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Tag der deutschen Einheit

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Son<strong>der</strong>veröffentlichung<br />

3. Oktober<br />

TAG<br />

<strong>der</strong> Deutschen<br />

EINHEIT<br />

zu Gastin<br />

Mecklenburg-Vorpommern<br />

Verfälschter Blickauf dieWende<br />

35 Jahrenachdem Mauerfall kursieren<br />

falsche Interpretationen<strong>der</strong> Ereignisse,<br />

die zur<strong>Einheit</strong> führten.-Seite9<br />

Erfolgsgeschichte in West und Ost<br />

DDR-Häftling, Stuntman,Theatermacher<br />

-die Geschichtevon PeterHick -Seite 17<br />

FOTO: RALF GOSCH,MADPIXBLUE (BEIDE STICK.ADOBE.COM)


2 SONDERVERÖFFENTLICHUNG<br />

„Natürlich darf man<br />

auf die deutsche Fahne stolz sein“<br />

VONGABRIEL KORDS<br />

UND PHILIPPE DEBIONNE<br />

Im Interview erzählt Manuela<br />

Schwesig, warum es <strong>der</strong> Osten<br />

bis heute im politischen<br />

Diskurs schwer hat -und was<br />

sie für „Schwarz-Rot-Gold“<br />

empfindet.<br />

SCHWERIN –• Frau<br />

Schwesig, was bedeutet<br />

Ihnen die Deutsche<strong>Einheit</strong><br />

heute?<br />

Die Friedliche Revolution und<br />

die Deutsche <strong>Einheit</strong> sind für<br />

mich ein Riesen-Glücksfall <strong>der</strong><br />

<strong>deutschen</strong> Geschichte, vorangebracht<br />

durch all die mutigen<br />

Menschen in Ostdeutschland.<br />

Bei allen Problemen, bei allen<br />

Baustellen und Diskussionen:<br />

Ohne die <strong>Einheit</strong> gäbe es vieles<br />

nicht,waswirheutehaben.Freiheit<br />

und Demokratie – aber<br />

auch sanierte Städte, sanierte<br />

Straßen, mo<strong>der</strong>ne Unternehmen,<br />

die Möglichkeit zureisen,<br />

frei unsere Meinung zu sagen,<br />

Pressefreiheit und freie Wahlen<br />

Alldas istmittlerweileselbstverständlich<br />

für uns. Aberesist gut,<br />

ab und zu maleinen <strong>Tag</strong>zuhaben,<br />

an dem man sich auch<br />

rückbesinnt. Undsichauch klar<br />

macht: Unterm Strich ist die<br />

Deutsche <strong>Einheit</strong> das Beste, was<br />

passieren konnte.<br />

• Das sagenSie so. Aber<br />

viele Ost- und auchmanche<br />

Westdeutschehaben bis<br />

heute keinenFrieden mit<strong>der</strong><br />

Wie<strong>der</strong>vereinigungmachen<br />

können.<br />

Ich glaube, für viele Ostdeutsche<br />

ist es ein großes Problem,<br />

dass aufBundesebene nurdann<br />

über den Osten geredet wird,<br />

wenn es Probleme gibt o<strong>der</strong><br />

Wahlergebnisse, die man sich<br />

im Westen nicht erklärenkann.<br />

Der Ostenmussaberanallen <strong>Tag</strong>en<br />

ernst genommen werden.<br />

Und: Nach 1989 sind bei vielen<br />

Menschen Verletzungen entstanden,<br />

über die bis heute<br />

kaum geredet wurde. Inje<strong>der</strong><br />

Familie gab es damals Menschen,<br />

die sichverän<strong>der</strong>n mussten,<br />

und das war oft schmerzhaftundunfreiwillig.Ichhabees<br />

selber in meiner Familieerlebt.<br />

• Siewaren 15 Jahre alt, als<br />

dieMauer fiel...<br />

Für mich und meinen Bru<strong>der</strong>hat<br />

sich mit <strong>der</strong> <strong>deutschen</strong> <strong>Einheit</strong><br />

vieles eröffnet und ermöglicht.<br />

Ohnedie <strong>Einheit</strong>würde ichnicht<br />

Ministerpräsidentin desschönsten<br />

Bundeslandes sein. Aber<br />

meine Elternhabenauchdie an<strong>der</strong>e<br />

Seite <strong>der</strong> Wie<strong>der</strong>vereinigung<br />

erlebt. Mein Vater etwa<br />

hat seit seinem 16. Lebensjahr<br />

hart gearbeitet, als Schlosser<br />

und Heizer auf einem Baubetrieb.<br />

Der Betrieb war marode<br />

und1990war meinVater dann<br />

auf einmal arbeitslos. Anschließend<br />

hat er mal diesen Job gemacht<br />

und dann diesen, war<br />

ständig auf Montage, immer<br />

aufdem Bau, immer zu schlechtenLöhnen.<br />

Biserdann irgendwann<br />

nicht mehr konnte. Und<br />

heutemuss er miteiner kleinen<br />

Rente klarkommen. Mich hat<br />

kaumeineZeitinmeinem Leben<br />

sogeprägtwiedie<strong>der</strong>Arbeitslosigkeit<br />

meiner Eltern. Wenn<br />

man alsKindauf einmalmerkt,<br />

dass dieEltern, diedocheigentlich<br />

jeden Morgen aus dem<br />

Haus gehen und immer für die<br />

Familie sorgen, auf einmal ein<br />

großes Problem haben.<br />

• Wird darüberheute zu<br />

weniggeredet?<br />

Geredet wird darüber schon.<br />

Aber viele Menschen im Osten<br />

haben das Gefühl, dass nie so<br />

richtig anerkannt und gesehen<br />

wurde, wie schwierig diese Jahre<br />

fürdie Menschen waren.Und<br />

wir machen eben tatsächlich<br />

auch dieErfahrung, auch ich als<br />

Politikerin, das ostdeutsche<br />

Problemeimmer erst dann ernst<br />

genommen werden, wenn sie<br />

auch im Rest von Deutschland<br />

ankommen.<br />

• Zum Beispiel?<br />

Antwort: Die Landesregierung<br />

hat in<strong>der</strong> letzten Wahlperiode<br />

eine Bundesratsinitiative zur Sicherung<br />

<strong>der</strong> Kin<strong>der</strong>stationen in<br />

den Krankenhäusern gestartet.<br />

Es dauert über ein Jahr, bis wir<br />

dafür eine Mehrheit gefunden<br />

haben. Und erst jetzt, wodas<br />

Problem auch im Westenangekommenist,tut<br />

sichwirklich etwas.<br />

O<strong>der</strong> nehmen Sie die Debatte<br />

umden Wolf. Dafür hat<br />

man die ost<strong>deutschen</strong> Bundeslän<strong>der</strong><br />

lange belächelt. Bis es<br />

plötzlich auch Probleme im<br />

Westen gab; dakam dann die<br />

Umweltministerin zumVor-Ort-<br />

Termin. Nicht zu uns, son<strong>der</strong>n<br />

nach Nie<strong>der</strong>sachsen.<br />

• Dabeikönnte <strong>der</strong>Westen<br />

auch vom Osten lernen.<br />

Das findet ja sogarstatt,eswird<br />

nurnichtlautgesagt. Die heutigen<br />

medizinischen Versorgungszentren<br />

etwa habenihren<br />

Vorläufer in den DDR-Polikliniken.<br />

Unddie Fortschritte bei<strong>der</strong><br />

Kin<strong>der</strong>betreuung auf Bundesebene<br />

wären ohne die ErfahrungenundPrägungenausdem<br />

Osten nichtmöglich.<br />

• Im Westen gibtesbis<br />

heute Menschen,die sich<br />

einfachnicht mit<br />

Ostdeutschland<br />

auseinan<strong>der</strong>setzen wollen,<br />

die bislangnoch nichtein<br />

MalimOsten waren. Wie<br />

kann mandie erreichen?<br />

Indem man sieeinlädt. Unddafür<br />

gibt es kein schöneres Bundesland<br />

als Mecklenburg-Vorpommern.Wirsindjaeinbeliebtes<br />

Tourismusland. Wenn ich in<br />

Deutschland unterwegs bin, sagenviele:<br />

„Oh, wirwaren schon<br />

mal bei ihnen, und das ist total<br />

schön.“ Dasist ja schonmal eine<br />

schöne Eintrittskarte.Ich glaube<br />

grundsätzlich, sich selber ein<br />

Bild vor Ort zu machen, ist immer<br />

das Allerbeste. Deswegen<br />

laden wir auch zum <strong>Tag</strong> <strong>der</strong><br />

Deutschen <strong>Einheit</strong> ein, was wir<br />

im Rahmen <strong>der</strong> Bundesratspräsidentschaftjanur<br />

alle 16 Jahre<br />

können. Damit haben wir die<br />

Riesen-Chance, unser Land zu<br />

präsentieren. Die Landeshauptstadt<br />

steht im Mittelpunkt. Und<br />

was kann es Besseres geben als<br />

dieses Jahr, wowir auch noch<br />

MV-MinisterpräsidentinManuela Schwesig freut sich darauf, tausende Gäste<br />

in Schwerin willkommenzuheißen.


SONDERVERÖFFENTLICHUNG 3<br />

Welterbe geworden sind! Deshalb<br />

ist meineBotschaftanalle,<br />

dienochnicht im Ostenwaren:<br />

Kommt und schautihn euch selberan.<br />

Unser Landist dafür bestens<br />

geeignet. Ihr seid herzlich<br />

willkommen! Unddass wir auch<br />

gastfreundlich sind, beweisen<br />

wir seit vielen, vielen Jahren<br />

–übrigens auch schon zu DDR-<br />

Zeiten.<br />

• Wirfeierndie <strong>Einheit</strong><br />

dieses Jahr in Zeiten, in<br />

denen vielewahrnehmen,<br />

wie immermehr ins<br />

Rutschen kommt –auchvon<br />

den Dingen, dieman immer<br />

für sichergehaltenhat.<br />

Ich kann dieses Gefühl gut verstehen.<br />

Nach <strong>der</strong>FriedlichenRevolution<br />

haben viele gedacht,<br />

auch ich: So kanneswun<strong>der</strong>bar<br />

weitergehen. Wirhaben erwartet,<br />

dass sich Demokratie, Freiheit<br />

und Frieden weiter durchsetzen,<br />

in Europa und <strong>der</strong> ganzen<br />

Welt. Aber spätestens seit<br />

FOTO:BERND WÜSTNECK/DPA<br />

demAngriffskrieg vonRussland<br />

aufdie Ukraineist <strong>der</strong> Frieden in<br />

Europabedroht.Die Menschen<br />

sehen auch die vielen an<strong>der</strong>en<br />

schweren Konflikte. Und die<br />

Wahrheit ist doch, dass wir mit<br />

unserer Artzuleben in <strong>der</strong>Min<strong>der</strong>heit<br />

sind. Die Mehrheit <strong>der</strong><br />

Menschen auf diesem Planeten<br />

lebt im Kriego<strong>der</strong>inDiktaturen.<br />

• VieleMenschen haben<br />

aktuellAngst davor,dass<br />

sich dieVerhältnisse<br />

hierzulande weiter<br />

verschlechtern.<br />

Jede Generation wünscht sich,<br />

dass es fürdie nächste besser ist.<br />

Und ja, in Bürgergesprächen<br />

nehme ich tatsächlich sehr<br />

deutlich wahr, wie viele Menschen<br />

Zukunftssorgen haben.<br />

Gerade ältere Menschen, die<br />

auch schon Krieg und Nachkriegszeit<br />

erlebt haben, aber<br />

auch die mittleren Generationen,<br />

die heute Eltern sind. Und<br />

ich kann das gut nachvollziehen.<br />

Wenn man sich fragt, wie<br />

man damit umgeht, hat man<br />

entwe<strong>der</strong> die Möglichkeit, Sorgen<br />

und Ängste zu schüren.<br />

O<strong>der</strong> aber sich den Problemen<br />

zu stellen undzuversuchen,Lösungen<br />

zu finden. Ich gehöre<br />

zur zweiten Gruppe.<br />

• Zurück zum3.Oktober,<br />

<strong>der</strong>jazugleich auch unser<br />

Nationalfeiertag ist. Was<br />

verbinden Siejenseits<strong>der</strong><br />

<strong>Einheit</strong>mit diesem <strong>Tag</strong>?<br />

Es istvor allemauch<strong>der</strong> <strong>Tag</strong><strong>der</strong><br />

Bundesrepublik, also einer Nation,<br />

die sich aus den Bundeslän<strong>der</strong>n<br />

zusammensetzt. Wir<br />

feiern andiesem <strong>Tag</strong>auch die<br />

Län<strong>der</strong>vielfalt. Wiegroßdas Geschenk<br />

<strong>der</strong> Deutschen <strong>Einheit</strong><br />

ist, kann mansehrgut daranablesen,<br />

dass damals alle etwas<br />

dazu bekommen haben: Der<br />

Westen hatunsereOstsee dazu<br />

bekommen und <strong>der</strong> Osten hat<br />

dieAlpendazu bekommen.<br />

• Wasbedeutet es fürSie,<br />

Deutsch zu sein?<br />

Es heißt, zu einem Land zu gehören,<br />

dass sich in den vergangenen75Jahrenaus<br />

den Trümmern<br />

<strong>der</strong> verheerenden Hitlerjahreundeinemweltweitenmillionenfachen<br />

Massenmordwie<strong>der</strong><br />

aufgebaut hat. Und zu<br />

einem Land geworden ist, das<br />

international anerkannt ist.<br />

Dass wirtschaftlich stark ist,<br />

auch wenn wirdieseStärkegerade<br />

sichern müssen. Und dass<br />

wir uns, bei allem Streit, auf<br />

Grundwerte einigen können,<br />

dieinunserem Grundgesetzbeschrieben<br />

sind. All das ist eine<br />

Leistung,aufdiewirgemeinsam<br />

stolz seinkönnen.<br />

• Darf manseinen<br />

Nationalstolz auch mit<strong>der</strong><br />

<strong>deutschen</strong> Fahne zeigen?<br />

Die Debatte kamgeradezur<br />

EM wie<strong>der</strong>auf.<br />

Natürlich darf man. Und mein<br />

Eindruck ist eigentlich, dass wir<br />

diese Debatte mit <strong>der</strong> Fußball-<br />

WM 2006 überwunden haben.<br />

Ichsehe das jedenfallstotal entspannt<br />

und unverkrampft und<br />

trageauchgernebeiSportereignissendie<br />

<strong>deutschen</strong> Farben im<br />

Gesicht. Undich wargeradebei<br />

Olympia in Paris und vorher<br />

auch bei<strong>der</strong> EM in Deutschland,<br />

unddawarenreihenweisedeutscheFahnenzusehen.<br />

• Undjenseitssportlicher<br />

Ereignisse?<br />

Darf manauf die deutscheFahne<br />

auch stolz sein und sie auch<br />

zeigen. Wir Deutschen müssen<br />

zwar immer aufpassen, dass<br />

Schwarz-Rot-Gold nicht von<br />

den Falschen gekapert wird.<br />

Undnatürlich müssen wir an die<br />

Verbrechen erinnern, die Nazi-<br />

Deutschland –übrigens unter<br />

einer an<strong>der</strong>en Fahne –begangen<br />

hat. Deshalb habe ich das<br />

Gedenken an dieOpfer des Nationalsozialismus<br />

auch zu einem<br />

Schwerpunkt meiner Bundesratspräsidentschaft<br />

gemacht.<br />

Denn meine Generation trägt<br />

zwar keine Schuld an diesen<br />

schrecklichen Verbrechen, aber<br />

es ist unsere Verantwortung,<br />

daranzuerinnern. Unddafür zu<br />

sorgen, dass so etwas nie wie<strong>der</strong><br />

passiert. Das Logo zu unseremMotto<br />

zur Bundesratspräsidentschaft–„Vereint<br />

Segel setzen“<br />

–ist jaebenfalls Schwarz-<br />

Rot-Gold. Wirdruckendas momentan<br />

auf alle Briefe und<br />

Schriftstücke <strong>der</strong> Landesregierung.<br />

Und ich fühle mich wohl<br />

damit.<br />

• Wasdürfendie Bürger<br />

am 3. Oktober in Schwerin<br />

erwarten?<br />

Wirladen unter unserem Motto<br />

„VereintSegelsetzen“zueinem<br />

Bürgerfestvom2.bis4.Oktober<br />

ein. Unser Land wird sich auf<br />

einer MV-Meile präsentieren,<br />

genauso aber auch alle Verfassungsorgane<strong>der</strong><br />

Bundesrepublik.<br />

Eine <strong>Einheit</strong>smeile erinnert<br />

an die Deutsche<strong>Einheit</strong>.Und es<br />

wird eine Län<strong>der</strong>meile <strong>der</strong> 15<br />

an<strong>der</strong>en Bundeslän<strong>der</strong> geben.<br />

Zudem treten Künstler aus MV<br />

undganzDeutschlandauf zahlreichen<br />

Bühnen auf. Ich freue<br />

mich aufRoland Kaiser undauf<br />

Juli. Zum Schluss gibt es am<br />

Sonntag,dem 6. Oktobernoch<br />

den ZDF-Fernsehgarten,<strong>der</strong> aus<br />

Schwerin gesendet wird. Wir<br />

werden vieleMöglichkeitenhaben,für<br />

unser Landzuwerben.


