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Niemals aus Liebe Leseprobe

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In der Schweiz wird alle zwei Wochen eine Frau von ihrem Ehemann,<br />

Lebensgefährten oder Ex-Partner getötet. Jede Woche überlebt eine<br />

Frau einen versuchten Femizid. Warum werden Männer zu Tätern von<br />

häuslicher oder sexualisierter Gewalt an Frauen? Warum töten sie?<br />

Miriam Suter und Natalia Widla gehen dieser Frage nach im Hinblick<br />

darauf, was die Schweiz tut, um solche Verbrechen zu verhindern,<br />

und was noch getan werden muss. In Gesprächen mit verschiedenen<br />

Fachpersonen <strong>aus</strong> Justiz, Politik oder Psychologie und durch die Auseinandersetzung<br />

mit aktuellen Fällen von verurteilten Gewalttätern<br />

versuchen sie zu ergründen, welche Männer sich hinter dem Begriff<br />

«Täter» verbergen, welche psycholo gischen und gesellschaftlichen<br />

Mechanismen Gewalt befördern und welche präventiven oder kurativen<br />

Massnahmen bestehen.<br />

Zu den Gesprächspartner:innen gehören Markus Theunert vom<br />

Schweizer Männer- und Vaterverband, die forensische Diagnostikerin<br />

Nahlah Saimeh, die Soziologin und Aktivistin Melanie Brazzell, die<br />

Strafrechts profes so rin Nora Markwalder, Bundesrat Beat Jans und<br />

viele weitere.


Miriam Suter<br />

Natalia Widla<br />

<strong>Niemals</strong><br />

<strong>aus</strong><br />

<strong>Liebe</strong><br />

Männergewalt<br />

an Frauen<br />

Limmat Verlag<br />

Zürich


Einleitung<br />

9 ... oder doch?<br />

Femizide in der Schweiz<br />

21 Alma*: «Ich wusste von der ersten Sekunde an, dass mit ihm<br />

etwas nicht stimmt»<br />

28 Weil wir Frauen sind: Warum die Schweiz Femizide als solche<br />

benennen und untersuchen muss<br />

37 Femizide sind keine isolierten Taten<br />

51 Was machen die Kantone für die Prävention?<br />

Die Täter<br />

79 Fabienne*: «Hätte es die Polizei interessiert, wenn ich Anzeige<br />

erstattet hätte?»<br />

84 Wie und warum wird ein Mann zum Täter?<br />

108 Daniela Imbach: «Niemand sitzt vor mir und ist stolz auf das,<br />

was er getan hat»<br />

120 Erjon*: «Wenn sie mich damals tatsächlich betrogen hätte, wäre<br />

das für mich ein Grund gewesen, sie zu töten»<br />

132 Samuel D. Smithyman: «Für einige dieser Männer war die<br />

Vergewaltigung das wichtigste Ereignis in ihrem Leben»<br />

142 Sexualisierte Gewalt: Analphabeten und Psychopathen<br />

165 Radikalisierung im Internet und neue Technologien der Gewalt<br />

gegen Frauen<br />

192 Von «Sexgrüseln» und Familiendramen: Täter und Taten in der<br />

Berichterstattung<br />

Täterarbeit<br />

197 Lukas*: «Ich musste mir eingestehen, dass auch ich Täter<br />

sein kann»<br />

205 Was, wenn ich zum Täter werde? Angebote für Täter<br />

in der Schweiz


224 Markus Theunert: «Das gewalttätige Verhalten von<br />

Männern gegenüber anderen spiegelt sich im gewalttätigen<br />

Verhalten gegenüber sich selbst»<br />

238 Selbstorganisierte Täterarbeit: Der transformative Ansatz<br />

248 Monika*: «Dass ich die Handlungs- und Deutungsmacht habe, wäre<br />

im Rahmen eines Strafprozesses nicht garantiert gewesen»<br />

252 Transformative Arbeit im Strafsystem: Der Restorative-Justice-<br />

Ansatz<br />

255 Anwendung und Kritik<br />

258 Melanie Brazzell: «Der Staat schaut auf die Verletzungen von<br />

Gesetzen, nicht auf die Verletzungen von Menschen»<br />

266 Was wir brauchen (und was die Schweiz von anderen Ländern<br />

lernen kann)<br />

277 Endnoten<br />

291 Dank / Die Autorinnen<br />

*Name geändert


Für euch


In diesem Buch werden Szenen von physischer<br />

und sexualisierter Gewalt gegen Frauen beschrieben.


