Leseprobe_Musikalische Hochzeitsgaben
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Christian Ahrens<br />
Beatrix Darmstädter<br />
<strong>Musikalische</strong> Werbungsund<br />
<strong>Hochzeitsgaben</strong><br />
Friedrich Augusts II.<br />
an Maria Josepha 1718/19
<strong>Musikalische</strong> Werbungs- und <strong>Hochzeitsgaben</strong><br />
Friedrich Augusts II.<br />
an Maria Josepha 1718/19
<strong>Musikalische</strong> Werbungs- und <strong>Hochzeitsgaben</strong><br />
Friedrich Augusts II.<br />
an Maria Josepha 1718/19<br />
Brautwerbung in Wien – Begrüßung in Pirna – Nachklang in Moritzburg<br />
Christian Ahrens und Beatrix Darmstädter
Inhalt<br />
Vorbemerkungen 7<br />
Danksagung 7<br />
Währungen 8<br />
Abkürzungen 9<br />
Einleitung 11<br />
1. Forschungsstand im Überblick und historische Voraussetzungen 11<br />
2. Zielsetzung der Untersuchung 16<br />
3. Diplomatie und höfische Feste 19<br />
Kapitel I<br />
Musik als Motor des Traums von politischer Macht:<br />
Darbietungen Dresdner Musiker in Wien 33<br />
1. Wiener Ausgangspunkte 33<br />
2. Die Veranstaltungen und Ausgaben in Wien 39<br />
3. Musikalisch-diplomatische Mission der Dresdner Hofmusiker 57<br />
Tabelle, Jan Dismas Zelenka, Capriccio G-Dur, ZWV 183 71<br />
Tabelle, Jan Dismas Zelenka, Capriccio A-Dur, ZWV 185 74<br />
Kapitel II<br />
Huldigung der Kurprinzessin in ihrem neuen Heimatland:<br />
Begrüßungsmusik in Pirna 77<br />
Kapitel III<br />
Nachklang bei Jagd und Weinlese:<br />
Musik zu den Divertissements in Moritzburg 97<br />
1. Planung und Ablauf 97<br />
2. Musiker und Musik 108<br />
3. Johann David Heinichens Serenata di Moritzburg, SeiH 204 117<br />
4. Johann David Heinichens Sinfonia F-Dur, SeiH 209 126
Tabelle, Johann David Heinichen, Serenata di Moritzburg (1719), SeiH 204 130<br />
Tabelle, Johann David Heinichen, Sinfonia F-Dur, SeiH 209 135<br />
Tabelle, Johann David Heinichen, Serenata di Moritzburg, SeiH 204<br />
Italienischer Text mit deutscher Übersetzung (Juliane Riepe) 137<br />
Kapitel IV<br />
Von der politisch-zeremoniellen Funktion der Musik:<br />
Schlussgedanken 145<br />
Quellenangaben Abbildungen 159<br />
Quellenverzeichnis 161<br />
Personenregister 179<br />
Impressum 188
Einleitung<br />
Vorbemerkungen<br />
Die Übertragung der archivalischen Texte erfolgt diplomatisch, unter Wahrung der<br />
originalen Orthographie. Auf Fehler wird nur dann verwiesen, wenn die Schreibweise<br />
innerhalb eines Zitats wechselt.<br />
In den sächsisch-thüringischen Fürstentümern galten im fraglichen Zeitraum zwei<br />
Währungen: die Thalerwährung zu 24 Groschen à 12 Pfennigen und die Guldenwährung<br />
zu 21 Groschen à 12 Pfennigen.<br />
Beim Betrachten von Beträgen gleicher Höhe in beiden Währungen zeigt sich,<br />
dass man sich auch dann an der Thalerwährung orientierte, wenn die Beträge in<br />
Gulden angegeben wurden: Zumeist ergab sich in der Thalerwährung ein einfacherer<br />
Zahlenwert.<br />
Die Noten der in die Untersuchung einbezogenen Kompositionen liegen als Digitalisate<br />
der Musiksammlung der Österreichischen Nationalbibliothek Wien (ÖNB)<br />
beziehungsweise der Sächsischen Universitäts- und Landesbibliothek (SLUB) Dresden<br />
vor. Um das Auffinden der diskutierten Seiten in unpaginierten Quellen zu erleichtern,<br />
wird jeweils die Bildnummer des Digitalisats [Scan] in eckigen Klammern angegeben.<br />
Entsprechend sind wir auch in den Fällen verfahren, in denen in digitalisierten<br />
Aktenbeständen im Haupt- und Staatsarchiv Dresden – hier: des Oberhofmarschallamtes<br />
– Paginierungen teilweise oder gänzlich fehlen.<br />
Danksagung<br />
Für die Grundfinanzierung des Projekts, die einen Großteil des Aufwands für die Forschungen<br />
im Haupt-Staatsarchiv Dresden abdeckte, danken wir dem Forschungsrat des<br />
Kunsthistorischen Museums Wien unter dem Vorsitz von Dr. Stefan Weppelmann,<br />
dem ehemaligen Direktor der Gemäldegalerie des Kunsthistorischen Museums Wien.<br />
Unser Dank geht auch an folgende Institutionen und deren Mitarbeiter, die bei der<br />
Bereitstellung der Akten behilflich waren, beziehungsweise wichtige Informationen<br />
zu einzelnen Aspekten der hier thematisierten musikalischen Darbietungen gaben:<br />
Sächsisches Haupt-Staatsarchiv Dresden – Herrn Dr. Eckhart Leisering und an<br />
das gesamte Team im Lesesaal und Magazin; Schloss Sonnenstein/Pirna – Herrn Dr.<br />
Boris Böhm, Leiter der Gedenkstätte Pirna-Sonnenstein.<br />
Die Abdruckgenehmigung für das Foto des Körbitzschen Hauses in Pirna erteilte<br />
uns freundlicherweise die Deutsche Fotothek, Dresden.<br />
Frau Dr. Juliane Riepe danken wir für die Übersetzung des italienischen Textes<br />
von Johann David Heinichens Serenata di Moritzburg, SeiH 204.<br />
7
Einleitung<br />
Währungen<br />
Österreich<br />
1 Gulden (Fl.) zu 60 Kreuzern (X) à 4 Pfennig oder 8 Heller (Hlr)<br />
Sachsen<br />
1 Thaler (Thlr.) zu 24 Groschen (Gr.) à 12 Pfennig (Dl.)<br />
1 Gulden (Fl.) zu 21 Groschen (Gr.) à 12 Pfennig (Dl.)<br />
8
Einleitung<br />
Abkürzungen<br />
B.c.<br />
Basso continuo<br />
D.c.<br />
Da capo<br />
dt.<br />
deutsch<br />
Fag<br />
Fagott<br />
fl.<br />
floruit<br />
Fl [douce] Blockflöte<br />
Fl trav [travers] Querflöte<br />
Hofkap.<br />
Hofkapelle<br />
Hr<br />
Horn<br />
HStK<br />
Hof- und Staatskalender<br />
ital.<br />
italienisch<br />
Kap.<br />
Kapelle<br />
Kapm.<br />
Kapellmeister<br />
kath.<br />
katholisch<br />
Komp.<br />
Komponist<br />
österr.<br />
österreichisch<br />
poln.<br />
polnisch<br />
preuß.<br />
preußisch<br />
s. siehe<br />
sächs.<br />
sächsisch<br />
span.<br />
spanisch<br />
Trp<br />
Trompete<br />
Va<br />
Viola<br />
Vc<br />
Violoncello<br />
vgl.<br />
vergleiche<br />
Vl<br />
Violine<br />
Vlno<br />
Violone, Kontrabass<br />
9
10<br />
Einleitung
Einleitung<br />
Einleitung<br />
1. Forschungsstand im Überblick und historische Voraussetzungen<br />
Die ungewöhnliche Pracht und Vielfalt der Vergnügungen sowie die außerordentliche<br />
künstlerische Qualität der musikalischen Darbietungen im Rahmen jenes Festins,<br />
das Friedrich August I., genannt August der Starke, seit 1694 sächsischer Kurfürst<br />
und seit 1697 als August II. auch König von Polen, anlässlich der Vermählung seines<br />
ältesten Sohnes Friedrich August II. mit der österreichischen Kaisertochter und Erzherzogin<br />
Maria Josepha im September 1719 in Dresden veranstalten ließ, fanden und<br />
