Tag der deutschen Einheit
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Son<strong>der</strong>veröffentlichung<br />
3. Oktober<br />
TAG<br />
<strong>der</strong> Deutschen<br />
EINHEIT<br />
zu Gastin<br />
Mecklenburg-Vorpommern<br />
Verfälschter Blickauf dieWende<br />
35 Jahrenachdem Mauerfall kursieren<br />
falsche Interpretationen<strong>der</strong> Ereignisse,<br />
die zur<strong>Einheit</strong> führten.-Seite9<br />
Erfolgsgeschichte in West und Ost<br />
DDR-Häftling, Stuntman,Theatermacher<br />
-die Geschichtevon PeterHick -Seite 17<br />
FOTO: RALF GOSCH,MADPIXBLUE (BEIDE STICK.ADOBE.COM)
2 SONDERVERÖFFENTLICHUNG<br />
„Natürlich darf man<br />
auf die deutsche Fahne stolz sein“<br />
VONGABRIEL KORDS<br />
UND PHILIPPE DEBIONNE<br />
Im Interview erzählt Manuela<br />
Schwesig, warum es <strong>der</strong> Osten<br />
bis heute im politischen<br />
Diskurs schwer hat -und was<br />
sie für „Schwarz-Rot-Gold“<br />
empfindet.<br />
SCHWERIN –• Frau<br />
Schwesig, was bedeutet<br />
Ihnen die Deutsche<strong>Einheit</strong><br />
heute?<br />
Die Friedliche Revolution und<br />
die Deutsche <strong>Einheit</strong> sind für<br />
mich ein Riesen-Glücksfall <strong>der</strong><br />
<strong>deutschen</strong> Geschichte, vorangebracht<br />
durch all die mutigen<br />
Menschen in Ostdeutschland.<br />
Bei allen Problemen, bei allen<br />
Baustellen und Diskussionen:<br />
Ohne die <strong>Einheit</strong> gäbe es vieles<br />
nicht,waswirheutehaben.Freiheit<br />
und Demokratie – aber<br />
auch sanierte Städte, sanierte<br />
Straßen, mo<strong>der</strong>ne Unternehmen,<br />
die Möglichkeit zureisen,<br />
frei unsere Meinung zu sagen,<br />
Pressefreiheit und freie Wahlen<br />
Alldas istmittlerweileselbstverständlich<br />
für uns. Aberesist gut,<br />
ab und zu maleinen <strong>Tag</strong>zuhaben,<br />
an dem man sich auch<br />
rückbesinnt. Undsichauch klar<br />
macht: Unterm Strich ist die<br />
Deutsche <strong>Einheit</strong> das Beste, was<br />
passieren konnte.<br />
• Das sagenSie so. Aber<br />
viele Ost- und auchmanche<br />
Westdeutschehaben bis<br />
heute keinenFrieden mit<strong>der</strong><br />
Wie<strong>der</strong>vereinigungmachen<br />
können.<br />
Ich glaube, für viele Ostdeutsche<br />
ist es ein großes Problem,<br />
dass aufBundesebene nurdann<br />
über den Osten geredet wird,<br />
wenn es Probleme gibt o<strong>der</strong><br />
Wahlergebnisse, die man sich<br />
im Westen nicht erklärenkann.<br />
Der Ostenmussaberanallen <strong>Tag</strong>en<br />
ernst genommen werden.<br />
Und: Nach 1989 sind bei vielen<br />
Menschen Verletzungen entstanden,<br />
über die bis heute<br />
kaum geredet wurde. Inje<strong>der</strong><br />
Familie gab es damals Menschen,<br />
die sichverän<strong>der</strong>n mussten,<br />
und das war oft schmerzhaftundunfreiwillig.Ichhabees<br />
selber in meiner Familieerlebt.<br />
• Siewaren 15 Jahre alt, als<br />
dieMauer fiel...<br />
Für mich und meinen Bru<strong>der</strong>hat<br />
sich mit <strong>der</strong> <strong>deutschen</strong> <strong>Einheit</strong><br />
vieles eröffnet und ermöglicht.<br />
Ohnedie <strong>Einheit</strong>würde ichnicht<br />
Ministerpräsidentin desschönsten<br />
Bundeslandes sein. Aber<br />
meine Elternhabenauchdie an<strong>der</strong>e<br />
Seite <strong>der</strong> Wie<strong>der</strong>vereinigung<br />
erlebt. Mein Vater etwa<br />
hat seit seinem 16. Lebensjahr<br />
hart gearbeitet, als Schlosser<br />
und Heizer auf einem Baubetrieb.<br />
Der Betrieb war marode<br />
und1990war meinVater dann<br />
auf einmal arbeitslos. Anschließend<br />
hat er mal diesen Job gemacht<br />
und dann diesen, war<br />
ständig auf Montage, immer<br />
aufdem Bau, immer zu schlechtenLöhnen.<br />
Biserdann irgendwann<br />
nicht mehr konnte. Und<br />
heutemuss er miteiner kleinen<br />
Rente klarkommen. Mich hat<br />
kaumeineZeitinmeinem Leben<br />
sogeprägtwiedie<strong>der</strong>Arbeitslosigkeit<br />
meiner Eltern. Wenn<br />
man alsKindauf einmalmerkt,<br />
dass dieEltern, diedocheigentlich<br />
jeden Morgen aus dem<br />
Haus gehen und immer für die<br />
Familie sorgen, auf einmal ein<br />
großes Problem haben.<br />
• Wird darüberheute zu<br />
weniggeredet?<br />
Geredet wird darüber schon.<br />
Aber viele Menschen im Osten<br />
haben das Gefühl, dass nie so<br />
richtig anerkannt und gesehen<br />
wurde, wie schwierig diese Jahre<br />
fürdie Menschen waren.Und<br />
wir machen eben tatsächlich<br />
auch dieErfahrung, auch ich als<br />
Politikerin, das ostdeutsche<br />
Problemeimmer erst dann ernst<br />
genommen werden, wenn sie<br />
auch im Rest von Deutschland<br />
ankommen.<br />
• Zum Beispiel?<br />
Antwort: Die Landesregierung<br />
hat in<strong>der</strong> letzten Wahlperiode<br />
eine Bundesratsinitiative zur Sicherung<br />
<strong>der</strong> Kin<strong>der</strong>stationen in<br />
den Krankenhäusern gestartet.<br />
Es dauert über ein Jahr, bis wir<br />
dafür eine Mehrheit gefunden<br />
haben. Und erst jetzt, wodas<br />
Problem auch im Westenangekommenist,tut<br />
sichwirklich etwas.<br />
O<strong>der</strong> nehmen Sie die Debatte<br />
umden Wolf. Dafür hat<br />
man die ost<strong>deutschen</strong> Bundeslän<strong>der</strong><br />
lange belächelt. Bis es<br />
plötzlich auch Probleme im<br />
Westen gab; dakam dann die<br />
Umweltministerin zumVor-Ort-<br />
Termin. Nicht zu uns, son<strong>der</strong>n<br />
nach Nie<strong>der</strong>sachsen.<br />
• Dabeikönnte <strong>der</strong>Westen<br />
auch vom Osten lernen.<br />
Das findet ja sogarstatt,eswird<br />
nurnichtlautgesagt. Die heutigen<br />
medizinischen Versorgungszentren<br />
etwa habenihren<br />
Vorläufer in den DDR-Polikliniken.<br />
Unddie Fortschritte bei<strong>der</strong><br />
Kin<strong>der</strong>betreuung auf Bundesebene<br />
wären ohne die ErfahrungenundPrägungenausdem<br />
Osten nichtmöglich.<br />
• Im Westen gibtesbis<br />
heute Menschen,die sich<br />
einfachnicht mit<br />
Ostdeutschland<br />
auseinan<strong>der</strong>setzen wollen,<br />
die bislangnoch nichtein<br />
MalimOsten waren. Wie<br />
kann mandie erreichen?<br />
Indem man sieeinlädt. Unddafür<br />
gibt es kein schöneres Bundesland<br />
als Mecklenburg-Vorpommern.Wirsindjaeinbeliebtes<br />
Tourismusland. Wenn ich in<br />
Deutschland unterwegs bin, sagenviele:<br />
„Oh, wirwaren schon<br />
mal bei ihnen, und das ist total<br />
schön.“ Dasist ja schonmal eine<br />
schöne Eintrittskarte.Ich glaube<br />
grundsätzlich, sich selber ein<br />
Bild vor Ort zu machen, ist immer<br />
das Allerbeste. Deswegen<br />
laden wir auch zum <strong>Tag</strong> <strong>der</strong><br />
Deutschen <strong>Einheit</strong> ein, was wir<br />
im Rahmen <strong>der</strong> Bundesratspräsidentschaftjanur<br />
alle 16 Jahre<br />
können. Damit haben wir die<br />
Riesen-Chance, unser Land zu<br />
präsentieren. Die Landeshauptstadt<br />
steht im Mittelpunkt. Und<br />
was kann es Besseres geben als<br />
dieses Jahr, wowir auch noch<br />
MV-MinisterpräsidentinManuela Schwesig freut sich darauf, tausende Gäste<br />
in Schwerin willkommenzuheißen.
SONDERVERÖFFENTLICHUNG 3<br />
Welterbe geworden sind! Deshalb<br />
ist meineBotschaftanalle,<br />
dienochnicht im Ostenwaren:<br />
Kommt und schautihn euch selberan.<br />
Unser Landist dafür bestens<br />
geeignet. Ihr seid herzlich<br />
willkommen! Unddass wir auch<br />
gastfreundlich sind, beweisen<br />
wir seit vielen, vielen Jahren<br />
–übrigens auch schon zu DDR-<br />
Zeiten.<br />
• Wirfeierndie <strong>Einheit</strong><br />
dieses Jahr in Zeiten, in<br />
denen vielewahrnehmen,<br />
wie immermehr ins<br />
Rutschen kommt –auchvon<br />
den Dingen, dieman immer<br />
für sichergehaltenhat.<br />
Ich kann dieses Gefühl gut verstehen.<br />
Nach <strong>der</strong>FriedlichenRevolution<br />
haben viele gedacht,<br />
auch ich: So kanneswun<strong>der</strong>bar<br />
weitergehen. Wirhaben erwartet,<br />
dass sich Demokratie, Freiheit<br />
und Frieden weiter durchsetzen,<br />
in Europa und <strong>der</strong> ganzen<br />
Welt. Aber spätestens seit<br />
FOTO:BERND WÜSTNECK/DPA<br />
demAngriffskrieg vonRussland<br />
aufdie Ukraineist <strong>der</strong> Frieden in<br />
Europabedroht.Die Menschen<br />
sehen auch die vielen an<strong>der</strong>en<br />
schweren Konflikte. Und die<br />
Wahrheit ist doch, dass wir mit<br />
unserer Artzuleben in <strong>der</strong>Min<strong>der</strong>heit<br />
sind. Die Mehrheit <strong>der</strong><br />
Menschen auf diesem Planeten<br />
lebt im Kriego<strong>der</strong>inDiktaturen.<br />
• VieleMenschen haben<br />
aktuellAngst davor,dass<br />
sich dieVerhältnisse<br />
hierzulande weiter<br />
verschlechtern.<br />
Jede Generation wünscht sich,<br />
dass es fürdie nächste besser ist.<br />
Und ja, in Bürgergesprächen<br />
nehme ich tatsächlich sehr<br />
deutlich wahr, wie viele Menschen<br />
Zukunftssorgen haben.<br />
Gerade ältere Menschen, die<br />
auch schon Krieg und Nachkriegszeit<br />
erlebt haben, aber<br />
auch die mittleren Generationen,<br />
die heute Eltern sind. Und<br />
ich kann das gut nachvollziehen.<br />
Wenn man sich fragt, wie<br />
man damit umgeht, hat man<br />
entwe<strong>der</strong> die Möglichkeit, Sorgen<br />
und Ängste zu schüren.<br />
O<strong>der</strong> aber sich den Problemen<br />
zu stellen undzuversuchen,Lösungen<br />
zu finden. Ich gehöre<br />
zur zweiten Gruppe.<br />
• Zurück zum3.Oktober,<br />
<strong>der</strong>jazugleich auch unser<br />
Nationalfeiertag ist. Was<br />
verbinden Siejenseits<strong>der</strong><br />
<strong>Einheit</strong>mit diesem <strong>Tag</strong>?<br />
Es istvor allemauch<strong>der</strong> <strong>Tag</strong><strong>der</strong><br />
Bundesrepublik, also einer Nation,<br />
die sich aus den Bundeslän<strong>der</strong>n<br />
zusammensetzt. Wir<br />
feiern andiesem <strong>Tag</strong>auch die<br />
Län<strong>der</strong>vielfalt. Wiegroßdas Geschenk<br />
<strong>der</strong> Deutschen <strong>Einheit</strong><br />
ist, kann mansehrgut daranablesen,<br />
dass damals alle etwas<br />
dazu bekommen haben: Der<br />
Westen hatunsereOstsee dazu<br />
bekommen und <strong>der</strong> Osten hat<br />
dieAlpendazu bekommen.<br />
• Wasbedeutet es fürSie,<br />
Deutsch zu sein?<br />
Es heißt, zu einem Land zu gehören,<br />
dass sich in den vergangenen75Jahrenaus<br />
den Trümmern<br />
<strong>der</strong> verheerenden Hitlerjahreundeinemweltweitenmillionenfachen<br />
Massenmordwie<strong>der</strong><br />
aufgebaut hat. Und zu<br />
einem Land geworden ist, das<br />
international anerkannt ist.<br />
Dass wirtschaftlich stark ist,<br />
auch wenn wirdieseStärkegerade<br />
sichern müssen. Und dass<br />
wir uns, bei allem Streit, auf<br />
Grundwerte einigen können,<br />
dieinunserem Grundgesetzbeschrieben<br />
sind. All das ist eine<br />
Leistung,aufdiewirgemeinsam<br />
stolz seinkönnen.<br />
• Darf manseinen<br />
Nationalstolz auch mit<strong>der</strong><br />
<strong>deutschen</strong> Fahne zeigen?<br />
Die Debatte kamgeradezur<br />
EM wie<strong>der</strong>auf.<br />
Natürlich darf man. Und mein<br />
Eindruck ist eigentlich, dass wir<br />
diese Debatte mit <strong>der</strong> Fußball-<br />
WM 2006 überwunden haben.<br />
Ichsehe das jedenfallstotal entspannt<br />
und unverkrampft und<br />
trageauchgernebeiSportereignissendie<br />
<strong>deutschen</strong> Farben im<br />
Gesicht. Undich wargeradebei<br />
Olympia in Paris und vorher<br />
auch bei<strong>der</strong> EM in Deutschland,<br />
unddawarenreihenweisedeutscheFahnenzusehen.<br />
• Undjenseitssportlicher<br />
Ereignisse?<br />
Darf manauf die deutscheFahne<br />
auch stolz sein und sie auch<br />
zeigen. Wir Deutschen müssen<br />
zwar immer aufpassen, dass<br />
Schwarz-Rot-Gold nicht von<br />
den Falschen gekapert wird.<br />
Undnatürlich müssen wir an die<br />
Verbrechen erinnern, die Nazi-<br />
Deutschland –übrigens unter<br />
einer an<strong>der</strong>en Fahne –begangen<br />
hat. Deshalb habe ich das<br />
Gedenken an dieOpfer des Nationalsozialismus<br />
auch zu einem<br />
Schwerpunkt meiner Bundesratspräsidentschaft<br />
gemacht.<br />
Denn meine Generation trägt<br />
zwar keine Schuld an diesen<br />
schrecklichen Verbrechen, aber<br />
es ist unsere Verantwortung,<br />
daranzuerinnern. Unddafür zu<br />
sorgen, dass so etwas nie wie<strong>der</strong><br />
passiert. Das Logo zu unseremMotto<br />
zur Bundesratspräsidentschaft–„Vereint<br />
Segel setzen“<br />
–ist jaebenfalls Schwarz-<br />
Rot-Gold. Wirdruckendas momentan<br />
auf alle Briefe und<br />
Schriftstücke <strong>der</strong> Landesregierung.<br />
Und ich fühle mich wohl<br />
damit.<br />
• Wasdürfendie Bürger<br />
am 3. Oktober in Schwerin<br />
erwarten?<br />
Wirladen unter unserem Motto<br />
„VereintSegelsetzen“zueinem<br />
Bürgerfestvom2.bis4.Oktober<br />
ein. Unser Land wird sich auf<br />
einer MV-Meile präsentieren,<br />
genauso aber auch alle Verfassungsorgane<strong>der</strong><br />
Bundesrepublik.<br />
Eine <strong>Einheit</strong>smeile erinnert<br />
an die Deutsche<strong>Einheit</strong>.Und es<br />
wird eine Län<strong>der</strong>meile <strong>der</strong> 15<br />
an<strong>der</strong>en Bundeslän<strong>der</strong> geben.<br />
Zudem treten Künstler aus MV<br />
undganzDeutschlandauf zahlreichen<br />
Bühnen auf. Ich freue<br />
mich aufRoland Kaiser undauf<br />
Juli. Zum Schluss gibt es am<br />
Sonntag,dem 6. Oktobernoch<br />
den ZDF-Fernsehgarten,<strong>der</strong> aus<br />
Schwerin gesendet wird. Wir<br />
werden vieleMöglichkeitenhaben,für<br />
unser Landzuwerben.
