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Dukedom Mullgrove - Das Medaillon (Leseprobe)

Dukedom Mullgrove - Das Medaillon. (Leseprobe) Ein historischer Liebesroman von Mercedes Casemer Taschenbuch: 148 Seiten, Euro (D) 9.49, ISBN 978-3-911352-11-6 E-Book: Euro (D) 1.99, ISBN 978-3-911352-05-5 Einst floh die verzweifelte und hochschwangere Adelige Rhonda als blinde Passagierin auf einem Schiff nach Amerika. Achtzehn Jahre später kehrt Rhonda als reiche Frau wieder nach England zurück. Dabei kommt die Wahrheit ans Licht. Wird es ihr gelingen, ihre heimliche und uneheliche Tochter in die viktorianische Gesellschaft einzuführen? Kann Rhonda mit sich, ihrer Vergangenheit und ihrer Familie Frieden schließen? Und wird sie endlich die wahre Liebe finden? »Ein grandioser Auftakt der Liebesroman-Reihe Dukedom Mullgrove« Erhältlich als Taschenbuch & E-Book

Dukedom Mullgrove - Das Medaillon. (Leseprobe)
Ein historischer Liebesroman von Mercedes Casemer
Taschenbuch: 148 Seiten, Euro (D) 9.49, ISBN 978-3-911352-11-6
E-Book: Euro (D) 1.99, ISBN 978-3-911352-05-5

Einst floh die verzweifelte und hochschwangere Adelige Rhonda als blinde Passagierin auf einem Schiff nach Amerika.

Achtzehn Jahre später kehrt Rhonda als reiche Frau wieder nach England zurück. Dabei kommt die Wahrheit ans Licht.

Wird es ihr gelingen, ihre heimliche und uneheliche Tochter in die viktorianische Gesellschaft einzuführen?
Kann Rhonda mit sich, ihrer Vergangenheit und ihrer Familie Frieden schließen?
Und wird sie endlich die wahre Liebe finden?

»Ein grandioser Auftakt der Liebesroman-Reihe Dukedom Mullgrove«

Erhältlich als Taschenbuch & E-Book

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Dies ist ein Auszug aus dem Buch:

Mercedes Casemer

Dukedom Mullgrove - Das Medaillon

Ein historischer Liebesroman

Erschienen 2024 bei Everweard Publishing

www.everweard.com

Erhältlich als E-Book und Taschenbuch

Auf der Website des Verlags finden Sie

weitere Informationen zum Buch:

hps://eplnk.com/medaillon

Erhältlich beim Verlag, im Buchhandel oder im Internet.

Dukdom Mullgrove –

die historische Liebesromanserie von

Mercedes Casemer

Weitere Informationen zur Serie:

hps://eplnk.com/mullgrove


Mercedes Casemer

Dukedom Mullgrove

Das Medaillon

Roman


Dieses Werk ist in allen seinen Teilen urheberrechtlich geschützt.

Alle Rechte vorbehalten, insbesondere das Recht der Übersetzung,

des Vortrags, des Nachdrucks, der Wiedergabe auf fotomechanischem

oder ähnlichem Wege und der Speicherung in elektronischen Medien.

Die Personen und die Handlung sind frei erfunden.

Etwaige Ähnlichkeiten mit tatsächlichen Begebenheiten oder

lebenden oder verstorbenen Personen wären rein zufällig.

Copyright © 2024 by Mercedes Casemer

Copyright © 2024 by:

Everweard Media & Publishing

Frédéric R. Bürthel

Friedrich-Naumann-Allee 29, 19288 Ludwigslust

www.everweard-publishing.com

Everweard Publishing ist ein Imprint

von Everweard Media & Publishing

Satz, Layout, Umschlaggestaltung: FRB

Umschlagabbildung:

KI-Generiert mit Stable Diffusion, überarbeitet von FRB

Printed in Europe

ISBN: 978-3-911352-11-6

1. Auflage

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New York, die Stadt der Schicksale, atmete auf.

Der vergangene Winter war besonders hart

gewesen. Wochenlang war es eisig gewesen

und nach vielen Schneestürmen hatte sich in den

schmutzigen Straßen der Schnee meterhoch getürmt.

Noch gab es nur wenige Autos. Droschken bestimmten

weitgehend das Straßenbild. Die Hinterlassenschaft

der Pferde waren sofort auf dem spiegelglatten

Untergrund gefroren. Der darauffolgende Frühling

brachte Unmengen von Regen. Es war ein sehr beschwerlicher

Alltag gewesen.

Heute war ein schöner warmer Tag.

Rhonda Boulanger betrachtete von der Kutsche

aus die Menschen. Die meisten sahen blass und

hungrig aus. Besonders die Kinder rührten ihr Herz.

Frauen saßen mit ihren Säuglingen vor den Haustüren

auf den Treppen. Viele stillten Kinder. Die Fenster

aller Wohnungen waren geöffnet und im Vorbeifahren

konnte Rhonda Boulanger einen Blick in die

dunklen Kellerwohnungen werfen. Was für ein

schreckliches Leben das sein musste, oft zu vielen in

winzigen feuchten und dunklen Verschlägen unter

die Erde gesperrt zu sein!

Lake Nast saß Rhonda gegenüber in der Kutsche.

Er trug seine Kapitänsuniform.

Sie warf ihm einen dankbaren Blick zu. Er hatte

sie damals vor achtzehn Jahren vor einem ähnlich

schlimmen Schicksal bewahrt. Ja, trotz ihres Unglücks

hatte sie Glück gehabt, dass ihr Luke Nast begegnet

war. Wer weiß, was ohne seine Hilfe mit ihr

5


geschehen wäre? Wer weiß, ob sie noch am Leben

wäre? Was wäre aus Amber geworden?

