Beobachten - Staunen - Forschen
GSa168_Nov_2024
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www.grundschulverband.de · November 2024 · D9607F<br />
Grundschule aktuell<br />
Zeitschrift des Grundschulverbandes · Heft 168<br />
<strong>Beobachten</strong> – <strong>Staunen</strong> – <strong>Forschen</strong>:<br />
Naturwissenschaftliches Lernen<br />
in der Grundschule<br />
Zum Thema<br />
• Forscherzeit für alle<br />
• Und was kommt nach<br />
dem <strong>Staunen</strong>?<br />
Forschung<br />
• Wie können Grundschul-<br />
Lehramtsstudierende Kinder<br />
individuell unterstützen?<br />
Rundschau<br />
• Mehr als 100 Tage im Amt –<br />
Vom Neustart beim<br />
Grundschulverband
Inhalt<br />
Tagebuch<br />
S. 2 Ich bin im GSV, weil (M. Töpler)<br />
Thema: <strong>Beobachten</strong> – <strong>Staunen</strong> – <strong>Forschen</strong><br />
S. 3 Wer hat Angst vorm Flaschengeist?<br />
(M. Peschel, M. Fischer)<br />
S. 5 <strong>Forschen</strong> im Kreis?<br />
(P. Kihm, M. Fischer, M. Peschel)<br />
S. 8 Kinder fragen – Lehrkräfte antworten?!<br />
(J. Simon, T. Simon)<br />
Praxis: <strong>Beobachten</strong> – <strong>Staunen</strong> – <strong>Forschen</strong><br />
S. 11 Und was kommt nach dem <strong>Staunen</strong>?<br />
(S. Poensgen, A. Jungmann)<br />
S. 13 „Ich sehe da einen Schnabel!!!“ (S. Köhler)<br />
S. 16 Wie kommt das Feuer ins Streichholz?<br />
(M. Fischer, S. Poensgen, S. Kirli)<br />
S. 19 Da kannst du Watt erleben!<br />
(S. Schlecht, S. Petr, E. Osterhues-Bruns)<br />
S. 22 Forscherzeit für alle (D. Maier, S. John)<br />
S. 25 Kinderbücher zum Thema<br />
(M. Gutzmann, M. Fischer)<br />
Aus der Forschung<br />
S. 27 Wie (gut) können Grundschullehramtsstudierende<br />
Kinder individuell unterstützen?<br />
(R. Baumann, B. Oetjen, S. Ertl, S. Martschinke)<br />
Rundschau<br />
S. 31 Save the Date – Jahrestagung des GSV 2025<br />
in Halle<br />
S. 32 Aus dem Vorstand (M. Gutzmann)<br />
S. 34 Lehrkraft sein in zwei Welten (M. Gutzmann)<br />
S. 36 Projekt Eine Welt: Gleich und gerecht? (R. Rentz)<br />
S. 37 Lehrkraft an einem prekären Standort – herausfordernd<br />
und besonders (M. Barck)<br />
S. 39 Auftakt Serie Ganztag (M. Lassek)<br />
S. 40 Nachdenkenswert: Gerald Klenk im Gespräch<br />
mit Tim Wiegelmann<br />
S. 42 Kooperationspartner: Der Verband für Sonderpädagogik<br />
e. V. (A. Ehlers)<br />
S. 43 Nachruf auf Peter Heyer (U. Widmer-Rockstroh)<br />
Landesgruppen aktuell – unter anderem:<br />
S. 44 Bayern: Modellversuch einer Schule für<br />
alle abgelehnt<br />
S. 46 Hessen, Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz:<br />
Neues Format: Talk im Südwesten<br />
S. 47 Sachsen-Anhalt: Anhörung des Kerncurriculums<br />
Deutsch<br />
Und was kommt nach dem <strong>Staunen</strong>?<br />
Ausgehend von Kinderfragen aufgrund ihrer Beobachtungen<br />
aus ihrer Lebenswelt oder solchen, die im Sachunterricht durch<br />
die Auseinandersetzung mit einem<br />
Phänomen entstehen, werden diese<br />
gezielt beim Experimentieren<br />
im Sachunterricht aufgegriffen.<br />
Der Experimentierprozess wird als<br />
Weg der gemeinsamen Erkenntnis<br />
gesehen und durch den Einsatz digitaler<br />
Medien mir ihren Möglichkeiten<br />
der Dokumentation, Präsentation<br />
und Kommunikation ergänzt.<br />
Seiten 11–13<br />
Forscherzeit für alle<br />
In diesem Beitrag beschreiben zwei<br />
Lehrerinnen, wie an ihrer Grundschule<br />
das Kind mit seinen Fragen an die Lebenswelt<br />
ernst genommen wird und<br />
in jedem Grundschuljahr ausreichend<br />
Raum und Zeit erhalten soll, diesen forschend-entdeckend<br />
nachgehen zu können.<br />
Die Konzeption der Schule erhebt<br />
<strong>Forschen</strong> als Unterrichtsprinzip. Innerhalb<br />
des jeweiligen Jahresforscherthemas erhalten alle eine<br />
ausgewiesene Forscherzeit im schuleigenen Forscherlabor.<br />
Seiten 22–24<br />
Impressum<br />
GRUNDSCHULE AKTUELL, die Zeitschrift des Grundschulverbandes,<br />
erscheint vierteljährlich und wird allen Mitgliedern zugestellt<br />
(ausgenommen Unterstützer:innen).<br />
Das einzelne Heft kostet 12,00 € (zzgl. Versand);<br />
ab zehn Exemplaren 9,50 € (zzgl. Versand).<br />
Verlag: Grundschulverband e. V., Frankfurt am Main<br />
Frankfurter Straße 74–76, 63263 Neu-Isenburg<br />
Tel. 06102 8821660, Fax: 06102 8821664,<br />
www.grundschulverband.de, info@grundschulverband.de<br />
Herausgeber: Der Vorstand des Grundschulverbandes<br />
Redaktion: marion.gutzmann@vs-grundschulverband.de,<br />
gabriele.klenk@grundschuleaktuell.de<br />
Fotos und Grafiken: Titelfoto: D. Maier, S. John)<br />
Christoph Schommer (S. 38)<br />
Autorinnen und Autoren (soweit nicht anders vermerkt)<br />
Herstellung: novuprint Agentur GmbH, 30175 Hannover<br />
Anzeigen: Grundschulverband e. V., Tel. 06102 8821660,<br />
info@grundschulverband.de<br />
Druck: Strube Druck & Medien GmbH, 34587 Felsberg<br />
ISSN 1860–8604 / Bestellnummer: 6112<br />
In manchen Beiträgen dieser Zeitschrift bringen Autorinnen und Autoren<br />
ihr Bemühen um eine gendersensible Sprache durch be son dere schriftsprachliche<br />
Zeichen zum Ausdruck. Da es zurzeit keine allgemein anerkannte<br />
Lösung für das Problem „gendersen sibler“ (Schrift-)Sprache gibt, verwendet<br />
jede Autorin und jeder Autor ihre oder seine bevorzugte Form.<br />
UII<br />
GS aktuell 168 • November 2024
Diesmal<br />
Lehrkraft sein in zwei Welten<br />
Anschaulich und eindrucksvoll beschreibt Marion Gutzmann<br />
ihren Weg, ausgehend von ihrem Kinderwunsch, „Lehrerin<br />
werden zu wollen“, und der für sie hierzu prägenden eigenen<br />
Lehrerinnen hin bis zur eigenen Rolle als Grundschullehrerin.<br />
Dabei nimmt sie rückblickend die Frage „Lehrkraft<br />
und Mutter sein?“ in den Blick, der sich viele Frauen in diesem<br />
Beruf stellen. Als junge Lehrerin in Brandenburg erlebte<br />
sie die Wende und das Neue nach 1989 mit. Unterstützend<br />
und ermutigend waren hier für sie der Grundschulverband<br />
mit seinen Schriften und Mitstreiter:innen. Diese prägten<br />
ihre Haltung und ihr pädagogisches Handeln. Marion Gutzmann<br />
zeigt auf, dass sie sowohl als Gründungsmitglied der<br />
Landesgruppe Brandenburg, als Bundesvorstandsmitglied als<br />
auch als Vorsitzende des GSV sich in einem starken Bündnis<br />
für eine Schule engagieren kann, die Kindern und Erwachsenen<br />
Raum bietet, miteinander aufmerksam umzugehen.<br />
Noch mehr Grundschulverband?<br />
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Stichwort „Grundschulverband“<br />
und unseren Podcast direkt<br />
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www.<br />
grundschule-aktuell.info<br />
Hier finden Sie Informationen zu „Grundschule aktuell“<br />
und hier das Archiv der Zeitschrift:<br />
www.<br />
grundschulverband.de/archiv/<br />
Seiten 34–35<br />
Der Blaue Engel – das Umweltzeichen<br />
Durch die Verwendung eines mit dem „Blauen<br />
Engel“ umweltzertifizierten Papiers für unsere<br />
Fachzeitschrift „Grundschule aktuell“ ist der<br />
Grundschulverband von nun an berechtigt, das<br />
Umweltzeichen „Blauer Engel“ zu führen. Da uns Umwelt- und<br />
Gesundheitsschutz am Herzen liegen, wir verantwortungsvoll<br />
mit Ressourcen umgehen möchten, freuen wir uns, auf diesem<br />
Weg einen Beitrag leisten zu können.<br />
Mit besten Grüßen, Ihr Grundschulverband e. V.<br />
Liebe Leser:innen,<br />
die zwölf Berichte aus den Landesgruppen lassen vermuten,<br />
dass sich in vielen Bundesländern ein bewegtes Herbstleben<br />
abspielt. Herbsttagungen, bildungspolitische Aktionen,<br />
Gespräche mit den Kultusministerien oder Kooperationen<br />
mit anderen Verbänden zeigen ein breites Spektrum der Aktivitäten<br />
der Landesgruppen auf. So wird u. a. auch ein neues<br />
Onlineformat „Talk im Südwesten“ zukünftig die Angebotspalette<br />
der länderübergreifenden Landesgruppenaktivitäten,<br />
die zum Austausch und Vernetzen einladen, bereichern. Nicht<br />
nur in Sachsen oder Bayern steht die Umsetzung des Rechtsanspruchs<br />
auf Ganztagsbetreuung von Grundschulkindern auf<br />
der Agenda. Mit Blick auf den Start 2026 beginnen wir eine<br />
neue Serie mit einem einleitenden Beitrag von Maresi Lassek,<br />
in dem sie auf die Vielfalt der Angebote in der ganztägigen Bildung<br />
und Betreuung hinweist und fragt: Was ist eigentlich ein<br />
guter Ganztag? Wessen Ansprüche müssen Berücksichtigung<br />
finden?<br />
Der thematische Schwerpunkt dieser Zeitschrift wurde von<br />
Markus Peschel, Fachreferent für Lernkulturen und Sachunterricht<br />
im Grundschulverband, und Marie Fischer, wissenschaftliche<br />
Mitarbeiterin an der Universität des Saarlandes,<br />
zusammengestellt und moderiert. Marie Fischer und Markus<br />
Peschel führen Sie, liebe Leser:innen, mit folgenden Fragen<br />
und Überlegungen in den Themenschwerpunkt „<strong>Beobachten</strong><br />
– <strong>Staunen</strong> – <strong>Forschen</strong>“ ein: Kinder kommen neugierig in die<br />
Schule. Beobachtungen und daraus resultierende Fragen gehören<br />
seit frühester Kindheit zu ihrer Lebens- und Lernwelt.<br />
Welche Möglichkeiten gibt es, insbesondere im Sachunterricht,<br />
an die Beobachtungen und Erfahrungen der Kinder anzuknüpfen?<br />
Welche Rolle spielen <strong>Beobachten</strong>, <strong>Staunen</strong> und<br />
<strong>Forschen</strong> im Unterricht der Grundschule und welche in der<br />
Praxis erprobten Konzepte gibt es dazu? Wie können Lehrkräfte<br />
