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Privatdetektiv Joe Brodin – Linda (Leseprobe)

Privatdetektiv Joe Brodin – Linda (Leseprobe) Ein Kriminalroman von Harold Ryan Burt Taschenbuch:140 Seiten, Euro (D) 8.99, ISBN 978-3-911352-10-9 E-Book: Euro (D) 2.99, ISBN 978-3-911352-00-0 New York, Anfang der 1990er Jahre. Joe Brodin hat gerade seine Privatdetektei in New York eröffnet. Eines nachts bekommt er Besuch vom Chef der New Yorker Mordkommission, Captain George Lifetree, dessen Tochter entführt wurde. Die Bedingung der Entführer: Lifetree darf nicht als Zeuge vor Gericht über den großen Bauskandal aussagen, der New York erschüttert. Der Captain weiß, dass er nur mit einem völlig unbeschriebenen Blatt, dem Privatdetektiv Joe Brodin, den in New York niemand kennt, eine Chance hat, seine Tochter Linda lebend wiederzusehen. Das macht Joe Brodin zum Joker des ganzen Spiels... »Ein ungewöhnlicher, unterhaltsamer Kriminalroman voller Ironie, schwarzem Humor und sympathischen Charakteren.« Erhältlich als Taschenbuch & E-Book

Privatdetektiv Joe Brodin – Linda (Leseprobe)
Ein Kriminalroman von Harold Ryan Burt
Taschenbuch:140 Seiten, Euro (D) 8.99, ISBN 978-3-911352-10-9
E-Book: Euro (D) 2.99, ISBN 978-3-911352-00-0

New York, Anfang der 1990er Jahre.
Joe Brodin hat gerade seine Privatdetektei in New York eröffnet.

Eines nachts bekommt er Besuch vom Chef der New Yorker Mordkommission, Captain George Lifetree, dessen Tochter entführt wurde. Die Bedingung der Entführer: Lifetree darf nicht als Zeuge vor Gericht über den großen Bauskandal aussagen, der New York erschüttert.

Der Captain weiß, dass er nur mit einem völlig unbeschriebenen Blatt, dem Privatdetektiv Joe Brodin, den in New York niemand kennt, eine Chance hat, seine Tochter Linda lebend wiederzusehen.

Das macht Joe Brodin zum Joker des ganzen Spiels...

»Ein ungewöhnlicher, unterhaltsamer Kriminalroman voller Ironie, schwarzem Humor und sympathischen Charakteren.«

Erhältlich als Taschenbuch & E-Book

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Dies ist ein Auszug aus dem Buch:

Harold Ryan Burt

Privatdetektiv Joe Brodin – Linda

Ein Kriminalroman

Erschienen 2024 bei Everweard Publishing

www.everweard.com

Erhältlich als E-Book und Taschenbuch

Auf der Website des Verlags finden Sie weitere Informationen zum Buch:

https://eplnk.com/brodin

Erhältlich beim Verlag, im Buchhandel oder im Internet.


Harold Ryan Burt

Privatdetektiv Joe Brodin

Linda

Roman


Dieses Werk ist in allen seinen Teilen urheberrechtlich geschützt.

Alle Rechte vorbehalten, insbesondere das Recht der Übersetzung,

des Vortrags, des Nachdrucks, der Wiedergabe auf fotomechanischem

oder ähnlichem Wege und der Speicherung in elektronischen Medien.

Die Personen und die Handlung sind frei erfunden.

Etwaige Ähnlichkeiten mit tatsächlichen Begebenheiten oder

lebenden oder verstorbenen Personen wären rein zufällig.

Copyright © 2024 by Harold Ryan Burt

Copyright © 2024 by:

Everweard Media & Publishing

Frédéric R. Bürthel

Friedrich-Naumann-Allee 29, 19288 Ludwigslust

www.everweard-publishing.com

Everweard Publishing ist ein Imprint

von Everweard Media & Publishing

Satz, Layout, Umschlaggestaltung: FRB

Umschlagabbildung: iStock / Tashka

Printed in Europe

ISBN: 978-3-911352-10-9

1. Auflage


New York, Anfang der 1990er Jahre


Mist!

Schon wieder hatten mich die Space Invaders aus

dem Hyper-All von Bettelgeuse abgeknallt.

