Komische Monologe
9783894876210
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Josef Bairlein 55<br />
komische<br />
MONOLOGE<br />
Zum Vorsprechen, Studieren<br />
und Kennenlernen<br />
H E N S C H E L
55 komische <strong>Monologe</strong>
55 komische <strong>Monologe</strong><br />
Zum Vorsprechen, Studieren<br />
und Kennenlernen<br />
Herausgegeben von Josef Bairlein<br />
Unter Mitarbeit von Franziska Betz,<br />
Johannes Lachermeier und Berenika Szymanski<br />
HENSCHEL
www.henschel-verlag.de<br />
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek<br />
Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen<br />
Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über<br />
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Die Schreibweise entspricht den Regeln der neuen Rechtschreibung.<br />
Die Originaltexte und Übersetzungen sind in der überlieferten Schreibweise<br />
beibehalten.<br />
ISBN 978-3-89487-621-0<br />
© 2008, 2024 Henschel Verlag<br />
in der E. A. Seemann Henschel GmbH & Co. KG, Leipzig<br />
Lektorat: Wibke Hartewig<br />
Umschlaggestaltung: Ingo Scheffler, Berlin<br />
Gestaltung und Satz: Grafikstudio Scheffler, Berlin<br />
Titelbild: Moritz Röhl als Truffaldino in Der Diener zweier Herren, Regie:<br />
Bert Bredemeyer, BredemeyerCompany Berlin 1999, hier Theatersommer<br />
am Kap, Rügen (Kap Arkona) 2000. © Jenny Baese, schriftBILD Berlin<br />
Druck und Bindung: MultiPrint Ltd.<br />
Printed in the EU
5<br />
Inhalt<br />
Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7<br />
<strong>Monologe</strong><br />
Aristophanes · Die Wolken · Strepsiades . . . . . . . . . . . . . . 22<br />
William Shakespeare · Zwei Herren aus Verona · Julia . . . . . . . . 23<br />
William Shakespeare · Zwei Herren aus Verona · Lanz . . . . . . . 24<br />
Ben Jonson · Epicoene oder Die stumme Braut · Truewit . . . . . . . 26<br />
Andreas Gryphius · Absurda Comica. Oder Herr Peter Squentz ·<br />
Pickelhäring/Pyramus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28<br />
Molière · Der Geizige · Harpagon . . . . . . . . . . . . . . . . . 31<br />
Molière · Scapinos Gaunerstreiche · Scapino . . . . . . . . . . . . 32<br />
Molière · Scapinos Gaunerstreiche · Zerbinette . . . . . . . . . . . 34<br />
William Congreve · Der Lauf der Welt · Mrs. Millamant . . . . . . . . 36<br />
William Congreve · Der Lauf der Welt · Mr. Mirabell . . . . . . . . . 37<br />
Josef Anton Stranitzky · Türckisch-bestraffter Hochmuth · Hans Wurst 39<br />
Theater am Kärtnertor · Basilisco di Bernagasso oder Undanck ist<br />
der Welt ihr danck · 8. Narr . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40<br />
Carlo Goldoni · Der Diener zweier Herren · Truffaldino . . . . . . . . 42<br />
Carlo Goldoni · Dritter Akt, erste Szene oder Das komische Theater ·<br />
Placida . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43<br />
Carlo Goldoni · Der Fächer · Signora Susanna . . . . . . . . . . . . 44<br />
Carlo Gozzi/Giorgio Strehler · Der Rabe · Arlecchino . . . . . . . . . 45<br />
Carlo Gozzi/Giorgio Strehler · Der Rabe · Brighella . . . . . . . . . 46<br />
Philipp Hafner · Der Furchtsame · Hanswurst . . . . . . . . . . . . 48<br />
August von Kotzebue · Die deutschen Kleinstädter · Frau Unter-<br />
Steuer-Einnehmerin Staar . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49<br />
Adolf Bäuerle · Die Bürger in Wien · Meister Staberl . . . . . . . . . 50<br />
Adolf Bäuerle · Doctor Faust’s Mantel · Rosel . . . . . . . . . . . 51<br />
Johann Nepomuk Nestroy · Nagerl und Handschuh oder Die<br />
Schicksale der Familie Maxenpfutsch · Kappenstiefel . . . . . . . . 53<br />
Anton Pavlovič Čechov · Tragöde wider Willen · Ivan Ivanovič Tolkačov . 54<br />
Oscar Wilde · Ein idealer Ehemann · Miss Mabel Chiltern . . . . . . . 56
6<br />
Liesl Karlstadt/Karl Valentin · Kreszenz Hiagelgwimpft · Kreszenz<br />
Hiagelgwimpft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57<br />
Klabund · XYZ · Y . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61<br />
Kurt Tucholsky · Ankunft · Lottchen . . . . . . . . . . . . . . . . 62<br />
Kurt Schwitters · Es kommt drauf an · Reisender . . . . . . . . . . 64<br />
Witold Gombrowicz · Yvonne, die Burgunderprinzessin · Königin<br />
Margarete . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66<br />
Thornton Wilder · Wir sind noch einmal davongekommen · Sabina . . 68<br />
Pablo Picasso · Wie man Wünsche beim Schwanz packt · Die Torte . . 70<br />
Eugène Ionesco · Die kahle Sängerin · Der Feuerwehrhauptmann . . . . 71<br />
Samuel Beckett · Endspiel · Nagg . . . . . . . . . . . . . . . . . 72<br />
Samuel Beckett · Glückliche Tage · Winnie . . . . . . . . . . . . . 74<br />
Franz Xaver Kroetz · Hilfe, ich werde geheiratet! · Dammerl . . . . . . 76<br />
Friedrich Karl Waechter · Schule mit Clowns · Wiesel . . . . . . . . 77<br />
Ernst Jandl · die humanisten · erster mann – m1 . . . . . . . . . . . . 79<br />
Jane Martin · Hören Sie mal · Schauspielerin . . . . . . . . . . . . . 81<br />
Herbert Achternbusch · Sintflut · Wasserhuhn . . . . . . . . . . . . 84<br />
Dario Fo · Elisabeth – zufällig eine Frau · Das Mensch . . . . . . . . 85<br />
Franca Rame/Dario Fo · Die dicke Frau · Mattea . . . . . . . . . . 87<br />
Christopher Durang · Gebrüllt vor Lachen · Die Frau . . . . . . . . . 89<br />
Heiner Müller · Wolokolamsker Chaussee . . . . . . . . . . . . . 91<br />
Neil Simon · Ein Gag für Max · Ira . . . . . . . . . . . . . . . . . 93<br />
Werner Schwab · Eskalation ordinär · Nieroster . . . . . . . . . . . 94<br />
Werner Schwab · Antiklima x · Mariedl . . . . . . . . . . . . . . . 96<br />
Thomas Hürlimann · Der Franzos im Ybrig · Foulon . . . . . . . . 97<br />
Enda Walsh · Der Ginger Ale Boy · Der Eismann . . . . . . . . . . . 99<br />
Theresia Walser · Kleine Zweifel · Wendla Teusch . . . . . . . . . . . 100<br />
Botho Strauß · Der Kuß des Vergessens · Ricarda . . . . . . . . . . 103<br />
Falk Richter · Gott ist ein DJ · Sie . . . . . . . . . . . . . . . . . 104<br />
Franzobel · Mayerling · Sisi . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 106<br />
Rebekka Kricheldorf · Prinzessin Nicoletta · Leonor . . . . . . . . . 108<br />
Fitzgerald Kusz · Witwendramen · D – 4. Witwe . . . . . . . . . . . 109<br />
Feridun Zaimoglu/Günter Senkel · Schwarze Jungfrauen . . . . . . 111<br />
Anhang<br />
Weitere Rollenvorschläge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114<br />
Quellenverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 120
7<br />
Einleitung<br />
I Komik – ein Grenzphänomen<br />
Der Begriff des <strong>Komische</strong>n scheint ein komischer Begriff zu sein. <strong>Komische</strong><br />
<strong>Monologe</strong>. Man könnte diesen Titel auch missdeuten und meinen, es<br />
handle sich um merkwürdige, mysteriöse oder ominöse, irgendwie seltsame<br />
<strong>Monologe</strong>. Eine zwielichtige, verdächtige Gestalt, ein eigenartig auffälliges<br />