mit den vielfältigen Fragen der Kinder umgehen und<br />
die Lernenden beim <strong>Beobachten</strong>, <strong>Staunen</strong> und <strong>Forschen</strong> begleiten?<br />
Wie durch Experimentier- und Beobachtungsprozesse in und<br />
außerhalb des Unterrichts aus <strong>Staunen</strong> naturwissenschaftliche<br />
Erkenntnisse werden können und wie diese mit weiteren Perspektiven<br />
des Sachunterrichts zusammenspielen, soll in der Zeitschrift<br />
gezeigt werden. Beispiele für das <strong>Beobachten</strong>, <strong>Staunen</strong><br />
und <strong>Forschen</strong> werden von Autor:innen in dieser Zeitschrift aufgegriffen<br />
und aus verschiedenen Blickwinkeln neu gedacht, justiert,<br />
diskutiert und reflektiert. Stellvertretend sei an dieser Stelle<br />
auf einen Beitrag verwiesen, in dem aufgezeigt wird, wie das Watt<br />
als außerschulischer Lernort auch Kinder verschiedener Schulstufen<br />
zum eigenständigen, aber auch nachhaltigen und langfristigen<br />
<strong>Forschen</strong> anregen kann. Hier wird auch darauf hingewiesen,<br />
wie unabdingbar das Vertrauen in die Schüler:innen ist, ihr<br />
Vorhaben zum Gelingen bringen zu wollen – aber auch die Gelassenheit<br />
der Lehrkräfte mit dem Wissen, dass einzelne Experimente<br />
auch scheitern können.<br />
Wir wünschen Ihnen, liebe Leserinnen und Leser, eine<br />
gute Herbstzeit und bleiben Sie auch weiterhin mit uns im<br />
Gespräch.<br />
Herzlichst<br />
Marion Gutzmann, Gabriele Klenk<br />
sowie Maresi Lassek, Hans Brügelmann und Michael Töpler<br />
GS aktuell 168 • November 2024<br />
1
Tagebuch<br />
Ich bin im GSV, weil …<br />
Michael Töpler<br />
ehemaliger Fachreferent<br />
„Eltern und Schule“, Mitglied im<br />
Redaktionsteam von GSa,<br />
Fortbildner in den Bereichen<br />
Elternmitwirkung und Kinderrechte<br />
Mein Weg in den Grundschulverband führte über den<br />
Bundeselternrat. Zum ersten Mal hatte ich näheren Kontakt<br />
zum Grundschulverband als Kooperationspartner,<br />
mit dem wir gemeinsam an einer Stellungnahme verschiedener<br />
Verbände arbeiten durften. Mich hat die Klarheit<br />
der Argumentation, das Verständnis für Spielräume<br />
innerhalb einer Organisation wie dem Bundeselternrat<br />
und das hohe Engagement begeistert, dass ich bei allen<br />
Verantwortlichen im GSV gespürt habe. Nach meinem<br />
Ausscheiden aus dem Bundeselternrat hatte ich die Gelegenheit,<br />
mich als Fachreferent für den GSV zu bewerben.<br />
Das war eine großartige Chance, die Zusammenarbeit<br />
weiter zu vertiefen und das Thema der Elternmitwirkung<br />
in viele Diskussionen des Verbandes mit einzubringen.<br />
Meine Begeisterung für die Grundschule hat sich in den<br />
letzten Jahren weiter vertieft. Durch den intensiven Austausch<br />
auf den Delegiertentreffen, die Arbeit mit dem Vorstand<br />
und die Wahrnehmung von Außenterminen konnte<br />
ich mich in viele spannende Themen einarbeiten und mich<br />
immer wieder fortbilden. Die Mischung der verschiedenen<br />
Professionen und Rollen im Grundschulverband führt<br />
zu einer intensiven und konstruktiven Auseinandersetzung<br />
auch mit schwierigen Themen. Aus der Elternperspektive<br />
wird dabei deutlich, wie sehr auch die „Fachmenschen“<br />
mit immer neuen Herausforderungen ringen und<br />
sich gegenseitig bei der Lösung von Problemen unterstützen.<br />
Ähnlich kann auch die Zusammenarbeit von Eltern<br />
und Fachkräften an den einzelnen Schulen gelingen.<br />
Die Arbeit für die „Grundschule aktuell“ war noch einmal<br />
eine ganz andere Möglichkeit, Themen in ihrer Breite<br />
zu erfassen und möglichst vielfältige Erfahrungen zusammenzubringen.<br />
Das Zusammenwirken von Praxis und Theorie<br />
ist immer wieder spannend und gerade auch für Eltern<br />
wichtig zu verstehen. Damit die Zusammenarbeit innerhalb<br />
des Grundschulverbandes gelingt, sind neben den wichtigen<br />
digitalen Austauschformaten persönliche Treffen entscheidend.<br />
Die Tagung in Weimar hat mir dieses Jahr wieder<br />
deutlich gezeigt, warum der GSV ein besonderer Verband<br />
ist. Alle Teilnehmenden bringen eigene Erfahrungen<br />
und Motivationen mit, sie sind interessiert am Austausch in<br />
Workshops und in kurzen Gesprächen am Buffet gleichermaßen.<br />
Manchmal kommt die nächste wichtige Anregung<br />
für die eigene Arbeit aus einem Vortrag, manchmal aus einem<br />
guten Gespräch beim Kaffee. Wenn man sich auf einer<br />
derartigen Veranstaltung befindet, dann kann man erahnen,<br />
wie Bildung mit Wertschätzung gelingen kann und an vielen<br />
Orten auch bereits gelingt.<br />
2<br />
GS aktuell 168 • November 2024
Thema: <strong>Beobachten</strong> – <strong>Staunen</strong> – <strong>Forschen</strong><br />
Markus Peschel, Marie Fischer<br />
Wer hat Angst vorm Flaschengeist?<br />
Animismen, Geschichten, Rahmungen<br />
statt Fokus auf Beobachtung, Kommunikation, Veränderung<br />
Häufig werden im (Sach-)Unterricht der Grundschule bei der Auseinandersetzung<br />
mit naturwissenschaftlichen Phänomenen eine „motivierende“ Einführung,<br />
eine „animierende“ Aufgabenstellung, Identifikationsfiguren oder eine<br />
„fesselnde“ Geschichte als Rahmung des Experimentierens bemüht. Hilft aber<br />
eine motivierende Erzählung oder eine animistische Begründung (wie z. B. „Flaschengeist“<br />
statt Luftausdehnung) wirklich für die inhaltliche naturwissenschaftliche<br />
Erkenntnis(gewinnung)?<br />
Fragen – die sich in diesem Heft<br />
aus der Sicht mehrerer Autor:innen<br />
dazu stellen lassen – lauten:<br />
Was genau sollen Schüler:innen in<br />
einem naturwissenschaftlich-orientierten<br />
Sachunterricht der Grundschule<br />
lernen? Was genau ist der fachliche Bildungsgehalt?<br />
Welche Kompetenzen,<br />
welche Methoden, welche Denk-,<br />
Arbeits- und Handlungsweisen sollen<br />
genutzt bzw. erlernt werden? Welche<br />
Aspekte von Bildung – meist auch unter<br />
„scientific literacy“ oder „nature of science“<br />
thematisiert – sollen wann, wo,<br />
wie ausgebildet werden?<br />
Naturwissenschaftliche<br />
Bildung von Anfang an<br />
Scientific Literacy im Sachunterricht beginnt<br />
damit, dass Kinder Phänomene der<br />
Lebenswelt wahrnehmen und Fragen zu<br />
Phänomenen ihrer Lebenswelt stellen. Sie<br />
sollen dabei nicht nur lernen, Fragen zu formulieren,<br />
sondern auch Kompetenzen entwickeln,<br />
diese Fragen eigenständig zu beforschen,<br />
z. B. durch forschend-entdeckendes<br />
Lernen. Dieser Ansatz gibt den Schüler:innen<br />
die Möglichkeit, selbst zu beobachten,<br />
eigene Erkenntnisse zu gewinnen und Zusammenhänge<br />
nachzuvollziehen. Diese<br />
individuellen Erkenntnisse müssen dann in<br />
einen kommunikativen Austausch / Zusammenhang<br />
gestellt werden und im Sinne der<br />
„Wege zur gemeinsamen Erkenntnis“ (vgl.<br />
Kihm in diesem Heft) entwickelt werden.<br />
Im Sachunterricht ist es entscheidend,<br />
dass die Schüler:innen ausgehend von<br />
ihrer Lebenswelt naturwissenschaftliche<br />
Erkenntnisse gewinnen und naturwissenschaftliche<br />
Methoden erlernen<br />
(vgl. GDSU 2013; 202x i. V.). Dies erfolgt<br />
i. d. R. über einen phänomenorientierten<br />
Zugang, also durch die direkte Auseinandersetzung<br />
mit Naturphänomenen.<br />
Bei der Auseinandersetzung mit naturwissenschaftlichen<br />
Phänomenen geht es<br />
darum, dass die Schüler:innen Denk-,<br />
Arbeits- und Handlungsweisen (DAHs)<br />
(vgl. GDSU 2013) der Naturwissenschaften<br />
kennenlernen und diese auch<br />
anwenden. Diese Methoden ermöglichen<br />
es ihnen, Naturphänomene wahrzunehmen,<br />
zu beobachten, sprachlich zu<br />
fassen, zu beschreiben und zu verstehen.<br />
Ein zentraler Aspekt der naturwissenschaftlichen<br />
Perspektive im Sachunterricht<br />
ist das interessierte Fragenstellen<br />
aus einer Neugier an die Natur: Schüler:innen<br />
sollen Zusammenhänge von<br />
Naturphänomenen (im Sinne von „Wenn<br />
… dann …“-Relationen) erkunden und<br />
Phänomene der belebten und der unbelebten<br />
Natur verstehen. Dabei lernen<br />
sie, wie naturwissenschaftliche Erkenntnisse<br />
gewonnen werden: Sie beobachten,<br />
experimentieren und entwickeln Ideen,<br />
wie man zu (vorläufigen) Erkenntnissen<br />
kommt, um sich weiter fragend naturwissenschaftlichen<br />
Fragestellungen anzunähern<br />
und diese zu beantworten.<br />
Das Ziel einer solchen naturwissenschaftlichen<br />
Herangehensweise ist es,<br />
die Schüler:innen zu einer Scientific Literacy,<br />
also einer naturwissenschaftlichen<br />
Grundbildung, hinzuführen. Diese<br />
befähigt sie, Probleme zu erkennen,<br />
fundierte und zunehmend rationale Entscheidungen<br />
zu treffen und selbstständig<br />
Lösungswege zu entwickeln. Mittels<br />
Scientific Literacy lernen sie, naturwissenschaftliche<br />
Fragestellungen aus bzw.<br />
in ihrer eigenen Lebenswelt zu identifizieren,<br />
eine beobachtende und kritischverstehende<br />
Haltung gegenüber Phänomenen<br />
einzunehmen und geeignete<br />
Methoden anzuwenden, um (vorläufige)<br />
Antworten zu finden.<br />
Ein Gegensatz zu einem (einseitig)<br />
fachziel- und instruktionsorientiertem<br />
Unterricht besteht darin, dass Raum für<br />
eigene Entdeckungen und Beobachtungen<br />
geschaffen wird. Anstatt vorgefertigte<br />
Versuche anhand von anleitenden<br />
Arbeitsblättern durchzuführen, entwickeln<br />
Schüler:innen eigene Fragen und<br />