finden bis heute große Aufmerksamkeit. Die vorliegende Fachliteratur konzentriert<br />
und beschränkt sich allerdings zumeist auf die sogenannten „Planetenfeste Augusts<br />
des Starken“ in der Residenzstadt. Dabei galt den Opernaufführungen – und hier<br />
nicht zuletzt der Anwesenheit Händels in Dresden und dessen Begegnung mit den<br />
berühmtesten Opernsängern Italiens, die kurz zuvor im Auftrag des Kurprinzen nach<br />
Dresden engagiert worden waren 1 – besonderes Interesse. 2 Kai Köpp beispielsweise<br />
erwähnte in seinen Untersuchungen jener Musikerverzeichnisse, die 1718 explizit<br />
„im Zusammenhang mit der Hochzeit des Kurprinzen Friedrich August“ angelegt<br />
wurden, ausschließlich die glanzvollen Opernaufführungen „nach venezianischem<br />
Vorbild“. 3 Und Sabine Henze-Döring, die die Oper als „‚Majestät‘ unter den musikalischen<br />
Gattungen“ bezeichnete, schenkte vor allem den Aufführungen im neu erbauten<br />
Opernhaus besondere Aufmerksamkeit. 4 Auch Tim Blanning hob die besondere<br />
Bedeutung und repräsentative Wirkung der Oper hervor:<br />
To celebrate the occasion [of the marriage], Augustus unleashed the full panoply of<br />
his court. Two years of preparation, which involved among other things the extensi-<br />
1 Vgl. Johannes Gress, „Händel in Dresden (1719)“, in: Barbara Marx (Hg.), Händel-Jahrbuch 9<br />
(1963), 135–151; Michael Walter, „Italienische Musik als Repräsentationskunst der Dresdner<br />
Fürstenhochzeit von 1719“, in: Elbflorenz: Italienische Präsenz in Dresden 16.–19. Jahrhundert,<br />
Dresden 2000, 177–202; ders. „Händel, Dresden und ‚Ottone‘“, in: Magazin Händel-Festspiele<br />
2011, Halle 2011, 17–19.<br />
2 Vgl. etwa Claudia Schnitzer (Hg.), Constellatio Felix. Die Planetenfeste Augusts des Starken anlässlich<br />
der Vermählung seines Sohnes Friedrich August mit der Kaisertochter Maria Josepha 1719 in Dresden,<br />
Dresden 2014, 9–16.<br />
3 Kai Köpp, „Ein Musikerverzeichnis aus dem Jahr 1718 als Referenzquelle für die Dresdner<br />
Kapellgeschichte“, in: Ortrun Landmann – Hans-Günter Ottenberg (Hgg.), Johann Georg Pisendel –<br />
Studien zu Leben und Werk; Bericht über das Internationale Symposium vom 23. bis 25. Mai 2005 in<br />
Dresden (Dresdner Beiträge zur Musikforschung 3), Hildesheim – Zürich – New York 2010, 353–<br />
382, hier: 365.<br />
4 Sabine Henze-Döring, „Der Stellenwert der Musik im höfischen Zeremoniell“, in: Juliane Riepe<br />
(Hg.), Musik der Macht – Macht der Musik. Die Musik an den Sächsisch-Albertinischen Herzogshöfen<br />
Weissenfels, Zeitz und Merseburg (Schriften zur mitteldeutschen Musikgeschichte, Bd. 8), Hamburg<br />
2003, 23–32, hier: 31.<br />
11
Einleitung<br />
on of the Zwinger and the construction of the largest opera-house north of the Alps,<br />
reached a climax with fill months of festivities to greet the bride and bridegroom on<br />
their return from Vienna. […] He [August the Strong] seized this opportunity to<br />
advertise the wealth of his state with both hands. […] Opera seria was the representational<br />
genre par excellence, for it was grand, formal, classical, elitist, hierarchical and<br />
ideally suited to the propagation of an absolutistic political message. 5<br />
Relativ wenig beachtet und nur gelegentlich erwähnt wurden hingegen jene musikalischen<br />
Aktivitäten, die vor und nach dem Dresdner Festin stattfanden: während<br />
der Brautwerbung des Kurprinzen 1718 in Wien; bei der Ankunft der Erzherzogin<br />
in ihrem neuen Heimatland Sachsen, in Pirna; sowie, nach Abschluss der Festivitäten<br />
in der Residenzstadt, bei Divertissements im Jagdschloss Moritzburg. 6 Sofern diese<br />
Ereignisse überhaupt Berücksichtigung fanden, blieb es bei einigen wenigen allgemeinen<br />
Aussagen. So fasste beispielsweise Claudia Schnitzer in ihrer Publikation Constellatio<br />
Felix den „Vorlauf“ des Dresdner Festins folgendermaßen zusammen:<br />
Die Dresdner Vermählungsfeierlichkeiten nahmen ihren Anfang mit der feierlichen<br />
Einholung der Braut am Sonntag, dem 2. September 1719. […] Das letzte Stück<br />
der Wegstrecke von Wien nach Dresden sollte Maria Josepha zu Wasser, in einer<br />
Prunkgondel auf der Elbe zurücklegen. Am 31. August hatte sie nach mehrtägiger<br />
Reise Pirna erreicht, zwei Tage später bestieg sie den Bucentauro, der ihren Namen<br />
trug und sie elbabwärts bis zur alten Vogelwiese (heute Blasewitz) vor den Stadttoren<br />
Dresdens brachte. 7<br />
Freilich hatte Irmgard Becker-Glauch bereits 1951 die Namen derjenigen Musiker<br />
genannt, die zur Aufwartung beim Empfang der Erzherzogin in Pirna beordert worden<br />
waren (vgl. Kap. II), und damit die aufwendige Inszenierung jener Begrüßung<br />
belegt. 8 Erst in jüngster Zeit richteten Forscherinnen und Forscher den Fokus auf die<br />
musikalischen Präsentationen während der Brautwerbung des sächsischen Kurprinzen<br />
1718 in Wien, 9 die eine nicht zu unterschätzende Funktion in der künstlerischen<br />
5 Tim C. W. Blanning, „Personal Union and Cultural Contact? The Role of Courts in the Unions<br />
Hanover/England and Saxony/Poland“, in: Rex Rexheuser (Hg.), Die Personalunionen von<br />
Sachsen-Polen 1697–1763 und Hannover-England 1714–1837. Ein Vergleich (Quellen und Studien des<br />
Deutschen Historischen Instituts Warschau, Bd. 18), Wiesbaden 2005, 465–482, hier: 468 f.<br />
6 Lediglich Andrea Sommer-Mathis, die allerdings nur kurz auf die Divertissements in Moritzburg<br />
einging, erkannte deren Zusammenhang mit dem Dresdner Festin und bezeichnete sie „als eine<br />
Art Nachfeier“ (Tu felix Austria nube. Hochzeitsfeste der Habsburger im 18. Jahrhundert (dramma per<br />
musica, Bd. 4), Wien 1994, 53).<br />
7 Schnitzer 2014 (wie Anm. 2), 64.<br />
8 Irmgard Becker-Glauch, Die Bedeutung der Musik für die Dresdener Hoffeste bis in die Zeit Augusts des<br />
Starken (Musikwissenschaftliche Arbeiten 6), Kassel – Basel 1951, 101.<br />
9 Vgl. beispielsweise: Herbert Seifert, „Zelenka in Wien“, in: Günter Gattermann – Wolfgang<br />
Reich (Hgg.), Zelenka-Studien II (Deutsche Musik des Ostens, 12), St. Augustin 1997, 183–192;<br />
Janice B. Stockigt, „On the Dresden sources of Zelenka’s instrumental music“, in: Karl Wilhelm<br />
Geck (Hg.), Das Instrumentalrepertoire der Dresdner Hofkapelle in den ersten beiden Dritteln des 18.<br />
Jahrhunderts […], Dresden 2010, 192–207; Janice B. Stockigt – Jóhannes Ágústsson, „Reflections<br />
12
Einleitung<br />
