließende Entwicklung<br />

sowie – auch längerfristige – Umsetzung<br />

von Förderplänen im Schriftspracherwerb)<br />

● Inspiration durch „neue“ Medien,<br />

Methoden und Themen (z. B. Computational<br />

Thinking: BeeBots, Lego WeDo<br />

2.0, Lego Spike, Dash Robot)<br />

● Perspektivwechsel durch Möglichkeiten<br />

der Beobachtung – im Falle der<br />

Videografie in einem separaten Beobachtungsraum<br />

Die Kooperation in den UNI-Klassen<br />

wird auch von den beteiligten<br />

Schüler:innen geschätzt, wie die Äußerungen<br />

aus Einzelinterviews mit 23<br />

Zweitklässler:innen aus einer der<br />

Kooperationsschulen zeigen:<br />

● positive Lernarrangements (toll, cool,<br />

spannend, spaßig, überraschend, besonders)<br />

und inhaltliche Vielfalt<br />

● aktives Lernen in Kleingruppen – kognitiv<br />

und handelnd<br />

● Wertschätzung der Zusammenarbeit<br />

mit den Studierenden und der erfahrenen<br />

Lernunterstützung<br />

● flexible Nutzung des Raumes und der<br />

anderen Flächen<br />

In der UNI-Klasse kann man ein Problem in<br />

der Gruppe lösen und die anderen Kinder<br />

helfen. <br />

Arne, 8 Jahre<br />

Wenn ihr da seid und Kinder kommen,<br />

macht ihr immer was Besonderes. Eigentlich<br />

etwas, was für die Schule sonst gar<br />

nicht so normal ist. Laura, 8 Jahre<br />

Mir gefallen sehr die Studentinnen und<br />

Studenten, weil sie so nett sind. Sie finden<br />

immer so neue schöne Themen heraus, die<br />

den Kindern gefallen. David, 8 Jahre<br />

Es macht uns Spaß, Unterricht und Schulleben zu zeigen und gemeinsam mit der Uni Ideen<br />

zu entwickeln und zu gestalten. Durch den Support der Studierenden und Dozierenden<br />

lassen sich auch größere Projekte sehr gewinnbringend für die Schüler:innen umsetzen.<br />

Ulrike Arndt und Martina Hezel, Rektorin und Konrektorin<br />

der Grundschule an der Burmesterstraße<br />

Wenn die Studierenden mit den Schüler:innen in Kleingruppen arbeiten, habe ich Zeit, zu<br />

beobachten. Es ist interessant zu sehen, wie motiviert manche Schüler:innen sind, wenn es<br />

um Lego oder Programmieren geht.<br />

Frau Berger, Lehrerin an der Grundschule an der Haimhauserstraße<br />

Fazit<br />

Ermöglicht wurden und <strong>werden</strong><br />

die UNI-Klassen dank Beteiligung,<br />

Zusammenarbeit und Unterstützung<br />

vieler Akteur:innen: Neben dem bayerischen<br />

Kultusministerium, der Regierung<br />

von Oberbayern, dem Staatlichen<br />

Schulamt in der Landeshauptstadt München,<br />

dem Referat für Bildung und Sport<br />

der Landeshauptstadt München, der<br />

Ludwig-Maximilians-Universität München,<br />

der UnterrichtsMitschau, dem<br />

Lehrstuhl für Grundschulpädagogik<br />

und Grundschuldidaktik sowie den<br />

engagierten Schulleitungen sind dies die<br />

aufgeschlossenen Kollegien sowie die<br />

Schüler:innen und Eltern der beteiligten<br />

Grundschulen. Seit vielen Jahren sind<br />

die UNI-Klassen ein Erfolgsmodell<br />

der universitären Lehrer:innenbildung<br />

und Vorbild für die Initiierung weiterer<br />

UNI-Klassen an verschiedenen anderen<br />

Universitätsstandorten. Zwar eröffnen<br />

die als Video- und Audiolabore ausgestatteten<br />

Klassenzimmer mit dem<br />

Beobachtungsraum besondere Möglichkeiten<br />

der Professionalisierung, heutige<br />

technische Entwicklungen ermöglichen<br />

es aber auch, Videografie und Audiografie<br />

an Kooperationsschulen in leicht<br />

umsetzbarer Form (z. B. mit Tablets) zu<br />

realisieren. <br />

Literaturangaben zum Artikel<br />

können Sie von unserer Website herunterladen:<br />

https://t1p.de/GSa167Lit<br />

22 GS aktuell 167 • September 2024


Praxis: <strong>Lehrkraft</strong> <strong>werden</strong><br />

Und wofür machen wir das alles?<br />

Ein Erfahrungsbericht – Seminararbeit und Vorbereitungsdienst<br />

über Bewertung und Prüfung hinausgedacht<br />

In den sechzehn Bundesländern ist der zweite Ausbildungsabschnitt sehr unterschiedlich<br />

gegliedert: von 12 bis 24 Monaten Vorbereitungsdienst mit vorhergehendem<br />

Studium, dieses mit oder ohne Praxissemester und einer Regelstudienzeit<br />

von 7 bis 10 Semestern und mit einer Prüfungskultur, die viele Fragen nach<br />

der Anpassung an die aktuellen Erfordernisse in der Praxis aufwirft.<br />

Dies alles bestand bereits vor der<br />

Coronakrise. Aktuell scheint sich<br />

zusammen mit dem schweren<br />

Gepäck der Pandemienachwirkungen und<br />

den Diskussionen um Klimakrise,<br />

wirtschaftliche Unsicherheiten, Ungewissheiten<br />

durch Digitalisierung und künstliche<br />

Intelligenz, gepaart mit einem riesigen<br />

Lehrkräftemangel und der – gefühlt<br />

täglich – wachsenden Herausforderung an<br />

den Schulen vieles ins Unerträgliche zu<br />

steigern.<br />

Wie geht es <strong>Lehramt</strong>sanwärter:innen<br />

in dieser Situation? Nimmt der Vorbereitungsdienst<br />

darauf Rücksicht? Wie<br />

reagieren Seminarleitungen auf sich ändernde<br />

Herausforderungen? Werden aktuelle<br />

Situationen oder kritische Veränderungen<br />

in die Bewertung einbezogen?<br />

Und warum ist es trotzdem so wichtig,<br />

dass der Vorbereitungsdienst grundsätzliche<br />

Anforderungen an alle stellt?<br />

Schließlich <strong>werden</strong> alle <strong>Lehramt</strong>sanwärter:innen<br />

dringend gebraucht.<br />

Müssen Herausforderungen, die neben<br />

den fachlichen Kompetenzen einen<br />

wachsenden Anteil an professionellem<br />

Handeln von Lehrkräften einnehmen,<br />

intensiver in die Ausbildung einbezogen<br />

<strong>werden</strong> und deutlich mehr Berücksichtigung<br />

finden? Dringend wäre eine der<br />

Entwicklungssituation angemessene Verständigung<br />

über die aktuellen Ansprüche<br />

an den Vorbereitungsdienst herzustellen<br />

und auch über Handwerkszeug und Haltungen,<br />

die es braucht.<br />

Realitätscheck aus Bayern<br />

Nachfolgend zitierte Fragen formulierten<br />

<strong>Lehramt</strong>sanwärter:innen nach<br />

Ablauf einiger Lehrproben. Fragen, die<br />

wahrscheinlich auch außerhalb Bayerns<br />

auftauchen könnten und Seminarleitungen<br />

nachdenklich <strong>werden</strong> lassen:<br />

„Wofür machen wir das alles? Wir haben<br />

Lernstände erhoben, uns eingearbeitet,<br />

Lernangebote auf verschiedensten<br />

Niveaus hergestellt, uns fokussiert und<br />

dann alles eine ganze Stunde lang gezeigt,<br />

dabei auch noch die Kinder mit<br />

Deutsch als Zweitsprache in einer Art<br />

Sprachlabor passgenau unterstützt. Wochen<br />

und Monate haben wir uns vorbereitet<br />

und dann ist es nur die Note 3!“<br />

(Die Note 3 wird in Bayern definiert<br />

als eine Leistung, die in jeder Hinsicht<br />

durchschnittlichen Anforderungen entspricht.)<br />

Wofür machen wir das alles?<br />

Diese Frage löst Ratlosigkeit aus, weil<br />

sie ausdrückt, wie enttäuschend und<br />

demotivierend nach all der Arbeit die<br />

Note 3 <strong>sein</strong> kann. All der individuelle<br />

Aufwand lohnt sich in den Augen<br />

von <strong>Lehramt</strong>sanwärter:innen nicht für<br />

eine Durchschnittsnote, wenn das zur<br />

Standardbewertung wird, weil an fachlichen<br />

und methodischen Kriterien<br />

gemessen wird und pädagogische sowie<br />

Beziehungsstärken kaum einfließen.<br />

Welche Signale sendet solch eine Frage<br />

der Seminarleitung, was sagt sie über<br />

das Verständnis und die Bedeutung<br />

der Ausbildungsinhalte für den Beruf<br />

aus und gleichzeitig über den Bedarf<br />

an Transparenz und Verständnis über<br />

Ausbildungsabläufe und Bewertungskriterien?<br />

Trifft die Form dieser Rückmeldung<br />

den Anspruch an Beratung<br />

und gibt sie Antwort auf die Frage der<br />

<strong>Lehramt</strong>sanwärter:innen?<br />

Besonders deutlich wird „das Wofür“<br />

in einer Situation wie dieser:<br />

In Unterrichtsvorbereitungen (in Bayern<br />

sind insgesamt zwölf UVs in 1,3 Jahren<br />

anzufertigen) passiert es z. B. immer<br />

wieder, dass durch das plötzliche Feh-<br />

len der Klassenlehrerin Unruhe bei den<br />

Kindern entsteht. Dann gilt für <strong>Lehramt</strong>sanwärter:innen<br />

in besonderem<br />

Maße, Ruhe zu bewahren und auch die<br />

Kinder, die übertrieben und aufgekratzt<br />

reagieren, aufzufangen. Kinder, die ihre<br />

Grenzen austesten, einzufangen und den<br />

Inhalt der vorbereiteten Stunde nicht<br />

aus den Augen zu verlieren, also überall<br />

zu <strong>sein</strong> und das unter Beobachtung<br />

… welch eine Anforderung! Und welch<br />

eine Leistung, wenn es gelingt, auch diese<br />

Kinder zu interessieren, weil der angehenden<br />

<strong>Lehrkraft</strong> offensichtlich gelungen<br />

ist, eine tragende Beziehung zu<br />

einem Kind, das droht, die Stunde zu<br />

werfen, aufzubauen, eine Beziehung, die<br />

auch diesem Kind ermöglicht, dabei zu<br />

<strong>sein</strong>.<br />

Schon Realität oder noch Zukunft<br />

Um mit „Dafür machen Sie das!“ Antworten<br />

geben zu können, ist Voraussetzung,<br />

für Rückmeldung und<br />

Bewertung grundsätzlich die Gesamtsituation<br />

eines Unterrichtsverlaufs zu<br />

analysieren und in die Bewertung miteinzubeziehen.<br />

Also die Unterrichtsvorbereitung<br />

und -durchführung aufzuschlüsseln<br />

in Hinblick auf die pädagogische<br />

und emotionale Herausforderung<br />

für die angehende <strong>Lehrkraft</strong>, deren<br />

Handlungsoptionen sowie die Wirkung<br />

der Interventionen. Diese dann<br />

einzubeziehen in die Würdigung der<br />

fachlichen Teilkompetenzen und der<br />

Lerneffekte für die Lerngruppe, würde<br />

den Anforderungen an den Lehrberuf,<br />

wie er heute ist und es heute erfordert,<br />

gerechter <strong>werden</strong> können. Ein differenziertes<br />

Feedback verlangt ein würdigendes<br />

pädagogisches Gespräch mit Zeit für<br />

Rückfragen und Erklärungen.<br />

Fragen an Seminarleitungen mit diesem<br />

Ziel sind u. a.: Gelingt es im Ausbildungszusammenhang<br />

ausreichend,<br />

die Reaktionen der Kinder nicht nur als<br />

Beweis für eine mehr oder minder gut<br />

geplante Unterrichtsvorbereitung und<br />

die Erfüllung der fachlichen Ansprü-<br />

GS aktuell 167 • September 2024<br />

23


Praxis: <strong>Lehrkraft</strong> <strong>werden</strong><br />

che zu bewerten? Erleben <strong>Lehramt</strong>sanwärter:innen<br />

ausreichend, dass ihre Beziehung<br />

zu den Kindern, die Fähigkeit,<br />

deren Bedürfnisse wahrzunehmen und<br />

pädagogisch angemessen darauf zu reagieren,<br />

gesehen und gewürdigt <strong>werden</strong>?<br />

Wird die Zeit, die solche Ereignisse im<br />

Stundenablauf einnehmen, als wichtige<br />

und berechtigte Lernphase bewertet?<br />

Der Wert von pädagogischen Gesprächen,<br />

von Teamarbeit und vom Lernen<br />

aus und durch kritische Situationen und<br />

durch gegenseitige Öffnung wäre in der<br />

Phase des Vorbereitungsdienstes eine<br />

wesentliche und bereichernde Erfahrung.<br />

Auswertungsgespräche würden<br />

offensichtlicher zur Kompetenzerweiterung<br />

beitragen können, weil der Fokus<br />

auf Analysefähigkeit und auf perspektivische<br />

Änderungen und Lösungen gelegt<br />

würde. Beratungsgespräche hätten<br />

Potenzial für mehr Nachhaltigkeit.<br />

Sarah Hoyer<br />

Wenn der Funke überspringt<br />

Wie mein persönliches Interesse meine Entwicklung als <strong>Lehrkraft</strong><br />

begleitet – aufgezeigt am Beispiel der erneuerbaren Energien<br />

Wie können Grundschulkinder für komplexe fachwissenschaftliche Probleme<br />

begeistert <strong>werden</strong>? Diese Frage stellte sich mir, als ich nach meinem Studium<br />

mit Schwerpunkt Geografie den Vorbereitungsdienst antrat. Ist es beispielsweise<br />

möglich, das weite Feld der erneuerbaren Energien und ihrer Einsatzmöglichkeiten<br />

so aufzubereiten, dass auch Drittklässler:innen zu Energieplaner:innen<br />

<strong>werden</strong>? Meine Erfahrung zeigt: Ja – wenn die persönliche Motivation und ein<br />

Interesse am Thema seitens der <strong>Lehrkraft</strong> vorhanden sind und der „Funke der<br />

Begeisterung“ auf die Schüler:innen übertragen wird.<br />

Eines der Grundprobleme unserer<br />

modernen, westlichen Gesellschaft<br />

stellt die Energieversorgung<br />

dar. Obwohl die negativen Auswirkungen<br />

der Stromgewinnung durch<br />

fossile Brennstoffe wie Braunkohle und<br />

Erdgas längst bekannt sind, geht der<br />

Wandel zu erneuerbaren Energien nur<br />

langsam voran. Im Rahmen meines<br />

Geografiestudiums an der Universität<br />

Bamberg konnte ich mich mit den technischen<br />

und sozialen Details des Themas<br />

intensiv beschäftigen. Dadurch<br />

erhielt ich einen fachlichen Einblick in<br />

die Alternativen der Stromerzeugung:<br />

die erneuerbaren Energien und ihre<br />

Umsetzungschancen in Deutschland –<br />

ein sehr spannender, jedoch auch komplexer<br />

Themenbereich. Währenddessen<br />

wuchs mein persönliches Interesse am<br />

Thema stetig, da mir eine umweltbewusste<br />

und nachhaltige Lebensgestaltung<br />

wichtig ist.<br />

Mit Beginn des Vorbereitungsdienstes<br />

an einer Nürnberger Grundschule<br />

überlegte ich, inwiefern ich fachliche<br />

Inhalte meines Studiums den Schüler:innen<br />

näherbringen kann. Mein Interesse<br />

an den erneuerbaren Energien rückte<br />

dabei immer mehr in den Vordergrund,<br />

jedoch stellte sich die Frage: Wie bereite<br />

ich dieses komplexe Themenfeld so auf,<br />

dass eine dritte Klasse damit umgehen<br />

kann? Und interessieren sich die Kinder<br />

überhaupt dafür? Nachdem ich sowohl<br />

durch meine Betreuungslehrerin als<br />

auch meine Seminarleitung unterstützt<br />

wurde, erarbeitete ich eine Sequenz zum<br />

Thema erneuerbare Energien. Ziel dieser<br />

Sequenz war es, die Kinder zu befähigen,<br />

unter Einbezug verschiedener<br />

technischer, rechtlicher und sozialer Aspekte<br />

den Einsatz erneuerbarer Energien<br />

für einen geografischen Raum zu planen.<br />

1. Eine Klasse plant erneuerbare<br />

Energien – konkrete<br />

Umsetzungsmöglichkeiten<br />

Zunächst begrenzte ich die Auswahl an<br />

Möglichkeiten der Stromerzeugung auf<br />

Windkraft und Solarenergie, da diese<br />

Sarah Hoyer<br />

Ich bin Grundschullehrerin in Bayern<br />

und habe im Sommer 2024 meinen<br />

Vorbereitungsdienst in Nürnberg abgeschlossen,<br />

nachdem ich zuvor an der<br />

Otto-Friedrich-Universität Bamberg<br />

Grundschullehramt mit Hauptfach<br />

Geografie studiert habe.<br />

in der Lebenswelt der Kinder am häufigsten<br />

auftreten und wahrgenommen<br />

<strong>werden</strong>. Die Wasserkraft wurde nach<br />

der Unterricht<strong>sein</strong>heit „Energieplanung“<br />

noch ergänzt. Um dem geografischen<br />

Prinzip „vom Nahen zum<br />

Fernen“ gerecht zu <strong>werden</strong>, wählte ich<br />

als Betrachtungsraum die nähere Schulumgebung.<br />

Außerdem erkundeten wir<br />

am Wandertag ein Gebiet bei Nürnberg<br />

unter kartografischen Aspekten, da dies<br />

den späteren Planungsraum darstellte.<br />

Der Wandertag war zudem eingebettet<br />

in eine Sequenz, in welcher die Kinder<br />

Wissen über die wichtigsten Kartenmerkmale<br />

(Höhenlinien, Kartenzeichen,<br />

24 GS aktuell 167 • September 2024


Praxis: <strong>Lehrkraft</strong> <strong>werden</strong><br />

Kartenarten und Himmelsrichtungen)<br />

erwarben.<br />

Von Beginn an ließ sich in der Klasse<br />

bei vielen Kindern großes Interesse<br />

feststellen. Die Schüler:innen brachten<br />

sich ein, indem sie eigene Beobachtungen<br />

schilderten: seien es die Solaranlage<br />

beim Nachbarn auf dem Hausdach oder<br />

die Windräder, die beim Ausflug oder<br />

im Urlaub gesehen wurden. Nach und<br />

nach erarbeitete ich mit den Kindern die<br />

Vor- und Nachteile der Windkraftanlagen<br />

und der Solaranlagen. Ein besonderes<br />

Augenmerk wurde dabei auf soziale<br />

Probleme gelegt, die mit dem Bau der<br />

Anlagen einhergehen. Schnell war den<br />

Schüler:innen klar, weshalb ein Windrad<br />

nicht mitten in Nürnberg stehen oder ein<br />

Spielplatz nicht für eine Solaranlage abgerissen<br />

<strong>werden</strong> kann. Aus diesen sozialen<br />

Aspekten der Planung von erneuerbaren<br />

Energien ergeben sich auch in der<br />

Politik und der Gesellschaft oft Diskussionsgrundlagen.<br />

Daher liegt es nahe,<br />

bereits jungen Menschen die Komplexität<br />

altersangemessen näherzubringen.<br />

Damit alle Kinder, unabhängig von Leistung<br />

oder Sprachverständnis, miteinbezogen<br />

<strong>werden</strong> konnten, führte ich oft<br />

Gruppenarbeit mit heterogenen Gruppen<br />

durch. So wurden auch die unterschiedlichen<br />

Präkonzepte und Vorkenntnisse<br />

im Austausch mit Klassenkamerad:innen<br />

angeglichen.<br />

Der FREIDAY an Schulen<br />

Das Konzept dient der Umsetzung der 17 Ziele für nachhaltige Entwicklung und gibt<br />

Kindern die Chance, sich als selbstwirksam zu erleben und Geschehnisse in ihrer direkten<br />

Umgebung zu beeinflussen. An einem Tag in der Woche finden sich für vier<br />

Stunden (meist) alle Kinder in unterschiedlichen altersgemischten Gruppen zusammen<br />

und setzen sich für ein Ziel ein. Die <strong>Lehrkraft</strong> hilft vor allem bei der Einigung auf ein<br />

Thema und unterstützt anschließend die Schüler:innen im Hintergrund. Wichtige<br />

Entscheidungen treffen die Kinder selbst und Handlungen führen sie eigenständig<br />

durch (z. B. telefonieren, Gespräche führen, Informationen einholen).<br />

Quelle: https://frei-day.org/, zuletzt aufgerufen am 19.05.2024<br />

Als es nun darum ging, das gesammelte<br />

Wissen als „Energieplaner:innen“<br />

anzuwenden, waren die Schüler:innen<br />

hoch motiviert. Sie sollten für den bereits<br />

erkundeten Raum Solaranlagen und<br />

Windräder in Gruppen planen – unter<br />

Beachtung der wichtigsten Vor- und<br />

Nachteile. Ein intensiver Austausch fand<br />

statt, denn es handelte sich um komplizierte<br />

Entscheidungen.<br />

In der Reflexion der Stunde zeigte<br />

sich, dass das Thema auch von Drittklässler:innen<br />

umfänglich verstanden<br />

<strong>werden</strong> kann: Beim Zusammentragen<br />

der Ergebnisse in eine gemeinsame Karte<br />

wurde von den Kindern verbalisiert<br />

und deutlich aufgezeigt, dass Solaranlagen<br />

vielseitiger planbar sind als Windräder.<br />

Diese sind aufgrund der Abstandsregelung<br />

zu Wohnbebauung in unserer<br />

Region (Ballungsraum Nürnberg) kaum<br />

einsetzbar. Des Weiteren reflektierten die<br />

Schüler:innen, dass Solaranlagen und<br />

Windräder nicht die ganze Zeit Strom<br />

liefern, da sie stark vom Wetter abhängig<br />

sind. Hier schloss sich ein Ausblick<br />

auf nachfolgende Stunden an, da mit der<br />

Wasserkraft dieses Problem zumindest<br />

teilweise behoben <strong>werden</strong> kann.<br />

2. Meine Weiterarbeit am<br />

Thema in der Zukunft<br />

Eine Anpassung oder Weiterentwicklung<br />

der Sequenz zu den<br />

erneuerbaren Energieanlagen würde<br />

ich so gestalten, dass noch mehr<br />

Unterrichtsgänge in ein bestimmtes<br />

Gebiet unternommen würden. Außerdem<br />

wäre die Besichtigung eines Windrades<br />

oder einer Solaranlage aus nächster<br />

Nähe für die Schüler:innen sicher<br />

interessant. Hier könnte auch eine<br />

Expertin oder ein Experte hinzugezogen<br />

<strong>werden</strong>, um noch mehr Informationen<br />

zu erhalten. Außerdem werde ich, um<br />

das Thema der Wasserkraft noch vertiefter<br />

in die Unterrichtsplanung aufzunehmen,<br />

den Kartenausschnitt auf<br />

das Bundesland Bayern erweitern, um<br />

erarbeitete Lösungsstrategien der Kinder<br />

erneut aufzugreifen und in neuen<br />

Räumen anzuwenden.<br />

Nach der erfolgreichen Umsetzung<br />

des Themas in meiner dritten Klasse<br />

stellt sich mir die Frage, wie ich in Zukunft<br />

weitere Klassen und Lehrkräfte<br />

dafür begeistern kann. Denn dass ich<br />

Abb. 1: Ergebnisse einer Gruppe aus der Gruppenarbeit mit Klebepunkten (rosa:<br />