Verhalten erscheint uns komisch. Zum Lachen ist uns dann meist<br />
nicht zumute. Ganz im Gegenteil. Und doch: Viele Figuren, über die wir<br />
lachen, sind auffällig, ungewöhnlich, verschroben und eigenartig. Der<br />
Hanswurst beispielsweise mit roter Jacke, gelber Hose, blauem Brustlatz<br />
mit grünem Herz und grünem Hut, mit Holzpritsche, großer Gestik und<br />
verzerrter Mimik.<br />
Komisch ist offenbar all das, was unserem Erwartungshorizont entgegensteht<br />
oder nicht im Einklang mit gewohnten Normen ist. Ein erwachsener<br />
Mann mit Schnuller im Mund ebenso wie eine dunkle, eingemummte<br />
Gestalt im Hochsommer. Dem <strong>Komische</strong>n scheint ein Widerspruch<br />
oder eine Abweichung zugrunde zu liegen, eine Inkongruenz,<br />
etwas Unvereinbares. In den Theorien der Komik, die oftmals auch Theorien<br />
des Lachens sind, wird dies immer wieder neu und immer wieder<br />
anders gefasst – als »ein mit Häßlichkeit verbundener Fehler« 1 oder als<br />
Paarung »heterogene[r] Vorstellungen, die oft nach dem Gesetze der Einbildungskraft<br />
(der Assoziation) weit auseinander liegen« 2 , als »plötzliche<br />
Wahrnehmung einer Inkongruenz zwischen einem […] Begriff und dem<br />
durch denselben gedachten realen Gegenstand, also zwischen dem Ab -<br />
strakten und dem Anschaulichen« 3 oder als Kipp-Phänomen, in dem sich<br />
widersprüchliche Positionen gegenseitig negieren. 4<br />
Komik erscheint vor diesem Horizont als ein Spiel mit Grenzen. Überall,<br />
wo Schranken gesetzt sind, kann sie auftreten. Dabei können zwei<br />
Arten von Grenzen unterschieden werden: eine, die zwischen unvereinbaren<br />
oder weit auseinander liegenden Elementen verläuft und im Lächerlichen<br />
überschritten wird, und eine weitere, die die Überschreitung selbst,<br />
die normverletzende Handlung vom regelgerechten Verhalten trennt. Wir
8<br />
lachen beispielsweise über einen Narren, der uns weiszumachen versucht,<br />
dass Hund und Katze das Gleiche sind; er ist komisch, weil er Unvereinbares<br />
zusammenbringt. Mit unserem Lachen wird aber eine zweite Grenze<br />
sichtbar: die zwischen dem <strong>Komische</strong>n und Gewohnten, dem Lächerlichen<br />
und Ernsten, zwischen Abweichung und Norm. An dieser zweiten Grenze<br />
kann Komik ihre affirmative oder subversive Kraft geltend machen.<br />
Subversion und Affirmation<br />
Komik kann feindlich gestimmt sein: frauenfeindlich, antisemitisch, rassistisch,<br />
feindlich gegen Homosexuelle, Migranten etc. Nicht jeder Witz ist<br />
»political correct«. Komik kann verletzen, beleidigen und herabsetzen. Für<br />
Thomas Hobbes beispielsweise ist Lachen »das plötzliche Gefühl der eigenen<br />
Überlegenheit angesichts fremder Fehler« 5 . Was als Fehler, Mangel<br />
oder Defizit angesehen wird, ist abhängig vom moralischen Empfinden des<br />
Einzelnen, vom Geschmack einer Epoche oder von gesellschaftlichen Normen.<br />
Im Verlachen des als inkongruent wahrgenommenen Verhaltens – beispielsweise<br />
»femininer« Gebärden bei einem Mann – werden die vorausgesetzten<br />
Widersprüchlichkeiten als solche bestätigt und die Norm – hier: ein<br />
Mann hat sich »männlich«, eine Frau »weiblich« zu geben – gefestigt. Diese<br />
Affirmation der Grenze (hier sowohl die Bestätigung der Inkongruenz als<br />
auch die Bekräftigung der Norm) kann einer Selbstaffirmation entsprechen;<br />
vielleicht vermag sie aber auch eine Erkenntnis und Korrektur der<br />
eigenen Fehler herbeizuführen, wie beispielsweise Friedrich Schiller glaubt,<br />
wenn er schreibt: »Sie [die Schaubühne] ist es, die der großen Klasse von<br />
Toren den Spiegel vorhält, und die tausendfachen Formen derselben mit<br />
heilsamem Spott beschämt.« 6 Gesellschaftliche Normen werden gefestigt,<br />
indem sie von Zeit zu Zeit verletzt und die hieraus resultierenden negativen<br />
Konsequenzen ins Bewusstsein gerufen werden. Jede Grenze muss überschritten<br />
werden, um als Grenze zu bestehen.<br />
Der Narr oder Tor tritt im Laufe der Geschichte immer wieder als Figur<br />
auf, die außerhalb der Gesellschaft steht. Als gottlos dämonisiert dient er<br />
der Abschreckung und hält somit die soziale Ordnung aufrecht. Im Mittelalter<br />
avanciert er zur teuflischen, anti-christlichen Gestalt. Noch in der<br />
Commedia dell’Arte zeugen Arlecchinos Hörnchen von dieser höllischen<br />
Herkunft. Der Narr leugnet Gott, kennt keine Gottes- noch Nächstenliebe,<br />
sondern ist nur auf sich selbst und seine Triebnatur fixiert, auf sein<br />
Abbild, das er als Puppe (Marotte) bei sich trägt oder in seinem Narrenspiegel<br />
erblickt.
Und doch dreht der Narr ab und zu den Spiegel um und hält ihn der Welt<br />
vor. Er ist dann ein weiser Narr. Seine Position außerhalb der Gesellschaft<br />
erlaubt es ihm, zu kritisieren und Regeln zu hinterfragen. In den Büttenreden<br />
des Karnevals beispielsweise sind diese Narren noch lebendig. Als Hofnarren<br />
hatten sie sogar politische Funktion. Sie allein waren es, die dem<br />
Herrscher ihre Meinung frei ins Gesicht sagen konnten; sie genossen Narrenfreiheit.<br />
»O wär ich doch ein Narr!«, wünscht Jaques in Shakespeares<br />
Wie es euch gefällt und führt vor dem Herzog aus:<br />
9<br />
»Dann muß ich Freiheit haben,<br />
So ausgedehnte Vollmacht wie der Wind –<br />
So ziemt es Narrn –, auf wen ich will zu blasen,<br />
Und wen am ärgsten meine Torheit geißelt,<br />
Der muß am meisten lachen. Und warum?<br />
Das fällt ins Auge wie der Weg zur Kirche.<br />
Der, den ein Narr sehr weislich hat getroffen,<br />
Wär wohl sehr töricht, schmerzt’ es noch so sehr,<br />
Nicht fühllos bei dem Schlag zu tun. Wo nicht,<br />
So wird des Weisen Narrheit aufgedeckt<br />
Selbst durch des Narren ungefähres Zielen.<br />
Steckt mich in meine Jacke, gebt mir frei<br />
Zu reden, wie mir’s dünkt: und durch und durch<br />
Will ich die angesteckte Welt schon säubern,<br />
Wenn sie geduldig nur mein Mittel nehmen.« (II, 7) 7<br />
Auch wenn der Narr korrigierend in die Gesellschaft einzugreifen vermag,<br />
so bleibt doch seine Position außerhalb dieser aufrechterhalten. Mithilfe<br />
des Narren können ausgegrenzte Elemente zwar in die gesellschaftliche<br />
Ordnung eingeführt und Grenzen verschoben werden, nicht aber aufgehoben.<br />
Lachen kann aber auch als tiefergehende Entgrenzung verstanden<br />
werden. So wird nach Joachim Ritter eine gesetzte Lebensordnung im<br />
Unernst verlassen, indem das Lächerliche, das der anerkannten Ordnung<br />
Entgegenstehende aufgesucht wird. Dieses Ausgegrenzte gehöre zum<br />
Lebensganzen, aber der jeweilige Ernst könne nur begreifen, was innerhalb<br />
der normierten Ordnung liegt. Diese »geheime Zugehörigkeit« 8<br />
werde aber im Spiel des <strong>Komische</strong>n, durch Anspielung und Zweideutigkeit,<br />
durch die Ineinssetzung des Ausgegrenzten und Gewöhnlichen aufgedeckt;<br />
das Ausgegrenzte werde »in der ausgrenzenden Ordnung selbst<br />
gleichsam als zu ihr gehörig sichtbar und lautbar« 9 .