Außendarstellung des Sächsischen Hofes hatten und fester Bestandteil der diplomatischen<br />
Verhandlungen in der Hochzeitsangelegenheit waren.<br />
In den genannten Fällen beschäftigten sich die Autorinnen und Autoren lediglich<br />
mit dem jeweiligen Einzelereignis, eine Beschreibung aller dieser oben genannten<br />
musikalischen Aktivitäten sowie deren Zusammenschau steht bislang aus.<br />
Die weitgehende Nichtbeachtung der angesprochenen Darbietungen dürfte ihre<br />
Ursache nicht zuletzt darin haben, dass sie in den offiziellen Beschreibungen, 10 die<br />
sich inhaltlich im Wesentlichen auf die Vermählungszeremonien am 20. August 1719<br />
in Wien sowie die Ereignisse im Monat September 1719 in Dresden beschränkten,<br />
allenfalls kurz thematisiert wurden. Das betrifft allerdings lediglich den Empfang in<br />
Pirna; die Divertissements in Moritzburg fanden überhaupt keine Erwähnung. Über<br />
die Gründe dafür verraten die Quellen nichts, man ist insoweit auf Vermutungen<br />
angewiesen. Wie Helen Watanabe O’Kelly betonte, hatten die damals üblichen Festbeschreibungen<br />
zwei Funktionen zu erfüllen. Zum einen ging es darum zu dokumentieren,<br />
„that the pre-ordained ceremonial has been correctly observed, for this alone<br />
makes it valid and binding.“ Zum anderen sollten die zugehörigen Darbietungen,<br />
etwa Turniere, Opern- und Ballettaufführungen, Jagden, Feuerwerke und dergleichen,<br />
beschrieben und für die Nachwelt festgehalten werden, „to show the cultural<br />
sophistication of the organising court.“ 11 Thomas Rahn betonte zudem die Möglichkeit,<br />
durch einen Bericht die Ereignisse für die Nachwelt festzuhalten, so dass dieser<br />
gleichsam als „Wahrnehmungsnachtrag des Festes“ fungieren konnte. 12<br />
Es scheint, dass August der Starke die hier in Rede stehenden musikalischen Darbietungen<br />
in Wien, in Pirna und in Moritzburg für zu intim hielt, als dass sie öffentlich<br />
bekannt gemacht hätten werden müssen, und als habe es ihm genügt, dass darüber nur<br />
gelegentlich und eher knapp in offiziellen Publikationsorganen berichtet wurde. Gerade<br />
die musikalischen Aktivitäten sächsischer Musiker in Wien im Zuge der Brautwerbung<br />
and recent findings on the life and music of Jan Dismas Zelenka (1679–1745)“, in: Jíří K. Kroupa<br />
(Hg.), Zelenka’s Life and Music Reconsidered, Zelenka Conference Prague 2015 (Clavibus unitis, 4),<br />
7–48; Shelley Christine Hogan, The Ripieno Bass Section of the Dresden Hofkapelle during the Reign of<br />
August the Strong, 1709–1733: Players, Repertoire, Performance, Diss. Univ. of Melbourne, 2017.<br />
10 Es handelt sich um folgende Titel: Das Königliche Denckmal […], Frankfurt und Leipzig 1719, sowie<br />
Dreßdnisches Diarium, auf den Monat September, 1719 […], o. O. [1719]. Darüber hinaus erschienen<br />
weitere Publikationen, die beispielsweise über einzelne Ereignisse – etwa den Einzug der<br />
Erzherzogin in Dresden am 2. September 1719 – berichteten, oder über bestimmte Darbietungen<br />
im Rahmen des Festins – z. B. das Feuerwerk am 10. September 1719 oder das Saturnus-Fest am<br />
26. September 1719. Da diese Beschreibungen in Einzelheiten durchaus voneinander abweichen,<br />
lässt sich manches Detail heute nicht mehr genau rekonstruieren (auf einzelne dieser Abweichungen<br />
wird im Verlauf der Untersuchung näher eingegangen).<br />
11 Helen Watanabe-O’Kelly, „‚Mit offentlich-ausgebrochenen Liebes=Thränen’ – How And Why<br />
Early Modern Festival Books Depict Emotions“, in: History of Emotions – Insights into Research,<br />
November 2014, 1, URL: https://www.history-of-emotions.mpg.de/texts/how-and-why-earlymodern-festival-books-depict-emotions<br />
[letzter Zugriff: 18.6.2024]<br />
12 Thomas Rahn, „Fortsetzung des Festes mit anderen Mitteln. Gattungsbeobachtungen zu<br />
hessischen Hochzeitsberichten“, in: Jörg Jochen Berns – Detlef Ignasiak (Hgg.), Frühneuzeitliche<br />
Hofkultur in Hessen und in Thüringen, Erlangen – Jena 1993, 233–248, hier: 234.<br />
13
Einleitung<br />
fanden in der Forschung erst in allerjüngster Zeit Aufmerksamkeit. Dabei kann es über<br />
die politische und diplomatische Bedeutung jener Darbietungen keinen Zweifel geben,<br />
wie Szymon Paczkowski aufgrund der Auswertung von Quellen des Generalfeldmarschalls<br />
Jacob Heinrich von Flemming feststellte. Flemming war eine der wichtigsten<br />
Persönlichkeiten am Hof Augusts des Starken, hatte entscheidenden Anteil an den Verhandlungen<br />
um die Verbindung der Höfe in Wien und Dresden durch die Hochzeit<br />
des Kurprinzen Friedrich August II. und der Erzherzogin Maria Josepha und ließ seine<br />
eigenen Musiker ebenfalls in Wien auftreten (vgl. Kap. I, S. 52, 65):<br />
The sources reveal that music was regularly present in the background of those negotiations,<br />
and musicians, although not directly involved in matters of state, were<br />
nonetheless involuntarily direct or indirect witnesses of those developments, and, on<br />
occasion, actual participants. This included members of private ensembles retained<br />
by Flemming and other Saxon diplomats [e. g. Wackerbarth], the imperial orchestra<br />
in Vienna and the royal Hofkapelle in Dresden. 13<br />
Einen bedeutenden Platz bei diesen Darbietungen in Wien hatten im Übrigen auch die<br />
Musiker des Kabinettsministers und Generalfeldmarschalls und Staatsministers Graf<br />
August Christoph von Wackerbarth (vgl. Kap. I, S. 39, 52). 14 Ob dieser musikalische<br />
Austausch konkrete Auswirkungen auf das Ergebnis der langwierigen Verhandlungen<br />
hatte, steht dahin. Bemerkenswert ist jedenfalls, dass August der Starke und sein Sohn<br />
ihn mit so großem Elan betrieben und erstaunlich viele der besten in Dresden verfügbaren<br />
Musiker nach Wien entsandten (s. Kap. I). Einer Mitteilung des Kurfürsten/Königs<br />
vom 23. August 1718, kurz vor Abreise der Musiker, lässt sich entnehmen, dass<br />
er die entsprechende Anregung von Peter Robert Taparelli, Grafen de Lagnasc[o],<br />
seinerzeit Geheimer Kabinettsminister und an den Wiener Verhandlungen um die<br />
Fürstenhochzeit beteiligt, dazu willig aufnahm. In dem Schreiben heißt es u. a.:<br />
Herr Graf de Lagnasc[o]: Ich habe Ihren Brief vom 18. dieses Monats [August 1718]<br />
erhalten, in dem Sie mir mitteilen, dass es notwendig sei, dem Prinzen, meinem<br />
Sohn, einige silberne Teller, was für ein Buffet erforderlich ist, und Musiker zu<br />
schicken, das alles, um, wenn die Zeit gekommen ist, die Niederkunft der Kaiserin 15<br />