Erkenntniswege. Dies fördert ein tieferes<br />
Verständnis für die „Natur der Naturwissenschaften“<br />
(Nature of Science,<br />
NoS, vgl. Höttecke & Hopf 2018), indem<br />
sie nicht nur Faktenwissen erwerben,<br />
sondern vor allem verstehen, wie Wissenschaft<br />
funktioniert: durch ständiges<br />
Fragen, Überprüfen und Anpassen von<br />
Theorien.<br />
Nicht zuletzt kommt der Reflexion<br />
eine zentrale Rolle zu: Die Kinder sollen<br />
nicht nur lernen, Experimente bzw.<br />
Versuche durchzuführen, sondern auch,<br />
ihre Erkenntniswege zu hinterfragen.<br />
Dies schließt ein, die Vorläufigkeit wissenschaftlichen<br />
Wissens zu erkennen<br />
und zu verstehen, dass Wissenschaft<br />
sich stetig (weiter)entwickelt, immer in<br />
Bewegung ist (vgl. Fischer et al. in diesem<br />
Heft).<br />
Scientific Literacy im<br />
Sachunterricht<br />
Zusammengefasst geht es im naturwissenschaftlich-orientierten<br />
Sachunterricht<br />
darum, die Schüler:innen für die<br />
GS aktuell 168 • November 2024<br />
3
Thema: <strong>Beobachten</strong> – <strong>Staunen</strong> – <strong>Forschen</strong><br />
wissenschaftliche Beobachtung ihrer<br />
Umwelt zu sensibilisieren, ihnen Methoden<br />
an die Hand zu geben, wie sie (eigene)<br />
Fragen beantworten können, und<br />
ihnen eine Scientific Literacy zu vermitteln,<br />
die sie zu reflektierten und verantwortungsbewussten<br />
Entscheider:innen<br />
macht.<br />
Viele Angebote für den naturwissenschaftlich-orientierten<br />
Sachunterricht<br />
arbeiten aber häufig entgegen der<br />
hier skizzierten grundlegenden Scientific-Literacy-Ziele<br />
und konterkarieren<br />
ein individuelles Experimentieren und<br />
Schlussfolgerungen aus eigenen, individuellen<br />
Beobachtungen. Stattdessen<br />
werden Animismen für Erklärungen<br />
oder als alternative, parallele Motivation<br />
über eine rahmende Geschichte<br />
genutzt, die vom eigentlichen Sachinhalt<br />
und den naturwissenschaftlichen<br />
Kompetenzen eher ablenken. Ein Geist<br />
ist – s. Titel – eben genau NICHT in der<br />
Flasche und es ist auch KEIN Geist, der<br />
die Münze bewegt – sondern (erwärmte)<br />
Luft. Eine solche Ablenkung von den<br />
Methoden, Inhalten und Zielen naturwissenschaftlichen<br />
Arbeitens nutzt<br />
u. E. eben nicht die Chance, die der<br />
Sachunterricht für die Scientific Literacy(-Ziele)<br />
bietet, sondern erzeugt – im<br />
schlimmsten Falle – Fehlinformationen<br />
im Lernprozess.<br />
Phänomenorientierter Zugang<br />
mit Fokus auf Beobachtungen<br />
Insgesamt ist es u. E. entscheidend – ganz<br />
im Sinne Wagenscheins –, den Kindern<br />
genügend Gelegenheiten zum eigenen<br />
Experimentieren, <strong>Beobachten</strong>, <strong>Staunen</strong><br />
und auch Scheitern an Experimenten zu<br />
geben; denn v. a. so bauen sich Vorstellungen<br />
über die Natur und über die Natur<br />
der Naturwissenschaften (Nature of Science)<br />
auf. Ein misslungener Versuch führt<br />
– wenn deutlich wird, dass Fehler Chancen<br />
auf dem Weg zur eigenen Erkenntnis<br />
sind – zu weiteren Fragen, Verbesserungen,<br />
Veränderungen und eben zu neuen<br />
Beobachtungen und damit Erkenntnissen.<br />
Es geht daher – wie es von vielen Autor:innen<br />
in diesem Heft beispielhaft umgesetzt<br />
wird – darum, nicht zu früh und<br />
nur vereinzeltes Fachwissen einzuführen.<br />
Es geht nicht darum, zu „der“ Erkenntnis<br />
zu gelangen; vielmehr gilt es, die Vielfalt<br />
von Zugängen, Beobachtungen, Experimenten<br />
und Variationen zu ermöglichen<br />
und nicht in ein starres Frage-Zeichnung-<br />
Antwort-Schema zu verfallen (s. Kihm et<br />
al. in diesem Heft) – denn es gibt keine<br />
immer funktionierenden „Königswege“.<br />
Umso wichtiger ist eine fachliche Grundlegung<br />
und vor allem eine methodisch auf<br />
naturwissenschaftlich-orientierten Sachunterricht<br />
ausgerichtete Didaktik samt<br />
Prof. Dr. Markus Peschel (links)<br />
ist Lehrstuhlinhaber für die Didaktik<br />
des Sachunterrichts an der Universität<br />
des Saarlandes und Fachreferent für<br />
Lernkulturen und Sachunterricht im<br />
Grundschulverband.<br />
Marie Fischer (rechts)<br />
ist wissenschaftliche Mitarbeiterin an<br />
der Universität des Saarlandes und Vorstandsmitglied<br />
in der Landesgruppe<br />
Saarland des Grundschulverbandes.<br />
der Qualifikation von Lehrkräften, um<br />
eben naturwissenschaftliche Grundkompetenzen<br />
(Scientific Literacy) zu erzeugen.<br />
Dafür schafft dieses Heft einige Einblicke<br />
in die Theorie und Praxis und zeigt,<br />
dass es nicht ein umfassendes Repertoire<br />
oder eine vollausgestattete Experimentiersammlung<br />
benötigt. Vielmehr sind es die<br />
sensiblen Berücksichtigungen von kindlichen<br />
Zugängen zur Sache (vgl. Simon &<br />
Simon in diesem Heft) und ein Raum, in<br />
dem Ideen, Beobachtungen und vermeintliche<br />
Irrwege von Lehrpersonen begleitet<br />
und zugelassen werden – mit dem Ziel einer<br />
gemeinsamen Erkenntnis.<br />
Literaturangaben zum Artikel<br />
können Sie von unserer Website herunterladen:<br />
https://t1p.de/GSa168Lit<br />
Abbildung 1: „Flaschengeist“ (Demuth/Kahlert 2010, links). Versuchsbeschreibung<br />
zum Experimentieren aus dem Grundschullabor für Offenes Experimentieren (Universität<br />
des Saarlandes) (rechts).<br />
Weitere Artikel und<br />
Publikationen zu diesem<br />
Thema finden sich im<br />
Grundschulverband in verschiedenen<br />
Publikationen:<br />
• Didaktik der Lernkulturen, Peschel<br />
2021<br />
• Gute Aufgaben, Kihm/Peschel 2021;<br />
Peschel 2016<br />
• Lebensweltbezug, Fischer et al. 2022<br />
• Sprachbildung, Peifer/Peschel 2024<br />
• Phänomenorientierung,<br />
Weber et al. 2021<br />
4 GS aktuell 168 • November 2024
Thema: <strong>Beobachten</strong> – <strong>Staunen</strong> – <strong>Forschen</strong><br />
Pascal Kihm, Marie Fischer, Markus Peschel<br />
„<strong>Forschen</strong> im Kreis?!“<br />
– wie Forschungskreise verhindern,<br />
dass Kinder beobachten, staunen und forschen<br />
Die Ausbildung von Grundschullehrpersonen führt häufig dazu, dass sie sich hinsichtlich<br />
ihrer naturwissenschaftlichen Fähigkeiten nur wenig zutrauen (vgl. Peschel<br />
& Mammes 2022). Meist sind sie aber für die Wichtigkeit einer frühen naturwissenschaftlichen<br />
Grundbildung (Scientific Literacy; Marquardt-Mau 2004) sensibilisiert<br />
und wollen ihren Schüler:innen trotz dieser eigenen Unsicherheit Gelegenheiten<br />
bieten, im Sachunterricht „Naturphänomene sachorientiert [zu] untersuchen“<br />
(GDSU 2013, 39) und dabei „naturwissenschaftliche Methoden aneignen und anwenden“<br />
(ebd.) zu können. Dazu wünschen sich Grundschullehrpersonen i. d. R.<br />
konkrete Hilfsmittel (vgl. Bolte/Streller 2007, Schroeder 2022), deren Kleinschrittigkeit<br />
einen von den eigenen „Lehrgrenzen“ (vgl. Köster 2018) unabhängigen Einsatz<br />
naturwissenschaftlicher Methoden erlaubt und Sicherheit bzw. Stabilität erzeugt.<br />
Ein solches Hilfsmittel sind „Forschungskreise“,<br />
die den Sachunterrichtslehrpersonen<br />
suggerieren,<br />
„gemeinsam mit den Kindern [zu] experimentieren<br />
und in einen Dialog über<br />
naturwissenschaftliche Phänomene [zu]<br />
treten“ (Stiftung Kinder forschen 2024).<br />
Forschungskreise sollen eingesetzt werden,<br />
um Kindern frühzeitig „die Bedeutung<br />
der zentralen Schritte [des <strong>Forschen</strong>s<br />
bzw. Experimentierens; Anm. d. V.] und<br />
deren Beziehung zueinander [zu ver]<br />
deutlich[en]“ (Marquardt-Mau 2011, 32;<br />
vgl. Haider & Munser-Kiefer 2019). Mit<br />
ihnen zeigen Grundschullehrpersonen –<br />
vermeintlich – Essentials des <strong>Forschen</strong>s<br />
bzw. Experimentierens auf, die, sofern sie<br />
nur stringent befolgt werden, zum Lernerfolg<br />
im naturwissenschaftlich-orientierten<br />
Sachunterricht führen sollen.<br />
Im deutschsprachigen Raum werden<br />
Forschungskreise etwa seit der Jahrtausendwende<br />
verwendet. Ihre Einführung<br />
bzw. Nutzung steht in engem Zusammenhang<br />
mit den TIMSS-Ergebnissen<br />
und dem PISA-Schock (vgl. Wedekind<br />
2016; Kosler 2016): Wider Erwarten<br />
konnten bei den Schüler:innen nur unterdurchschnittliche<br />
naturwissenschaftliche<br />
Kompetenzen ermittelt werden.<br />
Über die Häufigkeit, mit der solche Forschungskreise<br />
tatsächlich im Sachunterricht<br />
eingesetzt werden, ist u. E. bislang<br />
wenig bekannt. Auch die konkrete Nutzung<br />
und inwiefern ggf. eine Schwerpunktsetzung<br />
in der Kreisabfolge erfolgt,<br />
ist nicht untersucht. Die Omnipräsenz<br />
von Adaptionen des Forschungskreises<br />
auf Plattformen wie „Eduki“ oder<br />
im „Instalehrerzimmer“ lässt jedoch erahnen,<br />
dass Forschungskreise ein weit<br />
verbreitetes Hilfsmittel im naturwissenschaftlich-orientierten<br />
Sachunterricht<br />
sind: Sie bieten „Orientierung bei<br />
der praktischen Durchführung“ (Zahra-Ecker<br />
et al. 2019, 110) von Versuchen<br />
bzw. Experimenten.<br />
Passendes Tafelmaterial und entsprechende<br />
Plakate „eigne[n] sich ideal, um<br />
den Forschungskreis mit […] Schülern<br />
[sic!] zu erarbeiten“ (Kroker 2020). „Der<br />
Weg zum Experimentieren kann durch<br />
feste Abläufe und eine klare Abfolge von<br />
Schritten beim Durchführen von Experimenten<br />
eine Strategie bekommen“ (Haider<br />
& Munser-Kiefer 2019, 29), die die<br />
Kinder verinnerlichen, immer wieder abrufen<br />