4 SONDERVERÖFFENTLICHUNG<br />

Ossi o<strong>der</strong>Wessi?<br />

Dasist kein Themafür dieses Paar<br />

VONFRANK WILHELM<br />

Christina Lück-Oppermann<br />

und ihr Mann Roman haben<br />

sich Mitte <strong>der</strong> 1990er-Jahre in<br />

Neubrandenburg kennenund<br />

liebengelernt. Siestammt aus<br />

Vorpommern, er aus dem<br />

Saarland.<br />

NEUBRANDENBURG–Und Liebe<br />

geht wohl doch durch den<br />

Magen! Zumindest bei Christina<br />

Lück-Oppermann und Roman<br />

Oppermann. Vor fast 20<br />

Jahren haben sich beide kennengelernt.<br />

Der Saarlän<strong>der</strong> Roman<br />

hatte 1995 als wissenschaftlicher<br />

Assistent an <strong>der</strong><br />

Hochschule Neubrandenburg<br />

angefangen. Die acht Jahre<br />

Jüngere Christina kam aus<br />

einem kleinen Dorf aus Vorpommern<br />

nach Neubrandenburg<br />

und stand kurz vor dem<br />

Abschluss ihres Studiums im<br />

Fachbereich Soziale Arbeit.<br />

„Ein gemeinsamer Bekannter<br />

schleppte Roman damals<br />

mit in meine WG“, erinnert sie<br />

sich. InHochschulkreisen hättensich<br />

ihre Kochkünste bereits<br />

Impressum<br />

Verleger<br />

Nordkurier Mediengruppe GmbH & Co. KG<br />

Friedrich-Engels-Ring 29, 17033 Neubrandenburg<br />

Komplementärin: Nordkurier Mediengruppe<br />

Verwaltungs GmbH<br />

Verlag und Redaktion 0395 4575-0<br />

Geschäftsführung: Lutz Schumacher, Holger Timm<br />

Anzeigen: Birgit Klockow<br />

Redaktion<br />

Chefredakteur und verantwortlich für den Inhalt<br />

Philippe Debionne 0395 4575-405<br />

Konzeption und inhaltliche Betreuung<br />

Carsten Schönebeck 0395 4575-286<br />

Kay Steinke (Ostsee-Zeitung)<br />

Druck<br />

SV Druck GmbH & Co. KG<br />

Flurstraße 2, 17034 Neubrandenburg<br />

Diese Son<strong>der</strong>veröffentlichung erscheint am<br />

17. September 2024 in <strong>der</strong> Gesamtausgabe von<br />

Nordkurier, Schweriner Volkszeitung, Norddeutsche<br />

Neueste Nachrichten und Ostsee-Zeitung.<br />

Sie stammt ausdem Osten, er ausdem Westen:Christina Lück-Oppermannund RomanOppermann leben und<br />

arbeitenseit vielenJahreninNeubrandenburg.<br />

FOTO: FRANK WILHELM<br />

herumgesprochen. „Christina<br />

kann wirklich gut kochen, aber<br />

ich fand sie vor allem inihrer<br />

ganzen Art attraktiv“, gab Roman<br />

Oppermann 2009 für den<br />

Band „Doppelbett. Ost-West-<br />

Paare“ zu Protokoll. Die Journalistin<br />

Christine Stelzer und<br />

<strong>der</strong>Fotograf Bernd Lasdinporträtierten<br />

59 Ost-West-Paare<br />

aus dem Nordosten, natürlich<br />

auch, um Konflikte beziehungsweise<br />

Befindlichkeiten<br />

auszuloten.<br />

Dieabergab es bezüglich<strong>der</strong><br />

Herkunft bei den Oppermanns<br />

von Anfang annicht. „Osten<br />

o<strong>der</strong> Westen? Das war und ist<br />

für uns kein Thema“, sagt<br />

Christina Lück-Oppermann.<br />

Aus ihrer Sicht würde <strong>der</strong> Konflikt<br />

eher von außen am Köcheln<br />

gehalten. „Ich habe aber<br />

auch von Anfang angeglaubt,<br />

dasseseinekomplette Generation<br />

braucht, ehe das Thema<br />

ausden Köpfen raus ist.“<br />

KeinThema fürdie Töchter<br />

Dashabeihr dieältesteTochter<br />

bestätigt. Julia (25) hat nach<br />

ihremAbitur eineWork&Travel-<br />

Reise durch Neuseeland unternommen,<br />

danach in Marburg<br />

Psychologie studiert samt<br />

einem Semester an <strong>der</strong> Universität<br />

im holländischen Nijmegen.<br />

Jetzt lebt sie in Leipzig.<br />

„Für sie und ihre Altersgenossen<br />

ist es kein Thema mehr, ob<br />

man aus dem Osten o<strong>der</strong> Westen<br />

kommt“, sagt Christina<br />

Lück-Oppermann. Auch ihre<br />

zweite Tochter Clara (23) ist<br />

flügge geworden. Sie lebt in<br />

ihrereigenen WohnunginNeubrandenburg<br />

und absolviert<br />

eine Ausbildung als Kauffrau<br />

für Büromanagement. Statt<br />

Ost-West-Unterschiede zu definieren,<br />

waren beide eher neugierig<br />

auf den Lebensweg des<br />

an<strong>der</strong>en in eineran<strong>der</strong>enWelt.<br />

Christina Lück-Oppermann<br />

hatte –schon bevor sie ihren<br />

Roman kennenlernte – bei<br />

einer Reise nach Nürnberg ein<br />

Lebensgefühl kennengelernt,<br />

dassie so ausihrer Heimat nicht<br />

kannte. „Es war dolce vita mit<br />

viel Gelassenheit.“ Von ihrem<br />

Mann habe sie viel über seine<br />

religiöse Sozialisation erfahren<br />

unddabei „selbst das Bedürfnis<br />

nach Glauben und Halt entwickelt“.<br />

Auch Roman Oppermann<br />

wollteehernicht wissen,<br />

wie das denn nun wirklich mit<br />

<strong>der</strong> Staatssicherheit gewesen<br />

sei. „Ich wollte einen Menschen<br />

kennenlernen.“<br />

Beide sind zusammen längst<br />

angekommen in Neubrandenburg:<br />

Er ist in<strong>der</strong> Hochschule<br />

Professor für Krankenhaus-Betriebswirtschaftslehre.<br />

Sie ist<br />

tätig in <strong>der</strong> Öffentlichkeitsarbeit<br />

<strong>der</strong> Polizei in Neubrandenburg.<br />

Politisch engagieren<br />

sie sich für die SPD. Christina<br />

Lück-Oppermann istzudemaktiv<br />

in<strong>der</strong> evangelischen St. Michaels<br />

Gemeinde und sie singt<br />

im Volkschor Neubrandenburg.<br />

Ein Erklärungsversuch mit<br />

Gregor Gysi<br />

Dass angesichtsdes sehr unterschiedlichenWahlverhaltens<br />

im<br />

Osten und Westen Deutschlands<br />

das Ost-West-Thema<br />

wie<strong>der</strong> hochkocht, beschäftigt<br />

die Oppermannssehr.„Ich hätte<br />

nicht erwartet,dass dasnoch<br />

einmal so ein großes Thema<br />

wird“, sagt Oppermann, <strong>der</strong><br />

den langjährigen Frontmann<br />

<strong>der</strong> Linken, Gregor Gysi, für<br />

einen Erklärungsversuch zitiert:<br />

Mit dem Untergang <strong>der</strong> DDR<br />

seien die Menschen, die in <strong>der</strong><br />

DDRgelebthaben,nicht untergegangen.<br />

Auch wenn sich die beiden<br />

Neubrandenburger um die Entwicklung<br />

im Osten sorgen,<br />

werden sieihrer Heimat vorerst<br />

die Treue halten. Ihre Eltern leben<br />

in Murchin, ihre Zwillingsschwester<br />

in Stavenhagen.<br />

„Hier ist meine Familie.“ Auch<br />

Roman Oppermann, aufgewachsen<br />

in einem „gutbürgerlichen<br />

Elternhaus“ an <strong>der</strong> Mosel<br />

und am Rhein, fühlt sich<br />

längst wohl am Tollensesee,<br />

auch wenn er sich, wie er sagt,<br />

schon ein bisschen indie Sachsen-Metropole<br />

Leipzig verliebt<br />

hat.


SONDERVERÖFFENTLICHUNG 5<br />

DasJahr,das für DDR-Bürger<br />

alles wie<strong>der</strong> auf null setzte<br />

VONSIMON VOIGT<br />

Als die DDR zusammenbrach,<br />

öffneten sich für Millionen<br />

Menschen neue Türen. Zum<br />

<strong>Tag</strong><strong>der</strong> Deutschen <strong>Einheit</strong> suchen<br />

wir Ihre Geschichten, Erfahrungen<br />

undGedanken.<br />

NEUBRANDENBURG/SCHWERIN<br />

–Als die Weltzeituhr genau Null<br />

Uhr anzeigte, brach <strong>der</strong> Jubel los.<br />

TausendeBerlinerfeiertenaufdem<br />

Alexan<strong>der</strong>platz in <strong>der</strong> Nacht zum<br />

1. Juli 1990 die Einführung <strong>der</strong>D-<br />

Mark in <strong>der</strong>DDR. Der <strong>Tag</strong>markierte<br />

zugleich einen weiteren Schritt<br />

zum Ende des Staates,indem sie<br />

geboren und aufgewachsen waren.<br />

Fürdie Menschenauf diesem<br />

Fotowurde 1990 alleswie<strong>der</strong> auf<br />

Jubelzur Nacht <strong>der</strong>Währungsunion<br />

am Berliner Alexan<strong>der</strong>platz.<br />

FOTO: THOMAS TÜRÜLÜMOW<br />

Anfang gesetzt. Mit Schule und<br />

Ausbildungwarensievielleichtgerade<br />

fertig,haben dieersten Jahre<br />

in <strong>der</strong> Planwirtschaft gearbeitet<br />

und nun standen ihnen plötzlich<br />

alle Möglichkeiten offen: einen<br />

Beruflernen, aufden sie vielleicht<br />

mehrLusthaben,umzieheninden<br />

Westen,dochnochstudieren.<br />

34 Jahre ist das schon her und<br />

weil die Feierlichkeiten zum <strong>Tag</strong><br />

<strong>der</strong>Deutschen <strong>Einheit</strong>am3.Oktober<br />

indiesem Jahr in Schwerin<br />

stattfinden, wollen wir im Heimweh-Newsletter<br />

einmal mehr zurückblicken.FürvieleunsererLeserinnen<br />

und Leser krempelte sich<br />

mit <strong>der</strong> Wende das ganze Leben<br />

um. Plötzlich war alles möglich<br />

und die Zukunft musste o<strong>der</strong><br />

konnte nicht mehr in<strong>der</strong> Heimat<br />

stattfinden.<br />

Wasbedeutetdie<strong>Einheit</strong>für<br />

Sie?<br />

GernekönnenSiesichmitIhrenErfahrungen<br />

melden. Wie hat die<br />

Wende IhrLeben verän<strong>der</strong>t? Sind<br />

Siefortgezogen undwie ist es Ihnen<br />

ergangen? Waren Sie vielleicht<br />

sogar aufgrund von mangelnden<br />

Perspektiven gezwungen,zugehen?SindSiewie<strong>der</strong>zurückgekehrt?<br />

WelcherPlan istgescheitert?<br />

Was ist <strong>der</strong> größte Gewinn<br />

<strong>der</strong><strong>Einheit</strong>? Washat Sie enttäuscht?<br />

Manche sind mit <strong>der</strong> Wende<br />

und <strong>der</strong> <strong>Einheit</strong> auch erst auf die<br />

Ideegekommen,überhaupt nach<br />

Mecklenburg, Vorpommern, in<br />

diePrignitz o<strong>der</strong>die Uckermarkzu<br />

ziehen. Auch solche Geschichten<br />

von Zugezogenen interessieren<br />

uns.<br />

Schreiben Sie uns an heimweh@nordkurier.de<br />

o<strong>der</strong> postalisch<br />

an Nordkurier Redaktion,<br />

„Stichwort Heimweh“, Friedrich-<br />

Engels-Ring 29, 17034 Neubrandenburg.Wirfreuenuns!<br />

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Lidllohnt sich<br />

Gemeinsamfür<br />

die Bürger <strong>der</strong> Stadt<br />

Schwerin undUmgebung<br />

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6 SONDERVERÖFFENTLICHUNG<br />

„ErschütterungerstarrterVerhältnisse“<br />

kannimOsten kaum jemanden schrecken<br />

VONMICHAEL SEIDEL<br />

Warum tickt <strong>der</strong> Osten politisch<br />

so an<strong>der</strong>s? Es dürfte viel<br />

mit den Besserwissern westdeutscher<br />

Prägung zutun haben,<br />

schreibt unser Autor Michael<br />

Seidelindiesem Essay.<br />

NEUBRANDENBURG –ZuBeginn<br />

<strong>der</strong> 1990er Jahre war ich davon<br />

ausgegangen, dass wir Deutschen<br />

uns bald nicht mehr nach<br />

Himmelsrichtungen definieren,<br />

jedenfalls nicht nach Ost und<br />

West, son<strong>der</strong>n danach, wer wir<br />

sind,waswirkönnen,waswirleisten.<br />

In einem größer und spannen<strong>der</strong><br />

und mo<strong>der</strong>ner gewordenenDeutschlandmitten<br />

in einem<br />

liberalen und freiheitlichen Europa.<br />

Doch35Jahre nach demMauerfall<br />

kommeich so oftwie niezuvor<br />

in die Rolle des „Ost-Erklärers“.<br />

Immerhin: Inzwischen interessieren<br />

sich Menschen, warum<br />

„dieOssis“vermeintlichsoan<strong>der</strong>s<br />

sind. Fast drei Jahrzehnte wurde<br />

wohl einfachvorausgesetzt, dass<br />

dieOst<strong>deutschen</strong>,obSachseo<strong>der</strong><br />

Mecklenburger, genausowerden<br />

wie„dieWest<strong>deutschen</strong>“. Ja,wie<br />

sind die eigentlich? Ist <strong>der</strong> Bayer<br />

wie <strong>der</strong> Nie<strong>der</strong>sachse?Der Westfale<br />

wie <strong>der</strong>Schwabe? Findeden<br />

Fehler!<br />

DerOstenalsAbweichung<br />

von<strong>der</strong>westlichenNorm<br />

Frühere Son<strong>der</strong>ausgaben zum<br />

15., zum 20. o<strong>der</strong> 25. Jubiläum<br />

<strong>der</strong> Deutschen <strong>Einheit</strong> o<strong>der</strong> des<br />

Mauerfalls, strotzten nur so vor<br />

Schönrednerei. Natürlich enthieltensieimmeraucheinpaarArtikel<br />

überdie„nichtsoschönenAspekte“<br />

<strong>der</strong> deutsch-<strong>deutschen</strong> Vereinigung,<br />

diedejurewie de facto<br />

ein Beitritt war -aber immer so<br />

eingeordnet, dass dies nur vorübergehendeDefiziteseien,diebestimmt<br />

bald abgestellt seien. Eine<br />

Mehrheit<strong>der</strong> Leser wolltedas vielleichtauchsosehen.<br />

Aber ein Teil <strong>der</strong> Gesellschaft<br />

sah ihreLebensumbrüchenie angemessen<br />

wi<strong>der</strong>gespiegelt, oft<br />

sogar übertüncht. Erst Massen-,<br />

dann Jugend- und Langzeitarbeitslosigkeit,<br />

Abwan<strong>der</strong>ung,<br />

Diskreditierung ostdeutscher Berufsabschlüsse,<br />

Deindustrialisierung,<br />

Lohnabstand, Rentenlücke<br />

etc. In <strong>der</strong> medialen Wahrnehmung,<br />

das belegen diverse Studien,<br />

tauchte „<strong>der</strong> Osten“ nur<br />

auf, wenn „etwasInteressantes“<br />

geschah-unddaswarin<strong>der</strong>Regel<br />

negativ: Stasi, Doping, Nazis,<br />

Fremdenfeindlichkeit. Der Osten<br />

als Abweichung von <strong>der</strong> west<strong>deutschen</strong>Norm.<br />

DerOstenalsAbweichung<br />

von<strong>der</strong>westlichenNorm<br />

Der Leipziger Medienwissenschaftler<br />

Lutz Mükke formulierte<br />

2021 die These, dass „westdeutschgeprägte<br />

Medien, die im<br />

besserwisserisch-belehrenden<br />

‚Auslandsduktus über die neuen<br />

Bundeslän<strong>der</strong> berichtet haben“,<br />

zum Vertrauensverlust beitrügen.<br />

Wie aber soll ernsthafter<br />

Diskurs entstehen, wenn je<strong>der</strong><br />

Wi<strong>der</strong>spruch, jede Kritik, jede<br />

eigene Vorstellung o<strong>der</strong> gar Wi<strong>der</strong>stand<br />

gegen wirtschaftliche<br />

o<strong>der</strong> politische Entscheidungen<br />

als Störung stattals Bereicherung<br />

weggewischt wurden und sich<br />

zudem „kein originär ostdeutschesüberregionalesLeitmedium<br />

etablierenkonnte,dasimgesamt<strong>deutschen</strong><br />

Diskurs ostdeutsche<br />

Perspektiven hätte einbringen<br />

können“?<br />

Wenn <strong>der</strong> DDR-Sozialisierte<br />

eines kannte, dann Schönrednereiund-schreiberei<strong>der</strong>einststaatlich<br />

gelenkten Medien. Daher<br />

rührt wohl auch ein Teil des Vertrauensverlustes<br />

gegenüber den<br />

heutigen Medien, obgleich die<br />

Pressezumindestdurchweginprivatwirtschaftlicher<br />

Hand ist und<br />

auch <strong>der</strong> öffentlich-rechtliche<br />

Rundfunk weit wegist voneinstiger<br />

Staatslenkung durch eine<br />

„Abteilung Agitation und Propaganda<br />

beim ZK <strong>der</strong> SED“, dieich<br />

als Volontär desDDR-Fernsehens<br />

nochmiterlebte.<br />

Fehlen<strong>der</strong>Willezu<br />

gesamtdeutscherErneuerung<br />

„Tatsächlich istdie deutscheVereinigung<br />

nicht die eindeutige Erfolgsgeschichte,<br />

für die sie zu-<br />

In Thüringen istdie AfD inzwischen stärkste Kraft im Landtag. An<strong>der</strong>e ostdeutsche<br />

Bundeslän<strong>der</strong> könntenfolgen.<br />

FOTO:HANNES P. ALBERT/DPA<br />

Cover-Karikatur zu 30 Jahre mediale Spaltung<br />

FOTO:G.MESTER/OTTO-BRENNER-STIFTUNG<br />

Rundeine MillionDDR-Bürger nahmen am 4.11.1989an<strong>der</strong> ersten vomVolk<br />

ausgehenden genehmigtenDemonstration in <strong>der</strong>DDR teil.


SONDERVERÖFFENTLICHUNG 7<br />

„Kommt dieDMbleiben wirkommt<br />

sie nicht geh'nwir zu ihr!“ist auf<br />

einem Transparentzulesen,das ein<br />

Paar beieiner Montagsdemonstration<br />

am 12.2.1990 in Leipzigmit<br />

sichführt. FOTO:WOLFGANGWEIHS<br />

FOTO: DPA/ARCHIV<br />

nächst gehalten wurde –das ist<br />

mittlerweile auch in den politischen<br />

Institutionen angekommen“,<br />

schreibt Sozialforscherin<br />

Prof. Kerstin Brückweh von <strong>der</strong><br />

Europa-Universität Viadrina in<br />

einem Essay. Zu denhäufigangeführten<br />

Rechtfertigungen für die<br />

Unwuchten <strong>der</strong> Einigungsgeschichte<br />

zählt laut Brückweh <strong>der</strong><br />

enorme Zeitdruck,unterdem die<br />

deutsche <strong>Einheit</strong> vollzogen wurde,<br />

„aber auch ein fehlen<strong>der</strong><br />

westdeutscher Wille“ zu einer<br />

ernsthaften Verfassungsreform.<br />

Zuman<strong>der</strong>enabergeltendie verpassten<br />

Chancen einer selbstbestimmten<br />

Reform <strong>der</strong> ost<strong>deutschen</strong><br />

Medienlandschaft als ein<br />

Grundfehler–sieheLutzMükke.<br />

WerdasfüreinewehleidigeOssi-Jammerei<br />

hält,dem seidie Forschungsarbeitvon<br />

Dr.Mandy Tröger<br />

empfohlen. Eine Arbeit zur<br />

Transformation <strong>der</strong>ost<strong>deutschen</strong><br />

Medienlandschaft, die wohlgemerkt<br />

keine <strong>der</strong> von west<strong>deutschen</strong><br />

Lehrstuhlinhabern dominierten<br />

ost<strong>deutschen</strong> Universitätenermöglichte,<br />

son<strong>der</strong>n erst die<br />

UniversitätIllinoisinden USA, wie<br />

Trögerselbsteinmalsagte.Ihr Ergebnis:<br />

„Waren die politischen<br />

Proteste desHerbstes 1989 in <strong>der</strong><br />

DDRgetragenvom Ruf nach Medien-undPressefreiheit,eröffnete<br />

sich mit dem Jahr 1990 bundes<strong>deutschen</strong><br />

Verlagen ein neuer<br />

Markt, densie frühdurch aggressive<br />

Strategien zu erschließenversuchten.“Und<br />

diesüberwiegend<br />

diametralgegen dieIntentionen<br />

<strong>der</strong> letzten DDR-Regierung wie<br />

auch <strong>der</strong>deutsch-<strong>deutschen</strong> Verhandlungskommission.<br />