zu feiern. 16<br />
13 Szymon Paczkowski, „Music and Diplomacy: The Correspondence of Marshal Jacob Heinrich<br />
Flemming and Other Records, 1700–1720. Part II. The Wedding Ceremony of Friedrich August<br />
and Maria Josepha in Vienna (1719)“, in: Musicology Australia 42:1, 2020, 42–56, hier: 45.<br />
14 Vgl. Stockigt – Ágústsson 2015 (wie Anm. 9), 14, sowie Szymon Paczkowski, „Christoph<br />
August von Wackerbarth (1662–1734) and his ‚Cammer Music‘“, in: Jolanta Guzy-Pasiak – Aneta<br />
Markuszewska (Hgg.), Music in the Early Modern Age. Centres and Peripheries – People, Works, Styles,<br />
Paths of Dissemination and Influence, Warschau 2016, 109–126, hier: 111.<br />
15 Elisabeth Christine, seit 1708 Gemahlin von Karl VI.; das Kind war Maria Anna (14.9.1718–<br />
16.12.1744), jüngere Schwester von Maria Theresia.<br />
16 Sächsisches Hauptstaatsarchiv Dresden [nachfolgend: SächsStA-D], Bestand 10026, Geheimes<br />
Kabinett, Loc. 661/6, fol. 344г.<br />
14
Einleitung<br />
Wenn die Entsendung der Dresdner Musiker nach Wien in der Vorstellung des Grafen<br />
de Lagnasco tatsächlich vornehmlich dem Ziel diente, bei der bevorstehenden Geburt<br />
dem Kaiserpaar zu huldigen, so entsprach diese Maßnahme doch zweifellos auch der<br />
Absicht des sächsischen Kurfürsten und polnischen Königs, die Leistungsfähigkeit der<br />
Dresdner Musiker am Wiener Hof und dem politischen Umfeld zu präsentieren, dadurch<br />
das Ansehen seines Sohnes zu mehren und die Verhandlungen über die Ehe mit<br />
einer Kaisertochter zu befördern.<br />
Weder das Sächsische Hauptstaatsarchiv Dresden noch das Österreichische Staatsarchiv<br />
verfügen über spezielle Akten zu Details der musikalischen Aktivitäten rund um die<br />
Fürstenhochzeit 1719 sowie zu den daran beteiligten Musikern. entsprechende Informationen<br />
finden sich vielmehr verstreut in Dutzenden von Aktenbeständen beziehungsweise,<br />
für Wien, in Mitteilungen des Wienerischen Diariums – eine Publikation mit enger<br />
Beziehung zum Kaiserhof, in der die Berichterstattung über Ereignisse am Hof einen<br />
zentralen Platz einnahm. 17 Hinzu kommt, dass Beschreibungen einzelner Festivitäten<br />
häufig in mehreren verschiedenen Akten des Dresdner Oberhofmarschallamts enthalten<br />
sind und inhaltlich keineswegs immer übereinstimmen (vgl. hierzu die Angaben zum<br />
Ablauf der Begrüßungszeremonien in Pirna, Kap. II, S. 78 f., sowie der Divertissements<br />
in Moritzburg, Kap. III, S. 99 f.). In einer Dresdner Archivalie, die Dokumente zur<br />
Vermählung des Kurprinzen mit der Erzherzogin Maria Josepha sowie zu deren Reise<br />
nach Dresden enthält, finden sich beispielsweise zwei Listen mit unterschiedlichen Festlegungen<br />
der Ankunftsdaten des Hochzeitspaares in Sachsen, ohne dass erkennbar wäre,<br />
welche sich auf die Planungen bezieht und welche die letztgültige ist. 18 (vgl. Kap. II)<br />
Die Dichte der Quellenlage in Wien ist bei weitem nicht derart üppig wie in Dresden,<br />
denn die mit der Hochzeit verbundenen Investitionen betrafen die Musik nur<br />
am Rande. Die musikalischen Darbietungen fanden größtenteils im Rahmen der üblichen<br />
höfischen Veranstaltungen statt und die Kosten für den Austausch der Musiker<br />
wurden nicht vom Wiener Hof getragen. So sind es einerseits die Manuskripte<br />
der aufgeführten Musikwerke, die sich in der Österreichischen Nationalbibliothek<br />
befinden und andererseits Protokolle und Akten der Alten Hofkammer im heutigen<br />
Österreichischen Staatsarchiv, die zur Auswertung herangezogen wurden. Außerdem<br />
lassen sich in Zeremonialprotokollen und -akten des Obersthofmeisteramts, die ebenfalls<br />
im Staatsarchiv bewahrt werden, Informationen über die Anwesenheit einzelner<br />
Personen bei speziellen höfischen Veranstaltungen finden. Eingaben der Wiener Musiker<br />
und Instrumentenmacher an das Obersthofmeisteramt weisen nur in Ausnahmefällen<br />
Dienste aus, die mit den Feierlichkeiten beziehungsweise mit dem Austausch<br />
zwischen Dresden und Wien direkt in Verbindung stehen.<br />
17 Stefan Seitschek, „Einige caeremonialpuncten bet(reffend)“. Kommunizierende Gefäße: Zeremonialprotokoll<br />
und Wiener Diarium als Quelle für den Wiener Hof (18. Jh.), Wien 2011, 54 f., URL: https://phaidra.<br />
univie.ac.at/detail/o:306189 [letzter Zugriff: 15.6.2024]<br />
18 SächsStA-D, Bestand 10026 Geheimes Kabinett, Loc. 357/4, fol. 243r–244r (zunächst geplanter<br />
Zeitablauf) sowie fol. 246/3r–246/4r (tatsächlicher Zeitablauf).<br />
15
Einleitung<br />
Eine handschriftlich erstellte Personenkartei des Dresdner Theaters und des Orchesters,<br />
das Spezialinventar „Theater und Musik“, mit konkreten Verweisen auf einzelne<br />
Akten, enthält zwar die Namen der meisten Musiker, die an den Aufführungen im<br />
Rahmen der Festlichkeiten beteiligt waren, doch basiert diese Kartei ausschließlich<br />
auf der Auswertung von Quellen, die sich direkt auf die Oper und das Orchester<br />
insgesamt beziehungsweise auf einzelne seiner Mitglieder beziehen. Nicht für diese<br />
Spezialdatei herangezogen wurden beispielsweise Akten, in denen Zahlungen –<br />
z. B. Auslösungen, das heißt Tage- und Reisegelder bei Aufwartungen außerhalb der<br />
Stadt Dresden, Gratifikationen oder Belege über Transportkosten – dokumentiert<br />
sind, oder solche zu allgemeinen repräsentativen Aktivitäten, sowie schließlich die<br />
Fourier-Zettel beziehungsweise Hofbücher. Gerade jene Aktenbestände des Oberhofmarschallamtes<br />
sind jedoch für unsere Studie von besonderem Interesse. Sie liefern<br />
u. a. Informationen zu den Planungen der hier in Rede stehenden Musikdarbietungen,<br />
zur Dauer der Entsendung der Dresdner Virtuosen und, um ein konkretes Beispiel<br />
zu nennen, zu ihrer Unterstützung durch Musiker der „Privatkapelle“ des Grafen<br />
Wackerbarth (vgl. Kap. II, S. 52, 65, 86) sowie des Generalfeldmarschalls und Kabinettsminister<br />
Graf Flemming (siehe Kap. I, S. 67). Darüber hinaus enthalten Akten des<br />
Oberhofmarschallamtes nicht nur die Namen der betreffenden Musiker, sondern geben<br />
beispielsweise durch die aufgeführten Beträge der individuellen Auslösungen indirekt<br />
Auskunft über deren persönlichen Rang und damit nicht zuletzt darüber, welche Bedeutung<br />
der sächsische Kurfürst und polnische König beziehungsweise der Kurprinz<br />
den musikalischen Demonstrationen im Umfeld der Fürstenhochzeit beimaßen.<br />