Anstatt nun dieser Frustrationsmaschine von

Computer mit meiner Smith & Wesson ein für alle

Mal zu zeigen, dass nichts menschlicher Intelligenz

das Wasser reichen kann, schaltete ich sie vorsichtig

ab.

Eigentlich sollte ich nun die himmlische Ruhe in

meinem supermodernen Büro genießen. Aber nur

mit Mühe konnte ich mich zurückhalten, eine Spraydose

zu holen und auf Mahagonitisch, Wasserbüffelcouch,

Wasserbüffelsesselgarnitur und handgemalte

Seidentapeten zu sprühen:

Fahr zu Hölle!

Seit einer Woche saß ich hier herum und wartete

auf Kundschaft. Da draußen in New York wohnen

über 9 Millionen Menschen. Sie betrügen, rauben,

überfallen, erpressen, entführen, quälen, hintergehen,

ermorden sich Sekunde für Sekunde. Da

musste doch für einen begabten Privatdetektiven

etwas zu tun sein! Da musste doch Geld zu machen

sein!

Außerdem hatte ich groß investiert: Büro in einer

der besten Wohngegenden, exklusive Adresse,

teures, repräsentatives Mobiliar, modernste Computertechnik

(ha!) und ein goldenes Schild an der

Tür:

7


8

Joe Brodin

Privatdetektiv

Sprechstunden

nur nach telefonischer Vereinbarung

Allerdings war es mir nicht gelungen, eine Sekretärin

zu finden. Die Agentur hatte mir einige Bewerberinnen

geschickt. Sie waren alle beeindruckt von

meinem Büro, dem angebotenen Gehalt und meinem

unwiderstehlichen Charme. Aber nachdem sie den

Computer sahen, fanden sie Gründe sich zu drücken.

Wie soll das mit dieser Nation weitergehen, wenn

sich der Nachwuchs dem technischen Fortschritt

entzieht!

Draußen war es schon dunkel. Resigniert schaltete

ich den telefonischen Anrufbeantworter an. Dann

ging ich nach hinten in meine Privatgemächer. Neben

dem luxuriösen Büro hatte ich eine kleine,

schlicht eingerichtete Wohnküche und ein Schlafzimmer,

in dem außer einem Bett und einem kleinen

Tischchen mit einer Nachttischlampe nur noch ein

Fernsehapparat stand.

Der Kühlschrank war bis auf eine angebrochene

Dose Corned Beef und drei Flaschen Bier leer. Ich

hatte vergessen, etwas einzukaufen. Mit einem Corned

Beef-Sandwich und Bier machte ich es mir auf

dem Bett bequem.

Ich schaltete den Fernseher ein. Seit Tagen gab es

in der Stadt nur ein Thema: der Bauskandal. Es war

ein einziger Sumpf. Bis in die höchsten Gremien der


Stadtverwaltung müssen einige Leute kräftig kassiert

haben. Die Liste der Beschuldigten las sich wie

ein Who’s Who? der obersten Kreise New Yorks. Jeden

Tag gab es neue Enthüllungen: Namen wurden

genannt, das Ausmaß des Schadens hochgerechnet,

das Verschwinden oder plötzliche Ableben wichtiger

Zeugen gemeldet und – Dementis. Wollte man den

Politikern glauben, war das Ganze nur eine von der

Presse hochgespielte Bagatelle oder ein abgekartetes

Spiel demokratiefeindlicher Elemente, die Glaubwürdigkeit

hochverdienter Ehrenmänner zu untergraben.

Ich muss gestehen, ich hörte nur noch mit halbem

Ohr zu. Nach dem Wetterbericht gab es noch eine

versöhnliche Nachricht.

»Dank großzügiger Unterstützung des größten

Förderers der Kunst in New York, des hochverdienten

Mr. Carmichael Giutto, konnte nach langjährigen

Umbauarbeiten heute Abend die Metropolitan Opera

in einem feierlichen Akt wiedereröffnet werden. Ein

erlesenes Publikum war Zeuge einer furiosen

Aufführung von Mozarts Cosi fan tutte. Übersetzt

heißt das So tun es alle, was hoffentlich keine Anspielung

auf den New Yorker Bauskandal bedeuten

sollte. Unter der grandiosen Leitung von Sir …«

* * *

Plötzlich schrak ich aus dem Schlaf auf. Ich hatte das

Gefühl, dass jemand in meinem Zimmer war. Meine

Augen brauchten etwas Zeit, um sich an die Dunkel-

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heit anzupassen. Dann sah ich eine dunkle Gestalt

am Fuße meines Bettes. Ich tat so, als würde ich mich

im Schlaf auf die Seite rollen. Aber im Drehen griff

ich unter das Kopfkissen, unter dem mein Revolver

lag.