Rhonda Boulanger war froh, als sie endlich den Hafen

erreicht hatten. Das Schiff von Kapitän Lake Nast

lag in der Abendsonne. Möwen umkreisten das Schiff

mit den beiden dicken Schornsteinen, aus denen bereits

Rauch aufstieg. Im Hafen hatten sich viele Schaulustige

eingefunden, die alle das Schiff ohne Segel sehen

wollten. Der Anblick war für viele noch sehr gewöhnungsbedürftig.

Die Gangway für die besseren

Passagiere war mit einem roten Teppich belegt.

Rhonda spürte, wie ihr Herz wild klopfte. Sie war

zum ersten Mal wieder am Hafen seit damals. Bewusst

hatte sie all die langen Jahre den Ort vermieden. Sie

wollte das Meer nicht sehen, das Meer an der Stelle,

das sie damals wie Strandgut an Land gespült hatte. So

hatte sie es bisher empfunden. Doch heute, auf dem

ersten Stück des Weges zurück in die Vergangenheit,

war ihr erneut bewusst geworden, dass sie damals einen

besseren Anfang hatte als viele junge Frauen.

Kapitän Lake Nast stieg aus. In der einen Hand hielt

er eisern die große lederne Reisetasche fest, die andere

Hand reichte er nacheinander Rhonda und Amber.

Aus der Kutsche dahinter stiegen Mrs. Ockham,

Rhondas Haushälterin, und das Hausmädchen Peggy.

Kapitän Nast hatte vier seiner zuverlässigsten Matrosen

vorsorglich zum weiteren Schutz der Damen und

des Inhaltes der Bügeltasche dabei. Sie hatten wie

zwei Diener hinten auf den beiden Kutschen gestanden.

Sofort sorgten diese dafür, dass heran drängelnde

Bettler Abstand hielten. Sie halfen beim Gepäck.

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Rhonda beachtete niemanden.

»Meine Damen, folgen Sie mir bitte! Die Gangway

ist sicher«, sagte Nast.

Rhonda, Amber, Mrs. Ockham und Peggy rafften

ihre Röcke noch etwas höher, sodass man die sauberen

Spangenschuhe und ein Teil Bein sehen konnten,

und schritten die Gangway hinauf.

Oben angekommen, drehte sich Kapitän Lake Nast

um und sagte:

»Willkommen an Bord! Ich wünsche Ihnen eine

angenehme und schöne Reise!«

Amber, Mrs. Ockham und Peggy bedankten sich

mit wenigen Worten.

Rhonda nickte nur. Ihre Kehle war wie zugeschnürt.

Ihr Mund war trocken. Ihr Herz klopfte, als

wollte es zerreißen. Sie hätte Amber gern in ihre

Arme geschlossen und ihr endlich alles erzählt, wie

es damals war, als sie nach New York gekommen

war. Aber Rhonda hatte sich das all die Jahre versagt

und sie untersagte sich dies auch jetzt.

»Dann zeigen Sie uns mal unsere Kabinen, Kapitän!«,

bemerkte Mrs. Ockham mit ihrer typischen

schrillen Stimme.

Rhonda Boulanger stand an der Reling und betrachtete

das Bild, das sich ihr bot. Sie waren die letzten

Passagiere gewesen. Die Gangway wurde eingeholt.

»Mrs. Boulanger, soll ich mit Miss Amber schon

vorgehen?«

Die Worte der Haushälterin rissen Rhonda aus

ihren Gedanken. Sie räusperte sich.

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»Nein, Mrs. Ockham, ich komme mit.«

Die Blicke der beiden Frauen trafen sich. Sie kannten

sich seit vielen Jahren. Rhonda Boulanger hatte sie

von den Flamsteedschwestern übernommen, so wie

sie alles der beiden alten Damen übernommen, gerbt

hatte. Rhonda hatte sich nie Gedanken gemacht, wie

die Flamsteedschwestern ihr Geld verdienten. Andeutungen

hatte Rhonda einfach ausgeblendet. Erst später

hatte Rhonda dahinter gesehen. Auf der einen Seite

hatten die Schwestern ihr Vermögen sicherlich

nicht gerade damenhaft erworben. Aber sie waren

vom ersten Augenblick an gut zu ihr gewesen und

hatten sie wie eine Tochter bei sich aufgenommen.

Auch dies hatte sie dem Kapitän zu verdanken.

Immer und immer wieder liefen einzelne Stationen

ihres Lebens vor ihr ab. Es kostete Rhonda viel

Kraft, diese Gedanken zu verdrängen.

Die Suite war die beste an Bord und lag separat

auf einem Deck, auf dem auch Kapitän Nast sein

Quartier hatte. Sie bestand aus mehreren Schlafzimmern,

einem Damensalon, einem Herrenzimmer

oder Raucherzimmer und einer separaten kleinen

Kammer für die Körperpflege. Alle Räume waren auf

das Aufwendigste möbliert. Sie enthielten schöne

Schiffsmöbel mit glänzenden Messingbeschlägen

und bequemen Polstersesseln. An den Fenstern hingen

Spitzengardinen und Samtvorhänge.

Penny, Rhondas Dienstmädchen, machte sich an

dem großen braunen Überseekoffer zu schaffen.

»Oh, Tante Rhonda, wie herrlich! Das wird eine

wunderbare Reise werden«, jubelte Amber.

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Das junge Mädchen wirbelte aufgeregt von einem

Raum in den nächsten. Kapitän Nast beobachtete sie.

Er lächelte und zwirbelte sich seinen Schnurrbart.

