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Komische Monologe

9783894876210

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Josef Bairlein 55<br />

komische<br />

MONOLOGE<br />

Zum Vorsprechen, Studieren<br />

und Kennenlernen<br />

H E N S C H E L


55 komische <strong>Monologe</strong>


55 komische <strong>Monologe</strong><br />

Zum Vorsprechen, Studieren<br />

und Kennenlernen<br />

Herausgegeben von Josef Bairlein<br />

Unter Mitarbeit von Franziska Betz,<br />

Johannes Lachermeier und Berenika Szymanski<br />

HENSCHEL


www.henschel-verlag.de<br />

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek<br />

Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen<br />

Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über<br />

http://dnb.ddb.de abrufbar.<br />

Die Verwertung der Texte und Bilder, auch auszugsweise, ist ohne<br />

Zustimmung des Verlags urheberrechtswidrig und strafbar. Dies<br />

gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen<br />

und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen.<br />

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hiermit Dritten ohne Zustimmung des Verlages untersagt ist.<br />

Die Schreibweise entspricht den Regeln der neuen Rechtschreibung.<br />

Die Originaltexte und Übersetzungen sind in der überlieferten Schreibweise<br />

beibehalten.<br />

ISBN 978-3-89487-621-0<br />

© 2008, 2024 Henschel Verlag<br />

in der E. A. Seemann Henschel GmbH & Co. KG, Leipzig<br />

Lektorat: Wibke Hartewig<br />

Umschlaggestaltung: Ingo Scheffler, Berlin<br />

Gestaltung und Satz: Grafikstudio Scheffler, Berlin<br />

Titelbild: Moritz Röhl als Truffaldino in Der Diener zweier Herren, Regie:<br />

Bert Bredemeyer, BredemeyerCompany Berlin 1999, hier Theatersommer<br />

am Kap, Rügen (Kap Arkona) 2000. © Jenny Baese, schriftBILD Berlin<br />

Druck und Bindung: MultiPrint Ltd.<br />

Printed in the EU


5<br />

Inhalt<br />

Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7<br />

<strong>Monologe</strong><br />

Aristophanes · Die Wolken · Strepsiades . . . . . . . . . . . . . . 22<br />

William Shakespeare · Zwei Herren aus Verona · Julia . . . . . . . . 23<br />

William Shakespeare · Zwei Herren aus Verona · Lanz . . . . . . . 24<br />

Ben Jonson · Epicoene oder Die stumme Braut · Truewit . . . . . . . 26<br />

Andreas Gryphius · Absurda Comica. Oder Herr Peter Squentz ·<br />

Pickelhäring/Pyramus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28<br />

Molière · Der Geizige · Harpagon . . . . . . . . . . . . . . . . . 31<br />

Molière · Scapinos Gaunerstreiche · Scapino . . . . . . . . . . . . 32<br />

Molière · Scapinos Gaunerstreiche · Zerbinette . . . . . . . . . . . 34<br />

William Congreve · Der Lauf der Welt · Mrs. Millamant . . . . . . . . 36<br />

William Congreve · Der Lauf der Welt · Mr. Mirabell . . . . . . . . . 37<br />

Josef Anton Stranitzky · Türckisch-bestraffter Hochmuth · Hans Wurst 39<br />

Theater am Kärtnertor · Basilisco di Bernagasso oder Undanck ist<br />

der Welt ihr danck · 8. Narr . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40<br />

Carlo Goldoni · Der Diener zweier Herren · Truffaldino . . . . . . . . 42<br />

Carlo Goldoni · Dritter Akt, erste Szene oder Das komische Theater ·<br />

Placida . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43<br />

Carlo Goldoni · Der Fächer · Signora Susanna . . . . . . . . . . . . 44<br />

Carlo Gozzi/Giorgio Strehler · Der Rabe · Arlecchino . . . . . . . . . 45<br />

Carlo Gozzi/Giorgio Strehler · Der Rabe · Brighella . . . . . . . . . 46<br />

Philipp Hafner · Der Furchtsame · Hanswurst . . . . . . . . . . . . 48<br />

August von Kotzebue · Die deutschen Kleinstädter · Frau Unter-<br />

Steuer-Einnehmerin Staar . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49<br />

Adolf Bäuerle · Die Bürger in Wien · Meister Staberl . . . . . . . . . 50<br />

Adolf Bäuerle · Doctor Faust’s Mantel · Rosel . . . . . . . . . . . 51<br />

Johann Nepomuk Nestroy · Nagerl und Handschuh oder Die<br />

Schicksale der Familie Maxenpfutsch · Kappenstiefel . . . . . . . . 53<br />

Anton Pavlovič Čechov · Tragöde wider Willen · Ivan Ivanovič Tolkačov . 54<br />

Oscar Wilde · Ein idealer Ehemann · Miss Mabel Chiltern . . . . . . . 56


6<br />

Liesl Karlstadt/Karl Valentin · Kreszenz Hiagelgwimpft · Kreszenz<br />

Hiagelgwimpft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57<br />

Klabund · XYZ · Y . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61<br />

Kurt Tucholsky · Ankunft · Lottchen . . . . . . . . . . . . . . . . 62<br />

Kurt Schwitters · Es kommt drauf an · Reisender . . . . . . . . . . 64<br />

Witold Gombrowicz · Yvonne, die Burgunderprinzessin · Königin<br />

Margarete . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66<br />

Thornton Wilder · Wir sind noch einmal davongekommen · Sabina . . 68<br />

Pablo Picasso · Wie man Wünsche beim Schwanz packt · Die Torte . . 70<br />

Eugène Ionesco · Die kahle Sängerin · Der Feuerwehrhauptmann . . . . 71<br />

Samuel Beckett · Endspiel · Nagg . . . . . . . . . . . . . . . . . 72<br />

Samuel Beckett · Glückliche Tage · Winnie . . . . . . . . . . . . . 74<br />

Franz Xaver Kroetz · Hilfe, ich werde geheiratet! · Dammerl . . . . . . 76<br />

Friedrich Karl Waechter · Schule mit Clowns · Wiesel . . . . . . . . 77<br />

Ernst Jandl · die humanisten · erster mann – m1 . . . . . . . . . . . . 79<br />

Jane Martin · Hören Sie mal · Schauspielerin . . . . . . . . . . . . . 81<br />

Herbert Achternbusch · Sintflut · Wasserhuhn . . . . . . . . . . . . 84<br />

Dario Fo · Elisabeth – zufällig eine Frau · Das Mensch . . . . . . . . 85<br />

Franca Rame/Dario Fo · Die dicke Frau · Mattea . . . . . . . . . . 87<br />

Christopher Durang · Gebrüllt vor Lachen · Die Frau . . . . . . . . . 89<br />

Heiner Müller · Wolokolamsker Chaussee . . . . . . . . . . . . . 91<br />

Neil Simon · Ein Gag für Max · Ira . . . . . . . . . . . . . . . . . 93<br />

Werner Schwab · Eskalation ordinär · Nieroster . . . . . . . . . . . 94<br />

Werner Schwab · Antiklima x · Mariedl . . . . . . . . . . . . . . . 96<br />

Thomas Hürlimann · Der Franzos im Ybrig · Foulon . . . . . . . . 97<br />

Enda Walsh · Der Ginger Ale Boy · Der Eismann . . . . . . . . . . . 99<br />

Theresia Walser · Kleine Zweifel · Wendla Teusch . . . . . . . . . . . 100<br />

Botho Strauß · Der Kuß des Vergessens · Ricarda . . . . . . . . . . 103<br />

Falk Richter · Gott ist ein DJ · Sie . . . . . . . . . . . . . . . . . 104<br />

Franzobel · Mayerling · Sisi . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 106<br />

Rebekka Kricheldorf · Prinzessin Nicoletta · Leonor . . . . . . . . . 108<br />

Fitzgerald Kusz · Witwendramen · D – 4. Witwe . . . . . . . . . . . 109<br />

Feridun Zaimoglu/Günter Senkel · Schwarze Jungfrauen . . . . . . 111<br />

Anhang<br />

Weitere Rollenvorschläge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114<br />

Quellenverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 120


7<br />

Einleitung<br />

I Komik – ein Grenzphänomen<br />

Der Begriff des <strong>Komische</strong>n scheint ein komischer Begriff zu sein. <strong>Komische</strong><br />