Er war weg!

Meine Absicht war es nun, mich mit voller Wucht,

die Füße zuerst, gegen den unbekannten Eindringling

zu katapultieren. Ein Trick, von dem ich noch

nie gehört und den ich noch nie ausprobiert hatte.

Leider kam ich nicht mehr dazu.

»Suchen Sie Ihren Revolver?« sagte eine Bassstimme.

Dazu ging das Licht an – wie im Theater. Die

Vorstellung begann.

Vor mir stand ein Bär von einem Mann, breitschultrig,

hünenhaft, dunkle Augen und schwarze

Haare. Er trug einen dunkelblauen, eleganten Nadelstreifenanzug.

In der Hand hatte er meinen Revolver.

»Die Wohnung ist schon vermietet! Selbst wenn

Sie mich beseitigen, wird sie an meine Kinder und

Kindeskinder weitervererbt. Da gibt es einen Vertrag.«

»Stehen Sie auf, Mister Brodin! Ich möchte eine

Sprechstunde. Ich hatte meine Telefonrechnung

nicht bezahlt und konnte Sie deshalb nicht anrufen.«

Erfreut verließ ich das Bett und warf mir einen

chinesischen Morgenmantel über. Das Drachenmotiv

musste jedermann zeigen, dass mit mir nicht zu

spaßen war.

»Aha, ich sehe, ein außergewöhnlicher Fall! Genau

meine Spezialität!«

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»Außer dass Sie noch nie einen Fall hatten.«

»Leute, die nachts friedliche Bürger aus ihrem

wohlverdienten Schlaf reißen, dürfen nicht so pingelig

sein. Vielleicht könnten Sie so freundlich sein und

mein Eigentum etwas zur Seite legen?«

»Nein, nein, Ihr Revolver wärmt mir so schön die

Hand.«

»Vielleicht sollte ich mir auch etwas Wärmendes

holen …«

»Das brauchen Sie nicht. Ich verspreche, dass es

Ihnen gleich sehr heiß werden wird.«

Inzwischen waren wir in meinem Büro angekommen.

Ein verstohlener Blick auf meine Eingangstür

blieb meinem ungebetenen Gast nicht verborgen.

»So eine Tür, mein Lieber, das ist vielleicht was

für Boston. Hier in New York knackt jeder Schuhputzerjunge

diese Sicherheitsschlösser.«

Er wusste sogar, dass ich aus Boston stammte. Auf

keinen Fall durfte ich diesen Burschen unterschätzen.

Ich ließ mich in einen Sessel sinken. Mister Unbekannt

setzte sich auf die Couch. Er steckte meinen Revolver

in die Tasche des Jacketts. Lange schaute er

mich an.

Jetzt fiel mir auf, dass er eine ungesunde gelbliche

Gesichtsfarbe hatte, die Augen waren übermüdet und

auch sein vornehmer Anzug vertrug hellere Beleuchtung

schlecht. Hier war ein Mensch, den man auf den

ersten Blick für einen unerschütterlichen Felsen halten

konnte. Aber das täuschte. Dieser Felsen war in Wirklichkeit

ein Vulkan, der jeden Augenblick ausbrechen

konnte.

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Er seufzte. Es ging mir durch und durch. War das

das Grollen des Vulkans vor dem Ausbruch?

»Sie sind Joe Brodin, geboren am 13.3.1958 in

Boston, geboren mit einem goldenen Löffel im

Mund. Sie haben an der Harvard-Universität Psychologie

studiert, das Studium aber nicht abgeschlossen.

Stattdessen haben Sie sich hier in New

York niedergelassen, als Privatdetektiv. Außer

Hirngespinsten haben Sie keinerlei Ahnung über

Detektivarbeit, kennen sich in New York nicht aus,

haben keinen Kampfsport gelernt und reden so geschwollen,

dass es Ihnen unmöglich wäre, einem

Taxifahrer verständlich zu machen, wo Sie hinmöchten.