4 SONDERVERÖFFENTLICHUNG<br />
Ossi o<strong>der</strong>Wessi?<br />
Dasist kein Themafür dieses Paar<br />
VONFRANK WILHELM<br />
Christina Lück-Oppermann<br />
und ihr Mann Roman haben<br />
sich Mitte <strong>der</strong> 1990er-Jahre in<br />
Neubrandenburg kennenund<br />
liebengelernt. Siestammt aus<br />
Vorpommern, er aus dem<br />
Saarland.<br />
NEUBRANDENBURG–Und Liebe<br />
geht wohl doch durch den<br />
Magen! Zumindest bei Christina<br />
Lück-Oppermann und Roman<br />
Oppermann. Vor fast 20<br />
Jahren haben sich beide kennengelernt.<br />
Der Saarlän<strong>der</strong> Roman<br />
hatte 1995 als wissenschaftlicher<br />
Assistent an <strong>der</strong><br />
Hochschule Neubrandenburg<br />
angefangen. Die acht Jahre<br />
Jüngere Christina kam aus<br />
einem kleinen Dorf aus Vorpommern<br />
nach Neubrandenburg<br />
und stand kurz vor dem<br />
Abschluss ihres Studiums im<br />
Fachbereich Soziale Arbeit.<br />
„Ein gemeinsamer Bekannter<br />
schleppte Roman damals<br />
mit in meine WG“, erinnert sie<br />
sich. InHochschulkreisen hättensich<br />
ihre Kochkünste bereits<br />
Impressum<br />
Verleger<br />
Nordkurier Mediengruppe GmbH & Co. KG<br />
Friedrich-Engels-Ring 29, 17033 Neubrandenburg<br />
Komplementärin: Nordkurier Mediengruppe<br />
Verwaltungs GmbH<br />
Verlag und Redaktion 0395 4575-0<br />
Geschäftsführung: Lutz Schumacher, Holger Timm<br />
Anzeigen: Birgit Klockow<br />
Redaktion<br />
Chefredakteur und verantwortlich für den Inhalt<br />
Philippe Debionne 0395 4575-405<br />
Konzeption und inhaltliche Betreuung<br />
Carsten Schönebeck 0395 4575-286<br />
Kay Steinke (Ostsee-Zeitung)<br />
Druck<br />
SV Druck GmbH & Co. KG<br />
Flurstraße 2, 17034 Neubrandenburg<br />
Diese Son<strong>der</strong>veröffentlichung erscheint am<br />
17. September 2024 in <strong>der</strong> Gesamtausgabe von<br />
Nordkurier, Schweriner Volkszeitung, Norddeutsche<br />
Neueste Nachrichten und Ostsee-Zeitung.<br />
Sie stammt ausdem Osten, er ausdem Westen:Christina Lück-Oppermannund RomanOppermann leben und<br />
arbeitenseit vielenJahreninNeubrandenburg.<br />
FOTO: FRANK WILHELM<br />
herumgesprochen. „Christina<br />
kann wirklich gut kochen, aber<br />
ich fand sie vor allem inihrer<br />
ganzen Art attraktiv“, gab Roman<br />
Oppermann 2009 für den<br />
Band „Doppelbett. Ost-West-<br />
Paare“ zu Protokoll. Die Journalistin<br />
Christine Stelzer und<br />
<strong>der</strong>Fotograf Bernd Lasdinporträtierten<br />
59 Ost-West-Paare<br />
aus dem Nordosten, natürlich<br />
auch, um Konflikte beziehungsweise<br />
Befindlichkeiten<br />
auszuloten.<br />
Dieabergab es bezüglich<strong>der</strong><br />
Herkunft bei den Oppermanns<br />
von Anfang annicht. „Osten<br />
o<strong>der</strong> Westen? Das war und ist<br />
für uns kein Thema“, sagt<br />
Christina Lück-Oppermann.<br />
Aus ihrer Sicht würde <strong>der</strong> Konflikt<br />
eher von außen am Köcheln<br />
gehalten. „Ich habe aber<br />
auch von Anfang angeglaubt,<br />
dasseseinekomplette Generation<br />
braucht, ehe das Thema<br />
ausden Köpfen raus ist.“<br />
KeinThema fürdie Töchter<br />
Dashabeihr dieältesteTochter<br />
bestätigt. Julia (25) hat nach<br />
ihremAbitur eineWork&Travel-<br />
Reise durch Neuseeland unternommen,<br />
danach in Marburg<br />
Psychologie studiert samt<br />
einem Semester an <strong>der</strong> Universität<br />
im holländischen Nijmegen.<br />
Jetzt lebt sie in Leipzig.<br />
„Für sie und ihre Altersgenossen<br />
ist es kein Thema mehr, ob<br />
man aus dem Osten o<strong>der</strong> Westen<br />
kommt“, sagt Christina<br />
Lück-Oppermann. Auch ihre<br />
zweite Tochter Clara (23) ist<br />
flügge geworden. Sie lebt in<br />
ihrereigenen WohnunginNeubrandenburg<br />
und absolviert<br />
eine Ausbildung als Kauffrau<br />
für Büromanagement. Statt<br />
Ost-West-Unterschiede zu definieren,<br />
waren beide eher neugierig<br />
auf den Lebensweg des<br />
an<strong>der</strong>en in eineran<strong>der</strong>enWelt.<br />
Christina Lück-Oppermann<br />
hatte –schon bevor sie ihren<br />
Roman kennenlernte – bei<br />
einer Reise nach Nürnberg ein<br />
Lebensgefühl kennengelernt,<br />
dassie so ausihrer Heimat nicht<br />
kannte. „Es war dolce vita mit<br />
viel Gelassenheit.“ Von ihrem<br />
Mann habe sie viel über seine<br />
religiöse Sozialisation erfahren<br />
unddabei „selbst das Bedürfnis<br />
nach Glauben und Halt entwickelt“.<br />
Auch Roman Oppermann<br />
wollteehernicht wissen,<br />
wie das denn nun wirklich mit<br />
<strong>der</strong> Staatssicherheit gewesen<br />
sei. „Ich wollte einen Menschen<br />
kennenlernen.“<br />
Beide sind zusammen längst<br />
angekommen in Neubrandenburg:<br />
Er ist in<strong>der</strong> Hochschule<br />
Professor für Krankenhaus-Betriebswirtschaftslehre.<br />
Sie ist<br />
tätig in <strong>der</strong> Öffentlichkeitsarbeit<br />
<strong>der</strong> Polizei in Neubrandenburg.<br />
Politisch engagieren<br />
sie sich für die SPD. Christina<br />
Lück-Oppermann istzudemaktiv<br />
in<strong>der</strong> evangelischen St. Michaels<br />
Gemeinde und sie singt<br />
im Volkschor Neubrandenburg.<br />
Ein Erklärungsversuch mit<br />
Gregor Gysi<br />
Dass angesichtsdes sehr unterschiedlichenWahlverhaltens<br />
im<br />
Osten und Westen Deutschlands<br />
das Ost-West-Thema<br />
wie<strong>der</strong> hochkocht, beschäftigt<br />
die Oppermannssehr.„Ich hätte<br />
nicht erwartet,dass dasnoch<br />
einmal so ein großes Thema<br />
wird“, sagt Oppermann, <strong>der</strong><br />
den langjährigen Frontmann<br />
<strong>der</strong> Linken, Gregor Gysi, für<br />
einen Erklärungsversuch zitiert:<br />
Mit dem Untergang <strong>der</strong> DDR<br />
seien die Menschen, die in <strong>der</strong><br />
DDRgelebthaben,nicht untergegangen.<br />
Auch wenn sich die beiden<br />
Neubrandenburger um die Entwicklung<br />
im Osten sorgen,<br />
werden sieihrer Heimat vorerst<br />
die Treue halten. Ihre Eltern leben<br />
in Murchin, ihre Zwillingsschwester<br />
in Stavenhagen.<br />
„Hier ist meine Familie.“ Auch<br />
Roman Oppermann, aufgewachsen<br />
in einem „gutbürgerlichen<br />
Elternhaus“ an <strong>der</strong> Mosel<br />
und am Rhein, fühlt sich<br />
längst wohl am Tollensesee,<br />
auch wenn er sich, wie er sagt,<br />
schon ein bisschen indie Sachsen-Metropole<br />
Leipzig verliebt<br />
hat.
SONDERVERÖFFENTLICHUNG 5<br />
DasJahr,das für DDR-Bürger<br />
alles wie<strong>der</strong> auf null setzte<br />
VONSIMON VOIGT<br />
Als die DDR zusammenbrach,<br />
öffneten sich für Millionen<br />
Menschen neue Türen. Zum<br />
<strong>Tag</strong><strong>der</strong> Deutschen <strong>Einheit</strong> suchen<br />
wir Ihre Geschichten, Erfahrungen<br />
undGedanken.<br />
NEUBRANDENBURG/SCHWERIN<br />
–Als die Weltzeituhr genau Null<br />
Uhr anzeigte, brach <strong>der</strong> Jubel los.<br />
TausendeBerlinerfeiertenaufdem<br />
Alexan<strong>der</strong>platz in <strong>der</strong> Nacht zum<br />
1. Juli 1990 die Einführung <strong>der</strong>D-<br />
Mark in <strong>der</strong>DDR. Der <strong>Tag</strong>markierte<br />
zugleich einen weiteren Schritt<br />
zum Ende des Staates,indem sie<br />
geboren und aufgewachsen waren.<br />
Fürdie Menschenauf diesem<br />
Fotowurde 1990 alleswie<strong>der</strong> auf<br />
Jubelzur Nacht <strong>der</strong>Währungsunion<br />
am Berliner Alexan<strong>der</strong>platz.<br />
FOTO: THOMAS TÜRÜLÜMOW<br />
Anfang gesetzt. Mit Schule und<br />
Ausbildungwarensievielleichtgerade<br />
fertig,haben dieersten Jahre<br />
in <strong>der</strong> Planwirtschaft gearbeitet<br />
und nun standen ihnen plötzlich<br />
alle Möglichkeiten offen: einen<br />
Beruflernen, aufden sie vielleicht<br />
mehrLusthaben,umzieheninden<br />
Westen,dochnochstudieren.<br />
34 Jahre ist das schon her und<br />
weil die Feierlichkeiten zum <strong>Tag</strong><br />
<strong>der</strong>Deutschen <strong>Einheit</strong>am3.Oktober<br />
indiesem Jahr in Schwerin<br />
stattfinden, wollen wir im Heimweh-Newsletter<br />
einmal mehr zurückblicken.FürvieleunsererLeserinnen<br />
und Leser krempelte sich<br />
mit <strong>der</strong> Wende das ganze Leben<br />
um. Plötzlich war alles möglich<br />
und die Zukunft musste o<strong>der</strong><br />
konnte nicht mehr in<strong>der</strong> Heimat<br />
stattfinden.<br />
Wasbedeutetdie<strong>Einheit</strong>für<br />
Sie?<br />
GernekönnenSiesichmitIhrenErfahrungen<br />
melden. Wie hat die<br />
Wende IhrLeben verän<strong>der</strong>t? Sind<br />
Siefortgezogen undwie ist es Ihnen<br />
ergangen? Waren Sie vielleicht<br />
sogar aufgrund von mangelnden<br />
Perspektiven gezwungen,zugehen?SindSiewie<strong>der</strong>zurückgekehrt?<br />
WelcherPlan istgescheitert?<br />
Was ist <strong>der</strong> größte Gewinn<br />
<strong>der</strong><strong>Einheit</strong>? Washat Sie enttäuscht?<br />
Manche sind mit <strong>der</strong> Wende<br />
und <strong>der</strong> <strong>Einheit</strong> auch erst auf die<br />
Ideegekommen,überhaupt nach<br />
Mecklenburg, Vorpommern, in<br />
diePrignitz o<strong>der</strong>die Uckermarkzu<br />
ziehen. Auch solche Geschichten<br />
von Zugezogenen interessieren<br />
uns.<br />
Schreiben Sie uns an heimweh@nordkurier.de<br />
o<strong>der</strong> postalisch<br />
an Nordkurier Redaktion,<br />
„Stichwort Heimweh“, Friedrich-<br />
Engels-Ring 29, 17034 Neubrandenburg.Wirfreuenuns!<br />
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Lidllohnt sich<br />
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die Bürger <strong>der</strong> Stadt<br />
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Terminvereinbarung unter<br />
01521-4327452<br />
Abhol-Hotline<br />
0385-34356845<br />
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JAHRE
6 SONDERVERÖFFENTLICHUNG<br />
„ErschütterungerstarrterVerhältnisse“<br />
kannimOsten kaum jemanden schrecken<br />
VONMICHAEL SEIDEL<br />
Warum tickt <strong>der</strong> Osten politisch<br />
so an<strong>der</strong>s? Es dürfte viel<br />
mit den Besserwissern westdeutscher<br />
Prägung zutun haben,<br />
schreibt unser Autor Michael<br />
Seidelindiesem Essay.<br />
NEUBRANDENBURG –ZuBeginn<br />
<strong>der</strong> 1990er Jahre war ich davon<br />
ausgegangen, dass wir Deutschen<br />
uns bald nicht mehr nach<br />
Himmelsrichtungen definieren,<br />
jedenfalls nicht nach Ost und<br />
West, son<strong>der</strong>n danach, wer wir<br />
sind,waswirkönnen,waswirleisten.<br />
In einem größer und spannen<strong>der</strong><br />
und mo<strong>der</strong>ner gewordenenDeutschlandmitten<br />
in einem<br />
liberalen und freiheitlichen Europa.<br />
Doch35Jahre nach demMauerfall<br />
kommeich so oftwie niezuvor<br />
in die Rolle des „Ost-Erklärers“.<br />
Immerhin: Inzwischen interessieren<br />
sich Menschen, warum<br />
„dieOssis“vermeintlichsoan<strong>der</strong>s<br />
sind. Fast drei Jahrzehnte wurde<br />
wohl einfachvorausgesetzt, dass<br />
dieOst<strong>deutschen</strong>,obSachseo<strong>der</strong><br />
Mecklenburger, genausowerden<br />
wie„dieWest<strong>deutschen</strong>“. Ja,wie<br />
sind die eigentlich? Ist <strong>der</strong> Bayer<br />
wie <strong>der</strong> Nie<strong>der</strong>sachse?Der Westfale<br />
wie <strong>der</strong>Schwabe? Findeden<br />
Fehler!<br />
DerOstenalsAbweichung<br />
von<strong>der</strong>westlichenNorm<br />
Frühere Son<strong>der</strong>ausgaben zum<br />
15., zum 20. o<strong>der</strong> 25. Jubiläum<br />
<strong>der</strong> Deutschen <strong>Einheit</strong> o<strong>der</strong> des<br />
Mauerfalls, strotzten nur so vor<br />
Schönrednerei. Natürlich enthieltensieimmeraucheinpaarArtikel<br />
überdie„nichtsoschönenAspekte“<br />
<strong>der</strong> deutsch-<strong>deutschen</strong> Vereinigung,<br />
diedejurewie de facto<br />
ein Beitritt war -aber immer so<br />
eingeordnet, dass dies nur vorübergehendeDefiziteseien,diebestimmt<br />
bald abgestellt seien. Eine<br />
Mehrheit<strong>der</strong> Leser wolltedas vielleichtauchsosehen.<br />
Aber ein Teil <strong>der</strong> Gesellschaft<br />
sah ihreLebensumbrüchenie angemessen<br />
wi<strong>der</strong>gespiegelt, oft<br />
sogar übertüncht. Erst Massen-,<br />
dann Jugend- und Langzeitarbeitslosigkeit,<br />
Abwan<strong>der</strong>ung,<br />
Diskreditierung ostdeutscher Berufsabschlüsse,<br />
Deindustrialisierung,<br />
Lohnabstand, Rentenlücke<br />
etc. In <strong>der</strong> medialen Wahrnehmung,<br />
das belegen diverse Studien,<br />
tauchte „<strong>der</strong> Osten“ nur<br />
auf, wenn „etwasInteressantes“<br />
geschah-unddaswarin<strong>der</strong>Regel<br />
negativ: Stasi, Doping, Nazis,<br />
Fremdenfeindlichkeit. Der Osten<br />
als Abweichung von <strong>der</strong> west<strong>deutschen</strong>Norm.<br />
DerOstenalsAbweichung<br />
von<strong>der</strong>westlichenNorm<br />
Der Leipziger Medienwissenschaftler<br />
Lutz Mükke formulierte<br />
2021 die These, dass „westdeutschgeprägte<br />
Medien, die im<br />
besserwisserisch-belehrenden<br />
‚Auslandsduktus über die neuen<br />
Bundeslän<strong>der</strong> berichtet haben“,<br />
zum Vertrauensverlust beitrügen.<br />
Wie aber soll ernsthafter<br />
Diskurs entstehen, wenn je<strong>der</strong><br />
Wi<strong>der</strong>spruch, jede Kritik, jede<br />
eigene Vorstellung o<strong>der</strong> gar Wi<strong>der</strong>stand<br />
gegen wirtschaftliche<br />
o<strong>der</strong> politische Entscheidungen<br />
als Störung stattals Bereicherung<br />
weggewischt wurden und sich<br />
zudem „kein originär ostdeutschesüberregionalesLeitmedium<br />
etablierenkonnte,dasimgesamt<strong>deutschen</strong><br />
Diskurs ostdeutsche<br />
Perspektiven hätte einbringen<br />
können“?<br />
Wenn <strong>der</strong> DDR-Sozialisierte<br />
eines kannte, dann Schönrednereiund-schreiberei<strong>der</strong>einststaatlich<br />
gelenkten Medien. Daher<br />
rührt wohl auch ein Teil des Vertrauensverlustes<br />
gegenüber den<br />
heutigen Medien, obgleich die<br />
Pressezumindestdurchweginprivatwirtschaftlicher<br />
Hand ist und<br />
auch <strong>der</strong> öffentlich-rechtliche<br />
Rundfunk weit wegist voneinstiger<br />
Staatslenkung durch eine<br />
„Abteilung Agitation und Propaganda<br />
beim ZK <strong>der</strong> SED“, dieich<br />
als Volontär desDDR-Fernsehens<br />
nochmiterlebte.<br />
Fehlen<strong>der</strong>Willezu<br />
gesamtdeutscherErneuerung<br />
„Tatsächlich istdie deutscheVereinigung<br />
nicht die eindeutige Erfolgsgeschichte,<br />
für die sie zu-<br />
In Thüringen istdie AfD inzwischen stärkste Kraft im Landtag. An<strong>der</strong>e ostdeutsche<br />
Bundeslän<strong>der</strong> könntenfolgen.<br />
FOTO:HANNES P. ALBERT/DPA<br />
Cover-Karikatur zu 30 Jahre mediale Spaltung<br />
FOTO:G.MESTER/OTTO-BRENNER-STIFTUNG<br />
Rundeine MillionDDR-Bürger nahmen am 4.11.1989an<strong>der</strong> ersten vomVolk<br />
ausgehenden genehmigtenDemonstration in <strong>der</strong>DDR teil.
