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Aktivitätenbericht BAV 2023

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Schweizerische Eidgenossenschaft<br />

Confédération suisse<br />

Confederazione Svizzera<br />

Confederaziun svizra<br />

Eidgenössisches Departement für Umwelt,<br />

Verkehr, Energie und Kommunikation UVEK<br />

Bundesamt für Verkehr <strong>BAV</strong><br />

Einblick in die Forschung<br />

und Innovation<br />

im öffentlichen Verkehr<br />

Berichtsjahr <strong>2023</strong><br />

Programme<br />

Bahninfrastrukturforschung<br />

Energiestrategie im öffentlichen Verkehr 2050<br />

Innovation im regionalen Personenverkehr<br />

sowie Ressortforschung Eisenbahnlärm und technische Neuerungen im Schienengüterverkehr


Durch die Förderung von Forschung und Innovation<br />

will das Bundesamt für Verkehr (<strong>BAV</strong>) erreichen,<br />

dass der öffentliche Verkehr (öV) und der<br />

Schienengüterverkehr noch effizienter, kundenfreundlicher<br />

und umweltschonender werden. Im<br />

Zentrum dieser Berichterstattung stehen dabei<br />

die Bahninfrastrukturforschung, das Programm<br />

Energiestrategie im öffentlichen Verkehr 2050<br />

und die Innovation im regionalen Personenverkehr.<br />

Ausserdem sind Beiträge zur Ressortforschung<br />

Eisenbahnlärm und zu technischen Neuerungen<br />

im Schienengüterverkehr enthalten. Die vorliegende<br />

Publikation gibt einen Einblick in einige der<br />

im vergangenen Jahr unterstützten Projekte und<br />

stellt in Interviews die beteiligten Personen vor.


INHALT<br />

Editorial 4<br />

Einblicke in die Projekte 6<br />

Wege zu einer fossilfreien mobilen<br />

Stromversorgung 6<br />

Elektrifizierung von Buslinien: Simulieren<br />

geht über Studieren! 8<br />

Glyphosat: Suche nach Alternativen 10<br />

So schnell hinunter wie hinauf 14<br />

Die Digitalisierung im Güterverkehr hängt<br />

an der Kupplung 17<br />

Schnell wie das Flugzeug, klimaschonend<br />

wie die Bahn 20<br />

Wenn Busse selber parkieren 24<br />

Geschwindigkeit messen mit dem Magnetfeld26<br />

Lärmschutz oder Erschütterungsschutz –<br />

Fünfer oder Weggli? 28<br />

Die Menschen hinter<br />

den Projekten 31<br />

Prof. Dr. Olga Fink:<br />

Wie künstliche Intelligenz hilft,<br />

die Infrastruktur zu optimieren 31<br />

Prof. Dr. Vincent Bourquin:<br />

Das Bahnsystem: stetig optimiert und<br />

doch noch nicht ausgereizt 36<br />

Daniel Jenzer:<br />

Forschung zu Bahnschranken? Aber sicher! 41<br />

Zahlen und Fakten 44<br />

Die drei Programme 48<br />

Forschungs- und Innovations förderung<br />

beim <strong>BAV</strong> 48<br />

Mitmachen 50<br />

3


Editorial<br />

Liebe Leserin, lieber Leser<br />

Die Schweiz gilt als Vorzeigeland des öffentlichen<br />

Verkehrs (öV). Im Ausland erfahre ich<br />

viel Lob und Anerkennung für die Dichte, die<br />

Pünktlichkeit, die Sicherheit und die Qualität<br />

des Schweizer öV. Auf diese Errungenschaften<br />

dürfen wir zu Recht stolz sein. Wir sind<br />

gleichzeitig gefordert, sie weiterzupflegen<br />

und weiterzuentwickeln – keine leichte Aufgabe<br />

in einer Zeit des raschen technologischen<br />

und gesellschaftlichen Wandels. Der<br />

Schlüssel dazu liegt in der Innovation: Es gilt,<br />

Dinge nicht nur weiterzuentwickeln, sondern<br />

neue Lösungen zu suchen und sie zur Umsetzungsreife<br />

zu bringen.<br />

Die Entwicklung der Eisenbahn seit Beginn<br />

des 20. Jahrhunderts ist ein sprechendes<br />

Beispiel für die Innovationskraft der Schweiz.<br />

Wir profitieren heute noch von der Weitsicht,<br />

der Sachkenntnis und dem Mut vorangehender<br />

Generationen. Seither hat sich die<br />

Schweizer öV-Industrie aufgefächert und<br />

zunehmend spezialisiert. Sie geniesst nach<br />

wie vor einen hervorragenden Ruf als zuverlässige<br />

und kompetente Partnerin. Davon<br />

zeugen die Aufträge, die sich Schweizer<br />

Firmen gegen internationale Konkurrenz<br />

bei Grossprojekten im öffentlichen Verkehr<br />

weltweit sichern können, beispielsweise bei<br />

der Lieferung von Roll material, der Planung<br />

und Ausrüstung der Infrastruktur oder bei<br />

Dienstleistungen für den sicheren, effizienten<br />

Betrieb.<br />

Die Rolle des Bundesamtes für Verkehr (<strong>BAV</strong>)<br />

bei der Forschung und Innovation besteht<br />

darin, die Anstrengungen der Branche zu<br />

unterstützen. Es fördert dazu die Umsetzung<br />

Erfolg versprechender Innovationen,<br />

beispielsweise über die Leistungsvereinbarungen<br />

für Betrieb und Substanzerhalt<br />

der Bahninfrastruktur und die Bestellungen<br />

im regionalen Personenverkehr. Firmen, die<br />

Produkte im Ausland vermarkten wollen,<br />

ermöglicht das <strong>BAV</strong> Zugang zu seinem Netzwerk<br />

mit ausländischen Behörden. Einen<br />

ebenso wichtigen Beitrag leistet das <strong>BAV</strong>,<br />

indem es die nötigen Voraussetzungen zur<br />

Erprobung neuer Technologien und Systeme<br />

im praktischen Betrieb schafft, beispielsweise<br />

auf nicht interoperablen Strecken,<br />

auf denen wir die Nachweisverfahren selber<br />

gestalten können.<br />

Nicht zuletzt unterstützt das <strong>BAV</strong> die Forschung<br />

und Innovation über seine thematischen<br />

Programme. Ich freue mich, Ihnen<br />

im vorliegenden <strong>Aktivitätenbericht</strong> einige<br />

Projekte und Personen vorstellen zu können,<br />

die davon profitierten. Sie beweisen, dass<br />

die Zusammenarbeit zwischen Behörden,<br />

Industrie, Wissenschaft und Transportunternehmen<br />

funktioniert. Sie zeigen auch,<br />

dass die Schweiz dank Forschung und Innovation<br />

nicht nur als öV-Land vorankommt,<br />

sondern auch als Wirtschafts- und Hochschulstandort.<br />

Dr. Peter Füglistaler<br />

Direktor Bundesamt für Verkehr (<strong>BAV</strong>)<br />

4


Es gilt, Dinge nicht nur<br />

weiterzuentwickeln,<br />

sondern neue Lösungen<br />

zu suchen und sie<br />

zur Umsetzungsreife<br />

zu bringen.<br />

Die Zusammenarbeit zwischen<br />

Behörden, Industrie, Wissenschaft<br />

und Transportunternehmen<br />

funktioniert.<br />

5


EINBLICKE IN DIE PROJEKTE<br />

Wege zu einer fossilfreien<br />

mobilen Stromversorgung<br />

Überall, wo die Stromversorgung ab Fahrleitung nicht dauerhaft sichergestellt<br />

ist, sind heute Dieselmotoren die bevorzugte Lösung: im Rangierbetrieb,<br />

auf Bahnbaustellen, bei Kühlaggregaten von Güterwagen. Sie<br />

verbrauchen allein bei der SBB rund 10 Millionen Liter Diesel im Jahr. Mit<br />

dem Ziel, die Bahn vollständig CO 2 -frei zu betreiben, gilt es, dafür Alternativen<br />

zu finden. Das Programm Energiestrategie im öffentlichen Verkehr<br />

2050 (ESöV 2050) unterstützt drei Projekte dazu.<br />

#ESöV 2050<br />

#Eisenbahn<br />

#Produktion/Betrieb<br />

Weiterführende Angaben<br />

P-214:<br />

Weiterführende Angaben<br />

P-154:<br />

Weiterführende Angaben<br />

P-221:<br />

Der Löwenanteil des Dieselverbrauchs entfällt<br />

auf Lokomotiven und Rangierfahrzeuge.<br />

Die Branche hat die Dringlichkeit früh erkannt,<br />

Alternativen zum Dieselantrieb zu<br />

entwickeln. Inzwischen sind erste Fahrzeuge<br />

mit Hybrid- oder Batterieantrieb im täglichen<br />

Einsatz. Mit dem Ersatz älterer Fahrzeuge<br />

wird sich deren Zahl laufend erhöhen.<br />

Um klimaneutral zu werden, möchten die<br />

Bahnen aber auch andere mobile Anwendungen<br />

dekarbonisieren, beispielsweise<br />

Stromgeneratoren. Auf Bahnbaustellen sind<br />

sie unverzichtbar. Sie liefern die Energie<br />

für den Betrieb von Kompressoren, Geräten,<br />

Beleuchtung und Belüftung. Sie sind überall<br />

einsetzbar, zuverlässig im Betrieb, kostengünstig<br />

und einfach zu bedienen. Diese<br />

Anforderungen sollen auch Systeme mit<br />

anderen Energieträgern erfüllen, damit sie<br />

als Ersatz dienen können. Dabei kommen<br />

in erster Linie Batterien und Wasserstoff-<br />

Brennstoffzellen in Betracht. Bisher fehlen<br />

allerdings Praxiserfahrungen, die es erlauben<br />

würden, derartige Systeme als Standard<br />

einzusetzen.<br />

Die SBB mietet deshalb versuchsweise<br />

einen wasserstoffbetriebenen Generator,<br />

mit welchem sie auf einer Baustelle die<br />

Stromversorgung erprobt. Dabei handelt<br />

es sich um ein kommerziell erhältliches<br />

Brennstoffzellensystem mit integrierten<br />

Wasserstofftanks. Es ist fest in einem<br />

Rahmen eingebaut und kann damit flexibel<br />

für unterschiedliche Einsätze verwendet<br />

werden. Als Teil des Versuchs werden die<br />

Beschaffung von Wasserstoff, die Lagerung<br />

und die Betankung untersucht. Ebenfalls<br />

wird eine Risikoanalyse erarbeitet, welche<br />

auf die besonderen Anforderungen der<br />

Nutzung von Wasserstoff im Bahnumfeld<br />

ausgelegt ist (Projekt P-214).<br />

In einem zweiten Projekt rüstet die SBB<br />

zwei Tragwagen für den Baudienst mit einem<br />

Batteriepack aus (siehe Abbildung nebenan).<br />

Dabei verwendet sie Salzbatterien, welche<br />

zwar mehr Platz beanspruchen und längere<br />

Ladezeiten als die in Autos und Handys<br />

verbreiteten Lithium-Ionen-Batterien und<br />

zudem dauernd auf Betriebstemperatur<br />

geheizt werden müssen. Dafür sind sie umweltfreundlicher,<br />

günstiger und können vollständig<br />

in der Schweiz hergestellt werden.<br />

Das System wird als Hybrid mit einem<br />

kleinen Dieselgenerator realisiert, um bei<br />

eventuellen Problemen mit der Batterie<br />

eine Rückfallebene zur Verfügung zu haben.<br />

Im Pilotversuch liefern die Batterien zunächst<br />

die Energie, um in Tunnelbaustellen den<br />

Personalcontainer zu beleuchten und zu<br />

klimatisieren.<br />

In einer nächsten Phase soll das System<br />

mit einer höheren Belastung getestet<br />

werden, indem eine Kabelabrolleinrichtung<br />

betrieben wird (Projekt P-154).<br />

6


Ebenfalls auf Batterien setzt die Rhätische<br />

Bahn (RhB) bei der Ausrüstung von Tragwagen<br />

für Wechselbehälter. Auf diesen<br />

Wagen befördert sie unter anderem Kühlcontainer<br />

für Lebensmittel und verderbliche<br />

Güter. Um während des Transports die Kühlung<br />

aufrechtzuerhalten, sind die Container<br />

mit dieselbetriebenen Kühlaggregaten<br />

ausgerüstet. Diese verbrauchen je etwa 300<br />

Liter Diesel im Monat. Die RhB hat nun auf<br />

acht Tragwagen ein auf dem Markt erhältliches<br />

Powerpack mit integriertem Ladegerät<br />

aufgebaut (siehe Abbildung unten). Vor dem<br />

Einsatz werden die Lithium-Ionen-Batterien<br />

mittels eines stationären Netzanschlusses<br />

auf einem Abstellgleis geladen. Die Kühlcontainer<br />

werden auf die Tragwagen geladen<br />

und mit einem Stromkabel mit dem Powerpack<br />

verbunden, welches dann während<br />

des Transports die nötige Energie für das<br />

Kühlgerät liefert. Eine Steuerung in jedem<br />

Kühlgerät stellt sicher, dass bei einem<br />

eventuellen Ausfall der Stromversorgung<br />

Für den Ersatz von dieselbetriebenen<br />

Stromgeneratoren kommen<br />

in erster Linie Batterien und<br />

Wasserstoff-Brennstoffzellen in<br />

Betracht.<br />

Mobile Stromversorgung für den Baudienst auf<br />

einem Tragwagen der SBB. Die Einheit besteht aus<br />

fünf Salzbatterien, einem Wärmetauscher und<br />

einem Wechselrichter.<br />

der Generator einspringt und die Kühlkette<br />

nicht unterbrochen wird (Projekt P-221).<br />

Allen drei Pilotversuchen ist gemeinsam,<br />

dass sie nicht auf für den Bahnbetrieb zugelassene<br />

Produkte zurückgreifen können.<br />

Somit braucht es vor dem breiten Einsatz<br />

aussagekräftige Praxistests. Diese wollen<br />

gut geplant sein und erfordern oft ein vorgängiges<br />

Engineering. Die Pilotversuche<br />

dienen auch dazu, das Personal mit neuen<br />

Technologien und Abläufen vertraut zu<br />

machen und seine Rückmeldungen in die<br />

weitere Entwicklung einfliessen zu lassen.<br />

Die Frage, ob Wasserstoff oder Batterien für<br />

Anwendungen bei der Bahn besser geeignet<br />

seien, tritt dabei in den Hintergrund – viel<br />

wichtiger ist, dass die klimaschonenden<br />

Lösungen bezüglich Sicherheit, Zuverlässigkeit,<br />

Bedienerfreundlichkeit und Kosten<br />

ähnlich gut abschneiden wie Diesel. Nur<br />

dann werden sie sich rasch und flächendeckend<br />

durchsetzen.<br />

Powerpack auf einem Containertragwagen der<br />

Rhätischen Bahn (RhB). Es wird am Netz aufgeladen<br />

und liefert während der Fahrt den Strom zur Kühlung<br />

des Wechselbehälters.<br />

7


EINBLICKE IN DIE PROJEKTE<br />

Elektrifizierung von Buslinien:<br />

Simulieren geht über Studieren!<br />

Angesichts des Klimawandels möchten immer mehr Busunternehmen ihre Dieselfahrzeuge<br />

durch Elektrobusse ersetzen. Die neue Technologie erfordert jedoch einiges an Planung<br />

und Überlegungen, angefangen bei der Streckenwahl über die Bestimmung der richtigen<br />

Batterieleistung bis zum Bau der Ladestationen. Ein Simulationsmodell bietet nun Hilfe.<br />