<strong>Monologe</strong>. Man könnte diesen Titel auch missdeuten und meinen, es<br />

handle sich um merkwürdige, mysteriöse oder ominöse, irgendwie seltsame<br />

<strong>Monologe</strong>. Eine zwielichtige, verdächtige Gestalt, ein eigenartig auffälliges<br />

Verhalten erscheint uns komisch. Zum Lachen ist uns dann meist<br />

nicht zumute. Ganz im Gegenteil. Und doch: Viele Figuren, über die wir<br />

lachen, sind auffällig, ungewöhnlich, verschroben und eigenartig. Der<br />

Hanswurst beispielsweise mit roter Jacke, gelber Hose, blauem Brustlatz<br />

mit grünem Herz und grünem Hut, mit Holzpritsche, großer Gestik und<br />

verzerrter Mimik.<br />

Komisch ist offenbar all das, was unserem Erwartungshorizont entgegensteht<br />

oder nicht im Einklang mit gewohnten Normen ist. Ein erwachsener<br />

Mann mit Schnuller im Mund ebenso wie eine dunkle, eingemummte<br />

Gestalt im Hochsommer. Dem <strong>Komische</strong>n scheint ein Widerspruch<br />

oder eine Abweichung zugrunde zu liegen, eine Inkongruenz,<br />

etwas Unvereinbares. In den Theorien der Komik, die oftmals auch Theorien<br />

des Lachens sind, wird dies immer wieder neu und immer wieder<br />

anders gefasst – als »ein mit Häßlichkeit verbundener Fehler« 1 oder als<br />

Paarung »heterogene[r] Vorstellungen, die oft nach dem Gesetze der Einbildungskraft<br />

(der Assoziation) weit auseinander liegen« 2 , als »plötzliche<br />

Wahrnehmung einer Inkongruenz zwischen einem […] Begriff und dem<br />

durch denselben gedachten realen Gegenstand, also zwischen dem Ab -<br />

strakten und dem Anschaulichen« 3 oder als Kipp-Phänomen, in dem sich<br />

widersprüchliche Positionen gegenseitig negieren. 4<br />

Komik erscheint vor diesem Horizont als ein Spiel mit Grenzen. Überall,<br />

wo Schranken gesetzt sind, kann sie auftreten. Dabei können zwei<br />

Arten von Grenzen unterschieden werden: eine, die zwischen unvereinbaren<br />

oder weit auseinander liegenden Elementen verläuft und im Lächerlichen<br />

überschritten wird, und eine weitere, die die Überschreitung selbst,<br />

die normverletzende Handlung vom regelgerechten Verhalten trennt. Wir


8<br />

lachen beispielsweise über einen Narren, der uns weiszumachen versucht,<br />

dass Hund und Katze das Gleiche sind; er ist komisch, weil er Unvereinbares<br />

zusammenbringt. Mit unserem Lachen wird aber eine zweite Grenze<br />

sichtbar: die zwischen dem <strong>Komische</strong>n und Gewohnten, dem Lächerlichen<br />

und Ernsten, zwischen Abweichung und Norm. An dieser zweiten Grenze<br />

kann Komik ihre affirmative oder subversive Kraft geltend machen.<br />

Subversion und Affirmation<br />

Komik kann feindlich gestimmt sein: frauenfeindlich, antisemitisch, rassistisch,<br />

feindlich gegen Homosexuelle, Migranten etc. Nicht jeder Witz ist<br />

»political correct«. Komik kann verletzen, beleidigen und herabsetzen. Für<br />

Thomas Hobbes beispielsweise ist Lachen »das plötzliche Gefühl der eigenen<br />

Überlegenheit angesichts fremder Fehler« 5 . Was als Fehler, Mangel<br />

oder Defizit angesehen wird, ist abhängig vom moralischen Empfinden des<br />

Einzelnen, vom Geschmack einer Epoche oder von gesellschaftlichen Normen.<br />

Im Verlachen des als inkongruent wahrgenommenen Verhaltens – beispielsweise<br />

»femininer« Gebärden bei einem Mann – werden die vorausgesetzten<br />

Widersprüchlichkeiten als solche bestätigt und die Norm – hier: ein<br />

Mann hat sich »männlich«, eine Frau »weiblich« zu geben – gefestigt. Diese<br />

Affirmation der Grenze (hier sowohl die Bestätigung der Inkongruenz als<br />

auch die Bekräftigung der Norm) kann einer Selbstaffirmation entsprechen;<br />

vielleicht vermag sie aber auch eine Erkenntnis und Korrektur der<br />

eigenen Fehler herbeizuführen, wie beispielsweise Friedrich Schiller glaubt,<br />

wenn er schreibt: »Sie [die Schaubühne] ist es, die der großen Klasse von<br />

Toren den Spiegel vorhält, und die tausendfachen Formen derselben mit<br />

heilsamem Spott beschämt.« 6 Gesellschaftliche Normen werden gefestigt,<br />

indem sie von Zeit zu Zeit verletzt und die hieraus resultierenden negativen<br />

Konsequenzen ins Bewusstsein gerufen werden. Jede Grenze muss überschritten<br />

werden, um als Grenze zu bestehen.<br />

Der Narr oder Tor tritt im Laufe der Geschichte immer wieder als Figur<br />

auf, die außerhalb der Gesellschaft steht. Als gottlos dämonisiert dient er<br />

der Abschreckung und hält somit die soziale Ordnung aufrecht. Im Mittelalter<br />

avanciert er zur teuflischen, anti-christlichen Gestalt. Noch in der<br />

Commedia dell’Arte zeugen Arlecchinos Hörnchen von dieser höllischen<br />

Herkunft. Der Narr leugnet Gott, kennt keine Gottes- noch Nächstenliebe,<br />

sondern ist nur auf sich selbst und seine Triebnatur fixiert, auf sein<br />

Abbild, das er als Puppe (Marotte) bei sich trägt oder in seinem Narrenspiegel<br />

erblickt.


Und doch dreht der Narr ab und zu den Spiegel um und hält ihn der Welt<br />

vor. Er ist dann ein weiser Narr. Seine Position außerhalb der Gesellschaft<br />

erlaubt es ihm, zu kritisieren und Regeln zu hinterfragen. In den Büttenreden<br />

des Karnevals beispielsweise sind diese Narren noch lebendig. Als Hofnarren<br />

hatten sie sogar politische Funktion. Sie allein waren es, die dem<br />

Herrscher ihre Meinung frei ins Gesicht sagen konnten; sie genossen Narrenfreiheit.<br />

»O wär ich doch ein Narr!«, wünscht Jaques in Shakespeares<br />

Wie es euch gefällt und führt vor dem Herzog aus:<br />

9<br />

»Dann muß ich Freiheit haben,<br />

So ausgedehnte Vollmacht wie der Wind –<br />

So ziemt es Narrn –, auf wen ich will zu blasen,<br />

Und wen am ärgsten meine Torheit geißelt,<br />

Der muß am meisten lachen. Und warum?<br />

Das fällt ins Auge wie der Weg zur Kirche.<br />

Der, den ein Narr sehr weislich hat getroffen,<br />

Wär wohl sehr töricht, schmerzt’ es noch so sehr,<br />

Nicht fühllos bei dem Schlag zu tun. Wo nicht,<br />

So wird des Weisen Narrheit aufgedeckt<br />

Selbst durch des Narren ungefähres Zielen.<br />

Steckt mich in meine Jacke, gebt mir frei<br />

Zu reden, wie mir’s dünkt: und durch und durch<br />

Will ich die angesteckte Welt schon säubern,<br />

Wenn sie geduldig nur mein Mittel nehmen.« (II, 7) 7<br />

Auch wenn der Narr korrigierend in die Gesellschaft einzugreifen vermag,<br />

so bleibt doch seine Position außerhalb dieser aufrechterhalten. Mithilfe<br />

des Narren können ausgegrenzte Elemente zwar in die gesellschaftliche<br />

Ordnung eingeführt und Grenzen verschoben werden, nicht aber aufgehoben.<br />

Lachen kann aber auch als tiefergehende Entgrenzung verstanden<br />

werden. So wird nach Joachim Ritter eine gesetzte Lebensordnung im<br />

Unernst verlassen, indem das Lächerliche, das der anerkannten Ordnung<br />

Entgegenstehende aufgesucht wird. Dieses Ausgegrenzte gehöre zum<br />

Lebensganzen, aber der jeweilige Ernst könne nur begreifen, was innerhalb<br />

der normierten Ordnung liegt. Diese »geheime Zugehörigkeit« 8<br />

werde aber im Spiel des <strong>Komische</strong>n, durch Anspielung und Zweideutigkeit,<br />

durch die Ineinssetzung des Ausgegrenzten und Gewöhnlichen aufgedeckt;<br />

das Ausgegrenzte werde »in der ausgrenzenden Ordnung selbst<br />

gleichsam als zu ihr gehörig sichtbar und lautbar« 9 .