SONDERVERÖFFENTLICHUNG 7<br />
„Kommt dieDMbleiben wirkommt<br />
sie nicht geh'nwir zu ihr!“ist auf<br />
einem Transparentzulesen,das ein<br />
Paar beieiner Montagsdemonstration<br />
am 12.2.1990 in Leipzigmit<br />
sichführt. FOTO:WOLFGANGWEIHS<br />
FOTO: DPA/ARCHIV<br />
nächst gehalten wurde –das ist<br />
mittlerweile auch in den politischen<br />
Institutionen angekommen“,<br />
schreibt Sozialforscherin<br />
Prof. Kerstin Brückweh von <strong>der</strong><br />
Europa-Universität Viadrina in<br />
einem Essay. Zu denhäufigangeführten<br />
Rechtfertigungen für die<br />
Unwuchten <strong>der</strong> Einigungsgeschichte<br />
zählt laut Brückweh <strong>der</strong><br />
enorme Zeitdruck,unterdem die<br />
deutsche <strong>Einheit</strong> vollzogen wurde,<br />
„aber auch ein fehlen<strong>der</strong><br />
westdeutscher Wille“ zu einer<br />
ernsthaften Verfassungsreform.<br />
Zuman<strong>der</strong>enabergeltendie verpassten<br />
Chancen einer selbstbestimmten<br />
Reform <strong>der</strong> ost<strong>deutschen</strong><br />
Medienlandschaft als ein<br />
Grundfehler–sieheLutzMükke.<br />
WerdasfüreinewehleidigeOssi-Jammerei<br />
hält,dem seidie Forschungsarbeitvon<br />
Dr.Mandy Tröger<br />
empfohlen. Eine Arbeit zur<br />
Transformation <strong>der</strong>ost<strong>deutschen</strong><br />
Medienlandschaft, die wohlgemerkt<br />
keine <strong>der</strong> von west<strong>deutschen</strong><br />
Lehrstuhlinhabern dominierten<br />
ost<strong>deutschen</strong> Universitätenermöglichte,<br />
son<strong>der</strong>n erst die<br />
UniversitätIllinoisinden USA, wie<br />
Trögerselbsteinmalsagte.Ihr Ergebnis:<br />
„Waren die politischen<br />
Proteste desHerbstes 1989 in <strong>der</strong><br />
DDRgetragenvom Ruf nach Medien-undPressefreiheit,eröffnete<br />
sich mit dem Jahr 1990 bundes<strong>deutschen</strong><br />
Verlagen ein neuer<br />
Markt, densie frühdurch aggressive<br />
Strategien zu erschließenversuchten.“Und<br />
diesüberwiegend<br />
diametralgegen dieIntentionen<br />
<strong>der</strong> letzten DDR-Regierung wie<br />
auch <strong>der</strong>deutsch-<strong>deutschen</strong> Verhandlungskommission.<br />
„Wesentliche<br />
Reformziele <strong>der</strong> DDR-<br />
Bürgerbewegungen, wiedie Zerschlagung<br />
struktureller Pressemonopoleo<strong>der</strong><strong>der</strong><br />
Aufbau einer<br />
basisdemokratischen Presse,blieben<br />
damit chancenlos“, konstatierteTröger.<br />
„WirwollenfürdieBürger<br />
<strong>der</strong>DDR<br />
Informationsfreiheitsofort<br />
undnichtaufRaten.Die<br />
gesellschaftspolitische<br />
Verpflichtung<strong>der</strong><br />
Großunternehmen[...]findet<br />
indemjetzigenVorgehen<br />
ihrerealemedienpolitische<br />
Ausprägung.““<br />
Gerd Schulte-Hillen,<br />
Vorstandsvorsitzen<strong>der</strong>vonGruner<br />
+Jahr, am19.März1990<br />
Fehlen<strong>der</strong>Willezu<br />
gesamtdeutscherErneuerung<br />
Das medienpolitischeZielwaren<br />
eigenständige DDR-Medien, die<br />
ihre eigenen Reformprozesse begleiten<br />
sollten. Um die gute Absicht<br />
war es jedoch schnell geschehen.Unter<br />
demDruck,noch<br />
vorden letztenund diesmal freien<br />
Volkskammerwahlen am 18.<br />
März 1990 hinreichendenmedialenEinfluss<br />
(imSinne<strong>der</strong> „Allianz<br />
für Deutschland“) zu gewinnen,<br />
hießdas Bonner Bundesinnenministerium<br />
gemäß einer Verabredung<br />
mit den bundes<strong>deutschen</strong><br />
Zeitungsverlegerverband BDZV<br />
jedoch allerlei „hemdsärmelige<br />
Aktivitäten inrechtlichen Grauzonen“<br />
ausdrücklich gut (nachzulesen<br />
imBundesarchiv). „Ziel<br />
desBMI wares, vorden Wahlen in<br />
<strong>der</strong> DDR einen Informationsfluss<br />
zu sichern,<strong>der</strong> starkvon bundesrepublikanischen<br />
parteipolitischen<br />
Interessen beeinflusst<br />
war“, konstatiert Tröger.Mehrere<br />
Versuche des DDR-Medienministeriums,<br />
politischdagegen vorzugehen,seienerfolglosgeblieben.<br />
Undsowurde es zu einem<strong>der</strong><br />
„Treppenwitze“ <strong>der</strong> Vereinigungsgeschichte:<br />
Keine<strong>der</strong> bürgerbewegten<br />
Zeitungs-Neugründungen<br />
überlebte dieseTurbo-Privatisierung,aber<br />
auch keine<br />
<strong>der</strong> Zeitungen <strong>der</strong> sogenannten<br />
Blockparteien (CDU, NDPD,<br />
LDPD, DBD).Übrig blieben ausgerechnetdieeinstigenBezirksorgane<br />
<strong>der</strong>SED,die insbeson<strong>der</strong>e <strong>der</strong><br />
Springer-Verlag jahrzehntelang<br />
als„Propagandaschleu<strong>der</strong>n“bekämpft<br />
hatte.DDR-MedienministerGottfriedMüllernotierteinseinem<br />
<strong>Tag</strong>ebuch, „das alte SED-<br />
Monopol bei Bezirkszeitungen“<br />
ginge zusammen „mit neuem<br />
MonopolausdemWesten“.<br />
Parteimitgliedschaftgilt<br />
vielenalskontaminiert<br />
Eine ähnliche Distanzwie zu den<br />
Medien gibt esgegenüber einer<br />
Mitgliedschaft o<strong>der</strong> garMitarbeit<br />
in Parteien und <strong>der</strong>en Ritualen<br />
und Exerzitien, weil „Parteidisziplin“<br />
seit DDR-Zeiten kontaminiertist.DieMitwirkungangesellschaftlichen<br />
Aushandlungsprozessenhältsichdeshalb<br />
in engen<br />
Kreisen, dievon <strong>der</strong>Masse alselitär<br />
o<strong>der</strong> lebensfremd, jedenfalls<br />
alslängstnicht repräsentativangesehenwerden.<br />
Doch dasist nundie zweiteAbsurdität<br />
<strong>der</strong> deutsch-<strong>deutschen</strong><br />
Geschichte: Ein nicht unerheblicher<br />
Teil <strong>der</strong>ost<strong>deutschen</strong> Gesellschaft,<br />
<strong>der</strong> sich fremdbestimmt,<br />
ungesehenundabgehängt fühlt,<br />
wendet sichnun einerimWesten<br />
gegründeten, von West<strong>deutschen</strong><br />
dominierten und sich ostdeutsches<br />
Revolutionspathos unzulässig<br />
aneignenden Partei mit<br />
radikaler, in sich wi<strong>der</strong>sprüchlicher<br />
undidentitärerProgrammatikzu.Dasscheintparadox.<br />
DochwomöglichistdiesesPhänomen<br />
gar nicht inhaltlich begründet.Vielleichtliegtdie„Weisheit<br />
dieser Vielen“ gerade darin,<br />
dass den Provokateuren jene Erschütterungerstarrter<br />
Verhältnisse<br />
zugetraut wird, die echtengesamt<strong>deutschen</strong><br />
Verän<strong>der</strong>ungsdruck<br />
erzeugt, zu <strong>der</strong>man selbst<br />
nicht imstande ist. Denn zumindest<br />
diese Erfahrung haben Ostdeutsche<br />
verinnerlicht –egal ob<br />
sie 1989 Akteur o<strong>der</strong> Zuschauer<br />
waren: Man kann ein erstarrtes<br />
SystemzumEinsturzbringen.<br />
„Die,diezufeigewarenin<br />
<strong>der</strong>Diktatur,rebellierenjetzt<br />
ohneRisikogegendie<br />
Demokratie.Den<br />
Bequemlichkeiten<strong>der</strong><br />
Diktaturjammernsienach,<br />
unddieMühen<strong>der</strong><br />
Demokratiesindihnen<br />
fremd.“<br />
WolfBiermann,Lie<strong>der</strong>macherund<br />
DDR-Dissident<br />
DasProblem:Ohneprogrammatische<br />
Vorstellungdavon,wie „das<br />
An<strong>der</strong>e“aussehensoll,dürftediesesExperimentnochweitausverheeren<strong>der</strong><br />
ausgehen als die<br />
deutsch-deutsche Vereinigung.<br />
Es seidenn, die (noch) liberalund<br />
demokratische gesinnte Mehrheit<br />
rauft sich zusammen –und<br />
greift die Mahnungen und Lösungsvorschläge<br />
ihrer ost<strong>deutschen</strong><br />
Parteifreunde ernsthaft<br />
auf, stattsie einmal mehrals lästig<br />
undstörendwegzuwischen.<br />
ZumAutor: MichaelSeidel(59)<br />
war von 2009 bis 2013 Chefredakteurdes<br />
Nordkurier undanschließendbis<br />
2024 <strong>der</strong>SchwerinerVolkszeitung.Seit2024ist<br />
er<br />
Head of Communications<strong>der</strong> SV<br />
Gruppe, die Nordkurier und<br />
Schweriner Volkszeitung herausgibt.
8 SONDERVERÖFFENTLICHUNG<br />
Die erste Fahrt nach Lübeck: „Esging<br />
Stoßstange an Stoßstange genWesten“<br />
VONWERNER GESKE<br />
DieWichtigkeitdes 9. November<br />
1989 wurde OZ-Reporter<br />
Werner Geskeerst am 10. November<br />
bewusst –als er in seinem<br />
Wartburg als erster Rostock-Reporter<br />
über dieSelmsdorfer<br />
Grenze nach Lübeck<br />
fuhr.<br />
ROSTOCK/LÜBECK – Ich habe<br />
diesen historischen Augenblick<br />
verschlafen. Ja,ich gebe zu, dass<br />
ich fest geschlafen habe, als die<br />
Mauer am Abend des9.November<br />
1989 fiel. Andiesem Abend<br />
hatte ichmir die Pressekonferenz<br />
zur Neuregelung von Reisen <strong>der</strong><br />
DDR-BürgerinswestlicheAusland<br />
mit Spannung im Fernsehen angesehen.<br />
Doch den kryptischen<br />
Worten von Günter Schabowski,<br />
Sekretär des Zentralkomitees <strong>der</strong><br />
SED, entnahm ich jedoch nicht,<br />
dass damit nun die Grenze zur<br />
Bundesrepublikfürje<strong>der</strong>mannoffensei.AlsoabinsBett!<br />
NichtaufAnweisungvon<br />
obenwarten<br />
Wasich da verschlief, wurde mir<br />
jedoch amnächsten Morgen sofortklar,alsichdasRadioeinschalte.Die<br />
Grenzöffnung warjedoch<br />
nicht ganz unerwartet gekommen.<br />
Überall in <strong>der</strong>DDR gibt es im<br />
Herbst 1989 Proteste, überall<br />
herrschtUnmut,überallgehendie<br />
Menschen auf die Straße. Der<br />
DruckaufdieRegierendenwächst<br />
täglich.Andiesem Morgen nach<br />
dem Mauerfall geht es auf den<br />
Flurenund in denArbeitsräumen<br />
<strong>der</strong>RedaktionzuwieineinemBienenschwarm.<br />
Überall stehen Redakteure,<br />
Volontäre undSekretärinnen<br />
zusammen und diskutierendie<br />
Geschehnisse.„Wiesolles<br />
nun weitergehen?“, istdie meist<br />
gestellteFrage.EineersteAntwort<br />
darauf gibt die Redaktionskonferenz<br />
gegen10Uhr: „Wir können<br />
nichtauf Anweisungenvon oben<br />
warten, son<strong>der</strong>n müssen dieDinge<br />
selbst in die Hand nehmen.<br />
Deshalb machen wir uns an Ort<br />
undStelleeinBildundfahrendazu<br />
selbst an die Grenze und weiter<br />
nach Lübeck!“ Gemeint sinddamit<br />
mein Fotografen-Kollegen<br />
Hartmut Klonowski und ich. Wir<br />
sollenunsinsAutosetzenundgen<br />
Westenfahren.Esgehtjedochbereits<br />
aufMittagzu, alswir die behördlicheGenehmigungfürunsere<br />
Ausreise in denHändenhalten.<br />
Damit geht essofort zur Staatsbank.Umtauschvon<br />
15 Mark <strong>der</strong><br />
DDR in 15 DM. Das ist obligatorisch.<br />
Gegen13Uhr steigen wirin<br />
unseren„Wartburg“.Spätestens<br />
um 20 Uhr,solautet<strong>der</strong> Auftrag,<br />
sollenwir wie<strong>der</strong>inRostock sein.<br />
Denn: „Die Druckmaschinenwarten<br />
nicht!“ Wi<strong>der</strong>Erwarten kommen<br />
wir auf<strong>der</strong> Fernverkehrsstraße<br />
105 in Richtung Grenzübergang<br />
Selmsdorf zunächst gutvoran.<br />
Im milchigen Sonnenlicht des<br />
Herbsttages bestellen LPG-<br />
Bauern ihre Fel<strong>der</strong>: „Dass die an<br />
solcheinem<strong>Tag</strong>arbeiten!“<br />
Pässewerdennurflüchtig<br />
kontrolliert<br />
Hinter Grevesmühlen wird <strong>der</strong><br />
Verkehrimmerdichter.Seit am 9.<br />
Novemberum21.53 Uhrdie ersten<br />
Bürger des Bezirkes Rostock<br />
die Grenze beiSelmsdorf passierten,<br />
wächst stündlichdie Zahl,die<br />
ihnen folgen. Trabants, Wartburgs,<br />
Ladas – Stoßstange an<br />
Stoßstange genWesten.IhreFahrerignorieren<br />
denHinweis in Mallentin:<br />
Achtung, letzte Abfahrt<br />
vordemGrenzgebiet!Heuteistallesan<strong>der</strong>s.<br />
Auch <strong>der</strong> Postenandieser ersten<br />
Kontrollstelle vor <strong>der</strong> Zonengrenze<br />
ist ungewöhnlich freundlich<br />
und kontrolliert nur flüchtig<br />
die Pässe: „Angenehme Weiterfahrt!“<br />
An <strong>der</strong> Grenzübergangsstelle<br />
Selmsdorf weht die<br />
schwarzrotgoldene Fahne mit<br />
Nur wenige Stunden nach Grenzöffnung am 9.11.1989 sind OZ-Redakteureauf<br />
ReportagefahrtnachLübeck. Auf diesem Bild interviewt OZ-RedakteurWernerGeske<br />
(2.v.re.)amVormittag des10.11.1989 im LübeckerRathaus<br />
BürgermeisterMichael Bouteiller(li.). FOTO: HARTMUTKLONOWSKI<br />
Siemachten1989Grenzgeschichten: WernerGeske (l.) undHartmut Klonowskials<br />
Bildreporter<strong>der</strong> Ostsee-Zeitung.<br />
FOTO:FRANK SÖLLNER<br />
Hammer, Zirkel und Ährenkranz<br />
über Mauer und Stacheldraht.<br />
WirreihenunsindielangeSchlange<br />
<strong>der</strong> ungeduldig Wartenden<br />
ein.Einem DDR-Grenzer,dem wir<br />
erklären, weshalb wir nach Lübeck<br />
wollen,winkt unshilfsbereit<br />
an den Wartenden vorbei. In<br />
Schlutup steht eine unübersehbare<br />
MenschenmengeamStraßenrand.<br />
Schokoladentafeln, Bananen,OrangenundZigarettenwerdendenAnkommendenmitherzlichen<br />
Worten gereicht.Auchwir<br />
schütteln Hände, lassen uns auf<br />
die Schultern klopfen und umarmen.<br />
Eine unbeschreibliche Atmosphäre.UnserZiel<br />
aber ist dasLübecker<br />
Rathaus. Dort steigen wir<br />
die breiten Treppen hinauf zum<br />
Büro des Bürgermeisters. Eine<br />
freundlicheSekretärinmeldet uns<br />
bei ihm an. „Sie sind von einer<br />
Rostocker Zeitung?“ -auch für<br />
Michael Bouteiller (SPD) ist die<br />
neue Realität nurschwer fassbar.<br />
Der Rathauschef verrät uns, dass<br />
er diesensationelle Nachricht auf<br />
<strong>der</strong> Geburtstagsfeier von Schleswig-Holsteins<br />
Ministerpräsidenten<br />
BjörnEngholm erhalten habe:<br />
„Ich bin daraufhin gleich zur<br />
Grenze gefahren.“ Bouteiller<br />
möchtewissen:„Wiesiehtesjetzt<br />
bei Ihnen aus? Gehen die Leute<br />
auch weiter auf dieStraße? WerdendieMenschenauchjetztnoch<br />
ausreisen wollen?“ Auch wirstellen<br />
Fragen: Glauben Sie, dass es<br />
bald zurWie<strong>der</strong>vereinigungkommen<br />
wird? Lassen die Siegermächte<br />
des Zweiten Weltkrieges<br />
das überhaupt zu?Wirddie Bundesrepublik<br />
die DDR wirtschaftlichunterstützen?<br />
Nichtauf alles gibt es befriedigende<br />
Antworten. Wieauch!Der<br />
Mauerfall ist keine 20Stunden<br />
her. Am Ende verabschiedet uns<br />
BürgermeisterBouteiller mitGrüßen<br />
an unsere Leser. Auf dem<br />
Marktplatz vorm Rathaus haben<br />
sichinzwischenHun<strong>der</strong>teversammelt.Ost<br />
diskutiert mitWest.Vor<br />
allemdarüber,wieesnunnach<strong>der</strong><br />
Maueröffnungweitergehenwird.<br />
In einem sindsich dabeialle einig:<br />
Deutschland muss wie<strong>der</strong> eins<br />
werden!
SONDERVERÖFFENTLICHUNG 9<br />
Für einneues Narrativ vonFriedlicher<br />
Revolutionund Deutscher<strong>Einheit</strong><br />
VON MARKUS MECKEL<br />
Viel zu oft wird die Deutsche<br />
<strong>Einheit</strong> als eine Wohltat des<br />
Westens gegenüber denDDR-<br />
Bürgern betrachtet. Ein falsches<br />
Narrativ, das Zusammenhänge<br />
dieser Zeit ausblendet,<br />
meint <strong>der</strong><br />
Mitgestalter <strong>der</strong> <strong>Einheit</strong>, MarkusMeckel<br />
in seinem Gastbeitrag.<br />
BERLIN– I<br />
35 Jahre ist es her, dass geschah,<br />
was vielenicht fürmöglich gehalten<br />
hatten: Die DDR erlebte im<br />
Herbst1989 eine Friedliche Revolution.<br />
Die kleine Opposition <strong>der</strong><br />
80er Jahre organisierte sich neu.<br />
Alsdie SED den Massen, dieinden<br />
Westen wollten, die Wege über<br />
Ungarn erneut versperren wollte,<br />
gingen erst Zehn-, dann Hun<strong>der</strong>ttausende<br />
an immer mehr Orten<br />
auf dieStraße. Sie stärkten <strong>der</strong>demokratischen<br />
Opposition den Rücken,<br />
sodass die SED und diean<strong>der</strong>en<br />
Blockparteien sie schließlich<br />
am„RundenTisch“alsGesprächspartner<br />
anerkennen mussten. In<br />
friedlichen Verhandlungen wurde<br />
<strong>der</strong>WegzurdemokratischenWahl<br />
vorbereitet unddiese fandschließlicham18.März1990statt.<br />
II<br />
DieserSiegvonFreiheitundDemokratie<br />
war jedoch nicht nur eine Erfahrung<br />
in <strong>der</strong> DDR, sie war Teil<br />
einer siegreichen mitteleuropäischen<br />
Revolution. Es war einegewaltfreie<br />
Selbst-Demokratisierung<br />
<strong>der</strong> Polen und Ungarn, <strong>der</strong> Deutschen<br />
in <strong>der</strong>DDR sowie <strong>der</strong>Tschechen<br />
und Slowaken. Ähnliche Prozessespieltensich<br />
etwa in denbaltischen<br />
Staaten ab. Mit den von<br />
Gorbatschow angestoßenen Reformen<br />
und <strong>der</strong> Selbstermächtigung<strong>der</strong>mitteleuropäischenStaaten<br />
und <strong>der</strong> DDR eröffneten sich<br />
Kontureneiner Neuordnung Europas.<br />
III<br />
In Deutschland fiel im Zuge <strong>der</strong><br />
Friedlichen Revolution am9.November<br />
1989 die Mauer. Damit<br />
stand plötzlich die Frage nach<strong>der</strong><br />
Markus Meckel engagierte sichseitden 70er-Jahren in <strong>der</strong>DDR-Opposition.<br />
Die<strong>Einheit</strong>, sagt er,war Ergebnis einerRevolution in Mitteleuropa,<br />
dieüber Deutschland hinausging.<br />
FOTO:FABIAN SOMMER/SOEREN STACHE<br />
<strong>Einheit</strong>Deutschlandsauf<strong>der</strong>politischen<br />
<strong>Tag</strong>esordnung –und war<br />
nicht nur Hoffnung, Traum o<strong>der</strong><br />
verpflichtende Perspektive des<br />
Grundgesetzes.<br />
Dochwie konnte die<strong>Einheit</strong>erreicht<br />
werden? Liest manöffentlicheGedenkreden<br />
zum Mauerfall,<br />
entsteht <strong>der</strong> Eindruck, als obdamalsKanzler<br />
Helmut Kohldie <strong>Einheit</strong><br />
geschaffen habe, unterstützt<br />
von US-Präsident George Bush<br />
sen. und mit letztlicher Zustimmung<br />
von Michail Gorbatschow.<br />
In dieser Erzählung sind dann die<br />
Ost<strong>deutschen</strong> OBJEKT einerWohltat<br />
des Westens. Aus dieser Perspektive<br />
entstand dann auch die<br />
ostdeutsche Deutung einer Übernahmeo<strong>der</strong><br />
garKolonisierung <strong>der</strong><br />
DDR. Doch diese öffentlich prägenden<br />
Erzählungenentsprechen<br />
nichtdenhistorischenAbläufen.<br />
Mitdem Mauerfall war deutlich<br />
geworden, dass die große Mehrheit<br />
<strong>der</strong> Bevölkerung<strong>der</strong> DDR die<br />
deutsche <strong>Einheit</strong> wünschte. Wer<br />
aber solltedie <strong>Einheit</strong> verhandeln?<br />
Das musstenachunserer Überzeugung<br />
Aufgabe einer aus demokratischen<br />
undfreien Wahlen hervorgegangenen<br />
Regierungsein! Und<br />
so kam es.Vier Wochen nachdem<br />
Fall<strong>der</strong>Mauerbegann<strong>der</strong>Zentrale<br />
Runde Tisch mit den Verhandlungen,umdie<br />
freieWahlin<strong>der</strong> DDR<br />
vorzubereiten.<br />
IV<br />
Die große Mehrheit <strong>der</strong> DDR-Bürger<br />
wollte die deutsche <strong>Einheit</strong><br />
möglichst schnell. Die rechtlich<br />
schnellste Möglichkeit wie<strong>der</strong>um<br />
war<strong>der</strong> „Beitritt zum Geltungsbereich<br />
des Grundgesetzes“ nach<br />
Art. 23 GG. Dieser Weg wurde<br />
dann auch gewählt. Mit den Verträgen<br />
zur Währungsunion und<br />
demEinigungsvertragwurdendiese<br />
Bedingungen <strong>der</strong><strong>Einheit</strong> innerhalbkürzesterZeitausgehandelt.<br />
Entsprechend diesem Weg<br />
kann und muss man von einer<br />
„verhandelten <strong>Einheit</strong>“ sprechen,<br />
ausgehandelt zwischen zwei demokratischen<br />
<strong>deutschen</strong> Staaten<br />
(undmitdenAlliierten).Wennman<br />
denProzess <strong>der</strong> <strong>deutschen</strong> <strong>Einheit</strong><br />
1989/90sodarstellt,wird deutlich:<br />
Die Ost<strong>deutschen</strong>sindund waren<br />
SUBJEKTdiesesProzesses.<br />
Man wird die deutsche <strong>Einheit</strong><br />
als die Glücksstunde <strong>der</strong> Deutschenim20.<br />
Jahrhun<strong>der</strong>t ansehen<br />
müssen: 45 Jahre, nachdem wir<br />
Deutschen so viel Todund Schrecken<br />
über ganz Europa gebracht<br />
hatten, nach Jahrzehnten <strong>der</strong> Teilung<br />
im Kalten Krieg,konnten wir<br />
uns in Freiheit undDemokratievereinigen,<br />
mit <strong>der</strong> Zustimmung<br />
unserer europäischen Nachbarn.<br />
In diesem Prozesswar die dann demokratischeDDRnichtEmpfänger<br />
einer Wohltat, son<strong>der</strong>n verhandelndeMitgestalterin.<br />
V<br />
Bis heute hat die Geschichte <strong>der</strong><br />
„verhandelten <strong>Einheit</strong>“ mit den<br />
Ost<strong>deutschen</strong> alsSubjekt in unserer<br />
Gedenkkultur keinen angemessenen<br />
Ort. Das öffentliche Erinnernschreibt<br />
denOst<strong>deutschen</strong><br />
allein dieFriedlicheRevolution zu –<br />
die <strong>Einheit</strong> dagegen gilt als Werk<br />
Helmut Kohls. Dem ist zuwi<strong>der</strong>sprechen!<br />
DieDDR hatsich, wiedie an<strong>der</strong>en<br />
Län<strong>der</strong> Mitteleuropas, selbst<br />
demokratisiert. Nicht dieDDR ging<br />
unter, son<strong>der</strong>n die kommunistische<br />
Herrschaft in <strong>der</strong> DDR. Die<br />
letzte und kurze Phase einer nun<br />
wirklich demokratischen DDRwar<br />
die entscheidende Voraussetzung<br />
fürden Prozess zur<strong>deutschen</strong> <strong>Einheit</strong>–undeinaktiverPartindiesem<br />
Prozess.DerProzess<strong>der</strong><strong>deutschen</strong><br />
<strong>Einheit</strong>vom Mauerfallbis zur Vereinigung<br />
imOktober 1990 ist als<br />
aufrechter Gang <strong>der</strong> Ost<strong>deutschen</strong><br />
in diese<strong>Einheit</strong>zubeschreiben.<br />
Die Ost<strong>deutschen</strong> wollten<br />
diese <strong>Einheit</strong> nicht nur, son<strong>der</strong>n<br />
triebensieauchpolitischvoranund<br />
gestaltetensiedurchdievonihrgewählteRegierungmit.<br />
VI<br />
Natürlich gab esauch indiesem<br />
Prozess vielerlei Schwierigkeiten<br />
und Fehleinschätzungen bei den<br />
Handelnden in West und Ost. Es<br />
gab oft auch wenig Verständigungsbereitschaft,<br />
konsequente<br />
Durchsetzung<strong>der</strong> westlichenInteressen,fehlendeEmpathieundgelegentlich<br />
anmaßende Arroganz<br />
und Respektlosigkeit gegenüber<br />
denVertretern<strong>der</strong> DDR. Auch diese<br />
Perspektive bedarf noch einer<br />
differenzierenden Forschung –<br />
und nicht nur pauschaler Anklagen.<br />
ZurPerson<br />
Markus Meckel (Jahrgang 1952)<br />
engagierte sich seit 1970 in <strong>der</strong><br />
DDR-Opposition. Der Theologe<br />
waralsPastorvieleJahrein<strong>der</strong>Müritz-Regiontätig.<br />
Im Oktober1989<br />
gehörte er zu Mitgrün<strong>der</strong>n <strong>der</strong>Sozialdemokratischen<br />
Partei <strong>der</strong><br />
DDR.Bei denersten freien Wahlen<br />
zog er als direkt gewählter Abgeordneter<br />
fürden WahlkreisPrenzlau<br />
–Angemünde –Schwedt –<br />
Templin –Gransee indie Volkskammer<br />
ein. Als Außenminister<br />
war erTeil <strong>der</strong> letzten Regierung<br />
<strong>der</strong> DDR. Von 1990 bis 2009 war<br />
Meckel Mitglied des Deutschen<br />
Bundestags.