»Ich darf die Damen zum Kapitänsdinner zu mir

in mein Quartier bitten? Ein Offizier wird Sie abholen.

Wir legen jetzt gleich ab. Das Essen wird serviert,

wenn wir den Hafen verlassen haben. Ich darf

mich jetzt verabschieden und den Damen nochmals

eine gute Reise wünschen!«

»Danke, Kapitän Nast! Und vielen Dank für Ihre

Unterstützung und das herrliche Quartier.«

Der Kapitän verbeugte sich. Rhonda reichte ihm

die Hand. Er nahm sie, deutete einen Handkuss als

Zeichen seiner Hochachtung an und flüsterte leise:

»Ich werde immer für Sie da sein!«

Rhonda drückte seine Hand ein ganz klein wenig

fester und ließ dann los.

Kurze Zeit später heulten die Schiffssirenen und ein

leichtes Zittern ging durch das Schiff als Zeichen,

dass die Maschinen tief im Bauch des Schiffes

stampften.

»Das Schiff legt ab, Tante! Lass uns hinausgehen

und sehen, wie es den Hafen verlässt!«

Statt einer Antwort griff Rhonda nach ihrem großen

Umschlagetuch und ging zur Tür. Amber, Mrs.

Ockham und Peggy folgten ihr. Dann standen sie an

der Reling. Sie spürten, wie der Wind von der See

stärker wurde. Möwen flogen noch immer kreischend

um das Schiff.

»Warum bist du so schweigsam, Tante Rhonda?

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Du sprichst kaum etwas. Geht es dir nicht gut? Hast

du Sorge, dass du seekrank wirst?«, fragte Amber.

Amber berührte zärtlich Rhonda Boulangers Arm.

Rhonda nahm alle Kraft zusammen, lächelte und

schaute Amber an:

»Sei unbesorgt, Amber! Ich bin nur etwas erschöpft.

Die Reisevorbereitungen machten sehr viel

Arbeit. Aber wir wurden genau zum Abreisetermin

fertig. Das ist doch wunderbar. Wir werden und uns

alle auf der Überfahrt nach England erholen. Es wird

schön werden, Amber. Es ist deine erste große Reise.

Genieße sie!«

Amber zögerte und senkte den Blick.

»Tante, darf ich dich etwas fragen?«

»Sicherlich, Amber! Ich bemerkte doch schon länger,

dass dich etwas bedrückt.«

»Ich verstehe nicht, warum wir im Haus alles ausgeräumt

und in Kisten verpackt und eingelagert haben.

Wir bleiben doch nur über den Sommer. Oder

willst du nicht mehr zurück nach New York?«

Den letzten Satz hatte Amber fast geflüstert.

Rhonda Boulanger legte den Arm um Ambers

Schultern.

»Es ist einfach sicherer. Ich wollte es. So sind

unsere Sachen geschützt. Außerdem war es doch

auch ganz praktisch, einmal das Haus von oben

nach unten und von unten nach oben und von

rechts nach links und links nach rechts aufzuräumen,

oder? Es gab auch noch zu viele Sachen, die

von den Flamsteedschwestern waren. Wir werden

in Europa vielleicht viele neue Dinge kaufen und

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dafür brauchen wir dann Platz. Immer noch ängstlich,

Amber?«

»Ein bisschen! Ich schäme mich dafür. Ich bin

doch kein Kind mehr. Schlimm, nicht wahr, Tante?«

Rhonda lächelte gütig und liebevoll.

»Das ist doch verständlich. Du kanntest nur New

York. Jetzt geht es nach Europa, nach England. Dir

wird es bestimmt gefallen. England ist herrlich mit

seinen sanften Hügeln und den endlosen grünen

Wiesen. Ich bin sicher, dass du dich gleich daheim

fühlen wirst.«

»Ich frage mich, wie das sein wird? Du hast mir

erzählt, ich sei in England geboren. Tante, fahren wir

dahin, wo ich geboren wurde? Vielleicht gibt es dort

noch Leute, die sich an meine Mutter und meinen

Vater erinnern? Du hast mir nie etwas von ihnen erzählt.

Machen wir deshalb die Reise, Tante? Willst du

mir alles zeigen?«

Rhonda Boulanger streichelte zärtlich und sehr

liebevoll Ambers Wange.

»Langsam, langsam, Amber! Alles zu seiner Zeit.

Jetzt in diesem Augenblick heißt es erst einmal, Abschiednehmen

von New York. Freue dich auf die

schöne Seereise und das Leben in London. Wir werden

unser Haus in London beziehen und dann, ja

dann folgt alles andere. Amber, wirf noch einmal einen

letzten Blick auf die Küste. Wir müssen uns zum

Dinner umkleiden. Wir tragen immer noch unsere

Reisekleidung. Es ist nicht angemessen, darin zum

Essen bei Kapitän Nast zu erscheinen. Lass und eilen.

Wir wollen doch fertig sein, wenn Kapitän Nast uns

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zum Dinner abholen lässt. Es ist eine große Ehre,

dass er uns in seine Räumlichkeiten bittet, gleich am

ersten Abend auf See.«

Rhonda wandte sich ab und ging zurück zum

Quartier. Amber, Mrs. Ockham und Peggy folgten

ihr.

Rhonda sah Ambers Kleider durch und wählte ein

zartgrünes Abendkleid mit tiefem Ausschnitt. Die

Farbe harmonierte gut mit Ambers grünen Augen

und dem rotblonden Haar. Es unterstrich ihr Temperament.

Rhonda hatte es für Amber eigentlich für einen

anderen Anlass anfertigen lassen. Amber liebte

das Kleid besonders. So entschloss sich Rhonda dazu,

dass Amber das Kleid heute tragen durfte. Sie wollte

ihr damit eine Freude machen. Und so war es auch,

Amber jubelte.