... oder doch?<br />

Während wir dieses Buch geschrieben haben, wurden in der Schweiz<br />

31 Frauen getötet. Sie mussten sterben, weil sie ihren Ex-Partner verlassen<br />

wollten. Weil sie zu erfolgreich in ihrem Job waren. Weil sie<br />

abends alleine unterwegs waren. Weil sie schlichtweg in einer patriarchalen<br />

Gesellschaft lebten.<br />

So könnte dieses Buch beginnen. Aber wir möchten es so anfangen:<br />

Während unserer Arbeit an diesem Buch haben in der Schweiz<br />

31 Männer Frauen getötet. Sie haben sie umgebracht, weil diese Männer<br />

ihre Ex-Partnerin als ihr Eigentum ansehen, das sich nicht von<br />

ihnen trennen darf. Weil sie ihren Selbstwert über ihre Karriere definieren,<br />

weil sie unter dem Druck, Alleinernährer zu sein, zerbrechen<br />

und mit niemandem darüber sprechen. Oder weil in ihren Augen ihre<br />

Partnerin nicht erfolgreicher sein darf als sie. Weil sie schlichtweg in<br />

einer Welt leben, die von Männern für Männer geschaffen wurde.<br />

Wir schreiben dieses Buch in einer Zeit, in der auf Social Media<br />

gerade Videos mit der Frage viral gehen, ob Frauen nachts allein im<br />

Wald lieber einem ihnen unbekannten Mann oder einem Bären begegnen<br />

würden. Eine grosse Mehrheit entscheidet sich für den Bären. Das<br />

Tier, so der Tenor, sei berechenbarer. Einem Bären könne man klar<br />

signalisieren, dass man in Ruhe gelassen werden möchte, und wenn<br />

diese Grenze einmal etabliert ist, wird sie respektiert. Bei einem Mann<br />

sei man sich da nicht so sicher.<br />

Vor der Bärenfrage gab es bereits einen anderen Trend auf Social<br />

Media. Frauen erzählten davon, wie sie einander nach dem Ausgang<br />

die Nachricht schickten: «Schreib mir, wenn du zu H<strong>aus</strong>e bist», um<br />

9 — ... oder doch?


sicher zu sein, dass die Freundin unversehrt daheim angekommen ist.<br />

Dass ihr auf dem Weg dorthin niemand etwas angetan hat. Ganz normal<br />

halt, das gehört zu einem Frauenleben dazu. Genau wie die Screenshots<br />

von Instagram-Profilen von Männern, die Frauen einander vor<br />

einem One-Night-Stand schicken. Um sich zu vergewissern: Der würde<br />

mir doch sicher nichts antun – oder?<br />

Erinnerungen:<br />

Mit 15 nachts auf der Parkbank der Schulanlage einen Finger<br />

in dir spüren, obwohl du mehrmals Nein gesagt hast. Trotzdem<br />

weitermachen, weil: Du hast ja am Anfang Ja zum Knutschen<br />

gesagt. Dich danach so lange waschen, bis die Haut rot wird.<br />

Mit 16 zitternd im Bus sitzen, während eine Gruppe junger<br />

Männer den Ausgang blockiert.<br />

— Wie heisst du?<br />

— Ich habe einen Freund.<br />

— Sag deinem Freund, ich ficke dich schon noch, du Schlampe.<br />

Mit 17 in einem menschenleeren Wäldchen zwischen Club und<br />

Bahnhof morgens um vier hochgehoben und geküsst werden, obwohl<br />

du das nicht willst. Merken, dass du noch schwächer bist,<br />

als du dachtest. Denken: Im Notfall gebe ich nach.<br />

Mit 24 im Auto eines Hotelangestellten sitzen, der dich nur schnell<br />

an den Bahnhof fahren wollte, dann aber anfängt, dir zwischen<br />

die Beine und an die Brüste zu fassen. Und wie versteinert dasitzen,<br />

weil du weisst, dass er die Tür verriegelt hat und es schlimmer<br />

für dich enden würde, wenn du dich jetzt wehrst.<br />

Immer, jedes einzelne Mal denken: Ach was, das ist doch kein<br />

Übergriff. Unterbewusst wissen: Das würde ihn zum Täter machen.<br />

Und einer wie er ist doch kein Täter. Und: Was bin ich<br />

dann?<br />

10


Kein Opfer sein wollen. Kein Opfer sein können.<br />

Mit 23 erzählt die Freundin vom Blick <strong>aus</strong> dem Kinderzimmer<br />

auf die Mutter mit ihren gebrochenen Knochen und den blauen<br />

Handgelenken.<br />

Mit 24 den Hashtag #metoo auf Facebook teilen und sehen, wie<br />

ihn alle Freundinnen teilen, jede einzelne. Denken: Das kann doch<br />

nicht sein. Realisieren: Doch, kann es.<br />

Mit 25 von der Freundin hören: Er hat unserer Mutter gedroht,<br />

dass er uns umbringt. Zahlen will er aber auch ein Jahrzehnt<br />

später immer noch nicht.<br />

Mit 28 mitbekommen, wie die Nachbarn streiten. Schläge hören<br />

und Schreie. Oder bilde ich es mir ein? Ich will nicht übertreiben.<br />

Aber sie schreit. Oder doch nicht? Dann Stille. Endlich Stille.<br />

Mit 29 erfahren, dass die Frauenhäuser in der Schweiz voll sind.<br />

Mit 30 im Gerichtssaal sitzen und denken: Das könnte mein Vater<br />

sein, mein Partner, mein bester Freund. Der sieht <strong>aus</strong> wie sie,<br />

der spricht wie sie, der ist kein Monster. Oder doch?<br />

Mit 34 vor einer Lesung an einer Wand einen Sticker sehen:<br />

«stealthing is abuse» 1 . Endlich ein Wort gefunden haben für das,<br />

was passiert ist. Was er getan hat. Oder?<br />

Wie sieht ein Täter überhaupt <strong>aus</strong>? Ein Mörder, ein Vergewaltiger,<br />

einer, der seine Ehefrau spitalreif prügelt? Von was werden diese Bilder<br />

beeinflusst? Und von wem? Vielleicht sehen wir mehrere verschiedene<br />

Figuren, wenn wir an Sexualstraftäter denken, an Mörder, an Frauenschläger.<br />

Vielleicht sind sie völlig unterschiedlich und vielleicht haben<br />

sie auch etwas gemeinsam, vielleicht haben sie vieles gemeinsam.<br />

11 — ... oder doch?