Die angesprochenen nicht-musikbezogenen Akten liefern darüber hinaus Einblicke<br />
in die Planungen der Festlichkeiten. Dass der Ablauf des Festins im September 1719<br />
minutiös und lange im Voraus geplant war, ist hinreichend bekannt, nicht jedoch, dass<br />
Veranstaltungen mit erheblichem Anteil musikalischer Darbietungen im Vorfeld und<br />
im Anschluss an das Planetenfest kurzfristig angesetzt wurden, wobei die Abstimmung<br />
zwischen dem kurfürstlichen Haus beziehungsweise dessen Hofbürokratie und<br />
den teilnehmenden Musikern, insbesondere den Kapellmeistern, die die Musikdarbietungen<br />
zu gestalten hatten, erstaunlicherweise stark zu wünschen übrig ließ (vgl.<br />
Kap. III).<br />
2. Zielsetzung der Untersuchung<br />
Wie oben erwähnt, verbergen sich viele Informationen zu musikalischen Aktivitäten<br />
rund um das Dresdner Festin in Aktenbeständen, die nur selten unter musikwissenschaftlichen<br />
Gesichtspunkten ausgewertet wurden, aber auch in teilweise thematisch<br />
entlegenen Publikationen. Ziel der vorliegenden Arbeit ist es daher, einen<br />
möglichst vollständigen Überblick über jene musikalischen Präsentationen zu geben,<br />
die während der Brautwerbung des sächsischen Kurprinzen 1718 in Wien und vor<br />
dem berühmten Festin – gleichsam als dessen „kammermusikalischer“ Beginn – bei<br />
der Begrüßung der Erzherzogin in Pirna sowie im Anschluss an das Festin – als des-<br />
16
Einleitung<br />
sen ebenfalls klein besetzter Epilog – bei den Divertissements in Moritzburg stattfanden.<br />
Dabei wird auf die Kontexte einzugehen sein, in denen diese musikalischen<br />
Darbietungen standen, um zu zeigen, in welchem Umfang die Gestaltung dieser Aktivitäten<br />
nicht nur von zeremoniellen Reglements, sondern auch vom musikalischen<br />
Geschmack des Hochzeitspaares bestimmt wurde. Und schließlich soll versucht werden,<br />
durch Vergleich mit dem Aufwand für musikalische Darbietungen bei zeitnahen<br />
anderen Festivitäten des Dresdner Hofes herauszuarbeiten, inwiefern die Strukturen<br />
und die Substanz der musikalischen Divertissements rund um die Fürstenhochzeit<br />
von 1719 Besonderheiten aufwiesen.<br />
Ein Blick auf die archivalischen Quellen zu den musikalischen Darbietungen in<br />
Wien, Pirna und Moritzburg zeigt, dass jeweils die besten und namhaftesten Virtuosen<br />
der Dresdner Hofkapelle beteiligt waren. Die meisten von ihnen führte Johann<br />
Joachim Quantz – immerhin seit 1718 Mitglied der polnischen und seit 1728 der<br />
Dresdner Hofkapelle – in seinem Lebenslauf als Stützen der Dresdner Orchesters an,<br />
von dem er behauptete, er habe auf all seinen Reisen kein besseres gehört:<br />
Das königliche Orchester war zu der Zeit [Diensteintritt von Quantz: 1716] schon<br />
in besondern Flor. Durch die, von dem damaligen Concertmeister Volumier eingeführte<br />
französische Art des Vortrags, unterschied es sich bereits von vielen andern<br />
Orchestern: so wie es nachgehends, unter der Anführung des folgenden Concertmeisters<br />
Herrn Pisendel, durch Einführung eines vermischten Geschmacks, immer<br />
nach und nach zu solcher Fertigkeit der Ausführung gebracht worden, daß ich auf<br />
allen meinen künftigen Reisen, kein bessers gehört habe. Es prangete damals mit verschiedenen<br />
berühmten Instrumentisten, als: Pisendeln und Verracini auf der Violine;<br />
Pantaleon Hebenstreiten auf dem Pantalon; Sylvius Leopold Weißen auf der Laute<br />
und Theorbe; Richtern auf dem [sic!] Hoboe; Buffardin auf der Flöte traversiere;<br />
der guten Violoncellisten, Fagottisten, Waldhornisten, und Contraviolonisten, zu<br />
geschweigen. 19<br />
Daher drängt sich die Vermutung auf, dass es dem sächsischen Kurfürsten und polnischen<br />
König sowie dem Kurprinzen darum ging, die außergewöhnliche Qualität der<br />
Hofkapelle nicht nur in ihrer Gesamtheit einem möglichst großen Publikum unter<br />
Einschluss der Untertanen zu präsentieren – das erfolgte in den zahlreichen Darbietungen<br />
während des berühmten Festins im September 1719 in Dresden –, sondern seinen<br />
renommiertesten Virtuosen die Möglichkeit zu eröffnen, in kleinerem Zuhörerkreis<br />
und in intimerem Rahmen in verschiedenen, gleichsam kammermusikalischen<br />
Besetzungsvarianten aufzutreten und ihr Können unter Beweis zu stellen. Daher richtet<br />
sich unser Augenmerk besonders auf jene Musikerpersönlichkeiten, die auf der<br />
Seite der musikalischen Realisierung wie auch der Komposition als Repräsentanten<br />
der überragenden und innovativen Dresdner Musiktradition zunächst am Kaiserhof<br />
in Wien, sodann in Pirna und Moritzburg die Erzherzogin Maria Josepha nachhaltig<br />
19 [Quantz] „Herrn Johann Joachim Quantzens Lebenslauf, von ihm selbst entworfen“, in: Friedrich<br />
Wilhelm Marpurg, Historisch-kritische Beyträge zur Aufnahme der Musik, Bd. 1, 3. Stück, Berlin<br />
1755, 197–250, hier: 206 f.<br />
17
Einleitung<br />
beeindrucken sollten. Dass der sächsische Kurfürst – vermutlich im Zusammenwirken<br />
mit dem Kurprinzen (vgl. Kap. IV) – für dieses Ziel seine besten Musiker gleich<br />
mehrfach und so einsetzte, dass sie ihre individuellen Fähigkeiten unter Beweis stellen<br />
konnten, ohne dass sich diese in der Masse der Ausführenden verloren, spricht dafür,<br />
dass es ihm darum ging, die Musik bewusst für seine diplomatischen Ziele zu nutzen.<br />
Jedenfalls konstatierte jüngst Shelley Christine Hogan:<br />
Overall, the influence from the crown prince on the Dresden Hofkapelle until 1733<br />
was a manifestation of his personal interest in music and specifically the music of<br />
Italy. 20<br />
Dass der Kurprinz an den Planungen der Festivitäten beteiligt war, ist sicher, in welchem<br />
Umfang er sie im Detail nach seinen Vorstellungen zu bestimmen vermochte,<br />
lässt sich den Quellen nicht mit letzter Sicherheit entnehmen. Natürlich erfolgte das<br />
Engagement der italienischen Opernstars mit Blick auf eine beabsichtigte Umorganisation<br />
des Dresdner Opernbetriebes, und sicher zu Recht konstatierte Alexander Querengässer<br />
einen „nicht unerheblichen Einfluss [des Kurprinzen] auf die Gestaltung der<br />
Abendprogramme [beim Festin 1719 in Dresden], insbesondere der Opern“. 21 Aber die<br />
Konzentration auf die Interessen und Aktivitäten im Bereich der Oper, die sich ja auf die<br />
Residenzstadt beschränkten, greift zu kurz, wie anhand der Auswertung einschlägiger<br />