10<br />

II. Das komische Spiel und seine Facetten<br />

Das Theater hat verschiedene Arten des komischen Spiels hervorgebracht.<br />

Dabei sind Typen und Figuren entstanden, stehende Rollen, die in verschiedenen<br />

Stücken auftauchen und die ein Schauspieler oftmals ein Leben<br />

lang verkörperte. Die vorliegende Anthologie versucht, die vielfältigen<br />

Facetten des <strong>Komische</strong>n, die oftmals eine ganz eigene schauspielerische<br />

Virtuosität fordern, zu fassen und dem angehenden oder bereits erfahrenen<br />

Schauspieler unterschiedliche Texte zum Studieren, Üben und Kennenlernen<br />

an die Hand zu geben.<br />

Dieses Buch konzentriert sich auf <strong>Monologe</strong> und kann insofern das<br />

komische Zusammenspiel nicht berücksichtigen. Gerade Dialog und<br />

Polylog besitzen aber im Reich des Komödiantischen ihren ganz eigenen<br />

Charakter: so etwa die Rededuelle, in denen sich die Figuren mit ihrem<br />

Witz zu übertrumpfen suchen, oder die handfesten Auseinandersetzungen,<br />

in denen Slapstick dominiert. All dies muss hier weitgehend außen<br />

vor bleiben, ebenso wie die durch Intrigen geschürte oder sich aus zufälligen<br />

Verwicklungen ergebende Handlungskomik. Verkleidung, Verstellung<br />

und Unwissenheit sind hier in der Dramaturgie des Stückes angelegt<br />

und entfalten losgelöst vom Rest der Handlung kaum komische Wirkung.<br />

Demgegenüber stehen viele komische Szenen aber für sich; es sind komische<br />

Einlagen, die mit der Handlung wenig oder nichts zu tun haben. Als<br />

Zwischenspiele dienen sie der Auflockerung des ernsten Geschehens, das<br />

wie in den Haupt- und Staatsaktionen des Altwiener Volkstheaters auch<br />

mal von der komischen Nebenhandlung in den Hintergrund gedrängt<br />

wird. Es sind zum Teil groteske Versatzstücke wie in der Commedia<br />

dell’Arte, die in jede Handlung integriert werden können.<br />

Wenn im Folgenden verschiedene Spielarten des <strong>Komische</strong>n vorgestellt<br />

werden, ist dies nicht als starre Klassifikation zu verstehen. Die Anforderungen,<br />

die ein Monolog an den Schauspieler bzw. die Schauspielerin<br />

stellt, sind vielfältig und hängen immer auch von der Interpretation des<br />

Einzelnen ab. Die Komik auf dem Theater lässt sich vielleicht in einzelne<br />

Aspekte gliedern und auf verschiedene Zeichensysteme aufteilen, in rein<br />

körperliche, semantische (sprachlicher Gehalt) oder paralinguistische Elemente<br />

(sprachbegleitende Phänomene wie Lautstärke, Gesten oder<br />

Sprechtempo). Zumeist ist es die Kombination dieser unterschiedlichen<br />

Aspekte, die komische Wirkung hervorruft, wie eine Vielzahl der hier versammelten<br />

<strong>Monologe</strong> demonstriert. Dennoch, was hier als Spielart oder


Facette bezeichnet wird, sind historisch gewachsene Arten des Spiels, die<br />

zu verschiedenen Zeiten an verschiedenen Orten und in verschiedener<br />

Gewichtung auftauchen; sie stellen unterschiedliche Anforderungen an<br />

den Schauspieler; ihre Übergänge freilich sind fließend.<br />

11<br />

Laute Gesten, große Mimik, Körper im Einsatz<br />

Der Schauspieler steht immer mit seinem Körper auf der Bühne. Ob er<br />

rasend durch den Raum läuft oder stillsteht, das Gesicht zur Grimasse verzerrt<br />

oder teilnahmslos vor sich hin starrt, mit Armen und Händen ausholt<br />

oder sie ermattet baumeln lässt – alles wird auf der Bühne zum Zeichen.<br />

Gestik, Mimik, Bewegung und Haltung verbinden sich zum körperlichen<br />

Ausdruck, ganz gleich, ob sie be wusst vom Schauspieler erzeugt oder zufällig<br />

ausgeführt werden. Im komödiantischen Spiel kann der Körper auf ganz<br />

eigene Weise verwendet werden. So kann beispielsweise die Diskrepanz<br />

zwischen Mimik und Gestik komische Effekte erzeugen. Auch übertrieben<br />

große Gesten können Lachen auslösen.<br />

Die Typen der Commedia dell’Arte beispielsweise oder ihre Nachfolger<br />

bei Molière, Goldoni oder Gozzi und im Altwiener Volkstheater zeichnen<br />

sich durch stereotype Haltungen aus, agieren demonstrativ mit großen<br />

Gesten oder tragen Masken und Halbmasken mit überzeichneten<br />

Gesichtszügen. Die komischen Masken – sie heißen Arlecchino, Truffaldino,<br />

Brighella, Pantalone, Dottore oder Capitano – sind Typen, keine<br />

individuellen Charaktere. Ihre Körperhaltung, ihre Mimik und Gestik<br />

bringen mit wenigen Zügen ihr gesamtes Wesen zum Ausdruck. Der geizige<br />

und geile alte Venezianer Pantalone beispielsweise (bei Molières Harpagon<br />

(Monolog Nr. 6) finden sich vergleichbare Wesenszüge) trippelt<br />

gierig vorn übergebeugt mit seinen dünnen Beinen auf und ab. Capitano,<br />

ein Maulheld (man mag in Stranitzkys Hans Wurst (Nr. 11) seinen Sprössling<br />

erkennen), brüstet sich als großer Soldat und drängt sich mit<br />

schwungvoll raumgreifenden Gesten ins Zentrum der Bühne.<br />

Die Commedia dell’Arte war eine Stegreifkomödie, die festgelegten<br />

Handlungsverläufe wurden größtenteils durch Improvisation oder Versatzstücke<br />

ausgefüllt. Die Dienerfiguren hatten dabei ihre Lazzi: clowneske,<br />

teils komisch-akrobatische Einlagen. Arlecchino beispielsweise hechtet<br />

einer Fliege hinterher. Immer wieder entkommt sie ihm, doch er gibt<br />

nicht auf. Arlecchino wird siegen und sein Festmahl bekommen. Entzückt<br />

sitzt er nun da und reibt sich den Bauch, während seine Zunge lustvoll<br />

über die angespannten Lippen gleitet. Mit aller Sorgfalt zerlegt er die


12<br />

erjagte Fliege, um anschließend mit großen Gesten genüsslich Schenkelchen<br />

für Schenkelchen zu verspeisen. Die Flügel − ein Hochgenuss. Einzeln<br />

werden dann noch die Finger ekstatisch-erregt abgeleckt.<br />

Folgende <strong>Monologe</strong> bieten sich zum Beispiel für den Einsatz übertriebener<br />