„Wesentliche<br />

Reformziele <strong>der</strong> DDR-<br />

Bürgerbewegungen, wiedie Zerschlagung<br />

struktureller Pressemonopoleo<strong>der</strong><strong>der</strong><br />

Aufbau einer<br />

basisdemokratischen Presse,blieben<br />

damit chancenlos“, konstatierteTröger.<br />

„WirwollenfürdieBürger<br />

<strong>der</strong>DDR<br />

Informationsfreiheitsofort<br />

undnichtaufRaten.Die<br />

gesellschaftspolitische<br />

Verpflichtung<strong>der</strong><br />

Großunternehmen[...]findet<br />

indemjetzigenVorgehen<br />

ihrerealemedienpolitische<br />

Ausprägung.““<br />

Gerd Schulte-Hillen,<br />

Vorstandsvorsitzen<strong>der</strong>vonGruner<br />

+Jahr, am19.März1990<br />

Fehlen<strong>der</strong>Willezu<br />

gesamtdeutscherErneuerung<br />

Das medienpolitischeZielwaren<br />

eigenständige DDR-Medien, die<br />

ihre eigenen Reformprozesse begleiten<br />

sollten. Um die gute Absicht<br />

war es jedoch schnell geschehen.Unter<br />

demDruck,noch<br />

vorden letztenund diesmal freien<br />

Volkskammerwahlen am 18.<br />

März 1990 hinreichendenmedialenEinfluss<br />

(imSinne<strong>der</strong> „Allianz<br />

für Deutschland“) zu gewinnen,<br />

hießdas Bonner Bundesinnenministerium<br />

gemäß einer Verabredung<br />

mit den bundes<strong>deutschen</strong><br />

Zeitungsverlegerverband BDZV<br />

jedoch allerlei „hemdsärmelige<br />

Aktivitäten inrechtlichen Grauzonen“<br />

ausdrücklich gut (nachzulesen<br />

imBundesarchiv). „Ziel<br />

desBMI wares, vorden Wahlen in<br />

<strong>der</strong> DDR einen Informationsfluss<br />

zu sichern,<strong>der</strong> starkvon bundesrepublikanischen<br />

parteipolitischen<br />

Interessen beeinflusst<br />

war“, konstatiert Tröger.Mehrere<br />

Versuche des DDR-Medienministeriums,<br />

politischdagegen vorzugehen,seienerfolglosgeblieben.<br />

Undsowurde es zu einem<strong>der</strong><br />

„Treppenwitze“ <strong>der</strong> Vereinigungsgeschichte:<br />

Keine<strong>der</strong> bürgerbewegten<br />

Zeitungs-Neugründungen<br />

überlebte dieseTurbo-Privatisierung,aber<br />

auch keine<br />

<strong>der</strong> Zeitungen <strong>der</strong> sogenannten<br />

Blockparteien (CDU, NDPD,<br />

LDPD, DBD).Übrig blieben ausgerechnetdieeinstigenBezirksorgane<br />

<strong>der</strong>SED,die insbeson<strong>der</strong>e <strong>der</strong><br />

Springer-Verlag jahrzehntelang<br />

als„Propagandaschleu<strong>der</strong>n“bekämpft<br />

hatte.DDR-MedienministerGottfriedMüllernotierteinseinem<br />

<strong>Tag</strong>ebuch, „das alte SED-<br />

Monopol bei Bezirkszeitungen“<br />

ginge zusammen „mit neuem<br />

MonopolausdemWesten“.<br />

Parteimitgliedschaftgilt<br />

vielenalskontaminiert<br />

Eine ähnliche Distanzwie zu den<br />

Medien gibt esgegenüber einer<br />

Mitgliedschaft o<strong>der</strong> garMitarbeit<br />

in Parteien und <strong>der</strong>en Ritualen<br />

und Exerzitien, weil „Parteidisziplin“<br />

seit DDR-Zeiten kontaminiertist.DieMitwirkungangesellschaftlichen<br />

Aushandlungsprozessenhältsichdeshalb<br />

in engen<br />

Kreisen, dievon <strong>der</strong>Masse alselitär<br />

o<strong>der</strong> lebensfremd, jedenfalls<br />

alslängstnicht repräsentativangesehenwerden.<br />

Doch dasist nundie zweiteAbsurdität<br />

<strong>der</strong> deutsch-<strong>deutschen</strong><br />

Geschichte: Ein nicht unerheblicher<br />

Teil <strong>der</strong>ost<strong>deutschen</strong> Gesellschaft,<br />

<strong>der</strong> sich fremdbestimmt,<br />

ungesehenundabgehängt fühlt,<br />

wendet sichnun einerimWesten<br />

gegründeten, von West<strong>deutschen</strong><br />

dominierten und sich ostdeutsches<br />

Revolutionspathos unzulässig<br />

aneignenden Partei mit<br />

radikaler, in sich wi<strong>der</strong>sprüchlicher<br />

undidentitärerProgrammatikzu.Dasscheintparadox.<br />

DochwomöglichistdiesesPhänomen<br />

gar nicht inhaltlich begründet.Vielleichtliegtdie„Weisheit<br />

dieser Vielen“ gerade darin,<br />

dass den Provokateuren jene Erschütterungerstarrter<br />

Verhältnisse<br />

zugetraut wird, die echtengesamt<strong>deutschen</strong><br />

Verän<strong>der</strong>ungsdruck<br />

erzeugt, zu <strong>der</strong>man selbst<br />

nicht imstande ist. Denn zumindest<br />

diese Erfahrung haben Ostdeutsche<br />

verinnerlicht –egal ob<br />

sie 1989 Akteur o<strong>der</strong> Zuschauer<br />

waren: Man kann ein erstarrtes<br />

SystemzumEinsturzbringen.<br />

„Die,diezufeigewarenin<br />

<strong>der</strong>Diktatur,rebellierenjetzt<br />

ohneRisikogegendie<br />

Demokratie.Den<br />

Bequemlichkeiten<strong>der</strong><br />

Diktaturjammernsienach,<br />

unddieMühen<strong>der</strong><br />

Demokratiesindihnen<br />

fremd.“<br />

WolfBiermann,Lie<strong>der</strong>macherund<br />

DDR-Dissident<br />

DasProblem:Ohneprogrammatische<br />

Vorstellungdavon,wie „das<br />

An<strong>der</strong>e“aussehensoll,dürftediesesExperimentnochweitausverheeren<strong>der</strong><br />

ausgehen als die<br />

deutsch-deutsche Vereinigung.<br />

Es seidenn, die (noch) liberalund<br />

demokratische gesinnte Mehrheit<br />

rauft sich zusammen –und<br />

greift die Mahnungen und Lösungsvorschläge<br />

ihrer ost<strong>deutschen</strong><br />

Parteifreunde ernsthaft<br />

auf, stattsie einmal mehrals lästig<br />

undstörendwegzuwischen.<br />

ZumAutor: MichaelSeidel(59)<br />

war von 2009 bis 2013 Chefredakteurdes<br />

Nordkurier undanschließendbis<br />

2024 <strong>der</strong>SchwerinerVolkszeitung.Seit2024ist<br />

er<br />

Head of Communications<strong>der</strong> SV<br />

Gruppe, die Nordkurier und<br />

Schweriner Volkszeitung herausgibt.


8 SONDERVERÖFFENTLICHUNG<br />

Die erste Fahrt nach Lübeck: „Esging<br />

Stoßstange an Stoßstange genWesten“<br />

VONWERNER GESKE<br />

DieWichtigkeitdes 9. November<br />

1989 wurde OZ-Reporter<br />

Werner Geskeerst am 10. November<br />

bewusst –als er in seinem<br />

Wartburg als erster Rostock-Reporter<br />

über dieSelmsdorfer<br />

Grenze nach Lübeck<br />

fuhr.<br />

ROSTOCK/LÜBECK – Ich habe<br />

diesen historischen Augenblick<br />

verschlafen. Ja,ich gebe zu, dass<br />

ich fest geschlafen habe, als die<br />

Mauer am Abend des9.November<br />

1989 fiel. Andiesem Abend<br />

hatte ichmir die Pressekonferenz<br />

zur Neuregelung von Reisen <strong>der</strong><br />

DDR-BürgerinswestlicheAusland<br />

mit Spannung im Fernsehen angesehen.<br />

Doch den kryptischen<br />

Worten von Günter Schabowski,<br />

Sekretär des Zentralkomitees <strong>der</strong><br />

SED, entnahm ich jedoch nicht,<br />

dass damit nun die Grenze zur<br />

Bundesrepublikfürje<strong>der</strong>mannoffensei.AlsoabinsBett!<br />

NichtaufAnweisungvon<br />

obenwarten<br />

Wasich da verschlief, wurde mir<br />

jedoch amnächsten Morgen sofortklar,alsichdasRadioeinschalte.Die<br />

Grenzöffnung warjedoch<br />

nicht ganz unerwartet gekommen.<br />

Überall in <strong>der</strong>DDR gibt es im<br />

Herbst 1989 Proteste, überall<br />

herrschtUnmut,überallgehendie<br />

Menschen auf die Straße. Der<br />

DruckaufdieRegierendenwächst<br />

täglich.Andiesem Morgen nach<br />

dem Mauerfall geht es auf den<br />

Flurenund in denArbeitsräumen<br />

<strong>der</strong>RedaktionzuwieineinemBienenschwarm.<br />

Überall stehen Redakteure,<br />

Volontäre undSekretärinnen<br />

zusammen und diskutierendie<br />

Geschehnisse.„Wiesolles<br />

nun weitergehen?“, istdie meist<br />

gestellteFrage.EineersteAntwort<br />

darauf gibt die Redaktionskonferenz<br />

gegen10Uhr: „Wir können<br />

nichtauf Anweisungenvon oben<br />

warten, son<strong>der</strong>n müssen dieDinge<br />

selbst in die Hand nehmen.<br />

Deshalb machen wir uns an Ort<br />

undStelleeinBildundfahrendazu<br />

selbst an die Grenze und weiter<br />

nach Lübeck!“ Gemeint sinddamit<br />

mein Fotografen-Kollegen<br />

Hartmut Klonowski und ich. Wir<br />

sollenunsinsAutosetzenundgen<br />

Westenfahren.Esgehtjedochbereits<br />

aufMittagzu, alswir die behördlicheGenehmigungfürunsere<br />

Ausreise in denHändenhalten.<br />

Damit geht essofort zur Staatsbank.Umtauschvon<br />

15 Mark <strong>der</strong><br />

DDR in 15 DM. Das ist obligatorisch.<br />

Gegen13Uhr steigen wirin<br />

unseren„Wartburg“.Spätestens<br />

um 20 Uhr,solautet<strong>der</strong> Auftrag,<br />

sollenwir wie<strong>der</strong>inRostock sein.<br />

Denn: „Die Druckmaschinenwarten<br />

nicht!“ Wi<strong>der</strong>Erwarten kommen<br />

wir auf<strong>der</strong> Fernverkehrsstraße<br />

105 in Richtung Grenzübergang<br />

Selmsdorf zunächst gutvoran.<br />

Im milchigen Sonnenlicht des<br />

Herbsttages bestellen LPG-<br />

Bauern ihre Fel<strong>der</strong>: „Dass die an<br />

solcheinem<strong>Tag</strong>arbeiten!“<br />

Pässewerdennurflüchtig<br />

kontrolliert<br />

Hinter Grevesmühlen wird <strong>der</strong><br />

Verkehrimmerdichter.Seit am 9.<br />

Novemberum21.53 Uhrdie ersten<br />

Bürger des Bezirkes Rostock<br />

die Grenze beiSelmsdorf passierten,<br />

wächst stündlichdie Zahl,die<br />

ihnen folgen. Trabants, Wartburgs,<br />

Ladas – Stoßstange an<br />

Stoßstange genWesten.IhreFahrerignorieren<br />

denHinweis in Mallentin:<br />

Achtung, letzte Abfahrt<br />

vordemGrenzgebiet!Heuteistallesan<strong>der</strong>s.<br />

Auch <strong>der</strong> Postenandieser ersten<br />

Kontrollstelle vor <strong>der</strong> Zonengrenze<br />

ist ungewöhnlich freundlich<br />

und kontrolliert nur flüchtig<br />

die Pässe: „Angenehme Weiterfahrt!“<br />

An <strong>der</strong> Grenzübergangsstelle<br />

Selmsdorf weht die<br />

schwarzrotgoldene Fahne mit<br />

Nur wenige Stunden nach Grenzöffnung am 9.11.1989 sind OZ-Redakteureauf<br />

ReportagefahrtnachLübeck. Auf diesem Bild interviewt OZ-RedakteurWernerGeske<br />

(2.v.re.)amVormittag des10.11.1989 im LübeckerRathaus<br />

BürgermeisterMichael Bouteiller(li.). FOTO: HARTMUTKLONOWSKI<br />

Siemachten1989Grenzgeschichten: WernerGeske (l.) undHartmut Klonowskials<br />

Bildreporter<strong>der</strong> Ostsee-Zeitung.<br />

FOTO:FRANK SÖLLNER<br />

Hammer, Zirkel und Ährenkranz<br />

über Mauer und Stacheldraht.<br />

WirreihenunsindielangeSchlange<br />

<strong>der</strong> ungeduldig Wartenden<br />

ein.Einem DDR-Grenzer,dem wir<br />

erklären, weshalb wir nach Lübeck<br />

wollen,winkt unshilfsbereit<br />

an den Wartenden vorbei. In<br />

Schlutup steht eine unübersehbare<br />

MenschenmengeamStraßenrand.<br />

Schokoladentafeln, Bananen,OrangenundZigarettenwerdendenAnkommendenmitherzlichen<br />

Worten gereicht.Auchwir<br />

schütteln Hände, lassen uns auf<br />

die Schultern klopfen und umarmen.<br />

Eine unbeschreibliche Atmosphäre.UnserZiel<br />

aber ist dasLübecker<br />

Rathaus. Dort steigen wir<br />

die breiten Treppen hinauf zum<br />

Büro des Bürgermeisters. Eine<br />

freundlicheSekretärinmeldet uns<br />

bei ihm an. „Sie sind von einer<br />

Rostocker Zeitung?“ -auch für<br />

Michael Bouteiller (SPD) ist die<br />

neue Realität nurschwer fassbar.<br />

Der Rathauschef verrät uns, dass<br />

er diesensationelle Nachricht auf<br />

<strong>der</strong> Geburtstagsfeier von Schleswig-Holsteins<br />

Ministerpräsidenten<br />

BjörnEngholm erhalten habe:<br />

„Ich bin daraufhin gleich zur<br />

Grenze gefahren.“ Bouteiller<br />

möchtewissen:„Wiesiehtesjetzt<br />

bei Ihnen aus? Gehen die Leute<br />

auch weiter auf dieStraße? WerdendieMenschenauchjetztnoch<br />

ausreisen wollen?“ Auch wirstellen<br />

Fragen: Glauben Sie, dass es<br />

bald zurWie<strong>der</strong>vereinigungkommen<br />

wird? Lassen die Siegermächte<br />

des Zweiten Weltkrieges<br />

das überhaupt zu?Wirddie Bundesrepublik<br />

die DDR wirtschaftlichunterstützen?<br />

Nichtauf alles gibt es befriedigende<br />

Antworten. Wieauch!Der<br />

Mauerfall ist keine 20Stunden<br />

her. Am Ende verabschiedet uns<br />

BürgermeisterBouteiller mitGrüßen<br />

an unsere Leser. Auf dem<br />

Marktplatz vorm Rathaus haben<br />

sichinzwischenHun<strong>der</strong>teversammelt.Ost<br />

diskutiert mitWest.Vor<br />

allemdarüber,wieesnunnach<strong>der</strong><br />

Maueröffnungweitergehenwird.<br />

In einem sindsich dabeialle einig:<br />

Deutschland muss wie<strong>der</strong> eins<br />

werden!


SONDERVERÖFFENTLICHUNG 9<br />

Für einneues Narrativ vonFriedlicher<br />

Revolutionund Deutscher<strong>Einheit</strong><br />

VON MARKUS MECKEL<br />

Viel zu oft wird die Deutsche<br />

<strong>Einheit</strong> als eine Wohltat des<br />

Westens gegenüber denDDR-<br />

Bürgern betrachtet. Ein falsches<br />

Narrativ, das Zusammenhänge<br />

dieser Zeit ausblendet,<br />

meint <strong>der</strong><br />

Mitgestalter <strong>der</strong> <strong>Einheit</strong>, MarkusMeckel<br />

in seinem Gastbeitrag.<br />

BERLIN– I<br />

35 Jahre ist es her, dass geschah,<br />

was vielenicht fürmöglich gehalten<br />

hatten: Die DDR erlebte im<br />

Herbst1989 eine Friedliche Revolution.<br />

Die kleine Opposition <strong>der</strong><br />

80er Jahre organisierte sich neu.<br />

Alsdie SED den Massen, dieinden<br />

Westen wollten, die Wege über<br />

Ungarn erneut versperren wollte,<br />

gingen erst Zehn-, dann Hun<strong>der</strong>ttausende<br />

an immer mehr Orten<br />

auf dieStraße. Sie stärkten <strong>der</strong>demokratischen<br />

Opposition den Rücken,<br />

sodass die SED und diean<strong>der</strong>en<br />

Blockparteien sie schließlich<br />

am„RundenTisch“alsGesprächspartner<br />

anerkennen mussten. In<br />

friedlichen Verhandlungen wurde<br />

<strong>der</strong>WegzurdemokratischenWahl<br />

vorbereitet unddiese fandschließlicham18.März1990statt.<br />

II<br />

DieserSiegvonFreiheitundDemokratie<br />

war jedoch nicht nur eine Erfahrung<br />

in <strong>der</strong> DDR, sie war Teil<br />

einer siegreichen mitteleuropäischen<br />

Revolution. Es war einegewaltfreie<br />

Selbst-Demokratisierung<br />

<strong>der</strong> Polen und Ungarn, <strong>der</strong> Deutschen<br />

in <strong>der</strong>DDR sowie <strong>der</strong>Tschechen<br />

und Slowaken. Ähnliche Prozessespieltensich<br />

etwa in denbaltischen<br />

Staaten ab. Mit den von<br />

Gorbatschow angestoßenen Reformen<br />

und <strong>der</strong> Selbstermächtigung<strong>der</strong>mitteleuropäischenStaaten<br />

und <strong>der</strong> DDR eröffneten sich<br />

Kontureneiner Neuordnung Europas.<br />

III<br />

In Deutschland fiel im Zuge <strong>der</strong><br />

Friedlichen Revolution am9.November<br />

1989 die Mauer. Damit<br />

stand plötzlich die Frage nach<strong>der</strong><br />

Markus Meckel engagierte sichseitden 70er-Jahren in <strong>der</strong>DDR-Opposition.<br />

Die<strong>Einheit</strong>, sagt er,war Ergebnis einerRevolution in Mitteleuropa,<br />

dieüber Deutschland hinausging.<br />

FOTO:FABIAN SOMMER/SOEREN STACHE<br />

<strong>Einheit</strong>Deutschlandsauf<strong>der</strong>politischen<br />

<strong>Tag</strong>esordnung –und war<br />

nicht nur Hoffnung, Traum o<strong>der</strong><br />

verpflichtende Perspektive des<br />

Grundgesetzes.<br />

Dochwie konnte die<strong>Einheit</strong>erreicht<br />

werden? Liest manöffentlicheGedenkreden<br />

zum Mauerfall,<br />

entsteht <strong>der</strong> Eindruck, als obdamalsKanzler<br />

Helmut Kohldie <strong>Einheit</strong><br />

geschaffen habe, unterstützt<br />

von US-Präsident George Bush<br />

sen. und mit letztlicher Zustimmung<br />

von Michail Gorbatschow.<br />

In dieser Erzählung sind dann die<br />

Ost<strong>deutschen</strong> OBJEKT einerWohltat<br />

des Westens. Aus dieser Perspektive<br />

entstand dann auch die<br />

ostdeutsche Deutung einer Übernahmeo<strong>der</strong><br />

garKolonisierung <strong>der</strong><br />

DDR. Doch diese öffentlich prägenden<br />

Erzählungenentsprechen<br />

nichtdenhistorischenAbläufen.<br />

Mitdem Mauerfall war deutlich<br />

geworden, dass die große Mehrheit<br />

<strong>der</strong> Bevölkerung<strong>der</strong> DDR die<br />

deutsche <strong>Einheit</strong> wünschte. Wer<br />

aber solltedie <strong>Einheit</strong> verhandeln?<br />

Das musstenachunserer Überzeugung<br />

Aufgabe einer aus demokratischen<br />

undfreien Wahlen hervorgegangenen<br />

Regierungsein! Und<br />

so kam es.Vier Wochen nachdem<br />

Fall<strong>der</strong>Mauerbegann<strong>der</strong>Zentrale<br />

Runde Tisch mit den Verhandlungen,umdie<br />

freieWahlin<strong>der</strong> DDR<br />

vorzubereiten.<br />

IV<br />

Die große Mehrheit <strong>der</strong> DDR-Bürger<br />

wollte die deutsche <strong>Einheit</strong><br />

möglichst schnell. Die rechtlich<br />

schnellste Möglichkeit wie<strong>der</strong>um<br />

war<strong>der</strong> „Beitritt zum Geltungsbereich<br />

des Grundgesetzes“ nach<br />

Art. 23 GG. Dieser Weg wurde<br />

dann auch gewählt. Mit den Verträgen<br />

zur Währungsunion und<br />

demEinigungsvertragwurdendiese<br />

Bedingungen <strong>der</strong><strong>Einheit</strong> innerhalbkürzesterZeitausgehandelt.<br />