Aus mathematischer Sicht ist die Frage, wie<br />

sich Dieselbusse auf einer bestimmten Linie<br />

durch Elektrobusse ersetzen lassen, eine<br />

Spielart eines bekannten Forschungsgegenstands<br />

des Verkehrsingenieurwesens. Es ist<br />

dort als «Fahrzeugdispositionsproblem» (vehicle<br />

scheduling problem) bekannt, bei dem<br />

es darum geht, den Fahrzeugeinsatz einer<br />

Bus- oder Zugsflotte optimal auf den Fahrplan<br />

und die betrieblichen Randbedingungen<br />

abzustimmen. Die Formulierung als mathematisches<br />

Problem erlaubt, Rechenmodelle zu<br />

entwickeln und Simulationen durchzuführen.<br />

Eine Forschungsgruppe an der Fachhochschule<br />

der italienischen Schweiz SUPSI um<br />

Professor Vasco Medici hat diese Analogie<br />

erkannt und ein entsprechendes Simulationsmodell<br />

entwickelt. Es kann Busunternehmen<br />

helfen, verschiedene Optionen für den Einsatz<br />

von Elektrobussen zu entwickeln und<br />

miteinander zu vergleichen. Insbesondere<br />

können damit verschiedene Fahrzeug- und<br />

Ladekonfigurationen für eine bestimmte Linie<br />

und einen gegebenen Fahrplan untersucht<br />

werden 1 .<br />

#ESöV 2050<br />

#Bus<br />

#Fahrzeuge<br />

Weiterführende Angaben:<br />

Davide Strepparava, Charitha Buddhika<br />

Heendeniya und Marco Belliardi von<br />

der SUPSI diskutieren eine mögliche<br />

Umstellung auf Elektrobusse.<br />

Für die Simulation benötigt das Modell Fahrzeugdaten<br />

(unter anderem Länge, Gewicht,<br />

Batteriekapazität, Anschaffungskosten),<br />

Fahrplandaten, Streckenlänge und -profil,<br />

Ladepunkte und betriebswirtschaftliche<br />

Angaben (z. B. Energiekosten, Anschaffungs­<br />

1<br />

Das Modell ist als vereinfachte Version unter<br />

der Adresse https://pvxte.isaac.supsi.ch/ frei<br />

verfügbar.<br />

8


kosten und Lebensdauer von Ladestationen,<br />

Wartungsaufwand). Das Modell berechnet<br />

daraus, ob die gewählte Fahrzeugkonfiguration<br />

technisch und betrieblich realisierbar ist<br />

und welche Kosten damit verbunden sind.<br />

Durch Anpassen ausgewählter Parameter<br />

können unterschiedliche Optionen durchgespielt<br />

werden, etwa die Grösse des Busses,<br />

die Batterieleistung oder die Anordnung der<br />

Ladepunkte auf der Strecke.<br />

Vasco Medici und seine Mitarbeitenden<br />

Charitha Buddhika Heendeniya, Davide<br />

Strepparava und Marco Belliardi haben das<br />

Modell mit der FART (Società per le Ferrovie<br />

Autolinee Regionali Ticinesi) und der AMSA<br />

(Autolinea Mendrisiense SA) erfolgreich<br />

getestet. Sie konnten dabei feststellen, dass<br />

sich die Linien beider Unternehmen grundsätzlich<br />

auf Elektrobetrieb umstellen lassen.<br />

Dabei kommt ihnen zugute, dass die zu befahrenden<br />

Strecken eher kurz sind. Damit<br />

lassen sich trotz des anspruchsvollen<br />

Höhenprofils Elektrobusse gut einsetzen.<br />

Wichtig ist den Forschenden, dass das Gesamtsystem<br />

berücksichtigt wird. Damit die<br />

Elektrifizierung der Busflotte einen Beitrag<br />

zur Reduktion der Treibhausgasemissionen<br />

leistet, ist es notwendig, dass der Strom aus<br />

erneuerbaren Quellen stammt. Zudem sollten<br />

die Ladevorgänge so gestaltet werden,<br />

dass Lastspitzen möglichst tief bleiben und<br />

Strom aus Photovoltaikanlagen auf dem<br />

Areal genutzt werden kann.<br />

«Wir würden uns freuen, wenn<br />

andere Verkehrsunternehmen das<br />

Tool ebenfalls nutzen würden.»<br />

Mit der Simulation ist es aber nicht getan.<br />

Sie zeigt zwar auf, ob die Elektrifizierung<br />

möglich und wirtschaftlich ist, aber die Umsetzung<br />

beginnt damit erst. Um Transportunternehmen<br />

auch dabei zu unterstützen,<br />

hat das Team der SUPSI zusammen mit der<br />

Firma Protoscar einen Leitfaden entwickelt.<br />

Er zeigt in zehn Schritten praxisnah auf, wie<br />

Busbetreiber vorgehen können, um erfolgreich<br />

ihre Flotte zu elektrifizieren.<br />

Die AMSA und die FART haben bereits die<br />

nächsten Schritte getan. Die AMSA hat ein<br />

Finanzierungsgesuch beim Kanton für eine<br />

erste Tranche von 12 Bussen eingereicht, die<br />

ab 2026 in Betrieb gehen sollen. Die Elektrifizierung<br />

der restlichen Flotte soll später<br />

folgen. Möglicherweise haben bis dann die<br />

auf dem Markt angebotenen Fahrzeuge eine<br />

genügend hohe Reichweite, dass auf den<br />

Bau einer Zwischenladestation in Chiasso<br />

verzichtet werden könnte. Ausserdem plant<br />

die AMSA mit dem lokalen Energieversorger<br />

die Installation von Solarpanels auf ihren<br />

Gebäuden. Die FART hat erst kürzlich neue<br />

Dieselbusse beschafft. Sie steht nun mit<br />

dem Hersteller im Gespräch, um auszuloten,<br />

ob die Fahrzeuge gegen Elektrobusse gleicher<br />

Grösse ausgetauscht werden könnten.<br />

Die Elektrifizierung<br />

von Busflotten umfasst<br />

nicht bloss die<br />

Beschaffung neuer<br />

Fahrzeuge, sondern<br />

braucht Anpassungen<br />

in der Flottenplanung,<br />

im Betrieb und in der<br />

Infrastruktur. (Bild mit<br />

künstlicher Intelligenz<br />

erzeugt)<br />

9


EINBLICKE IN DIE PROJEKTE<br />

Glyphosat:<br />

Suche nach Alternativen<br />

Zur Unkrautbekämpfung auf Bahnanlagen wird das Herbizid Glyphosat<br />

eingesetzt. Die Infrastrukturbetreiberinnen arbeiten seit Jahren daran,<br />

die ausgebrachte Menge zu verringern, um mögliche Auswirkungen<br />

auf die Umwelt zu reduzieren. Ganz ohne Chemie wird es aber auch in<br />

Zukunft nicht gehen. Gesucht sind deshalb Wirkstoffe, die gleichzeitig<br />

umweltschonend und wirksam sind.<br />

Rund 6900 km lang ist das Schienennetz,<br />

das die Bahnunternehmen unkrautfrei halten<br />

müssen. Täten sie das nicht, würden Schachtelhalm,<br />

Storchenschnabel, Brombeere und<br />

andere Pflanzen die Begehbarkeit der Gleisanlagen<br />

erschweren, Signale verdecken und<br />

den Gleisunterbau destabilisieren. Um den<br />

Einsatz von Herbiziden möglichst gering zu<br />

halten, achten die Bahnen schon beim Bau<br />

und bei der Erneuerung von Gleisanlagen auf<br />

eine Konstruktion, die den Bewuchs hemmt.<br />

Sie untersuchen neue nicht chemische Methoden<br />

zur Unkrautbekämpfung beispielsweise<br />

mittels Heisswasser, Hochspannung<br />

oder Mährobotern. Und wo nicht unbedingt<br />

nötig, wird auf die Unkrautbekämpfung auch<br />

einmal verzichtet.<br />

#Bahninfrastrukturforschung<br />

#Eisenbahn<br />

#Infrastruktur<br />

Weiterführende Angaben:<br />

In einzelnen Situationen, beispielsweise bei<br />

der Bekämpfung von Problempflanzen, werden<br />

die Bahnen aber weiterhin auf Herbizide<br />

wie Glyphosat angewiesen sein. Der grosse<br />

Vorteil der Herbizide liegt darin, dass sie gegenüber<br />

anderen Methoden kostengünstig<br />

sind. Richtig angewendet, ist die Belastung<br />

der Umwelt minimal. Auch die Sicherheit des<br />

Personals ist bei korrekter Anwendung der<br />

Schutzmassnahmen gewährleistet.<br />

Das Ziel ist, einen möglichst umweltverträglichen<br />

Wirkstoff zur Hand zu haben und ihn<br />

in minimaler Menge anzuwenden, aber trotzdem<br />

noch die nötige Wirkung zu erreichen.<br />

10


In einigen Fällen sind Herbizide immer noch die<br />

effektivste und kostengünstigste Methode zur<br />

Vegetationskontrolle. Der Wirkstoff wird gezielt<br />

und in möglichst geringen Mengen direkt auf die<br />

Pflanzen aufgebracht. Die Wahl des richtigen<br />

Zeitpunkts in der Entwicklung der Pflanzen und<br />

trockene Witterungsbedingungen sind mitentscheidend<br />

für den Erfolg.<br />

Ein Team der Forschungsanstalt Agroscope<br />

hat sich dieser Frage in einer Studie angenommen,<br />

die vom <strong>BAV</strong> unterstützt und von<br />

SBB, BLS, SOB und VöV mitfinanziert wurde.<br />

Ignaz Bürge und seine beiden Kollegen Roy<br />

Kasteel und Thomas Poiger suchten Wirkstoffe,<br />

welche für den Einsatz auf Bahnanlagen<br />

zugelassen werden könnten und keine<br />

unannehmbaren Nebenwirkungen auf Mensch,<br />

Tier und Umwelt haben. Dabei legten sie ein<br />

besonderes Augenmerk auf den Schutz des<br />

Grundwassers.<br />

Herbizide werden mit Handsprühgeräten<br />

ausgebracht und über die Blätter oder<br />

Wurzeln aufgenommen. Ein Teil der ausgebrachten<br />

Substanzmenge wird mit dem<br />

Niederschlag ausgewaschen und sickert via<br />

Schotter in den Untergrund. Dort werden<br />

die Herbizide teilweise mikrobiell abgebaut<br />

oder an Bodenmaterial gebunden und immobilisiert.<br />

Der Rest kann unter Umständen<br />

in das Grundwasser gelangen. Die Aufgabe<br />

des Teams von Agroscope war nun, zu untersuchen,<br />

welcher Anteil der Herbizide und ihrer<br />

Abbauprodukte (Metaboliten) ausgewaschen<br />

werden könnte. Dazu wählte es aus rund<br />

achtzig infrage kommenden Wirkstoffen vier<br />

aus, welche als Alternative für Glyphosat berücksichtigt<br />

werden könnten.<br />

Für den Versuch baute das Team von Ignaz<br />

Bürge sogenannte Lysimeter. Dabei handelt es<br />

sich um Stahlrohre von 80 cm Durchmesser<br />

und 145 cm Tiefe, die sie vertikal auf eine<br />

Bodenplatte stellten. Sie füllten sie zunächst<br />

mit Sand und Kies für eine gute Drainage,<br />

11


dann mit Aushubmaterial von drei verschiedenen<br />

Bahnanlagen und schliesslich mit einer<br />

Schicht Schottersteinen. Damit simulierten<br />

sie den Bodenaufbau unter einem Bahngeleis.<br />

Unter jedem Lysimeter führte ein Rohr<br />

zu einem Auffangbehälter, der das durch die<br />

Bodenschichten sickernde Regenwasser<br />

aufnahm. Dieses beprobten sie regelmässig<br />

und untersuchten es auf die darin enthaltenen<br />

Substanzen.<br />

Mit dieser Anlage konnten sie nun beobachten,<br />

welcher Anteil der Herbizide, die sie auf<br />

den Schotter ausbrachten, durch die Lysimeter<br />

nach unten sickerte und wie stark sie<br />

sich in dieser Zeit abbauten. Dieser Vorgang<br />

findet in ähnlicher Weise auch auf Bahnanlagen<br />

statt, allerdings sind dort die<br />

Schichten, die die Herbizide durchwandern,<br />

bis sie in das Grundwasser gelangen könnten,<br />

wesentlich mächtiger.<br />

Ihre Versuche zeigten, dass sich die Herbizide<br />

während ihrer Wanderung durch die Lysimeter<br />

unterschiedlich verhalten. Einige werden<br />

grösstenteils von den Bodenschichten zurückgehalten,<br />

andere hingegen werden<br />

schlecht im Boden gebunden. Wie viel des<br />

Wirkstoffs am unteren Ende der Lysimetersäule<br />

ankommt, hängt zudem vom Abbauverhalten<br />

ab, welches ebenfalls untersucht<br />

wurde. Die geringste Menge des Wirkstoffs<br />

und seiner Metaboliten fanden die Forscher<br />

ausgerechnet im Sickerwasser der Lysimeter,<br />

die sie mit Glyphosat behandelt hatten:<br />

Weniger als 0,02 % der ausgebrachten Menge<br />

schaffte die Reise durch die Bodenschichten.<br />

Ebenfalls eine hohe Rückhalterate zeigte<br />

das Herbizid Quizalofop-P, die drei restlichen<br />

getesteten Produkte schnitten deutlich<br />

weniger gut ab. Gegen den Ersatz von Glyphosat<br />

durch Quizalofop-P spricht allerdings,<br />

dass es nur gegen Gräser wirksam ist, nicht<br />

aber gegen zweikeimblättrige Unkräuter.<br />

Es müsste also in einer Mischung mit einem<br />

anderen Herbizid verwendet werden. Die<br />

Verwendung der anderen drei Herbizide wäre<br />

denkbar, allerdings müssten Massnahmen<br />

getroffen werden, die das Risiko einer Verlagerung<br />

ins Grundwasser minimieren.<br />

Im Labor wird das Wasser analysiert,<br />

das sich am Boden der Säulen sammelt.<br />

Damit kann bestimmt werden,<br />

welcher Anteil der Herbizide durch<br />

die Bodenschichten wandert und<br />

welche Umwandlungsprodukte dabei<br />

entstehen.<br />

12


Forschende von Agroscope bringen mit Sprühflaschen<br />

Herbizid auf die Schotteroberfläche der<br />

Lysimeter aus. Die Wirkstoffe werden bei Regen<br />

ausgewaschen und sickern in das Bodenmaterial<br />

in den Säulen.<br />

Mit dieser Anlage konnten die<br />

Forscher beobachten, welcher<br />

Anteil der Herbizide, die sie auf<br />

den Schotter ausbrachten, durch<br />

die Lysimeter sickerte und potenziell<br />

ins Grundwasser gelangen<br />

könnte.<br />

Herbizide sollen nicht nur möglichst wenig<br />

mobil sein, sondern natürlich auch wirksam.<br />

Agroscope hat deshalb in Gewächshäusern<br />

und danach in Freilandversuchen auf<br />

Gleisanlagen getestet, ob mit den potenziellen<br />

Alternativen der Bewuchs tatsächlich<br />

bekämpft werden kann. Es zeigte sich, dass<br />

nur eine Herbizidkombination (Flazasulfuron<br />

gemischt mit Pelargonsäure) ähnlich<br />

wirksam war wie Glyphosat. Sie hat den<br />

Vorteil, dass damit auch Schachtelhalm bekämpft<br />

werden kann, gegen den Glyphosat<br />

bekannterweise keine Wirkung hat und der<br />

bisher separat behandelt werden musste.<br />

Die Suche für den Ersatz von Glyphosat geht<br />

also weiter. Die Studie hat dafür aber wertvolle<br />

Erkenntnisse geliefert, wie Ignaz Bürge<br />

bestätigt: «Die Lysimeter haben sich bewährt.<br />

Die Versuchsanlage kann weiterhin genutzt<br />

werden, um wie im vorliegenden Fall wissenschaftliche<br />

Grundlagen zu liefern, um das<br />

Verhalten der verschiedenen Wirkstoffe im<br />

Boden zu beurteilen.»<br />

13


EINBLICKE IN DIE PROJEKTE<br />

So schnell hinunter wie hinauf<br />

Viele Bergbahnen fahren auf Zahnradstrecken langsamer bergab als bergauf. Nur so ist<br />

es möglich, bei Gefahr jederzeit den Zug zum Stillstand zu bringen und Entgleisungen zu<br />

verhindern. Betrieblich und fahrplantechnisch wäre es aber vorteilhaft, in beide Richtungen<br />

mit ähnlicher Geschwindigkeit fahren zu können. Die Matterhorn-Gotthard-Bahn (MGB) und<br />