Die Bilder, die wir vor unserem inneren Auge sehen, wenn wir an<br />

das Wort «Täter» denken, haben sich in den letzten Jahren stark gewandelt.<br />

Nicht nur, aber vor allem mit der Arbeit an unserem ersten<br />

Buch «Hast du Nein gesagt? Vom Umgang mit sexualisierter Gewalt»<br />

und schliesslich noch einmal mit der Arbeit an diesem Buch.<br />

Früher aber, da waren Täter für uns schwer greifbar. Abstrakt. Und<br />

sie waren mitunter auch gar keine Täter, sondern Protagonisten in<br />

Romanen, Filmen und Zeitungsartikeln: Helden und coole Typen.<br />

Wir waren beide zeitweilig besessen vom Song «Where the Wild<br />

Roses Grow» von Nick Cave and the Bad Seeds und Kylie Minogue.<br />

Wir verloren uns in den schwülstigen Liedzeilen, die damit enden, dass<br />

der Ich-Erzähler die Frau, Eliza Day, nach drei Tagen voller intensiver<br />

<strong>Liebe</strong> und Sex an den Fluss hinabführt und mit einem Stein erschlägt,<br />

weil er ihre schiere Schönheit nicht erträgt – oder vielleicht auch die<br />

Tatsache, dass er diese Schönheit nicht besitzen kann:<br />

On the third day he took me to the river<br />

He showed me the roses and we kissed<br />

And the last thing I heard was a muttered word<br />

as he knelt above me with a rock in his fist […]<br />

and I kissed her goodbye, said, «All beauty must die»<br />

Später trat Falco in unsere Leben und mit ihm natürlich «Jeannie», der<br />

Skandal-Hit, das Lied, das zumindest für uns und zum damaligen Zeitpunkt<br />

die äussersten Grenzen dessen absteckte, was Kunst darf und<br />

soll – und wir fanden das gut. In dem Lied besingt der Ich-Erzähler die<br />

Entführung eines Mädchens, Jeannie, und deutet auch den sexuellen<br />

Missbrauch an ihr an. Ein wohliger Schauder ergriff uns jedes Mal,<br />

wenn Falco am Ende des Lieds brüllte:<br />

Jetzt hör’ ich sie, sie kommen<br />

Sie kommen dich zu holen<br />

Sie werden dich nicht finden<br />

Niemand wird dich finden, du bist bei mir<br />

12


Noch später dann arbeitete Natalia in der Jugendabteilung eines grossen<br />

schwedischen Bekleidungsgeschäfts. Im h<strong>aus</strong>eigenen Musikmix<br />

liefen grosse Pop-Hits und Deutschrap der 2000er- und 2010er-Jahre,<br />

Lieder, die Emotionen wecken und zum Shoppen anregen sollten, aber<br />

nicht anstössig oder provokativ sind. Zumindest nicht offenkundig.<br />

Zu keinem Lied hat Natalia mehr Teenagermädchen in den Garderoben<br />

und vor den Spiegeln auf der Ladenfläche die Wörter mitsingen hören<br />

als zum Megahit «Love the Way You Lie» von Eminem und Rihanna.<br />

Darin besingen der Rapper und die Sängerin eine toxische Paarbeziehung,<br />

die immer wieder in Gewalt eskaliert, gefolgt von Entschuldigungen,<br />

gebrochenen Versprechungen und <strong>Liebe</strong>sschwüren. Gegen<br />

Ende des Lieds rappt Eminem voller Wut und Leiden(schaft):<br />

You swore you’ve never hit ’em, never do nothing to hurt ’em<br />

Now you’re in each other’s face<br />

If she ever tries to fucking leave again<br />

I’m a tie her to the bed and set this house on fire<br />

Die «andere Seite», also diejenige der geschlagenen Frauen, suchen wir<br />

in unseren musikalischen Erinnerungen derweil oft vergeblich. Bis auf<br />

ein Beispiel, das Miriam seit ihrer Teenie-Zeit begleitet: «Du hast den<br />

Farbfilm vergessen» von Nina Hagen. Getarnt als heiterer Pop-Hit über<br />

einen gemeinsamen Urlaub am Strand und die triste Einöde, die im<br />

DDR-Daheim auf einen wartet, könnte man den Songtext auch ein bisschen<br />

anders deuten. Zum Beispiel, wenn Nina melancholisch singt:<br />

Hoch stand der Sanddorn am Strand von Hiddensee<br />

Micha, mein Micha, und alles tat so weh<br />

Dass die Kaninchen scheu schauten <strong>aus</strong> dem Bau<br />

So laut entlud sich mein Leid in’s Himmelblau<br />

So böse stampfte mein nackter Fuss den Sand<br />

Und schlug ich von meiner Schulter deine Hand<br />

Micha, mein Micha, und alles tat so weh<br />

Tu das noch einmal Micha, und ich geh<br />

13 — ... oder doch?