Entsprechend diesem Weg<br />

kann und muss man von einer<br />

„verhandelten <strong>Einheit</strong>“ sprechen,<br />

ausgehandelt zwischen zwei demokratischen<br />

<strong>deutschen</strong> Staaten<br />

(undmitdenAlliierten).Wennman<br />

denProzess <strong>der</strong> <strong>deutschen</strong> <strong>Einheit</strong><br />

1989/90sodarstellt,wird deutlich:<br />

Die Ost<strong>deutschen</strong>sindund waren<br />

SUBJEKTdiesesProzesses.<br />

Man wird die deutsche <strong>Einheit</strong><br />

als die Glücksstunde <strong>der</strong> Deutschenim20.<br />

Jahrhun<strong>der</strong>t ansehen<br />

müssen: 45 Jahre, nachdem wir<br />

Deutschen so viel Todund Schrecken<br />

über ganz Europa gebracht<br />

hatten, nach Jahrzehnten <strong>der</strong> Teilung<br />

im Kalten Krieg,konnten wir<br />

uns in Freiheit undDemokratievereinigen,<br />

mit <strong>der</strong> Zustimmung<br />

unserer europäischen Nachbarn.<br />

In diesem Prozesswar die dann demokratischeDDRnichtEmpfänger<br />

einer Wohltat, son<strong>der</strong>n verhandelndeMitgestalterin.<br />

V<br />

Bis heute hat die Geschichte <strong>der</strong><br />

„verhandelten <strong>Einheit</strong>“ mit den<br />

Ost<strong>deutschen</strong> alsSubjekt in unserer<br />

Gedenkkultur keinen angemessenen<br />

Ort. Das öffentliche Erinnernschreibt<br />

denOst<strong>deutschen</strong><br />

allein dieFriedlicheRevolution zu –<br />

die <strong>Einheit</strong> dagegen gilt als Werk<br />

Helmut Kohls. Dem ist zuwi<strong>der</strong>sprechen!<br />

DieDDR hatsich, wiedie an<strong>der</strong>en<br />

Län<strong>der</strong> Mitteleuropas, selbst<br />

demokratisiert. Nicht dieDDR ging<br />

unter, son<strong>der</strong>n die kommunistische<br />

Herrschaft in <strong>der</strong> DDR. Die<br />

letzte und kurze Phase einer nun<br />

wirklich demokratischen DDRwar<br />

die entscheidende Voraussetzung<br />

fürden Prozess zur<strong>deutschen</strong> <strong>Einheit</strong>–undeinaktiverPartindiesem<br />

Prozess.DerProzess<strong>der</strong><strong>deutschen</strong><br />

<strong>Einheit</strong>vom Mauerfallbis zur Vereinigung<br />

imOktober 1990 ist als<br />

aufrechter Gang <strong>der</strong> Ost<strong>deutschen</strong><br />

in diese<strong>Einheit</strong>zubeschreiben.<br />

Die Ost<strong>deutschen</strong> wollten<br />

diese <strong>Einheit</strong> nicht nur, son<strong>der</strong>n<br />

triebensieauchpolitischvoranund<br />

gestaltetensiedurchdievonihrgewählteRegierungmit.<br />

VI<br />

Natürlich gab esauch indiesem<br />

Prozess vielerlei Schwierigkeiten<br />

und Fehleinschätzungen bei den<br />

Handelnden in West und Ost. Es<br />

gab oft auch wenig Verständigungsbereitschaft,<br />

konsequente<br />

Durchsetzung<strong>der</strong> westlichenInteressen,fehlendeEmpathieundgelegentlich<br />

anmaßende Arroganz<br />

und Respektlosigkeit gegenüber<br />

denVertretern<strong>der</strong> DDR. Auch diese<br />

Perspektive bedarf noch einer<br />

differenzierenden Forschung –<br />

und nicht nur pauschaler Anklagen.<br />

ZurPerson<br />

Markus Meckel (Jahrgang 1952)<br />

engagierte sich seit 1970 in <strong>der</strong><br />

DDR-Opposition. Der Theologe<br />

waralsPastorvieleJahrein<strong>der</strong>Müritz-Regiontätig.<br />

Im Oktober1989<br />

gehörte er zu Mitgrün<strong>der</strong>n <strong>der</strong>Sozialdemokratischen<br />

Partei <strong>der</strong><br />

DDR.Bei denersten freien Wahlen<br />

zog er als direkt gewählter Abgeordneter<br />

fürden WahlkreisPrenzlau<br />

–Angemünde –Schwedt –<br />

Templin –Gransee indie Volkskammer<br />

ein. Als Außenminister<br />

war erTeil <strong>der</strong> letzten Regierung<br />

<strong>der</strong> DDR. Von 1990 bis 2009 war<br />

Meckel Mitglied des Deutschen<br />

Bundestags.


10 SONDERVERÖFFENTLICHUNG<br />

Beliebte Ostbands:Warum<br />

DDR-Legenden in MV so erfolgreich sind<br />

VONREINHARDAMLER<br />

Alte DDR-Musiklegenden<br />

sind noch immer gefragt und<br />

mischen auch 34 Jahre nach<br />

<strong>der</strong>Wie<strong>der</strong>vereinigung in MV<br />

tüchtig mit. AbWarnemünde<br />

startete 2024 sogareineerste<br />

„Ostrock-Kreuzfahrt“.<br />

ROSTOCK –Nach <strong>der</strong> Wende<br />

waren DDR-Rockbands totgesagt.Aberheute,<br />

34Jahrenach<br />

<strong>der</strong> Wie<strong>der</strong>vereinigung, füllen<br />

sie noch immer Plätze und Hallen.<br />

Fans wollen ihre Musik hören.<br />

Auch dieTitel von City.Die<br />

Band hat sichzwar2022 aufgelöst,<br />

aber ihr Frontmann Toni<br />

Krahl(74)ist weiteronTour.Aktuell<br />

singterals Gast beiSilly,jener<br />

Band, die neben City, den<br />

Puhdys und Karat zu den großenVier<strong>der</strong><br />

DDR-Szene gehörte.<br />

Wie Silly und Toni Krahl ist<br />

auch Karat noch unterwegs.<br />

Die Band, <strong>der</strong>en Erfolgstitel<br />

„Über sieben Brücken“ zu<br />

DDR-Zeiten sogar von Peter<br />

Maffay gecovert wurde, feiert<br />

2025 ihr 50. Jubiläum. Auch<br />

diesesJahr spielt sienochmehrmals<br />

in MV.<br />

Toni Krahl (74)erreichte mit City und<strong>der</strong> „letztenRunde“imJahr2022eine Viertelmillion Fans. Jetzt singt er als<br />

Gast beiSilly. DasFoto zeigt ihn(l.) beim Abschiedskonzert 2022 in Greifswald vor über2000 Zuschauern. Im<br />

Hintergrund: <strong>der</strong> inzwischenverstorbeneGitarristFritz Puppel.<br />

FOTO: OVEARSCHOLL<br />

DenBands ganz nah:<br />

Ostrock-Kreuzfahrtab<br />

Warnemünde<br />

Auch wenn die Puhdys sich<br />

2016 in die Rockerrente verabschiedet<br />

haben, mischt ihr<br />

Frontmann, Dieter „Maschine“<br />

Birr (80) weiter mit. Er war<br />

ebenfalls bei <strong>der</strong> ersten „Ostrock-Kreuzfahrt“<br />

dabei, zu<strong>der</strong><br />

im Juni dieses Jahres ab Warnemünde<br />

die MSC Poesia inSee<br />

stach. City-Urgestein Toni<br />

Krahl,<strong>der</strong> mitSilly auchanBord<br />

war, sagt: „Ich binnochnie auf<br />

solch einem Dampfergewesen,<br />

die Stimmung war aber großartig.“<br />

So toll, dass die Tour für<br />

2025 schonausverkauftist.<br />

Ex-City-Sänger Krahl kann<br />

sich imMoment noch kein Leben<br />

ohne Bühne vorstellen.<br />

„Wenn ich bei Silly im März<br />

2025 aufhöre, dann habe ich<br />

neue Pläne“,blicktervoraus. Er<br />

will noch einmalsolodurchstarten,<br />

verrät er. Mit neuem Album.<br />

Bei Citys „letzter Runde“<br />

(2022) kamen in einem halben<br />

Jahr immerhin eine Viertelmillion<br />

Fans zuden Konzerten <strong>der</strong><br />

Band. Vier davon gabesinMV:<br />

in Rostock, Greifswald, Bergen<br />

undKölpinsee.<br />

WasOstbands noch immer<br />

so erfolgreich macht<br />

Was ist es nun, was Ostbands<br />

immer noch erfolgreich macht?<br />

„Wir sind Message-Musiker“,<br />

meint Krahl. „Die Leute erwarten<br />

von uns, dass wir zu allen<br />

Zeiten immer einen aktuellen<br />

Kommentar abgeben.“ Das<br />

warinden 1970erJahrenso, als<br />

City Jugendrevolte-Hits spielte,<br />

wie „King vom Prenzlauer<br />

Berg“. Und das setzte sich immer<br />

fort. Auch bei „Casablanca“<br />

(1987), einem Konzeptalbum,<br />

das die Sehnsüchte junger<br />

Menschen in<strong>der</strong> DDR beschrieb.<br />

Auch im aktuellen Programm<br />

vonSilly gibt es zweiCity-Hits,<br />

„Susann“, eine Berlin-<br />

Hymne von 1992 und „Tamara“,<br />

eine Hommage an die<br />

1996 verstorbene Grande Dame<br />

des DDR-Rocks, Tamara<br />

Danz. Silly ist mit Toni Krahl im<br />

Dezember 2024 noch dreimal<br />

in MV zu erleben, inRostock,<br />

Schwerin und Neubrandenburg.<br />

Eine an<strong>der</strong>e DDR-Rockband<br />

wargerade viermalimLand, die<br />

Stern-Combo-Meißen. Jeweils<br />

2000 Besucher lockte sie in<br />

Baabe und in Ahlbeck andie<br />

Strandpromenaden. „Wir haben<br />

eine treue Fangemeinde“,<br />

freut sich Frontmann Manuel<br />

Schmid, <strong>der</strong>gerade 40 Jahrealt<br />

geworden ist. Mit ihm dürfte<br />

Stern Meißen wahrscheinlich<br />

alle überleben, obwohl die<br />

Band mit 60 Jahren diedienstältesteist.<br />

Er sagt, dass DDR-Rock<br />

für ihn ein Kulturgut sei. Erwill<br />

es bewahren,dennersei damit<br />

durch seine Eltern sozialisiert<br />

worden.<br />

Über 100Hits aller Bands hat<br />

er gecovert. Gemeinsam mit<br />

Dirk Zöllner (62), einem weiteren<br />

DDR-Rockmusik-Urgestein<br />

singt er einen Großteil davon<br />

auf einer Tournee im nächsten<br />

Jahr.AuchinMVsind Konzerte<br />

geplant, unter an<strong>der</strong>em in<br />

Stralsund. „DDR-Rock ist für<br />

viele einLebensgefühl undwird<br />

an Kin<strong>der</strong> und Enkel weitergegeben“,<br />

weiß Schmid undzählt<br />

dabei die großen Hits seiner<br />

Band auf, wie „Kampf um den<br />

Südpol“ (1977) o<strong>der</strong> „Eine<br />

Nacht“ (1987), die immer wie<strong>der</strong><br />

Jubel auslösen. Stern Meißen<br />

will daran anknüpfend<br />

aber auch neue Akzente setzen.Aktuell<br />

mitdem gerade erschienenen<br />

Album „Himmelsscheibe<br />

von Nebra“. Konzerttermine<br />

in MV für 2025 gibt es<br />

dafür auch schon, nämlich im<br />

Juli in Stralsund und in Baabe.<br />

AufRügen ist SternMeißen übrigens<br />

seit 1967 jedes Jahr.<br />

Auch das hatLegendenstatus.


SONDERVERÖFFENTLICHUNG 11<br />

#vereintfeiern<br />

in Schwerin<br />

DasBürgerfest zum<strong>Tag</strong> <strong>der</strong>Deutschen<strong>Einheit</strong><br />

2. bis4.Oktober 2024<br />

tag-<strong>der</strong>-<strong>deutschen</strong>-einheit.de<br />

TOP-PARTNER MOBILITÄTSPARTNER MEDIENPARTER VEREINT MIT


VEREINT FEIERN<br />

ZUM TAGDER DEUTSCHENEINHEIT2024<br />

Vom2.bis 4. Oktober 2024 feiern wirinSchwerinein Bürgerfestfür alle –<br />

zum Mitmachen,Einbringen undGenießen. MitLive-Bühnenprogramm,<br />

Kunst und Kultur,mit Dialog, Diskussionen und spannenden Panels,mit<br />

Informationen undErlebnissen. Wirladenein zu einem Fest,das Lust<br />

macht, unserLandund dievielenSeitenDeutschlandszuentdecken.<br />

VIELFALT IN DEREINHEIT:<br />

SCHÖNHEIT MITCHARAKTER:<br />

DIELÄNDERMEILE<br />

SCHWERINAUF DEMMARKTPLATZ<br />

Die Län<strong>der</strong>meile zeigt auf eineinhalb Kilo-<br />

Unsere Landeshauptstadtpräsentiert sich mitihrem<br />

metern, was Deutschland, seine 16 Län<strong>der</strong> und<br />

buntenStadtleben.Eswirken mit: engagierte<br />

den Zipfelbund –das sind die vier Gemeinden<br />

Akteureund Institutionen ausMusik undKultur,<br />

in den äußersten Randlagen –unverwechselbar<br />

Bildung,Tourismus, Behörden undEhrenamt.<br />

macht: seine Menschen, Landschaften, Kultur,<br />

MusikalischerHöhepunkt ist<strong>der</strong> Auftritt von<br />

Wissenschaft und Kulinarik. Wir laden ein zueinem Spaziergang<br />

Keimzeit am 4. Oktober.Die lokale Gastronomie aus Schwerin<br />

durch Deutschland mitten inSchwerin –immer mit Blick auf<br />

undUmgebung sorgt fürein tolles kulinarisches Angebot.<br />

das Schloss: vom Marstall über die Wer<strong>der</strong>straße und die Graf-<br />

Schack-Allee bis hin zum Bertha-Klingberg-Platz.<br />

LEBENDIGEDEMOKRATIE:<br />

DIEVERFASSUNGSORGANE<br />

Der Bundesrat, <strong>der</strong> Deutsche Bundestag, die Bundesregierung<br />

und dasBundesverfassungsgericht:<br />

Unsere Verfassungsorgane stehen fürdie Demokratie<br />

inDeutschland. Auf dem Bürgerfest werden sie<br />

erlebbar und informieren an verschiedenen Orten<br />

<strong>der</strong> Stadt über ihre Aufgaben.<br />

LAND ZUM LEBEN:<br />

MECKLENBURG-VORPOMMERN<br />

Am Pfaffenteich präsentiert sich Mecklenburg-<br />

Vorpommern mitseinerSchönheit,Lebensqualität<br />

undInnovationskraft.TouristischeRegionen stellen<br />

sichvor, ebenso Universitäten und Hochschulen –<br />

und ein „grüner“ Infomarkt macht das Thema<br />

Nachhaltigkeit erlebbar. Dazu informieren verschiedene Institutionen<br />

über ihre Arbeit, beispielsweise aus dem BereichEhrenamt<br />

o<strong>der</strong> Wirtschaft.Schmeckenwirdesauch:Regionale Produzenten<br />

zeigen, wie lecker das Land zum Leben ist.<br />

NEUEIDEEN FÜRDAS LAND:<br />

DASZUKUNFTSFORUM<br />

Das Zukunftsforum im Schlossinnenhof ist<br />

<strong>der</strong> Anlaufpunkt für alle, die sich für gesellschaftliche<br />

und politische Themen interessieren.<br />

Lebendige Diskussionen und informative Gespräche<br />

–alles mit spannenden Personen aus dem<br />

öffentlichen Leben. Von Zusammenhalt bis Solidarität, von <strong>der</strong><br />

Geschichte <strong>der</strong> Wie<strong>der</strong>vereinigung bis zur Zukunft <strong>der</strong> Demokratie:<br />

Das sind nur einige <strong>der</strong> Themen, die unsere Gäste hier<br />

beschäftigen und die Besucherinnen und Besucher des Bürgerfests<br />

inspirieren werden.<br />

VONPOLIZEI BISBUNDESWEHR:<br />

SCHUTZFÜR UNSEREGESELLSCHAFT<br />

Es wird spannendfür die ganzeFamilie: Bundeswehr,Feuerwehr,Polizei,<br />

DLRG,THW undviele<br />

weitereHilfs-und Rettungsorganisationenstellen<br />

sich vorund informierenüber ihre wichtige Arbeit<br />

zu Land undzuWasser. Besichtigungenvon Einsatzfahrzeugen<br />

natürlich inklusive.<br />

ZEITGESCHICHTENEU ERLEBEN:<br />

DIE EINHEITSMEILE<br />

Institutionen, die sich <strong>der</strong> <strong>Einheit</strong> aus vielen<br />

Perspektiven und ihrer Geschichte annähern:<br />

Sie präsentieren ihre Arbeit und Ergebnisse auf<br />

<strong>der</strong> <strong>Einheit</strong>smeile in<strong>der</strong> Graf-Schack-Allee.<br />