Kurzum, Sie sind ein völlig unbeschriebenes

Blatt, stehen weder im Telefonbuch noch im

Branchenverzeichnis. Sie sind eine Null, eine absolute

Null!«

»Wenn Sie mit Ihren Schmeicheleien zu Ende sind,

könnten Sie mir vielleicht einen kleinen Wink geben,

was Sie eigentlich wollen.«

»Dazu komme ich gleich, Superschnüffler Brodin!«

Er hatte sich immer mehr erregt. Er wurde röter

und röter im Gesicht. Sein linkes Augenlid fing an

wild zu zucken. Dieser Mann stand kurz vor einem

Nervenzusammenbruch!

Während er krampfhaft ein beginnendes Zittern seiner

Hände zu unterdrücken versuchte, stand ich auf,

ging zu meinem Schreibtisch und holte aus einer

Schublade eine Flasche Whisky für besondere Fälle. Ich

stellte sie auf das kleine Mahagonitischchen vor meinen

Gast. Ich sagte:

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»Wenn Sie nicht weglaufen, hole ich noch zwei

Gläser.«

Er nickte.

Nachdem er zwei Whiskys hinuntergekippt hatte,

wurde er ruhiger. Auf einmal wirkte er unendlich

müde und erschöpft. Lange sah er mich schweigend

an.

»Tag für Tag kämpft man sich ab, ein einigermaßen

menschenwürdiges Leben führen zu können.

Dazu braucht man eigentlich nicht viel, nur etwas

Friede, gewisse Zeiten der Stille, in denen man aus

diesem tosenden Hexenkessel einer Großstadt entfliehen

kann – Toleranz, Liebe. All dieses Zeug, dem

die Leute nachrennen, für das sie ihre Seele verkaufen,

stiehlt ihnen nur ihre Zeit – ihr Leben.«

Er schwieg einen Augenblick. Ich sah, dass er wieder

anfing, sich zu erhitzen und schenkte ihm schnell

noch einen Drink ein.

»Dieser Abschaum da draußen, dieses menschliche

Strandgut, das unter dem sich immer mehr zum

Himmel türmenden Müll zu leben scheint, kriecht

darunter hervor, um in dunklen Ecken und Gassen

herumzuschleichen. Es lauert darauf, irgendeinen armen

Kerl anfallen zu können wie eine Ratte, um sich

neuen Müll zu kaufen, den es bei Tagesanbruch triumphierend

in die Tiefen seiner stinkenden, seelenlosen

Müllhalde schleppt. Wir haben keine Chance!

Alle werden wir in diesem Müll ersticken!«

Ich konnte damals natürlich nichts mit seinen

Worten anfangen. Ich stellte also die Frage, die mir

schon die ganze Zeit unter den Nägeln brannte:

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»Wer sind Sie?«

Er griff in seine Jackeninnentasche, holte seine

Brieftasche hervor und warf sie mir zu. Ich schlug sie

auf. Drinnen befand sich ein Polizeiausweis: Captain

George Lifetree, Mordkommission.

Geboren war er am 2.2.1950 in New York.

Ich gab ihm seine Brieftasche zurück.

»Jetzt verstehe ich gar nichts mehr.«

Er holte aus seiner rechten Jackeninnentasche ein

ledernes Etui, holte eine lange blonde Zigarre heraus

und steckte sie mit einem abgegriffenen Feuerzeug an.

»Dieser verdammte Job, dieser gottverfluchte Job!

Von morgens bis wieder morgens haben wir es mit

Gesindel jeglichen Standes zu tun. Da ist der pubertierende

Knirps mit abstehenden Ohren und triefender

Nase, der in finsteren Hauseingängen lauert, um

einer alten Oma mit der Brechstange den Schädel

einzuschlagen für ein paar lumpige Dollars. Denn er

braucht unbedingt Hartgeld für die Flipperautomaten.