10<br />
II. Das komische Spiel und seine Facetten<br />
Das Theater hat verschiedene Arten des komischen Spiels hervorgebracht.<br />
Dabei sind Typen und Figuren entstanden, stehende Rollen, die in verschiedenen<br />
Stücken auftauchen und die ein Schauspieler oftmals ein Leben<br />
lang verkörperte. Die vorliegende Anthologie versucht, die vielfältigen<br />
Facetten des <strong>Komische</strong>n, die oftmals eine ganz eigene schauspielerische<br />
Virtuosität fordern, zu fassen und dem angehenden oder bereits erfahrenen<br />
Schauspieler unterschiedliche Texte zum Studieren, Üben und Kennenlernen<br />
an die Hand zu geben.<br />
Dieses Buch konzentriert sich auf <strong>Monologe</strong> und kann insofern das<br />
komische Zusammenspiel nicht berücksichtigen. Gerade Dialog und<br />
Polylog besitzen aber im Reich des Komödiantischen ihren ganz eigenen<br />
Charakter: so etwa die Rededuelle, in denen sich die Figuren mit ihrem<br />
Witz zu übertrumpfen suchen, oder die handfesten Auseinandersetzungen,<br />
in denen Slapstick dominiert. All dies muss hier weitgehend außen<br />
vor bleiben, ebenso wie die durch Intrigen geschürte oder sich aus zufälligen<br />
Verwicklungen ergebende Handlungskomik. Verkleidung, Verstellung<br />
und Unwissenheit sind hier in der Dramaturgie des Stückes angelegt<br />
und entfalten losgelöst vom Rest der Handlung kaum komische Wirkung.<br />
Demgegenüber stehen viele komische Szenen aber für sich; es sind komische<br />
Einlagen, die mit der Handlung wenig oder nichts zu tun haben. Als<br />
Zwischenspiele dienen sie der Auflockerung des ernsten Geschehens, das<br />
wie in den Haupt- und Staatsaktionen des Altwiener Volkstheaters auch<br />
mal von der komischen Nebenhandlung in den Hintergrund gedrängt<br />
wird. Es sind zum Teil groteske Versatzstücke wie in der Commedia<br />
dell’Arte, die in jede Handlung integriert werden können.<br />
Wenn im Folgenden verschiedene Spielarten des <strong>Komische</strong>n vorgestellt<br />
werden, ist dies nicht als starre Klassifikation zu verstehen. Die Anforderungen,<br />
die ein Monolog an den Schauspieler bzw. die Schauspielerin<br />
stellt, sind vielfältig und hängen immer auch von der Interpretation des<br />
Einzelnen ab. Die Komik auf dem Theater lässt sich vielleicht in einzelne<br />
Aspekte gliedern und auf verschiedene Zeichensysteme aufteilen, in rein<br />
körperliche, semantische (sprachlicher Gehalt) oder paralinguistische Elemente<br />
(sprachbegleitende Phänomene wie Lautstärke, Gesten oder<br />
Sprechtempo). Zumeist ist es die Kombination dieser unterschiedlichen<br />
Aspekte, die komische Wirkung hervorruft, wie eine Vielzahl der hier versammelten<br />
<strong>Monologe</strong> demonstriert. Dennoch, was hier als Spielart oder
Facette bezeichnet wird, sind historisch gewachsene Arten des Spiels, die<br />
zu verschiedenen Zeiten an verschiedenen Orten und in verschiedener<br />
Gewichtung auftauchen; sie stellen unterschiedliche Anforderungen an<br />
den Schauspieler; ihre Übergänge freilich sind fließend.<br />
11<br />
Laute Gesten, große Mimik, Körper im Einsatz<br />
Der Schauspieler steht immer mit seinem Körper auf der Bühne. Ob er<br />
rasend durch den Raum läuft oder stillsteht, das Gesicht zur Grimasse verzerrt<br />
oder teilnahmslos vor sich hin starrt, mit Armen und Händen ausholt<br />
oder sie ermattet baumeln lässt – alles wird auf der Bühne zum Zeichen.<br />
Gestik, Mimik, Bewegung und Haltung verbinden sich zum körperlichen<br />
Ausdruck, ganz gleich, ob sie be wusst vom Schauspieler erzeugt oder zufällig<br />
ausgeführt werden. Im komödiantischen Spiel kann der Körper auf ganz<br />
eigene Weise verwendet werden. So kann beispielsweise die Diskrepanz<br />
zwischen Mimik und Gestik komische Effekte erzeugen. Auch übertrieben<br />
große Gesten können Lachen auslösen.<br />
Die Typen der Commedia dell’Arte beispielsweise oder ihre Nachfolger<br />
bei Molière, Goldoni oder Gozzi und im Altwiener Volkstheater zeichnen<br />
sich durch stereotype Haltungen aus, agieren demonstrativ mit großen<br />
Gesten oder tragen Masken und Halbmasken mit überzeichneten<br />
Gesichtszügen. Die komischen Masken – sie heißen Arlecchino, Truffaldino,<br />
Brighella, Pantalone, Dottore oder Capitano – sind Typen, keine<br />
individuellen Charaktere. Ihre Körperhaltung, ihre Mimik und Gestik<br />
bringen mit wenigen Zügen ihr gesamtes Wesen zum Ausdruck. Der geizige<br />
und geile alte Venezianer Pantalone beispielsweise (bei Molières Harpagon<br />
(Monolog Nr. 6) finden sich vergleichbare Wesenszüge) trippelt<br />
gierig vorn übergebeugt mit seinen dünnen Beinen auf und ab. Capitano,<br />
ein Maulheld (man mag in Stranitzkys Hans Wurst (Nr. 11) seinen Sprössling<br />
erkennen), brüstet sich als großer Soldat und drängt sich mit<br />
schwungvoll raumgreifenden Gesten ins Zentrum der Bühne.<br />
Die Commedia dell’Arte war eine Stegreifkomödie, die festgelegten<br />
Handlungsverläufe wurden größtenteils durch Improvisation oder Versatzstücke<br />
ausgefüllt. Die Dienerfiguren hatten dabei ihre Lazzi: clowneske,<br />
teils komisch-akrobatische Einlagen. Arlecchino beispielsweise hechtet<br />
einer Fliege hinterher. Immer wieder entkommt sie ihm, doch er gibt<br />
nicht auf. Arlecchino wird siegen und sein Festmahl bekommen. Entzückt<br />
sitzt er nun da und reibt sich den Bauch, während seine Zunge lustvoll<br />
über die angespannten Lippen gleitet. Mit aller Sorgfalt zerlegt er die
12<br />
erjagte Fliege, um anschließend mit großen Gesten genüsslich Schenkelchen<br />
für Schenkelchen zu verspeisen. Die Flügel − ein Hochgenuss. Einzeln<br />
werden dann noch die Finger ekstatisch-erregt abgeleckt.<br />
Folgende <strong>Monologe</strong> bieten sich zum Beispiel für den Einsatz übertriebener<br />
Mimik und Gestik an:<br />
Nr. 6: Molière · Der Geizige (Harpagon)<br />
Nr. 7: Molière · Scapinos Gaunerstreiche (Scapino)<br />
Nr. 11: Josef Anton Stranitzky · Türckisch-bestraffter Hochmuth<br />
(Hans Wurst)<br />
Nr. 13: Carlo Goldoni · Der Diener zweier Herren (Truffaldino)<br />
Nr. 14: Carlo Goldoni · Dritter Akt, erste Szene oder Das komische<br />
Theater (Placida)<br />
Nr. 15: Carlo Goldoni · Der Fächer (Signora Susanna)<br />
Nr. 16: Carlo Gozzi/Giorgio Strehler · Der Rabe (Arlecchino)<br />
Nr. 17: Carlo Gozzi/Giorgio Strehler · Der Rabe (Brighella)<br />
Nr. 18: Philipp Hafner · Der Furchtsame (Hanswurst)<br />