Mit dabei sind unter an<strong>der</strong>em das Stasi-Archiv,<br />

das Zukunftszentrum für Deutsche <strong>Einheit</strong> und Europäische<br />

Transformation inHalle, die Gedenkstätten Berliner Mauer und<br />

Hohenschönhausen, die Bundesstiftung für die Aufarbeitung<br />

<strong>der</strong> SED-Diktatur und weitere Akteure.<br />

LIVE-UNTERHALTUNG,DIE BEGEISTERT:<br />

DIE HAUPTBÜHNE AM ALTENGARTEN<br />

Entertainment, mit dem NDR Mecklenburg-<br />

Vorpommern und Ostseewelle, dazu Musikerinnen<br />

und Musiker aus MV, Traditionsreiches<br />

und musikalischer Nachwuchs: Auf <strong>der</strong> großen<br />

Hauptbühne präsentieren wir Live-Acts und<br />

mitreißende Unterhaltung für alle Generationen.<br />

ZEITREISE:<br />

DIEEINHEITS-LICHTSHOWAMSCHLOSS<br />

Das SchwerinerSchloss erstrahlt in einer spektakulären<br />

Lichtshow, die denWeg von<strong>der</strong> Friedlichen<br />

Revolution 1989 bis heute erzählt: Gänsehaut-<br />

Momente zum<strong>Tag</strong> <strong>der</strong>Deutschen <strong>Einheit</strong>,jeweils<br />

am 2. und 3. Oktoberabends.<br />

FÜRGROSS UND KLEIN, FÜR ALTUND<br />

JUNG: DASFAMILIEN-UND SPORTLAND<br />

Das Familien- und Sportland imSchlossgarten<br />

bietet ein buntes Spiel-, Aktivitäten- und Mitmachprogramm<br />

für Kin<strong>der</strong> und Eltern: von<br />

Bastelaktionen bis zu Fußball, Bogenschießen,<br />

Volley- und Basketball, Boxen und Rollstuhlsport.<br />

Der Landessportbund MV, viele Vereine, die Naturerlebniszentren,<br />

die Pfadfin<strong>der</strong>, die Verkehrswacht sowie viele weitere<br />

Organisationen stellen sich mit Angeboten aus Kultur,<br />

Sport und Bildung vor.<br />

MUSIKALISCHE HIGHLIGHTS<br />

AUFDEM BÜRGERFEST<br />

Vorzwanzig Jahren begeistert Julimit demSong„Perfekte<br />

Welle“ ganz Deutschland und feiert dies 2024<br />

mit einer großen Tournee. Am 2. Oktober präsentiert<br />

<strong>der</strong> NDR Mecklenburg-Vorpommern die Band zum<br />

Bürgerfest und sorgt für einen mitreißenden Auftakt.<br />

Am 3. OktoberfolgtRoland Kaiser –einer <strong>der</strong>bekanntesten<br />

und beliebtesten <strong>deutschen</strong> Künstler wird mit<br />

seiner Band, seinen größten Hits und den Gästen des<br />

Bürgerfests die <strong>Einheit</strong> feiern. Ostseewelle präsentiert<br />

unter an<strong>der</strong>em am4.Oktober Zoe Wees. Sie ist die<br />

Stimme ihrer Generation und wird unsere Gäste mit<br />

musikalischer Leidenschaft und berührenden Texten<br />

begeistern. Das DJ-Projekt VIZE, präsentiert von<br />

AIDA, wird danach das Südufer desPfaffenteiches auf<br />

<strong>der</strong> AIDA-Fläche zumOpen-Air-Dancefloor machen.<br />

Alle Konzertefinden auf dem AltenGarten in<br />

Schwerin statt. Wiefür alle Veranstaltungen auf<br />

demBürgerfestgilt:Der Eintrittist frei!<br />

2.10.<br />

3.10.<br />

4.10.<br />

©Lillie Eiger, FrankEmbacher, Amelie Siegmund


14 SONDERVERÖFFENTLICHUNG<br />

DIEVERANSTAL-<br />

TUNGSFLÄCHEN<br />

BEIM BÜRGERFEST<br />

Wasist wo,wenn wir vom<br />

2. bis4.Oktober 2024in<br />

Schwerin Bürgerfest feiern?<br />

Unsere Kartebietet einen<br />

erstenÜberblick.<br />

Alle<br />

Veranstaltungen<br />

desBürgerfestes<br />

sind kostenlos.<br />

LÄNDER 1-16:<br />

Land1=Mecklenburg-Vorpommern<br />

Land2=Rheinland-Pfalz<br />

Land3=Hamburg<br />

Land4=Nordrhein-Westfalen<br />

Land5=Nie<strong>der</strong>sachsen<br />

Land6=Baden-Württemberg<br />

Land7=Bayern<br />

Land8=Hessen<br />

Land9=Sachsen<br />

Land10=Sachsen-Anhalt<br />

Land11=Berlin<br />

Land12=Schleswig-Holstein<br />

Land13=Thüringen<br />

Land14=Saarland<br />

Land15=Brandenburg<br />

Land16=Bremen<br />

VERFASSUNGSORGANE 1-3:<br />

Bundestag,Bundesrat,<br />

Bundesverfassungsgericht<br />

WEITERE INFOSUNTER:<br />

tag-<strong>der</strong>-<strong>deutschen</strong>-einheit.de


SONDERVERÖFFENTLICHUNG 15<br />

Wiezwei Firmen ausMV<br />

die Schifffahrtrevolutionierten<br />

VON ANDREASMEYER<br />

Viel istvon <strong>der</strong> einstigen DDR-<br />

Wirtschaft nach <strong>der</strong> Wie<strong>der</strong>vereinigung<br />

nicht übrig geblieben.<br />

Doch es gibt auch<br />

Unternehmen, die nach <strong>der</strong><br />

Wende im Ostenentstanden–<br />

und ganz Deutschland erobert<br />

haben. Zwei davon<br />

kommen aus Rostock: die<br />

Kreuzfahrt-Riesen Aida und<br />

Arosa. Eine Nach-Wende-Erfolgsgeschichte.<br />

ROSTOCK –Sein leichter, charmanter<br />

Dialekt ist trügerisch. Er<br />

verrät nichtwirklich, wo Jörg Eichlerherstammt.Sprichtmanihndarauf<br />

an, macht eraber kein Geheimnisdaraus:„Ichbineinechter<br />

Ossi.“ InDresden ist er geboren,<br />

seit fast zwei Jahrzehnten sind<br />

Eichler und seine Familie in Rostock<br />

zu Hause. Denn von<strong>der</strong> Hansestadt<br />

aus steuert Eichler als geschäftsführen<strong>der</strong><br />

Gesellschafter<br />

eines <strong>der</strong> wenigen Unternehmen<br />

aus den neuen Län<strong>der</strong>n, die es<br />

bundesweit an die Spitze geschafft<br />

haben: Arosa Flusskreuzfahrten,<br />

Deutschlands Nummer<br />

eins bei Reisen auf Rhein, Main,<br />

Moselund Co. „Nach<strong>der</strong> Wende<br />

haben Unternehmen aus MV die<br />

Kreuzfahrt-Branche revolutioniert.<br />

Und sie tun es bis heute“,<br />

sagtEichlerstolz.<br />

VomVEBzumWelterfolg<br />

Schon zu DDR-Zeitenwar Rostock<br />

die Seefahrerstadt, das Tor <strong>der</strong><br />

DDR zurgroßen weitenWelt. Aus<br />

allen Bezirken zogen junge Männer<br />

und Frauen in die Hansestadt,<br />

um vonhieraus Län<strong>der</strong>zuerkunden,<br />

die sie unter normalen Umständennie<br />

hättenbesuchen dürfen.<br />

Von<strong>der</strong> Hansestadt ausliefen<br />

die Frachter <strong>der</strong> DSR –<strong>der</strong> DeutschenSeeree<strong>der</strong>ei–unddieHochseefischeraus.<br />

Mit <strong>der</strong> Wende kam aberauch<br />

für die beiden traditionsreichen<br />

und volkseigenen Betriebe das<br />

Aus. Von <strong>der</strong> Hochseefischerei<br />

bliebwenig bis nichtsübrig,Investorenaus<br />

HamburgrettenzumindestTeile<br />

<strong>der</strong>DSR. HorstRaheund<br />

Nikolaus W. Schües kaufen 1993<br />

DerKussmun<strong>der</strong>obertevon Rostockaus dieWelt: Aida Cruiseshat die<br />

Kreuzfahrt-BrancheinEuroparevolutioniert –vom Heimathafen an <strong>der</strong><br />

Warnow aus.<br />

FOTO: JENS BÜTTNER<br />

von <strong>der</strong> Treuhand die DSR. Das<br />

Unternehmen wird neu aufgestellt,<br />

zerlegt. 1998 übernimmt<br />

die Ree<strong>der</strong>ei F.Laeisz die verbliebenden<br />

Schiffe und Seeleute.<br />

Einer <strong>der</strong>Hauptsitze<strong>der</strong> Ree<strong>der</strong>ei<br />

ist bis heute das markante Haus<br />

<strong>der</strong>SchifffahrtanRostocksLanger<br />

Straße.<br />

Wasnoch übrig bleibt von <strong>der</strong><br />

DSRwirdzum „Nukleus“für zwei<br />

Unternehmen, die Urlaub in<br />

Deutschland revolutioniert haben<br />

–Aida Cruises und Arosa Flusskreuzfahrten.<br />

Arosa-Chef:„Diealte<br />

Seeree<strong>der</strong>eiistTeilunserer<br />

DNA“<br />

Rahe gilt als Vater<strong>der</strong> beidenMarken.<br />

Während Arosadie Nummer<br />

eins auf Flüssen ist, ist Aida<br />

Deutschlands Marktführer bei<br />

Hochseekreuzfahrten. Die Eigner<br />

wechselten in den Jahren, aber<br />

Rostockist immernochHauptsitz<br />

<strong>der</strong> beidenKreuzfahrt-Riesen.„Es<br />

gibtnicht vieleUnternehmen aus<br />

MV mitbundesweiterStrahlkraft.<br />

Umso stolzer sind wir auf unsere<br />

Geschichte“, sagt Arosa-Chef<br />

Eichler.„DiealteDSR istbis heute<br />

Teile unserer DNA.“ Und erist<br />

stolz, dass seineRee<strong>der</strong>eiein ostdeutschesUnternehmenist.<br />

Eines, das esinganz Deutschland<br />

geschaffthat: DieStädteentlang<br />

<strong>der</strong>Flussreise-Routen verdienengut<br />

anArosa undseinen Gästen,<br />

Ree<strong>der</strong>eien in Portugal, Holland<br />

und vor allem die Rostocker<br />

Neptun Werft haben die Millionen-Aufträge<br />

für die Schiffe bekommen.Arosa<br />

hat 15 Schiffe im<br />

Einsatz. In Deutschland, den Nie<strong>der</strong>landen,<br />

Österreich, Frankreich,<br />

Portugal.InZukunft soll ein Schiff<br />

auchinMVfahren. Zurück zu den<br />

Wurzeln.<br />

DieKreuzfahrt-Revolutionäre<br />

von<strong>der</strong>Warnow<br />

In Sichtweite <strong>der</strong> Arosa-Zentrale<br />

am Rostocker Stadthafen steht<br />

auchdas Hauptquartier eines Milliardenunternehmens<br />

„Made in<br />

MV“:AidaCruises hat sich direkt<br />

an<strong>der</strong>Warnowsein„Home“,sein<br />

Zuhause,gebaut.ElfSchiffesindin<br />

allerWeltunterwegs, Aida meldet<br />

nach Coronakrise wie<strong>der</strong> rekordverdächtige<br />

Buchungs- und Umsatzzahlen.<br />

Mit dem Modell des „Clubschiffs“–mitKreuzfahrteninlegerer,<br />

ungezwungenen Atmosphäre<br />

–habenRaheundseineMitstreiter<br />

den Markt in Europa revolutioniert.Der<br />

ikonische Kussmund am<br />

Bug–ebenfallsinRostockentworfen,<br />

vomMecklenburger Künstler<br />

FeliksBüttner–wurde zum Sinnbild<br />

einesganz neuen Urlaubsgefühls.<br />

Die Ree<strong>der</strong>ei gehört zwar mittlerweile<br />

zur Carnival-Gruppe mit<br />

Sitz in Miami, aber das Unternehmenist<br />

in <strong>der</strong>Region tief verwurzelt.<br />

Das zeigt sich beispielsweise<br />

auch in <strong>der</strong> Führungsriege: Aida-<br />

Präsident Felix Eichhorn zum Beispiel<br />

ist in Warnemünde aufgewachsen.<br />

Und auch Senior-VizepräsidentinSteffiHeinickestammt<br />

aus MV.Die Rüganerinhat an <strong>der</strong><br />

Fachhochschule Stralsund studiert.<br />

DDR-Know-howfür<br />

bundesweitenErfolg<br />

Rostock war <strong>der</strong> ideale Ort, um<br />

NeuesimTourismuszuwagen:„In<br />

<strong>der</strong> Startphase konnte Aida hier<br />

aufdas bereits bestehende maritime<br />

Cluster und das Know-how<br />

<strong>der</strong> Region aufbauenund die Vorzüge<br />

als Ostseeanrainer bestens<br />

nutzen“,soHeinicke.<br />

Innovativ sein –das sei für die<br />

Ree<strong>der</strong>ei bis heute enormwichtig.<br />

Und dabeihilftdie Region: Einige<br />

<strong>der</strong> ersten Schiffe wurdeninWismargebaut,<br />

die Maschinenraummodule<strong>der</strong><br />

Flaggschiffe„Aidanova“<br />

und „Aidacosma“ wurden<br />

auf <strong>der</strong> Neptun-Werft inRostock<br />

gefertigt. MAKaus Warnemünde<br />

lieferte Motoren, die Propeller<br />

kommen vonMMG ausWaren an<br />

<strong>der</strong> Müritz, die Automationstechnik<br />

<strong>der</strong> Schiffsbrücken aus Rostock.„Beiunsistimmerauchinnovative<br />

Technik‚Made in Mecklenburg-Vorpommern<br />

an Bord“,<br />

sagtHeinicke.<br />

„DieReisegehtvonRostock<br />

weiter“<br />

69 Mal wirdAida alleinindiesem<br />

Jahr den „Heimathafen“ Warnemünde<br />

anlaufen. Keine an<strong>der</strong>e<br />

Ree<strong>der</strong>ei sticht so oftvon Rostock<br />

aus in See. „Wir sind stolz, ein<br />

wichtigerWirtschaftsfaktorfürdie<br />

gesamteRegionzusein.“Mehrals<br />

18 000 Mitarbeiter aus 60 Nationen<br />

arbeiten an Land und an Bord<br />

fürdengrößtenprivatenArbeitgeberinMV.<br />

Allein 1400 in <strong>der</strong>Ree<strong>der</strong>ei-Zentralean<strong>der</strong>Warnow.<br />

Die Internationalität, die „Vielfalt“istAidawichtig.„HeuteistAida<br />

eines <strong>der</strong>wachstumsstärksten<br />

und wirtschaftlich erfolgreichsten<br />

touristischen Unternehmen in<br />

Deutschland“,sagtHeinicke.„Die<br />

Reise begann 1996 an <strong>der</strong> Warnow.Und<br />

von hier wird das Unternehmen<br />

auch in Zukunft seine<br />

Leuchtsignaleaussenden,dieweit<br />

über die Landesgrenzen hinaus<br />

sichtbarsind.“


16 SONDERVERÖFFENTLICHUNG<br />

„Grenzhus“informiert seit 25 Jahren<br />

über die innerdeutsche Grenze<br />

VONMALTE BEHNK<br />

Das Grenzhus in Schlagsdorf<br />

in Nordwestmecklenburg ist<br />

Museum und Dokumentationsstätte<br />

für die ehemalige<br />

Grenze <strong>der</strong> DDR. In <strong>der</strong> Ausstellung<br />

und auf <strong>der</strong> Außenanlage<br />

wird über die Geschichte<br />

<strong>der</strong> Grenzbefestigung,<br />

<strong>der</strong>en Entwicklung bis<br />

zum Mauerfall und über mit<br />

<strong>der</strong> Grenze verbundene<br />

Schicksaleinformiert.<br />

SCHLAGSDORF–Ganz im Westen<br />

Mecklenburg-Vorpommerns<br />

bietet in Schlagsdorfdas<br />

„Grenzhus“ seit 1999 alle Informationen<br />

zur ehemaligen inner<strong>deutschen</strong>Grenze.<br />

DasMuseum<br />

selber ist nur 500 Meter<br />

Luftlinievon <strong>der</strong>heutigen Grenze<br />

nach Schleswig-Holstein entfernt,<br />

die bis 1989 als Eiserner<br />

Vorhang nicht nur Deutschland,<br />

son<strong>der</strong>n ganz Europa<br />

trennte. Inzwischen seit25Jahren<br />

wird im„Grenzhus“ über<br />

dieses dunkle Kapitel informiert.<br />

VieleUrlauber,aberauch<br />

Schulklassen sowohlaus Mecklenburg-Vorpommern<br />

als auch<br />

aus Schleswig-Holstein nutzen<br />

dieses Angebot.<br />

Nachbau alter Grenzanlagen<br />

„Diese Schülerprojekte, die jedes<br />

Jahr am9.November hier<br />

im Grenzhus ihren Höhepunkt<br />

haben, sind sehr wichtig und<br />

wirmerkendabei,wie vielWissen<br />

über unser Haus andie Jugend<br />

vermittelt wird“, sagt Museumsleiter<br />

Dr. Andreas Wagner.<br />

Das „Grenzhus“ besteht<br />

zum einen aus <strong>der</strong> Ausstellung<br />

im Hauptgebäude undaus dem<br />

etwa 500 Meter entfernten<br />

Außengelände,auf demein Teil<br />

<strong>der</strong> früheren Grenzanlagen<br />

nachgebaut wurde. Die Außenanlage<br />

wird gerade überarbeitet,<br />

kann aber weiterhin besuchtwerden.<br />

„Wir än<strong>der</strong>ndie<br />

Wegeführung und die Beschil<strong>der</strong>ung.<br />

Auch ein paar weitere<br />

Ausstellungsstücke werden<br />

aufgebaut, um die Anmutung<br />

<strong>der</strong>historischenRealität zu verbessern“,<br />

sagt Wagner. Auch<br />

ein Audioguide wird für die<br />

Außenanlage entwickelt und<br />

soll den Besuch am Grenzzaun<br />

noch realistischer machen.<br />

„Wir konzentrierenuns aufdie<br />

Entwicklung inden 80er Jahren,<br />

zeigen aber auch in einem<br />

Zeitstrahl, was von 1945 bis<br />

1989 geschehen ist“, so <strong>der</strong><br />

Museumsleiter.<br />

Grenze schuf ökologische<br />

Bedingungen<br />

Auf Informationen zum Anhörenwirdauchin<strong>der</strong><br />

Ausstellung<br />

auf zwei Etagen im Hauptgebäude<br />

des„Grenzhus“ gesetzt.<br />

In fünf Räumen geht esumdie<br />

Themen „Grenze undMachtsicherung“,<br />

das„Alltagslebenan<br />

<strong>der</strong>Grenze“, um dieFrage, wie<br />

durchlässig die Grenze trotz allem<br />

war, umdie Grenzöffnung<br />

undnicht zuletzt um denNaturraum,<br />

<strong>der</strong>durch dieGrenze entstandenist.Das<br />

„Grüne Band“<br />

mit seinen Lebensräumen für<br />

Seeadler und an<strong>der</strong>e seltene<br />

Tiere ist auch ein wichtiger Bestandteil<br />

<strong>der</strong> Dauerausstellung<br />

im „Grenzhus“. In jedem Raum<br />

gibt es Medienstationen, in<br />

denen sich Besucher zum Teil<br />

dramatische Geschichten von<br />

Zeitzeugen und Fakten über die<br />

Entwicklung <strong>der</strong> Grenze und<br />

<strong>der</strong> Orte in <strong>der</strong> näheren Umgebung<br />

anhören können.<br />

Zum Konzept des „Grenzhus“<br />

gehört auch, die nähere<br />

Umgebung einzubinden. So<br />

gibt es den 3,5 km langen<br />

Grenzparcours „Grenzwege<br />

Schlagsdorf. Lesezeichen in <strong>der</strong><br />

Natur zur <strong>deutschen</strong> Teilung“ ,<br />

<strong>der</strong> auf zwei unterschiedlichen<br />

Wegen vom „Grenzhus“ zur<br />

ehemaligenGrenzlinieführt. 14<br />

Stationen erzählen von historischen<br />

Ereignissen, dem Aufbau<br />

<strong>der</strong> Grenzsperranlagen sowie<br />

<strong>der</strong> Landschaft um den Mechower<br />

See, dessen Westufer<br />

die Grenzliniebildete.Exkursionen<br />

führen auch zum1976geschleiften<br />

Dorf Lankow und es<br />

gibt Touren mit Zeitzeugen, die<br />

an <strong>der</strong> Grenze gearbeitet haben.<br />

Das GrenzhusinSchlagsdorf in Nordwestmecklenburg istMuseum undDokumentationsstätte fürdie ehemaligeGrenze<br />