Akten zu den musikalischen Aufwartungen in Wien und Pirna sowie den Divertissements<br />
in Moritzburg zu zeigen sein wird. Denn anders als in Wien und Dresden standen<br />
in Pirna und Moritzburg, in je abgestufter Weise, die gleichsam en famille, im kleinen<br />
Kreis der engsten Vertrauten beziehungsweise der nächststehenden Aristokraten realisierten<br />
Musikdarbietungen selbst im Vordergrund. Hier scheint man auf besondere<br />
Vorlieben des Hochzeitspaares Rücksicht genommen zu haben, namentlich auf jene der<br />
Erzherzogin. Denn es ist schon auffallend, dass sowohl in Pirna als auch in Moritzburg<br />
die meisten jener Virtuosen der Hofkapelle erneut zur Mitwirkung herangezogen wurden,<br />
die 1718 nach Wien beordert worden und dort in die künstlerischen Aktivitäten<br />
rund um die diplomatischen Verhandlungen über die geplante Hochzeit eingebunden<br />
waren. Ohne jeden Zweifel hatten sie die kaiserliche Familie, und ganz besonders die<br />
Erzherzogin, nachhaltig beeindruckt, wie nicht zuletzt die Tatsache beweist, dass der<br />
Kaiser einen seiner Hofmusiker, Maximilian Hellmann jun., bei der Heimreise der<br />
Dresdner Virtuosen mitschickte, damit dieser bei Pantaleon Hebenstreit das Spiel des<br />
Pantalons erlerne. 22 Der Eindruck, den Hebenstreit bei seinem Auftreten am Wiener<br />
Hof im Herbst 1718 mit seinem Instrument gemacht hatte, wirkte in Wien noch rund<br />
ein halbes Jahrhundert nach und damit fast so lange wie in Dresden.<br />
20 Hogan 2017 (wie Anm. 9), 65.<br />
21 Alexander Querengässer, 1719. Hochzeit des Jahrhunderts. Festkultur am Dresdner Hof, Beucha –<br />
Markkleeberg 2020, 31.<br />
22 Vgl. hierzu Beatrix Darmstädter, „Die Cymbalisten am Wiener Hof des 18. Jahrhunderts“,<br />
in: Christian Ahrens – Gregor Klinke (Konzeption und Redaktion), Von Mozart bis Chopin.<br />
Das Fortepiano 1770–1850. Symposium im Rahmen der Tage Alter Musik in Herne 2007, München –<br />
Salzburg 2010, 10–50, hier: 14 f.<br />
18
Einleitung<br />
Im Vorfeld der Hochzeit wirkte der Dresdner Hofmusiker Pantaleon Hebenstreit<br />
kurzfristig in Wien, wo er das von ihm weiterentwickelte Hackbrett („Pantaleon“,<br />
„Pantalon“, „großes Cymbal“) präsentierte und die höfische Musikkultur prägte. Als<br />
Schüler nahm er den Scholaren Maximilian Hellmann aus Wien mit nach Dresden,<br />
um ihn im Spiel des neuen Instruments zu unterweisen. Hellmann kam 1723 nach<br />
Wien zurück. Der junge Virtuose machte laut eigenen Angaben in Prag im Rahmen<br />
der Krönungsfeierlichkeiten von Karl VI. zum böhmischen König als Musiker Station.<br />
23 Hebenstreit unterrichtete später auch Johann Baptist Gumpenhu[e]ber, der Hellmann<br />
als Hackbrett-Virtuose am Wiener Hof unterstützte. 24 Beide Musiker spielten<br />
von Hebenstreit entwickelte Modelle, wobei Gumpenhuber das letzte Instrument aus<br />
dem Besitz Hebenstreits nach Wien gebracht hatte. 25 In Wien nahm das Pantaleon<br />
eine besonders wichtige Rolle als Vorläufer des Hammerklaviers ein. Die klanglich<br />
charakteristischen, sehr deutlich spielbaren Dynamikunterschiede und der rauschende<br />
Klang virtuoser Läufe wurden von frühen, mit leichten, unbelederten Hämmerchen<br />
ausgestatteten Hammerklavieren nachgeahmt. In der Musicalischen Academie vom<br />
6. März 1763, die als erstes dokumentiertes öffentliches Hammerklavierkonzert in<br />
Wien gilt, wird der dem Publikum noch unbekannte Pianoforteklang mit dem gewohnten<br />
Klang des Pantaleons verglichen. 26 Nach diesem Konzert ließ Maria Theresia<br />
den Hackbrettspielern stets geringere Förderungen zukommen, so dass die Hammerklaviertradition<br />
ihren Aufschwung nahm. Hebenstreit beeinflusste aufgrund seiner<br />
Anwesenheit in Wien einerseits als instrumentenbaulich ambitionierter Musiker und<br />
Lehrer die Rolle des Hackbretts am Hof. Andererseits eröffnete sein Instrument dem<br />
Klavier richtungsweisende Möglichkeiten.<br />
3. Diplomatie und höfische Feste<br />
Zielstrebig und mit großer Intensität verfolgte Friedrich August I. den Plan, seinen<br />
Sohn Friedrich August II. mit der ältesten österreichischen Kaisertochter Maria Josepha<br />
zu vermählen. „Viewed in terms of foreign policy, this was a brilliant diplomatic<br />
coup […].” 27 Grundlage der diplomatischen Aktivitäten Augusts des Starken, die er<br />
augenscheinlich bereits seit 1705 plante und mindestens seit 1716 intensiv betrieb, 28<br />
war die Hoffnung, dass sein Sohn eines Tages die Kaiserkrone würde erringen können:<br />
„Karl’s [Karl VI.] two daughters were then aged two and one respectively, so the<br />
23 OeStA [Österreichisches Staatsarchiv], HHStA, OMeA, Prot. 10, 1723–1725, fol. 182–186v. Die<br />
Rechnungen HHStA, OMeA, HRD X 1, die Personalkosten listen, weisen ihn nicht aus. So ist<br />
anzunehmen, dass sein Aufenthalt und seine musikalische Darbietung vom Dresdner oder Prager<br />
Hof finanziert wurden.<br />
24 OeStA, HHStA, OMeA, Ältere Aktenreihe, Karton 42, 1751.<br />
25 OeStA, HHStA, OMeA, Ältere Aktenreihe, Karton 62, 1763.<br />
26 Philippe Gumpenhu[e]ber: Repertoire de tous les spectacles, Wien 1761–1763, Nr. 51, Dimanche,<br />
6 Mars 1763, (ÖNB, Mus.Hs.34580).<br />
27 Helen Watanabe-O’Kelly, Court Culture in Dresden. From Renaissance to Baroque, New York 2002, 199.<br />
28 Stockigt – Ágústsson 2015 (wie Anm. 9), 13.<br />
19
Einleitung<br />
chance of the Saxon prince succeeding to the Habsburg inheritance and the Imperial<br />
crown was not a negligible one.” 29 Hinzu kam das Bestreben des sächsischen Kurfürsten<br />
und polnischen Königs, den Anspruch auf die polnische Krone, „die nicht durch<br />
Erbfolge gesichert war“, zu zementieren. 30<br />
Diese staatspolitischen Vorstellungen und Zielsetzungen, welche die 1712 erfolgte<br />
Konversion des Kurprinzen voraussetzten, waren so wirkmächtig, dass der Kurfürst/<br />
König über die massiven Kränkungen hinwegsah, die der Kaiser dem Kurprinzen zufügte,<br />
indem er ihn vor der offiziellen Brautwerbung am 13. August 1719 dem Rang<br />
nach als einen Grafen (von der Laußnitz) traktieren ließ, nicht als Sohn eines Königs –<br />
mit der Begründung, es handle sich in Polen nicht um ein Erb- sondern um ein Wahlkönigtum.<br />
Dies veranlasste den Generalfeldmarschall und Kabinettsminister Jacob<br />
Heinrich von Flemming in einem Pro Memoria vom 13. Juni 1719 zu folgenden<br />
Überlegungen:<br />
Im übrigen kann auch das Tractament so dem Königl. Prinz, so lange er vorhin in<br />