Windräder, gelb: Solaranlagen)<br />

Die am weitesten verbreiteten erneuerbaren<br />

Energien in Deutschland<br />

- Fotovoltaik und Solarthermieanlagen:<br />

Strom- und Wärmegewinnung aus der<br />

Wärmeenergie der Sonne<br />

- Windkraftanlagen: Stromgewinnung<br />

aus der Bewegungsenergie des Windes<br />

- Wasserkraftanlagen: Stromgewinnung<br />

aus der Bewegungsenergie des Wassers<br />

GS aktuell 167 • September 2024<br />

25


Praxis: <strong>Lehrkraft</strong> <strong>werden</strong><br />

auch weiterhin erneuerbare Energien<br />

im Unterricht aufgreifen möchte, steht<br />

fest. Grundlegend ist es wichtig, dass<br />

wir Lehrkräfte Hintergrundwissen zum<br />

behandelten Inhalt haben und selbst Interesse<br />

dafür mitbringen. Durch die Verankerung<br />

der Ziele für Bildung für nachhaltige<br />

Entwicklung im Lehrplan sind<br />

die Legitimation und die Dringlichkeit<br />

des Themas gegeben. Als Ansprechpartnerin<br />

zur Verfügung zu stehen, wenn<br />

andere Kolleg:innen meine Idee unterrichtlich<br />

umsetzen möchten, wäre mir<br />

wichtig. Außerdem möchte ich gern im<br />

Rahmen des FREIDAY-Konzeptes eine<br />

Projektgruppe begleiten, beispielsweise<br />

für den Einsatz von Solaranlagen an der<br />

Schule.<br />

Abschließend lässt sich sagen, dass<br />

das persönliche Interesse am Thema<br />

und die Begeisterung dafür sich leicht<br />

auf die Kinder übertragen ließen. Die<br />

Vielfalt an Fächern und Inhalten in der<br />

Grundschule lässt uns Lehrkräften großen<br />

Gestaltungsfreiraum, der nicht ungenutzt<br />

bleiben darf. Denn wenn der<br />

„Funke der Begeisterung“ überspringt<br />

und Kinder auch bei komplexen Themen<br />

dabei sind, steigert das wiederum<br />

meine Zufriedenheit als Lehrerin.<br />

Nicht zuletzt deswegen habe ich diesen<br />

Beruf ergriffen und freue mich darauf,<br />

in Zukunft noch viele Stunden „Begeisterungsunterricht“<br />

halten zu dürfen!<br />

Jana Dannich, Nadja Bauer<br />

Augen zu und durch?<br />

Der steinige Weg vom ersten zum zweiten Staatsexamen<br />

„Aller Anfang ist schwer“ – das gilt für den Vorbereitungsdienst in besonderer<br />

Weise. Während die schwierigen Bedingungen im Lehrberuf immer mehr Gehör<br />

in der Öffentlichkeit finden, bleiben die Herausforderungen der <strong>Lehramt</strong>sausbildung<br />

weitgehend unbeachtet. Dabei bringt dieser Teil der Ausbildung besonders<br />

viele Abbrecher:innen hervor. Wir haben Erfahrungen und Aussagen<br />

aus verschiedenen mittelfränkischen Seminaren gesammelt, um einen Einblick<br />

in die Hürden des Vorbereitungsdienstes zu ermöglichen. Dabei ist zu beachten,<br />

dass die Probleme, die auftreten können, sehr individuell und die Erfahrungen<br />

nur zum Teil vergleichbar sind.<br />

wertvoll, wenn es erfahrene Kolleg:innen<br />

gibt, die einen an die Hand nehmen. Ist<br />

man dagegen ganz auf sich allein gestellt,<br />

<strong>werden</strong> die ersten Wochen im Vorbereitungsdienst<br />

meist von Unsicherheit und<br />

Überforderung begleitet.<br />

Zwischen Seminarinhalten<br />

und Schulalltag<br />

Der Übergang vom <strong>Lehramt</strong>sstudium<br />

in den Vorbereitungsdienst<br />

gleicht für die meisten<br />

<strong>Lehramt</strong>sanwärter:innen (LAAs) einem<br />

Sprung ins kalte Wasser. Viele Dinge, die<br />

entscheidend für die kommenden beiden<br />

Jahre <strong>sein</strong> <strong>werden</strong>, erfährt man erst spät:<br />

Wie sieht mein neues Arbeitsumfeld aus?<br />

Wer sind meine Kolleg:innen? Welche<br />

und wie viele Klassen werde ich unterrichten?<br />

All diese Fragen <strong>werden</strong> erst bei<br />

der Anfangskonferenz beantwortet, am<br />

Tag vor dem Schulbeginn.<br />

Die ersten Wochen im<br />

Vorbereitungsdienst<br />

Nach der Anfangskonferenz geht es aufregend<br />

weiter, denn schon ab der zweiten<br />

Schulwoche halten LAAs eigenverantwortlichen<br />

Unterricht. Das bringt<br />

viele neue Aufgaben mit sich, bei denen<br />

man sich immer wieder fragt: Wo fange<br />

ich überhaupt an? Während des Studiums<br />

bereitet man in einem dreiwöchigen<br />

Praktikum nur eine einzige<br />

Unterrichtsstunde vor. Nun sind es<br />

in Bayern plötzlich acht Unterrichtsstunden<br />

pro Woche und dazu kommen<br />

Sequenz- und Jahrespläne,<br />

Schülerbeobachtungen,<br />

Hospitations- und<br />

Praktikumsnachweise,<br />

Unterrichtsmitschriften,<br />

Korrekturen,<br />

Rückmeldungen<br />

und vieles mehr.<br />

Das Schriftwesen ist<br />

aufwendig und die Aufgaben in<br />

Schule und Seminar sind zum Teil unübersichtlich,<br />

sodass man als LAA ständig<br />

das Gefühl hat, etwas zu vergessen.<br />

Der Grund, warum man <strong>Lehrkraft</strong> <strong>werden</strong><br />

wollte, nämlich Kinder zu unterrichten,<br />

rückt beinahe in den Hintergrund.<br />

In dieser Zeit ist es besonders<br />

Im Anfangsunterricht<br />

hat man das Gefühl, man<br />

geht in den ganzen neuen<br />

Aufgaben unter.<br />

(LAA im zweiten Dienstjahr,<br />

anonym)<br />

Die ersten größeren Erfolge lassen sich<br />

dann verbuchen, wenn sich die wachsende<br />

Beziehung zu den Schüler:innen<br />

bemerkbar macht und man sich im<br />

Schulalltag allmählich zurechtfindet.<br />

Dort haben wir LAAs mit unterschiedlichen<br />

Herausforderungen<br />

zu kämpfen, denn egal,<br />

wie die Realität an der<br />

jeweiligen Schule aussieht,<br />

sie lässt es oft<br />

nur schwer zu, dass die<br />

Inhalte aus dem Seminar<br />

auch im Unterricht<br />

umgesetzt <strong>werden</strong> können.<br />

Während manche<br />

Anwärter:innen einem Jahrgangsstufenteam<br />

verpflichtet sind, sind andere<br />

weitgehend auf sich allein gestellt. Die<br />

Kooperation im Jahrgangsstufenteam<br />

birgt Sicherheit, aber auch Abhängigkeit,<br />

sodass die hochgelobte pädagogische<br />

Freiheit in diesem Rahmen oft<br />

26 GS aktuell 167 • September 2024


Praxis: <strong>Lehrkraft</strong> <strong>werden</strong><br />

nicht ausgelebt <strong>werden</strong><br />

kann. Dabei ist es<br />

gerade die Zeit der<br />

Ausbildung, in der<br />

man unterschiedliche<br />

Arbeitsweisen<br />

ausprobieren sollte.<br />

LAAs, die vorrangig<br />

allein arbeiten, haben all<br />

diese Freiheiten, müssen sich aber<br />

mit mehr Unsicherheiten au<strong>sein</strong>andersetzen.<br />

Von mangelnder Ausstattung<br />

bis zur Unmöglichkeit, Farbkopien zu<br />

erstellen – die Bedingungen an den Einsatzschulen<br />

gehen weit au<strong>sein</strong>ander.<br />

Viele davon haben zur Folge, dass auch<br />

<strong>Lehramt</strong>sanwärter:innen regelmäßig für<br />

den Beruf in die eigene Tasche greifen<br />

müssen, obwohl die Anwärter:innenbezüge<br />

– die dem erforderlichen Arbeitspensum<br />

von LAAs bei Weitem nicht<br />

gerecht <strong>werden</strong> – allein für die Lebenshaltungskosten<br />

schon knapp bemessen<br />

sind.<br />

Die größten Herausforderungen<br />

im Vorbereitungsdienst<br />

Ein wichtiger Meilenstein im Prüfungsjahr<br />

sind die Lehrproben. Über Wochen<br />

hinweg <strong>werden</strong> die Prüfungsstunden<br />

geplant, ausgearbeitet und vorbereitet,<br />

bis sie dann endlich der Prüfungskommission<br />

präsentiert <strong>werden</strong> können.<br />

Doch zu diesen aufpolierten Unterrichtsstunden<br />

kommt eine Klassenführung<br />

und damit Elternarbeit,<br />

Leistungsnachweise und 15 weitere<br />

Wochenstunden, die ebenso geplant,<br />

ausgeführt und nachbereitet <strong>werden</strong><br />

müssen. Der Schulalltag läuft unentwegt<br />

weiter. Die Arbeit geht gewissermaßen<br />

nie aus. Unter einer optimalen<br />

und dadurch meist zeitintensiven Unterrichts-<br />

und Prüfungsvorbereitung muss<br />

eine gesunde Work-Life-Balance<br />

oft leiden. Persönliche Ressourcen<br />

sind mitentscheidend, wie<br />

lange man diese Phasen der<br />

Überarbeitung erträgt.<br />

Ein weiterer entscheidender<br />

Faktor ist die Atmosphäre<br />

in Seminar und Schule. Einige<br />

Seminarleitungen versuchen,<br />

den LAAs ein möglichst<br />

effektives Arbeiten zu ermöglichen,<br />

gewinnbringendes Feedback zu geben<br />

und Kooperation zu fördern. Doch<br />

es gibt auch Seminarleitungen, die zu<br />

Ich habe das Gefühl,<br />

dass nicht meine Entwicklung<br />

zu einer besseren Lehrerin im<br />

Vordergrund steht, sondern<br />

meine Resilienz.<br />

(LAA im ersten Dienstjahr,<br />

anonym)<br />

einem konkurrenzorientierten<br />

Arbeitsklima<br />

im Seminar beitragen,<br />

den Anwärter:innen<br />

destruktive<br />

Kritik geben und bezüglich<br />

Seminaraufgaben<br />

nach dem Motto<br />

arbeiten: Mehr ist immer<br />

besser. Auch in der Schule wird<br />

man mit unerwarteten Gepflogenheiten<br />

konfrontiert: Die Erwartung, auch krank<br />

zur Arbeit zu kommen, sowie mangelnde<br />

Rückendeckung von Vorgesetzten stehen<br />

bei vielen Schulen an der Tagesordnung.<br />

Gelingensfaktoren: Erfolge planen<br />

Der Vorbereitungsdienst ist eine außerordentlich<br />

ereignis- und lehrreiche<br />

Zeit, in der Ausdauer, Willenskraft und<br />

Frustrationstoleranz wichtige Eigenschaften<br />

sind. Man erlebt immer wieder<br />

Rückschläge und sollte bei aller Selbstreflexion<br />

im Gedächtnis behalten, dass<br />

Misserfolge einen weder als Mensch<br />

noch als <strong>Lehrkraft</strong> definieren. Sich im<br />

Zweifel auch davon abgrenzen zu können,<br />

kann entscheidend <strong>sein</strong> für den<br />

Erhalt der psychischen Gesundheit im<br />

Vorbereitungsdienst.<br />

Dass Bewertungen und Rückmeldungen<br />

kaum nachvollziehbar und willkürlich<br />

sind, scheint Konsens unter vielen<br />

LAAs zu <strong>sein</strong>. Das mag zum Teil auch<br />

stimmen, jedoch durften wir persönlich<br />

deutlich positivere Erfahrungen machen.<br />

Der größte Gelingensfaktor hierfür war,<br />

die Dinge, die man selbst in der Hand<br />

hat, auch wirklich anzupacken.<br />

Dafür muss man<br />

Die Bewertung<br />

der Seminarleitung lief bei<br />

keinem von uns professionell,<br />

sondern nach purer Sympathie.<br />

Das war sehr frustrierend.<br />

(LAA im zweiten Dienstjahr,<br />

anonym)<br />

Was mich hat<br />

durchhalten lassen, sind<br />

Unterstützung und Empathie<br />

von außen und die<br />

Glücksmomente mit den Kindern.<br />

(LAA im zweiten Dienstjahr,<br />

anonym)<br />

Mit Unterricht<br />

zeigt man auch immer ein<br />

Stück weit <strong>sein</strong>e Persönlichkeit.<br />

Die größte Herausforderung des<br />

Referendariats war, durchgehend<br />

kritisiert zu <strong>werden</strong> – eben auch<br />

auf dieser persönlichen Ebene.<br />

(LAA im zweiten Dienstjahr,<br />

anonym)<br />

Jana Dannich (links),<br />

26 Jahre, <strong>Lehramt</strong>sanwärterin im<br />

zweiten Dienstjahr an einer Grundschule<br />

in Bayern<br />

Nadja Bauer,<br />

28 Jahre, <strong>Lehramt</strong>sanwärterin im<br />

zweiten Dienstjahr an einer Grundschule<br />

in Bayern<br />

vor allem fähig <strong>sein</strong>,<br />

Kritik anzunehmen<br />

und umzusetzen. Wenn man bereit<br />

ist, sich anzustrengen und zu reflektieren,<br />

und es schafft, dabei authentisch zu<br />

bleiben, wird dies in der Regel auch von<br />

Prüfenden wertgeschätzt. Rückblickend<br />

war die Zeit des Vorbereitungsdienstes<br />

für uns eine positive Erfahrung, die uns<br />

dazu befähigt hat, über uns hinauszuwachsen.<br />

Auch wenn die Erfahrungen der<br />

LAAs individuell sind, gibt es sicherlich<br />

Grundsätze, die für uns alle hilfreich<br />

<strong>sein</strong> können: In Hinblick auf die Planung<br />

von Prüfungsstunden sollte man<br />

die eigenen Stärken sowie die der Kinder<br />

in den Fokus nehmen. Diese zu erkennen<br />

und hervorzuheben verleiht uns<br />

und den Schüler:innen Sicherheit und<br />

Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten.<br />

Dabei ist es wichtig, ausreichend Pausen<br />

einzuplanen, um einen kühlen Kopf<br />

zu bewahren. Insbesondere<br />

möchten wir den Austausch<br />

und die Kooperation<br />

im Seminar hervorheben.<br />

Dies gelingt<br />

insbesondere, wenn<br />

die Seminarleitung<br />

sich für ein Klima der<br />

Wertschätzung und der<br />

Stärkung einsetzt. Das<br />

gemeinsame Arbeiten<br />

haben wir stets als Mittel<br />

der Unterstützung wahrgenommen<br />

und hoffen,<br />

dass wir dies auch nach<br />

dem Vorbereitungsdienst<br />

beibehalten können.<br />

GS aktuell 167 • September 2024<br />

27


Praxis: <strong>Lehrkraft</strong> <strong>werden</strong><br />

Hannah Hußing<br />

„Aber jetzt mal ehrlich, hat man<br />

noch Freizeit im Referendariat?“<br />

Vier Dinge, die ich statt Horrorschilderungen lieber<br />

vor Beginn meines Referendariats gehört hätte<br />

Mit dem Referendariat ist es ähnlich wie mit Bewertungen für Restaurants im<br />

Internet: Auch wenn es durchaus gute Bewertungen gibt, vermiesen einem die<br />

negativen Kommentare doch die Vorfreude auf ein schönes Erlebnis. Aus irgendeinem<br />

Grund scheint es so, als würde das menschliche Gehirn den negativen<br />

Bewertungen mehr Gewicht zuteilen und sich diese eher merken. Bei einem<br />

Restaurant hält sich die persönliche Betroffenheit eher in Grenzen, schließlich<br />

kann man einfach an einen anderen Ort gehen. Beim Referendariat sieht das jedoch<br />

anders aus. Als angehende <strong>Lehrkraft</strong> führt nun mal kein Weg daran vorbei<br />

und man muss da irgendwie durch.<br />

Im August 2023 bin ich in mein<br />

Referendariat gestartet. Ich bin also<br />

noch mittendrin in dieser sagenumwobenen<br />

Zeit, auf die man als <strong>Lehramt</strong>sstudent:in<br />

so ehrgeizig hinarbeitet<br />

und die man trotzdem mit einer<br />

gewissen Ehrfurcht erwartet. Schuld<br />

daran sind jene Horrorgeschichten, die<br />

man während der Schulpraktika von<br />

erfahrenen Lehrkräften, aber auch im<br />

Freundes- oder Bekanntenkreis immer<br />

wieder zu hören bekommt. „Ich kenne<br />

mehrere, die das Ref nicht gepackt<br />

haben!“, „Fahr unbedingt noch mal in<br />

den Urlaub, dafür wirst du im Ref keine<br />

Zeit mehr haben“, „Ich habe nächtelang<br />

vorbereitet, laminiert und ausgeschnitten“,<br />

„Du wirst so wenig verdienen<br />

und musst trotzdem richtig viel<br />

Geld für Materialien ausgeben“ sind nur<br />

einige Beispiele für Sätze, die ich (und<br />

sicherlich auch viele, wenn nicht sogar<br />

alle meiner Mitanwärter:innen) oftmals<br />

gesagt bekommen habe. Da steigt die<br />

Vorfreude auf die anderthalb bis<br />

zwei Jahre Referendariat doch<br />

gleich noch mal mehr, oder?<br />

Ich habe an der Bremer<br />

Universität meinen Master<br />

mit der Doppelqualifikation<br />

Grundschullehramt und Sonderpädagogik<br />

/ Inklusive Pädagogik<br />

abgeschlossen und mich<br />

danach für einen Bundeslandwechsel<br />

nach Niedersachsen entschieden, um<br />

dort den Vorbereitungsdienst als Son-<br />

derpädagogin anzutreten. Damit habe<br />

ich das mir vertraute inklusive Bremer<br />

Schulsystem verlassen und zu den vorhersehbaren<br />

Sorgen und Aufregungen<br />

vor dem Referendariat (Wie wird wohl<br />

meine Schule <strong>sein</strong>? Wer wird mein:e<br />

Mentor:in? Wie sind die anderen Referendar:innen?<br />

Wie ist das mit der privaten<br />

Krankenversicherung? Ob meine<br />

Schüler:innen und meine Fachseminarleitungen<br />

mich wohl mögen <strong>werden</strong>?)<br />

kam auch noch Umzugsstress hinzu.<br />

Um zwischen all diesen Gedanken und<br />

bekannten Geschichten mit einer zuversichtlicheren<br />

Erwartungshaltung ins<br />

Referendariat zu starten, hätte ich mir<br />

gewünscht, auch mal positive (oder wenigstens<br />

positivere) Gedanken über den<br />

Vorbereitungsdienst zu hören.<br />

Schaffe dir eine Work-Life-Balance<br />

„Aber jetzt mal ehrlich, hat man noch<br />

Freizeit während des Refs?“ Die neue<br />

Referendarin, die mir und<br />

anderen Mitgliedern des<br />

Anwärter:innen-Personalrats<br />

dieses Jahr im Januar<br />

bei der Einführungswoche<br />

diese Frage stellt, schaut<br />

uns zwar mit einem großen<br />

Lächeln an und versucht die<br />

Frage als einen lockeren Scherz<br />

darzustellen, aber wenn man genau hinsieht,<br />

erkennt man in ihren Augen ein<br />

wenig Unsicherheit und vielleicht sogar<br />

Hannah Hußing<br />

ist Anwärterin für Sonderpädagogik an<br />

einer Förderschule in Braunschweig.<br />

Angst vor unserer Antwort. Gefühlt<br />

ist es auf einmal ganz ruhig in dem<br />

Seminarraum, denn alle sind gespannt<br />

auf unsere (ehrliche) Einschätzung,<br />

schließlich ist die vermutlich bekannteste<br />

Horrorfloskel über das Referendariat,<br />

dass man sich kaputtarbeitet und<br />

nur Überstunden macht.<br />

Das Referendariat stellt den Einstieg<br />

in das „echte“ Berufsleben dar.<br />

Allerdings gibt es, anders als bei anderen<br />

Jobs, keinen komplett festgelegten<br />

Zeitrahmen für die Arbeitszeiten<br />

einer <strong>Lehrkraft</strong>, nicht nur im Referendariat,<br />

sondern in der gesamten Berufslaufbahn.<br />

Hinzu kommen der eigene<br />

Perfektionismus und das Gefühl, unter<br />

ständiger Beobachtung zu stehen. Umso<br />

schwerer ist es, einen Schlusspunkt zu<br />

finden beziehungsweise die Arbeit für<br />

den Tag zu beenden und Feierabend zu<br />

machen.<br />

Und trotzdem würde ich der Sorge<br />

der neuen Referendarin (auch jetzt,<br />

nach einem weiteren halben Jahr im<br />

Referendariat, immer noch) widersprechen.<br />

Allerdings mit einer kleinen Einschränkung:<br />

Freizeit haben (nur) diejenigen,<br />

die sich diese nehmen, und das<br />

ganz bewusst. Wie gesagt, die Arbeit<br />

einer <strong>Lehrkraft</strong> hört nie so richtig auf,<br />

28 GS aktuell 167 • September 2024


Praxis: <strong>Lehrkraft</strong> <strong>werden</strong><br />

die To-do-Liste wird vielleicht kurzzeitig<br />

kürzer, aber offene Aufgaben gibt es<br />

trotzdem immer, der Unterricht könnte<br />

immer noch besser vorbereitet und das<br />

Material noch schöner gestaltet <strong>werden</strong>.<br />

Dabei kann es aber auch schnell passieren,<br />

dass man den Wald vor lauter<br />

Bäumen (oder die Möglichkeiten vor<br />

lauter Methoden) nicht mehr sieht, sodass<br />

Freizeit, bewusste Pausen und Abstand<br />

vom Thema Schule meiner Meinung<br />

nach sogar zum Referendariat dazugehören<br />

sollten! Wenn ich mich ausgeschlafen<br />

und erholt fühle, bin ich<br />

automatisch ausgeglichener, konzentrierter<br />

und habe bessere Laune und kann<br />

mit diesem Gemütszustand vermutlich<br />

auch eine bessere und aufmerksamere<br />

<strong>Lehrkraft</strong> <strong>sein</strong>. Und damit kann es doch<br />

nicht nur mir so gehen?<br />

Lerne deinen persönlichen<br />

Lern- und Arbeitstyp kennen<br />

Um sich jedoch solche bewussten<br />

Auszeiten von der Schule<br />

zu nehmen, ist es sehr hilfreich,<br />

den eigenen Tagesrhythmus<br />

zu kennen und<br />

sich diesem anzupassen.<br />

Ich habe beispielsweise erst<br />

im Referendariat gemerkt,<br />

dass ich abends viel produktiver<br />

arbeiten kann als nachmittags<br />

direkt nach der Schule. Anders sieht es<br />

bei mir jedoch aus, wenn ich nach dem<br />

Unterricht noch in der Schule bleibe,<br />

dann bin ich an einem Ort mit „Arbeitsatmosphäre“<br />

und kann auch nach dem<br />

Unterricht noch gut weiter vorbereiten,<br />

korrigieren und planen. Seit dieser<br />

Erkenntnis kann ich mich nach dem<br />

Unterricht viel mehr und vor allem ohne<br />

schlechtes Gewissen ausruhen und mich<br />

dann auch mit viel mehr Kraft wieder an<br />

den Schreibtisch setzen.<br />

Zusätzlich haben sich bei mir beim<br />

Schreiben von Unterrichtsentwürfen<br />

kleine Rituale (wie das Anzünden einer<br />

Kerze, die immer gleiche ruhige Hintergrundmusik<br />

…) eingeschlichen sowie<br />

mein eigenes Belohnungssystem etabliert,<br />

das mich vor allem für<br />

die Unterrichtsbesuche motiviert.<br />

Struktur und Transparenz<br />

tun nicht nur unseren<br />

Schüler:innen im Unterricht<br />

gut, sondern man kann sie<br />

auch als Referendar:in wunderbar<br />

nutzen, um sich eine ausgeglichene<br />

Work-Life-Balance zu schaffen.<br />

Austausch ist wichtig,<br />

vergleichen eher nicht<br />

Zusätzlich ist der Kontakt zu<br />

Kolleg:innen vor Ort und<br />

auch zu anderen Referendar:innen<br />

wichtig. Häufig<br />

habe ich das Gefühl,<br />

dass Lehrkräfte zu Einzelkämpfer:innen<br />

erzogen <strong>werden</strong>,<br />

dabei ist eine der zentralen<br />

Erkenntnisse aus meinem Studium, dass<br />

guter Unterricht und vor allem auch die<br />

Inklusion nur durch das Zusammenhalten<br />

und -arbeiten eines Teams<br />

umgesetzt <strong>werden</strong> und funktionieren<br />

können. Der Input beziehungsweise die<br />

Tipps von erfahrenen Lehrkräften oder<br />

den „Leidensgenossen“ oder auch (und<br />

manchmal sogar vor allem) von „Fachfremden“<br />

sind hilfreich, um mal aus den<br />

eigenen Denkmustern auszubrechen<br />

und Situationen durch andere<br />

Augen wahrnehmen zu können.<br />

Allerdings birgt vor allem<br />

der Austausch mit anderen<br />

Anwärter:innen in meinen<br />

Augen auch eine gewisse Gefahr,<br />

nämlich die Möglichkeit<br />

zum Vergleich. Dabei sind wir Referendar:innen<br />

genauso individuell wie<br />

unsere Schüler:innen: Wir haben unterschiedliche<br />

Vorerfahrung, haben an<br />

unterschiedlichen Universitäten studiert<br />

und wurden dementsprechend anders<br />

auf das Ref vorbereitet, wir treffen auf<br />

unterschiedliche Gegebenheiten, Klassen<br />

und einzelne Schüler:innen an den Ausbildungsschulen<br />

und haben im Privatleben<br />

andere Herausforderungen. Wieso<br />

sollte man dann die von uns erbrachten<br />

Leistungen oder das Feedback nach<br />

Unterrichtsbesuchen bis aufs kleinste<br />

Detail miteinander vergleichen?<br />

Dein Unterricht ist für<br />

deine Lerngruppe<br />

Vor einiger Zeit hat eine meiner<br />

Seminarleitungen zu mir<br />

gesagt: „Sie machen den<br />

Unterricht nicht für eine Person,<br />

die sie alle paar Monate<br />

besucht, sondern für ihre<br />

Schüler:innen und deren<br />

Lernzuwachs!“ Dieser Satz hat mir Mut<br />

gemacht, schließlich hört man vor dem<br />

Referendariat, dass die Unterrichtsbesuche<br />

sich an den Präferenzen der<br />

Seminarleitungen orientieren. Deine<br />

Seminarleitung ist Fan von der<br />

Kugellager-Methode oder dem<br />

Gruppenpuzzle? Natürlich<br />

zeigst du ihr nur das! Wenn<br />

man aber mutig ist, neue<br />

Methoden und Ansätze ausprobiert<br />

und diese begründet<br />

darstellen und kritisch reflektieren<br />

kann, dann muss man sich nicht<br />

(nur) an den Präferenzen der Seminarleitung<br />

orientieren, sondern kann die<br />

eigene, authentische Lehrer:innenpersönlichkeit<br />

finden und präsentieren.<br />

Fazit: Lass dich drauf ein!<br />

Meine Erfahrungen haben mit Sicherheit<br />

keinen Allgemeingültigkeitsstatus<br />

und es gibt mit großer Wahrscheinlichkeit<br />

viele Lehrkräfte, die mit einem sehr<br />

mulmigen Gefühl an ihr Referendariat<br />

zurückdenken oder gerade noch mittendrinnen<br />

stecken. Aber hätte ich die oben<br />

beschriebenen Punkte vor meinem Ref<br />

gehört, wäre ich definitiv entspannter<br />

und hoffnungsvoller in diesen Lebensabschnitt<br />

gestartet.<br />

Ich bin der festen Überzeugung, dass<br />

das Referendariat nicht für jede:n eine<br />

negative selbsterfüllende Prophezeiung<br />

<strong>sein</strong> muss, solange man offen und positiv<br />

in diese Ausbildungsphase startet und<br />

sich selbst die Chance gibt, eigene Erfahrungen<br />

zu sammeln und daran professionell<br />

und persönlich zu wachsen.<br />

GS aktuell 167 • September 2024<br />

29


Praxis: <strong>Lehrkraft</strong> <strong>sein</strong><br />

Michael Bauernschuster<br />

Lehrergesundheit unterstützen<br />

Kollegiale Fallberatung – eine gemeinschaftsfördernde<br />

und niedrigschwellige Interventionsmaßnahme<br />

2020 gab der Grundschulverband beim Bremer Institut für interdisziplinäre<br />

Schulforschung ein Gutachten in Auftrag, das die Arbeitssituation in der Grundschule<br />