Stadler entwickeln ein Fahrzeug, das dies ermöglicht.<br />

Ein talwärts fahrender Zug muss jederzeit und sofort<br />

zum Stillstand gebracht werden können. Entsprechend<br />

hohe Anforderungen werden an die Bremssysteme gestellt.<br />

Ausserdem sind die Höchstgeschwindigkeiten in<br />

den Ausführungsbestimmungen zur Eisenbahnverordnung<br />

(AB-EBV) reglementiert. In sogenannten Geschwindigkeitsreihen<br />

ist festgelegt, wie schnell ein Zug in Abhängigkeit<br />

vom Gefälle und von der Bremsausrüstung der<br />

Fahrzeuge maximal talwärts fahren darf.<br />

Die Geschwindigkeitseinschränkung führt dazu, dass<br />

viele Bergbahnen auf Zahnradabschnitten schneller<br />

bergwärts als talwärts fahren. Könnten die Geschwindigkeiten<br />

auf der Talfahrt erhöht werden, wären symmetrische<br />

Fahrpläne möglich, was den Betrieb vereinfachen<br />

würde. Die Verkürzung der Fahrzeit würde unter Umständen<br />

zudem erlauben, den Bedarf an Fahrzeugen zu senken,<br />

die für einen Umlauf nötig sind. Und natürlich wären<br />

symmetrische Fahrpläne und kürzere Reisezeiten auch<br />

für die Kundschaft ein Plus.<br />

Dario Jossen, Leiter Engineering für Rollmaterial und<br />

Traktion bei der Matterhorn-Gotthard-Bahn (MGB),<br />

erklärt: «Unser Ziel ist, bergauf und bergab gleich schnell<br />

zu fahren. Ausnahme ist die Schöllenenschlucht, die<br />

wegen ihres Gefälles von 181 Promille eine Maximalgeschwindigkeit<br />

von lediglich 25 km/h statt 35 km/h zulässt.<br />

Dort könnten wir aber dank der kürzeren Fahrzeit<br />

den Umlauf von Göschenen nach Andermatt im Halbstundentakt<br />

mit nur einem Triebzug abdecken und den<br />

zweiten für andere Einsätze freispielen.»<br />

So wünschbar die schnellere Talfahrt wäre, technisch ist<br />

sie eine Herausforderung, da die Sicherheit weiterhin<br />

gewährleistet sein muss. Die Bremsleistung muss also<br />

erhöht werden. Beim Abbremsen aus einer höheren<br />

#Innovation RPV<br />

#Eisenbahn<br />

#Fahrzeuge<br />

Weiterführende Angaben:<br />

14


Untersicht eines Drehgestells des ORION-Triebzugs.<br />

Das Bremssystem 1 besteht aus den Klotzbremsen (rot)<br />

und der regelbaren Bandbremse (grün, unmittelbar<br />

neben dem Zahnrad). Das Bremssystem 2 wird von einer<br />

nicht regelbaren Bandbremse gebildet (grün, unten),<br />

welche auf die Zahnradachsen wirkt.<br />

Geschwindigkeit wird aber mehr Wärme erzeugt. Diese<br />

abzuführen, ist aufgrund der engen Platzverhältnisse und<br />

der dadurch eingeschränkten Luftzirkulation in modernen<br />

Drehgestellen nicht einfach, wie Jossen erklärt. Zusammen<br />

mit Stadler hat er aber dennoch eine Lösung gefunden.<br />

Um diese zu verstehen, muss man den Aufbau des<br />

Bremssystems einer Zahnradbahn kennen. Gemäss<br />

den AB-EBV sind die Fahrzeuge mit zwei voneinander<br />

unabhängigen mechanischen Bremssystemen ausge­<br />

Der ORION-Triebzug eignet sich<br />

ideal als Versuchsträger, da der<br />

Antrieb eine hohe Leistung und<br />

Redundanz aufweist.<br />

rüstet. Die neusten von Stadler für die MGB gelieferten<br />

ORION­ Triebfahrzeuge haben Klotzbremseinheiten an<br />

jeder Achse sowie eine regelbare Bandbremse, welche<br />

auf die Zahnradachsen wirkt (Bremssystem 1). Als Rückfallebene<br />

ist eine weitere, nicht regelbare Bandbremse<br />

vorhanden, welche gleichermassen direkt auf die Zahnradachsen<br />

greift (Bremssystem 2). Mit beiden Systemen<br />

kann der Zug im steilsten Gefälle bei maximaler Geschwindigkeit<br />

jederzeit zum Stillstand gebracht werden.<br />

In beiden Betriebsarten (Adhäsion und Zahnstange) wird<br />

ausserdem die Rekuperationsbremse genutzt, bei welcher<br />

der Elektromotor die Bremsleistung erzeugt. Sie gilt<br />

aber gemäss AB-EBV nicht als vollwertiges Bremssystem,<br />

da ihre Steuerungstechnik nicht das gleiche Sicherheitsniveau<br />

erreicht wie eine mechanische Bremse. Im täglichen<br />

Betrieb ist diese jedoch als Ergänzung zu den mechanischen<br />

Systemen zugelassen. Da sie beim Bremsen<br />

elektrische Energie erzeugt, die ins Netz zurückgeführt<br />

werden kann, ist ihr Einsatz sogar ausgesprochen<br />

sinnvoll.<br />

Der Ansatz der MGB und von Stadler liegt nun darin, bei<br />

der Schnellbremsung eine Kombination der mechanischen<br />

und der elektrischen Bremse anzuwenden. Dadurch ist<br />

es möglich, auch bei erhöhter Geschwindigkeit den Wärmeeintrag<br />

in die Bandbremse im zulässigen Bereich zu<br />

halten und sicherzustellen, dass das Fahrzeug jederzeit<br />

zuverlässig zum Stehen kommt. Diese Neugruppierung<br />

15


der Bremsmittel erfordert eine umfangreiche Risikoanalyse,<br />

bei welcher auch Ausfälle von Systemen betrachtet<br />

wurden. Die Sicherheit gegen Entgleisen ist von diesem<br />

Systemwechsel unberührt und bleibt weiterhin gegeben.<br />

Das Projekt von MGB und von Stadler umfasst nicht nur<br />

die Konzeption des neuen Bremsverfahrens und den Bau<br />

eines entsprechend ausgerüsteten Fahrzeugs, sondern<br />

auch die erforderlichen Zulassungen für Testfahrten und<br />

den Regelbetrieb. Dazu arbeiten sie eng mit den Zulassungsspezialisten<br />

des <strong>BAV</strong> zusammen. «Überhaupt»,<br />

meint Dario Jossen, «wäre das Projekt ohne den Bund<br />

wohl nicht zustande gekommen. Das Projektrisiko wäre<br />

angesichts der Entwicklungs-, Erprobungs- und Umrüstkosten<br />

im Umfang von 4,8 Millionen Franken für unser<br />

Unternehmen zu gross gewesen. Dank der finanziellen<br />

Unterstützung des Bundes ist nun aber eine Innovation<br />

entstanden, die auch bei anderen Zahnradbahnen<br />

einen Nutzen bringen wird.»<br />

Die MGB plant, dereinst alle 12 Fahrzeuge der ersten<br />

ORION-Beschaffungsetappe mit dieser Technik auszurüsten<br />

und für sie eine Betriebszulassung zu beantragen.<br />

Sie hat vorausschauend die Fahrzeuge im Jahr 2020<br />

so bestellt, dass die notwendigen pneumatischen und<br />

elektrischen Leitungen sowie die Bremssteuerung<br />

bereits so weit vorbereitet wurden, wie dies aufgrund<br />

des damaligen Wissensstands möglich war. Verlaufen<br />

die Probe- und Zulassungsfahrten mit dem Prototyp<br />

erfolgreich, sollen die restlichen 11 Fahrzeuge zeitnah<br />

umgebaut werden. Eine zweite Serie von 25 Einheiten<br />

soll bis 2029 folgen. Damit wird die MGB über genügend<br />

ORION-Triebzüge mit dem neuen Bremssystem verfügen,<br />

um auf Teilstrecken ausschliesslich «schnelle» Züge einsetzen<br />

und dadurch punktuelle Fahrplananpassungen<br />

machen zu können. Bereits mit der ersten Serie wird sich<br />

aber dank der höheren Geschwindigkeit bei der Talfahrt<br />

die Fahrplanstabilität verbessern. Und mit der nächsten<br />

Revision der AB-EBV findet voraussichtlich auch die neue<br />

Geschwindigkeitsreihe «v+» im Regelwerk Eingang.<br />

Dank der finanziellen Unterstützung<br />

des Bundes ist eine<br />

Innovation entstanden, die auch<br />

bei anderen Zahnradbahnen<br />

einen Nutzen bringen wird.<br />

16


EINBLICKE IN DIE PROJEKTE<br />

Die Digitalisierung im<br />

Güterverkehr hängt an<br />

der Kupplung<br />

Sich unter den Puffern durchbücken, den Kupplungshaken einhängen,<br />

die Verschraubung festzurren, die Bremsleitungen verbinden, sich wieder<br />

unter den Puffern durchbücken, zur nächsten Kupplung marschieren –<br />

die Arbeit des Rangierpersonals beim Zusammenstellen eines Güterzugs<br />

ist mühsam, zeitraubend und nicht ungefährlich. Die digitale automatische<br />

Kupplung macht das auf Knopfdruck.<br />

Wo gibt es das noch? Die Arbeit, die das Rangierpersonal<br />

beim Bilden und Auflösen eines<br />

Zugverbunds leistet, hat sich seit hundert<br />

Jahren nicht verändert. Bei jeder Witterung,<br />

bei Tag und bei Nacht ist es zu Fuss auf dem<br />

Gleisfeld unterwegs. Das Bücken unter den<br />

Puffern hindurch, das Heben der rund 20 kg<br />

schweren Kupplungshaken und das Festzurren<br />

der massiven Verschraubungen bedeuten<br />

harte körperliche Arbeit. Sie ist eintönig,<br />

erlaubt aber keine Unachtsamkeit – der<br />

Aufenthalt auf dem Gleisfeld ist und bleibt<br />

gefährlich.<br />

Ein wichtiger Grund, dass sich die automatische<br />

Kupplung im Güterverkehr noch nicht<br />

durchgesetzt hat, besteht im enormen Aufwand<br />

für den Systemwechsel. Güterwagen<br />

können – sofern sie dafür zugelassen<br />

sind – quer durch ganz Europa verkehren.<br />

Dies ist nur möglich, weil die Schraubenkupplung<br />

an allen Wagen gleich ist. Wollte<br />

man auf die automatische Kupplung umstellen,<br />

müsste man einen grossen Teil des rund<br />

eine halbe Million umfassenden Wagenparks<br />

umbauen oder gar erneuern. Hinzu kommt<br />

In der Branche hat sich die Einsicht<br />

durchgesetzt, dass der Schienengüterverkehr<br />

digital werden muss, wenn er<br />

konkurrenzfähig bleiben soll.<br />

Umso mehr erstaunt, dass es die Technologie,<br />

um Wagen automatisch zu kuppeln,<br />

bereits seit über hundert Jahren gibt. Im<br />

Jahr 1903 meldete Karl Scharfenberg eine<br />

automatische Mittelkupplung zum Patent<br />

an. Sie trägt heute noch seinen Namen und<br />

ist bei praktisch allen neueren Eisenbahnfahrzeugen<br />

im Personenverkehr im Einsatz.<br />

Bei Trams ist die ähnlich funktionierende<br />

Schwabkupplung verbreitet.<br />

noch die Um- und Ausrüstung der Streckenund<br />

Rangierloks sowie weiterer Fahrzeuge,<br />

welche zum Rangieren genutzt werden.<br />

Da Güterwagen sehr langlebig sind, ist<br />

die Erneuerungsrate gering: Bloss zwischen<br />

7000 und 15 000 Güterwagen werden pro<br />

Jahr ersetzt. Der Systemwechsel zur automatischen<br />

Kupplung braucht also ein umfangreiches<br />

Umrüstprogramm. Dies ist nicht<br />

nur eine logistische Herausforderung, sondern<br />

stellt auch einen finanziellen Kraftakt<br />

für die Branche dar, die bereits heute unter<br />

geringen Margen leidet. Der Bundesrat hat<br />

deshalb am 10. Januar 2024 in der Botschaft<br />

zum Gütertransportgesetz dem Parlament<br />

Massnahmen zur Förderung des Schienengüterverkehrs<br />

in der Fläche vorgeschlagen.<br />

Darin ist auch ein Betrag von 180 Millionen<br />

#Technische<br />

Neuerungen<br />

Güterverkehr<br />

#Eisenbahn<br />

#Fahrzeuge<br />

Konzeptbericht:<br />

17


Franken zur Einführung der digitalen automatischen<br />

Kupplung (DAK) enthalten.<br />

Die digitale Version der automatischen Kupplung<br />

baut auf einem Vorgängerprojekt auf,<br />

in dem die praktische Einsatzfähigkeit der<br />

automatischen Kupplung im Güterverkehr<br />

nachgewiesen wurde. Inzwischen sind<br />

rund 200 Güterwagen, 19 Streckenloks und<br />

16 Rangierloks mit einer automatischen<br />

Kupplung ausgerüstet. Diese Fahrzeuge sind<br />

seit 2019 im kombinierten Verkehr im Regelbetrieb<br />

unterwegs. Im ebenfalls vom Bund<br />

geförderten Folgeprojekt wurde eine sogenannte<br />

digitale automatische Kupplung getestet.<br />

Dabei werden die Wagen – zusätzlich<br />

zur mechanischen und zur pneumatischen<br />

Verbindung – mit einer Strom- und einer Datenleitung<br />

verbunden. Diese Leitungen sind<br />

eine Voraussetzung für intelligente Güterwagen,<br />

die mit Sensoren, Steuerungs- und<br />

Regeltechnik ausgerüstet werden können,<br />

welche beispielsweise für die Ortung und die<br />

Zustandserfassung benötigt werden.<br />

Nebst der digitalen automatischen Kupplung<br />

braucht es aber noch einiges mehr für die<br />

Digitalisierung des Schienengüterverkehrs.<br />

Bereits realisiert wurde die automatische<br />

Bremsprobe, für welche SBB Cargo im<br />

Elemente der automatischen Kupplung. Die Verbindung<br />

für Strom- und Datenleitungen oben auf dem Kupplungskopf<br />

ist eine Voraussetzung zur Digitalisierung des<br />

Güterverkehrs.<br />

18


Herbst <strong>2023</strong> die Zulassung erhalten hat. Bis<br />

anhin muss das Rangierpersonal bei jeder<br />

Achse jedes Wagens von Hand prüfen, ob die<br />

Bremse funktioniert und somit die Sicherheit<br />

des Zuges gewährleistet ist. Zukünftig<br />

können Sensoren die Funktionsfähigkeit der<br />

Bremse erfassen und eine entsprechende<br />

Meldung direkt an das IT-System der Bahnbetreiber<br />

schicken. Auch hier wurde der lange<br />

Weg bis zur Zulassung vom <strong>BAV</strong> finanziell<br />

gefördert.<br />

Weitere Projekte wären denkbar. Beispielsweise<br />

liegt noch Potenzial in der automatischen<br />

Zustandserfassung. Heute prüft das<br />

Rangierpersonal jeden Wagen auf ordnungsgemässe<br />

Beladung und eventuelle Beschädigungen.<br />

Diese Aufgabe könnten in Zukunft<br />

Kameras und eine KI-gestützte Software<br />

übernehmen. Ein Rechner beurteilt damit<br />

den Fahrzeugzustand sowie die Einhaltung<br />

des Lichtraumprofils und meldet die Ergebnisse<br />

an die Betriebsüberwachung. Überhaupt<br />

sollen zukünftig alle Informationen<br />

zum Wagen und zu seiner Fracht digital und<br />

in Echtzeit verfügbar sein. Davon profitieren<br />

Kunden, Wagenhalter wie Bahnbetreiber<br />

gleichermassen.<br />

Rangierarbeiter beim Lösen und Aushängen<br />

der Schraubverbindung zum<br />

Zughaken. Die Schläuche dienen der<br />

Druckluftversorgung der Bremsen.<br />

In der Branche hat sich die Einsicht durchgesetzt,<br />

dass der Schienengüterverkehr digital<br />

werden muss, wenn er konkurrenzfähig bleiben<br />

und seinen Anteil an den zunehmenden Warenströmen<br />

übernehmen soll. Die Digitalisierung<br />

ist der Schlüssel zu einer schnelleren<br />

und günstigeren Produktion. SBB Cargo hat<br />

mit seinem pionierhaften Engagement für<br />

die Einführung der automatischen Kupplung<br />

und der automatischen Bremsprobe einen<br />

wichtigen Impuls gesetzt, damit auf europäischer<br />

Ebene Schwung in die Thematik<br />

gekommen ist. So waren die praktischen<br />

Erprobungen massgebend dafür, dass sich<br />

nun ein Kupplungstyp international als Standard<br />

durchgesetzt hat. Das Rennen zwischen<br />

der Schwab- und der Scharfenbergkupplung<br />

war lange Zeit sehr eng: Beide Typen erwiesen<br />

sich als betrieblich und technisch geeignet.<br />

Letztlich hat sich aber für die Erprobung<br />

das Original durchgesetzt, sowohl aufgrund<br />

kommerzieller Vorteile als auch aufgrund<br />

der höheren Innovationsbereitschaft des<br />

Lieferanten. Inzwischen haben sich auch die<br />

Die Technologie, um Wagen<br />

automatisch zu kuppeln, gibt es<br />

bereits seit über hundert Jahren.<br />

grossen Bahnbetreiber und die Europäische<br />

Union für dieses System entschieden.<br />

120 Jahre nach ihrer Patentierung könnte<br />

sich die Erfindung von Herrn Scharfenberg<br />

als ein Schlüssel entpuppen, um den europäischen<br />

Güterverkehr in die digitale Zukunft<br />

zu führen. Noch sind aber viele technische,<br />

finanzielle, betriebliche und politische<br />

Hürden zu meistern, bis das vollautomatische<br />

Rangieren und Abfertigen aus der<br />

Betriebs leitzentrale heraus funktioniert. Bis<br />

dahin ist weiterhin Handarbeit angesagt.<br />

19


EINBLICKE IN DIE PROJEKTE<br />

Schnell wie das Flugzeug,<br />

klimaschonend wie die Bahn<br />

Klimaschonend und komfortabel durch Europa zu reisen, das kann<br />

eigentlich nur die Bahn bieten. Auf längeren Strecken ist aber das<br />

Flugzeug immer noch die beliebtere, weil schnellere Alternative.<br />

Der Vakuumtransport verspricht, die Vorzüge beider Verkehrsmittel<br />

mit einander zu verbinden. Und die Schweiz arbeitet an vorderster<br />

Front mit, diese Vision Realität werden zu lassen.<br />

#ESöV 2050<br />

#Metro<br />

#öV-System<br />

Weiterführende Angaben:<br />

Wollten Züge auch auf langen Strecken dem<br />

Flugzeug Konkurrenz machen, müssten sie<br />

deutlich schneller werden – heute liegt ihre<br />

Höchstgeschwindigkeit bei rund 320 km/h.<br />

Dann aber wird der Luftwiderstand zu einer<br />

Herausforderung. Er nimmt quadratisch zur<br />

Geschwindigkeit zu. Wenn die Bahn unter<br />

Vakuum verkehren könnte, liesse sich der<br />

Luftwiderstand deutlich reduzieren und<br />

damit die Geschwindigkeit erhöhen, ohne<br />

dass der Energiebedarf gleich stark ansteigt.<br />

Das Konzept für Vakuumsysteme wurde in<br />