cognito hiergewesen wiederfahren, und wie er solcher Zeit benennet worden, anitzo<br />
zu keinem Praejudiz allegiret werden. Er hätte sich gefallen laßen, wenn man ihn damahln<br />
auch noch minders erwiesen, und hätte auch mit dem Praedicat Mr. le Comte<br />
[Herr Graf] vorliebgenommen.<br />
Man wird sich aber von selbsten erinnern, daß das Tractament à l’incognito mit dem<br />
Tractament en public nicht zu confundiren; wie man dann auch, daß unter einem<br />
Sohn, und unter einem Landen [sic!] eines Königs ein Unterschied zu machen seÿ, in<br />
Erwegung ziehen wird.<br />
Und aus diesen allen erhellet klärlich mit was für Fug und Recht Ihro Königl. Mt.<br />
[Majestät], daß Dero Prinz als ein Königl. Prinz tractiret werde, praetendiren können,<br />
und wie sehr es Deroselben zum Tort und Nachtheil gereichen würde, wenn Sie<br />
hierunter sich mit ihrem Königreich etwas vergeben sollten. 31<br />
Unbeschadet des vor der Hochzeit erfolgten endgültigen Verzichts Maria Josephas<br />
auf die kaiserlichen Erbansprüche bestimmten die staatspolitischen und dynastischen<br />
Vorstellungen maßgeblich die Gestaltung jener Festivitäten, die nach der Hochzeit<br />
(am 20. August 1719 in Wien) den ganzen Monat September über in und um Dresden<br />
herum stattfanden. Zwar orientierte man sich in manchen Details an früheren<br />
Großereignissen der sächsischen Festkultur – beispielsweise der Zusammenkunft 32 des<br />
29 Watanabe-O’Kelly 2002 (wie Anm. 27), 200.<br />
30 Sommer-Mathis 1994 (wie Anm. 6), 31.<br />
31 SächsStA-D, Bestand 10026 Geheimes Kabinett, Loc. 761/4, fol. 141r/v. Mit Datum 31.7.1719<br />
richtete August der Starke ein Schreiben an den Kaiser, in dem er mit geziemendem Respekt die<br />
Behandlung seines Sohnes in Wien beklagte (ebd., fol. 150r–151v) und dabei Flemmings oben<br />
zitierte Formulierung aufnahm: „Da denn dieses ganze Werck alß eine domestiquen Sache Ihme<br />
allenfals in anderen Vorfallenheiten eben so wenig als mir oder meinem Königreich, zu einigem<br />
praejudiz wird gereichen können.“ Die Auseinandersetzungen um den Rang des Kurprinzen und<br />
das darauf basierende Hofzeremoniell zogen sich bis zur Vermählungszeremonie am 20. August<br />
1719 in Wien hin; vgl. Sommer-Mathis 1994 (wie Anm. 6), 32.<br />
32 Vgl. hierzu Gabriel Tzschimmer, Die Durchlauchtigste Zusammenkunfft […], Nürnberg 1680.<br />
20
Einleitung<br />
sächsischen Kurfürsten Johann Georg II. mit seinen drei Brüdern August (Herzog<br />
von Sachsen-Weißenfels), Christian I. (Herzog von Sachsen-Merseburg) und Moritz<br />
(Herzog von Sachsen-Zeitz) im Jahre 1678, oder der Festivitäten in Dresden zu Ehren<br />
des Dänischen Königs Frederik IV. im Juni 1709, aber letztlich auch der musikalischen<br />
Darbietungen anlässlich des Kaiserbesuchs in Dresden 1617 –, hinsichtlich des Umfangs<br />
und der Ausstattung ging man jedoch beträchtlich darüber hinaus.<br />
Die für den September 1719 angesetzten Dresdner Hochzeitsfeierlichkeiten trugen den<br />
hochfliegenden Plänen Augusts des Starken Rechnung. Die Hochzeit seines Sohnes mit<br />
der habsburgischen Erzherzogin war keine gewöhnliche Allianz, sondern ein politisches<br />
Ereignis von europäischer Tragweite. Die Festlichkeiten in Dresden sollten ganz<br />
Europa den neu erworbenen Rang der Wettiner als Verwandte des kaiserlichen Hauses<br />
demonstrieren und deshalb alles bisher Dagewesene in den Schatten stellen. In der Tat<br />
gelten sie bis heute als Höhe- und Kulminationspunkt der Dresdener Festkultur. 33<br />
Gleichermaßen geschickt und konsequent bezog der Kurfürst/König überdies Elemente<br />
der habsburgischen Festtradition mit ein, die er „in quantitativer und qualitativer<br />
Hinsicht zu übertreffen gedachte“ und so „ein weiteres Mal die mit der Hochzeit<br />
verbundenen politischen Ambitionen“ deutlich machte. 34 Und zweifellos flossen auch<br />
Eindrücke der Festkultur in Venedig ein, die der Kurprinz während seines Aufenthaltes<br />
in der Lagunenstadt 1716–1717 erhalten hatte. 35<br />
Seinen Anspruch, etwas Einmaliges zu inszenieren, hatte der sächsische Kurfürst<br />
und polnische König in einer der von ihm in Auftrag gegebenen Beschreibungen der<br />
Feierlichkeiten gleich zu Beginn der Vorrede formulieren lassen:<br />
Grosse Monarchen ziehen das Aufsehen der Menschen billig auf ihr Vornehmen und<br />
Thaten, da ihnen sonderlich von Göttl. Majestät die Gerechtsame verliehen, Ihre<br />
Magnificene als etwas zum Voraus vor der Welt zu zeigen, daß [sic!] nicht so leichte<br />
und öffters von anderen kan nachgethan werden. Ein Königliches Denckmal hiervon<br />
sind die vortrefflichen Lustbarkeiten, so bey der Hohen Vermählung […] in Dero<br />
Residentz=Stadt Dreßden den gantzen Monat Septembr. 1719. vorgegangen. 36<br />
Und er legte besonderen Wert auf die Mitteilung an die Leser, dass die „vortrefflichen<br />
Lustbarkeiten“ nur deshalb so glänzend, „regulair und mit dem grösten Pomp vollbracht<br />
worden […], da Dero Königl. Herr Vater [Friedrich August I.], alles selbst in<br />
Hoher Person anzuordnen, und solches zu dirigiren sich gnädigst gefallen lassen.“ 37<br />
33 Schnitzer 2014 (wie Anm. 2), 10 f.<br />
34 A. Querengässer 2020 (wie Anm. 21), 32.<br />
35 Diana Blichmann, „Der Venedig-Aufenthalt Pisendels (1716–1717): Erlebnisse im Gefolge des<br />
sächsischen Kurprinzen Friedrich August als Auslöser eines Kulturtransfers von Venedig nach<br />
Dresden“, in: Ortrun Landmann – Hans-Günter Ottenberg (Hgg.), Johann Georg Pisendel – Studien<br />
zu Leben und Werk; Bericht über das internationale Symposium vom 23. bis 25. Mai 2005 in Dresden<br />
(Dresdner Beiträge zur Musikforschung 3), Hildesheim – Zürich – New York 2010, 1–57, hier: 35.<br />
36 Das Königliche Denckmal […] 1719 (wie Anm. 10), o. P. [fol. 2r].<br />
37 Ebd., [fol. 2v]. Unbeschadet der Tatsache, dass August der Starke seinen geheimen Kriegsrat<br />
und Zeremonienmeister Johann von Besser mit der Organisation der Feierlichkeiten beauftragt<br />
21
Einleitung<br />
An den Feierlichkeiten 1719 in Dresden hatte auch der polnische Dichter und Magnat<br />
Antoni Józef Poninski teilgenommen. In seinem Dankschreiben brachte er die<br />
Bedeutung der Hochzeitsfestivitäten und die sich darin manifestierenden Vorstellungen<br />
Augusts des Starken auf den Punkt:<br />
Es übertraf die Erwartungen aller und mit ganzer Sicherheit kann gesagt werden,<br />
dass alles, was das Altertum sich nur ausdenken konnte, was Italien und Frankreich<br />