untersuchen sollte. Der Titel der daraus resultierenden Studie weist auf<br />

eine hohe Arbeitsbelastung hin und bringt Risikofaktoren für Belastungserleben<br />

auf den Punkt – zu viele Aufgaben, zu wenig Zeit: Überlastung von Lehrkräften<br />

in der Grundschule. (Institut für interdisziplinäre Schulforschung 2020)<br />

nimmt. Dabei <strong>werden</strong> in der Praxis erkannte<br />

Potenziale und Herausforderungen<br />

deutlich.<br />

Was ist Kollegiale Fallberatung?<br />

Welche Ziele verfolgt sie?<br />

„Kollegiale Beratung ist ein strukturiertes<br />

Beratungsgespräch in einer Gruppe,<br />

in dem ein Teilnehmer von den übrigen<br />

Teilnehmenden nach einem feststehenden<br />

Ablauf mit verteilten Rollen<br />

beraten wird mit dem Ziel, Lösungen für<br />

eine konkrete berufliche Schlüsselfrage<br />

zu entwickeln.“ (Tietze 2021) Unter<br />

anderem kann es darum gehen, „Kommunikations-,<br />

Interaktions- und<br />

Frustrationsprobleme des beruflichen<br />

Alltags aufzuarbeiten.“ (Tietze 2021)<br />

Ziel ist, sowohl die persönliche (Arbeits-)Zufriedenheit<br />

wie auch eine<br />

günstige Dynamik im Kollegium zu<br />

fördern: Man erfährt Rückhalt, erlebt<br />

weitere Blickwinkel und bekommt Ideen<br />

für die Bewältigung von als belastend<br />

wahrgenommenen Situationen.<br />

Ablauf der Fallberatung<br />

Vorbereitend <strong>werden</strong> die Hauptrollen<br />

Fallerzähler:in, Moderator:in und Berater:innen<br />

verteilt. Die Rollen sind dynamisch<br />

angelegt, das heißt, sie <strong>werden</strong> in<br />

jeder Sitzung neu festgelegt.<br />

1. Casting: Bei der Rollenbesetzung<br />

<strong>werden</strong> kurz mögliche Fälle in den<br />

Raum gegeben. Die Teilnehmenden entscheiden<br />

sich demokratisch für einen<br />

Fall. Meist wird hier nachgefragt, wer<br />

den dringenndsten Bedarf derzeit hat.<br />

2. Spontanbericht: Die Fallerzählerin<br />

stellt das Problem knapp dar. Danach<br />

Aus den Berechnungen des<br />

Forschungsteams wird ersichtlich,<br />

dass die Anzahl der in den<br />

Regelungen festgelegten Aufgaben<br />

innerhalb der vom Bundesinnenministerium<br />

bestimmten Jahresarbeitszeit<br />

nicht zu bewältigen ist. Damit wird<br />

das subjektive Belastungserleben von<br />

Lehrkräften befeuert: Es kann das<br />

Gefühl entstehen, mit Aufgaben nicht<br />

fertig zu <strong>werden</strong> bzw. unzureichende<br />

Kapazitäten für deren gewünschte qualitative<br />

Bearbeitung zu haben. Im Rahmen<br />

von Interviews nennen Lehrkräfte<br />

weitere persönliche Belastungsfaktoren<br />

wie bürokratische Aufgaben, Umgang<br />

mit Verhaltensschwierigkeiten und<br />

Unterrichtsstörungen, zu hohe Klassengrößen<br />

und zu hohe Ansprüche von<br />

Erziehungsberechtigten an die Schule<br />

(vgl. Institut für interdisziplinäre Schulforschung<br />

2020).<br />

Um aus der Unvereinbarkeit von zu<br />

vielen Aufgaben und zu wenig Zeit für<br />

deren Bewältigung herauszukommen<br />

und mit Blick auf den Lehrkräftemangel<br />

und steigende Herausforderungen,<br />

braucht es Strategien, um dem subjektiven<br />

Belastungserleben von Lehrkräften<br />

zu begegnen und eine Unterstützungskultur<br />

an Schulen aufzubauen. Der vorliegende<br />

Beitrag konzentriert sich auf<br />

die Methode Kollegiale Fallberatung als<br />

eine mögliche und relativ schnell umsetzbare<br />

Maßnahme. Sie ersetzt jedoch<br />

nicht andere notwendige Entlastungen.<br />

Im Folgenden gehe ich auf die wichtigsten<br />

theoretischen Aspekte des Formats<br />

ein und stelle abschließend konkret<br />

erlebte Erfahrungen einer Grundschullehrkraft<br />

vor, die an ihrer Schule<br />

an Kollegialen Fallberatungen aktiv teilkönnen<br />

die Berater:innen (reine)<br />

Verständnisfragen stellen.<br />

3. Schlüsselfrage: Im Anschluss wird<br />

im Dialog eine konkrete Schlüsselfrage<br />

formuliert, zu der die Fallerzählerin Rat<br />

einholen möchte.<br />

4. Methodenwahl: Die Fallerzählerin<br />

wählt mithilfe der Moderation einen<br />

Methodenbaustein aus.<br />

5. Beratung: Die Berater:innen beraten<br />

mit Unterstützung der Moderation nach<br />

dem ausgewählten Methodenbaustein.<br />

Die Fallerzählerin hört nur zu.<br />

6. Abschluss: Zum Abschluss gibt die<br />

Fallerzählerin den Beratenden ein Feedback.<br />

Jede Phase folgt einem Zeitplan. Insgesamt<br />

ist eine Dauer von etwa 50 Minuten<br />

angesetzt (vgl. Tietze 2021).<br />

Welche Methoden gibt es zur<br />

Bearbeitung der Schlüsselfrage?<br />

Die Methoden stammen aus professionellen<br />

Beratungskontexten. Sie haben<br />

unterschiedliche Schwerpunkte und<br />

Ziele wie: Lösungsideen für die Fallerzählerin<br />

sammeln, Probleme aus<br />

einem anderen Blickwinkel betrachten,<br />

Stellungnahmen abgeben. Sie sind<br />

lösungs- und ressourcenorientiert,<br />

strukturierend und Anteil nehmend.<br />

Was ist der Unterschied<br />

zu einer Supervision?<br />

Die Themen der Kollegialen Fallberatung<br />

und der Supervision betreffen<br />

beide dienstliche Fragen. Während die<br />

Kollegiale Fallberatung hauptsächlich<br />

darauf abzielt, verschiedene mögliche<br />

Interventionsmaßnahmen zu klären,<br />

konzentriert sich die Supervision darauf,<br />

die Einstellung der Fallgeberin<br />

oder des Fallgebers zur gestellten Frage<br />

zu reflektieren (vgl. Schulberatung Bayern<br />

2024). Für die Supervision sind ausschließlich<br />

ausgebildete Supervisor:innen<br />

als Leitung vorgesehen.<br />

30 GS aktuell 167 • September 2024


Praxis: <strong>Lehrkraft</strong> <strong>sein</strong><br />

Wie führe ich die Kollegiale<br />

Fallberatung an meiner Schule ein?<br />

In Bayern beispielsweise kann man an<br />

den Staatlichen Schulberatungsstellen<br />

Beratungslehrkräfte mit Zusatzqualifikation<br />

anfordern. Sie führen die Fallberatung<br />

an der Schule ein und moderieren<br />

sie. Das Kollegium soll dazu<br />

befähigt <strong>werden</strong>, die Fallberatungen<br />

selbst nach Vorgabe des systematischen<br />

Ablaufs und der möglichen Methoden<br />

durchzuführen.<br />

Welche Stimmen aus der<br />

Praxis gibt es dazu?<br />

Folgende Ansichten gehen aus einem<br />

Interview mit Monika Steiner, Grundschullehrerin<br />

in München-Stadt, hervor,<br />

die seit diesem Schuljahr an Fallberatungen<br />

teilnimmt:<br />

● „Im Gegensatz zu informellen Unterhaltungen<br />

im Lehrerzimmer, die sich<br />

oft hauptsächlich um das Problem drehen,<br />

handelt es sich bei der Kollegialen<br />

Fallberatung um ein strukturiertes Gesprächsformat,<br />

das ganz gezielt nach<br />

Lösungen sucht.“<br />

● „Als Ratsuchende wird man bestärkt<br />

in dem, was man schon alles probiert<br />

hat, um ein Problem zu lösen. Das tut<br />

gut und motiviert. Man erfährt Wertschätzung<br />

für <strong>sein</strong>e Lösungsversuche. Es<br />

geht auch immer wieder darum, eigene<br />

Grenzen zu erkennen und dass es Hilfsangebote<br />

gibt, die man nutzen kann.“<br />

● „Man kommt sich im Kollegium näher,<br />

weil jeder Schwächen und Grenzen<br />

zugibt. Man fühlt sich gehört und gesehen<br />

mit <strong>sein</strong>en Schwierigkeiten.“<br />

● „Man braucht nicht immer super ausgeklügelte<br />

Lösungen. Oft kommt man<br />

als Ratsuchende nicht auf eine Idee, weil<br />

man besonders gefordert ist mit einem<br />

Problem und der Überblick fehlt.“<br />

● „Man bekommt Werkzeuge an die<br />

Hand, wie man mit Problemen umgehen<br />

kann. Ich kann jedes Mal etwas mitnehmen,<br />

auch wenn es mich gerade nicht<br />

betrifft: zum Beispiel auch, wo ich mich<br />

hinwenden kann oder methodische Ideen<br />

für die Bewältigung von Problemen.“<br />

● „Durch die Rollenwechsel ist die Fallberatung<br />

dynamisch. Es entstehen keine<br />

starren, festen Positionen und Hierarchien<br />

im Kollegium.“<br />

● „Es ist schön, sich im Kollegium zu<br />

helfen, sich nicht als Einzelkämpfer zu<br />

sehen.“<br />

● „Voraussetzungen für gewinnbringende<br />

Fallberatungen sind Offenheit, die<br />

Fähigkeit zum Perspektivenwechsel, aktive<br />

Mitsprache, Verständnis für den anderen<br />

und eine wertschätzende Sprache<br />

der Teilnehmenden. Zudem sind äußere<br />

Faktoren wichtig: Lehrkräfte <strong>werden</strong> an<br />

unserer Schule für die Kollegialen Fallberatungen<br />

gegebenenfalls vom Unterricht<br />

befreit. Sie gelten als Fortbildungsveranstaltungen.<br />

Das Format würden<br />

mehr Kolleg:innen nutzen, wenn es zum<br />

Beispiel eine Extrastunde dafür geben<br />

würde. Die Zeit zahlt sich aus.“<br />

Michael Bauernschuster,<br />

Lehrer an der Grundschule Baierbrunn,<br />

Beratungslehrkraft am Schulberatungszentrum<br />

Grünwald, Delegierter der<br />

Landesgruppe Bayern im Grundschulverband,<br />

Leiter der Regionalgruppe<br />

Oberbayern im Grundschulverband e. V.<br />

Das anfangs genannte Gutachten zur<br />

Arbeitssituation an Grundschulen zeigt,<br />

dass sich strukturelle Bedingungen ändern<br />

müssen. Es wird deutlich, dass<br />

übergreifend Maßnahmen getroffen <strong>werden</strong><br />

müssen, um Grundschullehrkräfte<br />

im Beruf zu behalten, Fürsorge für deren<br />

Gesundheit zu leisten und u. a. deren<br />

Motivation und Anstrengungsbereitschaft<br />

zu erhalten. Die Kollegiale Fallberatung<br />

stellt eine pragmatische und ressourcenbedachte<br />

Möglichkeit dar, mit<br />

der Lehrkräfte selbst in Belastungssituationen<br />

auf soziale Ressourcen vor Ort in<br />

ihrer Schule zurückgreifen können.<br />

Literaturangaben zum Artikel<br />

können Sie von unserer Website herunterladen:<br />

https://t1p.de/GSa167Lit<br />

Kartei zum Lernen und Üben<br />

Teil 1<br />

Die Buchstaben<br />

© Grundschrift: www.grundschulverband.de · © Illustrationen & Layout: www.designritter.de<br />

Kartensatz „Grundschrift – Damit<br />

Kinder besser schreiben lernen“<br />

Als PDF zum Download für 20,00 €<br />

(anstatt 28,00 €)<br />

Angebot<br />

zum<br />

Schulstart<br />

bis 30. 9. 24<br />

Kartei zum Lernen und Üben<br />

Teil 2<br />

Schreiben mit Schwung<br />

© Grundschrift: www.grundschulverband.de · © Illustrationen & Layout: www.designritter.de<br />

Kartensatz:<br />

56 Karten (Teil 1) und<br />

20 Karten (Teil 2),<br />

Überarbeitete 4. Auflage<br />

Entwickelt von Horst<br />

Bartnitzky, Ulrich Hecker,<br />

Christina Mahrhofer-Bernt<br />

Download unter<br />

www.grundschulverband.de/<br />

produkt/grundschrift-kartei/<br />

GS aktuell 167 • September 2024<br />

31


Praxis: <strong>Lehrkraft</strong> <strong>sein</strong><br />

Eva-Maria Osterhues-Bruns<br />

Schul- und Unterrichtsentwicklung<br />

begleiten und unterstützen<br />

Das Beratungs- und Unterstützungssystem Niedersachsens<br />

Gerade in den letzten Jahren haben die Anforderungen, denen sich Schulleitungen,<br />

Lehrkräfte und Mitarbeitende, aber auch die Schülerinnen und Schüler<br />

an Schulen stellen müssen, rasant zugenommen. Der Mangel an pädagogischen<br />

Fachkräften lässt viele Kolleg:innen an ihre Belastungsgrenze stoßen. Auch<br />

die vielfältigen Nachwirkungen der Covid-19-Pandemie oder die enorme Geschwindigkeit,<br />

mit der sich der digitale Wandel vollzieht, wirken sich auf Schule<br />

und Unterricht aus. Weitere gesellschaftliche Anforderungen wie die Umsetzung<br />

des Rechtsanspruchs auf eine ganztägige Betreuung sowie der inklusiven Schule<br />