Dass Micha den Farbfilm vergessen hat, bedeutet auch, dass die Erinnerungen<br />

bloss in Schwarz-Weiss festgehalten werden konnten. Und<br />

auf Schwarz-Weiss-Fotos kann man blaue Flecken nur schlecht sehen:<br />

Alles blau und weiss und grün und später nicht mehr wahr<br />

Diese Beispiele sind uns geblieben, weil sie wie wenige andere verdeutlichen,<br />

wie sehr das Motiv der Frauentötung, der Tötung <strong>aus</strong> Rache,<br />

der romantischen Beziehungstat und auch der sexualisierten Gewalt<br />

<strong>aus</strong> Leidenschaft und <strong>Liebe</strong> ein Teil unseres Alltags sind.<br />

Sie ist so deutlich da, so lesbar und unverhüllt, diese Gewalt. Und<br />

doch waren die hier porträtierten Männer für uns nie Täter. Sie waren<br />

leidenschaftlich oder verletzt, besessen oder etwas zu eifersüchtig. Sie<br />

waren zu sexy, um Täter zu sein. Zu cool. Und vor allem hatten sie allesamt<br />

ihre Gründe. Gute Gründe, wie es schien.<br />

Während wir in der Musik mit charismatischen Typen konfrontiert<br />

wurden, hörten wir in der Medienberichterstattung von Monstern.<br />

Täter waren Fremde, Psychopathen, Choleriker. Täter waren als solche<br />

erkennbar – irgendwie, vermutlich am irren Blick. Und wenn wir sie im<br />

Alltag nicht erkannten, dann konnte das nur bedeuten, dass wir ihnen<br />

nicht begegneten.<br />

Heute kennen wir die Statistiken. Heute wissen wir, dass die meiste<br />

Gewalt gegen Frauen von Männern verübt wird, die diesen Frauen<br />

nahestehen. Heute wissen wir auch, dass wir nicht nur Opfer, sondern<br />

auch Täter kennen und kannten.<br />

Für dieses Buch besuchte Natalia Vergewaltigungsprozesse, Schändungsprozesse,<br />

Prozesse zu häuslicher Gewalt, versuchter Tötung und<br />

Kindsmissbrauch. Sah und hörte Zufallstäter, Intensivtäter und Täter,<br />

die ihre Unschuld beteuern – und einen einzigen, der sich entschuldigte. 2<br />

Für dieses Buch hat Miriam das gut eineinhalbstündige Bekennervideo<br />

eines Täters gesichtet und Angehörige von Femizid-Opfern getroffen.<br />

Die Arbeit an diesem Buch hat etwas mit unserem Bild von Tätern<br />

gemacht, denn wir haben sie beide kennengelernt: die Täter <strong>aus</strong> der<br />

14


Popmusik, die nach eigener Aussage <strong>aus</strong> Eifersucht, <strong>Liebe</strong> oder Lust<br />

handelten – und die anderen, die Fremden, die lauern, sich verstecken,<br />

überfallen, Situationen <strong>aus</strong>nutzen, die mit dem irren Blick. Vor allem<br />

aber haben wir gelernt, was die Forschung schon lange weiss und wir<br />

als Gesellschaft doch immer wieder weit von uns wegdrängen: dass es<br />

nicht den einen Täter gibt. Oder zwei. Oder drei. Oder dreizehn. Dass<br />

es keinen singulären Faktor gibt, der dazu führt, dass ein Mann eine<br />

Frau belästigt, vergewaltigt, schlägt, stalkt oder umbringt. Dass niemand<br />

als Täter geboren wird und seinem Schicksal wie eine Art biologischer<br />

Zeitbombe <strong>aus</strong>geliefert ist.<br />

Dieses Vorwort verfassen wir wenige Tage, nachdem die «SRF»-<br />

Rundschau über den Fall von Fabienne W. in Schaffh<strong>aus</strong>en berichtet<br />

hat. 3 In der Sendung war auf Videoaufnahmen zu sehen, wie eine Frau<br />

Ende 2021 brutal von mehreren Männern geschlagen wurde. So brutal,<br />

dass sie am nächsten Tag im Spital landete. Und es wird aufgezeigt, wie<br />

unsorgfältig die Strafverfolgungsbehörde den Fall aufgearbeitet hat:<br />

Wichtige Beweise wurden nicht oder unvollständig aufgenommen. In<br />

einer Szene ist zu hören, wie sich einer der mutmasslichen Täter – ein<br />

stadtbekannter Anwalt – und der Polizist unterhalten. «Das ist aber<br />

auch nicht ohne, dieses ganze Spiel», sagt der Polizist, während er das<br />

Handy des Anwalts mit der Filmaufnahme <strong>aus</strong> der Tatnacht abfilmt<br />