Mimik und Gestik an:<br />

Nr. 6: Molière · Der Geizige (Harpagon)<br />

Nr. 7: Molière · Scapinos Gaunerstreiche (Scapino)<br />

Nr. 11: Josef Anton Stranitzky · Türckisch-bestraffter Hochmuth<br />

(Hans Wurst)<br />

Nr. 13: Carlo Goldoni · Der Diener zweier Herren (Truffaldino)<br />

Nr. 14: Carlo Goldoni · Dritter Akt, erste Szene oder Das komische<br />

Theater (Placida)<br />

Nr. 15: Carlo Goldoni · Der Fächer (Signora Susanna)<br />

Nr. 16: Carlo Gozzi/Giorgio Strehler · Der Rabe (Arlecchino)<br />

Nr. 17: Carlo Gozzi/Giorgio Strehler · Der Rabe (Brighella)<br />

Nr. 18: Philipp Hafner · Der Furchtsame (Hanswurst)<br />

Nr. 29: Witold Gombrowicz · Yvonne, die Burgunderprinzessin<br />

(Königin Margarete)<br />

Nr. 40: Dario Fo · Elisabeth – zufällig eine Frau (Das Mensch)<br />

Nr. 48: Enda Walsh · Der Ginger Ale Boy (Der Eismann)<br />

Warum wir bei großen Gesten und übermäßigen Bewegungen lachen, versucht<br />

unter anderem Siegmund Freud zu erklären. Er versteht unter<br />

Komik das Ergebnis eines mit Lust einhergehenden Vergleichs. Dabei<br />

werde der Aufwand einer beobachteten Tätigkeit mit dem von uns vorgestellten<br />

oder erwarteten Aufwand in Beziehung gesetzt. Als Beispiel für<br />

Bewegungskomik führt Freud das pantomimische Spiel eines Clowns an:<br />

»Die Antwort, warum wir über die Bewegungen der Clowns lachen,<br />

würde lauten, weil sie uns übermäßig und unzweckmäßig erscheinen. Wir<br />

lachen über einen allzu großen Aufwand.« 10 Henri Bergson findet eine<br />

andere Erklärung und hat dabei vor allem die unfreiwillige Komik im<br />

Blick. Für ihn ist alles Lebendige im Fließen, es wird durchströmt von<br />

einer Lebenskraft. Das <strong>Komische</strong> liege im Stillstand des eigentlich dynamisch<br />

Lebendigen, in der Wiederholung. Körperliche wie geistige Trägheit<br />

werde von der Gesellschaft mit Lachen bestraft. In Bezug auf die Körperkomik<br />

heißt es in Das Lachen: »Komisch sind die Haltungen, Gebärden<br />

und Bewegungen des menschlichen Körpers genau in dem Maß, wie uns<br />

dieser Körper an einen gewöhnlichen Mechanismus erinnert.« 11 Und über<br />

die Grimasse schreibt Bergson: »Lächerlich wird also ein Gesichtsausdruck<br />

sein, wenn er uns an etwas Verkrampftes erinnert, an etwas im


gewöhnlich bewegten Mienenspiel Erstarrtes.« 12 Zwei Clowns, die immer<br />

wieder zusammenprallen, zu Boden fallen und wieder hoch springen, um<br />

von vorne zu beginnen, seien komisch, da man letztendlich in beiden nur<br />

noch Gummibälle, Dinge also, sähe. Und zwei Glatzköpfe, die unaufhörlich<br />

Stöcke aufeinander niedersausen lassen, würden in der Phantasie des<br />

Betrachters zu bloßen Holzpuppen, zu steifen Marionetten, denen es an<br />

Lebendig-Dynamischem mangele. 13 Was Bergson hier anspricht, kennen<br />

wir vor allem aus dem Film, von Buster Keaton oder Charlie Chaplin; es<br />

handelt sich um Slapstick, einer virtuosen Variante körperlicher Komik.<br />

13<br />

Slapstick<br />

Seinen Namen hat der Slapstick dem Schlagstock, eben dem »slap stick«,<br />

zu verdanken. Mit dieser Pritsche, bestehend aus zwei oder mehreren<br />

übereinanderliegenden Latten, wird selbst ein leichter Schlag von einem<br />

lauten Knall begleitet. Slapstick ist wortlos, oftmals gewaltreich und<br />

involviert meist Gegenstände wie Bananenschalen, fliegende Torten, in die<br />

Höhe schnellende Rechenstiele oder heimtückische Regenschirme. Figuren,<br />

die von Leitern oder Balken k.o. geschlagen werden oder mit ihnen<br />

im Arm am Türrahmen scheitern, kennt man nur zu gut aus den Verfolgungsjagden<br />

der Stummfilme oder von Tom und Jerry. Will man ein Feuerwerk<br />

des Slapsticks entzünden und Gag auf Gag folgen lassen, ist eine<br />

haargenaue Planung erforderlich, die auch die Publikumsreaktionen mit<br />

einbezieht, sowie eine sorgfältige Einstudierung, die einen treffsicheren<br />

Ablauf garantiert. Gut gemachter Slapstick gehört mit Sicherheit zu den<br />

schwierigeren Aufgaben eines Schauspielers. Körperbeherrschung und<br />

Timing sind hier das A und O.<br />

Am Beispiel des Slapsticks lässt sich das Spiel von Unerwartetem und<br />

Vorhersagbarem vorzüglich exemplifizieren. Plötzlichkeit und Überraschung<br />

werden häufig als Bedingung für Komik angesehen. Kant beispielsweise<br />

betrachtet die Auflösung gespannter Erwartung in Nichts als<br />

komisch. 14 Auch in Bergsons Konzept wird die Erwartung des Lebendig-<br />

Dynamischen enttäuscht, indem das Träge, sich Wiederholende eintritt.<br />

Im jährlich zu Silvester wiederholten Klassiker Dinner For One stolpert<br />

der Butler mehrmals hintereinander über den Kopf eines auf dem Boden<br />

ausgebreiteten Tigerfells. Wir lachen jedes Mal über James. Seine Trägheit,<br />

so könnte man mit Bergson formulieren, nimmt zu. Nach dem sechsten<br />

Zusammenstoß jedoch verfehlt er zufällig den Kopf, was ihn selbst<br />

verwundert, und nach zwei weiteren Karambolagen lernt er hinzu: Er hebt


14<br />

das Bein und macht einen großen Schritt über den Tigerkopf. Unsere<br />

gefestigte Erwartung wurde enttäuscht, James reagierte, und wir lachen –<br />

einmal gegen Bergson, denn das Träge verwandelte sich in Geistesgegenwart,<br />

und zugleich mit ihm und mit Freud, denn ein einfacher Schritt über<br />

den Kopf wäre wesentlich einfacher und ökonomischer gewesen. Dass<br />

James beim nächsten Mal wieder stolpert, ist in dieser ausgeklügelten Dramaturgie<br />

nur konsequent. Wir haben es hier mit einer Reihe von enttäuschten<br />

Erwartungen zu tun: Anstelle des Dynamischen erscheint das<br />

statisch Sich-Wiederholende, anstelle der Wiederholung dann die Variation.<br />

Komik spielt immer mit unseren Erwartungen, und wer sich des Slapsticks<br />

bedienen möchte, sollte dies besonders beachten.<br />

Zu den <strong>Monologe</strong>n, die explizit Slapstick beinhalten, gehören u.a.:<br />

Nr. 36: Friedrich Karl Waechter · Schule mit Clowns (Wiesel)<br />

Nr. 50: Botho Strauß · Der Kuss des Vergessens (Ricarda)<br />

Elemente des Slapsticks können vielerorts eingesetzt werden. Becketts<br />

Winnie (Nr. 34) könnte sich beispielsweise bereits beim Öffnen ihres<br />

Schirmes einen erbitterten Kampf mit dem tückischen Objekt liefern. Und<br />

warum sollte der 8. Narr aus dem Basilisco di Bernagasso (Nr. 12) beim<br />

Betreten der Bühne nicht zuerst über das eine Bein fallen, mit rudernden<br />

Armen sich scheinbar fangen, um dann über das andere Bein zu stolpern?<br />

Wortschwall, rasche Silben, Zungenakrobatik<br />

Andere Figuren sprechen ohne Unterlass. Die Sprache sprudelt nur so aus<br />

ihnen hervor. Manche haben so viel zu erzählen, dass der Zuhörer ihrem<br />

Wortschwall nicht mehr folgen kann – und sie somit gar nichts erzählen.<br />

Intention und Ausführung stehen hier im direkten Widerspruch zueinander.<br />

Oftmals haben sie auch gar nichts zu sagen, wollen nur gelehrt oder<br />

wichtig erscheinen. Der 8. Narr des Basilisco di Bernagasso (Nr. 12) beispielsweise<br />

fährt all sein Gelehrten- und Weltwissen auf, nur um zu sagen,<br />

dass er gestolpert ist. Bereits der Dottore der Commedia dell’Arte holt<br />

gerne weit aus und macht aus einer alltäglichen Mücke einen philosophisch-theoretischen<br />