machen eine Weiterentwicklung von Lehrkräften und Schulen notwendig.<br />

Zudem zeigen verschiedene Schulleistungsstudien,<br />

dass viele Schülerinnen<br />

und Schüler geforderte<br />

Mindeststandards nicht erreichen, was<br />

die Frage nach „gutem Unterricht“ aufwirft.<br />

Mindestens genauso deutlich<br />

wird, dass sich die Chancenungerechtigkeit<br />

unter den Kindern weiter verschärft.<br />

Die Benachteiligung von Kindern<br />

aus ökonomisch prekären Haushalten<br />

sowie von Kindern mit<br />

Migrationshintergrund ist in Deutschland<br />

besonders ausgeprägt.<br />

Aber: Kann Schule diese überwältigenden<br />

gesellschaftlichen Herausforderungen<br />

überhaupt bewältigen? Welche<br />

Möglichkeiten gibt es für Lehrkräfte, sich<br />

so fort- und weiterzubilden, um Schülerinnen<br />

und Schüler fit zu machen für<br />

die Gegenwart sowie die Zukunft, von<br />

der wir heute nicht wissen, wie sie morgen<br />

aussehen wird? Wie muss sich Schule<br />

verändern, um den verschiedenen Bedarfen<br />

gerecht zu <strong>werden</strong>? Wie gelingt es<br />

gleichzeitig, Lernumgebungen so zu gestalten,<br />

dass sie ausreichende Lernchancen<br />

für die Kinder bieten und lernwirksam<br />

sind, die Lehrkräfte dabei nicht überfordern?<br />

Die beiden letzten großen Kongresse<br />

des Grundschulverbandes 2019<br />

und 2024 unter dem Motto KINDER.<br />

LERNEN.ZUKUNFT. JETZT! versuchten,<br />

auf diese Fragen Antworten zu finden;<br />

auch die Anforderungen an eine zukunftsfähige<br />

Grundschule 1 , mit welchen<br />

sich der Grundschulverband zu einer zukunftsfähigen<br />

Schule positioniert, zeigen<br />

Wege und Möglichkeiten auf.<br />

sich im Laufe der beruflichen Tätigkeit<br />

nicht nur die Anforderungen kontinuierlich<br />

verändern, sondern auch das<br />

Wissen der Bezugswissenschaften und<br />

damit die Möglichkeiten eines effektiven<br />

professionellen Handelns dynamisch<br />

wachsen. Fortbildung im Sinne der Erhaltung<br />

und Anpassung der professionellen<br />

Kompetenzen muss deshalb als<br />

ein berufsbegleitender Prozess verstanden<br />

<strong>werden</strong>“ (SWK 2023b, 90). Kraus<br />

konstatiert, dass „heute die beständige<br />

Weiterentwicklung der eigenen Professionalität<br />

zu den Erwartungen an den<br />

Lehrberuf gehört“ (Kraus 2021, 8).<br />

Das Land Niedersachsen hat mit <strong>sein</strong>em<br />

Beratungs- und Unterstützungssystem<br />

(B&U) 2 ein Modell entwickelt, welches<br />

beide Säulen zu bedienen und auf<br />

der Grundlage der Freiwilligkeit Schulen<br />

bei ihrer Schul- und Unterrichtsentwicklung<br />

zu unterstützen versucht. Ziel<br />

ist es, die anfragenden Schulen bei ihren<br />

„Fort- und Weiterbildung sind gleichermaßen zentral<br />

für die Bewältigung der sich dynamisch verändernden<br />

schulischen Anforderungen.“<br />

(SWK 2023a, 14)<br />

Doch auch die zuständigen Ministerien<br />

bzw. Schuladministrationen müssen<br />

geeignete Strukturen schaffen, um Schulen<br />

bei der Bewältigung dieser Anforderungen<br />

zu begleiten.<br />

Während für die erste und die zweite<br />

Phase der Lehrkräfteausbildung verschiedene<br />

Konzepte entwickelt <strong>werden</strong>,<br />

um angehende Lehrkräfte zukunftsorientiert<br />

zu qualifizieren, wird<br />

die dritte Phase der Lehrkräftebildung<br />

eher stiefmütterlich evaluiert und weiterentwickelt.<br />

Die Ständige Wissenschaftliche<br />

Kommission (SWK) konstatiert<br />

in der Situationsanalyse ihres<br />

Gutachtens Lehrkräftegewinnung und<br />

Lehrkräftebildung für einen hochwertigen<br />

Unterricht, „dass in den meisten<br />

Ländern weder im Bereich der Fortnoch<br />

in der Weiterbildung hinreichende<br />

Strukturen implementiert sind“ (SWK<br />

2023b, 110). Dabei scheint eine Professionalisierung<br />

von Lehrkräften einerseits<br />

und eine Professionalisierung von Schule<br />

als Organisation<strong>sein</strong>heit andererseits<br />

unabdingbar, um adäquat auf die vielfältigen<br />

Veränderungsprozesse eingehen<br />

zu können. So schreibt auch die SWK in<br />

ihrem o. g. Gutachten weiter: „Für Professionen<br />

gilt in besonderer Weise, dass<br />

Anliegen individuell zu beraten und in<br />

ihrem Prozess zu begleiten; die Ergebnisverantwortung<br />

liegt jedoch allein bei<br />

den anfragenden Schulen, d. h. die Berater:innen<br />

können die Schulen in ihrem<br />

Vorhaben begleiten, die inhaltlichen<br />

Entscheidungen sind aber allein von den<br />

Kollegien zu treffen.<br />

Beratung und Unterstützung <strong>werden</strong><br />

in folgenden Bereichen gegeben:<br />

● Unterrichtsfächer (an den allgemeinbildenden<br />

Schulen): Schulformbezogene<br />

Fachberatungen begleiten<br />

zumeist Fachkonferenzleitungen bzw.<br />

Fachkonferenzen bei der fachbezogenen<br />

Unterrichtsentwicklung, z. B. bei<br />

der Erstellung und der Umsetzung der<br />

32 GS aktuell 167 • September 2024


Praxis: <strong>Lehrkraft</strong> <strong>sein</strong><br />

Eva-Maria Osterhues-Bruns,<br />

Fachreferentin für pädagogische Praxis<br />

im Grundschulverband und Vorsitzende<br />

der Landesgruppe Niedersachsen<br />

schuleigenen Arbeitspläne oder der<br />

Gestaltung guter Lernumgebungen in<br />

ihren Fächern.<br />

● Übergreifende Bildungsaufgaben<br />

(z. B. medienpädagogische Beratung,<br />

BNE, die Region und ihre Sprachen<br />

im Unterricht oder schulische Sozialarbeit):<br />

Die Berater:innen der übergreifenden<br />

Bildungsaufgaben besitzen eine<br />

besondere Expertise in ihrem jeweiligen<br />

Schwerpunktgebiet. So können<br />

sie z. B. bei Bewerbungen als Projektschulen<br />

oder „Plattdeutsche bzw. Saterfriesische<br />

Schulen“ unterstützen, Ansprechpartner*innen<br />

bei der Erstellung<br />

von Medienkonzepten oder bei Fragen<br />

des Datenschutzes <strong>sein</strong>. Berater:innen<br />

BNE begleiten Schulen unter anderem<br />

bei einer nachhaltigen Ausrichtung des<br />

Schulprofils.<br />

● Lernbereiche (an den berufsbildenden<br />

Schulen) 3<br />

● Schulentwicklung und Unterrichtsqualität:<br />

Mögliche Aufgabenfelder von<br />

Schulentwicklungsberater:innen können<br />

unter anderem <strong>sein</strong>, Schulen beim<br />

Aufbau von Strukturen und in ihren<br />

Veränderungsprozessen zu unterstützen,<br />

z. B. bei der Konzepterstellung und<br />

der Umsetzung des Ganztagsschulprozesses,<br />

aber auch bei geplanten Schulfusionen<br />

oder Schulneugründungen.<br />

Sie sind unter anderem auch zuständig<br />

für die Unterstützung beim Erstellen<br />

von Leitbildern oder Schulprogrammen.<br />

Fachberater:innen für Unterrichtsqualität<br />

hingegen begleiten und<br />

beraten Schulen bei der konsequenten<br />

Weiterentwicklung des Unterrichts und<br />

damit einhergehend der Unterrichtsqualität<br />

auf der operativen Ebene. Auch<br />

die Weiterentwicklung systematischer<br />

Fachkonferenzarbeit oder die Erarbeitung<br />

eines gemeinsamen Verständnisses<br />

von Unterrichtsqualität gehören zu<br />

den Aufgabenbereichen der Fachberater:innen<br />

für Unterrichtsqualität. Dieses<br />

Beratungsangebot umfasst unter<br />

anderem die Weiterentwicklung des<br />

Unterrichtes in heterogenen Lerngruppen<br />

in einer inklusiven Schule.<br />

● Pädagogische und psychologische<br />

Unterstützung: Die pädagogische und<br />

psychologische Unterstützung umfasst<br />

sowohl die Begabungsförderung<br />

als auch die sonderpädagogische und<br />

inklusive sowie psychologische Unterstützung.<br />

● Arbeitsschutz und Gesundheitsmanagement:<br />

Dieser Bereich des B&U ist<br />

ebenfalls breit aufgestellt. Verschiedene<br />

Professionen begleiten Schulen und<br />

einzelne Lehrkräfte in den Bereichen<br />

Arbeitsmedizin, Arbeitspsychologie<br />

und Arbeitsgesundheit. Daneben können<br />

Berater:innen dieser Professionen<br />

zur Suchtberatung oder zur Schulbauberatung<br />

angefragt <strong>werden</strong> (vgl. https://<br />

bildungsportal-niedersachsen.de/beratung-unterstuetzung/onlineportal-bu)<br />

4 .<br />

Um eine möglichst passgenaue Beratung<br />

anbieten zu können, arbeiten Berater:innen<br />

unterschiedlicher Professionen<br />

zusammen. Ein Beratungsteam setzt<br />

sich zusammen aus Schulentwicklungsberater:innen<br />

(SEB), Fachberater:innen<br />

für Unterrichtsqualität (FBUQ) und<br />

Berater:innen für Evaluation (BfE) sowie<br />

schulpsychologischen Dezernentinnen<br />

und Dezernenten. Das Team wird<br />

unterstützt durch schulformbezogene<br />

Berater:innen (sfB), die speziell für einzelne<br />

Unterrichtsfächer angefragt und<br />

beauftragt <strong>werden</strong> können, sowie Berater:innen,<br />

die für die übergreifenden<br />

Bildungsaufgaben (z. B. BNE, Medienbildung<br />

oder interkulturelle Sprachbildung)<br />

verantwortlich sind.<br />

Schulen können ihre Anfragen niedrigschwellig<br />

über ein onlinegestütztes<br />

B&U-Portal stellen. Diese <strong>werden</strong> in regelmäßigen<br />

gemeinsamen Sitzungen von<br />

den Mitgliedern des zuständigen Regionalen<br />

Beratungsteams (RBT) 5 gesichtet<br />

und diskutiert. Auf der Grundlage dieser<br />

Anfrage entscheiden die Mitglieder der<br />

RBTs gemeinsam, welche Profession/-en<br />

einen ersten Kontakt zur Schule herstellt/<br />

herstellen. In einem Erstgespräch wird<br />

dann das Beratungsanliegen eruiert. Zumeist<br />

prozessbegleitend unterstützen die<br />

Berater:innen nach der Klärung des Beratungsauftrages<br />

anschließend Steuergruppen,<br />

Fachteams oder Kollegien in<br />

ihrer Schul- und Unterrichtsentwicklung.<br />

Letztendlich stellt eine Evaluation<br />

der durchgeführten Maßnahmen den<br />

Abschluss des Beratungsprozesses dar. In<br />

Bezug auf die Unterrichtsentwicklung erhält<br />

im gesamten Beratungsprozess insbesondere<br />

das Merkmal „Stärkung der kollegialen<br />

unterrichtsbezogenen Kooperation<br />

mit dem Fokus auf Tiefenmerkmale<br />

des Unterrichts durch Expert:innen, die<br />

bei der Zielfokussierung unterstützen“<br />

(SWK 2023b, 102), eine große Bedeutung.<br />

Mit diesem Angebot möchte das Niedersächsische<br />

Kultusministerium Schulen<br />

qualitativ hochwertig begleiten und<br />

Lehrkräften berufsbegleitend Unterstützung<br />

anbieten, um sie zu professionalisieren<br />

und dadurch zu stärken. <br />

Anmerkungen<br />

1<br />

https://grundschulverband.de/unsere-themen/anforderungen-zukunftsfaehige-grundschule/<br />

2<br />

im Folgenden B&U<br />

3<br />

Da die Aufgabenbereiche der Berater:innen<br />

der Lernbereiche an den berufsbildenden<br />

Schulen für die Grundschulen nicht relevant<br />

sind, <strong>werden</strong> sie an dieser Stelle nicht näher<br />

erläutert.<br />

4<br />

Auf dieser Seite des Beratungs- und<br />

Unterstützungsportals können die jeweiligen<br />

Aufgaben und Zuständigkeiten der Fachberater:innen<br />

detailliert eingesehen <strong>werden</strong>.<br />

5<br />

Ein Regionales Beratungsteam setzt sich<br />

zusammen aus jeweils zwei SEB, zwei FBUQ,<br />

zwei BfE und zwei schulpsychologischen<br />

Dezernent:innen.<br />

Literaturangaben zum Artikel<br />

können Sie von unserer Website herunterladen:<br />

https://t1p.de/GSa167Lit<br />

GS aktuell 167 • September 2024<br />

33


Praxis: <strong>Lehrkraft</strong> <strong>sein</strong><br />

Stefan Kauder<br />

Professionelle Rahmengestaltung<br />

von Arbeitszeit<br />

Hamburger Arbeitszeitmodelle an Schulen<br />

Hamburg führte 2005 in den Schulen das sog. Lehrer:innenarbeitszeitmodell<br />

eingeführt. Im Jahr 2018 wurden verschiedene Arbeitszeitmodelle für andere<br />

Professionen in ein einheitliches Arbeitszeitmodell (Dienstzeitregelung) für pädagogisch<br />

therapeutisches Fachpersonal (PTF) zusammengeführt. PTFs sind<br />

zum Beispiel Erziehende, Sozialpädagog*innen, Logopäd:innen, und Ergotherapeut:innen.<br />

So gibt es jetzt in Hamburg zwei Arbeitszeitmodelle, eines für Lehrer:innen<br />

und eines für pädagogisch-therapeutisches Fachpersonal.<br />

Die Arbeitszeitmodelle geben einen<br />

Rahmen, der über die reine<br />

unterrichtliche Tätigkeit bzw. die<br />

„Arbeit am Kind“ hinausgeht. So sind<br />

zum Beispiel Aufsichtszeiten, Vor- und<br />

Nachbereitungszeiten, Funktionszeiten<br />

für Fach- oder Sammlungsleitung,<br />

Koordination usw., Fortbildungszeiten,<br />

Vertretungsstunden und Konferenzzeiten<br />

im Arbeitszeitmodell erfasst. Jedem<br />

Bereich wird ein wöchentlicher oder jährlicher<br />

Zeitfaktor zugewiesen.<br />

Welche Vorteile bietet das<br />

Arbeitszeitmodell?<br />

Das Modell hilft dabei, Arbeitszeit an<br />

Schulen fairer zu verteilen, Transparenz<br />

in den Kollegien zu erzeugen und Aufgabenbereiche,<br />

auch für Berufsanfänger:innen,<br />

zu definieren. Durch die<br />

jährlich 30 Stunden Fortbildungsverpflichtung<br />

dient es auch zur fachlichen<br />

Professionalisierung von Kollegien.<br />

Durch eine festgelegte gemeinsame<br />

Konferenzzeit wird Schul- und Unterrichtsentwicklung<br />

gefördert und als<br />

gemeinsame Aufgabe definiert.<br />

Jede Schule bekommt ihre gesamten<br />

Ressourcen in Wochenarbeitszeit (WaZ)<br />

zugewiesen. Da Hamburger Schulen<br />

sich selbstverantwortet Arbeitsschwerpunkte<br />

setzen, können die Wochenarbeitszeitstunden<br />

flexibel verteilt <strong>werden</strong>,<br />

zum Beispiel für Kulturprojekte<br />

oder Förderung und Forderung. Darüber<br />

entscheiden die Schulen eigenverantwortlich<br />

(Schulleitung, Kollegien,<br />

schulische Personalräte).<br />

Gibt es Nachteile?<br />

Ein Arbeitszeitmodell macht noch keine<br />

gute Schule aus. Es bedarf immer noch<br />

der professionellen positiven Haltung zu<br />

allen Kindern und der Ausgestaltung des<br />

schulischen Rahmens durch Kollegien<br />

und Schulleitung. Es gab auch einmal<br />

eine Hamburger Schulsenatorin, die das<br />

Lehrer:innenarbeitszeitmodell als „Erbsenzählmodell“<br />

bezeichnet hat. Mit dem<br />

Begriff wird deutlich, dass es sehr aufwendig<br />

ist, die wöchentlichen Aufgaben<br />

zu erfassen. Das hat auch Grenzen.<br />

Welches Fazit kann man nach<br />

fast 20 Jahren Hamburger<br />

Lehrer:innenarbeitszeitmodell<br />

ziehen?<br />

Auch durch ein Arbeitszeitmodell<br />

bleibt der Beruf der Lehrer:in herausfordernd,<br />

anstrengend und wunderbar.<br />

Die Gewerkschaften kritisieren, dass<br />

Aufgabenbereiche wie zum Beispiel die<br />

Digitalisierung<br />

nicht<br />

Stefan Kauder<br />

unterrichtet an der Grund- und Stadtteilschule<br />

Alter Teichweg in Hamburg.<br />

Er war 16 Jahre Schulleiter einer Hamburger<br />

Grundschule und fünf Jahre<br />

Leiter des Hamburger Schulversuches<br />

alles>>könner – notenfreie Schulen.<br />

genügend Berücksichtigung im Arbeitszeitmodell<br />

finden. Die Unterrichtsverpflichtung,<br />

gerade an Grundschulen,<br />

ist mit 28 Unterrichtsstunden hoch.<br />

Viele Kolleg:innen gehen in Teilzeit, um<br />

gesund zu bleiben.<br />

Gut ist, dass Kolleg:innen, die Aufgaben<br />

für das gesamte Kollegium übernehmen,<br />

Zeiten dafür bekommen. Zum Beispiel<br />

eine Stunde in der Woche für eine<br />

Deutschfachleitung. Eine Klassenleitung<br />

bekommt mehr Arbeitszeit zugewiesen,<br />

zum Beispiel drei Stunden in der Woche,<br />

als eine reine Fachlehrkraft.<br />

Vorteile bietet das Hamburger<br />

Arbeitszeitmodell eindeutig in der faireren<br />

Verteilung von Arbeitszeiten.<br />

Quellen:<br />

https://www.hamburg.de/politik-undverwaltung/behoerden/schulbehoerde/<br />

themen/informationen-fuer-lehrkraefte/<br />

lehrerarbeitszeitmodell-118822<br />

Weitere<br />

Informationen unter<br />

https://t1p.de/cwcnw<br />

34 GS aktuell 167 • September 2024


Aus der Praxis: Forschung XXXXX<br />

Patrick Peifer, Markus Peschel<br />

Veränderung der<br />

Sprach-Fach-Bewusstheit angehender<br />

Sachunterrichtslehrkräfte<br />

Der Sprache kommt im schulischen Fachunterricht – in diesem Beitrag wird der<br />

Sachunterricht fokussiert – eine wichtige Rolle zu (vgl. z. B. Gottwald 2016; Peschel<br />

2020; Franz et al. 2021). Bislang fokussieren Forschungen vorrangig den<br />

Einfluss der Sprache auf das Fach (vgl. z. B. Gadow 2016; Siegmund 2021) oder,<br />

viel seltener, den Einfluss des Faches auf die Sprache (vgl. z. B. Gottwald 2016).<br />

Fast immer liegt der Fokus der Untersuchungen dieser monodirektional untersuchten<br />

Einflüsse auf sprachlichen oder fachlichen Kenntnissen bei Schüler:innen<br />

(vgl. z. B. Gadow 2016); deutlich seltener <strong>werden</strong> Sprach-Fach-Beziehungen<br />

bei Lehrer*innen untersucht (vgl. z. B. Asen-Molz/Rank 2021; Grewe 2023).<br />

Wie sich die Sprach-Fach-<br />

Bewusstheit angehender<br />

Sachunterrichtslehrkräfte<br />

durch die Au<strong>sein</strong>andersetzung mit dem<br />

Thema „Schwimmen und Sinken“ verändert,<br />

ist Gegenstand eines Promotionsprojektes,<br />

das in diesem Beitrag näher<br />

beschrieben wird. Im Folgenden wird<br />

gezeigt, wie wichtig eine Sprach-Fach-<br />

Bewusstheit für Lehrer:innen ist.<br />

Sprache und<br />

Sachunterricht – Theorie<br />

Dass Sprache im bzw. für den Sachunterricht<br />

eine Rolle spielt, erscheint eine triviale<br />

Erkenntnis. „[S]chnell [wird] deutlich,<br />

dass Sprache ein fester Bestandteil<br />

des Unterrichts […] ist. Unterrichtsinhalte<br />

<strong>werden</strong> über die Sprache vermittelt<br />

und es findet immer ein sprachlicher<br />

Austausch zwischen Lehrendem<br />

und Lernenden statt“ (Archie/Rank/<br />

Franz 2017, 226). Wie aber konkretisiert<br />

sich das Verhältnis bzw. die Beziehung<br />

zwischen Sprache und fachlichen Inhalten<br />

im Sachunterricht?<br />

1. Einerseits wird Sprache als Lernmedium<br />

und somit als Mittel bzw.<br />

Werkzeug sachunterrichtlichen Lernens<br />

verstanden: „Sprache ist zunächst<br />

– im Aufbau und in der Verwendung<br />

von Begriffen oder beim sachgemäßen<br />

Argumentieren – ein wichtiges Mittel<br />

und Werkzeug sachunterrichtlichen<br />

Lernens. Als solches dient sie<br />

der Aneignung, der Verarbeitung, der<br />

Modellierung und Konzeptualisierung<br />

der Inhalte (durch Konstruktion und<br />

Repräsentation) sowie der darauf<br />

bezogenen Kommunikation, Reflexion<br />

und damit der Orientierung und Einordnung<br />

von Erfahrungen“ (GDSU<br />

2013, 11).<br />

2. Andererseits wird Sprache als Lerngegenstand<br />

beschrieben und eine enge<br />

Verknüpfung von Sachunterricht und<br />

Sprachbildung (verstanden als Oberbegriff<br />

für alle Formen von gezielter<br />

Sprachentwicklung; vgl. Morris-Lange/<br />

Wagner/Altinay 2016; Jostes 2017) konstatiert:<br />

„Sprachliche Ausdrucksformen<br />

im Sachunterricht knüpfen auch an die<br />

Erfahrungen und Vorstellungen und<br />

damit an die Alltagssprache der Kinder<br />

an. In der Au<strong>sein</strong>andersetzung mit den<br />

Sachen des Sachunterrichts müssen die<br />

Kinder lernen, Dinge, Erscheinungen und<br />

Zusammenhänge sachadäquat sprachlich<br />

darzustellen, um so – unterstützt von<br />

den Lehrerinnen und Lehrern – (auch<br />

individuelle) Wege von der Alltags- zur<br />

Bildungssprache zu finden. Damit fördern<br />

die einzelnen Perspektiven über die Alltagssprache<br />

hinweg die Entwicklung einer<br />

bestimmten (fach)sprachlichen Kultur.<br />

[…] Der Sachunterricht leistet so einen<br />

wesentlichen Beitrag zur sprachlichen<br />

Bildung von Schülerinnen und Schülern“<br />

(ebd., 11).<br />

Sprache und<br />

Sachunterricht – Empirie<br />

Rekurrierend auf diese theoretischen<br />

Annahmen bzw. Postulate (vgl. GDSU<br />

Patrick Peifer (links)<br />

ist wissenschaftliche Hilfskraft am Lehrstuhl<br />

für Didaktik des Sachunterrichts<br />

an der Universität des Saarlandes und<br />

unterstützt u. a. die Projekte „DiMaS“<br />

und „Sprachlichkeiten – Fachlichkeiten“.<br />

Sein Forschungsinteresse liegt in<br />

der Untersuchung der Veränderung der<br />

Sprach-Fach-Bewusstheit angehender<br />

Sachunterrichtslehrkräfte.<br />

Prof. Dr. Markus Peschel (rechts)<br />

ist Professor für Didaktik des Sachunterrichts<br />

an der Universität des<br />

Saarlandes, Fakultät NT. Seine<br />

Forschungsschwerpunkte liegen in<br />

den Bereichen Digitalisierung und<br />

Medien, (offenes) Experimentieren<br />

sowie naturwissenschaftliche<br />

Grundbildung.<br />

2013) wird in vielen weiteren Publikationen<br />

auf die Notwendigkeit der<br />

Betrachtung des Zusammenhangs<br />

von Sprache und fachlichen Inhalten<br />

im Sachunterricht hingewiesen (vgl.<br />

z. B. Rank/Wildemann 2015 und 2022;<br />

Rank/Wildemann/Hartinger 2016;<br />

Archie/Rank/Franz 2017) und dadurch<br />

„die Relevanz der Sprache für das sachunterrichtliche<br />

Lernen zunehmend ins<br />

Zentrum von Diskussionen“ (Grewe<br />

2023, 36) gerückt (vgl. z. B. Franz et al.<br />

2021) – auch z. T. durch „eine systematische<br />

Forschung zum Zusammenhang<br />

der sprachlichen und fachlichen<br />

Inhalte“ (Grewe 2023, 36). Im Folgenden<br />

<strong>werden</strong> (beispielhaft) empirische<br />

GS aktuell 167 • September 2024<br />

35


Aus Praxis: der XXXXX Forschung<br />

Begriff<br />

Alltagssprache<br />

Bildungssprache<br />

Klärung<br />

Alltagssprache wird v. a. „in Diskursen der alltäglichen Lebenspraxis gesprochen und [kann] zur unproblematischen<br />

Verständigung bei geteiltem Hintergrundwissen jederzeit verwendet <strong>werden</strong>“ (Hoffmann 2019, 1). Zu den konstitutiven<br />

Merkmalen der Alltagssprache zählen v. a. „Informalität und (raum-)zeitliche Nähe der Kommunikationssituation,<br />

Spontaneität und Routinisierung der Interaktion sowie die grundsätzliche Gleichberechtigung der GesprächsteilnehmerInnen“<br />

(Elspaß 2010, 419).<br />

„Bildungssprache ist das Medium, um abstrakte und komplexe Inhalte sprachlich aufzunehmen und auszudrücken.<br />

Dies muss unabhängig von einer konkreten Interaktionssituation geleistet <strong>werden</strong> und in den unterschiedlichsten<br />

Situationen, bei sehr verschiedenen Anforderungen“ (Lange & Gogolin 2010, 9). Der Bildungssprache, die sich durch<br />

Dekontextualisierung, Explizitheit, Komplexität und argumentative Klarheit auszeichnet, kommt eine wissensvermittelnde<br />

Funktion zu (vgl. Ortner 2009).<br />

Fachsprache<br />

Die Fachsprache umfasst „die Gesamtheit aller sprachlichen Mittel, die in einem fachlich begrenzbaren Kommunikationsbereich<br />

verwendet <strong>werden</strong>, um die Verständigung zwischen den in diesem Bereich tätigen Menschen zu<br />

gewährleisten“ (Hoffmann 1976, 170). Charakteristisch für die Fachsprache ist u. a. „die Tendenz zur Explizitheit,<br />

Formalisierung und mehr oder weniger starken Standardisierung bzw. Normierung des Ausdrucks“ (Hahn 1980, 390).<br />

Tabelle 1: Begriffsklärung und -differenzierung – Alltags-, Bildungs- und Fachsprache<br />