und anwenden können sollen. „Sie<br />
wissen so, womit sie beginnen müssen<br />
und welche Schritte dann folgen“ (Kroker<br />
2020). Angesichts der zahlreichen positiven<br />
Darstellungen, die u. E. meist ähnlich<br />
ausfallen wie die beiden Zitate, gibt<br />
es bislang vergleichsweise wenig Kritik an<br />
Forschungskreisen (Ausnahmen sind u. a.<br />
Crawford 2014; Wedekind 2016; Kosler<br />
2016; Kihm/Diener/Peschel 2018), weshalb<br />
wir hier eine kritische Würdigung<br />
vornehmen wollen. Denn es lohnt sich<br />
u. E., Kreise nicht unreflektiert einzusetzen,<br />
wenn man den Fokus auf das <strong>Staunen</strong>,<br />
Denken, <strong>Beobachten</strong> – insgesamt<br />
das <strong>Forschen</strong> – von Kindern im Sachunterricht<br />
legen will.<br />
Von dieser Kritik ausgehend, werden<br />
wir im Folgenden erläutern, weshalb<br />
Forschungskreise aus unserer Sicht<br />
v. a. ein Lehrmittel und Reflexionsinstrument<br />
sind, das Lehrpersonen eher gegen<br />
Ende der Grundschulzeit nutzen sollten.<br />
Als zentrales Lernmittel für Schüler:innen<br />
sind Forschungskreise dagegen u. E.<br />
eher ungeeignet, da ihr starres Korsett<br />
nicht der Art und Weise entspricht, wie<br />
in den Naturwissenschaften experimentiert<br />
bzw. geforscht wird. Der Beitrag bietet<br />
aber auch Gegenvorschläge an.<br />
Kritik an Forschungskreisen –<br />
exemplarisch „Die Kerze unter<br />
dem Glas“ (Kroker 2020)<br />
Auf der Verlagsinternetseite von Betzold<br />
wird am Beispiel des Versuches „Die Kerze<br />
unter dem Glas“ (Kroker 2020) erklärt,<br />
wie Sachunterricht mit dem Forschungskreis<br />
ablaufen soll: Da am „Anfang einer<br />
wissenschaftlichen Untersuchung […]<br />
immer eine Frage“ (ebd.) steht, sollen<br />
die Schüler:innen zunächst darauf kommen,<br />
zu fragen, „was passiert, wenn wir<br />
ein Glas über ein brennendes Teelicht<br />
stülpen“ (ebd.). Zuvor sollte man ihnen<br />
bereits die Materialien des Versuchs zeigen<br />
und den Versuchsablauf zumindest<br />
andeuten. Im zweiten Schritt sollen sie<br />
dann „Vermutungen aufstellen, wie die<br />
Antwort auf die Frage aussehen könnte“<br />
(ebd.) bzw. was während des Versuchs<br />
passiert. Beispielhafte Schüler:innenant-<br />
Ein Versuch ist eine Schüler:innenaktivität<br />
im naturwissenschaftlich-orientierten<br />
Sachunterricht, bei der „Kinder vorgegebene<br />
Schritte durchführen, diese dann gegebenenfalls<br />
dokumentieren, zu erklären<br />
versuchen und Ähnliches“ (Hartinger u. a.<br />
2013, 5). Eine solche Handlungsanweisung<br />
ist bei einem Experiment nicht vorgesehen.<br />
Die Schüler:innen müssen sich hier<br />
vielmehr „zunächst darüber klar werden“<br />
(Hartinger u. a. 2013, 5), wie sie eine Frage<br />
beantworten, ein Phänomen untersuchen,<br />
eine Idee umsetzen können usw.<br />
GS aktuell 168 • November 2024<br />
5
Thema: <strong>Beobachten</strong> – <strong>Staunen</strong> – <strong>Forschen</strong><br />
„Aus wissenschaftsphilosophischer, -so zi o logischer und -historischer Perspek tive bietet die<br />
Heuristik […] kaum eine Orientierung, um Kinder an naturwissenschaftliches Denken heranzuführen“<br />
(Kosler 2016, 21). „Ansätze, in denen […] überwiegend das Schema im Vordergrund<br />
steht […], scheinen nicht geeignet, um Kindern in der Primarstufe <strong>Forschen</strong> zum Bewusstsein<br />
zu bringen“ (Geiss & Schumann 2014, 11).<br />
worten: „Die Kerze geht sofort aus; die<br />
Kerze geht aus, aber nicht sofort; die Kerze<br />
brennt auch unter dem Glas“ (ebd.).<br />
Die Annahme, dass jedem <strong>Forschen</strong><br />
eine explizite Fragestellung vorausgeht<br />
und außerdem erst geforscht werden darf,<br />
wenn vorher explizite Vermutungen formuliert<br />
wurden, was bei dem Versuch<br />
zu erwarten ist, resultiert aus der Publikationstradition<br />
naturwissenschaftlicher<br />
Disziplinen (vgl. Höttecke & Rieß 2015;<br />
Kosler 2016). Dort hat sich als Publikationsstrategie<br />
etabliert, den zurückliegenden<br />
Forschungsprozess idealisiert in<br />
Kategorien wie Forschungsfrage, Hypothesen,<br />
Studiendesign, Ergebnisse, Interpretation<br />
darzustellen. Was aber im ‚tatsächlichen‘<br />
Forschungsprozess passiert,<br />
lässt sich anhand von Labortagebüchern<br />
rekonstruieren. Diese Rekonstruktionen<br />
zeigen, dass naturwissenschaftliche Forschungsprozesse<br />
wesentlich mehr von<br />
Zufällen, (Mess-)Fehlern und explorativen<br />
Näherungen geprägt sind, als es die<br />
idealisierten Publikationsdarstellungen<br />
quasi ‚posthum‘ nahelegen (vgl. Steinle<br />
2004; Heinicke 2012; Höttecke & Rieß<br />
2015). Auch die Herangehensweise von<br />
Kindern findet sich in diesem idealisierten,<br />
fragengeleiteten und hypothesengesteuerten<br />
Vorgehen nicht wieder: „In den<br />
seltensten Fällen war bei Kindern […]<br />
eine explizite Fragestellung der Start ins<br />
<strong>Forschen</strong>, wie dies im Forschungskreislauf<br />
[…] beschrieben“ wird (Wedekind<br />
2016, 209; vgl. auch Nentwig-Gesemann<br />
et al. 2012).<br />
Die Erfahrungen, die die Kinder bei<br />
explorativen Näherungen machen, sind<br />
vielmehr Grundlage und Voraussetzung<br />
für systematischeres Vorgehen, was u. a.<br />
das Überprüfen von Vermutungen über<br />
die Bedingungen eines Phänomens beinhalten<br />
kann. Wenn Kinder aber die<br />
Handlungsabläufe des Forschungskreises<br />
– wie dies oben u. a. von Haider und<br />
Munser-Kiefer (2019) oder Kroker (2020)<br />
gefordert wird – so weit verinnerlicht haben,<br />
dass sie <strong>Forschen</strong> nur noch in der<br />
Art erleben und eben nicht ungerichtet<br />
oder ohne Fragen und Vermutungen an<br />
einem Phänomen und seinen Bedingungen<br />
(Wenn-dann-Beziehungen) gearbeitet<br />
werden kann, wird das <strong>Forschen</strong> verkürzt<br />
und dadurch vieler seiner Chancen<br />
beraubt (vgl. auch Peschel 2016).<br />
Die Kreisdarstellung suggeriert außerdem,<br />
dass der Versuch / das Experiment<br />
letztlich immer und zuverlässig<br />
eine Antwort auf die vorab eingeforderte<br />
Frage liefert: Um diesen Fragebeantwortungsprozess<br />
anzugehen, müsse der<br />
Abbildung 1: Wege zur (gemeinsamen) Erkenntnis (selbst erstellt; vgl. Peschel 2009)<br />
Versuch nur genau einmal durchgeführt<br />
werden, währenddessen wird beobachtet,<br />
ggf. aufgezeichnet und aufgeschrieben.<br />
Die Antwort auf die Frage könne<br />
dann unmittelbar aus der zen-tralen Beobachtung<br />
gefolgert werden, bezogen<br />
auf den o. g. Kerzenversuch etwa „Die<br />
Flamme wird zunächst kleiner, bis sie<br />
nach einigen Sekunden erlischt“ (Kroker<br />
2020). Im Anschluss an die (einmalige)<br />
Durchführung des Versuchs wird<br />
besprochen, ob das Ergebnis den Vermutungen<br />
entspricht oder nicht, und<br />
die Lehrperson schlägt vor, einen neuen<br />
Versuch mit einer neuen Fragestellung<br />
durchzuführen.<br />
An anderer Stelle haben wir diese Verkürzung<br />
von <strong>Forschen</strong>, mit Bezug auf<br />
Experimentieren, als „Frage-Zeichnung-<br />
Antwort-Schema“ bezeichnet (vgl. Peschel<br />
2016; Kihm et al. 2018). Was in einem<br />
Versuch oder Experiment das Wesentliche<br />
ist, ergibt sich jedoch oft erst<br />
nach mehreren Wiederholungen und<br />
nachdem man die Bedingungen, unter<br />
denen sich beim Versuch bzw. Experiment<br />
ein Phänomen beobachten lässt,<br />
verändert (vgl. Murmann 2009). Aus<br />
der einmaligen Durchführung ei nes<br />
Versuchs oder Experiments lässt sich<br />
u. E. praktisch nichts ableiten!<br />
Schon gar nicht, wenn durch die Aufforderung<br />
zur Vermutung die Aufmerksamkeit<br />
bereits gezielt auf vermeintliche<br />
Hauptaspekte gelenkt wird. Wenn<br />
die Schüler:innen – um auf das Kerzenbeispiel<br />
von Betzold zurückzukommen<br />
– etwa vermuten, dass<br />
die Flamme zunächst<br />
kleiner wird und dann<br />
schließlich erlischt,<br />
werden sie genau darauf<br />
achten und genau<br />
dies dann günstigstenfalls<br />
beobachten.<br />
Wie jedoch die Kerzenflamme<br />
flackernd<br />
immer kleiner wird,<br />
welche farblichen Änderungen<br />
sich dadurch<br />
im Leuchten der Flamme<br />
ergeben, was genau<br />
beim Erlöschen der<br />
Flamme im Kerzennapf<br />
passiert, wie Rauch<br />
aufsteigt, sich am kühlen<br />
Glasrand absetzt,<br />
in Wolken nach unten<br />
„wabert“, wie „etwas“<br />
6 GS aktuell 168 • November 2024
Thema: <strong>Beobachten</strong> – <strong>Staunen</strong> – <strong>Forschen</strong><br />
kondensiert u. v. m., bleibt dagegen unberücksichtigt.<br />
Solche Randaspekte und<br />
entsprechende Erkenntnisse in Nebenprozessen<br />
abseits der vermeintlichen<br />
Hauptaspekte werden durch die zugewiesene<br />
Rolle des Versuchs im „Schema<br />
Forschungskreis“ begrenzt. Durch diese<br />
Begrenzung wird Kindern u. E. das eigene,<br />
hingebungsvolle und zunächst ungerichtete,<br />
aber eben stets genaue und intensive<br />
<strong>Beobachten</strong> erschwert. Nebenerscheinungen<br />
ge hö ren aber zum <strong>Forschen</strong><br />
dazu, wie die Rekonstruktionen<br />
aus Labor ta ge bü chern bestätigen (vgl.<br />
Steinle 2004; Höttecke & Rieß 2015).<br />
„Der moderne Mensch hat hier oft gerade<br />
das verlernt, was die Naturwissenschaft ihn<br />
hätte lehren können: einer Sache gewahr<br />
zu werden und zu beobachten. Bedenklicher<br />
noch: statt zu wissen, was er sehen<br />