Dort ist die in teuren Internaten ausgebildete

höhere Tochter, die ihr Baby täglich grün und blau

schlägt, weil es ihre Schäferstündchen stört. Ich sehe

überall nur Heuchelei, Mordabsichten, Intrigen, Bosheit,

Gemeinheit, Verrat, Verleumdung und so weiter

und so weiter. Das Schlimme ist, ich habe es verlernt,

natürlich und gelöst mit Menschen umzugehen. So

habe ich meine Frau verloren.«

Abrupt stand er auf und ging zum Fenster. Langsam

schob er den Vorhang einen winzigen Spalt zur

Seite und schaute hinunter auf die Straße. Dann ging

er zur Tür. Er öffnete sie mit einem Ruck und ging

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hinaus. Nach kurzer Zeit kam er zurück. Er setzte

sich auf die Couch und zündete eine neue Zigarre an.

»Wir haben in New York nicht nur gewöhnliches

Gesindel, das uns Tag und Nacht auf Trab hält, nein,

neuerdings beschäftigen uns die oberen Kreise noch

mehr. Aber da heißt es, besonders vorsichtig zu sein.

Man hat ja schließlich einflussreiche Freunde. Eine

Hand wäscht die andere! Diskretion und Feingefühl

werden hier verlangt. Wenn man da irgendwo auf

den Busch klopft, springt ein mit allen Wassern gewaschener

Staranwalt hervor. Da ist nichts mit Fragen

stellen, verhaften und so weiter. Da heißt es: Ich

sage nichts ohne meinen Anwalt! Und dann gibt es

Kautionen, einstweilige Verfügungen und Disziplinarverfahren.

Kurzum – das Ganze ist ein einziger

Eiertanz.«

Langsam begann ich, die Geduld zu verlieren:

»Wenn Sie so weiterreden, fange ich an zu heulen.

Das wird schlimm. Meine Mutter musste mir früher

zumindest eine Kinokarte versprechen, um mich

wieder zu beruhigen.«

Lifetree seufzte.

»Nun gut! Ich brauche Ihre Hilfe.«

Es wurde ernst.

»Heute Morgen kam ein Anruf ins Kommissariat.

Aus der Praxis des Doktor Wendell Helstrom wurde

gemeldet, der Doktor habe nachts zuvor unter

Zwang eine Schussverletzung behandeln müssen. So

etwas ist an sich ein Fall für einen einfachen Beamten.

Da aber der Name des guten Doktors auf der

Liste möglicher Zeugen oder Angeklagten stand ‒

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das verschiebt sich oft in solchen Fällen ‒ landete die

Meldung bei mir. Ich ging also der Sache nach. Der

Doktor wohnte in einer luxuriösen Gegend, so mit

kleinem Vorgärtchen, einer alten Eiche hinterm

Haus und goldenem Klingelschild. Jetzt hören Sie

gut zu, Mister Brodin, da stand drauf: Dr. Wendell

Helstrom, Internist, Sprechstunden nach telefonischer

Vereinbarung – genau wie bei Ihnen. Was sagen

Sie dazu?«

Einen Augenblick sah es so aus, als wolle er

schmunzeln. Stattdessen kippte er einen Whisky

hinunter und erzählte weiter.

»Die Tür war nur angelehnt. Das ist in Arztpraxen ja

nichts Ungewöhnliches. Also ging ich rein. Da hörte ich

Lärm. In einem der Zimmer musste ein Kampf stattfinden.

Ich riss die Tür auf. Ein junger Mann hatte auf den

Doktor eine Pistole gerichtet und drückte ab. Als er

mich sah, leerte er sein Magazin in Richtung Tür. Dann

sprang er aus dem Fenster. Da der Doktor stöhnte, ging

ich zu ihm, statt dem Verbrecher nachzurennen. Doktor

Helstrom wollte etwas sagen, starb aber in dem Augenblick,

als ich mich zu ihm hinunterbeugte.«

»Konnten Sie den Mörder erkennen?«

»Aber ja! Ich könnte ihn jederzeit identifizieren.

Darüber hinaus weiß ich, dass ich ihn schon einmal

gesehen habe. Es wird mir schon noch einfallen.

Nachdem ich also die übliche Routine eingeleitet

hatte, Arzt, Rettungswagen, Spurensicherung und so

weiter, fuhr ich in mein Büro, um den Bericht zu

schreiben. Ich hatte noch gar nicht richtig damit angefangen,

als das Telefon läutete. Ich hob ab.«

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Er stand auf, drehte sich in Richtung Fenster und

setzte sich wieder. Dann sah er mich böse an.