Rhonda trug wie immer Schwarz. Seit ihrer Ankunft

in New York hatte sie niemals eine andere Farbe

gewählt als schwarz. Rhonda trauerte tief in

ihrem Herzen. Es war eine wehmütige Trauer, gemischt

mit einer Sehnsucht nach den verlorenen Seiten

des Lebens. Als junge Frau hatte sie vom Leben

an der Seite eines ihr liebevoll zugeneigten Gatten

geträumt, von einem Familienleben mit Kindern, von

einem Haushalt, dem sie vorstand, von Gesellschaften,

die sie geben wollte und von Empfängen,

zu denen sie als geachtetes Mitglied des gehobenen

Standes eingeladen wurde.

Alle diese Träume hatte sie damals auf dem Weg

nach Amerika begraben. Rhonda konnte ihre Gefühle

geschickt verbergen. Darin war sie Meisterin. Sie

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hatte niemals mit jemandem darüber gesprochen. Es

gab Nächte, in denen sie sich nach Liebe sehnte,

nach der Wärme eines vertrauten Körpers, nach

starken Armen, die sie in Treue, Zärtlichkeit und

voller Hingabe zärtlich fest hielten. Für die kurze romantische

Zeit in ihrer Jugend hatte sie einen hohen

Preis bezahlen müssen.

Es sind immer die Frauen, die den Preis bezahlen

müssen, das wusste Rhonda jetzt.

Rhonda betrachtete sich im großen Spiegel. Das,

was sie sah, gefiel ihr. Trotz ihres Alters sah sie noch

sehr jugendlich aus. Ihre Haut war glatt und faltenlos.

Nur ihr blondes Haar hatte nicht mehr diesen

leuchtenden Glanz wie einst. Würde sie früh grau

werden? Früh ergrauten die Arbeiterinnen in den

Fabriken. Abgesehen von dieser Kleinigkeit waren

die fast achtzehn Lebensjahre Unterschied zu Amber

kaum zu erkennen. Sie hätten Schwestern sein

können.

Es klopfte an der Tür. Ein Offizier holte die Damen

ab und geleitete sie die wenigen Schritte zur Unterkunft

des Kapitäns. Kapitän Lake Nast hatte seine

Galauniform angelegt.

Der Tisch war reichlich gedeckt, alles englische

Speisen. Jeder Gang erinnerte Rhonda an ihre Kindheit

in England. Rhonda steuerte die Tischkonversation

immer wieder auf England. Sie forderte Kapitän

Nast auf, Amber von London zu erzählen und von

den lieblichen englischen Landschaften.

Amber kam es so vor, dass der Kapitän sie mit

Rhonda verglich. Er machte auch diesbezüglich eini-

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ge Bemerkungen. Doch Rhonda überhörte sie. Amber

erkannte, dass dies wohl ein Tabuthema war.

Nach dem Essen wurde noch etwas getrunken.

Dann durfte Amber in ihr Quartier gehen. Mrs. Ockham

und Penny begleiteten sie. Der Kapitän hatte

sie, obwohl sie nur zum Personal gehörten, mit eingeladen,

weil er wusste, dass sie so etwas wie

Rhondas und Ambers Familie waren.

Rhonda wartete, bis die Tür geschlossen war.

Dann seufzte sie und fächerte sich Luft zu.

»Heiß, Mrs. Boulanger?«

Kapitän Nast öffnete ein Fenster. Die Sonne war

untergegangen. Ein kühler Nachtwind trug den Geruch

der See in den Raum.

»Sie sehen gut aus, Mrs. Boulanger!«

»Danke, Kapitän! Ich sehe mit Sicherheit besser

aus als damals auf dem Schiff. Nochmals vielen Dank

für die herrlichen Räume. Sie liegen abseits der

Decks für die Passagiere. Darf ich fragen, von wem

werden die Räume sonst bewohnt?«

Der Kapitän lächelte.

»Das Schiff ist neu, wie Sie wissen. Die Räume

wurden noch nie bewohnt. Es sind Räume für die

Eigner, falls diese einmal eine Seereise machen wollen.

Sie sind reserviert für seine Lordschaft und ihre

Ladyschaft, den Duke und die Duchess of Mullgrove.

Sie sind die Hauptanteilseigner an der Niederländisch-Britischen

Gesellschaft, der dieses Schiff gehört.

Die Dukes von Mullgrove waren schon immer

sehr der christlichen Seefahrt zugetan, Kriegsschiffe,

Handelsschiffe. Was eben immer vom Königshaus

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gebraucht wurde. Sie betreiben auch eigenen Handel

in Fernost und der Südsee. Ich habe viele ihrer

Schiffe gelenkt. Dies ist jetzt der krönende Abschluss

meiner Karriere. Ein wunderschöner Abschluss, bevor

ich mich jetzt zur Ruhe setze auf einem kleinen

Landsitz außerhalb von London.«

»Wieso wollen Sie sich zurückziehen?«, fragte

Rhonda überrascht. »Sie sind noch jung.«

Rhonda entschuldigte sich sofort für ihre Neugier.

Kapitän Nast sah es ihr nach. Er erklärte, er habe

die ganze Welt gesehen, aber nirgends sei es schöner

als in England. Den Rest seines Lebens wollte er auf

dem Land verbringen.

»Oh, fürstliche Räume! Fürstliche Räume für einfache

Bürger«, wechselte Rhonda das Gesprächsthema.

Kapitän Nast schaute Rhonda Boulanger ernst an.