könnte, wenn er gelernt hätte hinzusehen,<br />
hat er leere Sätze bereit“<br />
(Wagenschein 1977, 63).<br />
Wenn die Kinder z. B. die Durchführung<br />
eines Versuches zunächst allein<br />
beobachtet haben und sich dann über<br />
ihre Beobachtungen austauschen, ergeben<br />
sich ggf. Widersprüche, die im Forschungskreis<br />
schnell im Hinblick auf die<br />
Vermutungen „einkassiert“ würden (vgl.<br />
dazu Geiss & Schumann 2014). Diese<br />
Widersprüche zwischen Beobachtungen<br />
sind aber u. E. von hoher Bedeutsamkeit,<br />
um ein Bewusstsein von <strong>Forschen</strong> im<br />
Sinne einer Scientific Literacy auszubilden:<br />
„Was genau hast du denn gemacht?<br />
Und was genau hast du beobachtet? Hat<br />
das noch jemand anderes beobachtet?“<br />
(Peschel 2009, 26). Widersprüche und<br />
Zweifel sollten zur Überarbeitung, d. h.<br />
zum wiederholten, zielgerichteten Experimentieren,<br />
zurückgegeben werden.<br />
Unsere Kernpunkte,<br />
unsere Empfehlungen –<br />
und ein Gegenentwurf<br />
Kinder im Sachunterricht ohne eigene<br />
naturwissenschaftliche Qualifikation forschen<br />
oder experimentieren zu lassen, ist<br />
eine große Herausforderung. Die eigene<br />
Angst, angesichts möglicher inhaltlicher<br />
oder methodischer Fragen von Kindern<br />
überfordert zu sein, unsicher oder unsouverän<br />
zu reagieren (vgl. Köster 2018), verlockt<br />
zum Einsatz didaktischer Hilfsmittel<br />
wie dem Forschungskreis, der Lehrperso-<br />
(von links)<br />
Pascal Kihm ist wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität des Saarlandes<br />
und Vorstandsmitglied in der Landesgruppe Saarland des Grundschulverbandes.<br />
Marie Fischer ist wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Universität des Saarlandes<br />
und Vorstandsmitglied in der Landesgruppe Saarland des Grundschulverbandes.<br />
Prof. Dr. Markus Peschel ist Lehrstuhlinhaber für die Didaktik des Sachunterrichts an<br />
der Universität des Saarlandes und Fachreferent für Lernkulturen und Sachunterricht<br />
im Grundschulverband.<br />
nen Sicherheit und „Orientierung bei der<br />
praktischen Durchführung“ (Abu Zahra-<br />
Ecker/Fritz/Wahl 2019, 110) von Versuchen<br />
verspricht. Allerdings transportieren<br />
Forschungskreise u. E. ein sehr begrenztes<br />
und eingeschränktes Verständnis von <strong>Forschen</strong><br />
(vgl. Piekny/Grube/Mähler 2012).<br />
Es geht beim <strong>Forschen</strong> nicht darum, ein<br />
vermeintlich allgemeingültiges „Frage-<br />
Zeichnung-Antwort-Schema“ nach einmaligem<br />
Durchlauf neu zu durchlaufen,<br />
sondern um Ausdifferenzierungen und<br />
Vertiefungen in der Auseinandersetzung<br />
mit Phänomenen.<br />
Es empfiehlt sich deshalb u. E.<br />
● zu vermeiden, dass nur geforscht<br />
werden darf, wenn vorher Fragen und<br />
explizite Vermutungen gesammelt<br />
wurden,<br />
● den Randaspekten und Nebenerscheinungen<br />
Raum und Zeit zu geben,<br />
Beobachtungen dazu wertzuschätzen<br />
und ernst zu nehmen,<br />
● längere Zeit bei einem Versuch / Experiment<br />
zu bleiben, ihn/es mehrmals<br />
durchzuführen, zu wiederholen, auszudifferenzieren<br />
und zu vertiefen,<br />
● hingebungsvolles und genaues <strong>Beobachten</strong>,<br />
das Kommunizieren über<br />
die eigenen Beobachtungen und das<br />
Verändern des Versuchs/Experiments<br />
als entscheidende Schritte auf dem Weg<br />
zur Erkenntnis zu verstehen und<br />
● Kooperations- und Kommunikationsprozesse<br />
als „Instanz der Vergewisserung“<br />
zu begreifen, zu nutzen und die<br />
Kommunikationszirkel auszudehnen.<br />
Mit unserem Modell „Wege zur (ge -<br />
meinsamen) Erkenntnis“ (Abb. 1; Peschel<br />
2009; Kihm et al. 2018) schlagen<br />
wir ein Gegenmodell zu den hier kritisierten,<br />
aber u. E. weitverbreiteten Forschungskreisen<br />
vor. Unser Modell geht<br />
nicht von einer Frage aus, sondern von<br />
einem Phänomen oder einem Problem.<br />
Kinder werden in unserem Modell<br />
auch nicht dazu aufgefordert, Vermutungen<br />
oder gar Hypothesen zu formulieren.<br />
Stattdessen geht es darum,<br />
Bedingungen des Phänomens im Sinne<br />
von Wenn-dann-Zusammenhängen<br />
zu untersuchen, indem ein Experiment<br />
durchgeführt, allein beobachtet, sich<br />
ausgetauscht und das Experiment verändert<br />
wird. <strong>Beobachten</strong>, Kommunizieren,<br />
Verändern sind die Kernelemente<br />
unseres Modells. Anders als in den<br />
Forschungskreisen werden diese Schritte<br />
hier mehrmals, iterativ und immer<br />
ausdifferenzierter, vertiefter durchlaufen,<br />
weshalb wir das <strong>Forschen</strong> in unserer<br />
Darstellung bewusst linearisiert haben.<br />
<strong>Forschen</strong> verläuft nicht „im Kreis“,<br />
sondern nähert sich Erkenntnis eher linear-spiralförmig<br />
(oder in hermeneutischen<br />
Annäherungen). Erst im Rückblick<br />
kann der Forschungsprozess dann<br />
idealisiert zusammengefasst und präsentiert<br />
werden, z. B. im Rahmen von Präsentationen<br />
für Mitschüler:innen oder<br />
Eltern. Hierfür bieten Forschungskreise<br />
u. E. übrigens eine durchaus überlegenswerte<br />
Darstellungsweise.<br />
Literaturangaben zum Artikel<br />
können Sie von unserer Website herunterladen:<br />
https://t1p.de/GSa168Lit<br />
GS aktuell 168 • November 2024<br />
7
Thema: <strong>Beobachten</strong> – <strong>Staunen</strong> – <strong>Forschen</strong><br />
Jacqueline Simon und Toni Simon<br />
Kinder fragen – Lehrkräfte antworten?!<br />
Umgangsweisen mit Kinderfragen im (Sach-)Unterricht<br />
Kinder stellen Fragen an die Welt, machen sich Gedanken über die großen und<br />
kleinen Dinge des Lebens und haben in der Regel den Drang, ihren Fragen nachzugehen,<br />
ihre Welt zu erkunden, sie zu erforschen. Inwiefern dies in Schule und<br />
Unterricht aus wissenschaftlicher Sicht aufgegriffen werden sollte, um ausgehend<br />
von Kinderfragen ein forschungsorientiertes Lernen zu fördern, wird im<br />
Beitrag thematisiert.<br />
Wissenschaftlich unbestritten<br />
ist, dass Kinder in der Regel<br />
eine angeborene Neugier<br />
und einen Drang danach haben, ihre<br />
(Um-)Welt(en) zu erkunden, Erfahrungen<br />
zu sammeln, sich mit Unbekanntem<br />
oder Irritierendem auseinanderzusetzen<br />
(Schneider/Schmalt 2000).<br />
Warum Kinder im Unterricht fragen<br />
und forschen können sollten<br />
Das kindliche Interesse zur Welterkundung<br />
bzw. zum (Er-)<strong>Forschen</strong> gilt es<br />
u. a. aus lernpsychologischer Sicht in formalen<br />
Bildungsinstitutionen zu berücksichtigen,<br />
um ein motivierendes, subjektiv<br />
sinnstiftendes, nachhaltiges und<br />
individuell begabungsförderndes Lernen<br />
zu ermöglichen. Im Unterricht sollten<br />
daher das Sich-Wundern und das<br />
Fragenstellen als Quelle, „Motor“ sowie<br />
Ausdruck von Bildungswünschen/-prozessen<br />
angesehen und das <strong>Forschen</strong> von<br />
Kindern gefördert werden. Besonders<br />
gut eignen sich dafür Lernumgebungen,<br />
die den Kindern Raum für ihre Fragen<br />
geben und in denen sie sich klärend mit<br />
für sie fragwürdigen Phänomenen auseinandersetzen<br />
können (für das Selbstverständnis<br />
des Faches Sachunterricht und<br />
seinen Bildungsanspruch ist dies zentral;<br />
s. GDSU 2013, 9). Fächerübergreifendes<br />
problem-/projektorientiertes Lernen,<br />
entdeckend-forschendes Lernen, freies<br />
Explorieren oder freies / offenes Experimentieren<br />
(Schütte/Simon 2023) sowie<br />
das Philosophieren mit Kindern (Michalik<br />
2012) haben hierfür ein besonderes<br />
Potenzial. Dabei sind Konzepte für den<br />
inklusiven (Sach-)Unterricht mit ihrer<br />
starken Interessen- und Partizipationsorientierung<br />
(Seitz/Simon 2021) oder das<br />
in den 1990er-Jahren vorgestellte Konzept<br />
der Welterkundung (Faust-Siehl et<br />
al. 1996) hervorzuheben.<br />
Warum Fragen und<br />
<strong>Forschen</strong> im Unterricht nicht<br />
selbstverständlich ist<br />
Die oben genannten, für ein fragen- und<br />
forschungsorientiertes Lernen besonders<br />
anschlussfähigen Konzepte setzen u. a.<br />
eine Öffnung von Unterricht (räumlich,<br />
zeitlich, aber auch mit Blick auf Lernwege<br />
und -ziele etc.), kommunikative (Frei-)<br />
Räume und ein Verständnis davon voraus,<br />
dass kindliches Lernen nicht linear<br />
abläuft, sondern „Schleifen, Auf und Ab,<br />
Umwege, Irrwege, Schleichwege, Spaziergänge,<br />
Rennen, Sprünge oder Rückschritte“<br />
enthält (Liebers et al. 2013, 50). Es ist<br />
als individuelles forschendes Lernen in<br />
einem „offen strukturierten Unterricht“<br />
(Seitz 2006, o. S.) zu gewährleisten und zu<br />
begleiten (siehe auch Peschel 2016; Schütte/Simon<br />
2023, 3).<br />
Notwendig ist also eine bestimmte<br />
Lernkultur bzw. eine auf Lernen statt<br />
Lehren orientierte Didaktik (Peschel<br />
2021), die ggf. veränderte Rollen der<br />
Kinder und der Lehrperson voraussetzt.<br />
Trotz aller Reformen in der Primarstufe<br />
ist eine solche Lernkultur nicht selbstverständlich<br />
(Peschel 2016). So findet noch<br />
allzu oft der traditionelle lehrer:innenzentrierte,<br />
fragend-entwickelnde Unterricht<br />
statt, der nur wenig Raum für Kin-<br />
Kinderfragen – Anerkennung und Unterstützung statt (Be-)Wertung<br />
Stellt ein Kind die Frage „Warum scheint der<br />
Mond manchmal auch am Tag?“ (Peschel<br />
2011), so sollte die Lehrperson diese keinesfalls<br />