10 SONDERVERÖFFENTLICHUNG<br />
Beliebte Ostbands:Warum<br />
DDR-Legenden in MV so erfolgreich sind<br />
VONREINHARDAMLER<br />
Alte DDR-Musiklegenden<br />
sind noch immer gefragt und<br />
mischen auch 34 Jahre nach<br />
<strong>der</strong>Wie<strong>der</strong>vereinigung in MV<br />
tüchtig mit. AbWarnemünde<br />
startete 2024 sogareineerste<br />
„Ostrock-Kreuzfahrt“.<br />
ROSTOCK –Nach <strong>der</strong> Wende<br />
waren DDR-Rockbands totgesagt.Aberheute,<br />
34Jahrenach<br />
<strong>der</strong> Wie<strong>der</strong>vereinigung, füllen<br />
sie noch immer Plätze und Hallen.<br />
Fans wollen ihre Musik hören.<br />
Auch dieTitel von City.Die<br />
Band hat sichzwar2022 aufgelöst,<br />
aber ihr Frontmann Toni<br />
Krahl(74)ist weiteronTour.Aktuell<br />
singterals Gast beiSilly,jener<br />
Band, die neben City, den<br />
Puhdys und Karat zu den großenVier<strong>der</strong><br />
DDR-Szene gehörte.<br />
Wie Silly und Toni Krahl ist<br />
auch Karat noch unterwegs.<br />
Die Band, <strong>der</strong>en Erfolgstitel<br />
„Über sieben Brücken“ zu<br />
DDR-Zeiten sogar von Peter<br />
Maffay gecovert wurde, feiert<br />
2025 ihr 50. Jubiläum. Auch<br />
diesesJahr spielt sienochmehrmals<br />
in MV.<br />
Toni Krahl (74)erreichte mit City und<strong>der</strong> „letztenRunde“imJahr2022eine Viertelmillion Fans. Jetzt singt er als<br />
Gast beiSilly. DasFoto zeigt ihn(l.) beim Abschiedskonzert 2022 in Greifswald vor über2000 Zuschauern. Im<br />
Hintergrund: <strong>der</strong> inzwischenverstorbeneGitarristFritz Puppel.<br />
FOTO: OVEARSCHOLL<br />
DenBands ganz nah:<br />
Ostrock-Kreuzfahrtab<br />
Warnemünde<br />
Auch wenn die Puhdys sich<br />
2016 in die Rockerrente verabschiedet<br />
haben, mischt ihr<br />
Frontmann, Dieter „Maschine“<br />
Birr (80) weiter mit. Er war<br />
ebenfalls bei <strong>der</strong> ersten „Ostrock-Kreuzfahrt“<br />
dabei, zu<strong>der</strong><br />
im Juni dieses Jahres ab Warnemünde<br />
die MSC Poesia inSee<br />
stach. City-Urgestein Toni<br />
Krahl,<strong>der</strong> mitSilly auchanBord<br />
war, sagt: „Ich binnochnie auf<br />
solch einem Dampfergewesen,<br />
die Stimmung war aber großartig.“<br />
So toll, dass die Tour für<br />
2025 schonausverkauftist.<br />
Ex-City-Sänger Krahl kann<br />
sich imMoment noch kein Leben<br />
ohne Bühne vorstellen.<br />
„Wenn ich bei Silly im März<br />
2025 aufhöre, dann habe ich<br />
neue Pläne“,blicktervoraus. Er<br />
will noch einmalsolodurchstarten,<br />
verrät er. Mit neuem Album.<br />
Bei Citys „letzter Runde“<br />
(2022) kamen in einem halben<br />
Jahr immerhin eine Viertelmillion<br />
Fans zuden Konzerten <strong>der</strong><br />
Band. Vier davon gabesinMV:<br />
in Rostock, Greifswald, Bergen<br />
undKölpinsee.<br />
WasOstbands noch immer<br />
so erfolgreich macht<br />
Was ist es nun, was Ostbands<br />
immer noch erfolgreich macht?<br />
„Wir sind Message-Musiker“,<br />
meint Krahl. „Die Leute erwarten<br />
von uns, dass wir zu allen<br />
Zeiten immer einen aktuellen<br />
Kommentar abgeben.“ Das<br />
warinden 1970erJahrenso, als<br />
City Jugendrevolte-Hits spielte,<br />
wie „King vom Prenzlauer<br />
Berg“. Und das setzte sich immer<br />
fort. Auch bei „Casablanca“<br />
(1987), einem Konzeptalbum,<br />
das die Sehnsüchte junger<br />
Menschen in<strong>der</strong> DDR beschrieb.<br />
Auch im aktuellen Programm<br />
vonSilly gibt es zweiCity-Hits,<br />
„Susann“, eine Berlin-<br />
Hymne von 1992 und „Tamara“,<br />
eine Hommage an die<br />
1996 verstorbene Grande Dame<br />
des DDR-Rocks, Tamara<br />
Danz. Silly ist mit Toni Krahl im<br />
Dezember 2024 noch dreimal<br />
in MV zu erleben, inRostock,<br />
Schwerin und Neubrandenburg.<br />
Eine an<strong>der</strong>e DDR-Rockband<br />
wargerade viermalimLand, die<br />
Stern-Combo-Meißen. Jeweils<br />
2000 Besucher lockte sie in<br />
Baabe und in Ahlbeck andie<br />
Strandpromenaden. „Wir haben<br />
eine treue Fangemeinde“,<br />
freut sich Frontmann Manuel<br />
Schmid, <strong>der</strong>gerade 40 Jahrealt<br />
geworden ist. Mit ihm dürfte<br />
Stern Meißen wahrscheinlich<br />
alle überleben, obwohl die<br />
Band mit 60 Jahren diedienstältesteist.<br />
Er sagt, dass DDR-Rock<br />
für ihn ein Kulturgut sei. Erwill<br />
es bewahren,dennersei damit<br />
durch seine Eltern sozialisiert<br />
worden.<br />
Über 100Hits aller Bands hat<br />
er gecovert. Gemeinsam mit<br />
Dirk Zöllner (62), einem weiteren<br />
DDR-Rockmusik-Urgestein<br />
singt er einen Großteil davon<br />
auf einer Tournee im nächsten<br />
Jahr.AuchinMVsind Konzerte<br />
geplant, unter an<strong>der</strong>em in<br />
Stralsund. „DDR-Rock ist für<br />
viele einLebensgefühl undwird<br />
an Kin<strong>der</strong> und Enkel weitergegeben“,<br />
weiß Schmid undzählt<br />
dabei die großen Hits seiner<br />
Band auf, wie „Kampf um den<br />
Südpol“ (1977) o<strong>der</strong> „Eine<br />
Nacht“ (1987), die immer wie<strong>der</strong><br />
Jubel auslösen. Stern Meißen<br />
will daran anknüpfend<br />
aber auch neue Akzente setzen.Aktuell<br />
mitdem gerade erschienenen<br />
Album „Himmelsscheibe<br />
von Nebra“. Konzerttermine<br />
in MV für 2025 gibt es<br />
dafür auch schon, nämlich im<br />
Juli in Stralsund und in Baabe.<br />
AufRügen ist SternMeißen übrigens<br />
seit 1967 jedes Jahr.<br />
Auch das hatLegendenstatus.
SONDERVERÖFFENTLICHUNG 11<br />
#vereintfeiern<br />
in Schwerin<br />
DasBürgerfest zum<strong>Tag</strong> <strong>der</strong>Deutschen<strong>Einheit</strong><br />
2. bis4.Oktober 2024<br />
tag-<strong>der</strong>-<strong>deutschen</strong>-einheit.de<br />
TOP-PARTNER MOBILITÄTSPARTNER MEDIENPARTER VEREINT MIT
VEREINT FEIERN<br />
ZUM TAGDER DEUTSCHENEINHEIT2024<br />
Vom2.bis 4. Oktober 2024 feiern wirinSchwerinein Bürgerfestfür alle –<br />
zum Mitmachen,Einbringen undGenießen. MitLive-Bühnenprogramm,<br />
Kunst und Kultur,mit Dialog, Diskussionen und spannenden Panels,mit<br />
Informationen undErlebnissen. Wirladenein zu einem Fest,das Lust<br />
macht, unserLandund dievielenSeitenDeutschlandszuentdecken.<br />
VIELFALT IN DEREINHEIT:<br />
SCHÖNHEIT MITCHARAKTER:<br />
DIELÄNDERMEILE<br />
SCHWERINAUF DEMMARKTPLATZ<br />
Die Län<strong>der</strong>meile zeigt auf eineinhalb Kilo-<br />
Unsere Landeshauptstadtpräsentiert sich mitihrem<br />
metern, was Deutschland, seine 16 Län<strong>der</strong> und<br />
buntenStadtleben.Eswirken mit: engagierte<br />
den Zipfelbund –das sind die vier Gemeinden<br />
Akteureund Institutionen ausMusik undKultur,<br />
in den äußersten Randlagen –unverwechselbar<br />
Bildung,Tourismus, Behörden undEhrenamt.<br />
macht: seine Menschen, Landschaften, Kultur,<br />
MusikalischerHöhepunkt ist<strong>der</strong> Auftritt von<br />
Wissenschaft und Kulinarik. Wir laden ein zueinem Spaziergang<br />
Keimzeit am 4. Oktober.Die lokale Gastronomie aus Schwerin<br />
durch Deutschland mitten inSchwerin –immer mit Blick auf<br />
undUmgebung sorgt fürein tolles kulinarisches Angebot.<br />
das Schloss: vom Marstall über die Wer<strong>der</strong>straße und die Graf-<br />
Schack-Allee bis hin zum Bertha-Klingberg-Platz.<br />
LEBENDIGEDEMOKRATIE:<br />
DIEVERFASSUNGSORGANE<br />
Der Bundesrat, <strong>der</strong> Deutsche Bundestag, die Bundesregierung<br />
und dasBundesverfassungsgericht:<br />
Unsere Verfassungsorgane stehen fürdie Demokratie<br />
inDeutschland. Auf dem Bürgerfest werden sie<br />
erlebbar und informieren an verschiedenen Orten<br />
<strong>der</strong> Stadt über ihre Aufgaben.<br />
LAND ZUM LEBEN:<br />
MECKLENBURG-VORPOMMERN<br />
Am Pfaffenteich präsentiert sich Mecklenburg-<br />
Vorpommern mitseinerSchönheit,Lebensqualität<br />
undInnovationskraft.TouristischeRegionen stellen<br />
sichvor, ebenso Universitäten und Hochschulen –<br />
und ein „grüner“ Infomarkt macht das Thema<br />
Nachhaltigkeit erlebbar. Dazu informieren verschiedene Institutionen<br />
über ihre Arbeit, beispielsweise aus dem BereichEhrenamt<br />
o<strong>der</strong> Wirtschaft.Schmeckenwirdesauch:Regionale Produzenten<br />
zeigen, wie lecker das Land zum Leben ist.<br />
NEUEIDEEN FÜRDAS LAND:<br />
DASZUKUNFTSFORUM<br />
Das Zukunftsforum im Schlossinnenhof ist<br />
<strong>der</strong> Anlaufpunkt für alle, die sich für gesellschaftliche<br />
und politische Themen interessieren.<br />
Lebendige Diskussionen und informative Gespräche<br />
–alles mit spannenden Personen aus dem<br />
öffentlichen Leben. Von Zusammenhalt bis Solidarität, von <strong>der</strong><br />
Geschichte <strong>der</strong> Wie<strong>der</strong>vereinigung bis zur Zukunft <strong>der</strong> Demokratie:<br />
Das sind nur einige <strong>der</strong> Themen, die unsere Gäste hier<br />
beschäftigen und die Besucherinnen und Besucher des Bürgerfests<br />
inspirieren werden.<br />
VONPOLIZEI BISBUNDESWEHR:<br />
SCHUTZFÜR UNSEREGESELLSCHAFT<br />
Es wird spannendfür die ganzeFamilie: Bundeswehr,Feuerwehr,Polizei,<br />
DLRG,THW undviele<br />
weitereHilfs-und Rettungsorganisationenstellen<br />
sich vorund informierenüber ihre wichtige Arbeit<br />
zu Land undzuWasser. Besichtigungenvon Einsatzfahrzeugen<br />
natürlich inklusive.<br />
ZEITGESCHICHTENEU ERLEBEN:<br />
DIE EINHEITSMEILE<br />
Institutionen, die sich <strong>der</strong> <strong>Einheit</strong> aus vielen<br />
Perspektiven und ihrer Geschichte annähern:<br />
Sie präsentieren ihre Arbeit und Ergebnisse auf<br />
<strong>der</strong> <strong>Einheit</strong>smeile in<strong>der</strong> Graf-Schack-Allee.<br />
Mit dabei sind unter an<strong>der</strong>em das Stasi-Archiv,<br />
das Zukunftszentrum für Deutsche <strong>Einheit</strong> und Europäische<br />
Transformation inHalle, die Gedenkstätten Berliner Mauer und<br />
Hohenschönhausen, die Bundesstiftung für die Aufarbeitung<br />
<strong>der</strong> SED-Diktatur und weitere Akteure.<br />
LIVE-UNTERHALTUNG,DIE BEGEISTERT:<br />
DIE HAUPTBÜHNE AM ALTENGARTEN<br />
Entertainment, mit dem NDR Mecklenburg-<br />
Vorpommern und Ostseewelle, dazu Musikerinnen<br />
und Musiker aus MV, Traditionsreiches<br />
und musikalischer Nachwuchs: Auf <strong>der</strong> großen<br />
Hauptbühne präsentieren wir Live-Acts und<br />
mitreißende Unterhaltung für alle Generationen.<br />
ZEITREISE:<br />
DIEEINHEITS-LICHTSHOWAMSCHLOSS<br />
Das SchwerinerSchloss erstrahlt in einer spektakulären<br />
Lichtshow, die denWeg von<strong>der</strong> Friedlichen<br />
Revolution 1989 bis heute erzählt: Gänsehaut-<br />
Momente zum<strong>Tag</strong> <strong>der</strong>Deutschen <strong>Einheit</strong>,jeweils<br />
am 2. und 3. Oktoberabends.<br />
FÜRGROSS UND KLEIN, FÜR ALTUND<br />
JUNG: DASFAMILIEN-UND SPORTLAND<br />
Das Familien- und Sportland imSchlossgarten<br />
bietet ein buntes Spiel-, Aktivitäten- und Mitmachprogramm<br />
für Kin<strong>der</strong> und Eltern: von<br />
Bastelaktionen bis zu Fußball, Bogenschießen,<br />
Volley- und Basketball, Boxen und Rollstuhlsport.<br />
Der Landessportbund MV, viele Vereine, die Naturerlebniszentren,<br />
die Pfadfin<strong>der</strong>, die Verkehrswacht sowie viele weitere<br />
Organisationen stellen sich mit Angeboten aus Kultur,<br />
Sport und Bildung vor.<br />
MUSIKALISCHE HIGHLIGHTS<br />
AUFDEM BÜRGERFEST<br />
Vorzwanzig Jahren begeistert Julimit demSong„Perfekte<br />
Welle“ ganz Deutschland und feiert dies 2024<br />
mit einer großen Tournee. Am 2. Oktober präsentiert<br />
<strong>der</strong> NDR Mecklenburg-Vorpommern die Band zum<br />
Bürgerfest und sorgt für einen mitreißenden Auftakt.<br />
Am 3. OktoberfolgtRoland Kaiser –einer <strong>der</strong>bekanntesten<br />
und beliebtesten <strong>deutschen</strong> Künstler wird mit<br />
seiner Band, seinen größten Hits und den Gästen des<br />
Bürgerfests die <strong>Einheit</strong> feiern. Ostseewelle präsentiert<br />
unter an<strong>der</strong>em am4.Oktober Zoe Wees. Sie ist die<br />
Stimme ihrer Generation und wird unsere Gäste mit<br />
musikalischer Leidenschaft und berührenden Texten<br />
begeistern. Das DJ-Projekt VIZE, präsentiert von<br />
AIDA, wird danach das Südufer desPfaffenteiches auf<br />
<strong>der</strong> AIDA-Fläche zumOpen-Air-Dancefloor machen.<br />
Alle Konzertefinden auf dem AltenGarten in<br />
Schwerin statt. Wiefür alle Veranstaltungen auf<br />
demBürgerfestgilt:Der Eintrittist frei!<br />
2.10.<br />
3.10.<br />
4.10.<br />
©Lillie Eiger, FrankEmbacher, Amelie Siegmund
14 SONDERVERÖFFENTLICHUNG<br />
DIEVERANSTAL-<br />
TUNGSFLÄCHEN<br />
BEIM BÜRGERFEST<br />
Wasist wo,wenn wir vom<br />
2. bis4.Oktober 2024in<br />
Schwerin Bürgerfest feiern?<br />
Unsere Kartebietet einen<br />
erstenÜberblick.<br />
Alle<br />
Veranstaltungen<br />
desBürgerfestes<br />
sind kostenlos.<br />
LÄNDER 1-16:<br />
Land1=Mecklenburg-Vorpommern<br />
Land2=Rheinland-Pfalz<br />
Land3=Hamburg<br />
Land4=Nordrhein-Westfalen<br />
Land5=Nie<strong>der</strong>sachsen<br />
Land6=Baden-Württemberg<br />
Land7=Bayern<br />
Land8=Hessen<br />
Land9=Sachsen<br />
Land10=Sachsen-Anhalt<br />
Land11=Berlin<br />
Land12=Schleswig-Holstein<br />
Land13=Thüringen<br />
Land14=Saarland<br />
Land15=Brandenburg<br />
Land16=Bremen<br />
VERFASSUNGSORGANE 1-3:<br />
Bundestag,Bundesrat,<br />