<strong>der</strong> DDR.<br />

FOTO:MALTE BEHNK<br />

Führungen in den<br />

Herbstferien<br />

Während <strong>der</strong> Herbstferien in<br />

MV werden im „Grenzhus“<br />

Führungen durch Museumund<br />

Außengelände angeboten: 3.<br />

Oktober (Donnerstag, 10.30/<br />

12.00 /14.30Uhr,19. Oktober<br />

(Samstag, 14.00 Uhr), 23. Oktober<br />

(Mittwoch, 14.00 Uhr),<br />

26. Oktober (Samstag, 14.00<br />

Uhr), 30. Oktober (Mittwoch,<br />

14.00 Uhr), 2. November<br />

(Samstag, 14.00 Uhr).<br />

Das „Grenzhus“, Neubauernweg<br />

1, in Schlagsdorfist<br />

täglich von10bis 16.30Uhr geöffnet.Der<br />

Eintritt kostet7Euro<br />

pro Person (Schüler, Studenten<br />

und Personen mit einem Behin<strong>der</strong>tenausweis<br />

3,- €).Keine EC-<br />

Karten-Zahlung möglich. Das<br />

Mitführen von Hunden an <strong>der</strong><br />

Leine auf dem Außengelände<br />

ist gestattet. Infos amTelefon<br />

unter 038875/20326 o<strong>der</strong> per<br />

Mail aninfo@grenzhus.de. Im<br />

Netz: www.grenzhus.de


SONDERVERÖFFENTLICHUNG 17<br />

Nachdem Stasi-Knast<br />

kam die Karriere in West undOst<br />

VON RALPH SOMMER<br />

Aufgewachsen in Thüringen<br />

verschlug es Peter Hick nach<br />

gescheitertem Fluchtversuch<br />

in denWesten.Nach<strong>der</strong> Wende<br />

entfachte <strong>der</strong> Stuntman<br />

auf Rügen das Störtebeker-<br />

Fieber.<br />

RALSWIEK –„Ich habe jedem<br />

Abschnitt meinesLebensPositives<br />

abgewinnen können“, sagt<br />

Peter Hick. „Sicher hatte ich<br />

manchmal Wi<strong>der</strong>stände zu<br />

überwinden, gab es Unannehmlichkeiten<br />

o<strong>der</strong> fühlte ich<br />

mich ungerecht behandelt. Es<br />

überwog jedoch das Gute.“<br />

Hick –Jahrgang1946, geboren<br />

inKriegern imSudetenland<br />

–wuchs im thüringischen Engerda<br />

auf und absolvierte beim<br />

VEB Erdöl und Erdgas eineAusbildung<br />

als Tiefbohrtechniker.<br />

Ein Zufall trieb den sportlichen<br />

jungen Mann zum Film.Bei dem<br />

Filmunternehmen DEFAmachte<br />

er schnellKarriere alsStuntman,<br />

verdiente mit waghalsigen Szenen<br />

gutes Geld und doubelte so<br />

manchenDDR-Star.<br />

Weil sein älterer Bru<strong>der</strong> in<br />

Hamburglebte, blieben Hick im<br />

Osten wegen seiner Westverwandtschaft<br />

viele Türen verschlossen.LangeZeitschmiedete<br />

er zusammen miteinemalten<br />

Freund Fluchtpläne, gab aber<br />

die Idee eines zu gefährlichen<br />

Grenzdurchbruchs nach Westberlin<br />

schließlich auf.<br />

Fluchtversuchendet in<br />

Einzelhaft<br />

Mit 300 D-Mark von seinem<br />

Bru<strong>der</strong> im Gepäck reiste Hick<br />

Mitte März1975 zusammenmit<br />

einem DEFA-Kollegen zum Ski-<br />

Urlaub in das bulgarische Rhodopen-Gebirge.<br />

Mitdabeihatte<br />

er den Vorsatz, den Eisernen<br />

Vorhang über die Grenze nach<br />

Griechenland zu überwinden.<br />

Knietief kämpften sich die beiden<br />

durch den Pulverschnee.<br />

Wenige hun<strong>der</strong>t Meter vordem<br />

Ziel „das rasselnde Geräusch<br />

einer durchgezogenenKalaschnikow,Befehle<br />

auf Bulgarisch“,<br />

Stehtseit31Jahren alsIntendantan<strong>der</strong> Spitze<strong>der</strong> Störtebeker-Festspiele<br />

in Ralswiekauf Rügen:<strong>der</strong> frühereStuntman PeterHick.<br />

erinnertsichHick.Die Flucht endete<br />

inEinzelhaft, in einem käfiggroßen<br />

Knast <strong>der</strong> bulgarischenStasi<br />

in Sofia.<br />

Nach neun Wochen unter unmenschlichen<br />

Bedingungen<br />

folgten die Überführung andie<br />

DDR-Stasi, ein halbes Jahr EinzelhaftinPotsdamund<br />

einProzess<br />

wegen Republikflucht mit<br />

einer Verurteilung zu einemJahr<br />

und zehn Monaten. Nach acht<br />

Monaten Haft inCottbus wurde<br />

<strong>der</strong> politische Gefangene Peter<br />

Hick 1976 von <strong>der</strong> Bundesrepublik<br />

freigekauft.<br />

FOTO:RALPHSOMMER<br />

VomStuntman zum<br />

Spielleiter bei Winnetou<br />

Wenig später hatte erKontakt<br />

zur Film- und Theaterbranche<br />

im Westen geknüpft und seine<br />

spätere Frau Ruth kennengelernt,<br />

die gerade eine Rolle bei<br />

denKarl-May-Festspielen in Bad<br />

Segeberg hatte. Hick, <strong>der</strong> zwischenzeitlich<br />

alsModel für Zigaretten<br />

und Jeans arbeitete und<br />

in immer mehr Filmprojekten<br />

komplizierte Stuntrollen übernahm,<br />

erhielt 1979 eine erste<br />

Nebenrolle bei den Winnetou-<br />

Open-Air-Aufführungen. Im<br />

September1989krönteerseine<br />

Karriere sogar mit <strong>der</strong> Stuntman-Weltmeisterschaft<br />

in<br />

Frankreich. EinJahrzuvorwar er<br />

Spielleiter in Bad Segeberg geworden,<br />

undesgelangihm,den<br />

Winnetou-Filmstar Pierre Brice<br />

als Hauptdarsteller zu gewinnen.<br />

Nach <strong>der</strong> Wende in<strong>der</strong> DDR<br />

bekam Hick einen schicksalsweisenden<br />

Anruf. Eine Investorengruppe,<br />

die im Osten ein<br />

TheaterwieinBadSegebergaus<br />

<strong>der</strong>Taufe hebenwollte, bat ihn<br />

umBeratung.EsgingumdieNaturbühne<br />

in Ralswiek auf Rügen,auf<strong>der</strong>einstmitüber1.000<br />

Darstellern die Rügenfestspiele<br />

stattgefunden hatten. Weil zugesagte<br />

Gel<strong>der</strong> letztlich doch<br />

nichtflossen,nahmenPeter und<br />

RuthHickschließlich dieGeschicke<br />

selbst indie Hand, zogen<br />

nach Rügen, investiertenihreErsparnisse,<br />

fanden Sponsoren<br />

un<strong>der</strong>hieltenvomLandeinevergleichsweise<br />

bescheidene För<strong>der</strong>summe<br />

für die Störtebeker-<br />

Festspiele aufRügen.<br />

Erfolgreichstes<br />

Open-Air-Projekt<br />

Im Wende-Aufbruch hätten<br />

„vermeintliche Umweltschützer,<br />

Bürokraten, Finanzbeamte,<br />

Landesarchäologen und neidische<br />

Nachbarn“ versucht, das<br />

Projekt zu torpedieren o<strong>der</strong> sogar<br />

zu verhin<strong>der</strong>n. Doch die<br />

Hicks erhielten auch Rückendeckung<br />

und Unterstützung. Am<br />

3. Juli 1993 schließlich, nur<br />

Stunden nach dem Abschluss<br />

<strong>der</strong> Pflasterarbeiten und <strong>der</strong><br />

Montage <strong>der</strong>Bestuhlung, feierte<br />

das Ensemble die Premiere<br />

deserstenOpen-Air-Spektakels<br />

„Wie einer Pirat wird“ mit Norbert<br />

Braun als Piratenhauptmann.<br />

Es folgteeinebis heute anhaltende<br />

Erfolgsgeschichte. Nach<br />

78.000 Zuschauern imRumpfjahrkletterten<br />

dieZahleninden<br />

Jahren danach auf über<br />

300.000. Mehreren Rückschlägen<br />

zum Trotz wie dem Verlust<br />

von Theater-Pferden und des<br />

Adlers, demKentern einer Piraten-Kogge<br />

o<strong>der</strong> <strong>der</strong> Brandkatastrophe<br />

<strong>der</strong> reetgedeckten<br />

Theater-Kneipe „Zum Störti“,<br />

etabliertensich die Störtebeker-<br />

Festspiele zum Tourismusfaktor<br />

in Mecklenburg-Vorpommern.<br />

Siewurdenzum erfolgreichsten<br />

privaten Open-Air-Projekt in<br />

Deutschland, vor allem auch<br />

weil die Hicks in <strong>der</strong> Szene gut<br />

vernetztwaren undeinen Großteil<br />

<strong>der</strong> Einnahmen immer wie<strong>der</strong>indas<br />

Theaterprojekt investiert<br />

hatten. 31Jahre nach <strong>der</strong><br />

ersten Aufführung führt heute<br />

ihre Tochter Anna-Theresa als<br />

Geschäftsführerin die Geschicke<br />

des bundesweit beliebten<br />

Privattheaters.


18 SONDERVERÖFFENTLICHUNG<br />

Rostocker Stasi-Gefängnis:<br />

„Noch immerein beklemmendesGefühl“<br />

VONWERNER GESKE<br />

Fast 40 Jahre lang war das<br />

Untersuchungsgefängnis <strong>der</strong><br />

Staatssicherheit in Rostock<br />

ein gefürchteter Ort. Heute<br />

erinnert eine Gedenkstätte<br />

daran, dass hier rund 4900<br />

Menschen litten.<br />

ROSTOCK –Silke Gratopp (58)<br />

läuft ein kalter Schauer über<br />

denRücken,wennsiedurchden<br />

Zellenbau geht und an den„Tigerkäfigen“<br />

vorbeikommt: „Es<br />

ist immer wie<strong>der</strong> ein beklemmendes<br />

Gefühl. Ich dachte,<br />

dass ichnachden 13 Jahren,in<br />

denen ich in <strong>der</strong> Dokumentations-<br />

und Gedenkstätte in<strong>der</strong><br />

ehemaligen Untersuchungshaft<br />

<strong>der</strong> Stasi tätig bin, schonetwasabgebrühter<br />

wäre.“<br />

Die Lehrerin vomInnerstädtischen<br />

Gymnasium <strong>der</strong> Hansestadtarbeitetzwei<strong>Tag</strong>eproWoche<br />

in dieser Einrichtungmit. Ihr<br />

geht es bis heuteunter dieHaut,<br />

was sie bei Führungen,Gesprächenmit<br />

Zeitzeugeno<strong>der</strong>Buchlesungen<br />

zum Thema Stasi erlebt.<br />

„Beivielen, die hier monatelang<br />

Schlimmeserlebt haben,<br />

ist einTraumageblieben. Damit<br />

werde ich natürlich konfrontiert“,sagtdie<br />

Pädagogin. Auch<br />

Carsten Socke, Mitarbeiter <strong>der</strong><br />

Landeszentrale für politische<br />

Bildung (44), in<strong>der</strong>en Trägerschaft<br />

die Gedenkstätte liegt,<br />

hat ähnliche Erfahrungen gemacht.<br />

Manche Begegnungen<br />

haben sich ihm fest eingebrannt:„Einmalführteicheinen<br />

ehemaligen Häftling durch das<br />

Haus, <strong>der</strong> sich mitgroßemInteresse<br />

meine Ausführungen anhörte.<br />

Als wir vor einer Zelle<br />

haltmachten undich die Metallklappe<br />

am Spion <strong>der</strong> Zellentür<br />

bewegte,erschrak er und sagte:<br />

‚Ich habedieses Klickenhun<strong>der</strong>teMalehören<br />

müssen. Fürmich<br />

löstdas schlimmeErinnerungen<br />

aus.“ Socke sagt, dassesihm in<br />

diesem Moment wie<strong>der</strong> klar geworden<br />

sei, welch unauslöschlicheSpurendie<br />

Stasi-Haft in den<br />

Menschen hinterlassenhat.<br />

Vielepolitische Gefangene<br />

saßen in Rostock<br />

Vontragischen Schicksalen hören<br />

erund Silke Gratopp bei<br />

ihren 90-minütigen Führungen<br />

durch das zwischen 1958 und<br />

1960 errichtete Haus an <strong>der</strong> August-Bebel-Straße<br />

immer wie<strong>der</strong>.<br />

Gut10000 Menschen kommen<br />

proJahrindie Gedenkstätte,<br />

umsich selbst ein Bild von<br />

diesem früheren Schreckensort<br />

zu machen. Zwischen 1960 und<br />

1989 waren hier rund 4900Personen<br />

aus überwiegend politischen<br />

Gründen inhaftiert. Zu<br />

diesen gehörtendie Straftatbestände<br />

„staatsfeindliche Hetze“,<br />

„öffentliche Herabwürdigung“<br />

und verstärkt nach dem<br />

Mauerbau 1961 „versuchte Republikflucht“.<br />

Was mit denen geschah, die<br />

in <strong>der</strong> Stasi-Bezirkszentrale inhaftiert<br />

wurden, wird den Besuchern<br />

beim Rundgang durch<br />

das Gebäude deutlich gemacht.<br />

Gratopp und Socke führen dabei<br />

zunächst zu einem B1000<br />

im unteren Bereich <strong>der</strong> U-Haftanstalt.Von<br />

<strong>der</strong> Stasi wurdedieserTransporterzur<br />

Beför<strong>der</strong>ung<br />

<strong>der</strong> Verhaftetengenutzt. In diesem<br />

Fahrzeug, von Häftlingen<br />

nachdem erstenDDR-Ministerpräsidenten<br />

„Grotewohl-Express“<br />

benannt, wurden die<br />

Verhafteten oft stundenlang in<br />

dunklen Einzelkabinen durch<br />

die Gegend gefahren. So sollte<br />

ihnen jeglicheOrientierung genommenwerden.<br />

Silke Gratopp undCarsten SockeimZellentrakt des ehemaligenStasi-Untersuchungsgefängnisses. FOTO:WERNERGESKE<br />

Häftlinge waren nurnoch<br />

eine Nummer<br />

„Niemand hat den Häftlingen<br />

gesagt, wohin die Reise ging.<br />

Kamen sie dann hier an, wusstensie<br />

also nicht, wo siesichbefanden.<br />

Sie wurden darüber<br />

auch weiterhinimUnklaren gehalten,umsie<br />

zu verunsichern.<br />

Raus ausdem Auto. Jetztmusste<br />

alles schnellgehen. Entwe<strong>der</strong><br />

wurde <strong>der</strong> Neuankömmling<br />

gleich ineine lichtlose Zelle gebracht<br />

o<strong>der</strong> ihm wurden Fingerabdrücke<br />

abgenommen und<br />

Fotos von ihm gemacht. Eine<br />

Leibesvisitation war obligatorisch.Dannerhielt<br />

<strong>der</strong> Verhaftete<br />

seine Häftlingskleidung. Von<br />

daanwarernurnocheineNummer.<br />

Im Laufschritt ging es in<br />

eine <strong>der</strong> 50 Zellen“, beschreiben<br />

esdie beiden Mitarbeiter<br />

<strong>der</strong> Gedenkstätte. Im Durchschnitt<br />

musstendie Inhaftierten<br />

fünf bis sechs Monate in <strong>der</strong><br />

Untersuchungshaft verbringen,<br />

dabei wurden sie ständig verhört<br />

und starkisoliert. Den, <strong>der</strong><br />

sich dennoch unbeugsamzeigte,<br />

versuchte die Staatssicherheit<br />

zumindest noch in den<br />

1960er Jahren mit tagelanger<br />

Dunkelhaft zu brechen.Die vier<br />

Zellen im Keller vermitteln einen<br />

Eindruck davon, wasdie Eingesperrtenteilweiseüber<br />

Wochen<br />

erleidenmussten.<br />

Doch die Gedenkstätte berichtet<br />

nicht nur von Verzweiflung<br />

und Hilflosigkeit. Aktuell<br />

ziehtdie Ausstellung „Protest–<br />

Opposition –Verweigerung im<br />

ehemaligen Bezirk Rostock“ die<br />

Aufmerksamkeit <strong>der</strong> Besucher<br />

auf sich. Das Beson<strong>der</strong>e an dieser<br />

Schau: „Die Bürger haben<br />

sie entscheidend mitgestaltet<br />

und uns etwa 60 Gegenstände<br />

aus 40 Jahren Diktatur zur Verfügung<br />

gestellt, die von Unterdrückung,<br />

aber auch vom Wi<strong>der</strong>stand<br />

gegen dasRegimeberichten“,<br />

sagt Carsten Socke.Er<br />

verweist unter an<strong>der</strong>em auf<br />

heimliche Abschriften von Gedichtendes<br />

von<strong>der</strong> DDRausgewiesenen<br />

Dichters Wolf Biermann.<br />

Diesesindinden Vitrinen<br />

ebenso zu sehen, wieBriefevon<br />

Künstlern, die sich mit ihren<br />

Werken gegen den real existierenden<br />

Sozialismus stellten und<br />

diese anihre Kollegen inaller<br />

Welt schickten. Transparente<br />

aus Zeiten <strong>der</strong>friedlichen Revolution<br />

stehenin<strong>der</strong> Ausstellung<br />

letztlich für den Erfolg des Wi<strong>der</strong>standes.<br />

Die Gedenkstätte ist jeden<br />

Dienstag und Donnerstag geöffnet.Zusätzlich<br />

wirdanjedem<br />

Donnerstag ab 15 Uhr eine öffentliche<br />

Führung angeboten.


SONDERVERÖFFENTLICHUNG 19<br />

Wende-Direktorüber RügenerCliff<br />

Hotel: „Für kleines Geldgab es Luxus“<br />

VON ULRIKE SEBERT<br />

Über <strong>der</strong> Rügener Küste<br />

thront das CliffHotel.Esist ein<br />

Luxus-Domizil miteinerwechselhaften<br />

Geschichte. Denn<br />

früher verbrachten im ehemaligen<br />

„ZK-ErholungsheimBaabe“<br />

Egon Krenz, Günter Schabowski<br />

o<strong>der</strong> Margot Honecker<br />

ihren Sommerurlaub. Die<br />

Spuren aus den Anfängen findet<br />

man nochheute.<br />

SELLIN–„WeihnachtenundSilvester1989<br />

konnten die Gäste natürlich<br />

nicht wie gewohnt an <strong>der</strong>Ostsee<br />

feiern“, sagt Karl-Heinz Pyritz<br />

im CliffHotel in Sellin aufRügen. Er<br />

ist eigentlich mit seiner Frau zum<br />

Wellnesswochenende gekommen,<br />

aber sitzt mit Hoteldirektor<br />

Peter Schwarzschonviele Stunden<br />

an<strong>der</strong>ChronikdesHauses.<br />

„Wir sind einHotel miteiner beson<strong>der</strong>en<br />

Geschichte. Das war<br />

nicht immer einfach, aber wir sind<br />

unsdessenbewusstundmanmuss<br />

sich seriös damit beschäftigen,<br />

weil es viele Gäste interessiert“,<br />

sagt Peter Schwarz. Er kam 1997<br />

aus Hessen nach Rügen und leitet<br />

seit 2008 das Cliff Hotel. Mit 246<br />

Zimmern und 125Mitarbeitern. Es<br />

istseit 2007imBesitz<strong>der</strong> Dr.Lohbeck<br />

Hotelgruppe mit insgesamt<br />

27 an<strong>der</strong>en Häusern inDeutschland,ÖsterreichunddenUSA.<br />

SED-Prominenzauf<br />

Sommerurlaub<br />

1978 wurde das Haus als Erholungsheim<br />

Baabe für das Zentralkomitee<br />

undPolitbüro<strong>der</strong> DDR eröffnet,gleichoberhalb<br />

<strong>der</strong> Ostsee.<br />

Zwei Bettenhäuser aus hellem<br />

Sandstein mit klaren geometrischen<br />

Formen, dazwischen aufsteigende<br />

Sonnenterrassen und<br />

VerbindungsbautenaufeinemGelände<br />

von 100 000 Quadratmetern.<br />

HansModrow,Günter Schabowski,<br />

Egon Krenz und all die an<strong>der</strong>en<br />

mit ihren Familien machten<br />

hier gern Sommerurlaub. Honecker<br />

übernachtete nur selten hier.<br />

Erweiltelieberauf<strong>der</strong>ruhigenInsel<br />

Vilm.DafürkamseineFrauMargot<br />

sehr gern. Denn hier wurde getanzt,gut<br />

gegessen und mantraf<br />

Derehemalige Hotel-ChefKarl-Heinz Pyritz (v.r.) und<strong>der</strong> amtierende Hotel-Direktor PeterSchwarz auf dem<br />

Dach desSelliner Cliff-Hotels –mit phantastischer Aussichtauf die Ostsee-Küste.<br />