den Grundzügen bereits 1812 vom englischen<br />

Ingenieur George Medhurst skizziert. Rund<br />

hundert Jahre später hat der Raketenforscher<br />

Robert Goddard das Prinzip des Transports<br />

in einer vakuumierten Röhre weiter<br />

ausgearbeitet und dafür nach seinem Tod<br />

sogar ein Patent erhalten. In der Schweiz<br />

griff der Lausanner Ingenieur Rodolphe Nieth<br />

das Konzept auf und schlug 1974 den Bau<br />

von Swissmetro vor. Die Magnetschwebebahn<br />

sollte in einer unterirdischen Vakuumröhre<br />

St. Gallen mit Genf und Basel mit<br />

Chiasso verbinden.<br />

Obwohl Studien die Machbarkeit und die<br />

Wirtschaftlichkeit bestätigten, kam Swissmetro<br />

bisher nicht über die Konzeptionsphase<br />

hinaus. Für Julian Ehwald, Research &<br />

Development Project Architect bei der<br />

EuroTube Foundation, war Swiss metro wohl<br />

ihrer Zeit voraus. Dass das Konzept nicht<br />

weiterverfolgt wurde, hat verschiedene Gründe.<br />

Ein Grund mag sein, dass es beim Rennen<br />

um die Finanzierung durch den Bund dem<br />

deutlich handfesteren Ausbau der Alpentransversale<br />

unterlag.<br />

Die Idee der superschnellen Reise in der<br />

Röhre lebt aber weiter. In den USA lancierte<br />

Elon Musk einen Forschungswettbewerb, um<br />

unter dem Namen «Hyperloop» ein System<br />

zu entwickeln, das eine Hochgeschwindigkeitsverbindung<br />

zwischen Los Angeles und<br />

San Francisco ermöglichen sollte. Das Vorhaben<br />

wurde inzwischen eingestellt, aber in<br />

China, in Südkorea, in Indien oder in Holland<br />

arbeiten Forschungsteams nach wie vor<br />

daran, die Technologie praxistauglich zu<br />

machen. Und mittendrin sind Teams aus<br />

der Schweiz: das studentische Team «Swissloop»<br />

der ETHZ, das Start-up «Swisspod»<br />

und das Forschungszentrum «EuroTube».<br />

Sie tragen das Gedankengut ihrer Vorgänger<br />

und die Erfahrungen aus den legendären<br />

Hyperloop-Forschungswettbewerben Elon<br />

Musks in die Zukunft.<br />

«Zurzeit bewegt sich zu dem Thema unheimlich<br />

viel», meint Julian Ehwald. Er ist im engen<br />

Austausch mit anderen Forschenden, insbesondere<br />

in Holland. «Die niederländische<br />

Regierung hat mit der Gründung des Hyperloop<br />

Development Program einen starken<br />

Impuls in ganz Europa gesetzt. Aber auch<br />

die Schweiz ist in der Szene sehr aktiv. Sie<br />

20


So könnte ein Vakuumtransportsystem zukünftig aussehen.<br />

Mit Geschwindigkeiten zwischen 600 und 900 km/h flitzt<br />

eine Magnetschwebebahn durch eine Röhre mit vermindertem<br />

Luftdruck. Die Reise zwischen Genf und Zürich würde dann<br />

ohne Halt nur noch eine halbe Stunde dauern.<br />

fokussiert auf jene Teilsysteme, bei denen<br />

wir eine Spitzenposition beanspruchen<br />

können.»<br />

In Zeiten des Klimawandels ist klar, dass ein<br />

neues Verkehrssystem bezüglich Treibhausgasemissionen<br />

mindestens gleich gut abschneiden<br />

muss wie die bestehenden. In<br />

ihrer vom Programm ESöV 2050 unterstützten<br />

Studie berechneten Julian Ehwald und<br />

sein Team deshalb, wie gut die Klimabilanz,<br />

über den gesamten Lebenszyklus gesehen,<br />

eines Vakuumtransportsystems gegenüber<br />

konventionellen Verkehrsmitteln abschneidet.<br />

Ihr Befund: Gegenüber einem Inlandflug<br />

liegen die Emissionen rund zehnmal tiefer.<br />

Sogar wenn das Flugzeug mit nachhaltigem<br />

Treibstoff betankt würde, wäre der Vakuumzug<br />

immer noch etwa zweieinhalbmal<br />

klimaschonender unterwegs. Wenn man die<br />

Unsicherheiten der Berechnungen berücksichtigt,<br />

kann der Hyperloop eine ähnlich<br />

günstige Bilanz aufweisen wie die Bahn.<br />

Der grösste Beitrag zu den Treibhausgasemissionen<br />

stammt aus der Infrastruktur,<br />

also dem Röhrensystem und den unterirdischen<br />

Bahnhöfen. Die Herstellung der<br />

dafür notwendigen Materialien (Beton, Stahl)<br />

schlägt sich deutlich in der Gesamtbilanz<br />

nieder. EuroTube forscht deshalb an Konstruktionen,<br />

die mit weniger Beton und Stahl<br />

auskommen. An zweiter Stelle folgen die<br />

Emissionen durch den Bau und den Betrieb<br />

der Fahrzeuge. Hier liegt der Schlüssel zur<br />

Senkung der Emissionen in einer leichten<br />

Konstruktion der Pods, der Dimensionierung<br />

ihrer Batterien sowie in der Auslastung der<br />

Fahrzeuge.<br />

Die Kosten für den Bau<br />

und den Betrieb eines<br />

Vakuumsystems werden<br />

auf 15 bis 20 Rp./pkm<br />

geschätzt. Das liegt im<br />

Bereich der Kosten für<br />

den Flugverkehr.<br />

21


Das Vakuumsystem besteht aus einer<br />

Röhre aus Beton oder Stahl. Grosse<br />

Ventilatoren erzeugen einen Unterdruck,<br />

der den Luftwiderstand der Fahrzeuge<br />

(Pods) verringert. Sie schweben auf einem<br />

Magnetfeld und werden mittels Schienen<br />

auf ihrer Spur gehalten. An beiden Enden<br />

der Röhre ist eine Schleuse angebracht,<br />

welche das System gegen die Umgebung<br />

abschliesst und das Druckgefälle aufrechterhält.<br />

Der Energieverbrauch wird massgeblich von<br />

der Geschwindigkeit bestimmt. Bei einer<br />

Reisegeschwindigkeit von 600 km/h rechnen<br />

die Autoren mit einem spezifischen Verbrauch<br />

von etwa 0,08 kWh pro Personenkilometer<br />

(kWh/pkm), bei 900 km/h steigt dieser<br />

auf rund 0,1 kWh/pkm. Zum Vergleich: Im konventionellen<br />

Bahnverkehr beträgt der Wert<br />

etwa 0,07 kWh/pkm. Der Mehrbedarf erklärt<br />

sich durch die Erzeugung des Vakuums und<br />

des Magnetfelds, die Beschleunigungsanlagen<br />

für die Pods, die Kühlung und Belüftung<br />

von Anlagen und Fahrzeugen sowie durch<br />

den Luftwiderstand, der wegen der hohen<br />

Geschwindigkeit trotz des verminderten<br />

Drucks nicht vernachlässigbar ist.<br />

Auch die Kosten des Systems versuchten<br />

die Forscher vorauszusagen. Für den Bau<br />

der Strecke zwischen Genf und Zürich veranschlagten<br />

sie Investitionen in der Höhe von<br />

15 bis 25 Milliarden Franken. Dabei mussten<br />

sie allerdings viele Annahmen treffen,<br />

da noch keine Erfahrungswerte vorliegen.<br />

Auch sind die Entwicklungskosten in diesen<br />

Schätzungen nicht enthalten. Immerhin lässt<br />

sich sagen, dass sich die Investitionen in<br />

einem Rahmen bewegen, wie er bei grossen<br />

Infrastrukturprojekten üblich ist. Die Kosten<br />

für den Bau und den Betrieb werden auf<br />

15 bis 20 Rp./pkm geschätzt. Das liegt im<br />

Bereich der Kosten für den Flugverkehr und<br />

ist etwa dreimal tiefer als im konventionellen<br />

Bahnverkehr (Fern- und Regionalverkehr).<br />

Die Schätzung basiert auf einer Reisezeit<br />

zwischen Genf und Zürich von unter einer<br />

Stunde und auf der erwarteten Nachfrage<br />

auf der Basis der Verkehrsprognosen des<br />

Bundes. Darin nicht berücksichtigt ist der<br />

induzierte Verkehr, also die zusätzliche<br />

Nachfrage, die durch das neue Angebot<br />

erzeugt werden könnte.<br />

Seine Stärken spielt das System wohl eher<br />

auf langen Strecken innerhalb Europas als<br />

in der Schweiz aus. Entsprechend meint<br />

Julian Ehwald: «Für die Schweiz als Forschungs-<br />

und Technologiestandort lohnt<br />

es sich, einen Fuss in der Türe zu behalten,<br />

gerade jetzt, wo das Thema in Europa Fahrt<br />

aufnimmt. Verkehrspolitisch gesehen, sollten<br />

wir sicherstellen, dass wir einen Anschluss<br />

an ein europäisches Netz erhalten. Und aus<br />

der Klimaperspektive glaube ich, dass Hyperloop<br />

eine Lösung sein kann, um die Flüge in<br />

Europa zu reduzieren.»<br />

Noch sind wir aber weit entfernt von der<br />

ersten Fahrt im futuristischen Zug unterwegs.<br />

Bisher existieren erst Prototypen auf vergleichsweise<br />

kurzen Streckenabschnitten<br />

oder im Modellmassstab. Viele der benötigten<br />

Komponenten müssen erst noch entwickelt<br />

werden, beispielsweise die Schleusen, welche<br />

«Aus der Klimaperspektive<br />

kann Hyperloop eine<br />

Lösung sein, um die Flüge<br />

in Europa zu reduzieren.»<br />

22


die Vakuumröhren von den Bereichen abtrennen,<br />

in denen normaler Atmosphärendruck<br />

herrscht, etwa in den Bahnhöfen.<br />

Weitere Forschungsbereiche beschäftigen<br />

sich mit der Konstruktion einer luftdichten<br />

Tunnelröhre, dem Antrieb der Magnetbahn,<br />

der Luftzufuhr in den Fahrzeugen oder der<br />

Kühlung der Fahrmotoren.<br />

Die Forschung geht – von der Öffentlichkeit<br />

grösstenteils unbeachtet – intensiv weiter.<br />

So hat das Team Swissloop an der European<br />

Hyperloop Week in Edinburgh im letzten Jahr<br />

sagenhafte fünf Auszeichnungen für seinen<br />

Fahrzeugprototyp (in der Fachsprache als<br />

Pod bezeichnet) erhalten. In Dübendorf baut<br />

die EuroTube Foundation eine 120 m lange<br />

Demonstrationsanlage, und im Unterwallis<br />

plant sie eine 3 km lange Versuchsstrecke –<br />

das wäre die längste weltweit. Wir dürfen<br />

also auf weitere Innovationen «made in<br />

Switzerland» gespannt sein.<br />

Wie modelliert man ein System,<br />

das es noch nicht gibt?<br />

Um ihre Berechnungen durchführen zu können,<br />

definierten die Forscher das System als Linienverbindung<br />

zwischen den Städten Genf, Lausanne,<br />

Bern und Zürich. Dieses besteht aus einem mit Beton<br />

ausgekleideten Tunnel mit einem Durchmesser<br />

von 4,6 Metern und einem Druck von 10 mbar. Die<br />

Fahrzeuge (Pods) haben einen Aussendurchmesser<br />

von 3,4 Meter und können 70 Personen (auf<br />

längeren Distanzen) bzw. 200 Personen auf Kurzstrecken<br />

befördern. Es wird eine Auslastung von<br />

80 % (analog zum Flugverkehr) und ein Modalsplit<br />

von knapp 20 % angenommen. Die Pods schweben<br />

auf einem Magnetkissen über Führungsschienen<br />

und können aus eigener Kraft beschleunigen und<br />

bremsen. Alternativ wird auch ein streckenseitiges<br />

Beschleunigungssystem betrachtet, welches den<br />

Vorteil hat, dass damit die Fahrzeuge leichter<br />

werden und weniger Energie verbrauchen. Es werden<br />

zwei Betriebsgeschwindigkeiten von 600 und<br />

900 km/h verglichen. Der Strommix ist identisch<br />

zum heutigen Bahnstrom der SBB.<br />

Die Tunnelröhren aus Beton und<br />

Stahl tragen einen wesentlichen<br />

Teil zu den Treibhausgasemissionen<br />

des Vakuumtransports bei. Julian<br />

Ehwald und sein Team suchen<br />

deshalb nach Möglichkeiten, mit<br />

verbesserten Konstruktionen und<br />

klimaschonenden Baustoffen den<br />

CO 2-Fussabdruck der Infrastruktur<br />

zu senken.<br />

23


EINBLICKE IN DIE PROJEKTE<br />

Wenn Busse selber parkieren<br />

Michèle Moser bringt ihren Bus im Hof des Depots zum Stehen und steigt<br />

aus. Ihre heutige Tour auf der Linie 2 ist beendet. Gemütlich schlendert<br />

sie zum Ausgang und beobachtet, wie ihr Bus zielsicher zwischen den<br />

anderen parkierten Fahrzeugen hindurch zum Waschplatz fährt. Nebenan<br />

parkt gerade der Elektrobus der Linie 8 an der Ladestation ein. Dass<br />

auch dort niemand drinsitzt, fällt ihr nicht einmal auf.<br />

Noch sind derartige Szenen Utopie. Aber der<br />

Schritt zum automatischen Busdepot ist<br />

möglicherweise gar nicht mehr so weit weg.<br />

Die Versuche mit selbstfahrenden Kleinbussen<br />

etwa in Sion, Bern, Zürich, Zug oder<br />

Schaffhausen haben bereits gezeigt, dass<br />

die Fahrzeugtechnologie reif ist. Auch auf<br />

der Seite der Infrastruktur haben Pilotanwendungen<br />

bestätigt, dass die Automatisierung<br />

grundsätzlich möglich ist. Ein Beispiel<br />

dafür ist die Versuchsanlage von BMW<br />

in München, bei der Autos von Kameras<br />

und Sensoren durch die Werkstatt geführt<br />

werden und selbstständig zwischen den<br />

Stationen zirkulieren.<br />

Was bei Autos möglich ist, sollte auch bei<br />

Bussen funktionieren, dachten sich die<br />

Mitglieder des Konsortiums AutoDepot. Unter<br />

der Leitung der Transports publics fribourgeois<br />

(TPF) fanden dort Transportunternehmen,<br />

Verbände, Hochschulen und Industriepartner<br />

zusammen und entwickelten die Vision eines<br />

automatisierten Busdepots in der Schweiz.<br />

Mit Unterstützung des Innovationsprogramms<br />

im regionalen Personen verkehr arbeiten sie<br />

an einer Studie, die untersucht, unter welchen<br />

Voraussetzungen diese Vision Realität werden<br />

kann.<br />

Erste Recherchen bei Industrie, Transportunternehmen<br />

und Hochschulen zeigten<br />

rasch, dass ein automatisiertes Busdepot<br />

prinzipiell machbar ist. Dabei sind zwei unterschiedliche<br />

Systeme denkbar: Entweder<br />

wird das Depot mit selbstfahrenden Autos<br />

Busdepot von<br />

Bern mobil. Mit fortschreitender<br />

technologischer<br />

Entwicklung<br />

ist es denkbar, dass<br />

in einigen Jahren die<br />

Fahrzeuge hier autonom<br />

manövrieren.<br />

#Innovation RPV<br />

#Bus<br />

#Fahrzeuge<br />

Weiterführende Angaben:<br />

24


Auch wenn sie selbständig fahren,<br />

sind die Busse im automatisierten<br />

Depot ständig überwacht.<br />

Bei Bedarf kann das Personal im<br />

Kontrollzentrum sie sogar fernsteuern.<br />

betrieben, oder die Steuerung der Fahrzeuge<br />

erfolgt über fest installierte Sensoren in<br />

der Anlage. Der Betrieb mit selbstfahrenden<br />

Fahrzeugen ist insofern einfacher, als das<br />

Depot nicht umgerüstet werden muss; es<br />

braucht lediglich eine Kommandozentrale,<br />

welche den Bussen den Befehl gibt, wohin<br />

sie fahren sollen. Dieses Konzept setzt aber<br />

eine vollständige Flotte automatisierter<br />

Busse voraus.<br />

Möglicherweise rascher realisierbar wäre ein<br />

automatisiertes Depot, wenn die Steuerung<br />

und die Überwachung ortsgebunden erfolgen.<br />

Die nötige Infrastruktur (Sensoren, Kameras<br />

und Rechner) ist heute bereits vorhanden,<br />

was noch fehlt, sind lediglich erprobte Systeme.<br />

Die infrastrukturseitige Ausrüstung<br />

hätte zudem den Vorteil, dass ein Mischbetrieb<br />

mit nicht automatisierten Fahrzeugen<br />

möglich ist. Voraussetzung wäre allerdings,<br />

dass die Busse «Drive by wire» zulassen,<br />

dass also die Lenkung, die Bremsen und der<br />

Antriebsstrang jedes Fahrzeugs von der<br />

Leitstelle aus ferngesteuert werden können.<br />

Viele Autos sind heute mit den dafür notwendigen<br />

Technologien ausgerüstet, Busse<br />

hingegen in der Regel noch nicht.<br />

Neben den technischen Voraussetzungen<br />

hat das Konsortium auch die Wirtschaftlichkeit<br />

untersucht. Aufgrund erster Abschätzungen<br />

kommt es zum Schluss, dass der<br />

Betrieb eines automatisierten Depots wirt­<br />

schaftlich attraktiv sein könnte. Die heute<br />

noch vom Personal geleisteten Tätigkeiten<br />

wie Waschen, Tanken bzw. Laden, Warten<br />

und Abstellen der Fahrzeuge summieren<br />

sich zu erheblichen Stundenzahlen. Das<br />

Konsortium schätzt, dass der Wegfall dieser<br />

Kosten die Investitionen in ein automatisiertes<br />

Depot und dessen Betrieb mehr als<br />

aufwiegen würde.<br />

Erste Recherchen zeigten rasch,<br />

dass ein automa tisiertes Busdepot<br />

prinzipiell machbar ist.<br />

Die Studie ist inzwischen abgeschlossen.<br />

Aufgrund der positiven Ergebnisse will das<br />

Konsortium nun möglichst bald einen Feldversuch<br />

durchführen, um Erfahrungen in<br />

der Praxis zu sammeln. Erste Gespräche<br />

zur Sicherstellung der Finanzierung sind im<br />

Gang. Trotzdem wird es noch einige Zeit<br />

dauern, bis die eingangs geschilderte Szene<br />

für das Fahrpersonal zum Alltag wird. Immerhin:<br />

Wenn alles klappt, sollte es bereits<br />

2028 möglich sein, anhand eines Prototyps<br />

einen Eindruck des Busdepots der Zukunft<br />

zu erhalten.<br />

25


EINBLICKE IN DIE PROJEKTE<br />

Geschwindigkeit messen<br />

mit dem Magnetfeld<br />

Die Geschwindigkeit eines Zugs mit dem Magnetfeld der Erde und der Schienenumgebung<br />

zu messen – darauf muss man zuerst einmal kommen. Und eigentlich gibt es ja bereits<br />

Tacho, Radar und GPS. Wozu braucht es denn ein viertes System? Bei näherer Untersuchung<br />

zeigt sich aber: Das Magnetfeld könnte sich bei schlechten Witterungsbedingungen und in<br />