Bundesverfassungsgericht<br />
WEITERE INFOSUNTER:<br />
tag-<strong>der</strong>-<strong>deutschen</strong>-einheit.de
SONDERVERÖFFENTLICHUNG 15<br />
Wiezwei Firmen ausMV<br />
die Schifffahrtrevolutionierten<br />
VON ANDREASMEYER<br />
Viel istvon <strong>der</strong> einstigen DDR-<br />
Wirtschaft nach <strong>der</strong> Wie<strong>der</strong>vereinigung<br />
nicht übrig geblieben.<br />
Doch es gibt auch<br />
Unternehmen, die nach <strong>der</strong><br />
Wende im Ostenentstanden–<br />
und ganz Deutschland erobert<br />
haben. Zwei davon<br />
kommen aus Rostock: die<br />
Kreuzfahrt-Riesen Aida und<br />
Arosa. Eine Nach-Wende-Erfolgsgeschichte.<br />
ROSTOCK –Sein leichter, charmanter<br />
Dialekt ist trügerisch. Er<br />
verrät nichtwirklich, wo Jörg Eichlerherstammt.Sprichtmanihndarauf<br />
an, macht eraber kein Geheimnisdaraus:„Ichbineinechter<br />
Ossi.“ InDresden ist er geboren,<br />
seit fast zwei Jahrzehnten sind<br />
Eichler und seine Familie in Rostock<br />
zu Hause. Denn von<strong>der</strong> Hansestadt<br />
aus steuert Eichler als geschäftsführen<strong>der</strong><br />
Gesellschafter<br />
eines <strong>der</strong> wenigen Unternehmen<br />
aus den neuen Län<strong>der</strong>n, die es<br />
bundesweit an die Spitze geschafft<br />
haben: Arosa Flusskreuzfahrten,<br />
Deutschlands Nummer<br />
eins bei Reisen auf Rhein, Main,<br />
Moselund Co. „Nach<strong>der</strong> Wende<br />
haben Unternehmen aus MV die<br />
Kreuzfahrt-Branche revolutioniert.<br />
Und sie tun es bis heute“,<br />
sagtEichlerstolz.<br />
VomVEBzumWelterfolg<br />
Schon zu DDR-Zeitenwar Rostock<br />
die Seefahrerstadt, das Tor <strong>der</strong><br />
DDR zurgroßen weitenWelt. Aus<br />
allen Bezirken zogen junge Männer<br />
und Frauen in die Hansestadt,<br />
um vonhieraus Län<strong>der</strong>zuerkunden,<br />
die sie unter normalen Umständennie<br />
hättenbesuchen dürfen.<br />
Von<strong>der</strong> Hansestadt ausliefen<br />
die Frachter <strong>der</strong> DSR –<strong>der</strong> DeutschenSeeree<strong>der</strong>ei–unddieHochseefischeraus.<br />
Mit <strong>der</strong> Wende kam aberauch<br />
für die beiden traditionsreichen<br />
und volkseigenen Betriebe das<br />
Aus. Von <strong>der</strong> Hochseefischerei<br />
bliebwenig bis nichtsübrig,Investorenaus<br />
HamburgrettenzumindestTeile<br />
<strong>der</strong>DSR. HorstRaheund<br />
Nikolaus W. Schües kaufen 1993<br />
DerKussmun<strong>der</strong>obertevon Rostockaus dieWelt: Aida Cruiseshat die<br />
Kreuzfahrt-BrancheinEuroparevolutioniert –vom Heimathafen an <strong>der</strong><br />
Warnow aus.<br />
FOTO: JENS BÜTTNER<br />
von <strong>der</strong> Treuhand die DSR. Das<br />
Unternehmen wird neu aufgestellt,<br />
zerlegt. 1998 übernimmt<br />
die Ree<strong>der</strong>ei F.Laeisz die verbliebenden<br />
Schiffe und Seeleute.<br />
Einer <strong>der</strong>Hauptsitze<strong>der</strong> Ree<strong>der</strong>ei<br />
ist bis heute das markante Haus<br />
<strong>der</strong>SchifffahrtanRostocksLanger<br />
Straße.<br />
Wasnoch übrig bleibt von <strong>der</strong><br />
DSRwirdzum „Nukleus“für zwei<br />
Unternehmen, die Urlaub in<br />
Deutschland revolutioniert haben<br />
–Aida Cruises und Arosa Flusskreuzfahrten.<br />
Arosa-Chef:„Diealte<br />
Seeree<strong>der</strong>eiistTeilunserer<br />
DNA“<br />
Rahe gilt als Vater<strong>der</strong> beidenMarken.<br />
Während Arosadie Nummer<br />
eins auf Flüssen ist, ist Aida<br />
Deutschlands Marktführer bei<br />
Hochseekreuzfahrten. Die Eigner<br />
wechselten in den Jahren, aber<br />
Rostockist immernochHauptsitz<br />
<strong>der</strong> beidenKreuzfahrt-Riesen.„Es<br />
gibtnicht vieleUnternehmen aus<br />
MV mitbundesweiterStrahlkraft.<br />
Umso stolzer sind wir auf unsere<br />
Geschichte“, sagt Arosa-Chef<br />
Eichler.„DiealteDSR istbis heute<br />
Teile unserer DNA.“ Und erist<br />
stolz, dass seineRee<strong>der</strong>eiein ostdeutschesUnternehmenist.<br />
Eines, das esinganz Deutschland<br />
geschaffthat: DieStädteentlang<br />
<strong>der</strong>Flussreise-Routen verdienengut<br />
anArosa undseinen Gästen,<br />
Ree<strong>der</strong>eien in Portugal, Holland<br />
und vor allem die Rostocker<br />
Neptun Werft haben die Millionen-Aufträge<br />
für die Schiffe bekommen.Arosa<br />
hat 15 Schiffe im<br />
Einsatz. In Deutschland, den Nie<strong>der</strong>landen,<br />
Österreich, Frankreich,<br />
Portugal.InZukunft soll ein Schiff<br />
auchinMVfahren. Zurück zu den<br />
Wurzeln.<br />
DieKreuzfahrt-Revolutionäre<br />
von<strong>der</strong>Warnow<br />
In Sichtweite <strong>der</strong> Arosa-Zentrale<br />
am Rostocker Stadthafen steht<br />
auchdas Hauptquartier eines Milliardenunternehmens<br />
„Made in<br />
MV“:AidaCruises hat sich direkt<br />
an<strong>der</strong>Warnowsein„Home“,sein<br />
Zuhause,gebaut.ElfSchiffesindin<br />
allerWeltunterwegs, Aida meldet<br />
nach Coronakrise wie<strong>der</strong> rekordverdächtige<br />
Buchungs- und Umsatzzahlen.<br />
Mit dem Modell des „Clubschiffs“–mitKreuzfahrteninlegerer,<br />
ungezwungenen Atmosphäre<br />
–habenRaheundseineMitstreiter<br />
den Markt in Europa revolutioniert.Der<br />
ikonische Kussmund am<br />
Bug–ebenfallsinRostockentworfen,<br />
vomMecklenburger Künstler<br />
FeliksBüttner–wurde zum Sinnbild<br />
einesganz neuen Urlaubsgefühls.<br />
Die Ree<strong>der</strong>ei gehört zwar mittlerweile<br />
zur Carnival-Gruppe mit<br />
Sitz in Miami, aber das Unternehmenist<br />
in <strong>der</strong>Region tief verwurzelt.<br />
Das zeigt sich beispielsweise<br />
auch in <strong>der</strong> Führungsriege: Aida-<br />
Präsident Felix Eichhorn zum Beispiel<br />
ist in Warnemünde aufgewachsen.<br />
Und auch Senior-VizepräsidentinSteffiHeinickestammt<br />
aus MV.Die Rüganerinhat an <strong>der</strong><br />
Fachhochschule Stralsund studiert.<br />
DDR-Know-howfür<br />
bundesweitenErfolg<br />
Rostock war <strong>der</strong> ideale Ort, um<br />
NeuesimTourismuszuwagen:„In<br />
<strong>der</strong> Startphase konnte Aida hier<br />
aufdas bereits bestehende maritime<br />
Cluster und das Know-how<br />
<strong>der</strong> Region aufbauenund die Vorzüge<br />
als Ostseeanrainer bestens<br />
nutzen“,soHeinicke.<br />
Innovativ sein –das sei für die<br />
Ree<strong>der</strong>ei bis heute enormwichtig.<br />
Und dabeihilftdie Region: Einige<br />
<strong>der</strong> ersten Schiffe wurdeninWismargebaut,<br />
die Maschinenraummodule<strong>der</strong><br />
Flaggschiffe„Aidanova“<br />
und „Aidacosma“ wurden<br />
auf <strong>der</strong> Neptun-Werft inRostock<br />
gefertigt. MAKaus Warnemünde<br />
lieferte Motoren, die Propeller<br />
kommen vonMMG ausWaren an<br />
<strong>der</strong> Müritz, die Automationstechnik<br />
<strong>der</strong> Schiffsbrücken aus Rostock.„Beiunsistimmerauchinnovative<br />
Technik‚Made in Mecklenburg-Vorpommern<br />
an Bord“,<br />
sagtHeinicke.<br />
„DieReisegehtvonRostock<br />
weiter“<br />
69 Mal wirdAida alleinindiesem<br />
Jahr den „Heimathafen“ Warnemünde<br />
anlaufen. Keine an<strong>der</strong>e<br />
Ree<strong>der</strong>ei sticht so oftvon Rostock<br />
aus in See. „Wir sind stolz, ein<br />
wichtigerWirtschaftsfaktorfürdie<br />
gesamteRegionzusein.“Mehrals<br />
18 000 Mitarbeiter aus 60 Nationen<br />
arbeiten an Land und an Bord<br />
fürdengrößtenprivatenArbeitgeberinMV.<br />
Allein 1400 in <strong>der</strong>Ree<strong>der</strong>ei-Zentralean<strong>der</strong>Warnow.<br />
Die Internationalität, die „Vielfalt“istAidawichtig.„HeuteistAida<br />
eines <strong>der</strong>wachstumsstärksten<br />
und wirtschaftlich erfolgreichsten<br />
touristischen Unternehmen in<br />
Deutschland“,sagtHeinicke.„Die<br />
Reise begann 1996 an <strong>der</strong> Warnow.Und<br />
von hier wird das Unternehmen<br />
auch in Zukunft seine<br />
Leuchtsignaleaussenden,dieweit<br />
über die Landesgrenzen hinaus<br />
sichtbarsind.“
16 SONDERVERÖFFENTLICHUNG<br />
„Grenzhus“informiert seit 25 Jahren<br />
über die innerdeutsche Grenze<br />
VONMALTE BEHNK<br />
Das Grenzhus in Schlagsdorf<br />
in Nordwestmecklenburg ist<br />
Museum und Dokumentationsstätte<br />
für die ehemalige<br />
Grenze <strong>der</strong> DDR. In <strong>der</strong> Ausstellung<br />
und auf <strong>der</strong> Außenanlage<br />
wird über die Geschichte<br />
<strong>der</strong> Grenzbefestigung,<br />
<strong>der</strong>en Entwicklung bis<br />
zum Mauerfall und über mit<br />
<strong>der</strong> Grenze verbundene<br />
Schicksaleinformiert.<br />
SCHLAGSDORF–Ganz im Westen<br />
Mecklenburg-Vorpommerns<br />
bietet in Schlagsdorfdas<br />
„Grenzhus“ seit 1999 alle Informationen<br />
zur ehemaligen inner<strong>deutschen</strong>Grenze.<br />
DasMuseum<br />
selber ist nur 500 Meter<br />
Luftlinievon <strong>der</strong>heutigen Grenze<br />
nach Schleswig-Holstein entfernt,<br />
die bis 1989 als Eiserner<br />
Vorhang nicht nur Deutschland,<br />
son<strong>der</strong>n ganz Europa<br />
trennte. Inzwischen seit25Jahren<br />
wird im„Grenzhus“ über<br />
dieses dunkle Kapitel informiert.<br />
VieleUrlauber,aberauch<br />
Schulklassen sowohlaus Mecklenburg-Vorpommern<br />
als auch<br />
aus Schleswig-Holstein nutzen<br />
dieses Angebot.<br />
Nachbau alter Grenzanlagen<br />
„Diese Schülerprojekte, die jedes<br />
Jahr am9.November hier<br />
im Grenzhus ihren Höhepunkt<br />
haben, sind sehr wichtig und<br />
wirmerkendabei,wie vielWissen<br />
über unser Haus andie Jugend<br />
vermittelt wird“, sagt Museumsleiter<br />
Dr. Andreas Wagner.<br />
Das „Grenzhus“ besteht<br />
zum einen aus <strong>der</strong> Ausstellung<br />
im Hauptgebäude undaus dem<br />
etwa 500 Meter entfernten<br />
Außengelände,auf demein Teil<br />
<strong>der</strong> früheren Grenzanlagen<br />
nachgebaut wurde. Die Außenanlage<br />
wird gerade überarbeitet,<br />
kann aber weiterhin besuchtwerden.<br />
„Wir än<strong>der</strong>ndie<br />
Wegeführung und die Beschil<strong>der</strong>ung.<br />
Auch ein paar weitere<br />
Ausstellungsstücke werden<br />
aufgebaut, um die Anmutung<br />
<strong>der</strong>historischenRealität zu verbessern“,<br />
sagt Wagner. Auch<br />
ein Audioguide wird für die<br />
Außenanlage entwickelt und<br />
soll den Besuch am Grenzzaun<br />
noch realistischer machen.<br />
„Wir konzentrierenuns aufdie<br />
Entwicklung inden 80er Jahren,<br />
zeigen aber auch in einem<br />
Zeitstrahl, was von 1945 bis<br />
1989 geschehen ist“, so <strong>der</strong><br />
Museumsleiter.<br />
Grenze schuf ökologische<br />
Bedingungen<br />
Auf Informationen zum Anhörenwirdauchin<strong>der</strong><br />
Ausstellung<br />
auf zwei Etagen im Hauptgebäude<br />
des„Grenzhus“ gesetzt.<br />
In fünf Räumen geht esumdie<br />
Themen „Grenze undMachtsicherung“,<br />
das„Alltagslebenan<br />
<strong>der</strong>Grenze“, um dieFrage, wie<br />
durchlässig die Grenze trotz allem<br />
war, umdie Grenzöffnung<br />
undnicht zuletzt um denNaturraum,<br />
<strong>der</strong>durch dieGrenze entstandenist.Das<br />
„Grüne Band“<br />
mit seinen Lebensräumen für<br />
Seeadler und an<strong>der</strong>e seltene<br />
Tiere ist auch ein wichtiger Bestandteil<br />
<strong>der</strong> Dauerausstellung<br />
im „Grenzhus“. In jedem Raum<br />
gibt es Medienstationen, in<br />
denen sich Besucher zum Teil<br />
dramatische Geschichten von<br />
Zeitzeugen und Fakten über die<br />
Entwicklung <strong>der</strong> Grenze und<br />
<strong>der</strong> Orte in <strong>der</strong> näheren Umgebung<br />
anhören können.<br />
Zum Konzept des „Grenzhus“<br />
gehört auch, die nähere<br />
Umgebung einzubinden. So<br />
gibt es den 3,5 km langen<br />
Grenzparcours „Grenzwege<br />
Schlagsdorf. Lesezeichen in <strong>der</strong><br />
Natur zur <strong>deutschen</strong> Teilung“ ,<br />
<strong>der</strong> auf zwei unterschiedlichen<br />
Wegen vom „Grenzhus“ zur<br />
ehemaligenGrenzlinieführt. 14<br />
Stationen erzählen von historischen<br />
Ereignissen, dem Aufbau<br />
<strong>der</strong> Grenzsperranlagen sowie<br />
<strong>der</strong> Landschaft um den Mechower<br />
See, dessen Westufer<br />
die Grenzliniebildete.Exkursionen<br />
führen auch zum1976geschleiften<br />
Dorf Lankow und es<br />
gibt Touren mit Zeitzeugen, die<br />
an <strong>der</strong> Grenze gearbeitet haben.<br />
Das GrenzhusinSchlagsdorf in Nordwestmecklenburg istMuseum undDokumentationsstätte fürdie ehemaligeGrenze<br />
<strong>der</strong> DDR.<br />
FOTO:MALTE BEHNK<br />
Führungen in den<br />
Herbstferien<br />
Während <strong>der</strong> Herbstferien in<br />
MV werden im „Grenzhus“<br />
Führungen durch Museumund<br />
Außengelände angeboten: 3.<br />
Oktober (Donnerstag, 10.30/<br />
12.00 /14.30Uhr,19. Oktober<br />
(Samstag, 14.00 Uhr), 23. Oktober<br />
(Mittwoch, 14.00 Uhr),<br />
26. Oktober (Samstag, 14.00<br />
Uhr), 30. Oktober (Mittwoch,<br />
14.00 Uhr), 2. November<br />
(Samstag, 14.00 Uhr).<br />
Das „Grenzhus“, Neubauernweg<br />
1, in Schlagsdorfist<br />
täglich von10bis 16.30Uhr geöffnet.Der<br />
Eintritt kostet7Euro<br />
pro Person (Schüler, Studenten<br />
und Personen mit einem Behin<strong>der</strong>tenausweis<br />
3,- €).Keine EC-<br />