(anstatt die Aufnahmen direkt vom Computer zu sichern). Die Sendung<br />

löste ein grosses Echo <strong>aus</strong>: Rund fünfhundert Menschen fanden sich<br />

am Wochenende nach der Ausstrahlung in der Schaffh<strong>aus</strong>er Innenstadt<br />

zu einer Demonstration ein. Auf den Schildern stand: «Bloss e chlini<br />

Stadt wo Menscherecht verkennt?» oder «Ihr seid die Metastasen des<br />

Patriarchats». Die Behörden weisen alle Vorwürfe zurück, man habe<br />

richtig gehandelt.<br />

Wir leben also in einer Zeit, in der sich Männer sicher genug fühlen,<br />

Frauen vor Überwachungskameras spitalreif zu prügeln.<br />

Es ist an der Zeit, Gewalt gegen Frauen als das zu benennen, was sie<br />

ist: ein Männerproblem. Mit diesem Buch versuchen wir, Antworten<br />

auf die Frage zu finden, weshalb Männer Frauen Gewalt antun. Warum<br />

sie sie töten, warum sie vergewaltigen. Wir haben versucht her<strong>aus</strong>zu-<br />

15 — ... oder doch?


finden, wie es in ihren Köpfen <strong>aus</strong>sieht und welche äusseren Faktoren<br />