»Solche Räume stehen Ihnen doch schon von Ihrer

Abstammung zu oder?«

Rhonda wurde rot. Sie senkte den Blick, fächelte

sich mit ihrem schwarzen Spitzenfächer Luft zu. Sie

stand auf und ging im Raum auf und ab. Da sie aufstand,

erhob sich auch der Kapitän aus Höflichkeit.

Er ging zu ihr, nahm ihre Hand und führte sie langsam

zu den Polstern zurück.

»Mrs. Boulanger, Sie möchten nicht über Ihr Geheimnis

sprechen? Dann lassen Sie mich etwas anmerken.

Schon damals erkannte ich, dass Sie nicht zu

den unteren Klassen gehörten, die normalerweise

sich auf einem Schiff wie das meine damals einschifften.

Ein solches Schiff beförderte Fracht. Die

Passagiere, die ich damals mitnahm, arbeiteten an

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Bord und verdienten sich so die Überfahrt in die

Neue Welt. Sie gaben damals keine Auskunft. Sie

nannten nicht einmal ihren Namen. Jetzt fahren Sie

zurück nach England, Mrs. Boulanger. Ich bin ein

weit gereister und erfahrener Mann. Sie könnten in

Situationen kommen, in denen sie vielleicht Fürsprache

und Schutz benötigen. Den würde ich Ihnen gerne

zuteil werden lassen. Wollen Sie mir nicht erzählen,

wie es Ihnen ergangen ist? Ich habe erst wieder

etwas von Ihnen gehört, als mich Ihr Brief erreichte.

Wenn ich in Amerika angelegt hätte, hätte ich Sie

aufgesucht. Aber für lange Jahre hatte ich nur

Schiffspassagen gegen Osten, also Indien, Fernost,

Australien. Ich war nicht in der neuen Welt.«

Rhonda Boulanger dachte nach.

Sie seufzte hörbar und sah ihm in die Augen.

»Sie haben mir damals sehr geholfen, Kapitän

Nast. Ich bin Ihnen dafür auf immer verbunden. Vielleicht

haben Sie deshalb ein Recht, dass ich Ihnen etwas

über mich erzähle.«

»Nun, meine gute Mrs. Boulanger, ob ich ein Recht

darauf habe, weiß ich nicht. Ich habe Sie nur heute

Nachmittag bei der Abreise in der Kutsche und dann

später hier an Bord beobachtet. Mir fiel auf, dass Amber

Sie Tante Rhonda nennt. Das mutet mich doch etwas

sonderbar an und wirft Fragen auf. Ich habe mich

immer etwas wie der Pate vom Amber gefühlt.«

Rhonda begann zu sprechen:

»Sie haben eine feine Beobachtungsgabe, Kapitän

Nast.«

»Das muss ich auch. Oft bleibt mir nur wenig Zeit.

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Wenn ich einem Matrosen eine Heuer gebe, dann

muss ich blitzschnell beurteilen, ob er sich eignet

oder nicht. Ob er zur Mannschaft passt oder nicht.

Da entwickelt man den sechsten Sinn für Menschen.

Wenn man auf einer Reise nach Fernost Wochen und

Monate mit immer den gleichen Menschen auf einem

Schiff ist, dann ist Menschenkenntnis unerlässlich.«

Rhona seufzte leise.

»Ja, wenn ich damals etwas mehr Menschenkenntnis

gehabt hätte und Erfahrung oder auch Anleitung

von… von… irgendjemandem, dann wäre mir viel erspart

geblieben. Aber es war wohl mein Schicksal.

Wenn ich heute so zurückblicke, dann denke ich, dass

ich es hätte schlechter treffen können.«

Sie machte eine Pause und schaute dem Kapitän

kurz in die Augen.

»Ihr Eindruck über meine Herkunft ist zutreffend,

ohne dass ich das hier weiter ausführen möchte. Nur

so viel, die Ebene einer Duchess ist ein bisschen zu

weit oben. Ich war fast noch ein Kind, als ich verführt

wurde. Es war leicht für ihn. Ich habe es ihm

sicherlich leicht gemacht. Denn da war endlich jemand,

der mir seine volle Aufmerksamkeit schenkte.

Der mich nicht mehr als sehr erwachsenes Mädchen

auf der Stufe zur jungen Frau ansah, sondern nur als

Frau wahrnahm. Das war schön, sehr schön und ich

fühlte mich beachtet und geehrt, verehrt. Ich brachte

ihm all meine schwärmerische Liebe entgegen. Er

nahm sie und er nahm auch mich. Das blieb nicht

ohne Folgen. Ich wusste am Anfang nicht, was mit

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mir geschehen war. Doch dann konnte ich es nicht

mehr verbergen. Mein Vater verbannte mich aufs

Land. Dort sollte ich bleiben. Es wurde verbreitet, ich

sei verreist. Ich wurde wie eine Gefangene gehalten.

Doch ich konnte eines Nachts fliehen mit wenigen

Sachen. Ich hatte hauptsächlich Schmuck und Geld

dabei. Es war mein eigener Schmuck und der

Schmuck meiner Gastgeberin sowie etwas Geld.

Nennen Sie ruhig gestohlen. Zuerst war ich zu Fuß

unterwegs. Dann konnte ich mich einer Gruppe anschließen,

die auf dem Weg nach Plymouth war. Sie

wollten auswandern. Es waren liebe mitfühlende

Leute. Ich erreichte Plymouth in der Nacht und trieb

mich im Hafenviertel herum. Mir ging es nicht gut.

Ich zog mich in der Dunkelheit in eine Ecke zurück

zwischen zwei Lagerhäuser. Dort traf ich auf eine

junge Inderin. Ja, es wird wohl eine Inderin gewesen

sein. Sie hieß Puntia. Sie erkannte sofort, was mit

mir los war, und bot mir an, im Tausch gegen

Schmuck, Geld und die paar Habseligkeiten, die ich

bei mir hatte, mich auf Ihrem Schiff zu verstecken.