Karten-Zahlung möglich. Das<br />
Mitführen von Hunden an <strong>der</strong><br />
Leine auf dem Außengelände<br />
ist gestattet. Infos amTelefon<br />
unter 038875/20326 o<strong>der</strong> per<br />
Mail aninfo@grenzhus.de. Im<br />
Netz: www.grenzhus.de
SONDERVERÖFFENTLICHUNG 17<br />
Nachdem Stasi-Knast<br />
kam die Karriere in West undOst<br />
VON RALPH SOMMER<br />
Aufgewachsen in Thüringen<br />
verschlug es Peter Hick nach<br />
gescheitertem Fluchtversuch<br />
in denWesten.Nach<strong>der</strong> Wende<br />
entfachte <strong>der</strong> Stuntman<br />
auf Rügen das Störtebeker-<br />
Fieber.<br />
RALSWIEK –„Ich habe jedem<br />
Abschnitt meinesLebensPositives<br />
abgewinnen können“, sagt<br />
Peter Hick. „Sicher hatte ich<br />
manchmal Wi<strong>der</strong>stände zu<br />
überwinden, gab es Unannehmlichkeiten<br />
o<strong>der</strong> fühlte ich<br />
mich ungerecht behandelt. Es<br />
überwog jedoch das Gute.“<br />
Hick –Jahrgang1946, geboren<br />
inKriegern imSudetenland<br />
–wuchs im thüringischen Engerda<br />
auf und absolvierte beim<br />
VEB Erdöl und Erdgas eineAusbildung<br />
als Tiefbohrtechniker.<br />
Ein Zufall trieb den sportlichen<br />
jungen Mann zum Film.Bei dem<br />
Filmunternehmen DEFAmachte<br />
er schnellKarriere alsStuntman,<br />
verdiente mit waghalsigen Szenen<br />
gutes Geld und doubelte so<br />
manchenDDR-Star.<br />
Weil sein älterer Bru<strong>der</strong> in<br />
Hamburglebte, blieben Hick im<br />
Osten wegen seiner Westverwandtschaft<br />
viele Türen verschlossen.LangeZeitschmiedete<br />
er zusammen miteinemalten<br />
Freund Fluchtpläne, gab aber<br />
die Idee eines zu gefährlichen<br />
Grenzdurchbruchs nach Westberlin<br />
schließlich auf.<br />
Fluchtversuchendet in<br />
Einzelhaft<br />
Mit 300 D-Mark von seinem<br />
Bru<strong>der</strong> im Gepäck reiste Hick<br />
Mitte März1975 zusammenmit<br />
einem DEFA-Kollegen zum Ski-<br />
Urlaub in das bulgarische Rhodopen-Gebirge.<br />
Mitdabeihatte<br />
er den Vorsatz, den Eisernen<br />
Vorhang über die Grenze nach<br />
Griechenland zu überwinden.<br />
Knietief kämpften sich die beiden<br />
durch den Pulverschnee.<br />
Wenige hun<strong>der</strong>t Meter vordem<br />
Ziel „das rasselnde Geräusch<br />
einer durchgezogenenKalaschnikow,Befehle<br />
auf Bulgarisch“,<br />
Stehtseit31Jahren alsIntendantan<strong>der</strong> Spitze<strong>der</strong> Störtebeker-Festspiele<br />
in Ralswiekauf Rügen:<strong>der</strong> frühereStuntman PeterHick.<br />
erinnertsichHick.Die Flucht endete<br />
inEinzelhaft, in einem käfiggroßen<br />
Knast <strong>der</strong> bulgarischenStasi<br />
in Sofia.<br />
Nach neun Wochen unter unmenschlichen<br />
Bedingungen<br />
folgten die Überführung andie<br />
DDR-Stasi, ein halbes Jahr EinzelhaftinPotsdamund<br />
einProzess<br />
wegen Republikflucht mit<br />
einer Verurteilung zu einemJahr<br />
und zehn Monaten. Nach acht<br />
Monaten Haft inCottbus wurde<br />
<strong>der</strong> politische Gefangene Peter<br />
Hick 1976 von <strong>der</strong> Bundesrepublik<br />
freigekauft.<br />
FOTO:RALPHSOMMER<br />
VomStuntman zum<br />
Spielleiter bei Winnetou<br />
Wenig später hatte erKontakt<br />
zur Film- und Theaterbranche<br />
im Westen geknüpft und seine<br />
spätere Frau Ruth kennengelernt,<br />
die gerade eine Rolle bei<br />
denKarl-May-Festspielen in Bad<br />
Segeberg hatte. Hick, <strong>der</strong> zwischenzeitlich<br />
alsModel für Zigaretten<br />
und Jeans arbeitete und<br />
in immer mehr Filmprojekten<br />
komplizierte Stuntrollen übernahm,<br />
erhielt 1979 eine erste<br />
Nebenrolle bei den Winnetou-<br />
Open-Air-Aufführungen. Im<br />
September1989krönteerseine<br />
Karriere sogar mit <strong>der</strong> Stuntman-Weltmeisterschaft<br />
in<br />
Frankreich. EinJahrzuvorwar er<br />
Spielleiter in Bad Segeberg geworden,<br />
undesgelangihm,den<br />
Winnetou-Filmstar Pierre Brice<br />
als Hauptdarsteller zu gewinnen.<br />
Nach <strong>der</strong> Wende in<strong>der</strong> DDR<br />
bekam Hick einen schicksalsweisenden<br />
Anruf. Eine Investorengruppe,<br />
die im Osten ein<br />
TheaterwieinBadSegebergaus<br />
<strong>der</strong>Taufe hebenwollte, bat ihn<br />
umBeratung.EsgingumdieNaturbühne<br />
in Ralswiek auf Rügen,auf<strong>der</strong>einstmitüber1.000<br />
Darstellern die Rügenfestspiele<br />
stattgefunden hatten. Weil zugesagte<br />
Gel<strong>der</strong> letztlich doch<br />
nichtflossen,nahmenPeter und<br />
RuthHickschließlich dieGeschicke<br />
selbst indie Hand, zogen<br />
nach Rügen, investiertenihreErsparnisse,<br />
fanden Sponsoren<br />
un<strong>der</strong>hieltenvomLandeinevergleichsweise<br />
bescheidene För<strong>der</strong>summe<br />
für die Störtebeker-<br />
Festspiele aufRügen.<br />
Erfolgreichstes<br />
Open-Air-Projekt<br />
Im Wende-Aufbruch hätten<br />
„vermeintliche Umweltschützer,<br />
Bürokraten, Finanzbeamte,<br />
Landesarchäologen und neidische<br />
Nachbarn“ versucht, das<br />
Projekt zu torpedieren o<strong>der</strong> sogar<br />
zu verhin<strong>der</strong>n. Doch die<br />
Hicks erhielten auch Rückendeckung<br />
und Unterstützung. Am<br />
3. Juli 1993 schließlich, nur<br />
Stunden nach dem Abschluss<br />
<strong>der</strong> Pflasterarbeiten und <strong>der</strong><br />
Montage <strong>der</strong>Bestuhlung, feierte<br />
das Ensemble die Premiere<br />
deserstenOpen-Air-Spektakels<br />
„Wie einer Pirat wird“ mit Norbert<br />
Braun als Piratenhauptmann.<br />
Es folgteeinebis heute anhaltende<br />
Erfolgsgeschichte. Nach<br />
78.000 Zuschauern imRumpfjahrkletterten<br />
dieZahleninden<br />
Jahren danach auf über<br />
300.000. Mehreren Rückschlägen<br />
zum Trotz wie dem Verlust<br />
von Theater-Pferden und des<br />
Adlers, demKentern einer Piraten-Kogge<br />
o<strong>der</strong> <strong>der</strong> Brandkatastrophe<br />
<strong>der</strong> reetgedeckten<br />
Theater-Kneipe „Zum Störti“,<br />
etabliertensich die Störtebeker-<br />
Festspiele zum Tourismusfaktor<br />
in Mecklenburg-Vorpommern.<br />
Siewurdenzum erfolgreichsten<br />
privaten Open-Air-Projekt in<br />
Deutschland, vor allem auch<br />
weil die Hicks in <strong>der</strong> Szene gut<br />
vernetztwaren undeinen Großteil<br />
<strong>der</strong> Einnahmen immer wie<strong>der</strong>indas<br />
Theaterprojekt investiert<br />
hatten. 31Jahre nach <strong>der</strong><br />
ersten Aufführung führt heute<br />
ihre Tochter Anna-Theresa als<br />
Geschäftsführerin die Geschicke<br />
des bundesweit beliebten<br />
Privattheaters.
18 SONDERVERÖFFENTLICHUNG<br />
Rostocker Stasi-Gefängnis:<br />
„Noch immerein beklemmendesGefühl“<br />
VONWERNER GESKE<br />
Fast 40 Jahre lang war das<br />
Untersuchungsgefängnis <strong>der</strong><br />
Staatssicherheit in Rostock<br />
ein gefürchteter Ort. Heute<br />
erinnert eine Gedenkstätte<br />
daran, dass hier rund 4900<br />
Menschen litten.<br />
ROSTOCK –Silke Gratopp (58)<br />
läuft ein kalter Schauer über<br />
denRücken,wennsiedurchden<br />
Zellenbau geht und an den„Tigerkäfigen“<br />
vorbeikommt: „Es<br />
ist immer wie<strong>der</strong> ein beklemmendes<br />
Gefühl. Ich dachte,<br />
dass ichnachden 13 Jahren,in<br />
denen ich in <strong>der</strong> Dokumentations-<br />
und Gedenkstätte in<strong>der</strong><br />
ehemaligen Untersuchungshaft<br />
<strong>der</strong> Stasi tätig bin, schonetwasabgebrühter<br />
wäre.“<br />
Die Lehrerin vomInnerstädtischen<br />
Gymnasium <strong>der</strong> Hansestadtarbeitetzwei<strong>Tag</strong>eproWoche<br />
in dieser Einrichtungmit. Ihr<br />
geht es bis heuteunter dieHaut,<br />
was sie bei Führungen,Gesprächenmit<br />
Zeitzeugeno<strong>der</strong>Buchlesungen<br />
zum Thema Stasi erlebt.<br />
„Beivielen, die hier monatelang<br />
Schlimmeserlebt haben,<br />
ist einTraumageblieben. Damit<br />
werde ich natürlich konfrontiert“,sagtdie<br />
Pädagogin. Auch<br />
Carsten Socke, Mitarbeiter <strong>der</strong><br />
Landeszentrale für politische<br />
Bildung (44), in<strong>der</strong>en Trägerschaft<br />
die Gedenkstätte liegt,<br />
hat ähnliche Erfahrungen gemacht.<br />
Manche Begegnungen<br />
haben sich ihm fest eingebrannt:„Einmalführteicheinen<br />
ehemaligen Häftling durch das<br />
Haus, <strong>der</strong> sich mitgroßemInteresse<br />
meine Ausführungen anhörte.<br />
Als wir vor einer Zelle<br />
haltmachten undich die Metallklappe<br />
am Spion <strong>der</strong> Zellentür<br />
bewegte,erschrak er und sagte:<br />
‚Ich habedieses Klickenhun<strong>der</strong>teMalehören<br />
müssen. Fürmich<br />
löstdas schlimmeErinnerungen<br />
aus.“ Socke sagt, dassesihm in<br />
diesem Moment wie<strong>der</strong> klar geworden<br />
sei, welch unauslöschlicheSpurendie<br />
Stasi-Haft in den<br />
Menschen hinterlassenhat.<br />
Vielepolitische Gefangene<br />
saßen in Rostock<br />
Vontragischen Schicksalen hören<br />
erund Silke Gratopp bei<br />
ihren 90-minütigen Führungen<br />
durch das zwischen 1958 und<br />
1960 errichtete Haus an <strong>der</strong> August-Bebel-Straße<br />
immer wie<strong>der</strong>.<br />
Gut10000 Menschen kommen<br />
proJahrindie Gedenkstätte,<br />
umsich selbst ein Bild von<br />
diesem früheren Schreckensort<br />
zu machen. Zwischen 1960 und<br />
1989 waren hier rund 4900Personen<br />
aus überwiegend politischen<br />
Gründen inhaftiert. Zu<br />
diesen gehörtendie Straftatbestände<br />
„staatsfeindliche Hetze“,<br />
„öffentliche Herabwürdigung“<br />
und verstärkt nach dem<br />
Mauerbau 1961 „versuchte Republikflucht“.<br />
Was mit denen geschah, die<br />
in <strong>der</strong> Stasi-Bezirkszentrale inhaftiert<br />
wurden, wird den Besuchern<br />
beim Rundgang durch<br />
das Gebäude deutlich gemacht.<br />
Gratopp und Socke führen dabei<br />
zunächst zu einem B1000<br />
im unteren Bereich <strong>der</strong> U-Haftanstalt.Von<br />
<strong>der</strong> Stasi wurdedieserTransporterzur<br />
Beför<strong>der</strong>ung<br />
<strong>der</strong> Verhaftetengenutzt. In diesem<br />
Fahrzeug, von Häftlingen<br />
nachdem erstenDDR-Ministerpräsidenten<br />
„Grotewohl-Express“<br />
benannt, wurden die<br />
Verhafteten oft stundenlang in<br />
dunklen Einzelkabinen durch<br />
die Gegend gefahren. So sollte<br />
ihnen jeglicheOrientierung genommenwerden.<br />
Silke Gratopp undCarsten SockeimZellentrakt des ehemaligenStasi-Untersuchungsgefängnisses. FOTO:WERNERGESKE<br />
Häftlinge waren nurnoch<br />
eine Nummer<br />
„Niemand hat den Häftlingen<br />
gesagt, wohin die Reise ging.<br />
Kamen sie dann hier an, wusstensie<br />
also nicht, wo siesichbefanden.<br />
Sie wurden darüber<br />
auch weiterhinimUnklaren gehalten,umsie<br />
zu verunsichern.<br />
Raus ausdem Auto. Jetztmusste<br />
alles schnellgehen. Entwe<strong>der</strong><br />
wurde <strong>der</strong> Neuankömmling<br />
gleich ineine lichtlose Zelle gebracht<br />
o<strong>der</strong> ihm wurden Fingerabdrücke<br />
abgenommen und<br />
Fotos von ihm gemacht. Eine<br />
Leibesvisitation war obligatorisch.Dannerhielt<br />
<strong>der</strong> Verhaftete<br />
seine Häftlingskleidung. Von<br />
daanwarernurnocheineNummer.<br />
Im Laufschritt ging es in<br />
eine <strong>der</strong> 50 Zellen“, beschreiben<br />
esdie beiden Mitarbeiter<br />
<strong>der</strong> Gedenkstätte. Im Durchschnitt<br />
musstendie Inhaftierten<br />
fünf bis sechs Monate in <strong>der</strong><br />
Untersuchungshaft verbringen,<br />
dabei wurden sie ständig verhört<br />
und starkisoliert. Den, <strong>der</strong><br />
sich dennoch unbeugsamzeigte,<br />
versuchte die Staatssicherheit<br />
zumindest noch in den<br />
1960er Jahren mit tagelanger<br />
Dunkelhaft zu brechen.Die vier<br />
Zellen im Keller vermitteln einen<br />
Eindruck davon, wasdie Eingesperrtenteilweiseüber<br />
Wochen<br />
erleidenmussten.<br />
Doch die Gedenkstätte berichtet<br />
nicht nur von Verzweiflung<br />
und Hilflosigkeit. Aktuell<br />
ziehtdie Ausstellung „Protest–<br />
Opposition –Verweigerung im<br />
ehemaligen Bezirk Rostock“ die<br />
Aufmerksamkeit <strong>der</strong> Besucher<br />
auf sich. Das Beson<strong>der</strong>e an dieser<br />
Schau: „Die Bürger haben<br />
sie entscheidend mitgestaltet<br />
und uns etwa 60 Gegenstände<br />
aus 40 Jahren Diktatur zur Verfügung<br />
gestellt, die von Unterdrückung,<br />
aber auch vom Wi<strong>der</strong>stand<br />
gegen dasRegimeberichten“,<br />
sagt Carsten Socke.Er<br />
verweist unter an<strong>der</strong>em auf<br />
heimliche Abschriften von Gedichtendes<br />
von<strong>der</strong> DDRausgewiesenen<br />
Dichters Wolf Biermann.<br />
Diesesindinden Vitrinen<br />
ebenso zu sehen, wieBriefevon<br />
Künstlern, die sich mit ihren<br />
Werken gegen den real existierenden<br />
Sozialismus stellten und<br />
diese anihre Kollegen inaller<br />
Welt schickten. Transparente<br />
aus Zeiten <strong>der</strong>friedlichen Revolution<br />
stehenin<strong>der</strong> Ausstellung<br />
letztlich für den Erfolg des Wi<strong>der</strong>standes.<br />
Die Gedenkstätte ist jeden<br />
Dienstag und Donnerstag geöffnet.Zusätzlich<br />
wirdanjedem<br />
Donnerstag ab 15 Uhr eine öffentliche<br />
Führung angeboten.