Elefanten. Abgesehen davon, dass die in solchen<br />

Reden vollzogenen Schlüsse meist Fehlschlüsse sind, sind die Ausführungen<br />

unnötig. Der Aufwand, den die Figuren betreiben, ist unzweckmäßig,<br />

die Differenz zwischen angemessenem und gemachtem Aufwand enorm.<br />

Gesprochen wird ohne zu überlegen. Rasend schnell, wie aus der Pistole<br />

werden die Wörter abgefeuert; mechanisch schießen sie hervor. Einige


Figuren mögen ihrer Worte Herr sein, andere unterliegen dem eigenen<br />

Worthagel wie Nestroys Kappenstiefel (Nr. 22), der so oft den »Papa«<br />

zitiert, bis er sich in ihm verheddert. Ähnlich wird auch Kurt Schwitters’<br />

Handelsvertreter (Nr. 28) Opfer eines schnellen Sprechtempos und seiner<br />

»Fafafa-Farben«: Er beginnt zu stottern und stellt sich somit in die Tradition<br />

des Tartaglia, des italienischen Stotterers. Hier siegt die Mechanik<br />

über die Bedeutung. Wörter erscheinen in ihrer Lautlichkeit, als Material,<br />

das rhythmisiert werden will. Pausen sind zu setzen oder auch nicht, Wörter<br />

– vielleicht auch wahllos – herauszuheben oder im Schwall zu versenken.<br />

Tonhöhe, Lautstärke, Geschwindigkeit – alles kann zur Strukturierung<br />

des Textes verwendet werden, mit alledem kann Komik erzeugt und<br />

verschärft werden. Zum maschinell-sprachlichen Ausdruck können ständig<br />

wiederholende Gesten treten. Gestik und Mimik können aber auch<br />

kontrastierend eingesetzt werden. Wenn auch die anderen Figuren auf der<br />

Bühne die Rede als langweilig empfinden, für den Zuschauer im Parkett<br />

muss sie interessant bleiben, sich steigern und Unerwartetes bereithalten.<br />

Wenn dann der lange Atem abbricht, die Tirade doch ihr Ende findet, werden<br />

nicht nur die schnelle Zunge, sondern auch Timing und Einfallsreichtum<br />

beklatscht.<br />

Der Wortschwall dominiert zum Beispiel folgende <strong>Monologe</strong>:<br />

Nr. 12: Theater am Kärtnertor · Basilisco di Bernagasso oder Undanck<br />

ist der Welt ihr danck (8. Narr)<br />

Nr. 22: Johann Nepomuk Nestroy · Nagerl und Handschuh oder Die<br />

Schicksale der Familie Maxenpfutsch (Kappenstiefel)<br />

Nr. 27: Kurt Tucholsky · Ankunft (Lottchen)<br />

Nr. 28: Kurt Schwitters · Es kommt drauf an (Reisender)<br />

Nr. 32: Eugène Ionesco · Die kahle Sängerin (Der Feuerwehrhauptmann)<br />

15<br />

Geistreich-gewitzte Reden, wohlgesetzte Pointen<br />

Timing und Akzentuierung sind – wie oben bereits ausgeführt – für jedes<br />

pointierte Spiel notwendig. Zur Strukturierung werden Highlights mit Körper<br />

und Stimme gesetzt. Und doch wird unter der Pointe meist der sprachimmanente<br />

Witz verstanden. Im Gegensatz zum Attribut »ko misch« wird<br />

»witzig« durchweg positiv konnotiert. Eine Figur, die Witz hat, ist nie<br />

unfreiwillig komisch. Sie bringt uns vielmehr bewusst zum Lachen, sprüht<br />

vor Geist. Hier ein Aperçu, dort ein Aphorismus. Dass sich auch Figuren<br />

der Komödie des Bonmots bedienen, verwundert nicht, amüsieren uns doch


16<br />

auch im Alltag geistreiche Sentenzen. Ihnen wohnt immer Theatralität inne.<br />

Jede geistreich-witzige Aussage wird vor- und aufgeführt. In den Komödien<br />

Oscar Wildes beispielsweise spielen die Figuren auch voreinander Theater,<br />

inszenieren und stilisieren sich. Mit ihrem Witz versuchen sie sich zu übertrumpfen,<br />

denn Pointen, diese Spitzen, lassen sich hervorragend zu Sticheleien<br />

verwenden. Rededuelle (die freilich dem Leser dieses Buches entgehen)<br />

werden ausgefochten und logische Argumente weichen dem schlagfertigen<br />

Wort.<br />

Diese Reden changieren zwischen Ernst und Unernst. Der Witz versieht<br />

den Inhalt mit einem Augenzwinkern. Widersinn, Doppelsinn und Kürze<br />

zeichnen ihn aus. Wer weit ausholt, verliert. Und mit wie viel mehr Esprit<br />

scheint eine Figur ausgezeichnet zu sein, die ihre Bonmots im Vorbeigehen<br />

fallen lässt, so als wäre es nichts, nur eine kleine spontane Bemerkung.<br />

Und doch will das Bonmot gehört werden und Bedeutung erlangen. Das<br />

Understatement wird hier zum Teil der Selbstinszenierung der Figuren.<br />

Das Künstliche und Künstlerische wird zur Natur der wahrhaft Witzigen,<br />

der Truewits, die dieses Spiel stilsicher in seiner reinsten Form beherrschen;<br />

vgl. zum Beispiel:<br />

Nr. 4: Ben Jonson · Epicoene oder Die stumme Braut (Truewit)<br />

Nr. 9: William Congreve · Der Lauf der Welt (Mrs. Millamant)<br />

Nr. 10: William Congreve · Der Lauf der Welt (Mr. Mirabell)<br />

Nr. 24: Oscar Wilde · Ein idealer Ehemann (Miss Mabel Chiltern)<br />

*<br />

Gestik, Mimik, Sprechtempo und -rhythmik gehen freilich meist Hand in<br />

Hand. An sprachlichem Witz mangelt es nahezu keinem der hier abgedruckten<br />

<strong>Monologe</strong> (obgleich ihn viele Figuren nicht besitzen). Manche<br />

Texte bedienen sich auch des Wort- und Sprachspiels (wie Ernst Jandls die<br />

humanisten (Nr. 37) oder Herbert Achternbuschs Sintflut (Nr. 39)). Ebenso<br />

können Akzent und Dialekt zur Komik beitragen (wie in Thomas Hürlimanns<br />

Der Franzos im Ybrig (Nr. 47), Molières Scapinos Gaunerstreiche<br />

(Nr. 7), Valentins und Karlstadts Kreszenz Hiagelgwimpft (Nr. 25), in<br />

Franz Xaver Kroetz’ Hilfe, ich werde geheiratet! (Nr. 35) oder Dario Fos<br />

Elisabeth – zufällig eine Frau (Nr. 40). Bereits Arlecchino spricht bergamesken<br />

Dialekt. Dem Schauspieler steht es natürlich frei, Texte in die eigene<br />

Mundart zu übertragen und somit eine weitere Facette seines Könnens<br />

zu zeigen. Akribische Texttreue ist hier fehl am Platz. Gerade <strong>Monologe</strong>,<br />

in denen Mimik, Gestik und Bewegung vordergründig sind, bedürfen oftmals<br />

auch der zusätzlichen sprachlichen Ausgestaltung. Wenn sich Haf-


ners Hanswurst (Nr. 18) eine Ohrfeige vom Gesicht wischt, liegt es nahe,<br />

dass seine Anstrengungen von Worten, Seufzern und Ausrufen begleitet<br />

werden. Viele der hier abgedruckten Texte bieten überdies die Möglichkeit<br />

zur Improvisation, die auch heute nicht nur auf den Probenprozess<br />

beschränkt bleibt, sondern zur Aufführungspraxis gehört und häufig von<br />

komischen Elementen geprägt ist. Neben Impro-Theater wie dem Theatersport,<br />

bei dem zwei Mannschaften mit zumeist komischen Improvisationen<br />

um die Gunst des Publikums streiten, dem hieraus hervorgegangenen<br />

Fernsehformat der Improvisationscomedy wie Schillerstraße oder Frei<br />

Schnauze oder Performance Theater, wie es beispielsweise She She Pop<br />

praktiziert, sind Improvisationen auch im »klassischen« Sprechtheater zu<br />

sehen. Sie ermöglichen es, auf das Publikum und sein Feedback zu reagieren.<br />