Tunnels als überlegen erweisen.<br />

Tarek Vennemann ist auf der Fahrt von Brig nach<br />

Saint-Gingolph – aber nicht bequem im Abteil sitzend,<br />

sondern stehend im Gepäckabteil eines Domino-Triebzugs,<br />

wo er sich seine Messeinrichtung aufgebaut hat.<br />

Einige Tage zuvor hat er zusammen mit Technikern der<br />

RegionAlps sieben Sensoren auf der Unterseite des<br />

Triebwagens angebracht und sie mit seinem Rechner<br />

verkabelt. Nun verfolgt er gespannt den Verlauf der<br />

Messdaten, die die Sensoren laufend auf seinen Bildschirm<br />

schicken.<br />

#Innovation RPV<br />

#Eisenbahn<br />

#Fahrzeuge<br />

Weiterführende Angaben:<br />

Eines der beiden Gehäuse auf der Unterseite<br />

des Zugs. Es enthält Sensoren,<br />

welche das Magnetfeld längs, quer und<br />

vertikal zur Schiene messen. Im Innern<br />

des Schlauchs verlaufen die Kabel für die<br />

Stromversorgung und die Datenverbindung<br />

zum Computer im Gepäckabteil.<br />

Zurück in seinem Büro bei der Enotrac in Lausanne, wird<br />

Vennemann dann die Daten auswerten. Der Ingenieur<br />

will herausfinden, ob das Erdmagnetfeld dafür genutzt<br />

werden kann, die Geschwindigkeit eines Zuges zu<br />

messen und seine Position zu bestimmen. Dies wäre<br />

beispielsweise für eine ETCS-Anwendung hilfreich, bei<br />

der die Strecke ohne Aussensignale betrieben wird. Um<br />

dort Züge sicher führen zu können, ist eine präzise, zuverlässige<br />

Geschwindigkeitsmessung und Lokalisierung<br />

essenziell.<br />

Heute erfolgt dies einerseits über Satelliten-Ortungssysteme<br />

(GPS), andererseits rechnerisch anhand der Fahrgeschwindigkeit.<br />

Allerdings ist GPS für die Lokalisierung<br />

nur unterstützend zugelassen, ausserdem ist GPS in<br />

Tunnels nicht einsetzbar. Massgebend ist somit die rechnerische<br />

Positionsermittlung. Aus Gründen der Sicherheit<br />

und der Verfügbarkeit werden Züge mit mindestens<br />

zwei unabhängigen Einrichtungen zur Geschwindigkeitsmessung<br />

ausgerüstet. Eines davon ist in der Regel ein<br />

Tachometer, welches wie beim Auto die Achsumdrehungen<br />

misst und daraus via Radumfang die Geschwindigkeit<br />

ermittelt. Als zweites System ist ein Radar eingebaut.<br />

Dieses sendet Radarwellen aus und berechnet die<br />

26


Geschwindigkeit aus der Frequenzverschiebung, welche<br />

das von der Umgebung reflektierte Signal erfährt (sog.<br />

Dopplereffekt).<br />

Beide Systeme haben einen wesentlichen Nachteil: Bei<br />

schlechten Wetterbedingungen sind sie unpräzise. Das<br />

Tachometer liefert ungenaue Werte, wenn die Haftung<br />

vermindert ist und die Räder durchdrehen («Schlupf»),<br />

beispielsweise aufgrund von Nässe oder Schnee. Beim<br />

Radar wiederum stören der Flugschnee oder eine Vereisung<br />

die Messung. Funktioniert die Geschwindigkeitsmessung<br />

aber nicht korrekt, muss der Zug aus Sicherheitsgründen<br />

langsamer fahren oder sogar ganz aus dem Verkehr<br />

gezogen werden, um den Fehler zu beheben. Das führt zu<br />

Störungen im Betriebsablauf und unnötigen Kosten.<br />

Hier könnte die Messung des Magnetfelds einen Ausweg<br />

bieten. Es ist an jedem Ort der Erdoberfläche leicht<br />

anders, abhängig von der geografischen Lage, dem<br />

Untergrund und der Umgebung. Das Magnetfeld kann<br />

mit Sensoren, die zum Beispiel entlang eines Zugs angebracht<br />

sind, gemessen werden. Bewegt sich der Zug,<br />

kann aus dem zeitlichen Versatz zwischen den Messungen<br />

zweier Sensoren die Geschwindigkeit bestimmt werden.<br />

Das System ist unabhängig von den Witterungsbedingungen<br />

und kann auch in Tunnels eingesetzt werden.<br />

Die Idee zur Geschwindigkeitsmessung mit einem Magnetfeld<br />

bestand bei den Mitarbeitenden von Enotrac schon<br />

länger. Die Initialzündung erfolgte aber erst, als ihnen<br />

der Direktor von RegionAlps, Yves Maclay, von seinen<br />

betrieblichen Problemen infolge schlechter Wetterbedingungen<br />

erzählte. Da kam der Projektaufruf des<br />

Programms «Innovation im regionalen Personenverkehr»<br />

gerade gelegen, und es dauerte nicht lange, bis der<br />

gemeinsame Antrag eingereicht war.<br />

«Sollten die weiteren Erprobungen<br />

gut verlaufen, liegt eine<br />

Markteinführung innert zweier<br />

Jahre in Reichweite.»<br />

funden werden kann. Sollten die weiteren Erprobungen<br />

gut verlaufen, liegt aus seiner Sicht eine Markteinführung<br />

innert zweier Jahre in Reichweite.<br />

Bei RegionAlps freut man sich bereits auf die Verbesserungen,<br />

die das neue System für den Betrieb bringen<br />

könnte. Trotzdem ist es nicht selbstverständlich, dass<br />

ein Transportunternehmen den Mehraufwand auf sich<br />

nimmt, den derartige Projekte mit sich bringen. Christian<br />

Nellen, Leiter Rollmaterial und Planung, begründet sein<br />

Engagement so: «Dank unserer kleinen Grösse sind wir<br />

schnell und flexibel beim Aufziehen von Tests. Das macht<br />

es für Entwickler interessant, auch mit kleinen Bahnen<br />

wie uns zusammenzuarbeiten. Natürlich sind derartige<br />

Projekte für uns wegen unserer beschränkten personellen<br />

Ressourcen eine Herausforderung. Aber auch als<br />

kleines EVU wollen wir unsere Verantwortung für Innovationen<br />

wahrnehmen, die die Branche voranbringen.»<br />

Ganz so einfach wie dargestellt ist das Verfahren aber<br />

nicht. Insbesondere gibt es auch andere Signale als das<br />

Erdmagnetfeld, die von den Sensoren erfasst werden,<br />

beispielsweise induzierte Felder von den Fahrmotoren<br />

oder von elektrischen Anlagen am Gleis. Dieser Hintergrund<br />

muss mit rechnerischen Methoden herausgefiltert<br />

werden. Auch zeigt sich, dass die Messung je nach<br />

Richtung unterschiedlich von Störsignalen beeinflusst<br />

wird. Als am besten geeignet stellte sich die Messung<br />

der vertikalen Komponente heraus.<br />

Inzwischen konnten Tarek Vennemann und seine Kollegen<br />

mit ihren Messungen bestätigen, dass die Methode zuverlässig<br />

funktioniert. Noch fehlt die Finanzierung für die<br />

nächste Phase, aber Enotrac-Geschäftsleitungsmitglied<br />

Andreas Bleiker gibt sich zuversichtlich, dass diese ge­<br />

Aussenansicht der als Testzug verwendeten<br />

Komposition. Die insgesamt sieben Sensoren<br />

befinden sich in zwei Kästen zwischen den<br />

beiden Drehgestellen.<br />

27


EINBLICKE IN DIE PROJEKTE<br />

Lärmschutz oder Erschütterungsschutz<br />

– Fünfer oder Weggli?<br />

Schienen, Schwellen, Schotter – der Gleisaufbau mag simpel erscheinen. Wenn es aber um<br />

die physikalischen Zusammenhänge bei einer Zugsdurchfahrt geht, wird es rasch kompliziert.<br />

Ein Rechenmodell erlaubt nun, Lärm und Erschütterungen umfassend zu berechnen.<br />

Damit wird die Suche nach Massnahmen gegen diese Belastungen einfacher.<br />

«Lärm und Erschütterungen sind seit jeher die Achillesferse<br />

der Eisenbahn.» Der Mann, der das sagt, muss es<br />

wissen: Fredy Fischer beschäftigt sich seit über zwanzig<br />

Jahren beruflich mit dem Thema. Der Sektionsleiter beim<br />

Bundesamt für Umwelt (BAFU) war dabei, als ein grosses<br />

Lärmsanierungsprogramm für die Eisenbahnen entwickelt,<br />

vom Parlament genehmigt und unter der Federführung<br />

der SBB umgesetzt wurde. Mit dem Lärmsanierungskredit<br />

von 1,854 Milliarden Franken (Preisstand 1998) wurde<br />

bis 2016 das schweizerische Rollmaterial im Personenund<br />

Güterverkehr lärmsaniert. Ergänzend wurden rund<br />

276 Kilometer Lärmschutzwände erstellt und über<br />

70’000 Schallschutzfenster eingebaut.<br />

Da das ursprünglich gesetzte Ziel, 80 % der Bevölkerung<br />

vor Eisenbahnlärm zu schützen, damit noch nicht<br />

vollständig erreicht wurde, verlangte das Parlament<br />

innerhalb des bestehenden Kredites zusätzliche Massnahmen.<br />

Damit werden seither unter anderem Finanzhilfen<br />

für den Erwerb von besonders leisen Güterwagen<br />

gewährt sowie Ressortforschung im Bereich Eisenbahnlärm<br />

finanziert.<br />

Seit 2020 sind laute Güterwagen in der Schweiz verboten.<br />

Trotzdem sind wegen des zunehmenden Verkehrs<br />

und der dichteren Bebauung weitere Massnahmen<br />

erforderlich, die die Eisenbahn leiser machen. Gemäss<br />

#Eisenbahnlärm<br />

#Eisenbahn<br />

#Infrastruktur<br />

Schlussbericht (englisch):<br />

dem Umweltschutzgesetz sollen diese Massnahmen<br />

primär am Entstehungsort des Lärms getroffen werden,<br />

also bei Fahrzeug und Fahrbahn.<br />

Hier setzt die Studie an, die Dr. Prof. Joël Cugnoni zusammen<br />

mit seinem Team von der Haute Ecole d’Ingénierie<br />

et de Gestion du Canton de Vaud (HEIG) in Yverdon letztes<br />

Jahr abgeschlossen hat. Er suchte eine Methode, die<br />

dabei hilft, die optimale Kombination der verschiedenen<br />

Fahrbahnelemente zu finden. Ziel ist, nebst dem Lärm<br />

auch die Erschütterungen zu reduzieren, die beim Befahren<br />

des Gleises entstehen, sowie den Verschleiss der<br />

Fahrbahn zu vermindern.<br />

Erschütterungen können in benachbarten Gebäuden zu<br />

störenden Vibrationen oder Körperschall führen. Sie können<br />

auch Ermüdungserscheinungen im Oberbaumaterial<br />

und Setzungen im Gleiskörper verursachen, was häufigeren<br />

Gleisunterhalt erfordert und damit die Kosten erhöht.<br />

Deshalb werden an exponierten Stellen schwingungsdämpfende<br />

Elemente eingebaut, beispielsweise zwischen<br />

Schiene und Schwelle (sogenannte Zwischenlagen) oder<br />

unter den Schwellen (Schwellenbesohlungen).<br />

Der Bund, die Infrastrukturbetreiberinnen und die Hochschulen<br />

arbeiten im Rahmen der Ressortforschung<br />

Eisen bahnlärm seit Jahren zusammen. Seitens Bund<br />

übernimmt das BAFU dabei die Projektbegleitung<br />

und die Kommunikation, das <strong>BAV</strong> die Finanzierung. Im<br />

Rahmen des Projektes mit der HEIG wurden diverse<br />

Kombinationen von Gleis, Schwellen, Oberbau und<br />

Dämpfungselementen evaluiert, in einem Versuchsaufbau<br />

getestet und rechnerisch modelliert. Gemäss Fredy<br />

Fischer besteht die Kunst darin, die verschiedenen Oberbaukomponenten<br />

so zu kombinieren, dass das Gesamtsystem<br />

optimiert wird. Es ist zu vermeiden, dass eine<br />

Massnahme gegen Lärm zu mehr Erschütterungen und<br />

Verschleiss führt, oder umgekehrt.<br />

28


Eingabemaske des verwendeten Modells. Die charakteristischen<br />

physikalischen Eigenschaften der Bauteile<br />

(Schiene, Zwischenlage, Schwelle, Klemmen etc.)<br />

können individuell festgelegt werden. Weiter können<br />

Schwellen unterschiedlicher Geometrie sowie zwei<br />

Schienentypen ausgewählt werden.<br />

Die Suche nach Kombinationen, die sowohl Lärm als<br />

auch Erschütterungen vermindern, erwies sich in der<br />

Vergangenheit als aufwendig, zeitraubend und teuer. Es<br />

mussten jeweils Komponenten im Gleis eingebaut, über<br />

eine längere Zeit beobachtet und Messungen durchgeführt<br />

werden. Das von der HEIG entwickelte Modell<br />

kürzt nun diesen Weg ab, indem es die Simulation der<br />

verschiedenen Elemente erlaubt. Fachleute können das<br />

im Web frei zugängliche Expertentool nutzen, um beliebige<br />

Kombinationen und deren Wirkung auf Lärm und<br />

Erschütterung zu testen. Durch Eingabe ihrer physikalischen<br />

Eigenschaften wie Dimension und Elastizität können<br />

auch neue Materialien untersucht werden.<br />

Die Forschenden haben die Probe aufs Exempel gemacht<br />

und unterschiedliche Kombinationen getestet.<br />

Dabei wurden zwei Gleisprofile, zwei Schwellentypen<br />

(Beton und Holz), eine Schwellenbesohlung und drei<br />

verschiedene Zwischenlagen geprüft. Die Berechnungen<br />

zeigten eine gute Übereinstimmung mit Ergebnissen<br />

aus Feldversuchen und bestätigten damit, dass das<br />

Modell korrekte Aussagen macht.<br />

Damit ist für Fredy Fischer ein grosser Schritt gemacht.<br />

«Es ist wie beim Arzt: Man muss zuerst eine saubere<br />

Diagnose stellen, bevor man eine Medizin verschreibt.<br />

Das Tool hilft uns, das Problem zu verstehen, das zu Lärm<br />

und Erschütterungen führt. Danach kann man die erfolgversprechendste<br />

Massnahme auswählen.»<br />

«Das Tool hilft uns, das Problem<br />

zu verstehen, das zu Lärm und<br />

Erschütterungen führt.»<br />

Das Modell eröffnet zudem die Möglichkeit, neue Ansätze<br />

zur Lärmminderung zu evaluieren. So könnte man<br />

zukünftig die Form, das Material und die Abstände der<br />

Schwellen verändern, andere Befestigungen verwenden<br />

oder andere Elastomere für Zwischenlagen und Schwellenbesohlungen<br />

prüfen.<br />

Besonders freut ihn, dass das Modell bestätigt, was<br />

jüngst ein Feldversuch herausgefunden hat: Mit einer<br />

Kombination von hochdämpfenden Zwischenlagen und<br />

Unterschottermatten lassen sich sowohl der Lärm wie<br />

die Erschütterungen vermindern. Es scheint also doch<br />

einen Weg zu geben, den Fünfer und das Weggli zu<br />

erhalten<br />

Versuchsaufbau im Projekt der HEIG. Ein «Shaker» im weissen<br />

Würfel erzeugt eine Vibration auf dem Gleis, welche sich in<br />

die Schwellen fortpflanzt. Der abgestrahlte Schall wird durch<br />

Mikrofone gemessen, die sich an einem Gestell über die<br />

Versuchsanlage bewegen. Die Erschütterungen werden über<br />

Beschleunigungssensoren registriert. Die Messungen dienen<br />

der Validierung des rechnerischen Modells.<br />

29


Wir entwickeln intelligente<br />

Algo rithmen,<br />

die die Leistungsfähigkeit<br />

und Zuverlässigkeit<br />

von komplexen<br />

Infrastrukturanlagen<br />

verbessern.<br />

30


DIE MENSCHEN HINTER DEN PROJEKTEN<br />

Prof. Dr. Olga Fink, EPFL<br />

Wie künstliche<br />

Intelligenz hilft,<br />

die Infrastruktur<br />

zu optimieren<br />

In den Anwendungen und Produkten von Google, Meta, Amazon und Co.<br />

hat die künstliche Intelligenz schon lange Einzug gehalten. Sie hilft,<br />

Muster in den Daten zu erkennen und daraus Entscheidungen abzuleiten.<br />

Diese Fähigkeit kann auch zur Optimierung des Betriebs und der Instandhaltung<br />