diese Gewalt antreiben, schützen und begünstigen. Und welche Massnahmen<br />

und Möglichkeiten es gibt, Männergewalt an Frauen zu verhindern<br />

oder wenigstens einzudämmen. Wir verstehen dieses Buch als<br />

Puzzleteil eines gesamtgesellschaftlichen Diskurses, denn es ist klar:<br />

Gewalt gegen Frauen bekämpfen wir nur alle zusammen. Dafür braucht<br />

es auch eine emanzipatorische Bewegung der Männer. Ein Reflektieren<br />

und Umdenken.<br />

Mindestens jede fünfte Frau in der Schweiz erlebt mindestens einmal<br />

in ihrem Leben sexualisierte oder anderweitig physische Gewalt<br />

durch Männer, und alle zwei Wochen tötet ein Mann seine Freundin,<br />

seine Ex-Frau, seine Kollegin. Wir fokussieren uns als Gesellschaft auf<br />

sie, auf diese Frauen, auf die Opfer. Das ist wichtig und richtig, aber<br />

es reicht nicht. Für jedes Opfer gibt es einen Täter. Wo sind sie? Wie<br />

denken sie? Warum schauen wir nicht auf sie? «Täterarbeit ist Opferschutz»<br />

– diesen Satz hörten wir in den vergangenen Monaten immer<br />

wieder von verschiedenen Interviewpartner:innen. Und heute sagen<br />

wir ihn selbst: Täterarbeit ist Opferschutz.<br />

Wir schreiben dieses Buch daher für euch. Für Männer, die diese<br />

Arbeit machen wollen.<br />

Als Journalistin schreibt man aber auch immer für diejenigen, die<br />

keine Stimme haben. Oder vielmehr: keine mehr. Wir schreiben dieses<br />

Buch also auch für die Frauen, für die jede Hilfe zu spät kam. Ni una<br />

menos.<br />

16


Femizide in der Schweiz:<br />

2020—2024<br />

(Stand 15. August 2024) *<br />

2024<br />

5. Januar 2024, Allaman,<br />

Waadt. Die Frau<br />

wurde 46 Jahre alt. |<br />

15. Januar 2024,<br />

Wädenswil, Zürich.<br />

Die Frau wurde<br />

56 Jahre alt. | Ende<br />

Januar 2024, tot<br />

aufgefunden im Rhein<br />

bei Laufen-Uhwiesen,<br />

Zürich. Die Frau wurde<br />

27 Jahre alt. | 13. Februar<br />

2024, Binningen,<br />

Basel-Landschaft.<br />

Die Frau wurde<br />

38 Jahre alt. | 16. März<br />

2024, Vevey, Waadt.<br />

Die Frau wurde<br />

40 Jahre alt. |<br />

25. März 2024, Frauenfeld,<br />

Thurgau. Die<br />

Frau wurde 74 Jahre alt.<br />

| 21. Mai 2024,<br />

Männedorf, Zürich.<br />

Das Alter der Frau<br />

ist nicht bekannt. |<br />

4. Juni 2024, Knonau,<br />

Zürich. Die Frau<br />

wurde 78 Jahre alt. |<br />

6. Juli 2024, Sursee,<br />

Luzern. Das Alter<br />

der Frau ist nicht<br />

bekannt. | 28. Juli 2024,<br />

Vétroz, Wallis. Die Frau<br />

wurde 55 Jahre alt. |<br />

8. August 2024, Basel.<br />

Die Frau wurde<br />

75 Jahre alt.<br />

2023<br />

15. Februar 2023,<br />

Rupperswil, Aargau.<br />

Die Frau wurde<br />

47 Jahre alt. | 9. März<br />

2023, Yverdon-les-<br />

Bains, Waadt. Die Frau<br />

wurde 40 Jahre, die<br />

Mädchen 13, 9 und<br />

5 Jahre alt. |<br />

21. März 2023, Siders,<br />

Wallis. Die Frau<br />

wurde 79 Jahre alt. |<br />

24. März 2023, Vernier,<br />

Genf. Das Alter der<br />

Frau ist nicht bekannt. |<br />

26. März 2023, Dietikon,<br />

Zürich. Die Frau wurde<br />

46 Jahre alt. |<br />

8. April 2023, Bellach,<br />

Solothurn. Das Alter<br />

der Frau ist nicht<br />

bekannt. | 14. April 2023,<br />

Erlen, Thurgau. Die<br />

Frau wurde 39 Jahre alt. |<br />

26. Mai 2023, Vevey,<br />

Waadt. Die Frau wurde<br />

37 Jahre alt. | 27. Mai<br />

2023, L<strong>aus</strong>anne, Waadt.<br />

Die Frau wurde 23<br />

Jahre alt. | 19. Juni 2023,<br />

Neuenburg. Die Frau<br />

wurde 78 Jahre alt. |<br />

25. Juni 2023, Lengnau,<br />

Bern. Die Frau wurde<br />

54 Jahre alt. |<br />

4. Juli 2023, Penthaz,<br />

Waadt. Die Frau wurde<br />

18 Jahre alt. |<br />

3. August 2023,<br />

Monthey, Wallis. Die<br />

Frau wurde 46 Jahre<br />

alt. | 24. September<br />

2023, Biel, Bern.<br />

Die Frau wurde<br />

47 Jahre alt. | 1. Oktober<br />

2023, Embrach, Zürich.<br />

Die Frau wurde<br />

30 Jahre alt. |<br />

1. November 2023,<br />

Richterswil, Zürich.<br />

Die Frau wurde<br />

30 Jahre alt. |<br />

28. November 2023,<br />

Neuenburg, Neuenburg.<br />

Die Frau wurde<br />

80 Jahre alt. |<br />

11. Dezember 2023,<br />

Sitten, Wallis. Die Frau<br />

wurde 36 Jahre alt.<br />

Versuchte<br />

Femizide<br />

2023<br />

14. März 2023, Windisch,<br />

Aargau. Die Frau<br />

überlebt. Sie ist<br />

42 Jahre alt. | 14. März<br />

2023, Wetzikon, Zürich.<br />

Die Frau überlebt.<br />

Sie ist 38 Jahre alt. |<br />

3. April 2023, Birs felden,


Basel-Landschaft.<br />

Die Frau überlebt.<br />

Sie ist 40 Jahre alt. |<br />

11. November 2023,<br />

Siegersh<strong>aus</strong>en, Thurgau.<br />

Die Frau überlebt.<br />