Forschungen zum Zusammenhang von<br />

Sprache und fachlichen Inhalten im<br />

naturwissenschaftlich orientierten Sachunterricht<br />

betrachtet, da das in diesem<br />

Beitrag zu skizzierende Promotionsprojekt<br />

(s. u.) in der naturwissenschaftlichen<br />

Perspektive des Sachunterrichts<br />

angesiedelt ist (vgl. GDSU 2013).<br />

In den wenigen empirischen Forschungen<br />

zum Zusammenhang von<br />

Sprache und naturwissenschaftlich<br />

orientiertem Sachunterricht <strong>werden</strong><br />

Schulbücher, z. B. unter bildsprachlichem<br />

Fokus, untersucht (vgl. Neuböck-<br />

Hubinger/Peschel/Andersen 2021; Neuböck-Hubinger/Peschel<br />

2023 und 2024)<br />

oder es stehen Schüler:innen im Fokus,<br />

d. h., es <strong>werden</strong> v. a. Schüler:innen<br />

als Proband:innen bzw. deren sprachliches<br />

und fachliches Lernen beforscht<br />

(vgl. Gadow 2016; Gottwald 2016; Siegmund<br />

2021). Über welche Kompetenzen<br />

Lehrer:innen verfügen müssen, um<br />

das Lernen der Schüler*innen sprachlich<br />

und fachlich angemessen begleiten und<br />

unterstützen zu können, stellt entsprechend<br />

ein Desiderat in der sachunterrichtsdidaktischen<br />

Forschung dar (vgl.<br />

z. B. Pech 2019; Peschel 2020; Grewe<br />

2023). Häufig handelt es sich bei empirischen<br />

Forschungen zur Untersuchungsgruppe<br />

Schüler*innen um Interventionsstudien,<br />

in denen sprachliche und fachliche<br />

Kenntnisse getrennt voneinander<br />

bzw. parallel zueinander erhoben bzw.<br />

rekonstruiert <strong>werden</strong> (vgl. Gottwald<br />

2016; Siegmund 2021).<br />

Ferner erfolgt in empirischen Forschungen<br />

zum Zusammenhang von<br />

Sprache und naturwissenschaftlich<br />

orientiertem Sachunterricht meist eine<br />

Fokussierung auf sprachliche Aspekte<br />

und „Sprache [wird] […] aufgegriffen<br />

im Zusammenhang mit der Entwicklung<br />

von Fach- bzw. Bildungssprache“<br />

(Pech 2019, 112). Aber: Fachsprache<br />

bzw. „[f]achliche Sprache, die auf ‚richtige<br />

Bezeichnungen‘ reduziert wird,<br />

verhindert Hinterfragen und behindert<br />

Zugänge zum Phänomen – wobei schulisch<br />

richtige Fachsprache nicht einmal<br />

zwingend fachwissenschaftlich angemessene<br />

Sprache ist“ (ebd., 117) bzw.<br />

<strong>sein</strong> muss. „Begriffe müssen folglich im<br />

Fach neu semantisiert <strong>werden</strong>“ (Leisen<br />

2011, 11) und „[es] benötigt […] einen<br />

Wechsel zwischen Alltags- und Fachsprache<br />

mit Aspekten der Bildungssprache<br />

als Mittler“ (Peschel 2020, 129; vgl.<br />

auch Pech 2019; Leisen 2022).<br />

Hinzu kommt, dass verschiedene Begriffe<br />

(u. a.) in der Alltags-, Bildungsund<br />

Fachsprache unterschiedliche<br />

sprachliche sowie fachliche Bedeutungen<br />

aufweisen. Dazu kommt im Sachunterricht,<br />

dass „[j]ede Perspektive des<br />

Sachunterrichts […] eigene Fachbegriffe<br />

[hat], die abstrakte Konzepte verdeutlichen.<br />

Diese Begriffe sind oft alltagssprachlich<br />

bekannt, haben aber<br />

fachsprachlich eine andere Bedeutung“<br />

(Rank/Wildemann 2022, 499; siehe Beispiel<br />

„schwimmen“ im Kasten S. 37).<br />

Die beschriebenen Komplexitäten<br />

„erforder[n] es, Begriffe nicht nur fachlich<br />

und eindeutig zu benutzen, sondern<br />

zudem den Transfer von alltagssprachlichem<br />

Verständnis in Fachsprache und<br />

den Transfer von einem Fachverständnis<br />

in Alltagssprache zu berücksichtigen.<br />

Damit können Fachverständnis sowie<br />

Fachsprache mit alltagssprachlichen<br />

Begriffen und Verständnissen bzw. Beschreibungen<br />

verknüpft <strong>werden</strong>“ (Peschel<br />

2020, 129).<br />

„Nahezu völlig unerforscht in diesem<br />

Bereich [gemeint ist der Umgang<br />

mit Sprache im Sachunterricht; Anm.<br />

d. Verf.] ist nach wie vor die Frage, welche<br />

Kompetenzen die Lehrkräfte besitzen<br />

müssen, um gleichzeitig den Erfordernissen<br />

der sprachlichen und sachunterrichtlichen<br />

Förderung gerecht<br />

<strong>werden</strong> zu können und wie diese in geeigneter<br />

Art und Weise aufgebaut <strong>werden</strong><br />

können“ (Rank/Wildemann/Hartinger<br />

2016, 5; Herv. d. Verf.; vgl. Grewe<br />

2023). „Die Anforderung stellt sich<br />

an die fachliche Ausbildung bzw. Qualifikation<br />

von Lehrkräften bzw. von Lehrer*innen“<br />

(Peschel 2020, 128).<br />

Sprache und Sachunterricht –<br />

Promotionsprojekt<br />

Diesem Desiderat – die sprachlichen<br />

und fachlichen Qualifizierungen von<br />

(angehenden) Lehrkräften zu untersuchen<br />

– widmet sich ein aktuelles Projekt<br />

an der Universität des Saarlandes<br />

(Lehrstuhl für Didaktik des Sachunterrichts),<br />

bei dem der Forschungsfrage<br />

nachgegangen wird: Wie verändert<br />

sich die Sprach-Fach-Bewusstheit<br />

angehender Sachunterrichtslehrkräfte<br />

durch die Au<strong>sein</strong>andersetzung<br />

mit dem Thema „Schwimmen und<br />

36<br />

GS aktuell 167 • September 2024


Aus der Praxis: Forschung XXXXX<br />

Sinken“? Das Projekt ist als qualitative<br />

Interventionsstudie im Pre-Post-Follow-up-Design<br />

ohne Kontrollgruppe<br />

angelegt und richtet den Fokus darauf,<br />

herauszufinden, wie sich die Sprach-<br />

Fach-Bewusstheit angehender Sachunterrichtslehrkräfte<br />

bei der Au<strong>sein</strong>andersetzung<br />

mit sprachlichen<br />

und fachlichen Aspekten des Themas<br />

„Schwimmen und Sinken“ verändert.<br />

Das Thema „Schwimmen und Sinken“<br />

wurde ausgewählt, da es „ein häufig<br />

eingesetztes Thema im Sachunterricht<br />

(Möller 2005) und gleichzeitig ein in<br />

der Didaktik des Sachunterrichts viel<br />

erforschtes (Furtner 2016), aber hinsichtlich<br />

<strong>sein</strong>er Eignung für den Grundschulunterricht<br />

auch viel diskutiertes<br />

Thema (Köhler 2006)“ (Fischer/Peschel<br />

2022, 53) ist. Bestehende Forschungen<br />

zu „Schwimmen und Sinken“ unter<br />

fachlichen Gesichtspunkten (vgl. Stern<br />

et al. 2002; Furtner 2016) sollen im<br />

Projekt um das Zusammenspiel von<br />

sprachlichen und fachlichen Aspekten<br />

erweitert <strong>werden</strong> (s. o.; vgl. Andersen<br />

et al. 2024; vgl. dazu auch Peschel 2020;<br />

Peschel/Neuböck-Hubinger/Andersen<br />

2021; Peifer et al. 2023).<br />

Das im Projekt fokussierte Konstrukt<br />

der Sprach-Fach-Bewusstheit generiert<br />

sich aus: (1) der Sprachbewusstheit<br />

(language awareness), verstanden<br />

als „sprachreflexive Tätigkeit[ ]“ (Wildemann<br />

2013, 321). Diese „umfasst<br />

Aufmerksamkeit eines Individuums,<br />

Sprachliches und metasprachliche Fähigkeiten“<br />

(Oomen-Welke 2006, 453) in<br />

Form von Reflexion(en) bzw. „Reflektieren<br />

von und/oder Sprechen über Sprache“<br />

(Hinneberg 2005, 68). In Verbindung<br />

mit der Sprachbewusstheit wird<br />

(2) das Konstrukt der Fachbewusstheit<br />

(content awareness) verwendet, „that<br />

goes beyond […] content knowledge“<br />

(He/Lin 2020, 13) und das verstehbar<br />

ist als Richten der Aufmerksamkeit<br />

auf Fachliches bzw. Reflexion(en)<br />

von Fachlichem bzw. fachlicher Aspekte<br />

(vgl. z. B. Coyle/Meyer 2021; Fritz/Sorger<br />

2023). Sprach-Fach-Bewusstheit basiert<br />

auf beiden Konstrukten und entwickelt<br />

entsprechend eine doppelte Bewusstheit,<br />

nämlich „die Fähigkeit, neben<br />

den fachlichen Inhalten die Form ihrer<br />

Versprachlichung im Auge zu behalten“<br />

(Bien-Miller/Wildemann 2023, 8), um<br />

sowohl sprachlich als auch fachlich korrekt<br />

und angemessen handeln zu können<br />

Beispiel: „schwimmen“<br />

Beispielhaft deutlich wird dies anhand des Vollverbs<br />

„schwimmen“, einem „alltagssprachliche[n]<br />

Begriff, der aber auch in der Fachsprache verwendet<br />

wird – dort allerdings mit klarer fachlicher<br />

Determination und weniger undifferenziert<br />

gebraucht“ (Peschel 2020, 130).<br />

· Alltagssprachlich beschreibt „schwimmen“<br />

meist die (sportliche) Tätigkeit der Fortbewegung<br />

mit Armen und Beinen („Ich gehe schwimmen“);<br />

oder es wird (unpräzise!) das „Schwimmen“<br />

eines Körpers an der Wasseroberfläche<br />

beschrieben, wenn ein „Gegenstand bei gleicher<br />

Größe (Volumen) leichter ist als die entsprechende<br />

Menge (Volumen) Wassers“ (ebd., 130).<br />

· Fachsprachlich bzw. fachlich entscheidet<br />

„[ü]ber ‚schwimmen‘ […] die Wechselwirkung<br />

bzw. Differenz der Dichte eines Körpers […] und<br />

der Dichte des umgebenden Fluids“ (Andersen<br />

et al. 2024, 63): „Im Allgemeinen schwimmt ein<br />

Körper […], wenn <strong>sein</strong>e Dichte geringer ist als<br />

die des Fluids“ (Giancoli 2006, 462; vgl. Köhler<br />

2006; Wodzinski 2006; Konzept der Dichte-Wechselwirkung).<br />

Rekurriert man auf das Konzept<br />

der Auftriebskraft, lässt sich „schwimmen“ bei<br />

einem völlig in ein Fluid eingetauchten Körper<br />

fachsprachlich bzw. fachlich wie folgt definieren:<br />

Ist die Gewichtskraft (FG) eines Körpers geringer<br />

als die Auftriebskraft (FA) des (ihn umgebenden)<br />

Fluids, steigt der Körper an die Fluidoberfläche,<br />

bis ein Teil des Körpers aus der Oberfläche heraustritt;<br />

er „schwimmt“ folglich. Ist die Gewichtskraft<br />

(FG) eines Körpers größer als die Auftriebskraft<br />

(FA) des (ihn umgebenden) Fluids, sinkt er<br />

(vgl. z. B. Lüders/Pohl 2009).<br />

Komplexer <strong>werden</strong> sprachliche und fachliche<br />

Unterschiede in den Bedeutungen (Semantiken)<br />

des Vollverbs „schwimmen“, wenn<br />

man die Richtigkeit bzw. Präzision von Präpositionen<br />

(„schwimmt auf/im/über dem Wasser“,<br />

„schwimmt an der Wasseroberfläche“ …) miteinbezieht.<br />

So ist bspw. die Formulierung „auf dem<br />

Wasser“ zu unpräzise, da jeder Körper (leicht) in<br />

das Wasser eingetaucht ist; sonst gäbe es keine<br />

Wechselwirkungen, die zu dem Zustand „der Körper<br />

schwimmt“ führen. Präziser wäre es also, z. B.<br />

von einem Wasserball zu sprechen, der leicht eingetaucht<br />

ein wenig im Wasser „schwimmt“.<br />

Weitere Schwierigkeiten ergeben sich bei<br />

einem sprachlich-fachlichen bzw. begrifflichen<br />

Transfer auf weitere Gegebenheiten des<br />

„Schwimmens“ – bspw. von der „Wasserwelt“<br />

auf die „Luftwelt“ (z. B. Heißluftballon). So<br />

„schwimmt“ etwas im Wasser oder an der Wasseroberfläche<br />

(leicht im Wasser eingetaucht). Ein<br />

U-Boot „schwimmt“ aber nicht, obwohl es sich im<br />

Wasser, also komplett unterhalb der Wasseroberfläche,<br />

befindet. Alltagssprachlich „schwimmt“<br />

aber ein Fisch neben einem U-Boot, während<br />

das U-Boot fährt. Wenn es taucht, sinkt es, wenn<br />

es steigt, …? Es ist zu merken, dass hier unsere<br />

(Alltags-)Sprache häufig versagt (vgl. dazu u. a.<br />

Peschel 2020; Peifer et al. 2023; Andersen et al.<br />

2024).<br />

(vgl. ebd.; Lütke/Rödel 2023). Es geht<br />

um den wechselseitigen Zusammenhang<br />

sprachlicher und fachlicher Aspekte<br />

bzw. darum, Fachinhalte in korrekter<br />

Sprache (z. B. Wortschatz, grammatische<br />

Strukturen und Bedeutung) auszudrücken<br />

und gleichzeitig Sprache korrekt<br />

in Bezug auf Fachinhalte (z. B. fachliche<br />

Richtigkeit und Präzision) zu verwenden<br />

(vgl. Bien-Miller/Wildemann 2023;<br />

vgl. dazu auch Peschel 2020; Lütke/Rödel<br />

2023).<br />

Das Konstrukt der Sprach-Fach-Bewusstheit<br />

wird bei angehenden Sachunterrichtslehrkräften<br />

über (kommunikative)<br />

Äußerungen in Gruppendiskussionen,<br />

in denen die Frage „Schwimmt<br />

ein Schiff?“ begründet beantwortet <strong>werden</strong><br />

soll, rekonstruiert. Auch wenn die<br />

Frage auf den ersten Blick sicherlich einfach<br />

(und zumeist mit Ja oder Nein) beantwortet<br />

<strong>werden</strong> kann, bedarf sie intensiver<br />

und diskursiver Au<strong>sein</strong>andersetzung<br />

mit den (siehe Infokasten) sprachlichen<br />

und fachlichen Aspekten (z. B.<br />

Was wird auf sprachlicher und fachlicher<br />

Ebene mit dem Vollverb schwimmen<br />

transportiert? Welche alltagssprachlichen<br />

Assoziationen gehen damit<br />

einher und wie sind diese fachlich haltbar/übertragbar?<br />

Geht ein Schiff nicht<br />

eher nicht unter? Was ist überhaupt ein<br />

Schiff?).<br />

Die in den Gruppendiskussionen verbalisierten<br />

vielfältigen und z. T. parallel<br />

ablaufenden (kommunikativen) Äußerungen<br />

<strong>werden</strong> audio- (mittels Tablets)<br />

und videografisch (mittels Kameras)<br />

erfasst, um „vertiefte Einblicke in das<br />

Interaktionsgeschehen“ (Beeli-Zimmermann/Wannack/Staub<br />

2020, 2) zu erhalten<br />

und „spezifische Abspiel- und Bearbeitungsmöglichkeiten<br />

sowie eine längerfristige<br />

Verfügbarkeit des Ausgangsmaterials“<br />

(ebd., 2) zu ermöglichen (vgl.<br />

Dinkelaker/Herrle 2009; Jewitt 2012).<br />

Die audiovisuellen Daten <strong>werden</strong> in Anlehnung<br />

an Dresing und Pehl (2018) in<br />

Transkripte überführt und mittels qualitativer<br />

Inhaltsanalyse (QIA; vgl. Kuckartz<br />

2018) ausgewertet. Der Fokus der<br />

Auswertung liegt auf sprachlichen und<br />

fachlichen Aspekten sowie deren Zusammenspiel<br />

in den (kommunikativen)<br />

Äußerungen (Sprach-Fach-Bewusstheit)<br />

und deren Entwicklung durch die Intervention<br />

(s. u.).<br />

Zwischen der Pre- und der Post-Erhebung<br />

findet eine Intervention, d. h.<br />

GS aktuell 167 • September 2024<br />

37


Aus Praxis: der XXXXX Forschung<br />

allgemein eine „außengesteuerte, zielorientierte<br />

und systematische Beeinflussung<br />

von Personen- und/oder Systemmerkmalen“<br />

(Hager/Hasselhorn 2000,<br />

41), statt, innerhalb derer „durch systematische<br />

Übungen gezielt Fertigkeiten<br />

und Fähigkeiten [hier: die Sprach-Fach-<br />

Bewusstheit; Anm. d. Verf.] aufgebaut<br />

bzw. optimiert <strong>werden</strong> sollen“ (Dörrenbacher-Ulrich/Zetzmann/Perels<br />