vorschnell beantworten, soll der Unterricht<br />
forschungsorientiert bleiben. Zunächst<br />
gilt es, die Frage als subjektiv bedeutsam anzuerkennen<br />
– ohne sie zu (be)werten. Dies<br />
impliziert bspw. auch, dass die sich womöglich<br />
in dieser Frage widerspiegelnde Vorstellung,<br />
der Mond erzeuge selbst Licht, nicht<br />
als naive Theorie, Miss- oder Fehlkonzept<br />
(ab)gewertet und belehrend korrigiert wird.<br />
Vielmehr könnte aus didaktischer Sicht, die<br />
das Lernen und nicht das Lehren betont (Peschel<br />
2021), bspw. gefragt werden:<br />
Jaqueline Simon<br />
Martin-Luther-Universität Halle-<br />
Wittenberg, Lehrkraft für besondere<br />
Aufgaben, Arbeitsbereich Schulpraktische<br />
Studien<br />
Dr. Toni Simon<br />
Martin-Luther-Universität Halle-<br />
Wittenberg, wissenschaftlicher Mitarbeiter,<br />
Arbeitsbereich Sachunterricht<br />
• Soll/kann/möchte das Kind seiner Frage<br />
individuell nachgehen oder kann/soll sie<br />
zu einer Frage für die ganze Klasse werden?<br />
• Lässt sich die Frage vielleicht mit anderen<br />
Fragen in einen thematischen Zusammenhang<br />
bringen?<br />
• Welche Möglichkeiten (Wege/Methoden)<br />
gibt es, der Frage nachzugehen und Erkenntnisse<br />
zu teilen?<br />
• Welche Kompetenzen setzen diese möglicherweise<br />
voraus und welche können<br />
gefördert werden?<br />
• Braucht ein Kind Unterstützung? Und wenn<br />
ja: wann/wobei, von wem, wie viel etc.?<br />
8 GS aktuell 168 • November 2024
Thema: <strong>Beobachten</strong> – <strong>Staunen</strong> – <strong>Forschen</strong><br />
Tab. 1: Stufen<br />
des <strong>Forschen</strong>den<br />
Lernens (eigene<br />
Darstellung auf<br />
Basis von Abels et<br />
al. 2020, 11)<br />
derfragen im (Sach-)Unterricht lässt (z. B.<br />
Miller/Brinkmann 2011) und mit dem<br />
Schüler:innen „nicht selten zu angepassten<br />
Antwortgeber[:inne]n [ …] herangebildet<br />
werden“ (Reusser 2001, 107).<br />
Zur Bedeutung von Kinderfragen<br />
Kinderfragen haben nicht nur ein motivationales,<br />
sondern auch ein besonderes<br />
diagnostisches Potenzial. Sie können<br />
Hinweise auf individuelle Interessen,<br />
ein mögliches Noch-nicht-Verstehen<br />
bzw. auch Nicht-mehr-Verstehen sowie<br />
auf die individuellen Blickwinkel auf ein<br />
bzw. Vorstellungen von einem Phänomen<br />
geben. So unterschiedlich wie die<br />
Kinder, „so unterschiedlich sind auch<br />
ihre Perspektiven auf die Welt“ (Miller/Brinkmann<br />
2011, 67). Dies „spiegelt<br />
sich [potenziell; d. A.] in den Fragen, die<br />
die Schüler/innen an den Lerngegenstand<br />
stellen“, wider (ebd.). Kinderfragen<br />
können auch zur Strukturierung des<br />
Unterrichts / einer Einheit dienen. Als<br />
sinnstiftendes Element haben sie also<br />
insgesamt umfassendes pädagogisches<br />
und didaktisches Potenzial.<br />
Aber wie kommen die Fragen in den<br />
(Sach-)Unterricht? Traditionell setzt die<br />
Lehrperson ein Thema (orientiert am<br />
Stoffverteilungs- bzw. Lehrplan) und<br />
evoziert erst dann Fragen der Kinder –<br />
wenn überhaupt. Für den gegenwärtigen<br />
(Sach-)Unterricht gibt es jedoch auch<br />
Ansätze (s. o.), mit denen von den Kinderfragen<br />
ausgegangen wird. Die Kinderfragen<br />
haben so von Beginn an eine zentrale,<br />
auf Lernen statt Lehren ausgerichtete<br />
didaktische Bedeutung (siehe Peschel<br />
2021). Werden Kinder darin gestärkt, sich<br />
als Forscher:innen (mit der Unterstützung<br />
der Lehrperson) durch fragen-/interessengeleitetes,<br />
entdeckend-forschendes<br />
Lernen klärend mit für sie relevanten<br />
Themen / Phänomenen auseinanderzusetzen,<br />
können sie einen „forschenden<br />
Habitus“ entwickeln (z. B. Peschel 2016;<br />
Schütte/Simon 2023). Auch werden Partizipation<br />
als Unterrichtsprinzip (Seitz/<br />
Simon 2021) sowie damit einhergehend<br />
die aktive Rolle der Schüler:innen als<br />
‚Didaktiker:innen‘ ihres eigenen Lernens<br />
(z. B. Meyer 2008, 122; Standop & Jürgens<br />
2015, 111 ff.) gestärkt und die tradierte<br />
Rolle der Lehrperson irritiert (ebd.).<br />
Nicht jeder Frage kann / muss<br />
nachgegangen werden<br />
Abb. 1: Kinderzeichnung (inspiriert durch einen Comic)<br />
zur Erkenntnis, dass der Mond das Sonnenlicht reflektiert<br />
Grundsätzlich kann nicht jeder Frage<br />
im Unterricht nachgegangen werden<br />
– allein aus zeitlichen Gründen, aber<br />
auch, weil nicht jede Frage für jede:n<br />
anregend, interessant oder angemessen<br />
ist. Demokratische Abstimmungen und<br />
Differenzierungsmaßnahmen können<br />
helfen, besonders relevante Fragen zu<br />
identifizieren oder Forscher:innengruppen<br />
zu einem bestimmten Thema zu bilden.<br />
So kann einer oder auch mehreren<br />
Fragen individuell, in (Klein-)Gruppen<br />
oder mit allen nachgegangen werden.<br />
Die Lehrperson kann dabei in unterschiedlichem<br />
Umfang unterstützen –<br />
sowohl bei der Wahl der (Forschungs-)<br />
Frage als auch der Methoden der Bearbeitung<br />
und zur Präsentation der Ergebnisse<br />
(s. Tab. 1, nach Abels et al. 2020,<br />
11). Auf diese Weise können unterschiedliche<br />
Stufen forschungsorientierten,<br />
partizipativen Lernens ermöglicht<br />
werden, die auch helfen, schrittweise<br />
eine adäquate Lernkultur zu etablieren<br />
sowie adaptiv auf unterschiedliche<br />
Unterstützungsbedarfe einzugehen.<br />
Individualisierung und Gemeinsamkeit<br />
in Balance halten; so viel Unterstützung<br />
wie nötig geben, ohne das<br />
<strong>Forschen</strong> der Kinder vorschnell einzuschränken;<br />
gemeinsame „Resonanzräume“<br />
schaffen (z. B. Forscher:innenkonferenzen,<br />
bei denen Ergebnisse präsentiert<br />
werden) – dies sind sodann einige<br />
der zentralen Aufgaben der Lehrperson.<br />
Vielfältige Wege können zum<br />
(Forschungs-)Ziel führen<br />
Im Rahmen eines offenen forschenden<br />
Lernens (s. Tab. 1, Stufe 3) können<br />
und sollten unterschiedliche Fragen,<br />
Wege zu deren Klärung sowie Formen<br />
der Ergebnispräsentation möglich<br />
sein. Selbst bei derselben Frage kann es<br />
ganz unterschiedliche Wege der Auseinandersetzung<br />
und Klärung geben<br />
– und nicht alle müssen (unmittelbar<br />
oder überhaupt) zum Erfolg führen.<br />
Auch dies ist eine wichtige Erkenntnis<br />
– sowohl im Allgemeinen als auch im<br />
Speziellen hinsichtlich eines Verständnisses<br />
für Forschung und Erkenntnisgewinnung.<br />
Bei der Präsentation von<br />
Ergebnissen ist zudem vieles denkbar:<br />
vom Vortrag über<br />
ein Poster, Modelle,<br />
Comics (s. Abb. 1 zum<br />
„Mondlicht“) oder ein<br />
szenisches Spiel etc.<br />
Sowohl hinsichtlich<br />
der Möglichkeiten<br />
zur Klärung der<br />
GS aktuell 168 • November 2024<br />
9
Thema: <strong>Beobachten</strong> – <strong>Staunen</strong> – <strong>Forschen</strong><br />
Abb. 2: Kinder einer 3. Klasse haben<br />
Möglichkeiten zur Klärung einer<br />
Forschungsfrage gesammelt<br />
(© Michaela Band)<br />
Abb. 3: Mit wem möchte ich arbeiten?<br />
Überlegungen von Kindern einer<br />
3. Klasse zur Sozialform für ihre<br />
Forschungsphase (© Michaela Band)<br />
Frage als auch hinsichtlich der Präsentation<br />
von Ergebnissen sind letztlich die konkreten<br />
Rahmenbedingungen (einschließlich<br />
der Erfahrungen der Kinder) in der<br />
Schule / Klasse bedeutsam.<br />
Unter der Voraussetzung, dass die Frage<br />
„Warum scheint der Mond manchmal<br />
auch am Tag?“ für die (Mehrheit einer)<br />
Klasse so interessant ist, dass ihr nachgegangen<br />
werden soll, könnte in einem<br />
ersten Schritt in Einzel- oder Partner:innenarbeit<br />
und anschließend gemeinsam<br />
überlegt werden, welche Möglichkeiten<br />
die Kinder sehen, um dieser Frage klärend<br />
auf den Grund zu gehen. Die Ergebnisse<br />
können in einem Tafelbild oder<br />
auf einem Poster (s. Abb. 2) festgehalten<br />
werden.<br />
Denkbar wären neben der Recherche<br />
in Büchern und im Internet u. a.<br />
Expert:innenbefragungen z. B. älterer<br />
Schüler:innen (ggf. auch einer anderen<br />
Schule), von Bezugspersonen (insofern<br />
diese eine spezifische Expertise haben)<br />
oder aber Mitarbeitenden bspw. eines<br />
Planetariums (sowohl als klassisches<br />
Face-to-Face-Interview als auch als Telefon-<br />
oder Videokonferenzinterview).<br />
Das konkrete methodische Vorgehen<br />
bei den Recherchen oder einer möglichen<br />
Expert:innenbefragung ist sodann<br />
vorzubereiten: Was wird dazu benötigt<br />
(z. B. Material, Zeit …)? Was können<br />
die Kinder selbstständig tun? Wo benötigen<br />
sie ggf. Unterstützung? Wer kann<br />
helfen? Auch hierzu können Ideen zunächst<br />
allein oder in (Klein-)Gruppen<br />
und späterhin im Plenum zusammengetragen<br />
und so gemeinsam ‚Forschungsstrategien‘<br />
entwickelt und dokumentiert<br />
werden. Wenn ausreichend Möglichkeiten<br />
und Notwendigkeiten eruiert worden<br />
sind, wird gefragt, wer mit wem<br />
forschen möchte, und es werden Forscher:innengruppen<br />
gebildet (s. Abb. 3).<br />
Anschließend ist zu klären, welche<br />
Methodik die Forscher:innengruppen<br />
zur Klärung der Frage nutzen wollen.<br />
Dabei gilt es zu bedenken, dass unterschiedliche<br />
Wege zur Erkenntnisgewinnung<br />
unterschiedlich viel Zeit in<br />
Anspruch nehmen können, sodass die<br />
Gruppen nicht im Gleichschritt arbeiten.<br />
Damit die Kinder individuell sowie<br />