Sie ist 43 Jahre alt.<br />

2022<br />

11. Februar 2022, Zürich.<br />

Die Frau wurde<br />

54 Jahre alt. |<br />

27. Feb ruar 2022, Ziefen,<br />

Basel-Landschaft. Die<br />

Frau wurde 60 Jahre<br />

alt. | 12. März 2022,<br />

Rapperswil-Jona,<br />

St. Gallen. Die Frau<br />

wurde 32 Jahre alt. |<br />

5. April 2022, Hamburg,<br />

Deutschland. Ein<br />

22-jähriger Schweizer<br />

tötet eine Frau. Die<br />

Frau wurde 22 Jahre<br />

alt. | 6. April 2022,<br />

Wallisellen, Zürich.<br />

Das Alter der Frau ist<br />

nicht bekannt. | 11. April<br />

2022, Avegno, Tessin.<br />

Die Frau wurde<br />

61 Jahre alt. | 24. April<br />

2022, Büren an der<br />

Aare, Bern. Das Alter<br />

der Frau ist nicht<br />

bekannt. | 22. Mai 2022,<br />

Siders, Wallis. Die<br />

Frau wurde 41 Jahre<br />

alt. | 9. Juli 2022,<br />

Hochwald, Solothurn.<br />

Die Frau wurde<br />

86 Jahre alt. | 25. Juli<br />

2022, Renens, Waadt.<br />

Die Frau wurde 31<br />

Jahre alt. | 8. September<br />

2022, Elsau, Zürich. Die<br />

Frau wurde 54 Jahre alt. |<br />

14. September 2022,<br />

Rorschacherberg,<br />

St. Gallen. Die Frau<br />

wurde 56 Jahre alt. |<br />

25. September 2022,<br />

Bergdietikon, Aargau.<br />

Die Frau wurde<br />

41 Jahre alt. |<br />

15. Oktober 2022, Vevey,<br />

Waadt. Die Frau wurde<br />

60 Jahre alt. |<br />

23. November 2022,<br />

Altstetten, Zürich. Die<br />

Frau wurde 40 Jahre<br />

alt. | 16. Dezember 2022,<br />

Kehrsatz, Bern. Die<br />

Frau wurde 29 Jahre alt.<br />

Versuchte<br />

Femizide<br />

2022<br />

29. Januar 2022,<br />

Emmenbrücke, Luzern.<br />

Die Frau überlebt. Sie<br />

ist 50 Jahre alt. |<br />

15. Februar 2022,<br />

La Chaux-de-Fonds,<br />

Neuenburg. Die Frau<br />

überlebt. Sie ist<br />

52 Jahre alt. | 21. Juli<br />

2022, Winterthur,<br />

Zürich. Die Frau überlebt.<br />

Sie ist 29 Jahre alt. |<br />

25. Juli 2022, Stabio,<br />

Tessin. Die Frau<br />

überlebt. Sie ist<br />

45 Jahre alt. |<br />

20. Oktober 2022,<br />

Areuse, Neuenburg. Die<br />

Frau überlebt. Sie ist<br />

48 Jahre alt.<br />

2021<br />

12. Januar 2021,<br />

Breitenbach, Solothurn.<br />

Die Frau wurde 90<br />

Jahre alt. | 17. Januar<br />

2021, Gunten, Bern. Die<br />

Frau wurde 31 Jahre<br />

alt. | 8. Februar 2021,<br />

Basel. Die Frau wurde<br />

39 Jahre alt. | 16. Februar<br />

2021, Winterthur,<br />

Zürich. Die Frau wurde<br />

32 Jahre alt. |<br />

23. Februar 2021, Buchs,<br />

St. Gallen. Die Frau<br />

wurde 22 Jahre alt. |<br />

23. Februar 2021,<br />

Wilchingen, Schaffh<strong>aus</strong>en.<br />

Die Frau wurde<br />

80 Jahre alt. | 8. März<br />

2021, Breganzona,<br />

Tessin. Die Frau wurde<br />

77 Jahre alt. | 12. März<br />

2021, Schafisheim,<br />

Aargau. Die Frau wurde<br />

44 Jahre alt. | 15. März<br />

2021, Aeugst am Albis,<br />

Zürich. Die Frau wurde<br />

77 Jahre alt. | 19. März<br />

2021, Bussigny, Waadt.<br />

Das Alter der Frau ist<br />

nicht bekannt. | 28. März


2021, Bellinzona, Tessin.<br />

Die Frau wurde<br />

44 Jahre alt. | 17. April<br />

2021, Malleray, Bern.<br />

Die Frau wurde<br />

87 Jahre alt. |<br />

22. April 2021, Peseux,<br />

Neuenburg. Die Frau<br />

wurde 34 Jahre alt. |<br />

1. Juni 2021, Oberbüren,<br />

St. Gallen. Die Frau<br />

wurde 31 Jahre alt. |<br />

13. Juni 2021, Leukerbad,<br />

Wallis. Die Frau wurde<br />

54 Jahre alt. | 5. Juli<br />

2021, Châtelaine, Genf.<br />

Die Frau wurde<br />

58 Jahre alt. | 8. Juli<br />

2021, Terrebasse,<br />

Frankreich. Ein<br />

50-jähriger Schweizer<br />

tötet seine Partnerin.<br />

Die Frau wurde<br />

49 Jahre alt. | 11. Juli<br />

2021, Emmen brücke,<br />

Luzern. Die Frau wurde<br />

29 Jahre alt. | 20. Juli<br />

2021, Beringen,<br />

Schaffh<strong>aus</strong>en. Die Frau<br />

wurde 57 Jahre alt. |<br />

5. August 2021, Phuket,<br />

Thailand. Eine<br />

Schweizerin wird in<br />

ihren Ferien getötet.<br />

Die Frau wurde<br />

57 Jahre alt. | 12. August<br />

2021, Ostermundingen,<br />

Bern. Die Frau wurde<br />

20 Jahre alt. |<br />

13. Oktober 2021, Zürich.<br />

Die Frau wurde 30 Jahre<br />

alt. | 16. Oktober 2021,<br />

Netstal, Glarus. Die<br />

Frau wurde 30 Jahre alt. |<br />

18. Oktober 2021,<br />

Rapperswil-Jona,<br />

St. Gallen. Das Mädchen<br />

wurde 12 Jahre alt. |<br />

21. Oktober 2021,<br />

Vandœuvres, Genf. Die<br />

Frau wurde 58 Jahre alt. |<br />

16. Dezember 2021,<br />

Chêne-Bougeries, Genf.<br />

Die Frau wurde<br />

47 Jahre alt.<br />

Versuchte<br />

Femizide<br />

2021<br />

5. Februar 2021,<br />

Recherswil, Solothurn.<br />

Beide Frauen überleben. |<br />