FOTO: CHRISTIAN RÖDEL<br />

auf internationales Publikum aus<br />

über 130 Län<strong>der</strong>n. Nicht nur auf<br />

Gäste <strong>der</strong> sozialistischen Bru<strong>der</strong>län<strong>der</strong>,<br />

son<strong>der</strong>n auch auf Mitglie<strong>der</strong><br />

kommunistischer Parteien<br />

Frankreichs, Belgien, Italiens und<br />

<strong>der</strong>BRD.<br />

Im Herbst und Winter kamen<br />

die Kreis- und Bezirksfunktionäre<br />

<strong>der</strong> Republik.Das Gelände wurde<br />

rundherum gutbewacht. EinFahrstuhl<br />

bringt die Hotelgäste heute<br />

noch immer direkt an den Strand.<br />

Karl-Heinz Pyritz kennt das Haus<br />

seit 1976. Damals hatte er schon<br />

den Baustab bekocht, wieersagt.<br />

Später wurde er Küchenchef und<br />

1984 Gastronomischer Direktor.<br />

„Dann kam die Wende und alles<br />

überschlug sich“, erinnertsich <strong>der</strong><br />

74-jährige.„DerHoteldirektorwar<br />

nichtmehrerschienen.Aufseinem<br />

Schreibtisch lag <strong>der</strong> Schlüssel auf<br />

einem Zettel,woraufgeschrieben<br />

stand: ‚Ich wünsche Dir und dem<br />

HausvielGlück! .“<br />

SicherheitsrisikoimNovember<br />

1989<br />

Karl-Heinz Pyritz stellte sich ohne<br />

Zögern<strong>der</strong> Verantwortung,für die<br />

174 Mitarbeiterund dieSicherung<br />

des Hauses. „In <strong>der</strong> zweiten Novemberwoche1989ließich<br />

große<br />

weiße Kerzen, in Glasröhren geschützt,rundumdas<br />

Haus aufstellen<br />

und mit Einbruch <strong>der</strong> Dunkelheitanzünden.Verrückt,daswarja<br />

das Symbol <strong>der</strong> Friedensbewegungin<strong>der</strong>DDR.An<strong>der</strong>Vor<strong>der</strong>seite<br />

<strong>der</strong> Hotelhäuser ließ ich inbestimmten<br />

Zimmerndas Licht brennen<br />

und es schliefen immer Mitarbeiter<br />

im Haus“, erinnert er sich.<br />

„Zehn <strong>Tag</strong>e waren noch Gäste im<br />

Haus, dann konnten wir ihre Sicherheitnichtmehrgewährenund<br />

haben sie gebeten, bis 14.00 Uhr<br />

abzureisen“,erzähltPyritzweiter.<br />

Elke Gloser, langjährige Gästebetreuerin<br />

bis 2023, erinnert sich<br />

auch an Bombendrohungen.„Beson<strong>der</strong>s<br />

aufgebrachte Gäste aus<br />

den umliegenden FDGB-Ferienheimen,auch<br />

Selliner Bürger, wolltendas<br />

Haus stürmen“, erzählt Pyritz.<br />

„Sie schrien und hatten<br />

Gegenstände in denHänden. Ungefähr<br />

100Leute. Alsich sie beruhigenwollte,spürteicheinenStein<br />

an <strong>der</strong> Schulter.“ Diese 10bis 20<br />

Minuten erschienen ihm wie eine<br />

Ewigkeit. Am Ende hatten sie<br />

Gruppen in das Haus gelassen, ohne<br />

dass es größere Schäden gab.<br />

Da <strong>der</strong>Druck aus<strong>der</strong> Bevölkerung<br />

bezüglich des Hauses sehr hoch<br />

war, konnte man eine Erklärung<br />

am 14.12.1989in<strong>der</strong> OSTSEE-ZEI-<br />

TUNG lesen. Dort wurdebekanntgegeben,<br />

dass das Haus gegenwärtigzueiner<br />

Einrichtung mitöffentlichem<br />

Charakter umprofiliert<br />

werde, das Schwimmbad für die<br />

Öffentlichkeit freigegeben wird<br />

und dass die Mitarbeiter nicht<br />

mehr gewillt seien, denbisherigen<br />

Gästekreis zu den alten Bedingungenzuversorgen.<br />

NeustartaufdemfreienMarkt<br />

Karl-Heinz Pyritz entwickelte<br />

schnelldie Vision, dasHausinein<br />

Hotel zu überführen und sich auf<br />

dem freien Markt zu bewegen.<br />

Vier seiner Kollegen unterstützten<br />

ihn. „Wir konntendoch alles, warensehrgut<br />

ausgebildet“, sagt <strong>der</strong><br />

langjährige Küchenchef Roland<br />

Ehrich. Sie gründeten gemeinsam<br />

eine GmbH unter treuhän<strong>der</strong>ischer<br />

Verwaltung und eröffneten<br />

dasHausam2.1.1990 alsCliff Hotel<br />

mit einem neuen Logo. Pyritz<br />

war Geschäftsführer. „Es war die<br />

Herausfor<strong>der</strong>ungmeinesLebens“,<br />

sagterzuPeterSchwarz.<br />

„AmAnfangkamen vieleLeute<br />

ausden alten Bundeslän<strong>der</strong>n,das<br />

war für kleines Geld Riesen-Luxus“,<br />

erinnert sich Roland Ehrich,<br />

<strong>der</strong> bis 2021 als Küchenchef hier<br />

gearbeitet hat. Pyritz verließ das<br />

Hotel 1995. DieTreuhand verkaufte<br />

dasganze Areal.„Es istnatürlich<br />

über die Jahre viel verän<strong>der</strong>t und<br />

mo<strong>der</strong>nisiert worden. Auch Zimmerwurdenangebaut“,sagtPeter<br />

Schwarz.„Aberesgibtnocheinige<br />

Spuren ausden Anfängen. Die TürenimSchwimmbadzum<br />

Beispiel.<br />

Die hat Reginald Richter, <strong>der</strong> die<br />

große GlasblumeimPalast<strong>der</strong> Republik<br />

gestaltet hat, entworfen.<br />

Daraufsind wir sehrstolz. Und natürlichaufdieberühmtefreischwebende<br />

Dachkonstruktion inunseremSchwimmbadvon<br />

Ulrich Müther,<br />

<strong>der</strong> zuDDR- Zeiten weltweit<br />

gefragt war.“ Der Hoteldirektor<br />

vereint Geschichte und Zukunft<br />

undsagt:„Wirmüssenunsendlich<br />

lösen von diesem Ost-West-Gedanken.WirsinddochalleEuropäer<br />

und müssten auch Weltbürger<br />

sein“.


20 SONDERVERÖFFENTLICHUNG<br />

Friedliche Revolution–Wieein<br />

DDR-Kritiker dieerste Demoverpasste<br />

VONCARINA GÖLS<br />

Wutauf „die da oben“, aufdie<br />

Grünen, auf den Westen<br />

scheinen Gefühlsregungen<br />

<strong>der</strong> Abwehr im Osten zu sein.<br />

35 Jahre nach <strong>der</strong> Wende, die<br />

im Nordosten in Waren begann,<br />

erst recht?<br />

WAREN –Ausgerechnet an jenem<br />

<strong>Tag</strong>war er nicht da. Alsangehen<strong>der</strong><br />

Pastor war Vikar<br />

Christoph deBoor mit Kin<strong>der</strong>n<br />

zu einer Rüstzeit, während in<br />

„seiner“ Stadt, in Warenan<strong>der</strong><br />

Müritz, einStück Geschichte geschrieben<br />

wurde. Denn am<br />

Montag, dem 16. Oktober<br />

1989, setzten Freunde, Sympathisanten,<br />

Hoffnungsvolle, mutige<br />

Mitstreiter, Visionäre, Aufbegehrende,<br />

Väter, Mütter,<br />

Großeltern, Alte, Junge ... einen<br />

Meilenstein auf dem Weg <strong>der</strong><br />

friedlichen Revolution in <strong>der</strong><br />

DDR.<br />

Doch jener friedliche Abend<br />

in Waren, <strong>der</strong> heute auch von<br />

<strong>der</strong> Landespolitik so großgeschrieben<br />

wird –schließlich gilt<br />

er als „die erste Demonstration<br />

im Norden“. Sie warund istein<br />

ausschlaggeben<strong>der</strong> Grund, um<br />

dieStadt zum Gedächtnisortfür<br />

Mecklenburg-Vorpommern ernannt<br />

zu haben –jener Abend<br />

aber warnur einweiterer Schritt<br />

imReigen <strong>der</strong> subversiven Pläne<br />

an <strong>der</strong>Müritz. Und bei allen an<strong>der</strong>enwar<br />

Christoph de Boor dabei:Schon<br />

am 8. Oktober, als in<br />

seiner Wohnung in <strong>der</strong> Langen<br />

Straße 9inWaren –Frauen und<br />

Männer, Freunde, Bekannte ins<br />

Familien-Wohnzimmer drängten.<br />

Immer häufiger, immer intensiver<br />

wolltensie diesean<strong>der</strong>e<br />

DDRdiskutieren.<br />

Das erst 40 Jahre alte Haus<br />

„DDR“ hatteRisse bekommen –<br />

in <strong>der</strong> Wirtschaft, aber auch<br />

mehr und mehr inden Köpfen<br />

<strong>der</strong>er, die unter dem Dach <strong>der</strong><br />

Republik lebten, diesem Arbeiter-<br />

und Bauernstaat. „Dass da<br />

Spannungen, Wi<strong>der</strong>sprüche,<br />

dass die Wirklichkeit sich nicht<br />

so entwickelte, wie dieParteitage<br />

es beschlossen hatten, das<br />

haben alle gespürt.“<br />

Schwerin machte Warenzum<br />

zentralenErinnerungsort<br />

Die Freude war dann groß, als<br />

die Landesregierung 2018 entschied,<br />

die Stadt Waren zum<br />

zentralen Erinnerungsort an die<br />

friedlichen Demonstrationen im<br />

Herbst 1989 zu entwickeln.<br />

Zwar fiel dieBerliner Mauer und<br />

damit <strong>der</strong> Eiserne Vorhang am 9.<br />

Die Kunstinstallation„Perspektivenzur Freiheit“als Erinnerungszeichen<br />

zurfriedlichen Revolutionin<strong>der</strong> DDRwurde vorfünfJahrenvor <strong>der</strong> Georgenkirche<br />

in Waren eingeweiht. EinMann <strong>der</strong>erstenStunde in <strong>der</strong> Vorwende-ZeitinWaren<br />

warChristoph de Boor.<br />

FOTO: CARINA GÖLS/ZVG<br />

November 1989. Doch bereits<br />

am 16. Oktober 1989 fand in<br />

Waren <strong>der</strong> erste Demonstrationszug<br />

im Norden <strong>der</strong> DDR<br />

statt-mitrund400Teilnehmern.<br />

Noch vor den großen Städten<br />

machten sich hier nach dem Fürbittgottesdienstin<strong>der</strong><br />

St. Georgen<br />

Kirche mutige Menschen<br />

mit Kerzen in den Händen auf,<br />

um den öffentlichen Raum für<br />

sich zu beanspruchen. 35 Jahre<br />

istdas her.EineZeit, in <strong>der</strong> eine<br />

neue Generation wuchs, geprägt<br />

von den Werten <strong>der</strong> Altvor<strong>der</strong>en<br />

und den neuen Perspektiven<br />

gleichsam. So viel Zeit<br />

nach <strong>der</strong> politischen Wende im<br />

Land liegt ein an<strong>der</strong>er Blick auf<br />

den großen und kleinen MomentenjenerStunden,<strong>Tag</strong>eund<br />

Wochen einen. Zwischen Mauer-Zurückwünschern<br />

und<br />

Durchstartern liegen die ganz<br />

privaten Ängste, Ziele, Hoffnungen,<br />

Glück, Verlust und Stolz.<br />

Brüche und Aufbrüche <strong>der</strong><br />

Nachwendezeit, Pläne und Pleiten<br />

–all das haben auch die<br />

Wegbereiter von einst kennengelernt.<br />

Als die bunten Botschaften<br />

des Kapitalismus die<br />

des realen DDR-Sozialismus zu<br />

übertönen begannen, Helden<br />

wi<strong>der</strong> Willen geboren wurden<br />

und DDR-Durchhalteparolen<br />

neben westdeutscher Werbe-<br />

Lyrik zu verblassen begannen.<br />

„Demokratie ist nicht<br />

selbstverständlich“<br />

Weggehen o<strong>der</strong> bleiben?<br />

„Weggehen war fürmich keine<br />

Option,auchauschristlicherTradition.<br />

Ich war verheiratet, wir<br />

waren mit unseren Kin<strong>der</strong>n in<br />

Waren zuHause. Dass an<strong>der</strong>e<br />

gingen, das war okay.Ich wollte<br />

hierbleiben und hier etwas verän<strong>der</strong>n.“Gelang<br />

es?<br />

Christoph de Boor: „Wenn<br />

ich mich heute an die Friedliche<br />

Revolution vor35Jahren erinnere,<br />

denke ich zuerst daran, wie<br />

verletzlich und gefährdet unsere<br />

damals erkämpfte Demokratie<br />

geworden ist. In den letzten Jahren<br />

zeigt sich immer mehr, dass<br />

ein demokratisches Gemeinwesen<br />

und die Wahrung <strong>der</strong><br />

Grundrechtekeineswegsgleichsam<br />

naturgegeben und selbstverständlichsind.Siemüssengeschützt<br />

und aktiv bewahrt werden.“<br />

Der Blick nach Amerika<br />

unter Trump o<strong>der</strong> nach Ungarn<br />

unter Orban zeige, wie schnell<br />

dieDemokratie ausgehöhlt werden<br />

kann: Die Freiheit <strong>der</strong> Medien<br />

werde eingeschränkt und<br />

die unabhängige Gerichtsbarkeit<br />

werd unter Kontrolle gebracht.<br />

„Aus<strong>der</strong> Herrschaft des<br />

Rechts wird das Recht <strong>der</strong> Herrschenden.<br />

Mich erschreckt, mit<br />

welcher Selbstverständlichkeit<br />

insbeson<strong>der</strong>ePolitikerin<strong>der</strong>AfD<br />

solche Positionen offen vertreten<br />

und unser demokratisches<br />

System infrage stellen.“<br />

Blick überden <strong>deutschen</strong><br />

Tellerrand hilft<br />

Die „Spaltung in unseremLand“<br />

beschäftige ihn auch. „Essind so<br />

viele Probleme, denen wir uns<br />

stellenmüssen.DieCorona-Pandemie<br />

hatuns alle viel Kraft gekostetundgroßefinanzielleRessourcen<br />

gebunden. Der Klimawandel<br />

zwingt uns, die Nutzung<br />

fossiler Brennstoffe zu verringernunddieerneuerbarenEnergieträgerauszubauen,wennwir<br />

die Zukunft für unsere Kin<strong>der</strong><br />

und Enkel schützen wollen. Der<br />

russische Überfall aufdie Ukraine<br />

lässt uns keine Wahl, als die<br />

Ukraine materiell zu unterstützen<br />

und selbst viel mehr Mittel<br />

für die eigene Verteidigungsfähigkeit<br />

aufzubringen.“<br />

Bei aller Kritik an den Unzulänglichkeiten<br />

hierzulande helfe<br />

ihm auch <strong>der</strong> Blicküber denTellerrand<br />

Deutschlands hinaus,<br />

die Erkenntnis, „in einem reichen<br />

Land mit einer hohen sozialen<br />

Sicherung in Freiheitzuleben.“<br />

Einem Land, indem man<br />

Regierungsentscheidungen<br />

nicht willkürlichausgeliefert sei,<br />

son<strong>der</strong>n sie gerichtlich prüfen<br />

lassen könne. „Demokratie<br />

lohnt sich. Demokratie ist anstrengend.<br />

Heute ist esunsere<br />

Aufgabe, die 1989 in <strong>der</strong>friedlichen<br />

Revolution 1989erkämpfte<br />

Demokratie zu schützen und<br />

zu stärken.“


SONDERVERÖFFENTLICHUNG 21<br />

„Ichhabe damals alles umgetauscht“, Peter Kolzarek, langjähriger Filialleiter<br />

<strong>der</strong> BundesbankinRostock,über seinletztes DDR-Geld. FOTO:JAKOB GRAFE<br />

DDR-GeldimDDR-Alltagsmuseum: Einige <strong>der</strong>Münzenhaben heute<br />

einenhohen Sammlerwert.<br />

FOTO: ZVG/PRIVAT<br />

Unter Sammlern beliebt: DDR-Münzen<br />

sind heute teils tausendeEurowert<br />

VON TOM GRAFE<br />

DDR-Geld kann zwar nicht<br />

mehr umgetauscht werden,<br />

dennoch ist es unter Sammlern<br />

sehr beliebt. Einige <strong>der</strong><br />

Münzen sind heute mehrere<br />

Tausend Euro Wert. Der Hype<br />

um spezielle Münzen ist ungebrochen.<br />

Doch auch ein<br />

Blick auf die eigenen D-<br />

Markt-Rücklagen kann sich<br />

lohnen.<br />

ROSTOCK –Obwohl sich DDR-<br />

Geld nicht mehr umtauschen<br />

lässt, wechseln einige Münzen<br />

heute zu enormen Preisen Besitzer.Unter<br />

Sammlernund Liebhabernwerden<br />

teils tausende Euro<br />

aufgerufen –denn einige Geldstückehaben<br />

sichzuechten Raritätenentwickelt.<br />

„Nur für Sammler hat das<br />

DDR-Geld noch einen Wert“,so<br />

Peter Kolzarek, <strong>der</strong> ehemaligeFilialleiter<strong>der</strong><br />

Bundesbank in Rostock.<br />

Neben dem Hype umdie<br />

beson<strong>der</strong>en Fünf-, Zehn- o<strong>der</strong><br />

auch 20-Euromünzen, welche<br />

jedes Jahr in verschiedenen Versionen<br />

über die Bundesbank erscheinen,<br />

hätten es in MV auch<br />

viele Menschen auf das DDR-<br />

Geldabgesehen.<br />

Museum in Malchow stellt<br />

DDR-Geld aus<br />

Viel Geldbefindet sich nochimmer<br />

imBesitz von Privatpersonen.<br />

Sehen kann man esaber<br />

auch noch imDDR-AlltagsmuseuminMalchow.„Mit<br />

Ausnahme<br />

des 200erund 500er-Scheins<br />

stellen wir alle Münzen und<br />

Scheine <strong>der</strong> DDR aus“, so die<br />

Museumsleiterin, Susanne Burmeister.<br />

Auch heute werden<br />

dem Museum noch regelmäßig<br />

Scheine und Münzen von Besuchern<br />

angeboten. „Oft hören<br />

wir von unseren Besuchern<br />

auch: ‚Den Eintritt könnte ich<br />

auchinOstmarkzahlen “, sagt<br />

dieMuseumsleiterin.<br />

Über die Jahre habe sich das<br />

Geld angesammelt. Heute besitzt<br />

das Museum hun<strong>der</strong>te<br />

DDR-Mark. „Anfangs wollten<br />

vieledas Geldloswerden, für einige<br />

haben die Münzen heute<br />

aber noch einen emotionalen<br />

Wert“, so Susanne Burmeister.<br />

Die meisten DDR-Münzen bestehen<br />

aus Aluminium und haben<br />

daher keinen materiellen<br />

Wert. „Eine Ausnahme ist die<br />

20-Pfennig-Münze, die besteht<br />

aus einer Messing-Legierung“,<br />

soKolzarek.<br />

Trotz des geringen Wertes<br />

werden die Münzen heute über<br />

das Internet verkauft. Einige<br />

Ausgaben wie die 20-Pfennig-<br />

Münze aus denJahrenzwischen<br />

1956 und1990 sind sehrbeliebt.<br />

Ebenfalls beliebt sind DDR-Gedenkmünzen.<br />

Sowird die „20<br />

Mark Karl Marx Silbermünze“<br />

aus dem Jahr 1968. Für diese<br />

wird ein Preisfür fast5000 Euro<br />

aufgerufen. Der Wert entsteht<br />

laut Kolzarek überwiegend aus<br />

<strong>der</strong> geringen Auflage <strong>der</strong> Münzen<br />

in den jeweiligen Jahren.<br />

Auch Münzen von Mark Friedrich<br />

Schinkel o<strong>der</strong> Gottfried Wilhelm<br />

würden für dreistellige<br />

Summen den Sammler wechseln.<br />

Ehemaliger Leiter<strong>der</strong><br />

RostockerBundesbank über<br />

DDR-Geld<br />

Kolzarek ist in er DDR aufgewachsen.<br />

Vorseiner Zeit in Rostock<br />

hat erunter an<strong>der</strong>em in<br />

Cottbus gelebt. „DDR-Geld habe<br />

ichselbst nicht mehr“, sagt er.<br />

„Ich habe damals alles umgetauscht.“<br />

Bei <strong>der</strong> Bundesbank<br />

hat <strong>der</strong> 64-Jährige seit über 30<br />

Jahren gearbeitet. Eine seiner<br />

spannendsten Stationen war<br />

unter an<strong>der</strong>em die DDR-Zentralbank<br />

in Cottbus. Zur Wende<br />

mussteerdas DDR-Geldzeitweise<br />

in Geldsäcken wegschleppen.<br />

Auch wenn erselbst kein DDR-<br />

Geld mehrhat,sohat er sich aus<br />

<strong>der</strong> Zeit dennoch ein spannendes<br />

Andenken gesichert: das<br />

Türschild <strong>der</strong> DDR-Zentralbank.<br />

Dieses nahm er mit nach Rostock,als<br />

er voretwazehn Jahren<br />

in die Hansestadt kam. Dort lagert<br />

er es heute noch.<br />

Am 5. September dieses Jahreswurde<br />

Kolzarek alslangjähriger<br />

Leiter <strong>der</strong> Bundesbank in<br />

Rostock in den Ruhestand verabschiedet.<br />

Der Nachfolger steht<br />

mit Sven Lilienthal schon länger<br />

fest.<br />

12 Milliarden D-Marknoch<br />

nicht umgetauscht<br />

Bei diesem können künftig in<br />

Rostock noch D-Mark umgetauscht<br />

werden. „Ein Euro ist<br />

<strong>der</strong>zeit etwazwei D-Markwert“,<br />

sagt Kolzarek.Umtauschen könne<br />

man dieses Geld noch ohne<br />

Frist.„Mehr als12Milliarden D-<br />

Mark sind bisheute nicht umgetauscht<br />

worden“, sagt Kolzarek.<br />

„EinGroßteilliegt beiSammlern<br />

–o<strong>der</strong> gilt als verloren.“ Etwa<br />

sechs Milliarden Euro schlummern<br />

demnach noch in den<br />

<strong>deutschen</strong> Haushalten.<br />

Bemerkenswert: Zuletzt wurde<br />

wie<strong>der</strong> mehr Geld umgetauscht.<br />

Im vergangenen Jahr<br />

waren es rund 53 Millionen<br />

Mark,2022waren es nur49MillionenEuro.<br />

„Das hängt vermutlich<br />

damit zusammen, dass die<br />

Menschen realisieren, dass eine<br />

neue Währungsreform mit<br />

einem Wechsel auf D-Mark immerunrealistischer<br />

wird.Zudem<br />

erben viele junge Menschen<br />

noch D-Mark,welche siemeistin<br />

Euro umtauschen“, sagt Peter<br />

Kolzarek.