Nr. 29: Witold Gombrowicz · Yvonne, die Burgunderprinzessin<br />
(Königin Margarete)<br />
Nr. 40: Dario Fo · Elisabeth – zufällig eine Frau (Das Mensch)<br />
Nr. 48: Enda Walsh · Der Ginger Ale Boy (Der Eismann)<br />
Warum wir bei großen Gesten und übermäßigen Bewegungen lachen, versucht<br />
unter anderem Siegmund Freud zu erklären. Er versteht unter<br />
Komik das Ergebnis eines mit Lust einhergehenden Vergleichs. Dabei<br />
werde der Aufwand einer beobachteten Tätigkeit mit dem von uns vorgestellten<br />
oder erwarteten Aufwand in Beziehung gesetzt. Als Beispiel für<br />
Bewegungskomik führt Freud das pantomimische Spiel eines Clowns an:<br />
»Die Antwort, warum wir über die Bewegungen der Clowns lachen,<br />
würde lauten, weil sie uns übermäßig und unzweckmäßig erscheinen. Wir<br />
lachen über einen allzu großen Aufwand.« 10 Henri Bergson findet eine<br />
andere Erklärung und hat dabei vor allem die unfreiwillige Komik im<br />
Blick. Für ihn ist alles Lebendige im Fließen, es wird durchströmt von<br />
einer Lebenskraft. Das <strong>Komische</strong> liege im Stillstand des eigentlich dynamisch<br />
Lebendigen, in der Wiederholung. Körperliche wie geistige Trägheit<br />
werde von der Gesellschaft mit Lachen bestraft. In Bezug auf die Körperkomik<br />
heißt es in Das Lachen: »Komisch sind die Haltungen, Gebärden<br />
und Bewegungen des menschlichen Körpers genau in dem Maß, wie uns<br />
dieser Körper an einen gewöhnlichen Mechanismus erinnert.« 11 Und über<br />
die Grimasse schreibt Bergson: »Lächerlich wird also ein Gesichtsausdruck<br />
sein, wenn er uns an etwas Verkrampftes erinnert, an etwas im
gewöhnlich bewegten Mienenspiel Erstarrtes.« 12 Zwei Clowns, die immer<br />
wieder zusammenprallen, zu Boden fallen und wieder hoch springen, um<br />
von vorne zu beginnen, seien komisch, da man letztendlich in beiden nur<br />
noch Gummibälle, Dinge also, sähe. Und zwei Glatzköpfe, die unaufhörlich<br />
Stöcke aufeinander niedersausen lassen, würden in der Phantasie des<br />
Betrachters zu bloßen Holzpuppen, zu steifen Marionetten, denen es an<br />
Lebendig-Dynamischem mangele. 13 Was Bergson hier anspricht, kennen<br />
wir vor allem aus dem Film, von Buster Keaton oder Charlie Chaplin; es<br />
handelt sich um Slapstick, einer virtuosen Variante körperlicher Komik.<br />
13<br />
Slapstick<br />
Seinen Namen hat der Slapstick dem Schlagstock, eben dem »slap stick«,<br />
zu verdanken. Mit dieser Pritsche, bestehend aus zwei oder mehreren<br />
übereinanderliegenden Latten, wird selbst ein leichter Schlag von einem<br />
lauten Knall begleitet. Slapstick ist wortlos, oftmals gewaltreich und<br />
involviert meist Gegenstände wie Bananenschalen, fliegende Torten, in die<br />
Höhe schnellende Rechenstiele oder heimtückische Regenschirme. Figuren,<br />
die von Leitern oder Balken k.o. geschlagen werden oder mit ihnen<br />
im Arm am Türrahmen scheitern, kennt man nur zu gut aus den Verfolgungsjagden<br />
der Stummfilme oder von Tom und Jerry. Will man ein Feuerwerk<br />
des Slapsticks entzünden und Gag auf Gag folgen lassen, ist eine<br />
haargenaue Planung erforderlich, die auch die Publikumsreaktionen mit<br />
einbezieht, sowie eine sorgfältige Einstudierung, die einen treffsicheren<br />
Ablauf garantiert. Gut gemachter Slapstick gehört mit Sicherheit zu den<br />
schwierigeren Aufgaben eines Schauspielers. Körperbeherrschung und<br />
Timing sind hier das A und O.<br />
Am Beispiel des Slapsticks lässt sich das Spiel von Unerwartetem und<br />
Vorhersagbarem vorzüglich exemplifizieren. Plötzlichkeit und Überraschung<br />
werden häufig als Bedingung für Komik angesehen. Kant beispielsweise<br />
betrachtet die Auflösung gespannter Erwartung in Nichts als<br />
komisch. 14 Auch in Bergsons Konzept wird die Erwartung des Lebendig-<br />
Dynamischen enttäuscht, indem das Träge, sich Wiederholende eintritt.<br />
Im jährlich zu Silvester wiederholten Klassiker Dinner For One stolpert<br />
der Butler mehrmals hintereinander über den Kopf eines auf dem Boden<br />
ausgebreiteten Tigerfells. Wir lachen jedes Mal über James. Seine Trägheit,<br />
so könnte man mit Bergson formulieren, nimmt zu. Nach dem sechsten<br />
Zusammenstoß jedoch verfehlt er zufällig den Kopf, was ihn selbst<br />
verwundert, und nach zwei weiteren Karambolagen lernt er hinzu: Er hebt
14<br />
das Bein und macht einen großen Schritt über den Tigerkopf. Unsere<br />
gefestigte Erwartung wurde enttäuscht, James reagierte, und wir lachen –<br />
einmal gegen Bergson, denn das Träge verwandelte sich in Geistesgegenwart,<br />
und zugleich mit ihm und mit Freud, denn ein einfacher Schritt über<br />
den Kopf wäre wesentlich einfacher und ökonomischer gewesen. Dass<br />
James beim nächsten Mal wieder stolpert, ist in dieser ausgeklügelten Dramaturgie<br />
nur konsequent. Wir haben es hier mit einer Reihe von enttäuschten<br />
Erwartungen zu tun: Anstelle des Dynamischen erscheint das<br />
statisch Sich-Wiederholende, anstelle der Wiederholung dann die Variation.<br />
Komik spielt immer mit unseren Erwartungen, und wer sich des Slapsticks<br />
bedienen möchte, sollte dies besonders beachten.<br />
Zu den <strong>Monologe</strong>n, die explizit Slapstick beinhalten, gehören u.a.:<br />
Nr. 36: Friedrich Karl Waechter · Schule mit Clowns (Wiesel)<br />
Nr. 50: Botho Strauß · Der Kuss des Vergessens (Ricarda)<br />
Elemente des Slapsticks können vielerorts eingesetzt werden. Becketts<br />
Winnie (Nr. 34) könnte sich beispielsweise bereits beim Öffnen ihres<br />
Schirmes einen erbitterten Kampf mit dem tückischen Objekt liefern. Und<br />
warum sollte der 8. Narr aus dem Basilisco di Bernagasso (Nr. 12) beim<br />
Betreten der Bühne nicht zuerst über das eine Bein fallen, mit rudernden<br />
Armen sich scheinbar fangen, um dann über das andere Bein zu stolpern?<br />
Wortschwall, rasche Silben, Zungenakrobatik<br />
Andere Figuren sprechen ohne Unterlass. Die Sprache sprudelt nur so aus<br />
ihnen hervor. Manche haben so viel zu erzählen, dass der Zuhörer ihrem<br />
Wortschwall nicht mehr folgen kann – und sie somit gar nichts erzählen.<br />
Intention und Ausführung stehen hier im direkten Widerspruch zueinander.<br />
Oftmals haben sie auch gar nichts zu sagen, wollen nur gelehrt oder<br />
wichtig erscheinen. Der 8. Narr des Basilisco di Bernagasso (Nr. 12) beispielsweise<br />
fährt all sein Gelehrten- und Weltwissen auf, nur um zu sagen,<br />
dass er gestolpert ist. Bereits der Dottore der Commedia dell’Arte holt<br />