25. Februar 2021,<br />

Otelfingen, Zürich. Die<br />

Frau überlebt. Sie<br />

ist 38 Jahre alt. | 6. Juni<br />

2021, Solothurn,<br />

Solothurn. Die Frau<br />

überlebt. | 12. Juni 2021,<br />

Dübendorf, Zürich.<br />

Die Frau überlebt.<br />

Sie ist 58 Jahre alt. |<br />

11. Juli 2021, Muttenz,<br />

Basel-Landschaft.<br />

Die Frau überlebt. Sie<br />

ist 25 Jahre alt. |<br />

10. September 2021,<br />

Erlinsbach, Aargau. Die<br />

Frau überlebt. Sie ist<br />

60 Jahre alt. |<br />

28. September 2021,<br />

Buchs, St. Gallen.<br />

Beide überleben.<br />

Die Frau ist 39, das<br />

Mädchen 16 Jahre alt. |<br />

2. Oktober 2021, Olten,<br />

Solothurn. Die Frau<br />

überlebt. | 21. Oktober<br />

2021, Locarno, Tessin.<br />

Die Frau überlebt.<br />

Sie ist 22 Jahre alt. |<br />

9. Dezember 2021,<br />

Emmen, Luzern. Die<br />

Frau überlebt. Sie ist<br />

35 Jahre alt. |<br />

17. Dezember 2021,<br />

Wittigkofen, Bern. Die<br />

Frau überlebt.<br />

2020<br />

1. Januar 2020, Monthey,<br />

Wallis. Die Frau<br />

wurde 40 Jahre alt. |<br />

26. Januar 2020, Genf.<br />

Die Frau wurde 55<br />

Jahre alt. | 3. März 2020,<br />

Hombrechtikon, Zürich.<br />

Die Frau wurde<br />

44 Jahre alt. | 18. März<br />

2020, Oey-Diemtigen,<br />

Bern. Die Frau wurde<br />

31 Jahre alt. | 2. April<br />

2020, Emmenbrücke,<br />

Luzern. Die Frau wurde<br />

59 Jahre alt. | 15. April<br />

2020, Meierskappel,<br />

Luzern. Die Frau<br />

wurde 85 Jahre alt. |<br />

16. Mai 2020, Wangen<br />

bei Olten, Solothurn.<br />

Die Frau wurde<br />

30 Jahre alt. | 17. Mai<br />

2020, Giubiasco, Tessin.


Die Frau wurde<br />

47 Jahre alt. | 14. Juni<br />

2020, Emmen brücke,<br />

Luzern. Die Frau wurde<br />

47 Jahre alt. | 20. Juni<br />

2020, Pratteln,<br />

Basel-Land. Die Frau<br />

wurde 24 Jahre alt. |<br />

24. August 2020,<br />

Montreux, Waadt. Die<br />

Frau wurde 23 Jahre alt. |<br />

2. September 2020,<br />

St. Gallen. Die Frau<br />

wurde 46 Jahre alt. |<br />

21. September 2020,<br />

Wiesendangen, Zürich.<br />

Die Frau wurde 78<br />

Jahre alt. | 4. November<br />

2020, Riggisberg, Bern.<br />

Das Alter der Frau ist<br />

nicht bekannt. |<br />

25. Dezember 2020,<br />

Bolligen, Bern.<br />

Das Alter der Frau ist<br />

nicht bekannt. |<br />

30. Dezember 2020,<br />

Kosovo. Ein Mann <strong>aus</strong><br />

Villeneuve, Waadt,<br />

tötet seine Frau<br />

und die zwei Söhne in<br />

den Ferien im Kosovo.<br />

Die Frau wurde<br />

48 Jahre alt.<br />

Versuchte<br />

Femizide<br />

2020<br />

18. August 2020, Sattel,<br />

Schwyz. Die Frau<br />

überlebt. Sie ist 28 Jahre<br />

alt. | 5. September 2020,<br />

Nussbaumen, Aargau.<br />

Die Frau überlebt.<br />

Sie ist 53 Jahre alt. |<br />

3. Oktober 2020,<br />

Rombach, Aargau.<br />

Die Frau überlebt. Sie<br />

ist 34 Jahre alt. |<br />

29. Oktober, Prilly,<br />

Waadt. Die Frau<br />

überlebt. Sie ist<br />

42 Jahre alt. |<br />

29. November 2020,<br />

Banwald in Olten. Die<br />

junge Frau überlebt. Sie<br />

ist 14 Jahre alt.<br />

* Das Rechercheprojekt<br />

Stop Femizid<br />

versucht seit 2020 so zeitnah<br />

wie möglich, jeden<br />

vollendeten und versuchten<br />

Femizid in der Schweiz<br />

zu dokumentieren.<br />

Die Autorinnen der Liste<br />

wissen: Sie ist unvollständig.


Femizide<br />

in der Schweiz<br />

Alma*: «Ich wusste<br />

von der ersten Sekunde<br />

an, dass mit ihm<br />

etwas nicht stimmt»<br />

Am Tag bevor Meret* stirbt, sitzt sie auf einem weichen Sessel neben<br />

Alma* und wählt eine neue Farbe für ihre Nägel <strong>aus</strong>. An diesem Nachmittag<br />

verwöhnt Alma ihre kleine Schwester, kauft ihr ein neues Sommerkleid,<br />

eine Halskette, Ohrringe und den Lippenstift in Merets<br />

liebstem Beerenton. Zum ersten Mal seit Langem verbringen die beiden<br />

Frauen wieder einen Tag zu zweit, früher telefonierten sie mehrmals<br />

täglich. «Heute», sagt Alma, «kommt es mir so vor, als hätte ich<br />

sie damals für ihre letzte Reise hübsch gemacht.»<br />

Meret und Alma wachsen in einer Grossfamilie auf. Zwischen<br />

ihnen gesponnen dieser feine Faden, den es nur zwischen Schwestern<br />

gibt: jede für sich und doch unzertrennlich. Alma, die Vernünftige mit<br />

Geduld. Meret, die Zielstrebige mit dem unbeirrbaren Blick für ihre<br />

Zukunft. Zu dieser Zukunft gehört Joseph*, im Frühling vor sieben<br />

Jahren lernt sie ihn bei der Arbeit in einem Büro kennen. Er, 26 Jahre<br />

älter als sie, lädt Meret zum Abendessen ein, wünscht ihr per SMS einen<br />

21 — Femizide in der Schweiz

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