»Ich sage Ihnen eins: Ich kann Sie überall finden,

wo Sie sich auch verstecken. Abknallen werde ich

Sie …«

»… Rädern und Vierteilen. Ich weiß, ich weiß!

Aber jetzt doch noch nicht!«

Seine Gesichtszüge entspannten sich wieder.

»Ich hob das Telefon ab. Am anderen Ende war

eine ölige, schleimige Stimme, so eine Eunuchenstimme.

›Captain Lifetree? Verehrtester, es freut mich, nun

auch Ihre Bekanntschaft machen zu können, nachdem

ich gerade vor fünfzehn Minuten die Freude

hatte, Ihr reizendes Fräulein Tochter …‹

Bei dem Stichwort ›Tochter‹ raste ich immer aus.

›Was haben Sie mit meiner Tochter zu tun?‹ schrie

ich in den Hörer. Dann erklärte er es mir.

Sie hatten meine Tochter Linda entführt. Nichts

würde ihr geschehen, wenn ich das Gesicht des Mörders

von Doktor Helstrom vergessen würde. Entscheidend

sei außerdem meine Aussage vor dem Untersuchungsausschuss

über den Bauskandal. Auch

hier sei ein schlechtes Gedächtnis eine der edelsten

Gottesgaben. Bis zu diesem Zeitpunkt, Freitag 11.00

Uhr, also übermorgen, sollte ich als Zeichen meines

guten Willens keinerlei Versuche machen, den Aufenthaltsort

meiner Tochter herauszufinden. Vielleicht

wäre jetzt eine kleine Erkältung ganz nützlich,

sodass ich erst gar nicht mein Büro und meine Wohnung

zu verlassen bräuchte. Aber dies sei natürlich

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nur der gutgemeinte Vorschlag eines Freundes. Nach

dem Hearing würde meine Tochter wie selbstverständlich

ihren Papa abholen.«

»Oder auch nicht!«

»Oder auch nicht! Sie sehen, ich bin in einer verzweifelten

Lage. Ich muss meine Tochter wiederfinden

vor Freitag 11 Uhr, damit ich meine Aussagen

machen und weitere Erpressungen ausschließen

kann. Aber um ihr Leben nicht zu gefährden, darf

ich gar nichts tun. Wenn ich etwas unternehme,

wird sie umgebracht – wenn ich nichts unternehme,

wird sie früher oder später ebenfalls umgebracht.«

Der Mann war wirklich in einer verteufelten Situation!

»Sie wollen also, dass ich an Ihrer Stelle die Kastanien

aus dem Feuer hole?«

»Ja! Sehen Sie, gerade weil Sie ein unbeschriebenes

Blatt sind, Sie noch keiner kennt, sind Sie meine

einzige Chance. Niemand würde Sie mit mir in Verbindung

bringen. Wenn Sie es geschickt anstellen,

merkt keiner, hinter was Sie her sind. Andererseits

setze ich auf einen totalen Außenseiter oder kaufe

die Katze im Sack. Nicht nur, dass mir in diesem Fall

die Hände gebunden sind, ich muss meinen ganzen

Einsatz auf einen Joker setzen.«

»Captain Lifetree, erzählen Sie mir, wie Ihre

Tochter entführt wurde.«

Er seufzte. Wieder zog er seine Brieftasche aus

der Jackentasche, entnahm ihr ein Foto und steckte

es mir zu.

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»Das ist Linda.«

Es war ein schönes Foto, schön bunt. Ein rosa

Gesichtchen, strahlendblaue Augen, goldglänzende

Zöpfchen und blendendweiße Zähne. Eine typische

Keep-Smiling-Aufnahme. Solche Fotos werden von

Profis produziert, die es sich zur Lebensaufgabe gemacht

haben, alle Menschen dem Ideal der Margarine-Reklame

anzugleichen.

»Ein schönes Foto! Haben Sie es selbst gemacht?«

»Nein! Zu ihrem dreizehnten Geburtstag wollten

wir etwas Besonderes. Der Schwager eines Kollegen

hat ein Atelier in Brooklyn. Es ist die einzige

Aufnahme aus den letzten Jahren.«

Ich steckte das Foto ein.