2022,<br />

321). Die Intervention erfolgt im Rahmen<br />

eines universitären Wahlpflichtseminars<br />

in der Didaktik des Sachunterrichts.<br />

Inhalte der Intervention<br />

Die Inhalte innerhalb der Intervention,<br />

die auf die Veränderung der Sprach-<br />

Fach-Bewusstheit abzielen, klären<br />

zunächst begriffliche und theoretische<br />

Grundlagen des Zusammenhangs von<br />

Sprache und fachlichen Inhalten im<br />

Sachunterricht, um den angehenden<br />

Sachunterrichtslehrkräften die Notwendigkeit<br />

dieses Zusammenhangs aufzuzeigen<br />

und transparent zu machen<br />

(vgl. Rank/Wildemann 2015 und 2022;<br />

Rank/Wildemann/Hartinger 2016;<br />

Archie/Rank/Franz 2017; Schomaker/<br />

Gläser 2017). Auf diesen Input folgt ein<br />

Praxisblock, in dem sich die angehenden<br />

Sachunterrichtslehrkräfte mit „Schwimmen<br />

und Sinken“ unter sprachlichem<br />

und fachlichem Fokus au<strong>sein</strong>andersetzen.<br />

Dazu dienen u. a. Unterrichtsvorlagen,<br />

in denen die Frage „Schwimmt<br />

ein Schiff?“ thematisch-didaktisch verortet<br />

ist (vgl. Jonen/Möller/Engelen<br />

2002; Möller 2005). Zunächst experimentieren<br />

(vgl. für Begriff, Definition<br />

und Methode des Experimentierens<br />

Peschel 2016; Kihm/Diener/Peschel<br />

2018) die angehenden Sachunterrichtslehrkräfte<br />

zu „Schwimmen und Sinken“,<br />

um in ihren Beobachtungen und<br />

Erklärungsansätzen die schwierige<br />

sprachliche und fachliche Au<strong>sein</strong>andersetzung<br />

zu erkennen (vgl. Kihm/Diener/<br />

Peschel 2018; Weber et al. 2021); zudem<br />

beschreiten die angehenden Sachunterrichtslehrkräfte<br />

durch das Experimentieren<br />

meist die gleichen Lernwege wie<br />

Grundschüler:innen (vgl. z. B. Grebe-<br />

Ellis/Müller 2019; Barkhau et al. 2021).<br />

Anschließend an das Experimentieren<br />

<strong>werden</strong> Konzepte und Schüler:innenvorstellungen<br />

zum Thema „Schwimmen<br />

und Sinken“ aus der Literatur diskutiert<br />

(vgl. z. B. Furtner 2016; Wodzinski/Wilhelm<br />

2018) und mit Blick auf<br />

die eigenen Experimentiererfahrungen<br />

reflektiert. Dabei stehen Konzepte und<br />

Vorstellungen der angehenden Sachunterrichtslehrkräfte<br />

im Fokus, bevor<br />

die fachlichen Erklärungsansätze (Konzept<br />

der Dichte-Wechselwirkung, Konzept<br />

der Auftriebskraft, s. o.; vgl. Möller/Wyssen<br />

2017; Fischer/Peschel 2022)<br />

samt deren Chancen und Grenzen thematisiert<br />

<strong>werden</strong>. Sprachliche Aspekte<br />

bzw. Komplexitäten <strong>werden</strong> an die fachlichen<br />

Konzepte bzw. Erklärungsansätze<br />

angeschlossen bzw. problematisiert<br />

(s. o.; vgl. Peschel 2020; Peschel/Neuböck-Hubinger/Andersen<br />

2021; Peifer<br />

et al. 2023; Andersen et al. 2024), bevor<br />

sich spezifisch dem Begriff „Schiff “<br />

gewidmet wird (Definition „Schiff “<br />

über spezifische differenzierende Merkmale:<br />

schwimmfähiger Gegenstand,<br />

Hohlkörper, nicht unbedeutende Größe,<br />

Fortbewegung im Wasser, Tragen von<br />

Personen oder Sachen; vgl. z. B. Rabe<br />

2000; Krause 2012; Ramming 2017).<br />

Erste Einblicke in die Pre-Erhebung<br />

zeigen, dass die angehenden Sachunterrichtslehrkräfte<br />

über ein eher geringes<br />

Maß an Sprach-Fach-Bewusstheit verfügen.<br />

Vor allem sprachliche Aspekte<br />

<strong>werden</strong> bei der Au<strong>sein</strong>andersetzung mit<br />

der Frage „Schwimmt ein Schiff?“ diskutiert<br />

bzw. reflektiert; häufig <strong>werden</strong> die<br />

Eignung und die Präzision des Vollverbs<br />

„schwimmen“ diskutiert:<br />

● Ist das Verb „schwimmen“ geeignet?<br />

Oder treibt, schwebt, fährt etc. ein<br />

Schiff nicht eher?<br />

● Geschieht „schwimmen“ eher aktiv,<br />

z. B. durch einen Motor, oder eher<br />

passiv, z. B. durch einen äußeren, natürlichen<br />

Antrieb (wie z. B. Strömung,<br />

Wind)?<br />

● Lässt sich das Verb „schwimmen“<br />

auf weitere Gegebenheiten, v. a. auf die<br />

„Wasserwelt“ (z. B.: „Schwimmt“ ein<br />

U-Boot im Wasser?) oder auf die „Luftwelt“<br />

(z. B. „Schwimmt“ ein Heißluftballon<br />

in der Luft?), übertragen?<br />

Seltener <strong>werden</strong> fachliche Aspekte bei<br />

der Au<strong>sein</strong>andersetzung mit der Frage<br />

„Schwimmt ein Schiff?“ diskutiert<br />

bzw. reflektiert. Teilweise <strong>werden</strong> fachliche<br />

Faktoren wie Form, Material oder<br />

Luft (im Schiffsrumpf) in Bezug auf das<br />

„Schwimm“-Verhalten eines Schiffes diskutiert.<br />

Werden fachliche Konzepte thematisiert,<br />

so geschieht dies meist nur<br />

oberflächlich unter Rückgriff auf Begriffe<br />

wie „Dichte“, „Auftriebskraft“ und<br />

„Gewichtskraft“, die – so die erste Auswertung<br />

– als antrainierte „Sprachhülsen“<br />

(Aufschnaiter/Aufschnaiter 2001,<br />

414) verwendet <strong>werden</strong>, „ohne sie dabei<br />

mit sinnhafter (konzeptueller) Bedeutung<br />

füllen zu können“ (ebd., 414). Dies<br />

zeigen Rückfragen nach der Bedeutung<br />

der Begriffe durch die Gruppenmitglieder<br />

untereinander bzw. innerhalb der<br />

Gruppen, die in den meisten Fällen unbeantwortet<br />

bleiben.<br />

Erwartet wird, dass die angehenden<br />

Sachunterrichtslehrkräfte sich bei der<br />

Post-Erhebung direkt im Anschluss<br />

an die Intervention (mit den o. g. skizzierten<br />

Inhalten) Sprach-Fach-bewusster,<br />

d. h. reflexiver in Hinblick auf o. g.<br />

sprachliche und fachliche Aspekte sowie<br />

deren wechselseitigen Zusammenhang,<br />

mit der Frage „Schwimmt ein Schiff?“<br />

au<strong>sein</strong>andersetzen.<br />

Fazit<br />

Das in diesem Beitrag skizzierte<br />

Promotionsprojekt unterstützt bisherige<br />

Forschungen, indem (1) der wechselseitige<br />

Zusammenhang zwischen Sprache<br />

und fachlichen Inhalten im Sachunterricht<br />

(2) bei angehenden Sachunterrichtslehrkräften<br />

untersucht wird.<br />

Damit erweitert das Projekt nicht nur<br />

bisherige sachunterrichtsdidaktische Forschungen<br />

– v. a. zum Thema „Schwimmen<br />

und Sinken“ – um das wechselseitige<br />

Zusammenspiel von sprachlichen<br />

und fachlichen Aspekten, sondern leistet<br />

auch einen wichtigen Beitrag zur Lehrer:innenbildung,<br />

da durch die Intervention<br />

eine Möglichkeit der sprachlichen<br />

und fachlichen Qualifizierungen<br />

von (angehenden) Lehrkräften aufgezeigt<br />

wird, um „gleichzeitig den Erfordernissen<br />

der sprachlichen und sachunterrichtlichen<br />

Förderung gerecht <strong>werden</strong><br />

zu können“ (Rank/Wildemann/Hartinger<br />

2016, 5). Nicht zuletzt <strong>werden</strong><br />

in diesem Beitrag Anregungen (zum<br />

Weiterdenken) gegeben, wie das Thema<br />

„Schwimmen und Sinken“ im Sachunterricht<br />

Sprach-Fach-bewusster behandelt<br />

<strong>werden</strong> kann.<br />

Literaturangaben zum Artikel<br />

können Sie von unserer Website herunterladen:<br />

https://t1p.de/GSa167Lit<br />

38<br />

GS aktuell 167 • September 2024


Praxis: Rundschau XXXXX<br />

Rundschau<br />

Aus dem Vorstand<br />

Ehrenmitgliedschaft für Maresi Lassek<br />

Für ihre besonderen Verdienste um<br />

den Grundschulverband auf Landes-<br />

und Bundesebene hat die<br />

Delegiertenversammlung am 19. April<br />

2024 Maresi Lassek als engagierte Pädagogin<br />

und langjährige Vorsitzende des<br />

Grundschulverbandes gewürdigt und ihr<br />

die Ehrenmitgliedschaft im Grundschulverband<br />

verliehen. Die kurze Beschreibung<br />

des besonderen Verdienstes auf der<br />

Ehrenurkunde lässt nur erahnen, was das<br />

Wirken von Maresi Lassek für den Verband<br />

auszeichnet und welch großartige<br />

Leistungen sie für die Grundschule und<br />

ihre Kinder erbracht hat. Auch Maresi<br />

Lassek möchten wir an dieser Stelle einen<br />

persönlichen Dank aussprechen.<br />

Liebe Maresi,<br />

wie sehr hatten wir uns auf diesen<br />

Abend im April gefreut, denn es sollte<br />

ein weiterer besonderer Tag für dich<br />

<strong>werden</strong>. Zu einer Ehrung gehört vor<br />

allem auch ein Rückblick – um all die<br />

Facetten deines Wirkens aufzugreifen,<br />

würden viele Stationen zu benennen<br />

<strong>sein</strong>. So liegt noch nicht lange deine<br />

Ehrung mit dem Bundesverdienstkreuz<br />

zurück, mit der du u. a. auch für deine<br />

bewundernswerte Lebensleistung und<br />

langjährigen Verdienste für die Grundschule<br />

und ihre Kinder in einem würdevollen<br />

Festakt eine hohe Anerkennung<br />

und Würdigung durch den Bundespräsidenten<br />

Frank-Walter Steinmeier<br />

erfahren hast.<br />

Schaut man länger zurück, hat dich<br />

der Grundschulverband seit dem Jahr<br />

1989, in dem du zum ersten Mal an<br />

einem Bundesgrundschulkongress teilgenommen<br />

hast, in deiner beruflichen<br />

Arbeit begleitet. Als Konrektorin und<br />

später als Leiterin einer Bremer Schule<br />

in prekärer Lage, die bereits 1994 den<br />

Schulanfang mit jahrgangsübergreifenden<br />

Lerngruppen verändert hat, gab<br />

dir der Grundschulverband mit <strong>sein</strong>en<br />

Veröffentlichungen und Positionierungen<br />

Rückhalt bei schulinternen und -externen<br />

Gesprächen und Diskussionen.<br />

1996 wurdest du von Rudolf Schmitt<br />

davon überzeugt, Aufgaben im Bremer<br />

Landesgruppenvorstand zu übernehmen<br />

und aktiv mitzugestalten. Von da<br />

an konntest du als Delegierte<br />

an den Delegiertenversammlungen<br />

teilnehmen und von<br />

dem bundesweiten Austausch<br />

profitieren.<br />

2004 wurdest du als stellvertretende<br />

Vorsitzende in<br />

den Bundesvorstand gewählt<br />

und schließlich 2010 als Vorsitzende.<br />

Wie du am Abend<br />

der Verleihung deiner Ehrenmitgliedschaft<br />

gesagt hast, „war dieser Schritt,<br />

die Verantwortung als Vorsitzende zu<br />

übernehmen, eine schwierige persönliche<br />

Entscheidung. Einmal wegen der<br />

zeitlichen Investition, zum anderen wegen<br />

der Herausforderungen durch das<br />

verbandsinterne Geschehen und dessen<br />

Vertretung des Grundschulverbands<br />

nach außen“. Wie sehr haben wir diese<br />

verantwortungsvolle Haltung an dir<br />

schätzen gelernt, wenn du klug argumentierend,<br />

empathisch zugewandt und<br />

äußerst charmant auch in Kontroversen<br />

agierend in den mehr als zehn Jahren<br />

deines Engagements als Vorsitzende den<br />

Verband als Fachverband für die Grundschule<br />

nach innen, vor allem aber auch<br />

nach außen würdevoll vertreten und<br />

im Zusammenwirken von Praxis, Wissenschaft<br />

und Bildungspolitik präsentiert<br />

hast. Viele Veröffentlichungen wie<br />

z. B. die Reihe der Bände zur Reform der<br />

Grundschule, die Hefte der Zeitschrift<br />

Grundschule aktuell, Standpunkte und<br />

Pressemitteilungen zeigen deine Haltung.<br />

Immer ist es dir besonders wichtig,<br />

für das Recht der Kinder auf allseitige<br />

Bildung und Stärkung ihrer Persönlichkeit<br />

einzutreten, für eine Kommunikation<br />

auf Augenhöhe zu sorgen und<br />

ein Klima des gegenseitigen Respekts<br />

mit allen an Bildung Beteiligten einzulösen.<br />

Wir sind deshalb sehr dankbar,<br />

dass du im Redaktionsteam von Grundschule<br />

aktuell deine große Expertise einbringst,<br />

im Beirat des Projektes Eine<br />

Welt aktiv mitarbeitest, den Standpunkt<br />

zu BNE mit auf den Weg bringst und als<br />

Herausgeberin des 2025 erscheinenden<br />

Bandes zum Ganztagsanspruch wirken<br />

wirst. Wie sehr schätzen wir auch, dass<br />

wir dich jederzeit um Rat bitten dürfen.<br />

Danke auch dafür, liebe Maresi!<br />

Mit Blick auf den Bundesgrundschulkongress<br />

anlässlich<br />

des 100-jährigen Jubiläums<br />

der Grundschule und<br />

des 50-jährigen Bestehens<br />

des Grundschulverbands mit<br />

der Festveranstaltung in der<br />

Paulskirche zu Frankfurt,<br />

der für dich ein Höhepunkt<br />

auf deinem Weg im Grundschulverband<br />

war, hast du uns in deiner<br />

Dankesrede mit auf den Weg gegeben,<br />

was dich in besonderer Weise auszeichnet:<br />

„Viele Begegnungen waren von Bedeutung<br />

wie das Zusammentreffen mit<br />

Gleichgesinnten, wenn es um das pädagogische<br />

Verständnis von Grundschule<br />

und Entwicklungen in der Grundschule<br />

ging, die Begegnungen, die mich in fachlicher<br />

Hinsicht und in der Zusammenarbeit<br />

für den Grundschulverband vorangebracht<br />

haben, und der Austausch,<br />

aber auch kontroverse Diskussionen, die<br />

Richtungen geklärt haben. Authentische<br />

und persönliche Zusammentreffen belohnten<br />

immer wieder den ehrenamtlichen<br />

Einsatz. Dafür bin ich den vielen<br />

Wegbegleiterinnen und Wegbegleitern,<br />

die mir ihr Vertrauen geschenkt und<br />

ihre Unterstützung gegeben haben, sehr<br />

dankbar. Dem Grundschulverband und<br />

den auf unterschiedlichen Ebenen engagierten<br />

Aktiven wünsche ich viel Erfolg.<br />

Das Mitdenken, Mitgestalten und<br />

Kooperieren im Grundschulverband ist<br />

ein Gewinn für die persönliche Weiterentwicklung<br />

und in der Berufsarbeit, vor<br />

allem aber für die Kinder in den Grundschulen.“<br />

Grund genug, dich in deiner bescheidenen<br />

Art als verehrte und liebenswürdige<br />

Mitstreiterin an diesem Abend<br />

nach der festlichen Ansprache und der<br />

Urkundenverleihung mit großer Dankbarkeit,<br />

langem Applaus, persönlichen<br />

Dankesworten und herzlichen Umarmungen<br />

von den Delegierten, Fachreferent:innen<br />

und dem Vorstand auch auf<br />

diese Art zu würdigen. <br />

Danke, liebe Maresi!<br />

Für den Vorstand und<br />

die Delegiertenversammlung<br />

Marion Gutzmann<br />

GS aktuell 167 • September 2024<br />

39


Praxis: Rundschau XXXXX<br />

Lerninseln<br />

Lernorte der Zukunft – auch für Grundschulkinder<br />

Außerschulische Lernorte spielen<br />

an Schulen von jeher eine wichtige<br />

Rolle. Sie sollten zukünftig<br />

jedoch nicht nur aufgesucht <strong>werden</strong>, um<br />

schulisches Lernen temporär zu<br />

erweitern. Schule könnte zukünftig<br />

grundsätzlich an unterschiedlichen<br />

Orten stattfinden, damit Kinder auf vielfältige<br />

Weise und in beständigem Austausch<br />

mit unterschiedlichen Akteur:innen<br />

dazu angeregt <strong>werden</strong>, gemeinsam<br />

Probleme zu lösen, in den kommunikativen<br />

Austausch zu treten, sich kreativ<br />

mit relevanten Aufgaben au<strong>sein</strong>anderzusetzen<br />

und kritisch zu denken. Das<br />

Konzept der Lerninseln veranschaulicht<br />

diese zukunftsgerichtete Entwicklung<br />

beispielhaft.<br />

Was sind Lerninseln?<br />

Lerninseln orientieren sich am Vorbild<br />

der finnischen Stadt Espoo. Sie<br />

hat im Jahr 2015 das Konzept „School<br />

as a Service“ eingeführt. Gemeinsam<br />

mit Schüler:innen sowie Studierenden<br />

identifizierte die Stadt unterschiedliche<br />

Lernorte mit dem Ziel, Ressourcen<br />

zu bündeln und Lernorte gemeinsam<br />

zu nutzen. Neben der Vernetzung der<br />

Schulen untereinander schuf Espoo<br />

ein Netz an Lernorten im Quartier<br />

und machte diese für die Schüler:innen<br />

und Student:innen der Stadt zugänglich.<br />

So wurden Bibliotheken oder auch<br />

Gemeinderatssäle gefunden, in denen<br />

bis heute außerschulisch gelernt wird<br />

und beispielsweise Politikunterricht<br />

stattfindet. Gerade dieser partizipative<br />

Gedanke und die Vernetzung der unterschiedlichen<br />

Orte führten in Espoo zu<br />

einer größeren sozialen Vielfalt, einer<br />

verbesserten Nutzung der gemeinsamen<br />

Infrastruktur und einer verstärkten<br />

Zusammenarbeit in der Gemeinschaft.<br />

Inspiriert durch die Entwicklungen in<br />

Espoo, aber auch durch die Herausforderungen<br />

der Corona-Pandemie sowie<br />

der daraus resultierenden Lernortsdebatte,<br />

entwickelte die Ernst-Reuter-Gemeinschaftsschule<br />

in Karlsruhe in Zusammenarbeit<br />

mit dem Cyberforum das<br />

Konzept der Lerninseln. Nach und nach<br />

<strong>werden</strong> dabei immer neue analoge und<br />

digitale Orte bestimmt und zugänglich<br />

gemacht, an denen Kindern vielfältige<br />

Angebote zum gemeinsamen Lernen<br />

gemacht <strong>werden</strong> (vgl. https://lerninseln.<br />

com). Auf einer interaktiven Karte der<br />

Stadt Karlsruhe <strong>werden</strong> die Lernorte<br />

markiert, visualisiert und laufend aktualisiert,<br />

um Schüler:innen, aber auch Bürger:innen<br />

auf die zahlreichen Initiativen<br />

und Lernorte in Karlsruhe aufmerksam<br />

zu machen und ihnen den Weg dorthin<br />

zu erleichtern.<br />

Gleichzeitig <strong>werden</strong> auf der Karte<br />

auch die Orte aufgeführt und beschrieben,<br />

die digitale Teilhabe ermöglichen.<br />

So stellen verschiedene Firmen den Lernenden<br />

beispielsweise in nicht genutzten<br />

Büroräumen kostenloses WLAN<br />

und Infrastruktur zur Verfügung. Die<br />

Pädagogische Hochschule in Karlsruhe<br />

unterstützt das Projekt mit <strong>Lehramt</strong>s<strong>studieren</strong>den,<br />

die die Lernenden vor<br />

Ort anleiten und begleiten. Nicht nur<br />

zu Pandemiezeiten wird vor allem den<br />

Schüler:innen, die zu Hause keine Infrastruktur<br />

und Unterstützung vorfinden,<br />

Zugang zu und Hilfe beim Umgang mit<br />

digitalen Geräten ermöglicht. Auch ältere<br />

Menschen finden an diesen Orten<br />

die Möglichkeit, sich digital zu vernetzen.<br />

Zur besseren Unterscheidung der<br />

Angebote sind die Lerninseln mit unterschiedlichen<br />

Symbolen auf der Karte<br />

platziert, die das jeweilige Angebot veranschaulichen.<br />

Dabei können manche<br />

Orte auch mehrere Symbole haben.<br />

Micha Pallesche<br />

Leiter der Ernst-Reuter-Schule in<br />

Karlsruhe, Mitglied des Fachbeirates<br />

zum berufsbegleitenden Masterstudiengang<br />

„Schulmanagement und<br />

Leadership“der Universität Tübingen<br />

Programmbeirat der KMK der Strategie<br />

„Bildung in der digitalen Welt“<br />

Welche Lerninseltypen gibt es?<br />

Grundsätzlich wurden bislang fünf unterschiedliche<br />

Lerninseltypen definiert:<br />

Lerninsel – Typ 1:<br />

Orte der (digitalen) Teilhabe<br />

Hier finden die Lernenden freies WLAN<br />

und bei Bedarf und Verfügbarkeit<br />

Expert:innen, z. B. Studierende der Pädagogischen<br />

Hochschule in Karlsruhe, die<br />

den Lernenden bei technischen, aber<br />

auch fachlichen Fragen weiterhelfen können.<br />

Beispielhaft für diese Orte sind leer<br />

stehende Firmenräume, Cafés, Restaurants,<br />

mobile Spots wie Container (zum<br />

Die erste Lerninsel der Stadt: der Torbogensaal des Karlsruher Schlosses<br />

40<br />

GS aktuell 167 • September 2024


Praxis: Rundschau XXXXX<br />

Rundschau<br />

Von links: In der Kunsthalle; in Makerspaces erschaffen Kinder mit 3D-Druckern eigene Kreationen; Insektenforschung im<br />