gerne weit aus und macht aus einer alltäglichen Mücke einen philosophisch-theoretischen<br />
Elefanten. Abgesehen davon, dass die in solchen<br />
Reden vollzogenen Schlüsse meist Fehlschlüsse sind, sind die Ausführungen<br />
unnötig. Der Aufwand, den die Figuren betreiben, ist unzweckmäßig,<br />
die Differenz zwischen angemessenem und gemachtem Aufwand enorm.<br />
Gesprochen wird ohne zu überlegen. Rasend schnell, wie aus der Pistole<br />
werden die Wörter abgefeuert; mechanisch schießen sie hervor. Einige
Figuren mögen ihrer Worte Herr sein, andere unterliegen dem eigenen<br />
Worthagel wie Nestroys Kappenstiefel (Nr. 22), der so oft den »Papa«<br />
zitiert, bis er sich in ihm verheddert. Ähnlich wird auch Kurt Schwitters’<br />
Handelsvertreter (Nr. 28) Opfer eines schnellen Sprechtempos und seiner<br />
»Fafafa-Farben«: Er beginnt zu stottern und stellt sich somit in die Tradition<br />
des Tartaglia, des italienischen Stotterers. Hier siegt die Mechanik<br />
über die Bedeutung. Wörter erscheinen in ihrer Lautlichkeit, als Material,<br />
das rhythmisiert werden will. Pausen sind zu setzen oder auch nicht, Wörter<br />
– vielleicht auch wahllos – herauszuheben oder im Schwall zu versenken.<br />
Tonhöhe, Lautstärke, Geschwindigkeit – alles kann zur Strukturierung<br />
des Textes verwendet werden, mit alledem kann Komik erzeugt und<br />
verschärft werden. Zum maschinell-sprachlichen Ausdruck können ständig<br />
wiederholende Gesten treten. Gestik und Mimik können aber auch<br />
kontrastierend eingesetzt werden. Wenn auch die anderen Figuren auf der<br />
Bühne die Rede als langweilig empfinden, für den Zuschauer im Parkett<br />
muss sie interessant bleiben, sich steigern und Unerwartetes bereithalten.<br />
Wenn dann der lange Atem abbricht, die Tirade doch ihr Ende findet, werden<br />
nicht nur die schnelle Zunge, sondern auch Timing und Einfallsreichtum<br />
beklatscht.<br />
Der Wortschwall dominiert zum Beispiel folgende <strong>Monologe</strong>:<br />
Nr. 12: Theater am Kärtnertor · Basilisco di Bernagasso oder Undanck<br />
ist der Welt ihr danck (8. Narr)<br />
Nr. 22: Johann Nepomuk Nestroy · Nagerl und Handschuh oder Die<br />
Schicksale der Familie Maxenpfutsch (Kappenstiefel)<br />
Nr. 27: Kurt Tucholsky · Ankunft (Lottchen)<br />
Nr. 28: Kurt Schwitters · Es kommt drauf an (Reisender)<br />
Nr. 32: Eugène Ionesco · Die kahle Sängerin (Der Feuerwehrhauptmann)<br />
15<br />
Geistreich-gewitzte Reden, wohlgesetzte Pointen<br />
Timing und Akzentuierung sind – wie oben bereits ausgeführt – für jedes<br />
pointierte Spiel notwendig. Zur Strukturierung werden Highlights mit Körper<br />
und Stimme gesetzt. Und doch wird unter der Pointe meist der sprachimmanente<br />
Witz verstanden. Im Gegensatz zum Attribut »ko misch« wird<br />
»witzig« durchweg positiv konnotiert. Eine Figur, die Witz hat, ist nie<br />
unfreiwillig komisch. Sie bringt uns vielmehr bewusst zum Lachen, sprüht<br />
vor Geist. Hier ein Aperçu, dort ein Aphorismus. Dass sich auch Figuren<br />
der Komödie des Bonmots bedienen, verwundert nicht, amüsieren uns doch
16<br />
auch im Alltag geistreiche Sentenzen. Ihnen wohnt immer Theatralität inne.<br />
Jede geistreich-witzige Aussage wird vor- und aufgeführt. In den Komödien<br />
Oscar Wildes beispielsweise spielen die Figuren auch voreinander Theater,<br />
inszenieren und stilisieren sich. Mit ihrem Witz versuchen sie sich zu übertrumpfen,<br />
denn Pointen, diese Spitzen, lassen sich hervorragend zu Sticheleien<br />
verwenden. Rededuelle (die freilich dem Leser dieses Buches entgehen)<br />
werden ausgefochten und logische Argumente weichen dem schlagfertigen<br />
Wort.<br />
Diese Reden changieren zwischen Ernst und Unernst. Der Witz versieht<br />
den Inhalt mit einem Augenzwinkern. Widersinn, Doppelsinn und Kürze<br />
zeichnen ihn aus. Wer weit ausholt, verliert. Und mit wie viel mehr Esprit<br />
scheint eine Figur ausgezeichnet zu sein, die ihre Bonmots im Vorbeigehen<br />
fallen lässt, so als wäre es nichts, nur eine kleine spontane Bemerkung.<br />
Und doch will das Bonmot gehört werden und Bedeutung erlangen. Das<br />
Understatement wird hier zum Teil der Selbstinszenierung der Figuren.<br />
Das Künstliche und Künstlerische wird zur Natur der wahrhaft Witzigen,<br />
der Truewits, die dieses Spiel stilsicher in seiner reinsten Form beherrschen;<br />
vgl. zum Beispiel:<br />
Nr. 4: Ben Jonson · Epicoene oder Die stumme Braut (Truewit)<br />
Nr. 9: William Congreve · Der Lauf der Welt (Mrs. Millamant)<br />
Nr. 10: William Congreve · Der Lauf der Welt (Mr. Mirabell)<br />
Nr. 24: Oscar Wilde · Ein idealer Ehemann (Miss Mabel Chiltern)<br />
*<br />
Gestik, Mimik, Sprechtempo und -rhythmik gehen freilich meist Hand in<br />
Hand. An sprachlichem Witz mangelt es nahezu keinem der hier abgedruckten<br />
<strong>Monologe</strong> (obgleich ihn viele Figuren nicht besitzen). Manche<br />
Texte bedienen sich auch des Wort- und Sprachspiels (wie Ernst Jandls die<br />
humanisten (Nr. 37) oder Herbert Achternbuschs Sintflut (Nr. 39)). Ebenso<br />
können Akzent und Dialekt zur Komik beitragen (wie in Thomas Hürlimanns<br />
Der Franzos im Ybrig (Nr. 47), Molières Scapinos Gaunerstreiche<br />
(Nr. 7), Valentins und Karlstadts Kreszenz Hiagelgwimpft (Nr. 25), in<br />
Franz Xaver Kroetz’ Hilfe, ich werde geheiratet! (Nr. 35) oder Dario Fos<br />
Elisabeth – zufällig eine Frau (Nr. 40). Bereits Arlecchino spricht bergamesken<br />
Dialekt. Dem Schauspieler steht es natürlich frei, Texte in die eigene<br />
Mundart zu übertragen und somit eine weitere Facette seines Könnens<br />
zu zeigen. Akribische Texttreue ist hier fehl am Platz. Gerade <strong>Monologe</strong>,<br />
in denen Mimik, Gestik und Bewegung vordergründig sind, bedürfen oftmals<br />
auch der zusätzlichen sprachlichen Ausgestaltung. Wenn sich Haf-
ners Hanswurst (Nr. 18) eine Ohrfeige vom Gesicht wischt, liegt es nahe,<br />
dass seine Anstrengungen von Worten, Seufzern und Ausrufen begleitet<br />
werden. Viele der hier abgedruckten Texte bieten überdies die Möglichkeit<br />
zur Improvisation, die auch heute nicht nur auf den Probenprozess<br />
beschränkt bleibt, sondern zur Aufführungspraxis gehört und häufig von<br />
komischen Elementen geprägt ist. Neben Impro-Theater wie dem Theatersport,<br />
bei dem zwei Mannschaften mit zumeist komischen Improvisationen<br />
um die Gunst des Publikums streiten, dem hieraus hervorgegangenen<br />