In ihnen kann das aktuelle Tagesgeschehen kommentiert, der Zu -<br />

schauer ins Spiel integriert und eine offene, da kontingente Theatersituation<br />

geschaffen werden. Das Aufbrechen des Handlungskontexts wird<br />

dabei häufig schon als komisch empfunden.<br />

17<br />

Pickelhering, Hanswurst, Staberl, Arlecchino, Brighella, Truffaldino – lauter<br />

Männernamen. Unter den bekannten Masken und stehenden Rollen<br />

finden sich kaum weibliche. Die Männer haben hier über weite Strecken die<br />

Oberhand. Dass in patriarchalischen Gesellschaften, in Zeiten, in denen<br />

der männliche Blick dominiert und Geschlechterdifferenzen aufrechterhalten<br />

und gefestigt werden, Frauen auch auf der Bühne wenig zu sagen haben,<br />

verwundert kaum. Das derb-komische Spiel ist es vor allem, das den Frauen<br />

untersagt bleibt. Verfressen-gierige oder geile Frauen scheinen den<br />

Publikumsgeschmack nicht zu treffen. Heute sehen wir auf dem Bildschirm<br />

und im Theater Frauen eher gleichberechtigt neben Männern agieren −<br />

obwohl auch hier Frauen lange nur als Partnerinnen Anerkennung fanden.<br />

Die Komik Karl Valentins war auch immer die Liesl Karlstadts, und die<br />

Sketche und Filme Loriots wären ohne Evelyn Hamann undenkbar gewesen.<br />

Aber Frauen holen auf, nicht nur auf dem Theater, sondern auch in der<br />

Comedy, in den Sitcoms und auf Poetry Slams.<br />

Im zeitgenössischen Theater, das sich längst nicht mehr als Verlebendigung<br />

literarischer Werke versteht, kann Komik überall gegenwärtig sein.<br />

Ob Sophokles’ Antigone, Corneilles Cid oder Schillers Wallenstein – alles<br />

kann komisch inszeniert werden. Komik ist ein Instrument unter anderen,<br />

das dem Regisseur und dem Schauspieler zur Interpretation auch nicht<br />

komischer Texte zur Verfügung steht. Mit ihrer Hilfe können Bedeutungsschichten<br />

freigelegt oder hinzugefügt, die Vorlage kommentiert oder


18<br />

Figuren charakterisiert werden. Ernstes und <strong>Komische</strong>s müssen sich nicht<br />

immer gegenüberstehen. In ein Buch betitelt mit 55 komische <strong>Monologe</strong><br />

können freilich nur literarische Vorlagen aufgenommen werden. Die<br />

Bedeutung von Komik im Inszenierungsprozess nicht-komischer Texte<br />

sollte aber nicht unterschätzt oder gar übersehen werden, denn auch dort<br />

ist komisches Talent gefragt.<br />

Was die avancierte zeitgenössische Dramatik betrifft, so erschließt sich<br />

die Komik nicht immer auf den ersten Blick. Viele Texte sind nicht primär<br />

bzw. zwangsläufig komisch; das <strong>Komische</strong> ist abhängig von der Interpretation.<br />

Und auch hier gehen Lachen, Erschütterung und Betroffenheit<br />

häufig eine enge Liaison ein, wie in Zaimoglus und Senkels Schwarze<br />

Jungfrauen (vgl. Nr. 55) oder in den Stücken Werner Schwabs (vgl. Nr. 45<br />

und Nr. 46). Dennoch gibt es sie, die offensichtliche, schreiende Komik.<br />

Sie ist es, die wir vor allem einzufangen versucht haben. Lustige Typen wie<br />

der Hanswurst, der Pickelhering oder der Arlecchino finden sich in zeitgenössischen<br />

Theatertexten aber kaum mehr. Auch der Schauspieler, der<br />

auf eine einzige Figur spezialisiert ist, ist mit den stehenden Rollen und<br />

einer veränderten Bühnenpraxis verschwunden.<br />

Den Komödianten gibt es heute im Staats- und Stadttheater kaum mehr,<br />

ebenso wenig wie den Tragöden. Der Schauspieler wird heute auf vielen<br />

verschiedenen Gebieten gefordert. Dieses Buch konzentriert sich auf das<br />

komische Spiel und möchte angehenden, aber auch erfahrenen Schauspielerinnen<br />

und Schauspielern Texte an die Hand geben, mit deren Hilfe die<br />

eine oder andere Facette des schauspielerischen Talents entdeckt, verbessert<br />

und im Vorsprechen präsentiert werden kann. Wir wünschen beim<br />

Lesen und Üben viel Spaß und Erfolg auf der Bühne.<br />

Josef Bairlein und das Team<br />

*<br />

Für eine wunderbare Zusammenarbeit danke ich Franziska Betz, Johannes<br />

Lachermeier und Berenika Szymanski, die <strong>Monologe</strong> aufgespürt, einleitende<br />

Texte verfasst und mit viel Witz und Sachverstand zu diesem Buch<br />

beigetragen haben. Danken möchte ich insbesondere auch Anke Roeder,<br />

von der ich lernen durfte.


19<br />

1 Aristoteles: Poetik. Griechisch/Deutsch. Übersetzt und herausgegeben von Manfred Fuhrmann. Stuttgart:<br />

Philipp Reclam jun. 1994, S. 17.<br />

2 Immanuel Kant: Anthropologie in pragmatischer Hinsicht. In: Ders.: Werke in sechs Bänden. Darmstadt:<br />

Wissenschaftliche Buchgesellschaft 1998, Bd. 6, S. 395–690; S. 537f. (§ 51).<br />

3 Arthur Schopenhauer: Die Welt als Wille und Vorstellung. München: Deutscher Taschenbuch Verlag 1998,<br />

Bd. 2, S. 108.<br />

4 Vgl. Wolfgang Iser: Das <strong>Komische</strong> – ein Kipp-Phänomen. In: Wolfgang Preisendanz/Rainer Warning (Hg.):<br />

Das <strong>Komische</strong>. Poetik und Hermeneutik VII. München: Wilhelm Fink Verlag 1976, S. 398–402.<br />

5 Thomas Hobbes: Vom Menschen, Vom Bürger. Elemente der Philosophie II/III. Eingeleitet und herausgegeben<br />

von Günter Gawlick. Neuausgabe auf der Grundlage der Übersetzung von Max Frischeisen-Köhler.<br />

Hamburg: Meiner 1994, S. 33.<br />

6 Friedrich Schiller: Die Schaubühne als eine moralische Anstalt betrachtet. In: Ders.: Sämtliche Werke in 5<br />

Bänden. Herausgegeben von Jost Perfahl. Düsseldorf/Zürich: Artemis & Winkler 1995, Bd. 5, S. 92–101;<br />

S. 95.<br />

7 William Shakespeare: Wie es euch gefällt. Übersetzt von August Wilhelm Schlegel. In: Ders.: Sämtliche<br />

Werke in drei Bänden. Düsseldorf/Zürich: Artemis & Winkler 2001, Bd. 1, S. 671–749; S. 700.<br />

8 Joachim Ritter: Über das Lachen. In: Ders.: Subjektivität. Sechs Aufsätze. Frankfurt am Main: Suhrkamp<br />

1974, S. 62–92; S. 77.<br />

9 Ebd., S. 76.<br />

10 Siegmund Freud: Der Witz und seine Beziehung zum Unbewussten. In. Ders.: Gesammelte Werke. Herausgegeben<br />

von Anna Freud u.a. Frankfurt am Main: S. Fischer Verlag 1978, Bd. 6, S. 216.<br />