22 SONDERVERÖFFENTLICHUNG<br />

Turm 14 Jahrelang saniert<br />

VONINES SOMMER<br />

Während sich vielein<strong>der</strong> DDR<br />

in eine Wohnung inden schicken<br />

neuen Plattenbauten<br />

verliebten, nahm sich Frank<br />

Hoffmann ein beson<strong>der</strong>es<br />

Projekt zur Brust. Als er1974<br />

nach Stralsund kam, umeine<br />

hun<strong>der</strong>te Jahre alte Ruine zu<br />

sanieren, nannten sie ihn verrückt.<br />

Nun lebt erschon seit<br />

1988 in einem Teil des<br />

UNESCO-Weltkulturerbes.<br />

STRALSUND–So mancher, <strong>der</strong>in<br />

Stralsund über die Marienstraße<br />

zum Ärztehaus am Frankenwall<br />

läuft,stand sicherschon vor dem<br />

stets verschlossenenGittertor und<br />

fragte sich,wer hier wohl wohnt.<br />

„Wichmannsgang“stehtüber<strong>der</strong><br />

Tür–dahinter bietet sich ein AnblickwieaufeinMärchenschloss.<br />

Der Mann, <strong>der</strong>hier wohnt,lebt<br />

nicht nur in einem Denkmal mit<br />

Weltkulturerbe-Status,son<strong>der</strong>ner<br />

ist gleichzeitig <strong>der</strong>einzige Bewohner<br />

mit <strong>der</strong> Adresse Wichmannsgang.<br />

Denn auf diesem Grundstück<br />

gibt es nur noch ein Haus,<br />

und dasist mit <strong>der</strong>Nummer 2ein<br />

ehemaliger Wehrturm, <strong>der</strong> zur<br />

Stralsun<strong>der</strong>Stadtmauergehört.<br />

Zermürben<strong>der</strong>Wegbiszur<br />

Rettung<br />

FrankHoffmanniststolzaufdieses<br />

Stück Stadtgeschichte, daserretten<br />

konnte. Allerdings war es ein<br />

teilweise zermürben<strong>der</strong> Weg, bis<br />

er 1988 endlich mitFrau undzwei<br />

Kin<strong>der</strong>n hier einziehen konnte.<br />

„DaszerfalleneHaus,ausdemAnfang<br />

<strong>der</strong> 70er die letzten Mieter<br />

ausgezogen sind, gehörte damals<br />

<strong>der</strong> Gebäudewirtschaft, und die<br />

mussteschnell Wohnraumbesorgen,dakonnteman<br />

sich nicht mit<br />

so einer aufwendigen Sanierung<br />

herumschlagen. Die waren froh,<br />

als 1974 ein Verrückter kam und<br />

sagte:Ichmach’das“,erinnertsich<br />

Hoffmann.<br />

„Erst beim Aufmaß undbei <strong>der</strong><br />

genauen Prüfung merkte ich, in<br />

welch jämmerlichem Zustand das<br />

Haus war.“Aber mit Anfang 30<br />

schreckteinensoetwasnicht,man<br />

krempeltdie Ärmel hoch undlegt<br />

los, so sein Rückblick.Schnellwar<br />

klar: Eine Sanierung imBestand<br />

war für den Wehrturm und den<br />

später erfolgten Anbau nicht<br />

möglich. „Ich musste den Anbau<br />

komplett erneuern. Es gab nicht<br />

einfach so Handwerker. Oberschüler<br />

undStudenten, die sich etwas<br />

dazuverdienen wollten, aber<br />

auch Maurer,die nachFeierabend<br />

halfen, unterstützten mich. Stein<br />

für Steinwurde abgetragen“, berichtet<strong>der</strong>heute81-Jährige.<br />

Hoffmannkam 1968 nach dem<br />

Architekturstudium in Weimar in<br />

die Hansestadt, heuerte beim Rat<br />

<strong>der</strong>StadtimBauamtan,woeinBüro<br />

für Stadtplanung aufgebaut<br />

werden sollte, undwar künftig für<br />

den Denkmalschutz verantwortlich,<br />

viele Jahre als „One-Man-<br />

Show“.<br />

SovielPlatzhattenichtje<strong>der</strong><br />

„Beson<strong>der</strong>s eng habe ich mit Käthe<br />

Rieck zusammengearbeitet,<br />

daswar eine schöneZeit, ichhatte<br />

in meiner Arbeitrelativfreie Hand.<br />

Und ich hatte ein Netzwerk, das<br />

ichnatürlichfür dieSanierung des<br />

Turms mit nutzen konnte. Auch<br />

wennmanselbstplantundorganisiert,<br />

du brauchst ja dasMaterial,<br />

und alles kann manauchnicht alleinemachen.Ich<br />

hattegute Kontaktezur<br />

PGH Fortschritt, die mich<br />

mit Mörtel versorgte. Alleine drei<br />

Tischlerhaben an <strong>der</strong>Treppe in die<br />

Obergeschosse mitgewirkt.“ Für<br />

dieWärmeimTurmsorgtbisheute<br />

eine Fußbodenheizung –damals<br />

eine Sensation. „Die hat die TGA<br />

mitihrerLehrlingsabteilungeingebaut.“<br />

1988 konnten die Hoffmanns<br />

in den sanierten Wehrturm<br />

einziehen. 100 Quadratmeter<br />

Wohnflächehattendie Eltern und<br />

ihrebeidenKin<strong>der</strong>zur Verfügung.<br />

„Die Mädchen hattenihr Domizil<br />

unterm Dach. Jede ein eigenes<br />

Zimmer,das hatte ja auch nicht jede<br />

Familie“, so <strong>der</strong> Papa. Schlafzimmer<br />

mit vielen Fenstern,<br />

Wohnbereich mitFernseher,mehrere<br />

Arbeitszimmer, Bad mit Dusche<br />

und Ausblick auf den Teich<br />

gehören heuteebenso zum Wohnen<br />

im Turm wie eine große<br />

Wohnküche im Erdgeschoss–mit<br />

einemFenstersogroßwieimStralsun<strong>der</strong>Rathaus.<br />

Nichtje<strong>der</strong>wollteindiePlatte<br />

ziehen<br />

„Ich hätte damals niemals gedacht,dassich<br />

so lange brauche.<br />

Entrümpelung, Aufmaß, Statikprüfung,<br />

Planungen, Genehmigungen,<br />

das hat alles Jahre gebraucht,<br />

zumal wirjaviele Sachen<br />

am Bau nur im Sommer machen<br />

konnten.“ Aber aufzugebenkam<br />

für Frank Hoffmannnicht infrage.<br />

„Dawar einerseitsmeineEhreals<br />

Architekt. Und ich wollte in <strong>der</strong><br />

Stadt auch zeigen, dass man so<br />

eineSanierung schaffenkann, sozusagen<br />

als Beispiel für an<strong>der</strong>e.<br />

Dennnicht je<strong>der</strong>wollteindie Platteziehen.Esgabeinige,denendas<br />

Herz blutete, wennsie sahen, wie<br />

sträflich man mit den Häusern in<br />

<strong>der</strong>Altstadtumging.“<br />

Es wareine Zeit,die FrankHoffmann<br />

zu schaffen machte. „Ich<br />

hab’ mirjeden <strong>Tag</strong>überlegt, welchen<br />

Weg ich zur Arbeit nehme,<br />

um nicht nur an verfallenen Häusern<br />

vorbeizukommen...“Gab es<br />

Architekt Frank Hoffmann wohntineinem denkmalgeschütztemHaus,<br />

mitten im Stralsun<strong>der</strong> Weltkulturerbe.<br />

FOTO: INES SOMMER<br />

gar keinen Lichtblick? „Doch, die<br />

Sachen,die wiran<strong>der</strong> Stadtmauer<br />

o<strong>der</strong> imSchele-Haus zusammen<br />

mitdenPolenrekonstruierthaben,<br />

machten einen schon stolz. Aber<br />

forciert wurde janur <strong>der</strong> Plattenbau,<br />

um schnellviel Wohnraumzu<br />

schaffen. Deshalb hatte ich auch<br />

gekündigt, ließ mich aber breitschlagen,<br />

solange zubleiben, bis<br />

Ersatzdawar.“Derkamirgendwie<br />

nie. Schließlich blieb<strong>der</strong> gebürtige<br />

Oberlausitzer bis 1994 Angestellter<strong>der</strong>Stadt.„Mit<strong>der</strong>Wendewurde<br />

es ja noch mal spannend, wir<br />

spürten so eine Euphorie. Und wir<br />

freuten uns, dassStralsund ausgesucht<br />

wurde als Beispiel für die<br />

Städtebauför<strong>der</strong>ung“, denkt <strong>der</strong><br />

Mann, <strong>der</strong> mittlerweile alleine<br />

„Herr“ über sechs Etagen Weltkulturerbe<br />

ist, gern zurück. Sein<br />

selbstsaniertesDenkmalhaterübrigens<br />

erst nach <strong>der</strong> Wende gekauft.<br />

Heute kann man auf allen Etagen<br />

des Hauses im Wichmannsgang<br />

2die Spuren eines prall gefüllten<br />

Arbeitslebens sehen. Zahlreiche<br />

Pläne, Zeichnungen und<br />

Architektenrollen zieren Tische,<br />

Schränke und Regale. Denn seitdemsichFrankHoffmann1994als<br />

Architekt selbstständig machte,<br />

haterjedeMengeBaustellenbetreut.„Ichhabeimmernochvielzu<br />

tun. Lei<strong>der</strong>hatte mich Coronalänger<br />

außer Gefecht gesetzt. Aber<br />

jetzt erhole ich mich langsam“,<br />

sagternickend und schiebthinterher:<br />

„Ichmussendlichdie Befundübersichtfür<br />

dieKlostersanierung<br />

aufschreiben.“<br />

Eine historische Ansicht vomTurm im<br />

Wichmannsgang. FOTO: INES SOMMER


SONDERVERÖFFENTLICHUNG 23<br />

EinWohngebietinSelmsdorf: Die Grenzgemeinde hatsich nach <strong>der</strong>Wende enorm entwickelt.<br />

Selmsdorf–früher Sperrgebiet,<br />

heuteauf <strong>der</strong>ÜberholspurimNorden<br />

FOTO:DIETMAR LILIENTHAL<br />

VON MICHAEL MEYER<br />

Die Gemeinde, diebis 1989 an<br />

<strong>der</strong> inner<strong>deutschen</strong> Grenze im<br />

Nirgendwo lag, ist seit <strong>der</strong><br />

Wende mit Neubaugebieten<br />

und Gewerbeansiedlung zu<br />

einer Perle in Mecklenburg<br />

mit 3200 Einwohnern gewachsen.<br />

SELMSDORF –Dort war nichts.<br />

Stacheldraht, Grenztürme,<br />

Grenzsoldaten. Das war die<br />

Realität vonSelmsdorf –damals<br />

im nordöstlichsten Zipfel <strong>der</strong><br />

DDR war die Gemeinde die<br />

nördlichste Grenzübergangsstelle<br />

zur Bundesrepublik<br />

Deutschland und somit Sperrgebiet.Nochheute<br />

zeugen hier<br />

Kasernenanlagen in Selmsdorf<br />

o<strong>der</strong>auchimbenachbartenLü<strong>der</strong>sdorf<br />

von <strong>der</strong> Zeit irgendwo<br />

im Nirgendwo zwischen den<br />

beiden Deutschlands bis zum<br />

Herbst 1989.<br />

Vor dem Mauerfall hatte<br />

Selmsdorf 870 Einwohner, kurz<br />

nach <strong>der</strong> Wende 1471 und so<br />

gut wiekeinGewerbe.Dort war<br />

nixlos und dort wolltekaumkeiner<br />

hin 1990. Und die, die dort<br />

lebten, wollten erstmal weg.<br />

Über Jahrzehnte dann waren<br />

Selmsdorf und auf <strong>der</strong> westlichen<br />

Seite Schlutup das Nadelöhr<br />

<strong>der</strong>Bundesstraße 105in<strong>der</strong><br />

Verbindung zwischen A1, Lübeck<br />

und Mecklenburg-Vorpommern.<br />

Nach demjahrzehntelangen<br />

Nichts kam <strong>der</strong> jahrelange<br />

Dauerstau.<br />

Autobahn-Bau brachte neue<br />

Chancen<br />

Dann kam die A20und seitdem<br />

geht es mit den ehemaligen<br />

Grenzgemeinden – heute<br />

Speckgürtel von Lübeck und<br />

Einzugsregion von Hamburg,<br />

auf <strong>der</strong> östlichen Seite Grevesmühlen,Wismar,<br />

Schwerinund<br />

demrecht wohlhabenden westlichen<br />

Teil Nordwestmecklenburgs<br />

bis hin ins schleswig-holsteinische<br />

Ratzeburg –bergauf.<br />

Jetzt leben rund 32oo Menschen<br />

inden Ortsteilen Selmsdorf,<br />

Hof Selmsdorf, Lauen,<br />

Sülsdorf, Teschow und Zarnewenz.<br />

Selmsdorf –hier findet<br />

man vielleicht eine <strong>der</strong> blühenden<br />

Landschaften, die <strong>der</strong> frühere<br />

Bundeskanzler Helmut<br />

Kohl(1930-2017) zur Wendeso<br />

euphorisch versprochen hatte.<br />

Die Gemeinde hat ein Bevölkerungswachstum<br />

von überdurchschnittlichen<br />

1,8 Prozent<br />

und weist seit Jahren neue<br />

Wohn- und Gewerbegebiete<br />

aus. ProJahrnimmt<strong>der</strong> Ort 4,23<br />

Millionen Euro an Gewerbesteuerein.<br />

Bürgermeister:„Wirleben<br />

vom Zuzug“<br />

Das erste Neubaugebiet „Am<br />

Tannenwald“ wurde 1998 erschlossen.2001<br />

ging es mitden<br />

Wohngebieten Am Sandberg,<br />

Flöhkamp,AmWasserwerk und<br />

Mühlenbruch weiter. Zwei weitereBaugebiete„Am<br />

Dorfpark“<br />

und innerorts „An <strong>der</strong> Dorfkirche“<br />

sindinPlanung.Jetzt gehe<br />

es erstmal um Lückenschlussim<br />

Dorf, sagt Bürgermeister MarcusKreft<br />

(SPD).<br />

Dazu Gewerbegebiete. Kreft<br />

sagt:„Wirleben vomZuzug.Bei<br />

uns sind Bauanträge in<strong>der</strong> RegelindreiMonaten<br />

durch.“Die<br />

Gewerbegebiete An <strong>der</strong> Trave<br />

und Herrenwykerscamp sind<br />

etabliert mit Unternehmen aus<br />

<strong>der</strong> Region.HierfindetsichMedizintechnik<br />

mit Lübeck-Bezug,<br />

Logistik, Lasertec o<strong>der</strong> Gartenmöbelversand.<br />

Das neue Gewerbegebiet<br />

Kurzstucken wurde<br />

in Rekordzeit geplant. Mehr<br />

als 70 Prozent <strong>der</strong>Grundstücke<br />

sind verkauft.Dortwirdgebaut.<br />

Der Ort hat eine Grundschule,<br />

drei Kitas, fünf <strong>Tag</strong>esmütter.<br />

Alle Grundschulkin<strong>der</strong> sind<br />

wohnungsnah eingeschult.<br />

Standen vor wenigen Jahren<br />

noch 80 Kin<strong>der</strong> auf den Wartelisten<br />

<strong>der</strong> Kin<strong>der</strong>tagesstätten,<br />

sind nun alle Kinnings untergebracht,<br />

obwohl Selmsdorf seitdem<br />

gewachsen ist. Im Dorf,das<br />

hübschund aufgeräumtwie ein<br />

großes Wohnzimmer mit Kopfsteinpflaster<br />

wirkt, gibt es zwei<br />

För<strong>der</strong>vereine, drei Sportvereine,<br />

Jugendclub, Bibliothek,<br />

Bolzplatz, BMXParcours,Waldspielplatz<br />

und Spielplatz an <strong>der</strong><br />

Kirche, Bäcker,Supermarkt, Piz-<br />

BürgermeisterMarcus Kreftspricht<br />

über denAufschwung vonSelmsdorf<br />

nach <strong>der</strong>Wende.<br />

FOTO:DIETMAR LILIENTHAL<br />

zeria. Die Feuerwehr wird neu<br />

gebaut. Und seit einem Jahr ist<br />

Selmsdorf jeden Mai fest in<strong>der</strong><br />

Hand schottischer Clans. Die<br />

Highland-Games mit Baumstammwerfen,<br />

Axtwurf, Steinstoßen<br />

undall solchemUrkraft-<br />

Gedöns haben sie2022den Kielernabgeluchst.<br />

Selmsdorf bietet einen Mix<br />

aus Neubaugebieten, Gewerbeansiedlung,<br />

dörflicher Struktur,<br />

Kultur, Freizeit, Sport und<br />

Verkehrsanbindung mit<strong>der</strong> Nähe<br />

zu denAutobahnen A1und<br />

A20sowie zudrei Häfen und<br />

Flughäfen. Und dazu: Ostsee-<br />

Idylle nahe Priwall und Strand<br />

mit <strong>der</strong> Halbinsel Teschow zwischen<br />

Trave, Pötenitzer Wiek,<br />

Dassower See und dem Waldgebiet<br />

Palinger Heide. Blühende<br />

Ortschaft.


Unsere<br />

Einladung<br />

#MVwow<br />

Großes<br />

Bürgerfest<br />

in Schwerin<br />

2.-4.Oktober<br />

2024<br />

VereintSegel setzen und gemeinsamfeiernin<br />

Schwerin.Rund um den<strong>Tag</strong> <strong>der</strong>Deutschen<br />

<strong>Einheit</strong> ladenMecklenburg-Vorpommern und<br />

dieLandeshauptstadt herzlichein.Erleben Sie<br />

einbuntes Programm fürdie ganzeFamilie.<br />

FindedeinenPlatz im Land zumLeben.<br />

www.mvtutgut.de

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