Fernsehformat der Improvisationscomedy wie Schillerstraße oder Frei<br />
Schnauze oder Performance Theater, wie es beispielsweise She She Pop<br />
praktiziert, sind Improvisationen auch im »klassischen« Sprechtheater zu<br />
sehen. Sie ermöglichen es, auf das Publikum und sein Feedback zu reagieren.<br />
In ihnen kann das aktuelle Tagesgeschehen kommentiert, der Zu -<br />
schauer ins Spiel integriert und eine offene, da kontingente Theatersituation<br />
geschaffen werden. Das Aufbrechen des Handlungskontexts wird<br />
dabei häufig schon als komisch empfunden.<br />
17<br />
Pickelhering, Hanswurst, Staberl, Arlecchino, Brighella, Truffaldino – lauter<br />
Männernamen. Unter den bekannten Masken und stehenden Rollen<br />
finden sich kaum weibliche. Die Männer haben hier über weite Strecken die<br />
Oberhand. Dass in patriarchalischen Gesellschaften, in Zeiten, in denen<br />
der männliche Blick dominiert und Geschlechterdifferenzen aufrechterhalten<br />
und gefestigt werden, Frauen auch auf der Bühne wenig zu sagen haben,<br />
verwundert kaum. Das derb-komische Spiel ist es vor allem, das den Frauen<br />
untersagt bleibt. Verfressen-gierige oder geile Frauen scheinen den<br />
Publikumsgeschmack nicht zu treffen. Heute sehen wir auf dem Bildschirm<br />
und im Theater Frauen eher gleichberechtigt neben Männern agieren −<br />
obwohl auch hier Frauen lange nur als Partnerinnen Anerkennung fanden.<br />
Die Komik Karl Valentins war auch immer die Liesl Karlstadts, und die<br />
Sketche und Filme Loriots wären ohne Evelyn Hamann undenkbar gewesen.<br />
Aber Frauen holen auf, nicht nur auf dem Theater, sondern auch in der<br />
Comedy, in den Sitcoms und auf Poetry Slams.<br />
Im zeitgenössischen Theater, das sich längst nicht mehr als Verlebendigung<br />
literarischer Werke versteht, kann Komik überall gegenwärtig sein.<br />
Ob Sophokles’ Antigone, Corneilles Cid oder Schillers Wallenstein – alles<br />
kann komisch inszeniert werden. Komik ist ein Instrument unter anderen,<br />
das dem Regisseur und dem Schauspieler zur Interpretation auch nicht<br />
komischer Texte zur Verfügung steht. Mit ihrer Hilfe können Bedeutungsschichten<br />
freigelegt oder hinzugefügt, die Vorlage kommentiert oder
18<br />
Figuren charakterisiert werden. Ernstes und <strong>Komische</strong>s müssen sich nicht<br />
immer gegenüberstehen. In ein Buch betitelt mit 55 komische <strong>Monologe</strong><br />
können freilich nur literarische Vorlagen aufgenommen werden. Die<br />
Bedeutung von Komik im Inszenierungsprozess nicht-komischer Texte<br />
sollte aber nicht unterschätzt oder gar übersehen werden, denn auch dort<br />
ist komisches Talent gefragt.<br />
Was die avancierte zeitgenössische Dramatik betrifft, so erschließt sich<br />
die Komik nicht immer auf den ersten Blick. Viele Texte sind nicht primär<br />
bzw. zwangsläufig komisch; das <strong>Komische</strong> ist abhängig von der Interpretation.<br />
Und auch hier gehen Lachen, Erschütterung und Betroffenheit<br />
häufig eine enge Liaison ein, wie in Zaimoglus und Senkels Schwarze<br />
Jungfrauen (vgl. Nr. 55) oder in den Stücken Werner Schwabs (vgl. Nr. 45<br />
und Nr. 46). Dennoch gibt es sie, die offensichtliche, schreiende Komik.<br />
Sie ist es, die wir vor allem einzufangen versucht haben. Lustige Typen wie<br />
der Hanswurst, der Pickelhering oder der Arlecchino finden sich in zeitgenössischen<br />
Theatertexten aber kaum mehr. Auch der Schauspieler, der<br />
auf eine einzige Figur spezialisiert ist, ist mit den stehenden Rollen und<br />
einer veränderten Bühnenpraxis verschwunden.<br />
Den Komödianten gibt es heute im Staats- und Stadttheater kaum mehr,<br />
ebenso wenig wie den Tragöden. Der Schauspieler wird heute auf vielen<br />
verschiedenen Gebieten gefordert. Dieses Buch konzentriert sich auf das<br />
komische Spiel und möchte angehenden, aber auch erfahrenen Schauspielerinnen<br />
und Schauspielern Texte an die Hand geben, mit deren Hilfe die<br />
eine oder andere Facette des schauspielerischen Talents entdeckt, verbessert<br />
und im Vorsprechen präsentiert werden kann. Wir wünschen beim<br />
Lesen und Üben viel Spaß und Erfolg auf der Bühne.<br />
Josef Bairlein und das Team<br />
*<br />
Für eine wunderbare Zusammenarbeit danke ich Franziska Betz, Johannes<br />
Lachermeier und Berenika Szymanski, die <strong>Monologe</strong> aufgespürt, einleitende<br />
Texte verfasst und mit viel Witz und Sachverstand zu diesem Buch<br />
beigetragen haben. Danken möchte ich insbesondere auch Anke Roeder,<br />
von der ich lernen durfte.
19<br />
1 Aristoteles: Poetik. Griechisch/Deutsch. Übersetzt und herausgegeben von Manfred Fuhrmann. Stuttgart:<br />
Philipp Reclam jun. 1994, S. 17.<br />
2 Immanuel Kant: Anthropologie in pragmatischer Hinsicht. In: Ders.: Werke in sechs Bänden. Darmstadt:<br />
Wissenschaftliche Buchgesellschaft 1998, Bd. 6, S. 395–690; S. 537f. (§ 51).<br />
3 Arthur Schopenhauer: Die Welt als Wille und Vorstellung. München: Deutscher Taschenbuch Verlag 1998,<br />
Bd. 2, S. 108.<br />
4 Vgl. Wolfgang Iser: Das <strong>Komische</strong> – ein Kipp-Phänomen. In: Wolfgang Preisendanz/Rainer Warning (Hg.):<br />
Das <strong>Komische</strong>. Poetik und Hermeneutik VII. München: Wilhelm Fink Verlag 1976, S. 398–402.<br />
5 Thomas Hobbes: Vom Menschen, Vom Bürger. Elemente der Philosophie II/III. Eingeleitet und herausgegeben<br />
von Günter Gawlick. Neuausgabe auf der Grundlage der Übersetzung von Max Frischeisen-Köhler.<br />
Hamburg: Meiner 1994, S. 33.<br />
6 Friedrich Schiller: Die Schaubühne als eine moralische Anstalt betrachtet. In: Ders.: Sämtliche Werke in 5<br />
Bänden. Herausgegeben von Jost Perfahl. Düsseldorf/Zürich: Artemis & Winkler 1995, Bd. 5, S. 92–101;<br />
S. 95.<br />
7 William Shakespeare: Wie es euch gefällt. Übersetzt von August Wilhelm Schlegel. In: Ders.: Sämtliche<br />
Werke in drei Bänden. Düsseldorf/Zürich: Artemis & Winkler 2001, Bd. 1, S. 671–749; S. 700.<br />
8 Joachim Ritter: Über das Lachen. In: Ders.: Subjektivität. Sechs Aufsätze. Frankfurt am Main: Suhrkamp<br />
1974, S. 62–92; S. 77.<br />
9 Ebd., S. 76.<br />
10 Siegmund Freud: Der Witz und seine Beziehung zum Unbewussten. In. Ders.: Gesammelte Werke. Herausgegeben<br />
von Anna Freud u.a. Frankfurt am Main: S. Fischer Verlag 1978, Bd. 6, S. 216.<br />
11 Henri Bergson: Das Lachen. Ein Essay über die Bedeutung des <strong>Komische</strong>n. Aus dem Französischen von Roswitha<br />