SONDERVERÖFFENTLICHUNG 19<br />
Wende-Direktorüber RügenerCliff<br />
Hotel: „Für kleines Geldgab es Luxus“<br />
VON ULRIKE SEBERT<br />
Über <strong>der</strong> Rügener Küste<br />
thront das CliffHotel.Esist ein<br />
Luxus-Domizil miteinerwechselhaften<br />
Geschichte. Denn<br />
früher verbrachten im ehemaligen<br />
„ZK-ErholungsheimBaabe“<br />
Egon Krenz, Günter Schabowski<br />
o<strong>der</strong> Margot Honecker<br />
ihren Sommerurlaub. Die<br />
Spuren aus den Anfängen findet<br />
man nochheute.<br />
SELLIN–„WeihnachtenundSilvester1989<br />
konnten die Gäste natürlich<br />
nicht wie gewohnt an <strong>der</strong>Ostsee<br />
feiern“, sagt Karl-Heinz Pyritz<br />
im CliffHotel in Sellin aufRügen. Er<br />
ist eigentlich mit seiner Frau zum<br />
Wellnesswochenende gekommen,<br />
aber sitzt mit Hoteldirektor<br />
Peter Schwarzschonviele Stunden<br />
an<strong>der</strong>ChronikdesHauses.<br />
„Wir sind einHotel miteiner beson<strong>der</strong>en<br />
Geschichte. Das war<br />
nicht immer einfach, aber wir sind<br />
unsdessenbewusstundmanmuss<br />
sich seriös damit beschäftigen,<br />
weil es viele Gäste interessiert“,<br />
sagt Peter Schwarz. Er kam 1997<br />
aus Hessen nach Rügen und leitet<br />
seit 2008 das Cliff Hotel. Mit 246<br />
Zimmern und 125Mitarbeitern. Es<br />
istseit 2007imBesitz<strong>der</strong> Dr.Lohbeck<br />
Hotelgruppe mit insgesamt<br />
27 an<strong>der</strong>en Häusern inDeutschland,ÖsterreichunddenUSA.<br />
SED-Prominenzauf<br />
Sommerurlaub<br />
1978 wurde das Haus als Erholungsheim<br />
Baabe für das Zentralkomitee<br />
undPolitbüro<strong>der</strong> DDR eröffnet,gleichoberhalb<br />
<strong>der</strong> Ostsee.<br />
Zwei Bettenhäuser aus hellem<br />
Sandstein mit klaren geometrischen<br />
Formen, dazwischen aufsteigende<br />
Sonnenterrassen und<br />
VerbindungsbautenaufeinemGelände<br />
von 100 000 Quadratmetern.<br />
HansModrow,Günter Schabowski,<br />
Egon Krenz und all die an<strong>der</strong>en<br />
mit ihren Familien machten<br />
hier gern Sommerurlaub. Honecker<br />
übernachtete nur selten hier.<br />
Erweiltelieberauf<strong>der</strong>ruhigenInsel<br />
Vilm.DafürkamseineFrauMargot<br />
sehr gern. Denn hier wurde getanzt,gut<br />
gegessen und mantraf<br />
Derehemalige Hotel-ChefKarl-Heinz Pyritz (v.r.) und<strong>der</strong> amtierende Hotel-Direktor PeterSchwarz auf dem<br />
Dach desSelliner Cliff-Hotels –mit phantastischer Aussichtauf die Ostsee-Küste.<br />
FOTO: CHRISTIAN RÖDEL<br />
auf internationales Publikum aus<br />
über 130 Län<strong>der</strong>n. Nicht nur auf<br />
Gäste <strong>der</strong> sozialistischen Bru<strong>der</strong>län<strong>der</strong>,<br />
son<strong>der</strong>n auch auf Mitglie<strong>der</strong><br />
kommunistischer Parteien<br />
Frankreichs, Belgien, Italiens und<br />
<strong>der</strong>BRD.<br />
Im Herbst und Winter kamen<br />
die Kreis- und Bezirksfunktionäre<br />
<strong>der</strong> Republik.Das Gelände wurde<br />
rundherum gutbewacht. EinFahrstuhl<br />
bringt die Hotelgäste heute<br />
noch immer direkt an den Strand.<br />
Karl-Heinz Pyritz kennt das Haus<br />
seit 1976. Damals hatte er schon<br />
den Baustab bekocht, wieersagt.<br />
Später wurde er Küchenchef und<br />
1984 Gastronomischer Direktor.<br />
„Dann kam die Wende und alles<br />
überschlug sich“, erinnertsich <strong>der</strong><br />
74-jährige.„DerHoteldirektorwar<br />
nichtmehrerschienen.Aufseinem<br />
Schreibtisch lag <strong>der</strong> Schlüssel auf<br />
einem Zettel,woraufgeschrieben<br />
stand: ‚Ich wünsche Dir und dem<br />
HausvielGlück! .“<br />
SicherheitsrisikoimNovember<br />
1989<br />
Karl-Heinz Pyritz stellte sich ohne<br />
Zögern<strong>der</strong> Verantwortung,für die<br />
174 Mitarbeiterund dieSicherung<br />
des Hauses. „In <strong>der</strong> zweiten Novemberwoche1989ließich<br />
große<br />
weiße Kerzen, in Glasröhren geschützt,rundumdas<br />
Haus aufstellen<br />
und mit Einbruch <strong>der</strong> Dunkelheitanzünden.Verrückt,daswarja<br />
das Symbol <strong>der</strong> Friedensbewegungin<strong>der</strong>DDR.An<strong>der</strong>Vor<strong>der</strong>seite<br />
<strong>der</strong> Hotelhäuser ließ ich inbestimmten<br />
Zimmerndas Licht brennen<br />
und es schliefen immer Mitarbeiter<br />
im Haus“, erinnert er sich.<br />
„Zehn <strong>Tag</strong>e waren noch Gäste im<br />
Haus, dann konnten wir ihre Sicherheitnichtmehrgewährenund<br />
haben sie gebeten, bis 14.00 Uhr<br />
abzureisen“,erzähltPyritzweiter.<br />
Elke Gloser, langjährige Gästebetreuerin<br />
bis 2023, erinnert sich<br />
auch an Bombendrohungen.„Beson<strong>der</strong>s<br />
aufgebrachte Gäste aus<br />
den umliegenden FDGB-Ferienheimen,auch<br />
Selliner Bürger, wolltendas<br />
Haus stürmen“, erzählt Pyritz.<br />
„Sie schrien und hatten<br />
Gegenstände in denHänden. Ungefähr<br />
100Leute. Alsich sie beruhigenwollte,spürteicheinenStein<br />
an <strong>der</strong> Schulter.“ Diese 10bis 20<br />
Minuten erschienen ihm wie eine<br />
Ewigkeit. Am Ende hatten sie<br />
Gruppen in das Haus gelassen, ohne<br />
dass es größere Schäden gab.<br />
Da <strong>der</strong>Druck aus<strong>der</strong> Bevölkerung<br />
bezüglich des Hauses sehr hoch<br />
war, konnte man eine Erklärung<br />
am 14.12.1989in<strong>der</strong> OSTSEE-ZEI-<br />
TUNG lesen. Dort wurdebekanntgegeben,<br />
dass das Haus gegenwärtigzueiner<br />
Einrichtung mitöffentlichem<br />
Charakter umprofiliert<br />
werde, das Schwimmbad für die<br />
Öffentlichkeit freigegeben wird<br />
und dass die Mitarbeiter nicht<br />
mehr gewillt seien, denbisherigen<br />
Gästekreis zu den alten Bedingungenzuversorgen.<br />
NeustartaufdemfreienMarkt<br />
Karl-Heinz Pyritz entwickelte<br />
schnelldie Vision, dasHausinein<br />
Hotel zu überführen und sich auf<br />
dem freien Markt zu bewegen.<br />
Vier seiner Kollegen unterstützten<br />
ihn. „Wir konntendoch alles, warensehrgut<br />
ausgebildet“, sagt <strong>der</strong><br />
langjährige Küchenchef Roland<br />
Ehrich. Sie gründeten gemeinsam<br />
eine GmbH unter treuhän<strong>der</strong>ischer<br />
Verwaltung und eröffneten<br />
dasHausam2.1.1990 alsCliff Hotel<br />
mit einem neuen Logo. Pyritz<br />
war Geschäftsführer. „Es war die<br />
Herausfor<strong>der</strong>ungmeinesLebens“,<br />
sagterzuPeterSchwarz.<br />
„AmAnfangkamen vieleLeute<br />
ausden alten Bundeslän<strong>der</strong>n,das<br />
war für kleines Geld Riesen-Luxus“,<br />
erinnert sich Roland Ehrich,<br />
<strong>der</strong> bis 2021 als Küchenchef hier<br />
gearbeitet hat. Pyritz verließ das<br />
Hotel 1995. DieTreuhand verkaufte<br />
dasganze Areal.„Es istnatürlich<br />
über die Jahre viel verän<strong>der</strong>t und<br />
mo<strong>der</strong>nisiert worden. Auch Zimmerwurdenangebaut“,sagtPeter<br />
Schwarz.„Aberesgibtnocheinige<br />
Spuren ausden Anfängen. Die TürenimSchwimmbadzum<br />
Beispiel.<br />
Die hat Reginald Richter, <strong>der</strong> die<br />
große GlasblumeimPalast<strong>der</strong> Republik<br />
gestaltet hat, entworfen.<br />
Daraufsind wir sehrstolz. Und natürlichaufdieberühmtefreischwebende<br />
Dachkonstruktion inunseremSchwimmbadvon<br />
Ulrich Müther,<br />
<strong>der</strong> zuDDR- Zeiten weltweit<br />
gefragt war.“ Der Hoteldirektor<br />
vereint Geschichte und Zukunft<br />
undsagt:„Wirmüssenunsendlich<br />
lösen von diesem Ost-West-Gedanken.WirsinddochalleEuropäer<br />
und müssten auch Weltbürger<br />
sein“.
20 SONDERVERÖFFENTLICHUNG<br />
Friedliche Revolution–Wieein<br />
DDR-Kritiker dieerste Demoverpasste<br />
VONCARINA GÖLS<br />
Wutauf „die da oben“, aufdie<br />
Grünen, auf den Westen<br />
scheinen Gefühlsregungen<br />
<strong>der</strong> Abwehr im Osten zu sein.<br />
35 Jahre nach <strong>der</strong> Wende, die<br />
im Nordosten in Waren begann,<br />
erst recht?<br />
WAREN –Ausgerechnet an jenem<br />
<strong>Tag</strong>war er nicht da. Alsangehen<strong>der</strong><br />
Pastor war Vikar<br />
Christoph deBoor mit Kin<strong>der</strong>n<br />
zu einer Rüstzeit, während in<br />
„seiner“ Stadt, in Warenan<strong>der</strong><br />
Müritz, einStück Geschichte geschrieben<br />
wurde. Denn am<br />
Montag, dem 16. Oktober<br />
1989, setzten Freunde, Sympathisanten,<br />
Hoffnungsvolle, mutige<br />
Mitstreiter, Visionäre, Aufbegehrende,<br />
Väter, Mütter,<br />
Großeltern, Alte, Junge ... einen<br />
Meilenstein auf dem Weg <strong>der</strong><br />
friedlichen Revolution in <strong>der</strong><br />
DDR.<br />
Doch jener friedliche Abend<br />
in Waren, <strong>der</strong> heute auch von<br />
<strong>der</strong> Landespolitik so großgeschrieben<br />
wird –schließlich gilt<br />
er als „die erste Demonstration<br />
im Norden“. Sie warund istein<br />
ausschlaggeben<strong>der</strong> Grund, um<br />
dieStadt zum Gedächtnisortfür<br />
Mecklenburg-Vorpommern ernannt<br />
zu haben –jener Abend<br />
aber warnur einweiterer Schritt<br />
imReigen <strong>der</strong> subversiven Pläne<br />
an <strong>der</strong>Müritz. Und bei allen an<strong>der</strong>enwar<br />
Christoph de Boor dabei:Schon<br />
am 8. Oktober, als in<br />
seiner Wohnung in <strong>der</strong> Langen<br />
Straße 9inWaren –Frauen und<br />
Männer, Freunde, Bekannte ins<br />
Familien-Wohnzimmer drängten.<br />
Immer häufiger, immer intensiver<br />
wolltensie diesean<strong>der</strong>e<br />
DDRdiskutieren.<br />
Das erst 40 Jahre alte Haus<br />
„DDR“ hatteRisse bekommen –<br />
in <strong>der</strong> Wirtschaft, aber auch<br />
mehr und mehr inden Köpfen<br />
<strong>der</strong>er, die unter dem Dach <strong>der</strong><br />
Republik lebten, diesem Arbeiter-<br />
und Bauernstaat. „Dass da<br />
Spannungen, Wi<strong>der</strong>sprüche,<br />
dass die Wirklichkeit sich nicht<br />
so entwickelte, wie dieParteitage<br />
es beschlossen hatten, das<br />
haben alle gespürt.“<br />
Schwerin machte Warenzum<br />
zentralenErinnerungsort<br />
Die Freude war dann groß, als<br />
die Landesregierung 2018 entschied,<br />
die Stadt Waren zum<br />
zentralen Erinnerungsort an die<br />
friedlichen Demonstrationen im<br />
Herbst 1989 zu entwickeln.<br />
Zwar fiel dieBerliner Mauer und<br />
damit <strong>der</strong> Eiserne Vorhang am 9.<br />
Die Kunstinstallation„Perspektivenzur Freiheit“als Erinnerungszeichen<br />
zurfriedlichen Revolutionin<strong>der</strong> DDRwurde vorfünfJahrenvor <strong>der</strong> Georgenkirche<br />
in Waren eingeweiht. EinMann <strong>der</strong>erstenStunde in <strong>der</strong> Vorwende-ZeitinWaren<br />
warChristoph de Boor.<br />
FOTO: CARINA GÖLS/ZVG<br />
November 1989. Doch bereits<br />
am 16. Oktober 1989 fand in<br />
Waren <strong>der</strong> erste Demonstrationszug<br />
im Norden <strong>der</strong> DDR<br />
statt-mitrund400Teilnehmern.<br />
Noch vor den großen Städten<br />
machten sich hier nach dem Fürbittgottesdienstin<strong>der</strong><br />
St. Georgen<br />
Kirche mutige Menschen<br />
mit Kerzen in den Händen auf,<br />
um den öffentlichen Raum für<br />
sich zu beanspruchen. 35 Jahre<br />
istdas her.EineZeit, in <strong>der</strong> eine<br />
neue Generation wuchs, geprägt<br />
von den Werten <strong>der</strong> Altvor<strong>der</strong>en<br />
und den neuen Perspektiven<br />
gleichsam. So viel Zeit<br />
nach <strong>der</strong> politischen Wende im<br />
Land liegt ein an<strong>der</strong>er Blick auf<br />
den großen und kleinen MomentenjenerStunden,<strong>Tag</strong>eund<br />
Wochen einen. Zwischen Mauer-Zurückwünschern<br />
und<br />
Durchstartern liegen die ganz<br />
privaten Ängste, Ziele, Hoffnungen,<br />
Glück, Verlust und Stolz.<br />
Brüche und Aufbrüche <strong>der</strong><br />
Nachwendezeit, Pläne und Pleiten<br />
–all das haben auch die<br />
Wegbereiter von einst kennengelernt.<br />
Als die bunten Botschaften<br />
des Kapitalismus die<br />
des realen DDR-Sozialismus zu<br />
übertönen begannen, Helden<br />
wi<strong>der</strong> Willen geboren wurden<br />
und DDR-Durchhalteparolen<br />
neben westdeutscher Werbe-<br />
Lyrik zu verblassen begannen.<br />
„Demokratie ist nicht<br />
selbstverständlich“<br />
Weggehen o<strong>der</strong> bleiben?<br />
„Weggehen war fürmich keine<br />
Option,auchauschristlicherTradition.<br />
Ich war verheiratet, wir<br />
waren mit unseren Kin<strong>der</strong>n in<br />
Waren zuHause. Dass an<strong>der</strong>e<br />
gingen, das war okay.Ich wollte<br />
hierbleiben und hier etwas verän<strong>der</strong>n.“Gelang<br />
es?<br />
Christoph de Boor: „Wenn<br />
ich mich heute an die Friedliche<br />
Revolution vor35Jahren erinnere,<br />
denke ich zuerst daran, wie<br />
verletzlich und gefährdet unsere<br />
damals erkämpfte Demokratie<br />
geworden ist. In den letzten Jahren<br />
zeigt sich immer mehr, dass<br />
ein demokratisches Gemeinwesen<br />
und die Wahrung <strong>der</strong><br />
Grundrechtekeineswegsgleichsam<br />
naturgegeben und selbstverständlichsind.Siemüssengeschützt<br />
und aktiv bewahrt werden.“<br />
Der Blick nach Amerika<br />
unter Trump o<strong>der</strong> nach Ungarn<br />
unter Orban zeige, wie schnell<br />
dieDemokratie ausgehöhlt werden<br />
kann: Die Freiheit <strong>der</strong> Medien<br />
werde eingeschränkt und<br />
die unabhängige Gerichtsbarkeit<br />
werd unter Kontrolle gebracht.<br />
„Aus<strong>der</strong> Herrschaft des<br />
Rechts wird das Recht <strong>der</strong> Herrschenden.<br />
Mich erschreckt, mit<br />
welcher Selbstverständlichkeit<br />
insbeson<strong>der</strong>ePolitikerin<strong>der</strong>AfD<br />
solche Positionen offen vertreten<br />
und unser demokratisches<br />
System infrage stellen.“<br />
Blick überden <strong>deutschen</strong><br />
Tellerrand hilft<br />
Die „Spaltung in unseremLand“<br />
beschäftige ihn auch. „Essind so<br />
viele Probleme, denen wir uns<br />
stellenmüssen.DieCorona-Pandemie<br />
hatuns alle viel Kraft gekostetundgroßefinanzielleRessourcen<br />
gebunden. Der Klimawandel<br />
zwingt uns, die Nutzung<br />
fossiler Brennstoffe zu verringernunddieerneuerbarenEnergieträgerauszubauen,wennwir<br />
die Zukunft für unsere Kin<strong>der</strong><br />
und Enkel schützen wollen. Der<br />
russische Überfall aufdie Ukraine<br />
lässt uns keine Wahl, als die<br />
Ukraine materiell zu unterstützen<br />
und selbst viel mehr Mittel<br />
für die eigene Verteidigungsfähigkeit<br />
aufzubringen.“<br />
Bei aller Kritik an den Unzulänglichkeiten<br />
hierzulande helfe<br />
ihm auch <strong>der</strong> Blicküber denTellerrand<br />
Deutschlands hinaus,<br />
die Erkenntnis, „in einem reichen<br />
Land mit einer hohen sozialen<br />
Sicherung in Freiheitzuleben.“<br />
Einem Land, indem man<br />
Regierungsentscheidungen<br />
nicht willkürlichausgeliefert sei,<br />
son<strong>der</strong>n sie gerichtlich prüfen<br />
lassen könne. „Demokratie<br />
lohnt sich. Demokratie ist anstrengend.<br />
Heute ist esunsere<br />
Aufgabe, die 1989 in <strong>der</strong>friedlichen<br />
Revolution 1989erkämpfte<br />
Demokratie zu schützen und<br />
zu stärken.“
SONDERVERÖFFENTLICHUNG 21<br />
„Ichhabe damals alles umgetauscht“, Peter Kolzarek, langjähriger Filialleiter<br />
<strong>der</strong> BundesbankinRostock,über seinletztes DDR-Geld. FOTO:JAKOB GRAFE<br />
DDR-GeldimDDR-Alltagsmuseum: Einige <strong>der</strong>Münzenhaben heute<br />
einenhohen Sammlerwert.<br />
FOTO: ZVG/PRIVAT<br />
Unter Sammlern beliebt: DDR-Münzen<br />
sind heute teils tausendeEurowert<br />
VON TOM GRAFE<br />
DDR-Geld kann zwar nicht<br />
mehr umgetauscht werden,<br />
dennoch ist es unter Sammlern<br />
sehr beliebt. Einige <strong>der</strong><br />
Münzen sind heute mehrere<br />
Tausend Euro Wert. Der Hype<br />
um spezielle Münzen ist ungebrochen.<br />
Doch auch ein<br />
Blick auf die eigenen D-<br />
Markt-Rücklagen kann sich<br />
lohnen.<br />
ROSTOCK –Obwohl sich DDR-<br />
Geld nicht mehr umtauschen<br />
lässt, wechseln einige Münzen<br />
heute zu enormen Preisen Besitzer.Unter<br />
Sammlernund Liebhabernwerden<br />
teils tausende Euro<br />
aufgerufen –denn einige Geldstückehaben<br />
sichzuechten Raritätenentwickelt.<br />
„Nur für Sammler hat das<br />
DDR-Geld noch einen Wert“,so<br />
Peter Kolzarek, <strong>der</strong> ehemaligeFilialleiter<strong>der</strong><br />
Bundesbank in Rostock.<br />
Neben dem Hype umdie<br />
beson<strong>der</strong>en Fünf-, Zehn- o<strong>der</strong><br />
auch 20-Euromünzen, welche<br />
jedes Jahr in verschiedenen Versionen<br />
über die Bundesbank erscheinen,<br />
hätten es in MV auch<br />
viele Menschen auf das DDR-<br />
Geldabgesehen.<br />
Museum in Malchow stellt<br />
DDR-Geld aus<br />
Viel Geldbefindet sich nochimmer<br />
imBesitz von Privatpersonen.<br />
Sehen kann man esaber<br />
auch noch imDDR-AlltagsmuseuminMalchow.„Mit<br />
Ausnahme<br />
des 200erund 500er-Scheins<br />
stellen wir alle Münzen und<br />
Scheine <strong>der</strong> DDR aus“, so die<br />
Museumsleiterin, Susanne Burmeister.<br />
Auch heute werden<br />
dem Museum noch regelmäßig<br />
Scheine und Münzen von Besuchern<br />
angeboten. „Oft hören<br />
wir von unseren Besuchern<br />
auch: ‚Den Eintritt könnte ich<br />
auchinOstmarkzahlen “, sagt<br />
dieMuseumsleiterin.<br />
Über die Jahre habe sich das<br />
Geld angesammelt. Heute besitzt<br />
das Museum hun<strong>der</strong>te<br />
DDR-Mark. „Anfangs wollten<br />
vieledas Geldloswerden, für einige<br />
haben die Münzen heute<br />
aber noch einen emotionalen<br />
Wert“, so Susanne Burmeister.<br />
Die meisten DDR-Münzen bestehen<br />
aus Aluminium und haben<br />
daher keinen materiellen<br />
Wert. „Eine Ausnahme ist die<br />
20-Pfennig-Münze, die besteht<br />
aus einer Messing-Legierung“,<br />
soKolzarek.<br />
Trotz des geringen Wertes<br />
werden die Münzen heute über<br />
das Internet verkauft. Einige<br />
Ausgaben wie die 20-Pfennig-<br />
Münze aus denJahrenzwischen<br />
1956 und1990 sind sehrbeliebt.<br />
Ebenfalls beliebt sind DDR-Gedenkmünzen.<br />
Sowird die „20<br />
Mark Karl Marx Silbermünze“<br />
aus dem Jahr 1968. Für diese<br />
wird ein Preisfür fast5000 Euro<br />
aufgerufen. Der Wert entsteht<br />
laut Kolzarek überwiegend aus<br />
<strong>der</strong> geringen Auflage <strong>der</strong> Münzen<br />
in den jeweiligen Jahren.<br />
Auch Münzen von Mark Friedrich<br />
Schinkel o<strong>der</strong> Gottfried Wilhelm<br />
würden für dreistellige<br />
Summen den Sammler wechseln.<br />
Ehemaliger Leiter<strong>der</strong><br />
RostockerBundesbank über<br />
DDR-Geld<br />
Kolzarek ist in er DDR aufgewachsen.<br />
Vorseiner Zeit in Rostock<br />
hat erunter an<strong>der</strong>em in<br />
Cottbus gelebt. „DDR-Geld habe<br />
ichselbst nicht mehr“, sagt er.<br />
„Ich habe damals alles umgetauscht.“<br />
Bei <strong>der</strong> Bundesbank<br />
hat <strong>der</strong> 64-Jährige seit über 30<br />
Jahren gearbeitet. Eine seiner<br />
spannendsten Stationen war<br />
unter an<strong>der</strong>em die DDR-Zentralbank<br />
in Cottbus. Zur Wende<br />
mussteerdas DDR-Geldzeitweise<br />
in Geldsäcken wegschleppen.<br />
Auch wenn erselbst kein DDR-<br />
Geld mehrhat,sohat er sich aus<br />
<strong>der</strong> Zeit dennoch ein spannendes<br />
Andenken gesichert: das<br />
Türschild <strong>der</strong> DDR-Zentralbank.<br />
Dieses nahm er mit nach Rostock,als<br />
er voretwazehn Jahren<br />
in die Hansestadt kam. Dort lagert<br />
er es heute noch.<br />
Am 5. September dieses Jahreswurde<br />
Kolzarek alslangjähriger<br />
Leiter <strong>der</strong> Bundesbank in<br />
Rostock in den Ruhestand verabschiedet.<br />
Der Nachfolger steht<br />
mit Sven Lilienthal schon länger<br />
fest.<br />
12 Milliarden D-Marknoch<br />
nicht umgetauscht<br />
Bei diesem können künftig in<br />
Rostock noch D-Mark umgetauscht<br />
werden. „Ein Euro ist<br />
<strong>der</strong>zeit etwazwei D-Markwert“,<br />
sagt Kolzarek.Umtauschen könne<br />
man dieses Geld noch ohne<br />
Frist.„Mehr als12Milliarden D-<br />
Mark sind bisheute nicht umgetauscht<br />
worden“, sagt Kolzarek.<br />
„EinGroßteilliegt beiSammlern<br />
–o<strong>der</strong> gilt als verloren.“ Etwa<br />
sechs Milliarden Euro schlummern<br />
demnach noch in den<br />
<strong>deutschen</strong> Haushalten.<br />
Bemerkenswert: Zuletzt wurde<br />
wie<strong>der</strong> mehr Geld umgetauscht.<br />
Im vergangenen Jahr<br />
waren es rund 53 Millionen<br />
Mark,2022waren es nur49MillionenEuro.<br />
„Das hängt vermutlich<br />
damit zusammen, dass die<br />
Menschen realisieren, dass eine<br />
neue Währungsreform mit<br />
einem Wechsel auf D-Mark immerunrealistischer<br />
wird.Zudem<br />
erben viele junge Menschen<br />
noch D-Mark,welche siemeistin<br />
Euro umtauschen“, sagt Peter<br />
Kolzarek.