von komplexen Infrastrukturen genutzt werden. Olga Fink,<br />

Professorin an der EPFL, versucht, mit künstlicher Intelligenz mehr aus<br />

Kraftwerken und Stromnetzen herauszuholen.<br />

Künstliche Intelligenz (KI) ist in aller<br />

Munde – und steckt in allen Smartphones.<br />

Ist KI wirklich schon Alltag?<br />

Das kann man durchaus so sagen. KI gibt<br />

es schon in sehr vielen Anwendungen.<br />

Beispielsweise verwendet Google Maps auf<br />

Graphen basierende neuronale Netze für<br />

genauere Verkehrsprognosen und zur Berechnung<br />

der Ankunftszeiten. Damit kann<br />

dann der schnellste Weg gefunden werden.<br />

Auch die persönlichen Filmempfehlungen<br />

von Netflix oder die Bannerwerbung im<br />

Browser nutzt KI, ebenso Webshops, die<br />

personalisierte Angebote vorschlagen. Sie<br />

analysieren das Nutzerverhalten und andere<br />

relevante Daten, suchen darin Muster und<br />

treffen Vorhersagen darüber, welche Inhalte<br />

oder Produkte am ehesten von Interesse<br />

sein könnten.<br />

Sie beschäftigen sich nun aber nicht<br />

mit Filmen und Onlineshops, sondern mit<br />

Infrastrukturen. Wie würden Sie Ihren<br />

Forschungsgegenstand beschreiben?<br />

Wir entwickeln intelligente Algorithmen, die<br />

die Leistungsfähigkeit und Zuverlässigkeit<br />

von komplexen Infrastrukturanlagen verbessern.<br />

Unsere Forschung lässt sich beispielsweise<br />

auf Wasserkraftwerke, Eisenbahninfrastrukturanlagen<br />

und Stromverteilnetze<br />

#Bahninfrastrukturforschung<br />

#Eisenbahn<br />

#Energieerzeugung<br />

#Produktion/Betrieb<br />

Weiterführende Angaben:<br />

31


anwenden. Wir haben auch schon Windkraftanlagen,<br />

Gasturbinen und Flugzeugtriebwerke<br />

untersucht. Generell beschäftigen wir<br />

uns mit komplexen Systemen, bei denen<br />

Entscheidungen auf der Basis von einer Vielzahl<br />

von Daten getroffen werden.<br />

Und wie nutzen Sie die KI in diesen Fällen?<br />

In der Regel verwenden wir die Daten der<br />

Anlagensensoren. Diese überwachen beispielsweise<br />

den Betriebs- und Anlagenzustand und<br />

schlagen beim Überschreiten von voreingestellten<br />

Schwellenwerten Alarm, etwa wenn<br />

ein Motorenlager zu überhitzen droht. Wir<br />

entwickeln Algorithmen, welche wir anhand<br />

der Daten darauf trainieren, in diesen<br />

Informa tionen Muster zu erkennen und daraus<br />

Schlüsse zu ziehen. Damit sind wir in der<br />

Lage, den Anlagebetreibern vorausschauend<br />

Hinweise zu geben. Sie können damit beispielsweise<br />

Abweichungen von Sollwerten<br />

frühzeitig feststellen, die Restlebensdauer<br />

des erwähnten Motorenlagers abschätzen<br />

oder den Betrieb der Anlage optimieren.<br />

Bei der KI handelt es sich also um lernende<br />

Computerprogramme?<br />

Das könnte man so sagen. Ich gebe Ihnen ein<br />

anderes Beispiel, um das zu verdeutlichen.<br />

Wir haben den Betrieb von Drohnen untersucht.<br />

Ihr Einsatz wird massgeblich von der<br />

Leistung der Batterie bestimmt. Da die Batterie<br />

altert, nimmt ihre Leistung und damit<br />

der Einsatzradius der Drohne mit der Zeit ab.<br />

Wir haben einen Algorithmus entwickelt, der<br />

anhand der Daten der Drohne ihr Flugverhalten<br />

lernt und den Batteriezustand abschätzen<br />

kann. Darauf basierend, ermöglicht er der<br />

Drohne den Entscheid, ob sie eine Mission<br />

noch ausführen soll und auf welcher Flugbahn<br />

sie dies am energiesparendsten tut.<br />

Mit Unterstützung des <strong>BAV</strong> haben Sie drei<br />

Fallstudien für SBB Infrastruktur durchgeführt.<br />

Worum ging es dabei?<br />

Wir arbeiten hier mit der SBB zusammen, um<br />

kritische Zustände in Energieanlagen und<br />

-netzen erkennen und vorhersagen zu können.<br />

Die erste Fallstudie beschäftigte sich damit,<br />

den Zustand von Sensoren in Kraftwerken<br />

und Unterwerken zu erfassen. Damit können<br />

wir einerseits die Funktionsfähigkeit der<br />

Sensoren selbst und die Qualität der von<br />

ihnen gelieferten Informationen beurteilen<br />

und andererseits Hinweise für den Betrieb<br />

und die Instandhaltung des Systems geben.<br />

Kollektive Intelligenz: Olga Fink im<br />

Austausch mit ihren Doktorierenden<br />

Mengjie Zhao und Raffael Theiler.<br />

32


Prognose SBB<br />

Prognose EPFL<br />

Effektiver Bedarf<br />

Vergleich der Prognosen für den elektrischen<br />

Leistungsbedarf auf dem<br />

Netz der SBB. Die mit dem KI-Modell<br />

erstellten Vorhersagen liegen in der<br />

Regel näher am effektiven Bedarf.<br />

Dieser Befund zeigt sich auch in der<br />

Auswertung der mittleren Abweichung<br />

(MAE = mean absolute error) über den<br />

gesamten Betrachtungszeitraum.<br />

33


Und bei den anderen beiden Fallstudien?<br />

In der zweiten Fallstudie ging es darum, aus<br />

Sensordaten die Effizienz eines Wasserkraftwerks<br />

zu bestimmen und daraus Empfehlungen<br />

für die Optimierung des Betriebs<br />

abzuleiten. Zurzeit arbeiten wir an der dritten<br />

Fallstudie, in der wir die Last in der Bahnstromversorgung<br />

voraussagen. Die SBB hat<br />

hierzu natürlich bereits ihre Modelle, diese<br />

sind aber nicht lernfähig. Wir trainieren den<br />

Algorithmus, indem wir ihm neben den Daten<br />

aus vergangenen Perioden auch Planinformationen<br />

für den nächsten Tag zuführen,<br />

beispielsweise Wettervorhersagen oder den<br />

Fahrplan von Personen- und Güterzügen.<br />

Dank der Anwendung von KI konnten wir<br />

bereits die Zuverlässigkeit und Treffsicherheit<br />

der Prognosen deutlich erhöhen.<br />

Was ist das Neue an Ihrem Projekt?<br />

Auf der Seite der wissenschaftlichen Forschung<br />

besteht die Innovation darin, dass<br />

wir Methoden entwickeln, die zeitliche und<br />

räumliche Zusammenhänge miteinander<br />

verknüpfen. Das ist rechnerisch anspruchsvoll<br />

und erfordert spezielle Modelle. Ausserdem<br />

haben wir für die Modelle nicht nur<br />

die Anlagendaten genutzt, sondern auch<br />

physikalische Zusammenhänge integriert.<br />

Die KI nutzt die Physik dann als komplementäre<br />

Informationsquelle, oder wir trainieren<br />

die KI anhand der physikalischen Gesetzmässigkeiten.<br />

Das macht die Ergebnisse der<br />

Algorithmen robuster und zuverlässiger.<br />

Was macht für Sie die Faszination der<br />

Projekte aus, die Sie bearbeiten?<br />

Man kann sehr viele Probleme mit KI lösen.<br />

Das hat sich inzwischen herumgesprochen.<br />

In der Vergangenheit war es oft notwendig,<br />

Personen davon zu überzeugen, uns Daten<br />

zur Verfügung zu stellen. Heute hingegen<br />

werden uns Daten häufig angeboten, weil<br />

man sieht, dass sich damit Probleme lösen<br />

lassen. Was mich begeistert, ist die Dynamik<br />

des Forschungsfeldes: Es ist ständig in<br />

Bewegung, mit kontinuierlichen Impulsen<br />

Neues zu entwickeln. Gleichzeitig kann<br />

es allerdings herausfordernd sein, mit der<br />

rasanten Entwicklung Schritt zu halten und<br />

trotz der stetigen Fortschritte immer auf<br />

dem neusten Stand des Wissens zu bleiben.<br />

Wie werden wir in zehn Jahren KI im öV<br />

nutzen?<br />

Ich glaube, dass wir mit KI eine nahtlose<br />

Verknüpfung der Verkehrssysteme sehen<br />

werden, indem Verkehrsketten personalisiert<br />

werden. Das wird das Reisen nochmals deutlich<br />

einfacher machen. In dieser Entwicklung<br />

werden autonome Fahrzeuge eine wichtige<br />

Rolle spielen, insbesondere auf der ersten<br />

und der letzten Meile. Auf Systemebene wird<br />

KI dazu beitragen, die Mittel für den Betrieb<br />

und den Unterhalt der Infrastruktur effizienter<br />

einzusetzen. Die Beispiele aus unseren<br />

Forschungsprojekten deuten bereits an,<br />

wie gross hier das Potenzial ist.<br />

Wird uns KI arbeitslos machen?<br />

Ich denke nicht. Meine Prognose ist vielmehr,<br />

dass es zu einer Symbiose zwischen Mensch<br />

und Algorithmen kommen wird. Der Mensch<br />

ist nicht so gut darin, mit grossen Datenmengen<br />

umzugehen und daraus Entscheidungen<br />

abzuleiten. Die KI kann hier helfen, indem sie<br />

verschiedene Optionen vorschlägt. Sie könnte<br />

auch eine Rolle als des «Teufels Advokat»<br />

spielen, indem sie bei Entscheidungen die<br />

Menschen darauf hinweist, was sie bedenken<br />

sollten und welche Alternativen möglich wären.<br />

34


Die Belastung der Netze kann<br />

im Tagesverlauf stark schwanken.<br />

KI-basierte Modelle helfen, den<br />

Bedarf genauer vorherzusagen.<br />

Wie kriegt man die Physik in ein KI-Modell?<br />

Für Experten könnte es interessant und<br />

spannend sein, mit diesen Hinweisen ihre<br />

Entscheidungen zu überprüfen. Ganz grundsätzlich<br />

glaube ich, dass viele Jobs dank KI<br />

interessanter werden, weil sie die Menschen<br />

von Routinearbeiten entlastet und ihnen<br />

ermöglicht, sich stärker dem kreativen Anteil<br />

der Arbeit zu widmen.<br />

Dank der Anwendung<br />

von KI konnten wir<br />

bereits die Zuverlässigkeit<br />

und die Treffsicherheit<br />

der Prognosen<br />

deutlich erhöhen.<br />

Künstliche Intelligenz (KI) bezeichnet die Fähigkeit von Computerprogrammen<br />