nur bruchstückweise zu geben imstande sind, hier in aller seiner ganzen Vollkommenheit<br />
dargeboten wurde. [...] Die vergangenen Jahrhunderte sind beschämt, die<br />
kommenden – wissend, dass sie Gleiches nicht erreichen – sind verzweifelt. 38<br />
Selbst in Aufzeichnungen des Oberhofmarschallamts finden sich Passagen, in denen<br />
der Pomp des Festins in höchsten Tönen gelobt und behauptet wurde, es sei „desgleichen<br />
niemaln gesehen worden, auch wenige Potentaten in ihren Ländern so vollkommen<br />
haben können.“ 39<br />
Eine Publikation, die erst 1741 erschien und thematisch dem Münzwesen sowie<br />
der Beschreibung von Sondermünzen, welche zu besonderen festlichen Gelegenheiten<br />
herausgegeben wurden, gewidmet war, enthält in einer Beschreibung der Planetenfeste<br />
1719 in Dresden eine versteckte, jedoch nicht weniger bezeichnende Lobpreisung<br />
Augusts des Starken. Hierbei gilt es zu bedenken, dass das Saturnus-Fest mit<br />
dem prächtigen Bergmannsaufzug aus gutem Grund den Abschluss der Planetenfeste<br />
bildete, in denen verschiedene Gottheiten auftraten und bestimmte Divertissements 40<br />
anführten: August der Starke sah sich in der Figur des Saturn widergespiegelt.<br />
Es schiene zwar, als ob bey diesen grossen Vermählungs=Feste, die vorher gegangene<br />
Planeten in ihren so herrlich sich hervor gethanen freudenreichen Aspecten, alle nur<br />
ersinnliche Königl. Lustbarkeiten erschöpffet hätten, dieweil alles dasjenige, was<br />
durch Pracht, Herrlichkeit, Ansehen, Lust und Lieblichkeit die Sinnen vergnügen,<br />
und die Gemüther einnehmen und frölich machen konnte, bishero in schönster<br />
Ordnung und grösten Überfluß war ausgeführet worden. Apollo oder die Sonne<br />
hatte bey der Eroberung des goldnen Vliesses, ein erstaunliches Feuerwerck auf dem<br />
Elbstrohm angezündet. Diana oder der Mond hatte eine seltene Wasserjagd gehalten.<br />
hatte, „steckte der Kurfürst-König selbst viel Herzblut in die Vorbereitungen der Hochzeit seines<br />
Sohnes“. Querengässer 2020 (wie Anm. 21), 30.<br />
38 Zitiert nach: Artikel „Festkultur“ des Fördervereins Palais Großer Garten, URL: https://www.<br />
palais-grosser-garten.de/palais_anliegen4.html [letzter Zugriff: 15.6.2024].<br />
39 Zitiert nach: Reiner Gross, „Feste und Feierlichkeiten am Hofe Augusts des Starken –<br />
Widerspiegelung absolutistischer Machtpolitik“, in: Harald Marx (Hg.), Matthäus Daniel<br />
Pöppelmann. Der Architekt des Dresdner Zwingers, Leipzig 1989, 237–239, hier: 239: Als Quelle ist<br />
lediglich angegeben: „chronikalische Aufzeichnung des Oberhofmarschallamts“.<br />
40 Divertissements: Festivitäten und Vergnügungen, welche „die grossen Herren bey Beherrschung<br />
ihrer Länder“ zur „Erquickung und Ergötzlichkeit […] vonnöthen“ haben (Julius Bernhard<br />
von Rohr, Einleitung zur Ceremoniel-Wissenschafft der großen Herren […], Berlin 1729, Teil 4, Kap.<br />
1, 732). Ganz ähnlich hatte es bereits 1680 Gabriel Tzschimmer in der Vorrede seines Buches<br />
formuliert: G. Tzschimmer 1680 (wie Anm.32), o. P. [fol. 21 f.]<br />
22
Einleitung<br />
Mars hatte ein Roß= und Fuß=Turnier angestellet. Mercur eine seltene Wirthschafft<br />
von 12. Nationen, eine kostbahre Lotterie und Jahrmarckt angeordnet. Jupiter hielte<br />
ein Carousel der 4. Elemente, und die Venus ein Damen Ringel=Rennen zu Wagen,<br />
und musicalisches Lustspiel der 4. Jahres=Zeiten. Saturnus bezeigte iedennoch auch<br />
seine besondere Herrlichkeit zwischen rauhen Klippen und Bergen im vollen Glantze,<br />
und ob er gleich keine mit Gold und Kleinodien ausgeschmückte Leute aufführete,<br />
so stellete er doch diejenigen zahlreichen Arbeiter in schönster Ordnung dar, welche<br />
durch ihren Schweiß und Fleiß, auch mit Hindansetzung [sic!] ihrer Gesundheit und<br />
Lebens, aus dem innersten Schoos der Erden seine verborgene unterirrdische Schätze<br />
hervorzusuchen und ans Licht zu bringen sich angelegen seyn lassen, ohne welche die<br />
vorhergehenden Planeten ihre Pracht nicht würden haben darthun und vollbringen<br />
können, dahero demselben auch vor allen andern der Vorzug gebührte, und derselbe<br />
wegen dieser Vortrefflichkeit aus dem letzten der erste wurde. 41<br />
Der Kurfürst/König beabsichtigte, die Zeitgenossen wie die Nachwelt nicht nur<br />
durch die aufwendigen und glänzenden Darbietungen bei Paraden, Jagden, Aufmärschen,<br />
Opern und anderen musikalischen Darbietungen sowie bei Tänzen und Balletten,<br />
bei denen sich das gesamte künstlerische Personal seines Hofstaates präsentierte,<br />
zu beeindrucken, sondern auch durch die schiere Zahl der Gäste und der Zuschauer:<br />
The celebration for the wedding of Friedrich August II (later August III, King of<br />
Poland) in 1719 to the Imperial princess, the most magnificent festivity of August<br />
II’s reign, also built on the pre-existing Dresden traditions. It was the scale of the<br />
festivities that distinguished them from any festivities held in Dresden before. Elisabeth<br />
Mikosch has calculated, for instance, that the guest list included „a total of<br />
1257 foreign and non-local guests, including 11 princes, 87 counts, 55 barons and<br />
356 other aristocrats”. The actual wedding took place in August 1719 in Vienna, and<br />
in September the bride made her solemn entry into her new capital city of Dresden,<br />
where the union between the Wettins and the Habsburgs was marked by a month of<br />
celebration. 42<br />
In der Tat, „the great wedding festivals organised by August the Strong in 1719 for the<br />
marriage of his son to the daughter of the Emperor celebrated the greatest diplomatic<br />
triumph of his reign, after his own election to the crown of Poland.” 43<br />
Adressaten derartig aufwendiger und ausgedehnter Festivitäten waren sowohl die<br />
Untertanen als auch die Adligen und Fürsten des eigenen Landes sowie benachbarter<br />
Monarchien, wie es in der Einleitung zur Beschreibung des Einzugs der Erzherzogin<br />
in Dresden am 2. September 1719 heißt:<br />
Allein es scheinet wie der itzige König in Pohlen und Chur=Fürst in Sachsen seine<br />
Vorfahren hierinnen bey weiten übertreffen will, weil er bey der Vermählung seines<br />
41 Johann David Köhlers, P.P. im Jahr 1741. wöchentlich heraus gegebener historischer Münz=Belustigung<br />
dreyzehender Theil […], Nürnberg 1741, 19. Stück, den 10. May 1741, 145–152, hier: 152.<br />
42 Watanabe O’Kelly 2002 (wie Anm. 27), 234 f.<br />
43 Ebd., 240.<br />
23