Ich war mit allem einverstanden. Ich gab ihr alles,

was ich hatte, sogar mein Medaillon mit der Gravur.

Ich weiß nicht, wie lange es dauerte, bis das Schiff

ablegte. Mir kam es vor wie Stunden unter den

schmutzigen Decken, irgendwo an Deck zwischen

allerlei Frachtstücken. Endlich legte der Frachtsegler

ab. Ich muss zwischendrin das Bewusstsein verloren

haben. Wir waren schon weit auf See, als mich Piere

Boulanger fand. Den Rest der Geschichte, wie sie

sich abspielte an Bord, kennen Sie. Sie waren damals

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sehr gütig zu mir. Ohne Ihre Hilfe wäre ich sicherlich

gestorben. Als wir dann in New York waren, ging ich

mit dem Brief von Ihnen zu der Adresse, die Sie mir

gegeben hatten. Die beiden Schwestern Della und

Dora Flamsteed nahmen mich auf. Sie nahmen mich

auf in ihr Haus wie eine Tochter. Sie kümmerten sich

um mich und um Amber, meine Nichte, wie die

Schwestern immer sagten. Sie gaben mich als eine

weitläufige Verwandte aus. Sie ersannen für Amber

eine Lebensgeschichte. Sie gaben Amber den Familiennamen

Stone. Amber sei die Tochter meiner

Schwester. Ambers Eltern wären nach ihrer Rückkehr

aus den Kolonien am Fieber erkrankt und verstorben.

Ich hätte Amber zu mir genommen. Deshalb

sagt Amber Tante zu mir. Und die Flamsteed Schwestern

boten mir an, sie Tante Della und Tante Dora zu

nennen. So war ich abgesichert und beschützt. Ich

und auch Amber hatten es sehr gut. Es hat Jahre gedauert,

bis ich herausbekam, mit welcher Art von

Geschäften die Schwestern Flamsteed ihr Geld machten.

Sie wohnten in einem schönen Haus etwas außerhalb.

Ihre verschiedenen Etablissements waren in

der Gegend beim Hafen. Sie sprachen davon, Bars zu

betreiben. Ich habe die beiden Örtlichkeiten nicht

miteinander verbunden über viele Jahre.«

»Wussten die Flamsteedschwestern von Ihrer

Herkunft?«

Rhonda nickte.

»Ja, Ihnen habe ich alles erzählt. Nicht gleich, aber

recht bald. Es hatte mich alles sehr mitgenommen,

sodass ich krank wurde. Sie pflegten mich und küm-

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merten sich um Amber. Ich habe im Fieber geredet.

Als es mir besser ging, sprachen sie mich an. So habe

ich ihnen alles erzählt. Wir haben danach niemals

mehr darüber gesprochen. Aber jetzt habe ich auch

eine Frage. Was ist aus Pierre Boulanger geworden?

Ich habe oft an diesen Mann gedacht, der so freundlich

zu mir war und mir sogar seinen Namen, nennen

wir es geliehen hat. Er hatte Ihnen damals gesagt, ich

sei eine weitläufige Verwandte, die ihm gefolgt wäre,

weil ich auch nach Amerika wollte. Ich glaube, er

zahlte auch etwas für meine Überfahrt.«

Kapitän Nast zuckte mit den Schultern.

»Ich habe ihn nach der Überfahrt nie mehr gesehen.

Er war ein einfacher Mensch, aber von großer

Güte und Format. Ich denke, er hatte Bildung. Seine

Familie war wohl ursprünglich aus Frankreich gekommen.

Vielleicht war er von Adel, der auch

Schlimmes erlebt hatte? Wenn nicht er, so doch vielleicht

seine Familie? Er wollte weiter in den Westen

wie so viele. Vielleicht hat er Gold gefunden? Vielleicht

ist er Farmer geworden? Vielleicht ist er tot?

Aber ich sagte ja schon, dass ich meistens Schiffe

hatte mit der Route nach Fernost.«

Rhonda nickte und erzählte weiter:

»Die Flamsteed Schwestern sorgten dafür, dass

Amber eine gute Ausbildung bekam. Sie holten

Hauslehrer ins Haus. Sie bekam fast eine so gute

Ausbildung wie ich damals. Und für mich sorgten sie

auch. Als sie dann vor sechs Jahren beide kränklich

wurden, kümmerte ich mich um sie. Zu diesem Zeitpunkt

schaute ich auch mehr hinter ihre Geschäfte,

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um die ich mich ja dann auch kümmern musste. Am

Anfang war mir das sehr zuwider. Aber ich hatte

Amber und was sollte ich sonst tun? Außerdem hatte

ich all die Jahre gut davon gelebt. Sorglos und umsorgt,

wie es besser nicht möglich war. Die beiden

starben schnell hintereinander. Nun, das war nicht

verwunderlich. Sie waren Zwillinge und eng miteinander

verbunden. Sie waren ganz liebe Menschen

trotz ihres zweifelhaften Gewerbes. Nach ihrem

Tode erbte ich ein sehr großes Vermögen. Ich führte

im gleichen Stil das Gewerbe fort, hatte Mittelsmänner,

die die Einnahmen einsammelten. Irgendwann

überlegte ich mir, es wäre für Amber vorteilhaft, eine

Weile in England zu leben. Ich schrieb Ihnen. Das

war schwierig, weil ich nicht wusste, wo Sie sich

aufhielten. Ich nahm Kontakt mit verschiedenen

Reedereien auf.«

Kapitän Nast schenkte Wein nach. Sie tranken.