oder Maschinen, Aufgaben durchzuführen,<br />

die typischerweise menschliche Intelligenz erfordern. Diese<br />

Systeme sind in der Lage, zu lernen, sich anzupassen und Entscheidungen<br />

auf Basis der verfügbaren Daten zu treffen. Das<br />

maschinelle Lernen (ML) erfolgt, indem die Systeme umfangreiche<br />

Datensätze analysieren und in ihnen Muster erkennen.<br />

In jüngerer Vergangenheit wurde eine breite Palette von leistungsfähigen<br />

Algorithmen des maschinellen Lernens entwickelt,<br />

die für verschiedene Aufgaben eingesetzt werden können.<br />

Die Modelle, die Olga Fink und andere Forschende nutzen,<br />

basieren auf neuronalen Netzwerken, die in ihrer Struktur dem<br />

menschlichen Gehirn nachempfunden sind. Sie werden an<br />

erfassten Daten trainiert, sodass sie möglichst genau das in<br />

der Realität beobachtete Verhalten eines Systems nachbilden<br />

können. Damit können die Modelle auch für Vorhersagen<br />

genutzt werden, sofern die vorliegenden Daten sich ähnlich<br />

verhalten wie jene, die zum Trainieren des Modells verwendet<br />

wurden.<br />

Die Genauigkeit der Vorhersagen durch diese Modelle kann<br />

verbessert werden, indem sie nicht nur mit erfassten Daten<br />

trainiert werden, sondern auch die physikalischen Gesetzmässigkeiten<br />

berücksichtigen, die im vorliegenden System gelten.<br />

Durch die Implementierung der entsprechenden physikalischen<br />

Formeln in die Lernarchitektur sind die Modelle in der Lage,<br />

auch dort akkurate Vorhersagen zu machen, wo keine Trainingsdaten<br />

vorliegen. In Fallstudie 2 hat das Team von Olga<br />

Fink einen Algorithmus entwickelt, der physikalische Gesetzmässigkeiten<br />

berücksichtigt. Es konnte damit Hinweise zur<br />

Verbesserung der Effizienz eines Wasserkraftwerks geben.<br />

Eine andere Art von neuronalen Netzwerken sind die sogenannten<br />

Transformermodelle. Sie sind in der Lage, eine Folge<br />

von Symbolen in eine andere Folge von Symbolen zu übersetzen.<br />

Sie werden beispielsweise für KI-gestützte Sprachübersetzungen<br />

verwendet. In seiner Forschung hat das Team von<br />

Olga Fink Transformer zur Prognose der elektrischen Netzlast<br />

eingesetzt, um Wetter- oder Fahrplandaten für die Simulation<br />

nutzbar zu machen (Fallstudie 3).<br />

35


DIE MENSCHEN HINTER DEN PROJEKTEN<br />

Prof. Dr. Vincent Bourquin, Uni FR<br />

Das Bahnsystem:<br />

stetig optimiert und<br />

doch noch nicht<br />

ausgereizt<br />

Das System Eisenbahn ist zweifellos hoch komplex. Dass es Tag für Tag<br />

praktisch reibungslos seine Aufgabe erfüllt, ist das Ergebnis eines mit<br />

viel Erfahrung austarierten Zusammenspiels von Mensch und Technik.<br />

Professor Vincent Bourquin, Experte für das Programm Energiestrategie<br />

im öffentlichen Verkehr 2050 (ESöV 2050), untersucht in seiner Forschung,<br />

wie sich komplexe Systeme wie die Eisenbahn weiter entwickeln lassen.<br />

Sie sind Experte für das Programm ESöV 2050.<br />

Wie würden Sie Ihre Aufgabe umschreiben?<br />

Ich sehe meinen Beitrag darin, Hinweise zur Verbesserung<br />

der Projekte zu geben. Eine Forschungsidee<br />

ist rasch formuliert, aber das Projekt dann zum Erfolg<br />

zu führen, ist anspruchsvoll. Mich interessiert,<br />

den Nutzen des Projekts herauszuschälen und mögliche<br />

Risiken zu erkennen. Damit versuche ich, die<br />

Projektnehmer zu unterstützen und ihnen Informationen<br />

für einen erfolgreichen Start zu liefern.<br />

#ESöV 2050<br />

Welche spezifischen Kompetenzen bringen Sie<br />

in das Expertengremium ein?<br />

Ich habe während meiner ganzen Laufbahn in der<br />

Entwicklung von Verkehrssystemen gearbeitet, sei<br />

das auf der Strasse, auf der Schiene oder in der Luft.<br />

36


Besonders spannend sind<br />

die Projekte, bei denen<br />

wir uns als Experten nicht<br />

einig sind, weil das uns erlaubt,<br />

zu diskutieren und<br />

gemeinsam zu lernen.<br />

Damit habe ich einen breiten Überblick über die verschiedenen<br />

Technologien und Problemlösungsstrategien.<br />

Ausserdem habe ich aus der Industrie Erfahrung in der<br />

Projektentwicklung. Beides hilft mir, die Projektideen zu<br />

verstehen und aus einer kritischen Distanz zu beurteilen.<br />

An welchen Projekten haben Sie besonders Freude?<br />

Da gibt es viele. Besonders spannend sind die Projekte,<br />

bei denen wir uns als Experten nicht einig sind, weil das<br />

uns erlaubt, zu diskutieren und gemeinsam zu lernen. Es<br />

freut mich besonders, dass das Programm auch kleineren<br />

Unternehmen ermöglicht, innovative Ideen zu entwickeln<br />

und grössere Vorhaben umzusetzen. Die Elektrifizierung<br />

eines Schiffs auf dem Luganersee ist ein solches Beispiel,<br />

wo trotz technischen Herausforderungen eine nachhaltige<br />

Alternative zum herkömmlichen Dieselantrieb realisiert<br />

wurde.<br />

Glauben Sie, dass es auch nach zehn Jahren der<br />

Projektförderung noch Potenzial gibt, um den Verkehr<br />

nachhaltiger zu machen?<br />

Unbedingt. Wir haben viel Energie investiert, um Teilsysteme<br />

zu optimieren. Das bedeutet aber noch lange<br />

nicht, dass damit auch das System als Ganzes optimal<br />

ist. Schauen Sie sich einen Lastwagen an: Die Konstruktion<br />

des Chassis ist seit 100 Jahren praktisch gleich<br />

geblieben. Erst jetzt, wo Lastwagen elektrifiziert werden<br />

und wegen der Batterien schwerer werden, beginnt<br />

man, leichtgewichtige Chassis zu bauen. Dabei hätte<br />

man schon früher leichter bauen und damit eine Menge<br />

Energie sparen können.<br />

37


Was bedeutet das für das Bahnsystem?<br />

Wir haben heute effiziente, zweistöckige Züge, die viele<br />

Personen aufs Mal befördern können. Das Bahnsystem<br />

ist sehr gut organisiert, aber die Kapazitäten sind ausgereizt.<br />

Um die gestiegene Nachfrage zu befriedigen,<br />

wäre ein massiver Ausbau nötig, aber der ist enorm teuer<br />

und beansprucht einen noch höheren Anteil des bereits<br />

knappen Raums. Die Innovation des Gesamtsystems ist<br />

auf der Strecke geblieben, weil man nur die Teilsysteme<br />

optimiert hat.<br />

Welchen Ansatz würden Sie vorschlagen, um das<br />

Problem zu lösen?<br />

Am Massachusetts Institute of Technology forscht ein<br />

berühmter Schweizer, Olivier de Weck, mit welchen<br />

Methoden Entwicklungen vorangetrieben werden. Er<br />

propagiert das Backcasting, also das Denken von der<br />

Zukunft her (siehe Kasten). Das ist eine radikal andere<br />

Sichtweise als unser gewohntes Vorgehen, bei dem wir<br />

andauernd eine bestehende Technologie optimieren.<br />

Beim Verkehrssystem gilt es ausserdem zu beachten,<br />

dass hier viele Personen interagieren. Es muss also ein<br />

personenbezogener Ansatz gewählt werden; ein rein<br />

technischer greift zu kurz.<br />

Sehen Sie Entwicklungen in dieser Richtung?<br />

Es läuft zurzeit sehr viel, gerade im Schienenverkehr,<br />

beispielsweise bei der Entwicklung von Magnetschwebebahnen<br />

(Maglev) oder beim Vakuumtransport. Wie<br />

ich als Mitglied des Observatoire des politiques et<br />

stratégies de transport en Europe feststellen muss, fehlt<br />

in Europa allerdings eine Vision. Der Ausbau der Hochgeschwindigkeitszüge<br />

als Konkurrenz zum Flugzeug war<br />

eine solche, aber heute bräuchten wir eine neue Idee für<br />

die Mobilität der Zukunft. Vielleicht ist die Industrie, die<br />

ja vom bestehenden System lebt, einfach zu träge geworden<br />

und optimiert lieber das Bestehende, als sich auf<br />

neues Terrain zu wagen.<br />

Welche Rolle spielt hier die Schweiz?<br />

Unser Land ist geprägt von KMU. Diese arbeiten oft<br />

effizient, interdisziplinär und mit neusten Technologien.<br />

Wegen ihrer Grösse müssen sie sich in der Regel aber<br />

auf Komponenten konzentrieren und können keine ganzen<br />

Systeme anbieten. Auch fehlen uns die enormen<br />

Investitionsbudgets, wie sie Länder wie China und die<br />

USA bereitstellen können. Wir haben aber durchaus<br />

Unternehmer, die die Weitsicht und den Mut haben,<br />

die Grenzen des Systems auszudehnen. Der Erfolg von<br />

Stadler ist ein gutes Beispiel dafür.<br />

<strong>BAV</strong>-Direktor Peter Füglistaler lobt im Editorial<br />

(Seite 4) die Innovationskraft der Schweiz. Welche<br />

Rolle kann die Schweiz in der Entwicklung zukünftiger<br />

Transportsysteme spielen?<br />

Es gibt tatsächlich ein grosses Potenzial. Wir haben in<br />

der Schweiz die Unternehmen, die in der Lage sind, die<br />

Beiträge für diese neuen Systeme zu liefern. Die Frage ist,<br />

wie man die Innovationskraft in Richtung Mobilität lenken<br />

kann. Dafür muss man den Leuten, die an den Technologien<br />

arbeiten, die richtigen Ziele geben. Ein neues Verkehrssystem<br />

wie etwa der Vakuumtransport braucht zu<br />

Die Projektanträge im<br />

Programm ESöV 2050<br />

werden an halbjährlichen<br />

Sitzungen des Expertenteams<br />

beraten. Zentrale<br />

Kriterien sind Innovationsgehalt<br />

und energetischer<br />

Nutzen der Vorhaben.<br />

38


Vincent Bourquin hat lange in der Entwicklung<br />

verschiedenster Verkehrssysteme<br />

gearbeitet. Diese Praxiserfahrung<br />

ist auch in seiner heutigen Tätigkeit<br />

als Dozent und Forscher eine wichtige<br />

Grundlage.<br />

Das Expertenteam ESöV 2050: von links Prof. Dr. Denis<br />

Gillet (EPFL), Stephan Husen (<strong>BAV</strong>), Stany Rochat (<strong>BAV</strong>),<br />

Dr. Andreas Hutter (CSEM), Prof. Dr. Vincent Bourquin<br />

(Uni FR).<br />

Beginn nicht eine grosse Anzahl von Fahr zeugen, also<br />

kann man auch im kleinen Massstab starten. Viel wichtiger<br />

ist, mit der Realisierung überhaupt zu beginnen.<br />

Welchen Forschungsbedarf sehen Sie in dieser<br />

Hinsicht?<br />

Ich glaube nicht, dass man das Rad neu erfinden muss.<br />

Vielmehr sollten wir bestehende Technologien rekombinieren,<br />

um neue Systeme zu entwickeln. Beispielsweise<br />

könnten wir mit Sensor- und Steuerungstechnik die<br />

Strasseninfrastruktur besser ausnutzen. Oder wir könnten<br />

vorfabrizierte Tunnelröhren in Seen verlegen und uns<br />

den teuren Ausbruch von Gestein sparen.<br />

Ist das nicht ein bisschen utopisch?<br />

Die Idee vielleicht schon, aber die Technologien dafür<br />

sind alle vorhanden. Ich gebe Ihnen ein anderes Beispiel:<br />

Die Zweitaktmotoren von Scootern und Kleinmotorrädern<br />

sind arge Luftverschmutzer. Sie könnten umweltfreundlicher<br />

mit Wasserstoff betrieben werden. Dieser wiederum<br />

könnte aus Milchserum, einem Abfallprodukt der<br />

Käseherstellung, erzeugt werden, mit Strom aus Photovoltaikanlagen,<br />

der in Batterien zwischengespeichert<br />

wird. Das Beispiel gibt es tatsächlich im Rahmen eines<br />

Forschungsprojekts an unserer Universität. Natürlich<br />

lösen wir damit nicht alle Probleme dieser Welt, aber wir<br />

generieren mit diesen Ansätzen neue Ideen – und die<br />

brauchen wir zurzeit dringend.<br />

Backcasting<br />

Klassische Strategieprozesse beginnen mit der<br />

Analyse der heutigen Trends und projizieren<br />

diese in die Zukunft («Forecasting»), um daraus<br />

die Schritte für die Umsetzung abzuleiten. Das<br />

Backcasting funktioniert genau umgekehrt: Man<br />

versucht, sich gedanklich in die Zukunft zu versetzen,<br />

und macht dann den Prozess rückwärts.<br />

Dazu entwirft man zunächst eines oder mehrere<br />

Zukunftsszenarien. Danach betrachtet man einen<br />

Meilenstein, der nahe am Zukunftsbild liegt, und<br />

untersucht, welche Voraussetzungen gegeben sein<br />

müssten, damit danach das Zielszenario eintritt.<br />

Von diesem Meilenstein arbeitet man sich Schritt<br />

für Schritt in die Gegenwart zurück. Zum Ende des<br />

Prozesses kann man die konkreten Handlungen<br />

ableiten, die zur Erreichung des Zielbilds als Erstes<br />

vorzunehmen sind.<br />

Die Methode stammt aus den 1990er-Jahren und<br />

wurde im Energiesektor entwickelt. Sie wurde<br />

danach auch im Verkehrssektor und in der Technologieentwicklung<br />

angewendet. Inzwischen gehört<br />

das Backcasting zu einer etablierten Methode der<br />

Zukunftsforschung, der Strategieplanung und in<br />

Partizipationsprozessen.<br />

39


40<br />

Generell gehen die<br />

Ereignisse an den Bahnübergängen<br />

zurück. Das<br />

Sanierungsprogramm<br />

hat gewirkt.


DIE MENSCHEN HINTER DEN PROJEKTEN<br />

Daniel Jenzer, Fachverantwortlicher<br />

Bahnübergänge, <strong>BAV</strong><br />

Forschung zu<br />

Bahnschranken?<br />

Aber sicher!<br />

Bahnübergänge gibt es seit den Anfängen der Eisenbahn. Natürlich<br />

funktionieren sie schon lange automatisch und fernüberwacht, doch<br />

das Prinzip der Bahnschranke ist immer noch dasselbe wie in den Zeiten<br />

der Dampflok. Somit gibt es auch keinen Anlass für Forschung, könnte<br />

man meinen. Daniel Jenzer, Fachverantwortlicher beim <strong>BAV</strong>, sieht das<br />

anders.<br />

Herr Jenzer, wo gibt es aktuell Forschungsbedarf<br />

bei Bahnübergängen?<br />

Auch wenn man sich wie ich bereits 20<br />

Jahre mit dem Thema beschäftigt, findet<br />

man immer wieder Fragen, auf die wir die<br />

Antworten suchen müssen. Beispielsweise<br />

stellen wir fest, dass die Zahl der Unfälle und<br />

Beinaheunfälle an Schrankenanlagen zunimmt,<br />

also ausgerechnet bei der Lösung,<br />

die als sicher gilt. Wir möchten verstehen,<br />

was der Grund ist und welche Massnahmen<br />

getroffen werden können, um die Anzahl<br />

solcher Ereignisse zu senken. Generell gehen<br />

aber die Ereignisse, insbesondere auch<br />

die mit schwerwiegenden Folgen, an den<br />

Bahnübergängen zurück. Das Sanierungsprogramm<br />

hat gewirkt, das ist die erfreuliche<br />

Fest stellung.<br />

Welche Massnahmen stehen denn überhaupt<br />

zur Verfügung, um Bahnübergänge<br />

sicherer zu machen?<br />

Im einfachsten Fall werden Übergänge aufgehoben.<br />

In landwirtschaftlichen Gebieten<br />

kann es Bahnübergänge geben, die wenig<br />

genutzt und entsprechend einfach gesichert<br />

sind. Statt teurer Investitionen in eine Sicherungsanlage<br />

kann dort vielleicht auf den<br />

Übergang verzichtet und ein bestehender,<br />

sicherer Bahnübergang in der Nähe verwendet<br />

werden. Wo dies nicht geht, müssen die<br />

Übergänge mit Blinklichtanlagen und oft zusätzlich<br />

mit Schranken ausgerüstet werden.<br />

Die teuerste, aber bei hohem Verkehrsaufkommen<br />

optimale Lösung ist eine Über- oder<br />

Unterführung, also die Trennung der unterschiedlichen<br />

Verkehrsträger.<br />

#Bahninfrastrukturforschung<br />

#Eisenbahn<br />

#Tram<br />

#Infrastruktur<br />

Link zum Projekt:<br />

41


Mit einer einfachen Lichtsignalanlage<br />

gesicherter Bahnübergang in einer Landwirtschaftszone.<br />

Sie haben das vom <strong>BAV</strong> geförderte Projekt «Sicherheit<br />

an Bahnübergängen» als Experte begleitet. Was wollte<br />

der VöV mit der Studie herausfinden?<br />

Viele Bahnübergänge wurden mit Schrankenanlagen<br />

saniert. Nun sehen wir als unerwünschte Folge, dass die<br />

Ereignisse mit Autos zunehmen, die zwischen den Barrieren<br />

gefangen sind. Zwar entstand in den meisten Fällen<br />

zum Glück lediglich Sachschaden. Trotzdem sucht die<br />

Branche dringend Massnahmen, um derartige Situationen<br />

zu vermeiden. Das Projekt wollte herausfinden, wie diese<br />

Unfälle zustande kommen, damit die geeigneten Massnahmen<br />

bestimmt werden können.<br />

Was sind die wichtigsten Erkenntnisse daraus?<br />

Bei den untersuchten Fällen geht das Ereignis auf ein<br />

Fehlverhalten der Automobilisten und Automobilistinnen<br />

zurück. Sie fahren bei Stau auf den Bahnübergang oder<br />

ignorieren meist bewusst die optischen und akustischen<br />

Warnsignale und befahren den Bahnübergang auch noch<br />

dann, wenn sich die Schranke bereits zu senken beginnt –<br />

wohl in der Hoffnung, es werde schon noch reichen.<br />

Die Forschung zeigt also, dass Autofahrende an Bahnübergängen<br />

eine Tendenz zu risikoreichem Verhalten an<br />

den Tag legen und bewusst Verkehrsregeln missachten?<br />

Dass Verkehrsteilnehmende zu Beginn der Warnsignale<br />

den Übergang noch zu passieren versuchen, ist in der Tat<br />

ein häufig beobachtetes Verhalten. Oft handelt es sich<br />

um Ortskundige, die das Verhalten der Anlage zu kennen<br />

glauben. Allerdings gibt es in Tourismusgegenden auch<br />

den Fall, dass die Verkehrsteilnehmenden die Regeln an<br />

Bahnübergängen nicht kennen und die Gefahr falsch einschätzen<br />

– bekannt dafür ist beispielsweise Interlaken,<br />

wo schon mehrmals Fahrzeuge mit ausländischen Gästen<br />

zwischen den Schranken gefangen waren.<br />

Welche Massnahmen ergeben sich daraus?<br />

Einerseits kann man auf der technischen Ebene ansetzen.<br />

Beispielsweise könnten Blinklichter durch Verkehrsampeln<br />

ersetzt werden. Die Überlegung dahinter ist,<br />

dass Verkehrsampeln einen besser bekannten Ablauf<br />

der Signalfolge aufweisen und deshalb besser befolgt<br />

werden. Ausserdem könnten so Fehlbare leichter erfasst<br />

und gebüsst werden. Andererseits setzt die Branche<br />

auf die Wissensvermittlung: Für die Verkehrsingenieure<br />

und Projektleitenden wurde die Basisdokumentation<br />

Bahnübergänge erarbeitet, und bei den Fahrlehrern und<br />

Fahrlehrerinnen sollen die Verhaltensregeln vermehrt in<br />

die Ausbildung einfliessen. Nicht zuletzt sorgt das <strong>BAV</strong><br />

bei der Genehmigung der Sanierungsprojekte für eine<br />

rechtskonforme Realisierung und gibt Hinweise für die<br />

optimale Gestaltung.<br />

Von den noch nicht sanierten Bahnübergängen sind die<br />

meisten bei kleineren Bahnen. Was ist der Grund dafür?<br />

Sicher spielen die Ressourcen eine Rolle: Bei den kleinen<br />

Unternehmen haben viele Projektleitende noch zahlreiche<br />

andere Aufgaben und sind keine Spezialisten. Die<br />

Unternehmen versuchen eher lokal getragene, nötigenfalls<br />

individuelle Lösungen zu finden. Ferner haben die<br />

oft ländlich geprägten Bahnen mehr Übergänge pro<br />

Kilometer.<br />

Welche Bedeutung hat hier die Zusammenarbeit in<br />

der Branche?<br />

Kleine Bahnen können ein solches Projekt nicht stemmen.<br />

Dank der Förderung durch den Forschungs- und Entwicklungsfonds<br />

des VöV 1 und die Bahninfrastrukturforschung<br />

1<br />

Der Verband öffentlicher Verkehr (VöV) gewährt über den<br />

Forschungs- und Entwicklungsfonds Beiträge an Projekte<br />

im Bereich des öffentlichen Verkehrs, um diese ganz oder<br />

teil weise zu finanzieren, sofern keine andere Finanzierung<br />

gefunden werden kann.<br />

42


Mit einer Schrankenanlage in<br />

Verbindung mit einer Verkehrsregelungsanlage<br />

gesicherter<br />

Bahnübergang.<br />

Schrankenanlage mit Blinklichtsignalen<br />

und akustischem Signal. Knapp die Hälfte<br />

aller Bahnübergänge ist auf diese Weise<br />

gesichert.<br />

des Bundes konnten die notwendigen Mittel bereitgestellt<br />

werden. Wichtig waren auch die Fachgruppen des<br />

VöV. Einerseits flossen über sie die Praxiserfahrungen<br />

verschiedener Bahnunternehmen ein, andererseits<br />

dienen sie als Kanal zur Verbreitung und Anwendung der<br />

Erkenntnisse in der Branche.<br />

Wie sehen Sie die weitere Entwicklung?<br />

Wir haben in den letzten zwanzig Jahren viel erreicht.<br />

Es gibt aber auf der Ebene der einzelnen Anlage immer<br />

noch Potenzial. Alle Beteiligten – Verband, Transportunternehmen,<br />

Kantone und Gemeinden – sind gefordert,<br />

gemeinsam nach der jeweils besten Lösung zu suchen<br />

und niveaugleiche Kreuzungen möglichst zu vermeiden.<br />

Wir müssen weiterhin alles daran setzen, Schäden und<br />

menschliches Leid zu verhindern. Und ganz nebenbei<br />

gewinnen wir damit an Sicherheit und Pünktlichkeit im<br />

Betrieb.<br />

Zahlen und Fakten<br />

Auf dem Netz der Normal- und Meterspurbahnen<br />

bestehen heute 4340 Bahnübergänge. In einem<br />

langfristig angelegten Programm wurden seit 2009<br />

rund 2600 Bahnübergänge den gesetzlichen Anforderungen<br />

angepasst. In vielen Fällen erfolgte<br />

eine Sanierung mittels Schrankenanlagen. Etwas<br />

mehr als 1000 Niveauübergänge wurden durch<br />

Über- oder Unterführungen ersetzt oder vollständig<br />

aufgehoben. Es verbleiben nun noch 124 Bahnübergänge,<br />

die zu ertüchtigen sind.<br />

Jährlich werden rund 60 Ereignisse auf Bahnübergängen<br />

registriert. Die grosse Mehrheit davon<br />

betrifft Übergänge mit Bahnschranken, und bei<br />

diesen wiederum sind in 98 % der Fälle Automobilisten<br />

und Automobilistinnen am Geschehen<br />

beteiligt.<br />

43


Zahlen und Fakten<br />

Über die drei Programme «Bahninfrastrukturforschung», «Energiestrategie<br />

im öffentlichen Verkehr 2050» und «Innovation im regionalen Personenverkehr»<br />

hat das <strong>BAV</strong> die Forschung und Innovation im öffen t lichen Verkehr<br />

im vergangenen Jahr mit 7 Millionen Franken gefördert.<br />

Die folgenden Grafiken bieten eine Übersicht über die Mittelflüsse, die<br />

bearbeiteten Themen und die Verkehrsmittel, die in den unterstützten<br />

Projekten untersucht werden. Weitergehende Informationen finden<br />

sich im Projektverzeichnis auf der Homepage.<br />

4,7<br />

Mio. CHF<br />

im Jahr <strong>2023</strong><br />

PROGRAMM Innovation im regionalen Personenverkehr<br />

10 Mio. CHF Total seit 2021<br />

44


Ausbezahlte Mittel<br />

Die drei Programme haben im vergangenen Jahr insgesamt<br />

6 Millionen Franken an Fördergeldern ausbezahlt (innere Kreise),<br />

wovon rund zwei Drittel in der Innovation im regionalen Personenverkehr.<br />

Über ihre gesamte Laufzeit haben die drei Programme<br />

31,9 Millionen Franken in die Forschung und Innovation investiert<br />

(äussere Kreise).<br />

Es ist zu berücksichtigen, dass das mit diesen Programmen ausgelöste<br />

Volumen wesentlich grösser ist als die ausbezahlten<br />

Beträge. In der Regel macht der Förderbetrag nämlich 40 % des<br />

Projektbudgets aus; der Rest wird von den Gesuchstellern über<br />

Eigenleistungen und Drittaufträge selbst aufgebracht. Das <strong>BAV</strong><br />

schreibt bei Bedarf Forschungsaufträge aus und finanziert diese<br />

vollumfänglich. Dies ist in der «Bahninfrastrukturforschung» und<br />

im Programm «Energiestrategie im öffentlichen Verkehr 2050»<br />

der Fall; die entsprechenden Beträge liegen bei weniger als 10 %<br />

der total ausbezahlten Mittel.<br />

0,8<br />

PROGRAMM Bahninfrastrukturforschung<br />

Mio. CHF<br />

im Jahr <strong>2023</strong><br />

3 Mio. CHF Total seit 2017<br />

18,9 Mio. CHF<br />

Total seit 2013<br />

Ausbezahlte Beiträge <strong>2023</strong><br />

Ausbezahlte Beträge seit<br />

Programmstart. Die Ausgaben<br />

«Bahninfrastrukturforschung»<br />

enthalten auch Beiträge an<br />

Einzelprojekte, die vor 2017<br />

bewilligt wurden.<br />

1,5<br />

Mio. CHF<br />

im Jahr <strong>2023</strong><br />

PROGRAMM ESöV 2050<br />

45


PROGRAMM<br />

Innovation im regionalen<br />

Personenverkehr<br />

3,3<br />

Mio. CHF<br />

PROGRAMM<br />

ESöV 2050<br />

2,0<br />

Mio. CHF<br />

10 000<br />

CHF<br />

94 937<br />

CHF<br />

100 300<br />

CHF<br />

394 250<br />

CHF<br />

PROGRAMM<br />

Bahninfrastrukturforschung<br />

0,6<br />

Mio. CHF<br />

36 000<br />

CHF<br />

133 550<br />

CHF<br />

Kleinster Betrag Medianbetrag Grösster Betrag<br />

Spanne der bewilligten Beiträge<br />

In allen drei Programmen decken die Beiträge an Gesuche und<br />

Forschungsaufträge eine grosse Spannbreite ab. Dies widerspiegelt<br />

die Überzeugung des <strong>BAV</strong>, dass auch kleinere Projekte wertvolle<br />