22 SONDERVERÖFFENTLICHUNG<br />
Turm 14 Jahrelang saniert<br />
VONINES SOMMER<br />
Während sich vielein<strong>der</strong> DDR<br />
in eine Wohnung inden schicken<br />
neuen Plattenbauten<br />
verliebten, nahm sich Frank<br />
Hoffmann ein beson<strong>der</strong>es<br />
Projekt zur Brust. Als er1974<br />
nach Stralsund kam, umeine<br />
hun<strong>der</strong>te Jahre alte Ruine zu<br />
sanieren, nannten sie ihn verrückt.<br />
Nun lebt erschon seit<br />
1988 in einem Teil des<br />
UNESCO-Weltkulturerbes.<br />
STRALSUND–So mancher, <strong>der</strong>in<br />
Stralsund über die Marienstraße<br />
zum Ärztehaus am Frankenwall<br />
läuft,stand sicherschon vor dem<br />
stets verschlossenenGittertor und<br />
fragte sich,wer hier wohl wohnt.<br />
„Wichmannsgang“stehtüber<strong>der</strong><br />
Tür–dahinter bietet sich ein AnblickwieaufeinMärchenschloss.<br />
Der Mann, <strong>der</strong>hier wohnt,lebt<br />
nicht nur in einem Denkmal mit<br />
Weltkulturerbe-Status,son<strong>der</strong>ner<br />
ist gleichzeitig <strong>der</strong>einzige Bewohner<br />
mit <strong>der</strong> Adresse Wichmannsgang.<br />
Denn auf diesem Grundstück<br />
gibt es nur noch ein Haus,<br />
und dasist mit <strong>der</strong>Nummer 2ein<br />
ehemaliger Wehrturm, <strong>der</strong> zur<br />
Stralsun<strong>der</strong>Stadtmauergehört.<br />
Zermürben<strong>der</strong>Wegbiszur<br />
Rettung<br />
FrankHoffmanniststolzaufdieses<br />
Stück Stadtgeschichte, daserretten<br />
konnte. Allerdings war es ein<br />
teilweise zermürben<strong>der</strong> Weg, bis<br />
er 1988 endlich mitFrau undzwei<br />
Kin<strong>der</strong>n hier einziehen konnte.<br />
„DaszerfalleneHaus,ausdemAnfang<br />
<strong>der</strong> 70er die letzten Mieter<br />
ausgezogen sind, gehörte damals<br />
<strong>der</strong> Gebäudewirtschaft, und die<br />
mussteschnell Wohnraumbesorgen,dakonnteman<br />
sich nicht mit<br />
so einer aufwendigen Sanierung<br />
herumschlagen. Die waren froh,<br />
als 1974 ein Verrückter kam und<br />
sagte:Ichmach’das“,erinnertsich<br />
Hoffmann.<br />
„Erst beim Aufmaß undbei <strong>der</strong><br />
genauen Prüfung merkte ich, in<br />
welch jämmerlichem Zustand das<br />
Haus war.“Aber mit Anfang 30<br />
schreckteinensoetwasnicht,man<br />
krempeltdie Ärmel hoch undlegt<br />
los, so sein Rückblick.Schnellwar<br />
klar: Eine Sanierung imBestand<br />
war für den Wehrturm und den<br />
später erfolgten Anbau nicht<br />
möglich. „Ich musste den Anbau<br />
komplett erneuern. Es gab nicht<br />
einfach so Handwerker. Oberschüler<br />
undStudenten, die sich etwas<br />
dazuverdienen wollten, aber<br />
auch Maurer,die nachFeierabend<br />
halfen, unterstützten mich. Stein<br />
für Steinwurde abgetragen“, berichtet<strong>der</strong>heute81-Jährige.<br />
Hoffmannkam 1968 nach dem<br />
Architekturstudium in Weimar in<br />
die Hansestadt, heuerte beim Rat<br />
<strong>der</strong>StadtimBauamtan,woeinBüro<br />
für Stadtplanung aufgebaut<br />
werden sollte, undwar künftig für<br />
den Denkmalschutz verantwortlich,<br />
viele Jahre als „One-Man-<br />
Show“.<br />
SovielPlatzhattenichtje<strong>der</strong><br />
„Beson<strong>der</strong>s eng habe ich mit Käthe<br />
Rieck zusammengearbeitet,<br />
daswar eine schöneZeit, ichhatte<br />
in meiner Arbeitrelativfreie Hand.<br />
Und ich hatte ein Netzwerk, das<br />
ichnatürlichfür dieSanierung des<br />
Turms mit nutzen konnte. Auch<br />
wennmanselbstplantundorganisiert,<br />
du brauchst ja dasMaterial,<br />
und alles kann manauchnicht alleinemachen.Ich<br />
hattegute Kontaktezur<br />
PGH Fortschritt, die mich<br />
mit Mörtel versorgte. Alleine drei<br />
Tischlerhaben an <strong>der</strong>Treppe in die<br />
Obergeschosse mitgewirkt.“ Für<br />
dieWärmeimTurmsorgtbisheute<br />
eine Fußbodenheizung –damals<br />
eine Sensation. „Die hat die TGA<br />
mitihrerLehrlingsabteilungeingebaut.“<br />
1988 konnten die Hoffmanns<br />
in den sanierten Wehrturm<br />
einziehen. 100 Quadratmeter<br />
Wohnflächehattendie Eltern und<br />
ihrebeidenKin<strong>der</strong>zur Verfügung.<br />
„Die Mädchen hattenihr Domizil<br />
unterm Dach. Jede ein eigenes<br />
Zimmer,das hatte ja auch nicht jede<br />
Familie“, so <strong>der</strong> Papa. Schlafzimmer<br />
mit vielen Fenstern,<br />
Wohnbereich mitFernseher,mehrere<br />
Arbeitszimmer, Bad mit Dusche<br />
und Ausblick auf den Teich<br />
gehören heuteebenso zum Wohnen<br />
im Turm wie eine große<br />
Wohnküche im Erdgeschoss–mit<br />
einemFenstersogroßwieimStralsun<strong>der</strong>Rathaus.<br />
Nichtje<strong>der</strong>wollteindiePlatte<br />
ziehen<br />
„Ich hätte damals niemals gedacht,dassich<br />
so lange brauche.<br />
Entrümpelung, Aufmaß, Statikprüfung,<br />
Planungen, Genehmigungen,<br />
das hat alles Jahre gebraucht,<br />
zumal wirjaviele Sachen<br />
am Bau nur im Sommer machen<br />
konnten.“ Aber aufzugebenkam<br />
für Frank Hoffmannnicht infrage.<br />
„Dawar einerseitsmeineEhreals<br />
Architekt. Und ich wollte in <strong>der</strong><br />
Stadt auch zeigen, dass man so<br />
eineSanierung schaffenkann, sozusagen<br />
als Beispiel für an<strong>der</strong>e.<br />
Dennnicht je<strong>der</strong>wollteindie Platteziehen.Esgabeinige,denendas<br />
Herz blutete, wennsie sahen, wie<br />
sträflich man mit den Häusern in<br />
<strong>der</strong>Altstadtumging.“<br />
Es wareine Zeit,die FrankHoffmann<br />
zu schaffen machte. „Ich<br />
hab’ mirjeden <strong>Tag</strong>überlegt, welchen<br />
Weg ich zur Arbeit nehme,<br />
um nicht nur an verfallenen Häusern<br />
vorbeizukommen...“Gab es<br />
Architekt Frank Hoffmann wohntineinem denkmalgeschütztemHaus,<br />
mitten im Stralsun<strong>der</strong> Weltkulturerbe.<br />
FOTO: INES SOMMER<br />
gar keinen Lichtblick? „Doch, die<br />
Sachen,die wiran<strong>der</strong> Stadtmauer<br />
o<strong>der</strong> imSchele-Haus zusammen<br />
mitdenPolenrekonstruierthaben,<br />
machten einen schon stolz. Aber<br />
forciert wurde janur <strong>der</strong> Plattenbau,<br />
um schnellviel Wohnraumzu<br />
schaffen. Deshalb hatte ich auch<br />
gekündigt, ließ mich aber breitschlagen,<br />
solange zubleiben, bis<br />
Ersatzdawar.“Derkamirgendwie<br />
nie. Schließlich blieb<strong>der</strong> gebürtige<br />
Oberlausitzer bis 1994 Angestellter<strong>der</strong>Stadt.„Mit<strong>der</strong>Wendewurde<br />
es ja noch mal spannend, wir<br />
spürten so eine Euphorie. Und wir<br />
freuten uns, dassStralsund ausgesucht<br />
wurde als Beispiel für die<br />
Städtebauför<strong>der</strong>ung“, denkt <strong>der</strong><br />
Mann, <strong>der</strong> mittlerweile alleine<br />
„Herr“ über sechs Etagen Weltkulturerbe<br />
ist, gern zurück. Sein<br />
selbstsaniertesDenkmalhaterübrigens<br />
erst nach <strong>der</strong> Wende gekauft.<br />
Heute kann man auf allen Etagen<br />
des Hauses im Wichmannsgang<br />
2die Spuren eines prall gefüllten<br />
Arbeitslebens sehen. Zahlreiche<br />
Pläne, Zeichnungen und<br />
Architektenrollen zieren Tische,<br />
Schränke und Regale. Denn seitdemsichFrankHoffmann1994als<br />
Architekt selbstständig machte,<br />
haterjedeMengeBaustellenbetreut.„Ichhabeimmernochvielzu<br />
tun. Lei<strong>der</strong>hatte mich Coronalänger<br />
außer Gefecht gesetzt. Aber<br />
jetzt erhole ich mich langsam“,<br />
sagternickend und schiebthinterher:<br />
„Ichmussendlichdie Befundübersichtfür<br />
dieKlostersanierung<br />
aufschreiben.“<br />
Eine historische Ansicht vomTurm im<br />
Wichmannsgang. FOTO: INES SOMMER
SONDERVERÖFFENTLICHUNG 23<br />
EinWohngebietinSelmsdorf: Die Grenzgemeinde hatsich nach <strong>der</strong>Wende enorm entwickelt.<br />
Selmsdorf–früher Sperrgebiet,<br />
heuteauf <strong>der</strong>ÜberholspurimNorden<br />
FOTO:DIETMAR LILIENTHAL<br />
VON MICHAEL MEYER<br />
Die Gemeinde, diebis 1989 an<br />
<strong>der</strong> inner<strong>deutschen</strong> Grenze im<br />
Nirgendwo lag, ist seit <strong>der</strong><br />
Wende mit Neubaugebieten<br />
und Gewerbeansiedlung zu<br />
einer Perle in Mecklenburg<br />
mit 3200 Einwohnern gewachsen.<br />
SELMSDORF –Dort war nichts.<br />
Stacheldraht, Grenztürme,<br />
Grenzsoldaten. Das war die<br />
Realität vonSelmsdorf –damals<br />
im nordöstlichsten Zipfel <strong>der</strong><br />
DDR war die Gemeinde die<br />
nördlichste Grenzübergangsstelle<br />
zur Bundesrepublik<br />
Deutschland und somit Sperrgebiet.Nochheute<br />
zeugen hier<br />
Kasernenanlagen in Selmsdorf<br />
o<strong>der</strong>auchimbenachbartenLü<strong>der</strong>sdorf<br />
von <strong>der</strong> Zeit irgendwo<br />
im Nirgendwo zwischen den<br />
beiden Deutschlands bis zum<br />
Herbst 1989.<br />
Vor dem Mauerfall hatte<br />
Selmsdorf 870 Einwohner, kurz<br />
nach <strong>der</strong> Wende 1471 und so<br />
gut wiekeinGewerbe.Dort war<br />
nixlos und dort wolltekaumkeiner<br />
hin 1990. Und die, die dort<br />
lebten, wollten erstmal weg.<br />
Über Jahrzehnte dann waren<br />
Selmsdorf und auf <strong>der</strong> westlichen<br />
Seite Schlutup das Nadelöhr<br />
<strong>der</strong>Bundesstraße 105in<strong>der</strong><br />
Verbindung zwischen A1, Lübeck<br />
und Mecklenburg-Vorpommern.<br />
Nach demjahrzehntelangen<br />
Nichts kam <strong>der</strong> jahrelange<br />
Dauerstau.<br />
Autobahn-Bau brachte neue<br />
Chancen<br />
Dann kam die A20und seitdem<br />
geht es mit den ehemaligen<br />
Grenzgemeinden – heute<br />
Speckgürtel von Lübeck und<br />
Einzugsregion von Hamburg,<br />
auf <strong>der</strong> östlichen Seite Grevesmühlen,Wismar,<br />
Schwerinund<br />
demrecht wohlhabenden westlichen<br />
Teil Nordwestmecklenburgs<br />
bis hin ins schleswig-holsteinische<br />
Ratzeburg –bergauf.<br />
Jetzt leben rund 32oo Menschen<br />
inden Ortsteilen Selmsdorf,<br />
Hof Selmsdorf, Lauen,<br />
Sülsdorf, Teschow und Zarnewenz.<br />
Selmsdorf –hier findet<br />
man vielleicht eine <strong>der</strong> blühenden<br />
Landschaften, die <strong>der</strong> frühere<br />
Bundeskanzler Helmut<br />
Kohl(1930-2017) zur Wendeso<br />
euphorisch versprochen hatte.<br />
Die Gemeinde hat ein Bevölkerungswachstum<br />
von überdurchschnittlichen<br />
1,8 Prozent<br />
und weist seit Jahren neue<br />
Wohn- und Gewerbegebiete<br />
aus. ProJahrnimmt<strong>der</strong> Ort 4,23<br />
Millionen Euro an Gewerbesteuerein.<br />
Bürgermeister:„Wirleben<br />
vom Zuzug“<br />
Das erste Neubaugebiet „Am<br />
Tannenwald“ wurde 1998 erschlossen.2001<br />
ging es mitden<br />
Wohngebieten Am Sandberg,<br />
Flöhkamp,AmWasserwerk und<br />
Mühlenbruch weiter. Zwei weitereBaugebiete„Am<br />
Dorfpark“<br />
und innerorts „An <strong>der</strong> Dorfkirche“<br />
sindinPlanung.Jetzt gehe<br />
es erstmal um Lückenschlussim<br />
Dorf, sagt Bürgermeister MarcusKreft<br />
(SPD).<br />
Dazu Gewerbegebiete. Kreft<br />
sagt:„Wirleben vomZuzug.Bei<br />
uns sind Bauanträge in<strong>der</strong> RegelindreiMonaten<br />
durch.“Die<br />
Gewerbegebiete An <strong>der</strong> Trave<br />
und Herrenwykerscamp sind<br />
etabliert mit Unternehmen aus<br />
<strong>der</strong> Region.HierfindetsichMedizintechnik<br />
mit Lübeck-Bezug,<br />
Logistik, Lasertec o<strong>der</strong> Gartenmöbelversand.<br />
Das neue Gewerbegebiet<br />
Kurzstucken wurde<br />
in Rekordzeit geplant. Mehr<br />
als 70 Prozent <strong>der</strong>Grundstücke<br />
sind verkauft.Dortwirdgebaut.<br />
Der Ort hat eine Grundschule,<br />
drei Kitas, fünf <strong>Tag</strong>esmütter.<br />
Alle Grundschulkin<strong>der</strong> sind<br />
wohnungsnah eingeschult.<br />
Standen vor wenigen Jahren<br />
noch 80 Kin<strong>der</strong> auf den Wartelisten<br />
<strong>der</strong> Kin<strong>der</strong>tagesstätten,<br />
sind nun alle Kinnings untergebracht,<br />
obwohl Selmsdorf seitdem<br />
gewachsen ist. Im Dorf,das<br />
hübschund aufgeräumtwie ein<br />
großes Wohnzimmer mit Kopfsteinpflaster<br />
wirkt, gibt es zwei<br />
För<strong>der</strong>vereine, drei Sportvereine,<br />
Jugendclub, Bibliothek,<br />
Bolzplatz, BMXParcours,Waldspielplatz<br />
und Spielplatz an <strong>der</strong><br />
Kirche, Bäcker,Supermarkt, Piz-<br />
BürgermeisterMarcus Kreftspricht<br />
über denAufschwung vonSelmsdorf<br />
nach <strong>der</strong>Wende.<br />
FOTO:DIETMAR LILIENTHAL<br />
zeria. Die Feuerwehr wird neu<br />
gebaut. Und seit einem Jahr ist<br />
Selmsdorf jeden Mai fest in<strong>der</strong><br />
Hand schottischer Clans. Die<br />
Highland-Games mit Baumstammwerfen,<br />
Axtwurf, Steinstoßen<br />
undall solchemUrkraft-<br />
Gedöns haben sie2022den Kielernabgeluchst.<br />
Selmsdorf bietet einen Mix<br />
aus Neubaugebieten, Gewerbeansiedlung,<br />
dörflicher Struktur,<br />
Kultur, Freizeit, Sport und<br />
Verkehrsanbindung mit<strong>der</strong> Nähe<br />
zu denAutobahnen A1und<br />
A20sowie zudrei Häfen und<br />
Flughäfen. Und dazu: Ostsee-<br />
Idylle nahe Priwall und Strand<br />
mit <strong>der</strong> Halbinsel Teschow zwischen<br />
Trave, Pötenitzer Wiek,<br />
Dassower See und dem Waldgebiet<br />
Palinger Heide. Blühende<br />
Ortschaft.
Unsere<br />
Einladung<br />
#MVwow<br />
Großes<br />
Bürgerfest<br />
in Schwerin<br />
2.-4.Oktober<br />
2024<br />
VereintSegel setzen und gemeinsamfeiernin<br />
Schwerin.Rund um den<strong>Tag</strong> <strong>der</strong>Deutschen<br />
<strong>Einheit</strong> ladenMecklenburg-Vorpommern und<br />
dieLandeshauptstadt herzlichein.Erleben Sie<br />
einbuntes Programm fürdie ganzeFamilie.<br />
FindedeinenPlatz im Land zumLeben.<br />
www.mvtutgut.de