»Es dauerte, bis mich Ihr Brief erreichte. Ich freute

mich sehr, ein Lebenszeichen von Ihnen zu erhalten.

Ich habe in den Jahren oft an Sie gedacht. Es war eine

dramatische Nacht damals, die ich nie vergessen

werde. Was werden Sie in England tun?«

Rhonda seufzte.

»Ich habe niemals mit Amber über die Vergangenheit

gesprochen. Ich werde es tun müssen. Irgendwann

wird es vielleicht nötig sein, vielleicht schon

bald, vielleicht erst später. Amber soll erst England

kennen lernen und die Gesellschaft. Sie ist eine hübsche,

gebildete und sehr kultivierte junge Frau. Die

höheren Gesellschaftsschichten in New York und

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Boston sind ähnlich denen in England. Aber die neue

Welt ist nicht England. Außerdem hatten wir wenig

Kontakt zu diesen Kreisen. Ich hatte immer Angst,

das Flamsteed Gewerbe würde Amber zum Nachteil

gereichen. Außerdem weiß Amber wahrscheinlich

nicht, wo das Vermögen herkommt. Ich habe nicht

mit ihr darüber gesprochen. Ich hoffe, dass Amber in

England eine schöne Zeit verbringt, Freunde und

Freundinnen gewinnt und das englische Leben des

gehobenen Bürgertums und auch des Adels etwas

kennen lernt. Sollte es dann eines Tages von Nöten

sein, dass sie es alles erfahren muss, dann wird sie

mich vielleicht verstehen und mir verzeihen.«

»Sie gingen und Sie gehen ein hohes Risiko ein,

Mrs. Boulanger, wenn ich das sagen darf?«

»Sie dürfen, Kapitän Nast, Sie dürfen! Ich habe oft

Nächte an Ambers Wiege und an ihrem Bett gewacht

und nachgedacht, wie ich es machen soll?«

»Hat Amber Sie niemals gefragt?«, fragte Nast.

»Als Kind hat sie öfter gefragt. Später seltener und in

den letzten Jahren hat sie keine Fragen mehr gestellt.

Erst heute kam sie wieder darauf zu sprechen. Sie hatte

wohl begriffen, dass ich nicht darüber reden wollte, als

ich ihr keine Auskunft gab. Sie ahnt, dass wir vielleicht

nicht mehr nach New York zurückkehren.«

Rhonda seufzte.

»Wechseln wir das Thema, Kapitän Nast. Wie

steht es mit dem Haus in London? Leider hatten wir

noch keine Zeit, uns alleine darüber zu unterhalten.«

»Ich habe, entsprechend Ihren Wünschen, in einer

ruhigen und vornehmen Gegend von London das

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Baxter Manor für Sie erworben, benannt nach seinem

Erbauer. Es ist ein stattliches Haus mit einem

großen Garten auf der Rückseite. Es hat mehrere

Stockwerke, einen Garten, eine Orangerie und eine

Gartenlaube an einem kleinen Teich. Das Haus ist

sehr schön eingerichtet. Ihrem Wunsch entsprechend

habe ich ein Hausmädchen und einen Diener

eingestellt. Sie dürften zuverlässig sein und hatten

gute Referenzen.«

Rhonda dankte ihm.

Danach schwieg sie einige Minuten, bis sie weitersprach.

»Ich weiß noch nicht genau, wie ich es anstellen

soll, dass Amber die nötigen Kontakte bekommt.«

»Sie werden alsbald nach ihrem Eintreffen sicherlich

Einladungen erhalten. Zuerst aus der Nachbarschaft

und dann geht das weiter, zieht Kreise. Sie werden

auch zum Tee bitten und Gesellschaften geben

müssen. Laden Sie zu Gartenpartys ein, das ist sehr

modern. Wundern Sie sich nicht, dass Sie schon bekannt

sein werden, wenn Sie eintreffen. Die Dienstboten

in London kennen sich untereinander. Das ist

fast eine Geheimgesellschaft«, schmunzelte Kapitän

Nast. »Tessa und Joe haben bestimmt schon herumerzählt,

dass sie eine sehr gute Anstellung bei vermögenden

Damen aus New York erhalten haben.«

Rhonda Boulanger lächelte.

»Dann ist dies genauso wie in New York. Ich kenne

das Spiel. Außerdem werden Mrs. Ockham und

Penny sicherlich das Übliche zum Klatsch und

Tratsch beitragen.«

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»Ich kenne einige Leute in London, in unmittelbarer

Nachbarschaft von Baxter Manor. Da ist zum Beispiel

der Baron of Douberry, ein überaus erfolgreicher

Geschäftsmann. Er ist sehr jung Witwer geworden,

hat nie mehr geheiratet, inzwischen ist er gealtert.

Seit Jahren lebt ein junger Mann bei ihm, Mr.

Nigel Morris. Er hat bei ihm im Geschäft als Laufbursche

angefangen und sich als sehr talentiert herausgestellt.

Baron Douberry hält große Stücke auf ihn.

Die beiden haben eine Beziehung zueinander, die

man mit einer Beziehung zwischen einem Vater und

seinem Sohn wohl am trefflichsten beschreibt. Sicherlich

wird sich Mr. Nigel Morris als Begleiter für

Amber anbieten. Er ist nur ein wenig älter als Amber

und äußerst charmant.«

»Ja, das sind ja schon einmal günstige Aussichten.

Wenn Mr. Morris Amber einige Male begleiten könnte,

wäre das famos. Amber schließt sicherlich schnell Kontakte

zu anderen jungen Frauen. Und wenn sie dann in

den Kreis aufgenommen ist, wird alles einen guten Weg

nehmen. Ich weiß, wie dies bei mir damals war.«

Rhonda Boulanger erschrak über ihren letzten Satz.