11 Henri Bergson: Das Lachen. Ein Essay über die Bedeutung des <strong>Komische</strong>n. Aus dem Französischen von Roswitha<br />

Plancherel-Walter. Frankfurt am Main: Luchterhand 1988, S. 28.<br />

12 Ebd., S. 25.<br />

13 Vgl. ebd., S. 44f.<br />

14 Vgl. Immanuel Kant: Kritik der Urteilskraft. Hamburg: Felix Meiner 2001, S. 228ff. (§ 54).


55<br />

komische<br />

<strong>Monologe</strong>


22<br />

Aristophanes (ca. 445–385 v. Chr.)<br />

Die Wolken<br />

Uraufführung: 423 v. Chr.<br />

1 Strepsiades, ein attischer Bauer<br />

Szene: Prolog<br />

Ort: Straße in Athen mit den Häusern des Strepsiades und des Sokrates. Morgendämmerung<br />

Strepsiades ist in Schwierigkeiten. Die Schulden türmen sich und der Termin der Rückzahlung<br />

rückt immer näher. Verantwortlich für diese Misere ist sein eigener Sohn, Pheidippides, der als<br />

Pferdeliebhaber auf großem Fuß lebt. Doch der attische Großbauer hat eine Idee: Er begibt sich<br />

in die Schule des Sokrates, um sich zum gewandten Redner ausbilden zu lassen und seine Gegner<br />

im Gerichtsprozess zu schlagen. Sokrates und seine Jünger nämlich »lehren dich fürs Geld<br />

die Kunst, mit Worten / Recht und Unrecht siegreich zu verfechten«. Da er aber als unbelehrbar<br />

nicht in den Kreis der Schüler aufgenommen wird, muss nun sein Sohn beim Philosophen studieren.<br />

Pheidippides wird mit sophistischen Reden zwar die Gläubiger vertreiben, aber ebenso<br />

seine Prügel am Vater rechtfertigen.<br />

Im Mittelpunkt der Komödie stehen Erziehung und Bildung. Im Prolog schildert Strepsiades, wie<br />

es mit ihm und seinem Sohn, dessen Name (übersetzt »Sparrösschen«) einen lauen Kompromiss<br />

zwischen der Sparsamkeit des Vaters und der Geltungssucht der Mutter darstellt, so weit kommen<br />

konnte. Koisyra, seine verschwenderische Frau, hat Strepsiades zufolge den Sohn verdorben.<br />

STREPSIADES<br />

Für sich: Verdammte Kupplerin, die mich beschwatzt,<br />

Daß ich zum Weibe deine Mutter nahm!<br />

Das schönste Leben hatt ich auf dem Lande:<br />

Auf fauler Haut und recht im Speck und Dreck,<br />

Behaglich unter Honig, Woll und Trestern!<br />

Da nahm ich, Bauer, aus dem Haus Megakles<br />

Megakles’ Nichte, städtisch, üppig, stolz<br />

Und flott, die eingefleischte Koisyra:<br />

Als ich mit der das Hochzeitsbett bestieg,<br />

Roch ich nach Hefe, Käs und schmutz’ger Wolle,<br />

Sie nach Pomade, Schmink und Zungenküsschen,<br />

Verschwendung, Schlemmerei und Aphrodite.<br />

Faul war sie nicht, o nein, sie zettelte<br />

Am Webstuhl, und ich zeigt ihr oft mein Wams<br />

Und sprach verblümt: »Frau, du verzettelst viel!« […]<br />

Danach, als uns dies Söhnchen ward beschert,<br />

Will sagen, mir und meiner wackern Ehfrau,<br />

Gleich zankten wir uns über seinen Namen:<br />

Sie wollt’ ein »Hippos« dran, ’nen Ritternamen,<br />

Philipp, Charipp, Xanthipp, Kallipides,


23<br />

Ich, nach dem Großpapa: Pheidonides.<br />

Wir stritten hin und her, bis wir zuletzt<br />

Eins wurden, ihn Pheidippides zu nennen.<br />

Sie nahm ihn auf den Arm und streichelt’ ihn:<br />

»Wenn du mal groß bist und im Purpurrock<br />

Zur Stadt fährst wie Megakles –« – »Nein, wenn du<br />

Im Schafpelz«, fiel ich ein, »vom Phelleuswald<br />

Heim mit den Ziegen fährst, wie einst dein Vater –«<br />

Was half’s? Auf meine Lehren hört’ er nicht,<br />

Und hat mir nun auch Hab und Gut verrösselt.<br />

William Shakespeare (1564–1616)<br />

Zwei Herren aus Verona<br />

Entstanden zwischen 1590 und 1598<br />

2 Julia, die Geliebte des Proteus<br />

Szene: 1. Akt, 2. Szene<br />

Julia ist eine der vier Figuren der Zwei Herren aus Verona, die in das zentrale Beziehungsgeflecht<br />

aus Freundschaft und Liebe eingewoben sind. Während Valentine die Stadt verlässt, bleibt Proteus<br />

zunächst noch durch die angebetete Julia an Verona gebunden. Auf väterlichen Befehl hin<br />

macht aber auch er sich schließlich nach Mailand auf. In der neuen Stadt verlieben sich die beiden<br />

Freunde in Silvia. Julia ist beim unbeständigen Proteus vergessen und abgeschrieben –<br />

ebenso wie der ehemals so innige Freund Valentine. Von Silvia aufgrund des Freundschaftsbruchs<br />

zurückgewiesen, versucht Proteus nun, diese mit Gewalt zu nehmen. Valentine greift ein,<br />

Proteus bereut den Freundschaftsbruch und erhält von Valentine als Zeichen der wiederhergestellten<br />

Freundschaft Silvia als Geschenk. Er lehnt ab. Julia, die verkleidet als Stephan in die<br />

Dienste Proteus’ getreten ist, gibt sich zu erkennen und findet in Proteus abermals ihren Liebhaber.<br />

Man mag in dieser Auflösung ein frauenfeindliches Happy End erkennen, ein Lob der beständigen<br />

Männerfreundschaft, hinter der Liebe und Sexualität zurückstehen und deren Verletzung<br />

weitaus schwerer wiegt als versuchte Vergewaltigung. Man kann sie aber auch als Parodie auf<br />

ebendieses Freundschaftsideal lesen oder inszenieren. Ob man die Hymne der Freundschaft und<br />

die dem Stück zugrundeliegende Problematik nun ernst nimmt oder nicht, Shakespeares Werk<br />

ist eine Komödie mit allerhand komischen Szenen, mit tölpelhaften Dienern und witzigen Wortspielen.<br />

Julia hat soeben von ihrem Kammermädchen Lucetta einen Liebesbrief Proteus’ erhalten. Doch<br />

sie öffnet ihn nicht und wirft der Überbringerin Kuppelei vor; sie solle den Brief dorthin zurückbringen,<br />

wo sie ihn herhabe. Dabei will sie eigentlich nichts sehnlicher als Proteus’ Liebesworte<br />

lesen, was sie sich vor ihrem Kammermädchen aber nicht einzugestehen traut. Um den Schein<br />

des Anstandes zu wahren, zerreißt sie schließlich sogar den geliebten Brief. Jetzt steht sie vor den<br />