»Also, wie ich Ihnen schon andeutete, ist meine

Ehe gescheitert. Es gab dafür viele Gründe, die Sie

nichts angehen. Jedenfalls leben Joanna, meine

Frau, und ich getrennt, seit einem Jahr. Sie lebt wieder

bei ihren Eltern in Connecticut. Unsere Tochter

blieb bei mir, sie wollte auf keinen Fall die Schule

wechseln. Sie geht auf eine reine Mädchenschule,

die mich einen Haufen Geld kostet. Sie ist dort erstklassig

untergebracht. Ich bringe sie morgens hin

und hole sie am späten Nachmittag wieder ab. Ich

rief natürlich gleich die Direktorin an. Sie sagte,

dass die beiden Kollegen, die ich telefonisch angekündigt

hätte, sie mittags abgeholt hatten. Ich

bedankte mich noch dafür!«

Ich schaute auf die Uhr. Es war bereits 5 Uhr morgens.

»Ich mache uns einen starken Kaffee.«

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Wir saßen in der Küche und tranken Kaffee. Ich

hatte sogar noch ein paar Toastscheiben gefunden

und etwas Honig.

Lifetree schaute melancholisch in die Tasse Kaffee.

Langsam strich er über die Stellen, wo der Henkel

abgebrochen war. Wie zu sich selbst sagte er:

»Ich kann mich nicht daran gewöhnen, allein zu

leben. Schauen Sie sich an, ihren Haushalt hier. Mit

welchem Schrott Sie sich zufriedengeben! Den

Dreck überall sehen Sie gar nicht mehr. Wir Männer

sind doch ein armseliger Haufen, wenn wir auf uns

allein angewiesen sind!«

»Ist das nicht unwichtig, ob die Wäsche sauber,

das Geschirr gespült, der Boden gescheuert und die

Fenster geputzt sind?«

»Es ist wichtig! Es ist der Anker, der uns in einer

Welt des Chaos auf einer Insel der Ordnung festhält,

uns das Gefühl gibt, wenigstens einen winzigen Teil

bewältigt zu haben. Es ist ein Symbol dafür, dass

Ordnung, Sauberkeit und Friede möglich sind, dass

die Erde vielleicht doch unsere Heimat ist.«

Ich sagte nichts. Einen beamteten Philosophen

am frühen Morgen in der Küche sitzen zu haben,

ist schon anstrengend genug, ohne ihm weitere

Anregungen für geistige Höhenflüge zu geben.

Mit einem verächtlichen Zug um die Lippen schob

er die Tasse über den Tisch.

»Ich muss gehen. Bevor es hell wird, muss ich

wieder zu Hause sein.«

Er schaute mich wieder lange an.

»Sie müssen Ihr Bestes tun, junger Mann! Sie ha-

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ben zwei Anhaltspunkte: Erstens die Schule, da dürfen

Sie keinen Verdacht aufkommen lassen, dass etwas

nicht in Ordnung sein könnte. Zweitens Doktor

Helstrom. Die Adressen schreibe ich Ihnen auf. Ich

werde inzwischen mein übermüdetes Gehirn zermartern,

wo ich den Mörder Doktor Helstroms

schon gesehen habe. Außerdem werde ich den Verdacht

nicht los, dass in meinem Büro ein Stinktier

sitzt. Wir müssen uns also im Laufe des Tages heimlich

treffen, um die Ergebnisse unserer Ermittlungen

zu vergleichen und weitere Strategien entwerfen.

Lassen Sie mich überlegen … 22 Uhr im Village … am

Washington Square. Ich werde Sie schon finden.«

Abrupt stand er auf und verließ die Küche.

In der Tür gab er mir die Hand.

»Mister Brodin, ein Joker kann die heißeste Karte

im Spiel sein!«

* * *

Die Schule war eine Überraschung. Ein alter herrschaftlicher

Gebäudekomplex stand in einem eigenen

Park. Über die riesige Mauer schauten nur die

Gipfel der Bäume hervor. Das große gusseiserne Portal

war verschlossen. Nur ein kleines Seitenportal

war offen. Dahinter stand ein uniformierter Pförtner.

Schwarze Limousinen fuhren vor. Türen wurden geöffnet.

Mädchen in adretten Kleidchen, ledernen Aktentaschen

in der Hand, kamen heraus. Alle trugen

weiße Socken und schwarze Lackschuhe. Ich hatte

den Eindruck, in England zu sein, in Cambridge oder

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