als Forscher:innengruppen ihr Vorgehen<br />
und ihre Erkenntnisse dokumentieren,<br />
bietet sich z. B. ein Forscher:innenheft<br />
oder auch Forscher:innentagebuch an.<br />
Dieses kann in unterschiedlichem Umfang<br />
vorstrukturiert sein, je nach Bedarf<br />
der Schüler:innen. In einer ersten Konferenz<br />
können die Forscher:innengruppen<br />
ihre vorläufigen bzw. zentralen Ergebnisse<br />
zusammenfassen: Sind alle Gruppen<br />
zu einem Ergebnis gekommen? Welche<br />
Ergebnisse gibt es? Hier kann auch gefragt<br />
und dokumentiert werden, ob im<br />
Prozess der Klärung der Ausgangsfrage<br />
weitere Fragen aufgekommen sind<br />
und ob diese klärungswürdig erscheinen?<br />
Anschließend sollte geklärt werden,<br />
wie die Ergebnisse dargestellt und<br />
präsentiert werden können. Auch hier<br />
gibt es vielerlei Möglichkeiten: von Texten<br />
und Bildern (z. B. eine Wandzeitung)<br />
über Modelle, ein Rollenspiel oder selbst<br />
produzierten Erklär-Videos. Bei der abschließenden<br />
Präsentation der Ergebnisse<br />
ist es ratsam, die Schüler:innen in ihrer<br />
Rolle als Forscher:innen zu adressieren,<br />
da dies nicht nur motivierend, sondern<br />
auch sprachbildend wirkt (Quehl/<br />
Trapp 2013; Rödel/Simon 2018). So<br />
kann bspw. eine Pressekonferenz inszeniert<br />
werden, bei der die Forscher:innen<br />
dem Publikum ihre Erkenntnisse zusammenfassen.<br />
Das (vorschnelle) Beantworten der<br />
Frage „Warum scheint der Mond manchmal<br />
auch am Tag?“ – sowohl bezogen auf<br />
das „manchmal“ als auch z. B. auf das<br />
„scheint“ – wäre im Sinne zeitlicher Ressourcen<br />
sicherlich effizient und stünde<br />
ganz in der Tradition einer „Lehrkunstdidaktik“<br />
(Meyer 2008, 122). Mit Blick<br />
auf eine Didaktik des Lernens (Peschel<br />
2021) ist jedoch das <strong>Staunen</strong> der Kinder<br />
ein wichtiger Ausgangspunkt für ein forschungsorientiertes<br />
Lernen im (Sach-)<br />
Unterricht, mit dem die aktive Rolle der<br />
Schüler:innen bei der Klärung ihrer Fragen<br />
bzw. von Phänomenen (z. B. naturwissenschaftlichen)<br />
gestärkt wird.<br />
Literaturangaben zum Artikel<br />
können Sie von unserer Website herunterladen:<br />
https://t1p.de/GSa168Lit<br />
10 GS aktuell 168 • November 2024
Praxis: <strong>Beobachten</strong> – <strong>Staunen</strong> – <strong>Forschen</strong><br />
Sarah Poensgen, Anke Jungmann<br />
Und was kommt nach dem <strong>Staunen</strong>?<br />
(Offenes) Experimentieren<br />
mit digitalen Medien dokumentieren und präsentieren<br />
In diesem Beitrag wird die Auseinandersetzung mit dem Experiment „Der<br />
Kerzenaufzug“ in den Mittelpunkt einer Lernumgebung mit digitalen Medien<br />
gerückt. Dabei werden Möglichkeiten aufgezeigt, wie Tablets sinnvoll in den<br />
Experimentierprozess der Kinder integriert werden können, indem sie zur Dokumentation<br />
der Beobachtungen und Erkenntnisse genutzt werden. In einem zweiten<br />
Schritt nutzen die Kinder das Online-Wiki kidipedia, um dort auf Grundlage<br />
ihrer Beobachtungen und Erkenntnisse einen eigenen Beitrag zu verfassen und<br />
zu präsentieren (vgl. Kneis/Peschel 2023). Hierbei bieten sich durch die zahlreichen<br />
digitalen Funktionen von kidipedia erweiterte Gestaltungs- und Reflexionsmöglichkeiten<br />
im Vergleich zu Präsentationsmedien wie z. B. Plakaten.<br />
Kinder gehen neugierig durch die<br />
Welt. Diese Neugier kann beim<br />
Experimentieren im Sachunterricht<br />
der Grundschule gezielt aufgegriffen<br />
werden. Dabei ist es möglich, dass sowohl<br />
Fragen oder Beobachtungen der Kinder<br />
aus ihrer Lebenswelt aufgegriffen werden<br />
als auch solche, die in der Auseinandersetzung<br />
mit einem Phänomen im Unterricht<br />
erst entstehen. Beim Experimentieren im<br />
hier verstandenen Sinne beobachten Kinder,<br />
tauschen sich aus, reflektieren, diskutieren,<br />
verwerfen und kommen zu (neuen)<br />
Erkenntnissen und Fragen (s. auch Kihm<br />
et al. in diesem Band). Der Experimentierprozess<br />
wird dabei nicht als Abarbeiten<br />
eines Rezeptes (Versuchsanleitung) verstanden,<br />
sondern als „Weg der gemeinsamen<br />
Erkenntnis“ (Kihm et al. 2018, 73),<br />
der die individuellen Beobachtungen, Fragen,<br />
Lernwege und Erkenntnisse der Kinder<br />
in den Mittelpunkt rückt. Der Fokus<br />
liegt dabei darauf, dass die Kinder das<br />
Experiment immer wieder durchführen,<br />
variieren und vor allem genau beobachten.<br />
Getragen wird dieser Prozess durch die<br />
Kommunikation der Kinder untereinander<br />
(vgl. Köster 2006; Murmann et al.<br />
2007; Peschel 2009; 2013a; 2013b; 2014,<br />
2016; Kihm et al. 2018; Frischknecht-<br />
Tobler/Labudde 2019).<br />
Digitale Medien eröffnen durch ihre<br />
Möglichkeiten zur Dokumentation (z. B.<br />
durch Fotos oder Videos) oder zur Präsentation<br />
(z. B. mithilfe des Online-Wikis<br />
kidipedia) weitere Zugangsweisen<br />
und Kommunikationsmöglichkeiten im<br />
Experimentierprozess. Beobachtungen<br />
können z. B. schriftlich oder fotografisch<br />
Anke Jungmann<br />
Grundschullehrerin, zzt. abgeordnet an<br />
die Universität des Saarlandes, Lehrstuhl<br />
für Didaktik des Sachunterrichts,<br />
Projekt #grundschule-digital<br />
Sarah Poensgen<br />
wissenschaftliche Mitarbeiterin<br />
Universität des Saarlandes, Lehrstuhl<br />
für Didaktik des Sachunterrichts,<br />
Projekt kidipedia<br />
festgehalten werden oder durch spezielle<br />
Funktionen (z. B. Slow-Motion-Video)<br />
erst ermöglicht und so immer wieder betrachtet<br />
werden (vgl. Nießeler 2022). Aussagen<br />
können durch erstellte Videos geprüft<br />
werden.<br />
Im Folgenden wird anhand des Experiments<br />
„Der Kerzenaufzug“ aufgezeigt,<br />
wie Kinder durch Beobachtungen, deren<br />
Dokumentation und durch Kommunikation<br />
darüber zu eigenen Erkenntnissen<br />
gelangen können (s. Infokasten links).<br />
GS aktuell 168 • November 2024<br />
11
Praxis: <strong>Beobachten</strong> – <strong>Staunen</strong> – <strong>Forschen</strong><br />
Dokumentieren<br />
Beim Experiment „Der Kerzenaufzug“<br />
wird ein Teller oder eine flache Schale<br />
mit Wasser befüllt. Ein Teelicht wird<br />
in der Mitte platziert und angezündet.<br />
Im Anschluss daran wird ein Glas über<br />
das Teelicht gestülpt (Bild 1: Aufbau<br />
des Experiments). Die Kinder können<br />
nun viele verschiedene Beobachtungen<br />
machen, z. B. dass der Wasserspiegel<br />
zunächst beim Überstülpen absinkt,<br />
das Erlöschen der Kerze, die Rauchentwicklung<br />
oder das Ansteigen des Wasserspiegels<br />
innerhalb des Glases, sowie<br />
die Zeitpunkte zu diesen Teilbeobachtungen<br />
u. v. a. m. Die Kinder werden –<br />
durch Wiederholung, durch wiederholtes<br />
Ansehen der Videos aus dem Experimentierprozess,<br />
durch Kommunikation<br />
mit anderen Kindern – dazu angeregt,<br />
sich über ihre Beobachtungen auszutauschen,<br />
diese zu diskutieren und das<br />
Experiment immer wieder zu wiederholen<br />
bzw. zunehmend gezielter und differenzierter<br />
zu variieren (vgl. auch Peschel<br />
& Fischer in diesem Heft).<br />
Ziel ist es, die Kinder an naturwissenschaftliche<br />
Arbeitsweise heranzuführen,<br />
bei der möglichst nur ein Parameter zu<br />
einem Zeitpunkt variiert wird und die<br />
Auswirkungen dieser Variation beobachtet<br />
werden. Zur Variation des Versuches<br />
können beispielsweise unterschiedliche<br />
Kerzen, verschiedene Gläser oder<br />
andere Gefäße genutzt werden. Außerdem<br />
kann die Menge des Wassers variiert<br />
werden oder die Art, wie das Glas<br />
über die Kerze gestülpt wird (Bild 2: Materialien<br />
des Experiments). Gleichzeitig<br />
erhalten die Kinder die Aufgabe, ihre<br />
Beobachtungen und Erkenntnisse mithilfe<br />
z. B. eines Tablets zu dokumentieren<br />
(Bild 3: Experiment dokumentieren).<br />
Dabei haben sie die Möglichkeit, Fotos<br />
und Videos ihres Experimentierprozesses<br />
zu erstellen, um diese anschließend<br />
zu vergleichen, (schriftlich) zu kommentieren<br />
oder digital zu bearbeiten. Außerdem<br />
können sie ihre Beobachtungen und<br />
Erkenntnisse zum Beispiel in einer Notizen-App<br />
(hand)schriftlich festhalten.<br />
(Bild 4: Beispiel Notiz)<br />
Ebenso wichtig wie die Dokumentation<br />
der eigenen Beobachtungen und Erkenntnisse<br />
ist die Kommunikation, die<br />
auch das digitale Dokumentieren begleitet<br />
und unterstützt. Genau wie der<br />
Experimentierprozess an sich, erlaubt<br />
die Nutzung digitaler Medien eine stetige<br />
(Neu-)Orientierung und Bearbeitung<br />
Bild 3: Experiment dokumentieren<br />
der bisherigen Erkenntnisse der Kinder,<br />
die durch deren Kommunikation untereinander<br />
angeregt wird.<br />
Im Anschluss an den Experimentierprozess<br />
findet schließlich das gemeinsame<br />
Gespräch im Plenum statt, in dem<br />
das Experimentieren der Kinder sowie<br />
der Einsatz der Tablets reflektiert werden.<br />
Mögliche unterstützende Fragen<br />
können etwa lauten: Was ist dir besonders<br />
wichtig? Welcher Versuch hat dich<br />
besonders beeindruckt? Warum? Wie<br />
könntest du weiterforschen? Was interessiert<br />
dich noch? Was hast du am Versuch<br />
verändert und was hast du dann<br />
beobachtet? Was ist gleich, was ist anders?<br />
Wie hat dich die Nutzung des Tablets<br />
während des Experimentierens unterstützt?<br />
Was hast du aufgezeichnet/gefilmt/aufgeschrieben<br />
und warum? Welche<br />