Naturkundemuseum<br />

Beispiel boxmeisters.de), in denen das<br />

offene Karlsruher WLAN-Netz (KA-<br />

WLAN) genutzt <strong>werden</strong> kann.<br />

Lerninsel – Typ 2: MINT-Spaces<br />

Diese Orte beinhalten zahlreiche Karlsruher<br />

Initiativen und Aktivitäten, die im<br />

Rahmen von AGs an Schulen, aber auch<br />

außerhalb der Schulen stattfinden, z. B.<br />

die Fischertechnik-/Robotik-AGs der<br />

Karlsruher Technik-Initiative, MINTfreundliche<br />

Schulen, die Sternwarte.<br />

Lerninsel – Typ 3:<br />

(Digitale) dritte Orte<br />

An diesen Orten kann offen und partizipativ<br />

mit digitalen Medien gelernt<br />

<strong>werden</strong>. Solche Orte sind beispielsweise<br />

die Pädagogische Hochschule Karlsruhe<br />

(Zentrum für Informationstechnologie<br />

und Medienbildung (ZIM)), unterschiedliche<br />

Makerspaces mit eigenen<br />

regelmäßigen MINT-Angeboten, das<br />

Zentrum für Kunst und Medien (ZKM)<br />

und MINT-Angebote der Bibliotheken<br />

und Schulen wie beispielsweise der<br />

Ernst-Reuter-Gemeinschaftsschule mit<br />

ihren Angeboten des Makerspaces oder<br />

des Virtual-Reality-Raums.<br />

Lerninsel – Typ 4: Beteiligungsorte<br />

und MINT-Ausstellungsräume<br />

Das sind Orte, an denen Einzelaktionen<br />

(Kunstaktionen, Fischertechnik-<br />

Challenges usw.) stattfinden. Solche Orte<br />

sind beispielsweise das Stadtmuseum<br />

Karlsruhe (Museum X), Jugendzentren,<br />

Angebote des Stadtjugendausschusses<br />

und Kunst- und Theaterbühnen (Poetry-<br />

Slam-Wettbewerbe u. Ä.)<br />

Lerninsel – Typ 5:<br />

Digitale Wissensräume<br />

An diesen digitalen Orten finden ITund<br />

MINT-Wissenstransfers statt.<br />

Zudem stellen sich Berufsvertreter:innen<br />

vor. Solche Orte sind beispielsweise<br />

virtuelle Ferienangebote, z. B.<br />

beim MINT- Feriencamp, Lernvideo-<br />

Angebote (wie beispielsweise der Kanal<br />

der Karlsruher Technik-Initiative), Vorträge<br />

von und Treffen mit Techniker:innen,<br />

Ingenieur:innen, Forscher:innen,<br />

Entwickler:innen, Informatiker:innen<br />

über interessante Projekte und ihre<br />

Tätigkeit, die dadurch zu Role-Models<br />

insbesondere für Mädchen bereits ab<br />

der Grundschule <strong>werden</strong> können.<br />

Warum sind Lerninseln wichtig?<br />

Interessierte finden auf der interaktiven<br />

Karte die Adressdaten und spezielle<br />

Ansprechpartner:innen. Gleichzeitig<br />

informieren die Lerninseln über<br />

ihr Angebot und stellen ihre Ressourcen<br />

und Beteiligungsmöglichkeiten dar.<br />

Zudem sind die Lerninseln in eine App<br />

eingepflegt und können von den Lernenden<br />

direkt gebucht <strong>werden</strong>. Ziel der<br />

Lerninseln als außerschulische Lernorte<br />

ist es, in direkten Begegnungen zur Au<strong>sein</strong>andersetzung<br />

mit der realen Umwelt<br />

anzuregen. Dabei geht es um nicht<br />

weniger als die Etablierung lokaler, aber<br />

auch regionaler Bildungslandschaften,<br />

die weit über bisherige Kooperation<br />

und Vernetzungsstrukturen der Schule<br />

hinausgehen. Die Ausgangspunkte<br />

der Lerninseln sind in diesem Kontext<br />

nicht mehr die curricularen Bildungsziele<br />

in den dafür vorgesehenen Institutionen,<br />

sondern die individuellen<br />

Voraussetzungen und Perspektiven des<br />

lernenden Kindes, das an veränderten<br />

Lernorten individuelle Bildungs- und<br />

Entwicklungsfortschritte machen kann.<br />

Die Bildungsbiografie der Schüler:innen<br />

wird somit in den Vordergrund gerückt<br />

(vgl. Deinet/Derecik in Erhorn/Schwier<br />

2016, 17).<br />

Zudem können außerschulische Lernorte<br />

die Chance bieten, sich von den<br />

Zwängen formalen Lernens zu befreien<br />

und Kindern neue Zugänge zu fachlichen<br />

Inhalten zu eröffnen. Eine spannende,<br />

eher philosophisch angelehnte<br />

Frage könnte in diesem Zusammenhang<br />

nicht nur dem Einfluss von Lernorten<br />

gelten, sondern auch dem des „inneren<br />

Startortes“ eines:einer Lernenden, also<br />

der Frage nach dem Stand der eigenen<br />

Entwicklungsbiografie und den inneren<br />

Lernvoraussetzungen. Diese sind von<br />

entscheidender Relevanz für die Wirksamkeit<br />

der Lerninseln, deren Angebot<br />

es im Sinne der Lernenden laufend zu<br />

erweitern gilt. <br />

Micha Pallesche<br />

Literatur<br />

Baar, Robert & Schönknecht, Gudrun (2018):<br />

Außerschulische Lernorte. Didaktische und<br />

methodische Grundlagen. 1. Auflage.<br />

Weinheim, Basel: Beltz (Pädagogik, Band 30).<br />

Erhorn, Jan & Schwier, Jürgen (2016):<br />

Pädagogik außerschulischer Lernorte. Eine<br />

interdisziplinäre Annäherung. Bielefeld:<br />

Transcript-Verlag.<br />

GS aktuell 167 • September 2024<br />

41


Praxis: Rundschau XXXXX<br />

KINDER*RECHTE*SCHULE – Kinderbücher als Impuls für den Unterricht<br />

Bilder- und Kinderbücher können Kindern<br />

eigene Zugänge zu ihren Rechten eröffnen<br />

1. Ziel und Kontext des Projekts<br />

Allen Kindern weltweit stehen die<br />

Kinderrechte zu. Sie weisen an mehreren<br />

Stellen einen direkten Bezug<br />

zu den 17 Zielen für nachhaltige Entwicklung<br />

(SDGs) auf und sind damit<br />

auch ein wichtiger Themenbereich der<br />

Bildung für nachhaltige Entwicklung (s.<br />

Grundschule aktuell, H. 166). Und: Die<br />

UN-Kinderrechtskonvention bezieht<br />

sich nicht nur auf Schutzrechte (z. B.<br />

gegen Gewalt oder Ausbeutung durch<br />

Kinderarbeit) oder den Anspruch<br />

der Kinder auf Fürsorge bzw. eine<br />

angemessene Grundversorgung (z. B.<br />

mit Blick auf Gesundheit und Bildung).<br />

Auch ihr Recht auf Anhörung und auf<br />

(Mit-)Entscheidung in allen Fragen, die<br />

sie unmittelbar betreffen, ist Bestandteil<br />

dieser Konvention.<br />

Informationen über die Rechte der<br />

Kinder und ihre Umsetzung im Schulalltag<br />

unter Mitwirkung der Kinder<br />

sind zentrale pädagogische Aufgaben<br />

schon für Kita und Grundschule. Daraus<br />

folgen Veränderungen auf der Beziehungsebene<br />

im Sinne einer wechselseitigen<br />

Achtung und Wertschätzung,<br />

die für die Kinder und auch für die Erwachsenen<br />

einen Gewinn bedeuten.<br />

Insofern sollten die Kinderrechte in<br />

Kitas und Schulen nicht nur Aufhänger<br />

für Projekttage <strong>sein</strong>, sondern den<br />

Alltag bestimmen.<br />

Zudem ist die Umsetzung der Kinderrechte<br />

auch ein rechtlich verbindlicher<br />

Auftrag. Mit der Ratifikation<br />

der UN-Kinderrechtskonvention von<br />

1989 sind die Kinderrechte unmittelbar<br />

geltendes Recht in Deutschland<br />

und damit auch für Kitas und Schulen<br />

bindend. Für die Schulen hat die Kultusministerkonferenz<br />

2006, 2009 und<br />

2018 die Bedeutung der Kinderrechte<br />

für den Unterricht und das Schulleben<br />

in mehreren Empfehlungen nachdrücklich<br />

betont. In Bremen ist das<br />

Recht der Kinder auf Beteiligung 2021<br />

sogar explizit in Art. 25 Abs. 2 der Landesverfassung<br />

aufgenommen worden.<br />

2. Pädagogische und didaktische<br />

Rahmung<br />

Im Projekt KINDER*RECHTE*SCHU-<br />

LE geht es darum, Kindern ihre Rechte<br />

zugänglich zu machen und ihnen, aber<br />

auch den Pädagog:innen Möglichkeiten<br />

aufzuzeigen, diese Rechte im Kita- und<br />

Schulalltag umzusetzen (s. https://t1p.<br />

de/bingo-kinderrechte).<br />

Kolleg:innen aus fünf Grundschulen,<br />

eine davon im Verbund mit zwei Kitas,<br />

haben die Materialien im ersten Halbjahr<br />

2024 in ihren Einrichtungen erprobt.<br />

In unserem Leitfaden hatten wir<br />

die Möglichkeiten der Umsetzung in<br />

fünf Perspektiven konkretisiert:<br />

1) Information über Kinderrechte und<br />

Demokratie als Gegenstand inhaltlichen<br />

Lernens (Sachunterricht, Religion/Ethik,<br />

thematisch orientierte Projekte …);<br />

2) Räume für die individuelle Selbstund<br />

Mitbestimmung mit Verantwortung<br />

für Themen und Formen der eigenen<br />

Aktivitäten (z. B. durch Freiarbeit im<br />

Unterricht);<br />

3) Gestaltung des alltäglichen Miteinanders,<br />

d. h. der informellen Beziehungen<br />

in der Gruppe und in<br />

der Kita / Schule insgesamt im Geist<br />

wechselseitigen Respekts;<br />

4) formelle Mitwirkung der Kinder<br />

bzw. ihrer Vertreter:innen bei der Regelung<br />

des Zusammenlebens in der Gruppe<br />

und in Kita / Schule insgesamt über<br />

Gruppenrat, Kinderparlament bis hin<br />

zur Teilnahme an Konferenzen;<br />

5) Beteiligung der Kinder an politischen<br />

Aktivitäten über Kita und Schule hinaus<br />

z. B. in Einrichtungen auf kommunaler<br />

Ebene, bei Demonstrationen oder in<br />

zentralen Gremien wie etwa im Bürgerrat<br />

Bildung und Lernen.<br />

Einschlägige Fachliteratur zu den<br />

verschiedenen pädagogischen und<br />

didaktisch-methodischen Aspekten<br />

und ebenso Materialien für die Hand<br />

der Kinder findet man unter drei verschiedenen<br />

Stichworten, nämlich<br />

– unter dem Stichwort „Kinderrechte“<br />

– mit Bezug auf die ganze Bandbreite<br />

der verschiedenen in der UN-Kinderrechtskonvention<br />

formulierten<br />

Ulrike Oltmanns (links),<br />

wissenschaftliche Mitarbeiterin im<br />

Projekt Eine Welt in der Schule des GSV<br />

Prof. em. Dr. Hans Brügelmann,<br />

Mitglied im Vorstand der GSV-Landesgruppe<br />

Bremen<br />

Rechte der Kinder und Erläuterungen<br />

zu ihrer Bedeutung in allen Lebensbereichen;<br />

– zum Thema „Demokratisierung der<br />

Schule“ – mit dem Fokus auf dem (in<br />

der UN-Kinderrechtskonvention verankerten)<br />

Recht der Kinder, auch in<br />

der Schule und im Unterricht bei Fragen<br />

mitzubestimmen, deren Folgen<br />

sie persönlich betreffen;<br />

– zur Aufgabe „Demokratische Bildung“<br />

– mit der auch über die Gegenwart<br />

hinausweisenden Perspektive,<br />

wie die schulischen Erfahrungen der<br />

Kinder zu gestalten sind, um ihre Bereitschaft<br />

und ihre Fähigkeit zu stärken,<br />

ihre Rechte im gesellschaftlichen<br />

Alltag wahrzunehmen.<br />

Wie schon die kurzen Erläuterungen zu<br />

den drei Kategorien zeigen, überlappen<br />

sich die Bereiche (s. auch Grundschule<br />

aktuell H. 159, 3–6). Das gilt auch für<br />

ihre Umsetzung, wie die Erfahrungsberichte<br />

aus Schulen zeigen, die die<br />

Bücherkisten und die Ideen aus dem<br />

begleitenden Leitfaden im Schuljahr<br />

2023/2024 erprobt haben.<br />

3. Erfahrungen aus der Erprobung<br />

Bei der Au<strong>sein</strong>andersetzung mit den<br />

Kinderrechten haben die beteiligten<br />

Schulen und Kitas nicht nur inhaltlich<br />

eigene Schwerpunkte gesetzt, sie sind<br />

auch methodisch sehr unterschiedlich<br />

vorgegangen: Die einen haben einen<br />

42<br />

GS aktuell 167 • September 2024


Praxis: Rundschau XXXXX<br />

Rundschau<br />

konkreten Anlass in der Lerngruppe<br />

genutzt, um ein bestimmtes Kinderrecht<br />

in den Fokus zu stellen; andere haben<br />

sich dem Thema systematischer über<br />

einen Legekreis (s. Abb. 1) genähert,<br />

in dem die Kinder Rechte und Situationen<br />

einander zuordnen sollten. Eine<br />

Schule hat die Kinderrechte zum Thema<br />

einer Projektwoche gemacht, die dann<br />

in unterschiedliche Aktivitäten in den<br />

beteiligten Klassen mündeten. In einer<br />

anderen hat eine Studentin eine Arbeitsgemeinschaft<br />

zum Thema Kinderrechte<br />

angeboten, und eine dritte Schule nahm<br />

die Kinderrechte in Zusammenhang mit<br />

Themen des Sachunterrichts auf und<br />

will dies auch weiterhin tun.<br />

Aus den Berichten der Kolleg:innen<br />

wurde deutlich:<br />

Viele Kinder interessieren sich für ihre<br />

Rechte oder konnten durch die bereitgestellten<br />

Materialien leicht motiviert <strong>werden</strong>,<br />

sich mit einzelnen Rechten au<strong>sein</strong>anderzusetzen.<br />

Vor allem Berichte über<br />

Kinder, die sich selbst für ihre Rechte<br />

eingesetzt haben, wie z. B. aus der Reihe<br />

„Little People, Big Dreams“, haben angeregt,<br />

auch über die eigenen Rechte und<br />

ihre Durchsetzung nachzudenken.<br />

Kinder dieses Alters können verstehen,<br />

worum es bei den Kinderrechten<br />

geht: welche konkreten Probleme dabei<br />

angesprochen <strong>werden</strong>, welche Chancen<br />

die Rechte eröffnen – aber auch, dass<br />

Rechte immer mit Verantwortung und<br />

mit Respektierung der Rechte anderer<br />

verbunden sind. In einer Klasse war das<br />

Buch „100 Kinder“ Anlass mithilfe von<br />

100 selbst gekneteten Figuren anschaulich<br />

nachzustellen, wie sich konkrete Lebenssituationen<br />

auf verschiedene Länder<br />

oder Bevölkerungsgruppen verteilen.<br />

Ausgehend von diesen Kontrasten haben<br />

sich die Kinder dann mit Fragen der Gerechtigkeit<br />

und der Durchsetzung von<br />

Rechten beschäftigt und in ihrer eigenen<br />

Schule erhoben, wie die Mitschüler:innen<br />

die Umsetzung ihrer Rechte erleben (s.<br />

Abb. 2 aus der Schule Düsseldorfer Straße).<br />

In einer anderen Lerngruppe waren<br />

die Kinderrechte Thema des gemeinsamen<br />

Philosophierens.<br />

Viele Kinder wollen sich selbst engagieren<br />

– und sie können dies, wenn<br />

sie von Erwachsenen unterstützt <strong>werden</strong>.<br />

In mehreren Schulen gab es bereits<br />

Klassenräte, einen Kinderbeirat auf<br />

Schulebene und auch Erfahrungen mit<br />

der Teilhabe in anderen Gremien. Den<br />

Kindern wurde bewusst, dass sie diese<br />

Möglichkeiten auch für eigene Interessen<br />

nutzen können, z. B. für Mitsprache<br />

bei der Gestaltung eines geplanten Spielplatzes<br />

oder für einen häufigeren Einsatz<br />

von iPads im Unterricht.<br />

Die Beschäftigung mit den Kinderrechten<br />

war aber auch Anlass, sich im<br />

Kollegium über pädagogische Grundfragen<br />

abzustimmen. Sie hat zur Teambildung<br />

im Kollegium beigetragen. Diese<br />

Verständigung in der Einrichtung ist<br />

zugleich eine wichtige Voraussetzung<br />

dafür, dass die Au<strong>sein</strong>andersetzung mit<br />

den Kinderrechten in den Lerngruppen<br />

keine folgenlose Inselerfahrung bleibt.<br />

Kinderrechte sind nicht nur ein Thema<br />

für einzelne Unterricht<strong>sein</strong>heiten, sie betreffen<br />

grundsätzlicher die Frage, wie die<br />

Erwachsenen in einer Kita oder Schule<br />

grundsätzlich mit den ihnen anvertrauten<br />

Kindern umgehen wollen.<br />

Eng verknüpft mit der teaminternen<br />

Klärung ist die Beziehung zwischen Schule<br />

/ Kita und Elternhaus. Wenn Kinder zu<br />

Hause ihre Rechte einfordern, Regeln und<br />

Konfliktlösungen aushandeln möchten,<br />

braucht es Eltern, die damit konstruktiv<br />

umgehen können, sonst kann es die<br />

Kinder in schwierige Situationen bringen.<br />

Eine Schule hat versucht, die Eltern<br />

schon bei der Vorbereitung konstruktiv<br />

in ihr Vorhaben zu Kinderrechten einzubeziehen<br />

– hat aber auch erleben müssen,<br />

wie schwierig das <strong>sein</strong> kann. Auf den Einsatz<br />

von „Hin-und-Her-Heften“, über die<br />

Aktivitäten in der Schule und in der Familie<br />

miteinander verknüpft <strong>werden</strong> sollten,<br />

gab es nur wenig Resonanz.<br />

Diese und weitere Erfahrungen und<br />

Ideen aus den Schulen <strong>werden</strong> wir in<br />

die Weiterentwicklung der Bücherkisten<br />

und des Leitfadens einbeziehen, damit<br />

die Materialien ab Anfang 2025 über das<br />

Projekt „Eine Welt in der Schule“ von<br />

Mitgliedern des Grundschulverbands<br />

und weiteren interessierten Pädagog:innen<br />

(auch über Bremen hinaus) genutzt<br />

<strong>werden</strong> können.<br />

Hans Brügelmann<br />

und Ulrike Oltmanns<br />

Kontakt:<br />

www.weltinderschule.uni-bremen.de/<br />

detail/kinder-rechte-schule.html<br />

Abb. 1: Legekreis<br />

der Kinderrechte<br />

(Grundschule<br />

Delfter Straße)<br />

Abb. 2: Umfrage<br />

an der Grundschule<br />

Düsseldorfer<br />

Straße<br />

GS aktuell 167 • September 2024<br />

43


Praxis: aktuell XXXXX … aus den Landesgruppen<br />

Berlin<br />

Kontakt: Ines Garlisch, Sabine Jennerjahn, Agnieszka von Prondzinski, vorstand@gsv-berlin.de<br />