Fetzen, einzelnen unzusammenhängenden Worten, und sie spielt damit, als ob sie keine Worte,<br />

sondern Proteus und sich in Händen hielte. Lucetta hat sie längst durchschaut: »Sie tut ganz kühl<br />

und wär dabei entzückt, / Wenn sie um noch ’nen Brief sich ärgern könnt.«


24<br />

JULIA (sammelt die Fetzen auf)<br />

Ach, könnt ich mich nur über den da ärgern!<br />

Hände, ich hass euch; Liebesgruß zerreißen …!<br />

Wespen, gemeine, erst süß Honig saugen<br />

Und dann die Biene morden, die ihn gab!<br />

Ein jedes Fitzelchen küß ich, zur Buße.<br />

Schau, da steht: »liebe Julia«: un-liebe Julia!<br />

Und gleich zur Strafe deines Undanks werf<br />

Ich deinen Namen auf den schroffen Stein,<br />

Trampel verächtlich deinen Hochmut platt.<br />

Und hier, hier les ich »liebeswunder Proteus«.<br />

Todwunder Name, du: mein Busen, wie ein Bett<br />

Soll dich behausen, bis die Wunde heilt;<br />

Und so kurier und pfleg ich sie im Kuss.<br />

Doch zweimal oder dreimal stand da »Proteus«:<br />

Schweig still, Wind, guter, blas kein Wort davon,<br />

Dass ich jeds Stückchen Schrift im Schriftstück find,<br />

Nur meinen Namen nicht: den trag ein Wirbelsturm<br />

Fort auf ein schreckenssteiles Felsenriff<br />

Und wasch ihn tief hinab ins Brodelmeer.<br />

Schau, in der Zeile hier zweimal sein Name:<br />

»Einsamer Proteus«, »sehnsüchtiger Proteus«.<br />

»Der süßen Julia«: das da reiß ich ab.<br />

Und trotzdem, lieber nicht, wo er’s so hübsch<br />

Ja paart mit seinem jammervollen Namen.<br />

So falt ich sie dann einen auf den andern.<br />

Umarmt euch jetzt, küsst, kämpft, tut, was ihr wollt.<br />

3 Lanz, der närrische Diener des Proteus<br />

Szene: 2. Akt, 3. Szene<br />

Lanz und sein Hund Mies sind ein komisch-kontrastreiches Paar. Der eine flennt und flennt, der<br />

andere bringt nicht eine Träne heraus. Auch wenn Lanz seinen Hund ab und an recht mies findet,<br />

er hält immer zu ihm. Der Hund ist so ziemlich das Einzige, was Lanz besitzt, und das einzige<br />

»Familienmitglied«, von dem er sich nicht zu verabschieden braucht. Mies darf mit nach Mailand,<br />

wohin Lanz seinen Herren Proteus begleiten wird. Dieser hat eben noch tränenreich seiner<br />

edlen Julia Ade gesagt. Und jetzt spielt sein Diener Theater – eine Szene voller Geflenne, mit<br />

Schuhen, Stock und Hund, ein Theater auf dem Theater. Auch wenn Lanz als Regisseur so seine<br />

Schwierigkeiten mit der Rollenverteilung hat, erweisen sich die von ihm verwendeten Dinge<br />

doch als äußerst treffende Zeichen in einem pointierten Spiel.


25<br />

Lanz tritt auf mit seinem Hund Mies.<br />

LANZ<br />

Nein, also eine Stunde braucht’s noch, bis ich fertig geheult hab. Alle von<br />

uns Lanze sind auf dem Gebiet anfällig, ein Familienübel. Diesbezüglich<br />

hab ich satt mein wucherndes Pfund abgekriegt wie der verlogene Sohn,<br />

und geh jetzt mit Herrn Proteus zum Kaisernenhof. Ich denk manchmal,<br />

Mies, mein Hund, ist der miesest veranlagte Hund, was lebt: meine Mutter<br />

am Flennen, mein Vater am Schluchzen, meine Schwester am Wimmern,<br />

unsre Magd am Plärren; unsre Katze ringt die Hände, und der<br />

ganze Haushalt ein einziges Durcheinander; und vergießt doch dieser<br />

kaltherzige Köter keine Träne. Ein Stein ist der, ein wahrer Kieselstein,<br />

und nicht mehr Mitgefühl im Leib als ein Hund. Ein Jud hätt geweint,<br />

hätt er unsern Abschied gesehn. Ja, meine Großmutter, was keine Augen<br />

mehr hat, sehn Sie, hat sich blind geweint bei meinem Aufbruch. Nein,<br />

also ich führ’s Ihnen vor, wie’s zuging. Der Schuh da ist mein Vater. Nein,<br />

dieser linke Schuh ist mein Vater; nein, nein, dieser linke Schuh ist meine<br />

Seele von Mutter; nein, so kann’s auch nicht sein. Ja, doch, jawoll, so<br />

stimmt’s, so stimmt’s: der hat die ausgelatschtere lose Sohle. Also: dieser<br />

seelenlose Schuh mit dem ausgelatschten Loch ist meine Mutter; und der<br />

da mein Vater. Kruzitürken, jawohl, da hätten wir’s. Nun, Herrschaften,<br />

aber jetzt dieser Stock da ist meine Schwester; denn, wie könnt’s anders<br />

sein, sie ist wie eine Lilie so wächsern und gewachsen wie eine Gerte. Da<br />

der Hut ist Nanni, unsre Magd. Ich bin der Hund. Nein, der Hund ist er<br />

selber, und ich bin der Hund. Jetzt nein, der Hund ist ich, und ich bin ich<br />

selber. Jawoll, gut, gut. Jetzt komm ich zum Vater: »Vater, deinen<br />

Segen.« Jetzt dürft der Schuh kein Wort sagen vor Geflenne; jetzt müsst<br />

ich meinen Vater küssen; also, der heult weiter; jetzt komm ich zu meiner<br />

Mutter. Oh, dass sie jetzt reden könnt wie ein Waschweib! Also, ich<br />

küss sie. Na also, da hätten wir’s: das ist der Atem meiner Mutter, pftpfff.<br />

Jetzt komm ich zu meiner Schwester: Acht geben, wie sie wimmert.<br />

Jetzt aber der Hund, die ganze Zeit vergießt der keine Wimper; äußert<br />

kein Wort; und seht aber, wie ich den Pflasterstaub mit Tränen wässere.


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152 Seiten<br />

ISBN 978-3-89487-836-8<br />

Welche Wege in den Schauspielberuf gibt es? Wie bereitet man sich auf Vorsprechen<br />

und Castings vor? Wie werden Texte erarbeitet? Wie lassen sich Blockaden und<br />

Ängste bewältigen? Und was unterscheidet das Bühnenspiel von dem Spiel vor der<br />

Kamera? Dieses Buch gibt eine praktische sowie einfühlsame Anleitung dazu, wie<br />

der Weg in die Schauspielerei selbstbewusst eingeschlagen werden kann.<br />

Durch ihre langjährige Erfahrung als erfolgreiche Schauspielerin und Coachin<br />

hat Mieke Schymura einen direkten Zugang zu den Fragen angehender Schauspieler:innen.<br />

Sie liefert konkrete Anleitungen und gibt hilfreiche Tipps zum<br />

Beispiel für den Umgang mit Blockaden, Ängsten und (negativem) Feedback.


Das Handwerk des Schauspielens<br />

erlernen und trainieren<br />

Stephan Richter<br />

Schauspieltraining<br />

Ein Handbuch für die Aus- und Weiterbildung<br />

208 Seiten<br />

ISBN 978-3-89487-850-4<br />

Stephan Richters Übungsbuch führt in das Handwerk des Schauspielens ein und<br />

ist mittlerweile zu einem Klassiker des Schauspieltrainings geworden. Das Buch<br />

liefert eine handhabbare Struktur für angehende oder bereits im Beruf stehende<br />

Schauspieler:innen, mittels derer sie in ihrer täglichen Arbeit effektiv und beständig<br />

arbeiten können. Gleichzeitig dient es als ideale Arbeitsgrundlage für all jene, die<br />

Schauspieler:innen anleiten möchten.<br />

Für diese erweiterte Ausgabe hat der erfahrene Dozent, Coach, Regisseur und<br />

Schauspieler 50 neue Übungen aus seiner langjährigen Berufspraxis ergänzt. Darüber<br />

hinaus gibt das Handbuch einen praktischen Überblick zu wichtigen Arbeitsbegriffen<br />

und ist damit ein perfekter Begleiter für das Selbststudium oder den<br />

Unterricht.


Von Aristophanes bis Zaimoglu − komische <strong>Monologe</strong><br />

für Rollenarbeit, Aufnahmeprüfung und Vorsprechen<br />

55 ausgewählte Texte speziell zum komischen Spiel<br />

Ausführliche Darstellung der verschiedenen Spielarten des<br />

<strong>Komische</strong>n<br />

Mit einleitenden Kommentaren zur schnellen Orientierung<br />

über Stück, Situation und Rolle<br />

Mit einem umfangreichen Verzeichnis weiterer Rollenvorschläge<br />

ISBN 978-3-89487-621-0<br />

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www.henschel-verlag.de

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