Plancherel-Walter. Frankfurt am Main: Luchterhand 1988, S. 28.<br />
12 Ebd., S. 25.<br />
13 Vgl. ebd., S. 44f.<br />
14 Vgl. Immanuel Kant: Kritik der Urteilskraft. Hamburg: Felix Meiner 2001, S. 228ff. (§ 54).
55<br />
komische<br />
<strong>Monologe</strong>
22<br />
Aristophanes (ca. 445–385 v. Chr.)<br />
Die Wolken<br />
Uraufführung: 423 v. Chr.<br />
1 Strepsiades, ein attischer Bauer<br />
Szene: Prolog<br />
Ort: Straße in Athen mit den Häusern des Strepsiades und des Sokrates. Morgendämmerung<br />
Strepsiades ist in Schwierigkeiten. Die Schulden türmen sich und der Termin der Rückzahlung<br />
rückt immer näher. Verantwortlich für diese Misere ist sein eigener Sohn, Pheidippides, der als<br />
Pferdeliebhaber auf großem Fuß lebt. Doch der attische Großbauer hat eine Idee: Er begibt sich<br />
in die Schule des Sokrates, um sich zum gewandten Redner ausbilden zu lassen und seine Gegner<br />
im Gerichtsprozess zu schlagen. Sokrates und seine Jünger nämlich »lehren dich fürs Geld<br />
die Kunst, mit Worten / Recht und Unrecht siegreich zu verfechten«. Da er aber als unbelehrbar<br />
nicht in den Kreis der Schüler aufgenommen wird, muss nun sein Sohn beim Philosophen studieren.<br />
Pheidippides wird mit sophistischen Reden zwar die Gläubiger vertreiben, aber ebenso<br />
seine Prügel am Vater rechtfertigen.<br />
Im Mittelpunkt der Komödie stehen Erziehung und Bildung. Im Prolog schildert Strepsiades, wie<br />
es mit ihm und seinem Sohn, dessen Name (übersetzt »Sparrösschen«) einen lauen Kompromiss<br />
zwischen der Sparsamkeit des Vaters und der Geltungssucht der Mutter darstellt, so weit kommen<br />
konnte. Koisyra, seine verschwenderische Frau, hat Strepsiades zufolge den Sohn verdorben.<br />
STREPSIADES<br />
Für sich: Verdammte Kupplerin, die mich beschwatzt,<br />
Daß ich zum Weibe deine Mutter nahm!<br />
Das schönste Leben hatt ich auf dem Lande:<br />
Auf fauler Haut und recht im Speck und Dreck,<br />
Behaglich unter Honig, Woll und Trestern!<br />
Da nahm ich, Bauer, aus dem Haus Megakles<br />
Megakles’ Nichte, städtisch, üppig, stolz<br />
Und flott, die eingefleischte Koisyra:<br />
Als ich mit der das Hochzeitsbett bestieg,<br />
Roch ich nach Hefe, Käs und schmutz’ger Wolle,<br />
Sie nach Pomade, Schmink und Zungenküsschen,<br />
Verschwendung, Schlemmerei und Aphrodite.<br />
Faul war sie nicht, o nein, sie zettelte<br />
Am Webstuhl, und ich zeigt ihr oft mein Wams<br />
Und sprach verblümt: »Frau, du verzettelst viel!« […]<br />
Danach, als uns dies Söhnchen ward beschert,<br />
Will sagen, mir und meiner wackern Ehfrau,<br />
Gleich zankten wir uns über seinen Namen:<br />
Sie wollt’ ein »Hippos« dran, ’nen Ritternamen,<br />
Philipp, Charipp, Xanthipp, Kallipides,
23<br />
Ich, nach dem Großpapa: Pheidonides.<br />
Wir stritten hin und her, bis wir zuletzt<br />
Eins wurden, ihn Pheidippides zu nennen.<br />
Sie nahm ihn auf den Arm und streichelt’ ihn:<br />
»Wenn du mal groß bist und im Purpurrock<br />
Zur Stadt fährst wie Megakles –« – »Nein, wenn du<br />
Im Schafpelz«, fiel ich ein, »vom Phelleuswald<br />
Heim mit den Ziegen fährst, wie einst dein Vater –«<br />
Was half’s? Auf meine Lehren hört’ er nicht,<br />
Und hat mir nun auch Hab und Gut verrösselt.<br />
William Shakespeare (1564–1616)<br />
Zwei Herren aus Verona<br />
Entstanden zwischen 1590 und 1598<br />
2 Julia, die Geliebte des Proteus<br />
Szene: 1. Akt, 2. Szene<br />
Julia ist eine der vier Figuren der Zwei Herren aus Verona, die in das zentrale Beziehungsgeflecht<br />
aus Freundschaft und Liebe eingewoben sind. Während Valentine die Stadt verlässt, bleibt Proteus<br />
zunächst noch durch die angebetete Julia an Verona gebunden. Auf väterlichen Befehl hin<br />
macht aber auch er sich schließlich nach Mailand auf. In der neuen Stadt verlieben sich die beiden<br />
Freunde in Silvia. Julia ist beim unbeständigen Proteus vergessen und abgeschrieben –<br />
ebenso wie der ehemals so innige Freund Valentine. Von Silvia aufgrund des Freundschaftsbruchs<br />
zurückgewiesen, versucht Proteus nun, diese mit Gewalt zu nehmen. Valentine greift ein,<br />
Proteus bereut den Freundschaftsbruch und erhält von Valentine als Zeichen der wiederhergestellten<br />
Freundschaft Silvia als Geschenk. Er lehnt ab. Julia, die verkleidet als Stephan in die<br />
Dienste Proteus’ getreten ist, gibt sich zu erkennen und findet in Proteus abermals ihren Liebhaber.<br />
Man mag in dieser Auflösung ein frauenfeindliches Happy End erkennen, ein Lob der beständigen<br />
Männerfreundschaft, hinter der Liebe und Sexualität zurückstehen und deren Verletzung<br />
weitaus schwerer wiegt als versuchte Vergewaltigung. Man kann sie aber auch als Parodie auf<br />
ebendieses Freundschaftsideal lesen oder inszenieren. Ob man die Hymne der Freundschaft und<br />
die dem Stück zugrundeliegende Problematik nun ernst nimmt oder nicht, Shakespeares Werk<br />
ist eine Komödie mit allerhand komischen Szenen, mit tölpelhaften Dienern und witzigen Wortspielen.<br />
Julia hat soeben von ihrem Kammermädchen Lucetta einen Liebesbrief Proteus’ erhalten. Doch<br />
sie öffnet ihn nicht und wirft der Überbringerin Kuppelei vor; sie solle den Brief dorthin zurückbringen,<br />
wo sie ihn herhabe. Dabei will sie eigentlich nichts sehnlicher als Proteus’ Liebesworte<br />
lesen, was sie sich vor ihrem Kammermädchen aber nicht einzugestehen traut. Um den Schein<br />
des Anstandes zu wahren, zerreißt sie schließlich sogar den geliebten Brief. Jetzt steht sie vor den<br />
Fetzen, einzelnen unzusammenhängenden Worten, und sie spielt damit, als ob sie keine Worte,<br />
sondern Proteus und sich in Händen hielte. Lucetta hat sie längst durchschaut: »Sie tut ganz kühl<br />
und wär dabei entzückt, / Wenn sie um noch ’nen Brief sich ärgern könnt.«
24<br />
JULIA (sammelt die Fetzen auf)<br />
Ach, könnt ich mich nur über den da ärgern!<br />
Hände, ich hass euch; Liebesgruß zerreißen …!<br />
Wespen, gemeine, erst süß Honig saugen<br />
Und dann die Biene morden, die ihn gab!<br />
Ein jedes Fitzelchen küß ich, zur Buße.<br />
Schau, da steht: »liebe Julia«: un-liebe Julia!<br />
Und gleich zur Strafe deines Undanks werf<br />
Ich deinen Namen auf den schroffen Stein,<br />
Trampel verächtlich deinen Hochmut platt.<br />
Und hier, hier les ich »liebeswunder Proteus«.<br />
Todwunder Name, du: mein Busen, wie ein Bett<br />
Soll dich behausen, bis die Wunde heilt;<br />
Und so kurier und pfleg ich sie im Kuss.<br />
Doch zweimal oder dreimal stand da »Proteus«:<br />
Schweig still, Wind, guter, blas kein Wort davon,<br />
Dass ich jeds Stückchen Schrift im Schriftstück find,<br />
Nur meinen Namen nicht: den trag ein Wirbelsturm<br />
Fort auf ein schreckenssteiles Felsenriff<br />
Und wasch ihn tief hinab ins Brodelmeer.<br />
Schau, in der Zeile hier zweimal sein Name:<br />
»Einsamer Proteus«, »sehnsüchtiger Proteus«.<br />
»Der süßen Julia«: das da reiß ich ab.<br />
Und trotzdem, lieber nicht, wo er’s so hübsch<br />
Ja paart mit seinem jammervollen Namen.<br />
So falt ich sie dann einen auf den andern.<br />
Umarmt euch jetzt, küsst, kämpft, tut, was ihr wollt.<br />
3 Lanz, der närrische Diener des Proteus<br />
Szene: 2. Akt, 3. Szene<br />
Lanz und sein Hund Mies sind ein komisch-kontrastreiches Paar. Der eine flennt und flennt, der<br />
andere bringt nicht eine Träne heraus. Auch wenn Lanz seinen Hund ab und an recht mies findet,<br />
er hält immer zu ihm. Der Hund ist so ziemlich das Einzige, was Lanz besitzt, und das einzige<br />
»Familienmitglied«, von dem er sich nicht zu verabschieden braucht. Mies darf mit nach Mailand,<br />
wohin Lanz seinen Herren Proteus begleiten wird. Dieser hat eben noch tränenreich seiner<br />
edlen Julia Ade gesagt. Und jetzt spielt sein Diener Theater – eine Szene voller Geflenne, mit<br />
Schuhen, Stock und Hund, ein Theater auf dem Theater. Auch wenn Lanz als Regisseur so seine<br />
Schwierigkeiten mit der Rollenverteilung hat, erweisen sich die von ihm verwendeten Dinge<br />
doch als äußerst treffende Zeichen in einem pointierten Spiel.