Beiträge an die Forschung und Innovation leisten können.<br />

Umgekehrt will das <strong>BAV</strong> mit entsprechenden Beiträgen die<br />

Realisierung umfangreicher Vorhaben ermöglichen, wenn diese<br />

Themen mit hohem Handlungsbedarf behandeln. In jedem Fall<br />

steht für das <strong>BAV</strong> die Qualität des Gesuchs und des beantragten<br />

Projekts im Zentrum. Es zieht deshalb zur Prüfung der Anträge<br />

gezielt ausgewiesene Expertinnen und Experten bei.<br />

46


Verkehrsmittel und Themenbereiche<br />

Insgesamt haben bisher 155 Projekte über eines der drei Programme<br />

eine Förderung erhalten. Davon entfallen 117 auf das Programm<br />

«Energiestrategie im öffentlichen Verkehr 2050», das am längsten<br />

laufende unter den dreien, während in der «Bahninfrastrukturforschung»<br />

bisher 26 und in der «Innovation im regionalen Personenverkehr»<br />

12 Projekte unterstützt werden konnten.<br />

Projekte im Bahnbereich bilden ein Schwergewicht, ist dies doch<br />

sowohl bezüglich der Transportleistung als auch bezüglich der<br />

Aufwendungen der öffentlichen Hand der bedeutendste Sektor<br />

des öffentlichen Verkehrs. In den letzten Jahren hat allerdings das<br />

Segment Busse aufgeholt, getrieben von der Umstellung des<br />

strassengebundenen öV auf nicht fossile Antriebe. Bei Seilbahnen<br />

konnten erst zwei Vorhaben gefördert werden, obwohl dort<br />

Unterstützung sowohl für Innovationen im regionalen Personenverkehr<br />

als auch für energetische Massnahmen beantragt werden<br />

könnte.<br />

Die Projekte decken eine breite Themenpalette ab. Dabei bildet der<br />

Fahrzeugbereich ein Schwergewicht. Dies ist ein Ergebnis davon,<br />

dass im Programm «Energiestrategie im öffentlichen Verkehr<br />

2050» seit Beginn regelmässig Gesuche zu Schienen- und Strassenfahrzeugen<br />

eingereicht wurden. Zunehmend kommen nun auch<br />

innovative Projekte im regionalen Personenverkehr dazu. Die<br />

Infrastrukturforschung richtet ihren Fokus bisher auf das Thema<br />

Umweltauswirkungen der Bahninfrastruktur, jedoch werden auch<br />

darüber hinausgehende Bereiche unterstützt, wenn sie mit der<br />

Infrastruktur zusammenhängen.<br />

Eisenbahn<br />

Tram<br />

Schiff<br />

Bus<br />

Seilbahn<br />

Übergeordnet<br />

Fahrzeug<br />

öV-System<br />

Infrastruktur<br />

Kunden<br />

Produktion/<br />

Betrieb<br />

Unternehmen<br />

Energieerzeugung<br />

Interaktion<br />

Rad – Schiene<br />

Projekte im Programm «Bahninfrastrukturforschung»<br />

Projekte im Programm «Energiestrategie im öffentlichen Verkehr 2050»<br />

Projekte im Programm «Innovation im regionalen Personenverkehr»<br />

47


DIE DREI PROGRAMME<br />

Forschungs- und<br />

Innovationsförderung<br />

beim <strong>BAV</strong><br />

Mit seinen drei Programmen setzt das <strong>BAV</strong> Schwerpunkte bei der Eisenbahninfra<br />

struktur, dem regionalen Personenverkehr und der Energie.<br />

Sein Engagement zur Förderung von Forschung und Innovation geht aber<br />

darüber hinaus. Zusätzlich werden über eigene Gefässe die Forschung<br />

zum Eisenbahnlärm und die Innovation im Schienengüterverkehr gefördert.<br />

Bei der Eisenbahninfrastruktur können Innovationen der Betreiberinnen<br />

via Leistungsvereinbarungen gefördert werden.<br />

Weitere Informationen<br />

zum Programm unter<br />

diesem Link:<br />

Weitere Informationen<br />

zum Programm unter<br />

diesem Link:<br />

Forschung in der<br />

Bahninfrastruktur<br />

Zur dauerhaften Finanzierung von Betrieb und Unterhalt,<br />

Modernisierung und Ausbau der Eisenbahninfrastruktur<br />

wurde per Volksentscheid der<br />

Bahninfrastrukturfonds (BIF) geschaffen. Er kann<br />

vom <strong>BAV</strong> auch zur Förderung von Forschungsvorhaben<br />

in diesem Bereich genutzt werden. Im Vordergrund<br />

stehen dabei Projekte, die einen Nutzen<br />

für den Werterhalt der Infrastruktur sowie ihren<br />

effizienten und sicheren Betrieb erwarten lassen.<br />

Innovation in der<br />

Bahninfrastruktur<br />

Im Rahmen der Leistungsvereinbarungen mit den<br />

Infrastrukturbetreiberinnen kann die Innovation<br />

gefördert werden, sofern diese dem Betrieb oder<br />

Substanzerhalt der Eisenbahninfrastruktur dient.<br />

Darin eingeschlossen ist die Anpassung an den<br />

Stand der Technik und an die Erfordernisse des<br />

Verkehrs. Finanziert wird die Umsetzung neuer Lösungen,<br />

die sich auf Forschung stützen, und nicht<br />

die Forschung selbst. In diesem Sinne zielt die Finanzierung<br />

darauf ab, innovative Projekte auf der<br />

Grundlage von Forschungsergebnissen zu fördern.<br />

48


Weitere Informationen<br />

zum Programm unter<br />

diesem Link:<br />

Energiestrategie im<br />

öffentlichen Verkehr 2050<br />

Trotz seiner Vorteile gegenüber dem motorisierten<br />

Individualverkehr und dem Güterverkehr auf der<br />

Strasse muss auch der öffentliche Verkehr seinen<br />

Beitrag an die Energie- und Klimaziele der Schweiz<br />

leisten. Gestützt auf einen Bundesbeschluss fördert<br />

das Programm deshalb innovative Massnahmen<br />

der Branche und Forschungsprojekte zur Verbesserung<br />

der Energieeffizienz, zur Erzeugung<br />

erneuerbarer Energie und zur Senkung der CO 2 -<br />

Emissionen bei allen öffentlichen Verkehrsmitteln.<br />

Weitere Informationen<br />

zum Programm unter<br />

diesem Link:<br />

Innovation im regionalen<br />

Personenverkehr<br />

Das Programm verfolgt das Ziel, innovative Lösungen<br />

im regionalen Personenverkehr zu fördern und<br />

damit die Transportunternehmen zu unterstützen,<br />

auf die Herausforderungen der Zukunft zu reagieren.<br />

Gestützt auf das Personenbeförderungsgesetz<br />

kann der Bund der Branche über dieses Programm<br />

jährlich 5 Millionen Franken zur Verfügung stellen.<br />

Die inhaltlichen Prioritäten liegen in den Bereichen<br />

Fahrzeugtechnik, Produktion und Instandhaltung, Angebotskonzeption,<br />

Ticketing und Kundenerfahrung.<br />

Weitere Informationen<br />

zum Programm unter<br />

diesem Link:<br />

Forschung<br />

Eisenbahnlärm<br />

Die Forschung zum Eisenbahnlärm<br />

ergänzt die zweite Etappe der Lärmsanierung<br />

des Netzes. Der Bund finanziert,<br />

gestützt auf das 2013 revidierte<br />

Lärmsanierungsgesetz, mit Mitteln<br />

von insgesamt 25 Millionen Franken<br />

Forschungsvorhaben, die mit Massnahmen<br />

an Schienenfahrzeugen<br />

oder an der Infrastruktur zur Verminderung<br />

von Lärmemissionen führen.<br />

Das Programm wird vom Bundesamt<br />

für Umwelt (BAFU) in enger Koordination<br />

mit dem <strong>BAV</strong> geführt.<br />

Weitere Informationen<br />

zum Programm unter<br />

diesem Link:<br />

Technische Neuerungen<br />

im Schienengüterverkehr<br />

Zur Weiterentwicklung des Schweizer<br />

Schienengüterverkehrs sind umfassende<br />

Innovationen notwendig. Das<br />

<strong>BAV</strong> unterstützt technische Neuerungen<br />

durch Investitionsbeiträge an<br />

die Akteure im Schienengüterverkehr,<br />

insbesondere für den Einsatz von<br />

automatischer Kupplung und automatischer<br />

Bremsprobe.<br />

49


DIE DREI PROGRAMME<br />

Mitmachen<br />

Wer kann mitmachen?<br />

Die drei Programme «Bahninfrastrukturforschung»,<br />

«Energiestrategie im öffentlichen Verkehr 2050» und<br />

«Innovation im regionalen Personenverkehr» richten sich<br />

an Transportunternehmen (TU), Hochschulen und die<br />

Industrie. Projekte mit einer gemeinsamen Trägerschaft<br />

werden begrüsst. Von besonderem Interesse sind Partnerschaften,<br />

bei denen TU mitarbeiten und die Ergebnisse<br />

nutzen. Für die Förderung im Bereich der Ressortforschung<br />

Eisenbahnlärm und der technischen Neuerungen<br />

im Schienengüterverkehr gelten eigene Bestimmungen<br />

(für weitere Informationen siehe Verweise auf der vorangehenden<br />

Seite).<br />

Wie hoch ist der Förderbeitrag?<br />

Das <strong>BAV</strong> beteiligt sich in der Regel mit bis zu 40 % (ESöV<br />

2050: 50 %) an den ausgewiesenen Projektkosten. Je<br />

nach Situation sind auch tiefere oder höhere Beiträge bis<br />

zu einer Vollfinanzierung möglich. In jedem Fall sind die<br />

Vorgaben des Subventionsgesetzes einzuhalten. Eigenleistungen<br />

der Projektpartner können angerechnet werden.<br />

Welche inhaltlichen Voraussetzungen müssen<br />

die Projekte erfüllen?<br />

Bahninfrastrukturforschung: Die eingereichten Projekte<br />

müssen einen ausreichenden Bezug zu den Zielen des<br />

Bahninfrastrukturfonds aufweisen und mindestens einem<br />

der Schwerpunktthemen des aktuellen Forschungsprogramms<br />

Bahninfrastruktur (siehe Website) zugeordnet<br />

werden können.<br />

Energiestrategie im öffentlichen Verkehr 2050: Grundsätzlich<br />

können Projekte eingereicht werden, welche einen<br />

innovativen Beitrag an die Steigerung der Energieeffizienz<br />

oder der Nutzung erneuerbarer Energie im öffentlichen<br />

Verkehr leisten.<br />

Innovation im regionalen Personenverkehr: Die Projekte<br />

müssen vier Kriterien kumulativ erfüllen: 1. Die Lösung<br />

darf nicht bereits im Schweizer öV verfügbar oder getestet<br />

worden sein. 2. Das Projekt betrifft grösstenteils<br />

den RPV. 3.Die Risiken sind beherrschbar. 4. Die Lösung<br />

bietet Nutzenden und/oder den TU im RPV einen erheblichen<br />

Nutzen.<br />

Welche Projekte eignen sich nicht?<br />

Bahninfrastrukturforschung: Projekte, welche keinen<br />

direkten Bezug zur Bahninfrastruktur aufweisen, können<br />

nicht berücksichtigt werden.<br />

Energiestrategie im öffentlichen Verkehr 2050: Projekte im<br />

Bereich der Grundlagenforschung sowie Serienausrüstungen<br />

werden vom <strong>BAV</strong> nicht gefördert.<br />

Innovation im regionalen Personenverkehr: Das Innovationsprogramm<br />

unterstützt hauptsächlich Pilot- und<br />

Demonstrationsprojekte, Feldtests und Analysen. Je nach<br />

Fall können auch Projekte auf dem Gebiet der experimentellen<br />

Entwicklung gefördert werden. Projekte, die nicht<br />

diesen Kategorien zugeordnet werden können, erhalten<br />

keine Förderung durch das <strong>BAV</strong>.<br />

Wie und wann kann man sich bewerben?<br />

Bahninfrastrukturforschung: Die Gesuche können<br />

laufend mit dem Antragsformular Bahninfrastrukturforschung<br />

eingereicht werden.<br />

Energiestrategie im öffentlichen Verkehr 2050: Reichen<br />

Sie für Ihr Vorhaben eine Interessens bekundung ein.<br />

Die Abgabefrist ist jeweils der 31. Januar bzw. der<br />

30. Juni.<br />

Innovation im regionalen Personenverkehr: Die Gesuche<br />

können laufend mit dem Antragsformular Innovation im<br />

regionalen Personenverkehr eingereicht werden.<br />

Was gilt es sonst noch zu beachten?<br />

Um die Finanzmittel der Programme so wirkungsvoll wie<br />

möglich einzusetzen, begrüsst das <strong>BAV</strong> gemeinschaftliche<br />

Projekte. Dabei sind folgende Formen denkbar:<br />

• Arbeitsgemeinschaften (z. B. in Form einer Zusammenarbeit<br />

zwischen mehreren TU oder zwischen TU,<br />

der Industrie und/oder Hochschulen)<br />

• Folgestudien (z. B. Vertiefung von Fragestellungen, die<br />

in einem vorangehenden Projekt nicht abschliessend<br />

untersucht werden konnten)<br />

• Partnerstudien (Bearbeitung verschiedener Aspekte des<br />

gleichen Themas in unterschiedlichen Projekten)<br />

• Metastudien (z. B. Auswertung der bisherigen Arbeiten<br />

zu einem bestimmten Thema)<br />

Wo gibt es weitere Informationen?<br />

Die Bewerbungsunterlagen und weitere Angaben zur Ausschreibung<br />

finden Sie unter www.bav.admin.ch/forschung<br />

unter dem jeweiligen Programm. Für einen einfachen<br />

Zugang nutzen Sie die QR-Codes neben den Programmbeschrieben.<br />

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IMPRESSUM<br />

Herausgeber<br />

Bundesamt für Verkehr (<strong>BAV</strong>)<br />

CH-3003 Bern<br />

Mai 2024<br />

forschung@bav.admin.ch<br />

www.bav.admin.ch/forschung<br />

Steuerungsgruppe<br />

Mélanie Attinger, <strong>BAV</strong><br />

Christophe Le Borgne, <strong>BAV</strong><br />

Stephan Husen, <strong>BAV</strong><br />

Philipp Mosca, <strong>BAV</strong><br />

Stany Rochat, <strong>BAV</strong><br />

Projektleitung und Redaktion<br />

Rémy Chrétien, Federas Beratung AG<br />

Konzeption und Layout<br />

moxi ltd., Biel/Bienne<br />

Bildnachweis<br />

Personenporträts: Nils Sandmeier<br />

Fotos zu den Projekten zur Verfügung<br />

gestellt von Agroscope, <strong>BAV</strong>, Bernmobil,<br />

Dellner Service, Enotrac, EPFL, EuroTube<br />

Foundation, HEIG-VD, HES-SO//FR<br />

Robust and Safe Systems Center Fribourg<br />

(ROSAS), Innolutions, McKayla Crump<br />

(Unsplash), MGB, RhB, SBB, SBB Cargo,<br />

Stadler Rail, SUPSI<br />

Titelseite: Basler Verkehrs-Betriebe<br />

Zusätzliche Exemplare dieser Broschüre<br />

können beim Herausgeber kostenlos<br />

bestellt werden.<br />

Sprachversionen<br />

Diese Publikation ist auch in französischer<br />

Sprache verfügbar.


Bundesamt für Verkehr (<strong>BAV</strong>)<br />

CH-3003 Bern<br />

forschung@bav.admin.ch<br />

www.bav.admin.ch/forschung

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