Unwillkürlich hielt sich sie sich die Hand vor die Lippen,

so als wollte sie jedes weitere Wort verschließen.

Ihr Herz klopfte stark und alle Erinnerungen überfielen

sie wieder, mit dem Schmerz und der Sehnsucht.

»Und was werden Sie tun, Mrs. Boulanger?«, fragte

Kapitän Nast.

Rhonda lächelte freundlich.

»Ich werde über Amber wachen. Mein ganzes Leben

habe ich ihr gewidmet. Jeden Tag habe ich nur

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dafür gelebt, geatmet, gearbeitet, gelitten, geduldet

und verzichtet.«

»Waren diese Opfer nicht zu groß?«

»Nein! Es war alles, was ich ihr geben konnte. Ich

konnte ihr keine Herkunft bieten, keine Verbindungen.

Letztere muss sie sich jetzt im bescheidenen

Maße selbst schaffen. Wenn ein Sommer dazu nicht

genügt, dann bleiben wir über den Winter in London.

Im Winter gibt es die schönen Bälle und Einladungen

zu musikalischen Darbietungen.«

»Amber wird es sicherlich über kurz oder lange

nicht an geeigneten Verehrern fehlen«, bemerkte

Kapitän Nast zuversichtlich.

»Sehen Sie, Kapitän, Sie haben mich verstanden.«

Rhonda Boulanger erhob sich.

»Es ist spät geworden, Kapitän Nast. Ich darf mich

zurückziehen. Ich wünsche Ihnen eine gute Nacht.«

»Ihnen dieselbige, Mrs. Boulanger!«

Er verbeugte sich. Dann ging er zur Tür und hielt

diese auf. Die schwarze Seide von Rhondas Rockes

raschelte, als sie an ihm vorbeiging.

Obwohl Rhonda Boulanger sehr müde war, fand sie

noch lange keinen erquickenden Schlaf. Dieses Mal

ruhte ihr Körper zwischen seidenen Laken.

Welch ein Unterschied zu damals!

Rhonda hätte glücklich sein können, doch die Erinnerungen

raubten ihr noch lange den Schlaf.

Kapitän Lake Nast konnte auch keine Ruhe finden.

Er saß alleine in seinem Salon, rauchte eine Pfeife

und trank einen Whisky. Durch das offene Fenster

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hörte er ein Geräusch, das er nicht einordnen konnte.

Er schloss das Fenster. Dann ging er noch einmal

hinauf zur Brücke. Die See war ruhig. Unter der Leitung

des ersten Offiziers steuerte das Schiff weiter

hinaus auf den Atlantischen Ozean mit Kurs auf

England.

Die ganze Seereise verlief ruhig. Rhonda und Amber

hatten eine schöne Zeit an Bord. Rhonda achtete

darauf, dass Amber wenig Kontakt mit den anderen

Passagieren hatte. Sie speisten entweder in dem eigenen

Salon oder waren Gast bei Kapitän Nast. Sie lagen

an Deck und schauten auf die See. Amber vertrieb

sich die Zeit mit Malen oder Klavier spielen, am

Klavier in den Räumen der Eigner.

* * *

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Das Baxter Manor entsprach genau den Vorstellungen

von Rhonda. Sie war mit der Wahl von

Kapitän Nast sehr zufrieden. Die erste Zeit

verbrachten Rhonda und Amber mit Einkäufen. Amber

bekam weitere aufwendige Garderobe. Rhonda beschäftigte

dafür zwei Schneiderinnen, die ins Haus kamen.

An Materialien wurde nicht gespart. Für Ambers

Ausstattung wurden nur edelste Tuche, echte Seide aus

China und Indien, Spitzen aus Brüssel, Satin und Brokat

aus Italien verwendet. Amber trug Straußenfedern an

ihren Hüten, hatte viele Elfenbeinkämme und große

Schildpatthaarspangen mit goldenen Verzierungen.

Kapitän Nast hatte den Sommer über keine Passage

und kam regelmäßig zu Besuch. Der Baron of

Douberry bat oft zum Tee. Amber fuhr mit Mr. Nigel

Morris in einer offenen Kutsche spazieren.

»Oh, Tante Rhonda! England ist so schön! London

ist wunderbar. Es ist wie im Märchen, ein einziger,

nicht enden wollender Traum!«

Baron von Douberry hatte eine Sommergesellschaft

gegeben und Amber damit Zugang zu vielen

Häusern verschafft. Bald war Amber mit Tricia eng

befreundet. Tricia Palton war die Tochter eines reichen

Kaufmanns. Die beiden jungen Frauen verstanden

sich gut. Rhonda hörte sie oft schwatzen, scherzen

und lachen, wenn Tricia zu Besuch war.

Es war an einem schönen Spätnachmittag. Tricia

hatte Amber zu einer Einladung zum Tee mitgenommen.

Rhonda saß im Salon und nahm alleine den

Fünfuhrtee ein.

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Dies ist ein Auszug aus dem Buch:

Mercedes Casemer

Dukedom Mullgrove - Das Medaillon

Ein historischer Liebesroman

Erschienen 2024 bei Everweard Publishing

www.everweard.com

Erhältlich als E-Book und Taschenbuch

Auf der Website des Verlags finden Sie

weitere Informationen zum Buch:

hps://eplnk.com/medaillon

Erhältlich beim Verlag, im Buchhandel oder im Internet.

Dukdom Mullgrove –

die historische Liebesromanserie von

Mercedes Casemer

Weitere Informationen zur Serie:

hps://eplnk.com/mullgrove


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