25<br />
Lanz tritt auf mit seinem Hund Mies.<br />
LANZ<br />
Nein, also eine Stunde braucht’s noch, bis ich fertig geheult hab. Alle von<br />
uns Lanze sind auf dem Gebiet anfällig, ein Familienübel. Diesbezüglich<br />
hab ich satt mein wucherndes Pfund abgekriegt wie der verlogene Sohn,<br />
und geh jetzt mit Herrn Proteus zum Kaisernenhof. Ich denk manchmal,<br />
Mies, mein Hund, ist der miesest veranlagte Hund, was lebt: meine Mutter<br />
am Flennen, mein Vater am Schluchzen, meine Schwester am Wimmern,<br />
unsre Magd am Plärren; unsre Katze ringt die Hände, und der<br />
ganze Haushalt ein einziges Durcheinander; und vergießt doch dieser<br />
kaltherzige Köter keine Träne. Ein Stein ist der, ein wahrer Kieselstein,<br />
und nicht mehr Mitgefühl im Leib als ein Hund. Ein Jud hätt geweint,<br />
hätt er unsern Abschied gesehn. Ja, meine Großmutter, was keine Augen<br />
mehr hat, sehn Sie, hat sich blind geweint bei meinem Aufbruch. Nein,<br />
also ich führ’s Ihnen vor, wie’s zuging. Der Schuh da ist mein Vater. Nein,<br />
dieser linke Schuh ist mein Vater; nein, nein, dieser linke Schuh ist meine<br />
Seele von Mutter; nein, so kann’s auch nicht sein. Ja, doch, jawoll, so<br />
stimmt’s, so stimmt’s: der hat die ausgelatschtere lose Sohle. Also: dieser<br />
seelenlose Schuh mit dem ausgelatschten Loch ist meine Mutter; und der<br />
da mein Vater. Kruzitürken, jawohl, da hätten wir’s. Nun, Herrschaften,<br />
aber jetzt dieser Stock da ist meine Schwester; denn, wie könnt’s anders<br />
sein, sie ist wie eine Lilie so wächsern und gewachsen wie eine Gerte. Da<br />
der Hut ist Nanni, unsre Magd. Ich bin der Hund. Nein, der Hund ist er<br />
selber, und ich bin der Hund. Jetzt nein, der Hund ist ich, und ich bin ich<br />
selber. Jawoll, gut, gut. Jetzt komm ich zum Vater: »Vater, deinen<br />
Segen.« Jetzt dürft der Schuh kein Wort sagen vor Geflenne; jetzt müsst<br />
ich meinen Vater küssen; also, der heult weiter; jetzt komm ich zu meiner<br />
Mutter. Oh, dass sie jetzt reden könnt wie ein Waschweib! Also, ich<br />
küss sie. Na also, da hätten wir’s: das ist der Atem meiner Mutter, pftpfff.<br />
Jetzt komm ich zu meiner Schwester: Acht geben, wie sie wimmert.<br />
Jetzt aber der Hund, die ganze Zeit vergießt der keine Wimper; äußert<br />
kein Wort; und seht aber, wie ich den Pflasterstaub mit Tränen wässere.
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ISBN 978-3-89487-836-8<br />
Welche Wege in den Schauspielberuf gibt es? Wie bereitet man sich auf Vorsprechen<br />
und Castings vor? Wie werden Texte erarbeitet? Wie lassen sich Blockaden und<br />
Ängste bewältigen? Und was unterscheidet das Bühnenspiel von dem Spiel vor der<br />
Kamera? Dieses Buch gibt eine praktische sowie einfühlsame Anleitung dazu, wie<br />
der Weg in die Schauspielerei selbstbewusst eingeschlagen werden kann.<br />
Durch ihre langjährige Erfahrung als erfolgreiche Schauspielerin und Coachin<br />
hat Mieke Schymura einen direkten Zugang zu den Fragen angehender Schauspieler:innen.<br />
Sie liefert konkrete Anleitungen und gibt hilfreiche Tipps zum<br />
Beispiel für den Umgang mit Blockaden, Ängsten und (negativem) Feedback.
Das Handwerk des Schauspielens<br />
erlernen und trainieren<br />
Stephan Richter<br />
Schauspieltraining<br />
Ein Handbuch für die Aus- und Weiterbildung<br />
208 Seiten<br />
ISBN 978-3-89487-850-4<br />
Stephan Richters Übungsbuch führt in das Handwerk des Schauspielens ein und<br />
ist mittlerweile zu einem Klassiker des Schauspieltrainings geworden. Das Buch<br />
liefert eine handhabbare Struktur für angehende oder bereits im Beruf stehende<br />
Schauspieler:innen, mittels derer sie in ihrer täglichen Arbeit effektiv und beständig<br />
arbeiten können. Gleichzeitig dient es als ideale Arbeitsgrundlage für all jene, die<br />
Schauspieler:innen anleiten möchten.<br />
Für diese erweiterte Ausgabe hat der erfahrene Dozent, Coach, Regisseur und<br />
Schauspieler 50 neue Übungen aus seiner langjährigen Berufspraxis ergänzt. Darüber<br />
hinaus gibt das Handbuch einen praktischen Überblick zu wichtigen Arbeitsbegriffen<br />
und ist damit ein perfekter Begleiter für das Selbststudium oder den<br />
Unterricht.
Von Aristophanes bis Zaimoglu − komische <strong>Monologe</strong><br />
für Rollenarbeit, Aufnahmeprüfung und Vorsprechen<br />
55 ausgewählte Texte speziell zum komischen Spiel<br />
Ausführliche Darstellung der verschiedenen Spielarten des<br />
<strong>Komische</strong>n<br />
Mit einleitenden Kommentaren zur schnellen Orientierung<br />
über Stück, Situation und Rolle<br />
Mit einem umfangreichen Verzeichnis weiterer Rollenvorschläge<br />
ISBN 978-3-89487-621-0<br />
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www.henschel-verlag.de