In Berlin wurden in den<br />

vergangenen Monaten die<br />

Gemüter von einer Schulgesetzänderung<br />

bewegt, die<br />

die (neue) Schulsenatorin<br />

Katharina Günther-Wünsch<br />

(CDU) im April dem Abgeordnetenhaus<br />

vorgelegt hat.<br />

Schwerpunkte u. a.:<br />

• Mehr Konsequenz bei der<br />

vorschulischen Sprachförderung:<br />

Kinder sollen zu<br />

ihrem 3. Geburtstag einen<br />

„Willkommensgutschein“<br />

für den Kita-Besuch erhalten.<br />

Falls sie nicht zur<br />

Kita kommen, müssen sie<br />

mit fünf Jahren an einer<br />

Sprachstandsfeststellung teilnehmen.<br />

Bei ungenügenden<br />

Sprachkenntnissen sind sie<br />

verpflichtet, täglich an einer<br />

7-stündigen Sprachförderung<br />

teilzunehmen (also 35 Wochenstunden)<br />

– andernfalls<br />

droht ein Bußgeld.<br />

Es sei hier nur am Rande<br />

bemerkt, dass bereits jetzt<br />

xy Kita-Plätze jährlich fehlen,<br />

ganz zu schweigen von<br />

fehlenden Erzieher*innen.<br />

• Neuregelung des Wechsels<br />

von der Grundschule<br />

in das Gymnasium nach<br />

Klasse 6: Das bisherige 1-jährige<br />

Probejahr in Gymnasien<br />

soll entfallen. Stattdessen<br />

ist eine Verschärfung der<br />

Aufnahmebedingung für<br />

das Gymnasium vorgesehen<br />

geplant: Kinder müssen in<br />

Deutsch, Mathematik und<br />

der 1. Fremdsprache max. mit<br />

2,3 bewertet <strong>sein</strong>. Ein „Ausgleich“<br />

etwa durch andere<br />

Fächer ist nicht möglich!<br />

Bestehen Eltern dennoch auf<br />

eine Gymnasialaufnahme,<br />

muss das Kind entweder<br />

eine „Eignungsprüfung“<br />

absolvieren oder an einem<br />

1–2tägigen „Probeunterricht“<br />

teilnehmen.<br />

Eine Durchschnittszensur für<br />

eine Gymnasialempfehlung<br />

bestand zwar in Berlin bisher<br />

auch, aber diese verhinderte<br />

nicht zwingend die Anmeldung<br />

an einem Gymnasium.<br />

Rechte der Kinder und das<br />

Elternwahlrecht <strong>werden</strong> also<br />

nun ausgehebelt. Außerdem<br />

bedeutet die Beschränkung<br />

auf die Fächer Deutsch, Mathematik<br />

und 1. Fremdsprache<br />

eine Marginalisierung<br />

der Fächer Nawi, Gewi, Kunst<br />

und Musik. Kreative sowie<br />

gesellschaftswissenschaftliche<br />

Bildung wird den Kindern<br />

damit eingeschränkt.<br />

Die Landesgruppe Berlin<br />

hat zu diesem Punkt eine<br />

kritische Stellungnahme<br />

veröffentlicht: Die Auslese<br />

wird verschärft! Die Kinder<br />

müssen endlich vom Auslesedruck<br />

zugunsten der<br />

Einrichtung von Gemeinschaftsschulen<br />

für ALLE<br />

befreit <strong>werden</strong>!<br />

• Erhöhung der „Verbindlichkeit“<br />

von Religions- und<br />

Weltanschauungsunterricht:<br />

Schulen <strong>werden</strong><br />

verpflichtet Religionsunterricht<br />

anzubieten, sobald<br />

sich Schüler*innen dafür<br />

anmelden.<br />

Das Vorhaben, Religion zum<br />

Pflichtfach zu erheben, ist<br />

erstmal ad acta gelegt.<br />

Bei der Anhörung im Schulausschuss<br />

des Abgeordnetenhauses<br />

im Juni wurde<br />

gerade Punkt 2 des Gesetzes-<br />

Vorhabens in unserem Sinne<br />

scharf kritisiert und in Frage<br />

gestellt, insbes. vom Landeselternausschuss<br />

und dem<br />

Berliner Verband der Grundschulleiter*innen.<br />

Nur der<br />

Vertreter der Gymnasialleiter<br />

begrüßte es (!). Kurz danach<br />

hat die CDU-SPD Regierungskoalition<br />

die Schulgesetzänderung<br />

beschlossen, ohne<br />

die Kritikpunkte zu berücksichtigen.<br />

Die Absegnung<br />

durch das Abgeordnetenhaus<br />

wird vermutlich folgen!<br />

In der Landesgruppe planen<br />

wir für November 2024 eine<br />

öffentliche Mitgliederveranstaltung<br />

zum Thema „Das<br />

mehrsprachige Klassenzimmer“,<br />

in der wir Erfahrungen<br />

austauschen und beraten<br />

wollen, wie einerseits die<br />

Probleme von Schüler*innen<br />

mit (sehr) eingeschränkten<br />

deutschen Sprachkenntnissen<br />

bewältigt <strong>werden</strong> und<br />

wie andererseits die Potenziale<br />

von mehrsprachigen<br />

Kindern genutzt <strong>werden</strong> können.<br />

Vorher, im September,<br />

laden wir zu einem kleinen<br />

Herbstfest ein.<br />

Ines Garlisch, Ulla Widmer-<br />

Rockstroh<br />

Baden-Württemberg<br />

Vorsitzender: Edgar Bohn<br />

edgar.bohn@gsv-bw.de, https://gsv-bw.de<br />

Landespolitik in Bewegung<br />

Die Wiedereinführung von<br />

G9 in BW wirkt sich auf<br />

das gesamte Schulsystem<br />

aus. Erfreulich für den<br />

Grundschulbereich ist die<br />

Stärkung der Sprachbildung<br />

im frühkindlichen und<br />

Grundschul-Bereich. Hier<br />

stellt das Land erhebliche<br />

Mittel bereit. Nun wird es<br />

darauf ankommen, dass diese<br />

auch zielgenau und wirksam<br />

eingesetzt <strong>werden</strong>. Wir sind<br />

dazu mit Politik und Administration<br />

in regem Austausch.<br />

Unklar ist für uns, wie sich die<br />

Wiedereinführung von G9<br />

auf das Sekundarschulsystem<br />

auswirken wird. Längeres<br />

gemeinsames Lernen ist mit<br />

der „verbindlicheren“ Grundschul-Empfehlung<br />

leider vom<br />

Tisch.<br />

Was, wenn die gängigen<br />

„Wenn-Dann-Muster“ in<br />

herausfordernden Situation<br />

nicht mehr greifen?<br />

Unter diesem Thema steht<br />

unser Grundschultag am<br />

19. Oktober 2024. In einem<br />

Wechsel von Input, Übungen,<br />

Videoclips und Refelexionsschleifen<br />

wird uns die<br />

Referentin, Sabine Ostertag,<br />

basierend auf dem Konzept<br />

der systemischen Autorität<br />

durch den Tag begleiten. Der<br />

Tag hat das Ziel, konkrete<br />

Hilfestellungen zur besseren<br />

Bewältigung des Unterrichtsalltags<br />

zu geben.<br />

Tag: Samstag,<br />

19. Oktober 2024<br />

Ort: Falkertschule Stuttgart,<br />

Falkertstraße 27<br />

Zeit: 10:30 Uhr bis 16:00 Uhr<br />

Im Anschluss an den Grundschultag<br />

wird unsere Mitgliederversammlung,<br />

diesmal<br />

turnusgemäß mit Neuwahlen<br />

stattfinden.<br />

Für die Landesgruppe:<br />

Edgar Bohn<br />

44<br />

GS aktuell 167 • September 2024


aktuell … aus den Landesgruppen<br />

Bayern<br />

Vorsitzende: Gabriele Klenk, Konstanze von Unold<br />

https://grundschulverband-bayern.de<br />

Zu Besuch in Südtirol:<br />

Gelebte Begeisterung, die<br />

fasziniert!<br />

In den Osterferien machten<br />

wir uns mit der Landesgruppe<br />

Bayern auf zum Besuch zu<br />

unseren Freunden in Südtirol:<br />

Josef Watschinger und<br />

Josef Kühebacher. Schon vor<br />

mindestens einem Jahrzehnt<br />

waren wir dort mit einer<br />

großen Abordnung bayerischer<br />

Mitglieder und ließen<br />

uns an verschiedensten Orten<br />

von der dort praktizierten<br />

Inklusion inspirieren.<br />

Das Programm, das sich beide<br />

für uns im Schulverbund<br />

Pustertal ausgedacht hatten,<br />

begeisterte uns!<br />

Es war die Begeisterung, die<br />

man in den Augen der Kolleginnen<br />

und Kollegen sah, die<br />

Begeisterung, die von den<br />

lichtdurchfluteten, warm und<br />

lebendig wirkenden Räumen<br />

ausging, die Begeisterung für<br />

die einzelnen Geschichten<br />

der Kinder, die stellvertretend<br />

für viele positive Lernentwicklungen<br />

standen und die<br />

Begeisterung der Menschen<br />

vor Ort für ihre Schulen im<br />

Tal!<br />

Was an vielen Stellen deutlich<br />

wurde, war die scheinbar<br />

besondere Begabung der<br />

Menschen hier, laufend im<br />

Diskurs, im Austausch <strong>sein</strong><br />

und miteinander denken<br />

– also gelebte Demokratie!<br />

Lange zuhören, dann erst<br />

nachfragen und schließlich<br />

mit Hilfe von Fragen immer<br />

wieder Undenkbares oder<br />

Unvorstellbares drehen,<br />

wenden und weiterentwickeln.<br />

„Ist das denn auch noch<br />

möglich?“, schien ein geflügeltes<br />

Wort zu <strong>sein</strong>, das durch<br />

das Schulautonomiegesetz in<br />

Südtirol weitere Umsetzungen<br />

ermöglichte.<br />

Auf unseren Kanälen Instagram<br />

und Facebook berichten<br />

wir derzeit im Einzelnen<br />

über die faszinierenden<br />

Einblicke, die wir vor Ort im<br />

Pustertal erhalten haben.<br />

Ein paar Auszüge:<br />

• Wie ein Tal <strong>sein</strong>e Schule<br />

selbst plant und baut! – Die<br />

Grundschule im Gsieser Tal<br />

mit Simone Oberarzbacher<br />

• Eine Flurschule alten<br />

Maßes wird zu einem Lernraum,<br />

der zum personalisierten<br />

Lernen im Gebäude,<br />

im Haus der Kunst und des<br />

Handwerks und in der Natur<br />

einlädt. – Grundschule Taisten<br />

mit Magdalena Haspinger<br />

• Ladinische Schulen mit<br />

ihrem täglichen Anspruch<br />

in gelebter Mehrsprachigkeit<br />

– St. Vigil im Gadertal mit<br />

Heinrich Videsott und Ludwig<br />

Rindler<br />

• Gelebte Bildung zu gesunder<br />

Ernährung in der Mensa<br />

der Landeshotelfachschule in<br />

Bruneck mit Peter Paul Komar<br />

• Beratung und Begleitung<br />

im gemeinsamen Miteinander<br />

zwischen Fachstelle<br />

und Menschen vor Ort zur<br />

Inklusion – Pädagogisches<br />

Beratungszentrum Bruneck<br />

mit Wolfgang Grüner<br />

• Intensive Einblicke mit<br />

Josef Watschinger und Josef<br />

Kühebacher zum Schulverbund<br />

Pustertal<br />

• Wie die Schenkung eines<br />

südtiroler Bauernhofes in<br />

Prags Kindern hilft, die es<br />

nicht so leicht haben – der<br />

Burger Hof mit Alex Unteregger<br />

Wahl des neuen Landesgruppenvorstands<br />

Am 16. April wurde im<br />

Rahmen einer Mitgliederversammlung<br />

und im Anschluss<br />

an unsere Happy Hour zum<br />

Thema „Kinder Stärken erleben<br />

lassen“ der neue Landesgruppenvorstand<br />

gewählt.<br />

Wir freuen uns auf gewinnbringenden<br />

Austausch und<br />

produktives Arbeiten in der<br />

neuen Zusammensetzung.<br />

Neugierig? Hier erfahren Sie<br />

mehr: https://grundschulverband-bayern.de/vorstand/<br />

Für die Landesgruppe:<br />

Bianca Ederer<br />

Niedersachsen<br />

Kontakt: www.gsv-nds.de<br />

Dem Lehrkräftemangel mit<br />

pädagogischen Maßnahmen<br />

begegnen<br />

Zu diesem Arbeitsschwerpunkt<br />

trafen sich am 15.<br />

Februar 2024 Vertreterinnen<br />

und Vertreter einzelner<br />

niedersächsischer Lehrkräfteverbände,<br />

Gewerkschaftsvertreter:innen<br />

sowie<br />

Vertrerter:innen des MK. In<br />

vier schulformspezifischen<br />

Arbeitsgruppen setzten sich<br />

die Teilnehmer:innen mit der<br />

Frage au<strong>sein</strong>ander, welche<br />

pädagogischen Maßnahmen<br />

möglicherweise geeignet<br />

seien, dem Lehrkräftemangel<br />

sowie der hohen Arbeitsbelastung<br />

von Lehrerinnen und<br />

Lehrern im Schulalltag entgegenzuwirken.<br />

Zu den drei<br />

großen Themenkomplexen<br />

• Flexibilisierung der<br />

Stundentafel<br />

• Entlastung durch veränderte<br />

Unterrichtsorganisation<br />

und<br />

• Entlastung durch Änderungen<br />

in der Leistungsbewertung<br />

diskutierten die Vertreter:innen<br />

der Grundschulen<br />

und Föderschulen mit den<br />

Kolleg:innen des Referates 32<br />

des MK verschiedene Maßnahmen.<br />

Dabei konnten wir<br />

uns als Grundschulverband<br />

mit Vorschlägen wie dem<br />

Ersetzen der Halbjahreszeugnisse<br />

durch Lerngespräche,<br />

einer notenfreien Grundschule<br />

(und möglichst darüber<br />

hinaus) oder der Möglichkeit,<br />

durch eine Flexibilisierung<br />

des Klassenarbeits-Erlasses<br />

Lernkontrollen und Arbeiten<br />

zu unterschiedlichen<br />

Zeitpunkten schreiben zu<br />

können, positionieren. Über<br />

die weiteren Entwicklungen<br />

<strong>werden</strong> wir weiter berichten.<br />

Für die Landesgruppe:<br />

Eva Osterhues-Bruns<br />

GS aktuell 167 • September 2024<br />

45


Praxis: aktuell XXXXX … aus den Landesgruppen<br />

Hamburg<br />

Kontakt: Marion Lindner, Plinkstraße 81, 25337 Elmshorn<br />

Lindner_Marion@t-online.de, https://gsvhh.de<br />

Bildungsgipfel in Hamburg<br />

Auf Initiative von Sabine<br />

Boeddinghaus, der bildungspolitischen<br />

Sprecherin der<br />

Fraktion Die Linke, fand<br />

am 22.06.2024 in Hamburg<br />

ein „Bildungsgipfel“ statt.<br />

Vertreter der Verbände der<br />

unterschiedlichen Schulformen<br />

sowie der Fachschaft<br />

<strong>Lehramt</strong>, der GEW, der<br />

Eltern- Schüler*innen- und<br />

Lehrer*innenkammer, sowie<br />

das Bündnis für schulische<br />

Inklusion beteiligten sich<br />

an der Vorbereitung und<br />

Durchführung. „Für eine gerechte<br />

und gesunde Schule!“<br />

stand als Oberbegriff für<br />

Statements mit Blick auf die<br />

Hamburger Bildungslandschaft,<br />

Workshops sowie eine<br />

Ideensammlung und erste<br />

Verabredungen zur Vernetzung.<br />

Ungefähr 80 an Bildung<br />

Interessierte hatten den Weg<br />

in den Kaisersaal des Hamburger<br />

Rathauses gefunden.<br />

Petra Stumpf, Vorstandsmitglied<br />

unserer Landesgruppe,<br />

hatte es übernommen ein<br />

Statement für die Grundschulen<br />

abzugeben. Zunächst<br />

stellte sie den Grundschulverband<br />

im Allgemeinen und<br />

<strong>sein</strong>e Geschichte vor, um<br />

dann eine aktuelle Auswahl<br />

Petra Stumpf<br />

von Standpunkten des Verbandes<br />

zu benennen und zu<br />

erläutern, die speziell für die<br />

aktuelle Schulentwicklung in<br />

Hamburgs große Bedeutung<br />

haben:<br />

• Eine inklusive Grundschule<br />

für alle Kinder gestalten!<br />

• Schule und Lernen nachhaltig<br />

gestalten: Grundschule<br />

ist Lernort und Erfahrungsraum<br />

für die Zukunft.<br />

• Grundschulkinder bei der<br />

Mediennutzung begleiten<br />

und innovative Lernpotenziale<br />

in der Grundschule nutzen!<br />

• Die Lern- und Leistungsentwicklung<br />

jedes einzelnen<br />

Kindes begleiten, unterstützen<br />

und würdigen!<br />

Die Landesgruppe sieht es<br />

kritisch, dass in Hamburg in<br />

letzter Zeit Veränderungen<br />

von Stundentafeln und Aufgabenzuweisungen<br />

behördlich<br />

verfügt wurden ohne gesellschaftlichen<br />

Diskurs. Was<br />

auch im Statement deutlich<br />

wurde: „Der Grundschulverband<br />

Hamburg unterstützt die<br />

Gründung eines Bildungsrates<br />

zur Anhörung und Beteiligung<br />

von Bildungsverbänden an den<br />

entscheidenden schulpolitischen<br />

Fragen.“<br />

Im weiteren Verlauf der<br />

Veranstaltung konnten in<br />

zwei Workshop Phasen verschiedene<br />

Fragen rund um<br />

Bildung, Ausbildung und Vernetzung<br />

diskutiert <strong>werden</strong>.<br />

Die Landesgruppe leitete<br />

einen Workshop zum Thema:<br />

„Gutes Lernen – Wie gelingt<br />

es?“ Petra Stumpf konnte hier<br />

auf die Erfahrungen aus der<br />

eigenen Tätigkeit an der reformpädagogisch<br />

ausgerichteten<br />

Schule Rellingerstrasse,<br />

einer der wenigen 6 -jährigen<br />

Grundschulen in Hamburg,<br />

zurückgreifen, über die<br />

erfolgreiche Arbeit berichten<br />

und mit den Teilnehmer*innen<br />

des Workshops darüber<br />

ins Gespräch kommen.<br />

Abschließend wurde im<br />

Plenum die Forderung nach<br />

Einführung eines Bildungsrates<br />

unter Beteiligung<br />

von Vertretern aller an<br />

Bildung beteiligten Gruppen<br />

diskutiert und erste Verabredungen<br />

getroffen. Eine<br />

Maik Becker<br />

Konkretisierung erfolgt in<br />

einem weiteren Treffen.<br />

Trotz einiger Zweifel im<br />

Vorwege, ob wir als Verband<br />

an einer Veranstaltung teilnehmen<br />

sollten, die von einer<br />

Partei initiiert wurde, finden<br />

wir unsere Teilnahme richtig<br />

und wichtig. So bot sich die<br />

Gelegenheit die Standpunkte<br />

des Grundschulverbandes<br />

vor einer größeren Öffentlichkeit<br />

zu präsentieren und im<br />

speziellen unsere Landesgruppe<br />

„sichtbar zu machen“,<br />

was eines der Ziele unserer<br />

aktuellen Arbeit darstellt.<br />

Für die Landesgruppe:<br />

Marion Lindner<br />

Schleswig-Holstein<br />

Geschäftsführender Vorstand: Maren Barck, Sabine Jesumann, Aenne Thurau<br />

Kontakt: Maren Barck, grundschulverbandSH@gmx.de<br />

Unterstützung der<br />

Schulanfangstagungen<br />

Die Landesgruppe beteiligt<br />

sich auch dieses Jahr mit<br />

einer finanziellen Unterstützung<br />

und einem Grußwort<br />

an der Ausrichtung der<br />

Schulanfangstagung, die am<br />

13.7.24 online und am 28.8.24<br />

an der Europa-Universität<br />

Flensburg stattfindet. Ein sehr<br />

abwechslungsreiches und<br />

praxisorientiertes Workshopangebot<br />

bereitet Kollegen<br />

und Kolleginnen für die<br />

herausfordernde Arbeit mit<br />

Schulanfängern vor.<br />

Veränderungen im Vorstand<br />

der Landesgruppe<br />

Wie bereits in einem der letzten<br />

Landesgruppenberichte<br />

angekündigt wird sich der<br />

Vorstand verändern. Sabine<br />

Jesumann geht für das Schuljahr<br />

2024/25 in ein Sabbatjahr<br />

und zieht sich für die<br />

Zeit aus der Vorstandsarbeit<br />

zurück. Maren Barck und<br />

Aenne Thurau <strong>werden</strong> bis<br />

zur Mitgliederversammlung<br />

mit Vorstandswahlen im Juni<br />

2025 die Arbeit im Vorstand<br />

fortführen. Jedes Mitglied ist<br />

herzlich willkommen, in die<br />

Vorstandsarbeit hineinzuschnuppern.<br />

Einfach per Mail<br />

an den Vorstand schreiben!<br />

Für die Landesgruppe:<br />

Sabine Jesumann<br />

46<br />

GS aktuell 167 • September 2024


aktuell … aus den Landesgruppen<br />

Hessen<br />

Vorsitzender: Mario Michel<br />

mario.michel@gsvhessen.de, www.gsvhessen.de<br />

Live und in Farbe<br />

Auch, aber nicht nur am<br />

Bildschirm – der Vorstand der<br />

Landesgruppe Hessen hat<br />

sich in diesem Jahr bereits<br />

zweimal live und in Farbe<br />

getroffen. Rundum besuchen<br />

wir uns gegenseitig an<br />

unseren Schulen. Im Januar<br />

war dies die Grundschule<br />

Kirchhain, in der Mario Michel<br />

Schulleiter ist. Dort haben wir<br />

über die grundsätzliche Aufgabenverteilung<br />

in unserer<br />

Gruppe gesprochen. Das<br />

zweite Live-Treffen fand im<br />

Juni an der Nibelungenschule<br />

Heppenheim statt. Wir haben<br />

uns über die Grundsatzpositionen<br />

des Grundschulverbandes<br />

ausgetauscht und<br />

unsere eigenen dazu reflektiert.<br />

Der Austausch und das<br />

Kennenlernen der einzelnen<br />

Schulen mit ihren Spezialitäten<br />

erweitert unseren Blick<br />

und macht Freude.<br />

Weniger freudvoll ist die<br />

Tatsache, dass der für den<br />

28.9.2024 geplante zweite<br />

Hessische Grundschultag<br />

abgesagt <strong>werden</strong> musste.<br />

Obwohl bereits viel Arbeit<br />

investiert war, zum Beispiel<br />

in die Akquise von Workshops,<br />

in Gespräche mit dem<br />

gewählten Veranstaltungsort<br />

und so weiter, war keine<br />

ausreichende Finanzierungssicherheit<br />

gegeben. So fiel<br />

die Entscheidung zu vertagen<br />

– aller Voraussicht nach<br />

auf September 2025.<br />

Rosa Heussner-Kahnt und<br />

Pia Hölzel vertreten den<br />

GSV Hessen im Bündnis mit<br />

dem Elternbund Hessen und<br />

der GGG (Gemeinnützige<br />

Gesellschaft Gesamtschule).<br />

Der bildungspolitische Teil<br />

des Koalitionsvertrages der<br />

aktuellen hessischen Landesregierung<br />

(CDU und SPD)<br />

gab Anlass aus diesem Bündnis<br />

heraus eine Stellungnahme<br />

zu schreiben. Trotz allseits<br />

bekannter und zugänglich<br />

nachlesbarer Mängel will<br />

die neue hessische Koalition<br />

die aktuelle Ausgestaltung<br />

Pia Hölzel, Mario Michel, Anette Zinser, Steffi Jurkscheit,<br />

Heidi Fischer, Rosa Heussner-Kahnt (fehlend Ellen Löher)<br />

des Schulsystems in Hessen<br />

ohne jede Änderung fortsetzen.<br />

Dem MUSSTE ein<br />

Aufschrei unsererseits folgen.<br />

EINE Schule für alle – in der<br />

ALLE bestmöglich gefördert<br />

<strong>werden</strong>, das ist schon lange<br />

Standpunkt des Grundschulverbandes<br />

und wir dürfen<br />

nicht aufhören, dies laut zu<br />

verkünden und zu fordern.<br />

Für die Landesgruppe Hessen<br />

Pia Hölzel<br />

Brandenburg<br />

Vorsitzende: Denise Sommer<br />

Gsv-Brandenburg@posteo.de, www.grundschulverband.de<br />

Freude und Kritik zum<br />

Entlastungspaket für<br />

Lehrkräfte<br />

Der Vorstand der Landesgruppe<br />

Brandenburg begrüßt<br />

die kurz vor den Sommerferien<br />

getroffene Vereinbarung<br />

zur Entlastung der Lehrkräfte<br />

und wertet sie als unerlässlich,<br />

um den Schulbetrieb<br />

künftig trotz der erheblichen<br />

Personalengpässe aufrecht<br />

zu erhalten. Forderungen der<br />

Verbände nach Entlastung<br />

wurden seit vielen Jahren<br />

vom Ministerium ignoriert,<br />

deshalb ist diese Vereinbarung<br />

ein deutliches Signal.<br />

Die Grundschullehrkräfte<br />

sind sehr erfreut über die<br />

Gesamtnote Deutsch in den<br />

Jahrgängen 3 und 4. Die<br />

Nutzung der vom LISUM<br />

erarbeiteten Muster-SchiC<br />

sowie die Reduzierung der<br />

Anforderungen an Schulprogramme<br />

sowie an einer<br />

Vielzahl von Konzepten<br />

sind wirksame Maßnahmen<br />

zur Fokussierung auf den<br />

Unterricht. Wünschenswert<br />

aus Sicht der Grundschulen<br />

wären für die gegründete<br />

Arbeitsgruppe Diskussionen<br />

und auch Entscheidungen<br />

zur weiteren Reduzierung der<br />

Verwaltungsaufgaben u.a. die<br />

Verschlankung der Kompetenzzeugnisse<br />

in den Jahrgängen<br />

1 und 2 sowie eine<br />

Überarbeitung der Grundschulgutachten<br />

Klasse 6.<br />

Aus Sicht der Schulleitungen<br />

besteht weiterhin dringender<br />

Handlungsbedarf bzgl. der<br />

Hinterlegung von zahlreichen<br />

Dokumenten im ZENSOS-<br />

Portal und der Verwaltung<br />

des Schulbudgets. Kritisch<br />

sehen wir, dass pädagogisch<br />

innovative und zum Wohl<br />

der Schüler:innen nötige<br />

Projekte wir Ganztag, Flexible<br />

Schuleingangsphase und gemeinsames<br />

Lernen im Land<br />

Brandenburg nicht weiter<br />

ausgebaut <strong>werden</strong> können.<br />

Wir hoffen, dass die Schulen,<br />

die bereits in den genannten<br />

Profilbildungen arbeiten,<br />

trotzdem personell sehr gut<br />

ausgestattet <strong>werden</strong>, damit<br />

dort alle Kinder bestmöglich<br />

gefördert <strong>werden</strong> können<br />

und die Projekte nicht im<br />

Sand verlaufen und scheitern.<br />

Für den Vorstand<br />

Denise Sommer<br />

GS aktuell 167 • September 2024<br />

47


Praxis: aktuell XXXXX … aus den Landesgruppen<br />

Saarland<br />

Sonja Köhler, Landesgruppenvorsitzende,<br />

sonja.koehler@grundschulverband.saarland; www.grundschulverband.saarland<br />

Gespräch mit der Staatssekretärin<br />

zur tragfähigen<br />

Personalisierung an saarländischen<br />

Grundschulen<br />

Im Mai wurden in der saarländischen<br />

Presse über Möglichkeiten<br />

des Quereinstiegs in<br />

das <strong>Lehramt</strong>sstudium und<br />

in den Vorbereitungsdienst<br />

berichtet. Da weder aus<br />

diesen Presseberichten noch<br />

aus den vom Ministerium für<br />

Bildung und Kultur geteilten<br />

Informationen nicht hervorging,<br />

ob sich diese Pläne auch<br />

auf das Grundschullehramt<br />

bezogen, reagierten wir mit<br />

einer Stellungnahme.<br />

Unter der Überschrift „Qualität<br />

statt Schnellschuss“<br />

machten wir deutlich, dass<br />

Hier<br />

geht’s zur<br />

Stellungnahme<br />

gerade im Grundschulbereich<br />

das schulstufenspezifische<br />

Fachwissen, die schulstufenspezifische<br />

Fachdidaktik und<br />

die schulformspezifische<br />

pädagogische Expertise<br />

essenziell sind, um zwischen<br />

den Fachinhalten und den<br />

Lernvoraussetzungen, Bedürfnissen<br />

und Interessen von<br />

Kindern vermitteln zu können.<br />

In einem Gespräch mit Frau<br />

Staatssekretärin Jessica Heide<br />

wurde uns mitgeteilt, dass<br />

sich die vorgestellten Pläne<br />

lediglich auf die Lehrämter<br />

an beruflichen Schulen, der<br />

Sekundarstufe I und II und der<br />

Sonderpädagogik beziehen.<br />

Im weiteren Gesprächsverlauf<br />

konnten wir weitere Forderungen<br />

unserer Landesgruppe<br />

vorstellen und erläutern. So<br />

forderten wir u. a. eine zeitnahe<br />

Reform des Vorbereitungsdienstes<br />

und schlugen z. B.<br />

eine Modernisierung der Prüfungsordnung<br />

vor. Außerdem<br />

diskutierten wir erneut über<br />

unsere Forderungen an eine<br />

tragfähige Personalisierung<br />

saarländischer Grundschulen.<br />

Hierzu gehören unsere Erachtens<br />

Maßnahmen, um die<br />

Einstellung in den saarländischen<br />

Schuldienst für Grundschullehrer*innen<br />

attraktiver<br />

zu gestalten und das Abwandern<br />

in die benachbarten<br />

Bundesländer zu verhindern.<br />

Außerdem sollten die Anzahl<br />

der Studienplätze erhöht und<br />

die Ausbildungsphasen enger<br />

verzahnt <strong>werden</strong>.<br />

Mitgliederversammlung<br />

Am 28.5.24 fand unsere<br />

diesjährige Mitgliederversammlung<br />

statt. Nach den<br />

Berichten über aktuelle<br />

Stellungnahmen, Gespräche<br />

und Veranstaltungen, diskutierten<br />

wir ausgiebig über die<br />

Personalisierung an saarländischen<br />

Grundschulen sowie<br />

über Arbeitsbedingungen<br />

und Arbeitszeiten von Grundschullehrkräften.<br />

Sitzkreis<br />

Am 27.6.24 wurde unsere<br />

Reihe „Sitzkreis“ fortgeführt.<br />

Beim Löwenzahn-Abend an<br />

der Universität des Saarlandes<br />

wurden Folgen der Serie mit<br />

Peter Lustig (1981–2006), aber<br />

auch Folgen mit <strong>sein</strong>em Nachfolger<br />

Fritz Fuchs (2006-heute)<br />

geschaut und unter zeithistorischen,<br />

grundschulpädagogischen<br />

und fachdidaktischen<br />

Gesichtspunkten diskutiert.<br />

Besonderes Highlight:<br />

Einige Computerspiele der<br />

inzwischen eingestellten<br />

Löwenzahn-Reihe des<br />

Terzio-Verlages (1997–2004)<br />

konnten ausprobiert <strong>werden</strong><br />

und erlaubten einigen Teilnehmenden<br />

eine Reise in die<br />

eigene Kindheit und Jugend.<br />

Für die Landesgruppe: Sonja<br />

Köhler und Pascal Kihm<br />

Sachsen-Anhalt<br />

Kontakt: Thekla Mayerhofer, Am Sopienhafen 6, 06108 Halle (Saale)<br />

May_The@web.de, www.gsv-lsa.de<br />

Derzeit hängen viele unserer<br />

Landesgruppenaktivitäten<br />

mit den bildungspolitischen<br />

Entwicklungen in Sachsen-<br />

Anhalt zusammen. Dazu<br />

auszugsweise einige Berichte:<br />

Änderungen des<br />

Schulgesetzes<br />

Als Landesgruppen haben wir<br />

zu zwei geplanten Änderungen<br />

im Schulgesetz Stellung<br />

genommen. Die geplante<br />

Möglichkeit der Einschulung<br />

von Kindern mit einem sonderpädagogischen<br />

Förderschwerpunkt<br />

Lernen in eine<br />

entsprechende Förderschule<br />

haben wir scharf kritisiert, da<br />

diese Maßnahme die sozialen<br />

Ursachen von Bildungsungerechtigkeit<br />

nicht bearbeitet<br />

und stattdessen die ungünstigen<br />

Exklusionseffekte für<br />

diese Kinder noch verstärkt.<br />

Eine weitere Änderung<br />

betrifft die Eröffnung der<br />

Möglichkeit, zur Erprobung<br />

innovativer Modelle der<br />

Lehrer:innenbildung von<br />

den vorliegenden Rechtsvorschriften<br />

abzuweichen. Diese<br />

Änderung soll den Weg für<br />

einen dualen Studiengang<br />

des <strong>Lehramt</strong>s an Sekundarschulen<br />

in Magdeburg frei<br />

machen, was wir als Grundschulverband<br />

eher skeptisch<br />

betrachten. Dennoch unterstützen<br />

wir die Gesetzesänderung,<br />

da sie auch anderen,<br />

durchdachteren Modellen<br />

der Innovation im Bereich des<br />

<strong>Lehramt</strong>sstudiums, die bei<br />

uns derzeit in der Diskussion<br />

sind, Realisierungschancen<br />

einräumt.<br />

Memorandum Bildungsforum<br />

zur Sicherung eines<br />

chancengerechten Bildungsangebots<br />

Gemeinsam mit einem<br />

breiten Bündnis aus Parteien,<br />

Verbänden und Vertretungen<br />

verschiedener Professionen<br />

und auch der Elternschaft<br />

arbeiten wir an einem Memorandum<br />

zur Bildungsreform<br />

mit, das in verschiedenen<br />

Bereichen von Ausbildung<br />

und Schulgestaltung innovative<br />

und konstruktive Maßnahmen<br />

zur Bewältigung des<br />

Lehrkräftemangels anstoßen<br />

soll. Das Memorandum<br />

befindet sich derzeit in der<br />

finalen Abstimmung und soll<br />

der Bildungspolitik unseres<br />

Landes als breiter gesellschaftlicher<br />

Kompromiss<br />

vorgelegt <strong>werden</strong>.<br />

Abschlussbericht der<br />

Expertenkommission zur<br />

inhaltlichen Weiterentwicklung<br />

des Schulwesens<br />

in Sachsen-Anhalt<br />

Auch das Bildungsministerium<br />

arbeitet an einer<br />

Perspektive für die Weiterentwicklung<br />

der Schulen in<br />

Sachsen-Anhalt und hat dazu<br />

eine Expert:innenkommission<br />

zur Erarbeitung entsprechender<br />

Vorschläge eingesetzt.<br />

Der Abschlussbericht dieser<br />

seit Ende 2022 arbeiten-<br />

48<br />

GS aktuell 167 • September 2024


aktuell … aus den Landesgruppen<br />

Bremen<br />

Vorstandssprecher: Chris Barnick, c.barnick@uni-bremen.de<br />

www.grundschulverband-bremen.de<br />

Das Projekt KINDER*RECH-<br />

TE*SCHULE der Bremer<br />

Landesgruppe und des<br />

Projekts „Eine Welt in der<br />

Schule“ hat im Juni die Erprobungsphase<br />

abgeschlossen.<br />

Fünf Schulen und eine KITA<br />

haben die Materialien in ihrer<br />

Arbeit genutzt und wichtige<br />

Erfahrungen zu ihrem Einsatz<br />

gesammelt (s. den Bericht auf<br />

S. 42-44 in diesem Heft). Am<br />

13.6. wurden die Ergebnisse<br />

im „Haus der Bürgerschaft“<br />

(dem Bremer Landesparlament)<br />

vorgestellt (s. das Video<br />

zu der Veranstaltung von<br />

Anna Peplow unter https://<br />

vimeo.com/992867640). Nach<br />

einer Einführung durch die<br />

Projektleiterin Ulrike Oltmanns<br />

und einem von Rahel<br />

Rentz verlesenen Grußwort<br />

der Bürgerschaftspräsidentin<br />

Antje Grotheer eröffnete die<br />

Senatorin für Umwelt, Klima<br />

und Wissenschaft, Kathrin<br />

Moosdorf, die Veranstaltung.<br />

Sie würdigte die hohe Bedeutung<br />

der Schutz- und<br />

Beteiligungsrechte der UN-<br />

Kinderrechtskonvention von<br />

1989, vor allem im Blick auf<br />

die ökologische Verantwortung<br />

gegenüber der nachwachsenden<br />

Generation. Sie<br />

verwies darauf, dass Bremen<br />

zu den wenigen Bundesländern<br />

gehört, in denen<br />

die Kinderrechte in der<br />

Landsverfassung verankert<br />

sind. Für die Landesgruppe<br />

nannte Hans Brügelmann als<br />

zweiten Bezugspunkt des<br />

Projekts, gerade angesichts<br />

der zunnehmenden Spaltung<br />

der Gesellschaft und der<br />

Gefährdung demokratischer<br />

Umgangsformen im Alltag, die<br />

Notwendigkeit einer politischen<br />

Bildung, die sich nicht<br />

in einer abstrakten Institutionenkunde<br />

erschöpft, sondern<br />

Kindern und Jugendlichen<br />

schon frühzeitig und in ihrem<br />

Alltag ernsthafte Selbst- und<br />

Mitbestimmungserfahrungen<br />

ermöglicht. Abschließend<br />

hatten die Teilnehmer/innen<br />

Gelegenheit, die von den<br />

beteiligten Schulen und KITAs<br />

in sehr anschaulicher Weise<br />

präsentierten Ergebnisse ihrer<br />

Arbeit kennenzulernen. Den<br />

regen Erfahrungsaustausch<br />

beschloss die frühere Bundesvorsitzende<br />

Maresi Lassek<br />

mit einem Dank der Landesgruppe<br />

an alle Beteiligten und<br />

einem Ausblick auf die weitere<br />

Nutzung der Materialien<br />

(s. www.weltinderschule.<br />

uni-bremen.de/detail/<br />

kinder-rechte-schule.html ).<br />

Die nächsten Montagstermine<br />

für den „Klönschnack<br />

Lesen und Schreiben“ mit<br />

Erika Brinkmann und Hans<br />

Brügelmann sind die<br />

Montage 7.10., 4.11.<br />

und der 2.12., jeweils<br />

17:00 – 18:30 h, in der<br />

Lese- und Schreibwerkstatt<br />

(https://t1p.de/lsw-video),<br />

Admiralstr. 14 in Bremen-<br />

Findorff. Neben aktuellen<br />

Fragen aus dem Kreis der<br />

Teilnehmer/innen steht<br />

unser Konzept „Didaktische<br />

Prinzipien und methodische<br />

Bausteine eines fachlich und<br />

pädagogisch begründeten<br />

Rechtschreibunterrichts“<br />

zur Diskussion (s. https://t1p.<br />

de/RS_15_thesen).<br />

Hans Brügelmann<br />

den Kommission wurde am<br />

30.05.2024 vorgestellt, wozu<br />

auch unsere Landesgruppe eingeladen<br />

war. Der Bericht enthält<br />

erfreulicherweise viele konstruktive<br />

und sinnvolle Vorschläge,<br />

wie es im Land weitergehen<br />

kann – und diese Vorschläge<br />

zeigen viele Parallelen mit dem<br />

Memorandum des Bildungsforums.<br />

Wir sind gespannt, ob<br />

das Bildungsministerium diese<br />

aufgreifen wird, um dringend<br />

benötigte Schulentwicklungen<br />

für eine zukunftsfähige Bildung<br />

anzustoßen.<br />

Für die Landesgruppe<br />

Wolfgang Grohmann,<br />

Thekla Mayerhofer und<br />

Michael Ritter<br />

Werden Sie Mitglied im Grundschulverband!<br />

Nutzen Sie den vergünstigten Beitrag für LAA, Studierende, Doktorand:innen<br />

Für Ihren Jahresbeitrag erwerben Sie ein vielseitiges und praxisbewährtes<br />

Informationsangebot und engagieren sich für die Grundschule und ihre Kinder.<br />

Wählen Sie zwischen 4 verschiedenen Angeboten:<br />

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Premium (4 x Grundschule aktuell und 2 Bücher)<br />

39 Euro (LAA, Studierende, Doktorand:innen)<br />

Aktiv (4 x Grundschule aktuell)<br />

25 Euro (LAA, Studierende, Doktorand:innen)<br />

Unterstützer:in (ohne Publikationen)<br />

10 Euro (LAA, Studierende, Doktorand:innen)<br />

Kennenlernmitgliedschaft<br />

(für 1 Kalenderjahr inkl. Zeitschriften und Bücher)<br />

25 Euro (LAA, Studierende, Doktorand:innen)<br />

Unsere Stimme wird umso mehr gehört, je mehr Mitglieder<br />

wir haben. Bringen Sie sich aktiv ein!<br />

Die Landesgruppen sind für jede Unterstützung dankbar.<br />

Nehmen Sie gerne Kontakt auf.<br />

Wir freuen uns auf Sie!<br />

GS aktuell 167 • September 2024<br />

U III


Grundschule aktuell<br />

Grundschulverband e. V.<br />

Frankfurter Straße 74–76 · 63263 Neu-Isenburg<br />

Tel. 06102 / 88 21 660 · Fax 06102 / 88 21 664<br />

info@grundschulverband.de<br />

www.grundschulverband.de<br />

Ausblick Grundschule aktuell 168<br />

Beobachten – Staunen – Forschen:<br />

Naturwissenschaftliches Lernen in der Grundschule<br />

„Staunen ist der erste Schritt zu einer Erkenntnis.“<br />

(Louis Pasteur, französischer Chemiker und Mikrobiologe)<br />

Kinder kommen neugierig in die Schule. Beobachtungen und daraus resultierende Fragen<br />

gehören seit frühester Kindheit zu ihrer Lebens- und Lernwelt. Wie können diese Beobachtungen<br />

in Schule und Unterricht aufgegriffen und weitergeführt <strong>werden</strong>?<br />

Der Sachunterricht soll <strong>sein</strong>er doppelten Anschlussaufgabe gerecht <strong>werden</strong> und damit<br />

von Anfang an Phänomene in den Mittelpunkt der Au<strong>sein</strong>andersetzung stellen.<br />

Folgenden Fragen widmen sich die Themen- und Praxisbeiträge des Novemberheftes:<br />

• Welche Möglichkeiten gibt es, beim naturwissenschaftlichen Lernen an Beobachtungen und<br />

Erfahrungen der Kinder anzuknüpfen, und welches Fachwissen benötigen Lehrkräfte hierfür?<br />

• Welche Rolle spielen Beobachten, Staunen und Forschen im Unterricht der Grundschule?<br />

• Wie reflektieren Lehrkräfte der Grundschule persönliches Beobachten, Staunen und Forschen?<br />

www.grundschulverband.de · Februar 2024 · D9607F<br />

Grundschule aktuell<br />

Zeitschrift des Grundschulverbandes · Heft 165<br />

Die nächsten<br />

Themen<br />

Zum Thema<br />

• Kinderstärken!<br />

Kinder stärken!! Starke Kinder!!!<br />

Kinder Stärken erleben lassen<br />

Forschung<br />

• Social Entrepreneurship<br />

Education in der GS<br />

Rundschau<br />

• Frühjahrstagung des GSV<br />

am 2. März in Weimar<br />

November 2023 Februar 2024<br />

Mai 2024<br />

Heft 169 | Februar 2025<br />

Schrift und Schreiben<br />

Heft 170 | Mai 2025<br />

Bauen, Konstruieren,<br />

Programmieren<br />

Heft 171 | September 2025<br />

Kinder und Bücher im Kontext<br />

von Mehrsprachigkeit<br />

www.<br />

grundschule-aktuell.info

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