Beobachtungen konntest du dadurch<br />
machen? Haben andere dies auch beobachtet?<br />
Oder etwas anderes? Dabei unterstützen<br />
die digitalen Dokumentationen<br />
die Erklärungen und Berichte der<br />
Kinder. Diese können zusätzlich auch<br />
an einem Smartboard zusammengetragen<br />
werden.<br />
Präsentieren<br />
Nach der gemeinsamen Reflexion der<br />
Beobachtungen der Kinder erhalten sie<br />
die Aufgabe, allein, zu zweit oder in der<br />
Kleingruppe, diese Beobachtungen und<br />
Erkenntnisse in Form eines Beitrags bei<br />
kidipedia zu präsentieren. Dazu nutzen<br />
sie die Fotos, Videos und Notizen,<br />
die sie während des Experimentierens<br />
erstellt haben, und werden zu Produzent:innen<br />
digitaler Inhalte (Bild 5: kidipedia-Beitrag<br />
verfassen). Ein kidipedia-<br />
Beitrag stellt dabei eine Möglichkeit der<br />
Präsentation von Experimenten und<br />
Bild 1: Aufbau des Experiments<br />
Bild 2: Materialien des Experiments<br />
Bild 4: Beispiel Notiz<br />
Bild 5: kidipedia-Beitrag verfassen<br />
12<br />
GS aktuell 168 • November 2024
Praxis: <strong>Beobachten</strong> – <strong>Staunen</strong> – <strong>Forschen</strong><br />
Erkenntnissen dar, die durch ihre vielfältigen<br />
Funktionen über die Möglichkeiten<br />
z. B. eines Plakates oder eines<br />
Lapbooks hinausgeht. Neben der multimedialen<br />
Präsentation der Erkenntnisse<br />
und Beobachtungen durch Fotos, Videos<br />
oder Text erlaubt kidipedia durch seine<br />
Wiki-Funktionen darüber hinaus eine<br />
fortwährende, unkomplizierte Überarbeitung<br />
des Beitrags.<br />
Zusätzlich zum Erwerb von naturwissenschaftlichen<br />
Kompetenzen bzw. Denk-,<br />
Arbeits- und Handlungsweisen der naturwissenschaftlichen<br />
Perspektive (vgl.<br />
GDSU 2013) zum Experiment „Der Kerzenaufzug“<br />
können die Kinder durch die<br />
Nutzung von kidipedia auch Fragen stellen,<br />
die die Erstellung von digitalen Informationen<br />
betreffen. Beispiele wären:<br />
Welche Beobachtungen zum Kerzenaufzug<br />
müssen in meinem kidipedia-Beitrag<br />
enthalten sein, damit er die Leser:innen<br />
informiert? Können die Leser:innen anhand<br />
meiner Videos und Fotos meine Beobachtungen<br />
nachvollziehen? Ist der Fokus<br />
gut genug, um meine Beobachtungen<br />
zu unterstützen / zu belegen?<br />
Zudem bietet es sich an, die fertigen kidipedia-Beiträge<br />
gemeinsam zunächst in<br />
der Klasse zu präsentieren und zu reflektieren.<br />
Dabei stehen sowohl der Experimentierprozess<br />
als auch die Genese (Erstellung,<br />
Rückmeldung, Überarbeitung)<br />
der kidipedia-Beiträge im Fokus, wodurch<br />
beide Prozesse sinnvoll miteinander<br />
verknüpft werden. Durch das analoge<br />
Experimentieren, dessen digitale Dokumentation<br />
und die anschließende Präsentation<br />
bei kidipedia sowie die begleitende<br />
gemeinsame Kommunikation und Reflexion<br />
darüber können sowohl naturwissenschaftliche<br />
als auch mediale Kompetenzen<br />
gefördert werden.<br />
Literaturangaben zum Artikel<br />
können Sie von unserer Website herunterladen:<br />
https://t1p.de/GSa168Lit<br />
Sonja Köhler<br />
„Ich seh’ da einen Schnabel!!!“<br />
Von Eiern und Küken im Klassenraum<br />
Hühner gehören weltweit zu den wichtigsten Nutztieren und sind somit auch<br />
Teil der Lebenswelt vieler Kinder im Grundschulalter. Egal welchen kulturellen<br />
oder sozialen Hintergrund die Schüler:innen in der Bachschule in Neunkirchen<br />
haben, jedes Kind weiß, was ein Huhn ist, dass es Eier legt und man Hühnerfleisch<br />
essen kann.<br />
Im April des letzten Schuljahres<br />
drehte sich in unserer dritten Klassenstufe<br />
im Sachunterricht alles um<br />
das Thema Huhn. Da unsere Schule<br />
eine Brutmaschine sowie einen kleinen<br />
mobilen Stall mit Wärmelampe besitzt,<br />
hat dieses Projekt bereits seit einigen<br />
Schuljahren Tradition. Den Kindern<br />
wurde so über einen Zeitraum von ca.<br />
vier Wochen die Möglichkeit gegeben,<br />
den in diesem Fall künstlichen Brutvorgang<br />
und die ersten Tage eines Kükens<br />
zu beobachten, zu begleiten und zu<br />
bestaunen. Da die Bachschule in einem<br />
städtischen Umfeld liegt, haben viele<br />
Kinder keinen Kontakt zu Tieren und<br />
meist keine Möglichkeiten, auf Bauernhöfen<br />
oder in der freien Natur Tiere zu<br />
sehen und kennenzulernen. Es fehlen<br />
somit Gelegenheiten, sich eigene Fragen<br />
zu Tieren jeglicher Art zu beantworten<br />
oder primär überhaupt zu stellen.<br />
Daher bietet es sich an, die Entwicklung<br />
„vom Ei zum Küken“ im Klassenraum<br />
zu begleiten sowie in diesem Rahmen<br />
die Merkmale und die Lebensbedingungen<br />
von Hühnern zu untersuchen und<br />
zu beschreiben.<br />
Die Vorbereitungen<br />
Sonja Köhler ist Klassenlehrerin einer<br />
4. Klasse in der Grundschule Bachschule<br />
Neunkirchen und Vorsitzende<br />
der Landesgruppe Saarland des<br />
Grundschulverbandes e. V.<br />
Im Vorfeld des Projektes war es uns<br />
als Team aus vier Klassenleitungen<br />
der 3. Klassen ein Anliegen, die Küken<br />
nach Ende der vier Wochen zur weiteren<br />
Aufzucht an einen Hühnerhalter<br />
abgegeben zu können, um eine möglichst<br />
artgerechte Haltung der Tiere zu<br />
gewährleisten. Glücklicherweise fanden<br />
wir mit Herrn Hussong vom Pfaffenthalerhof<br />
zum wiederholten Mal<br />
einen erfahrenen Landwirt und Hühnerhalter,<br />
der uns nicht nur zusagte, die<br />
Küken zu nehmen, sondern uns zusätzlich<br />
anbot, das Projekt auch mit Tipps<br />
und einem Besuch im Unterricht zu<br />
unterstützen. Beflügelt von der Zusage<br />
recherchierten wir im Internet speziell<br />
nach Bruteiern. Bruteier stammen<br />
von Züchter:innen, bei denen das Verhältnis<br />
von Hahn zu Huhn bei ca. 1:10<br />
liegt und somit die Wahrscheinlichkeit<br />
sehr hoch ist, dass die Eier auch wirklich<br />
befruchtet sind. Diese Eier holten<br />
wir ein paar Tage vor Projektbeginn ab<br />
und lagerten sie vorerst kühl und dunkel.<br />
Einen Tag vor dem Einsetzen der<br />
20 Eier nahmen wir den Brutkasten in<br />
Betrieb, damit Temperatur und Luftfeuchtigkeit<br />
sich auf die Idealwerte einstellen<br />
konnten.<br />
GS aktuell 168 • November 2024<br />
13
Praxis: <strong>Beobachten</strong> – <strong>Staunen</strong> – <strong>Forschen</strong><br />
Der Verlauf<br />
Abb. 1: Legekreis zur Entwicklung des Eis<br />
zum Küken von „Chaosbude“ auf eduki<br />
Damit die Küken nach einer Brutzeit<br />
von 21 Tagen auch zur Schulzeit schlüpften,<br />
setzten wir die Eier nicht montags,<br />
sondern erst dienstags in den Brutkasten<br />
ein. So wollten wir verhindern,<br />
dass die Küken bereits unbemerkt am<br />
Wochenende schlüpften. Um alle Klassen<br />
der 3. Jahrgangsstufe zu involvieren,<br />
durfte jede Klasse fünf der 20 Eier in<br />
den Brutapparat setzen und diesen bei<br />
der Gelegenheit genauer untersuchen.<br />
Hierbei wurden erste Bedingungen des<br />
Brütens, z. B. die Temperaturregulierung<br />
oder das eingefüllte Wasser für die Luftfeuchtigkeit,<br />
entdeckt und kommuniziert.<br />
Zum weiteren Einstieg in das Thema<br />
Huhn stellte ich den Kindern vorbereitete<br />
Quizfragen und notierte die Antworten<br />
und Vermutungen sowie weitere<br />
Fragen der Kinder an der Tafel. So wurde<br />
zum einen Vorwissen aktiviert und<br />
zum anderen eine Vorschau auf die Themen<br />
der kommenden Stunden gegeben.<br />
Im Verlauf der Einheit hatten die Schüler:innen<br />
große Freude daran, gewonnene<br />
Informationen aus den eigenen Beobachtungen<br />
mit den zuvor gegebenen<br />
Antworten abzugleichen und diese ggf.<br />
zu korrigieren.<br />
Parallel zu den Themenbereichen<br />
wurde mithilfe eines Legekreises (siehe<br />
Abb. 1) immer wieder die Entwicklung<br />
des Kükens im Ei thematisiert und visualisiert.<br />
Am 13. Tag durchleuchteten<br />
wir mithilfe einer Taschenlampe – besser<br />
wäre eine sogenannte Schierlampe<br />
– die Eier, um herauszufinden, welche<br />
Eier befruchtet sind und welche aussortiert<br />
werden können (siehe Abb. 2).<br />
Hierbei konnten die Schüler:innen auch<br />
die Blutgefäße und erste Bewegungen im<br />
Ei erkennen.<br />
Eine weitere Möglichkeit zum <strong>Beobachten</strong><br />
und <strong>Staunen</strong> bot sich, als uns<br />
Herr Hussong mit einem Huhn besuchte,<br />
das ein Jahr zuvor in unserer Schule<br />
geschlüpft war. Hierbei hatten die Kin-<br />
Abb. 2: Ei wird mit Schierlampe durchleuchtet<br />
© Heiko Fröhlich<br />
Abb. 3 und 4: Die Küken schlüpfen und<br />
wärmen sich unter der Rotlichtlampe<br />
Unsere Ziele des Hühnerprojektes<br />
• Entstehung und Entwicklung eines Tieres begleiten und beobachten<br />
• Sprachbildung zum Themenfeld „Vögel“ und speziell zum „Huhn“<br />
• Haltungs- und Lebensbedingungen von Hühnern kennenlernen<br />
und reflektieren<br />
• ein Bewusstsein für Wechselbeziehungen von Mensch und Tier entwickeln<br />
• Primärerfahrungen durch Realbegegnungen sammeln<br />
• sich der Herkunft von Lebensmitteln und der Bedeutung des Huhns<br />
als Nutztier bewusst werden<br />
Diese Ziele wurden in Anlehnung an den saarländischen Lehrplan für<br />
Sachunterricht und den Perspektivrahmen Sachunterricht der GDSU<br />
formuliert.<br />
Materialliste<br />
• Bruteier von Zuchtbetrieben<br />
• Brutmaschine mit Temperatur- und Luftfeuchtigkeitsregulierung<br />
• Schierlampe oder leuchtstarke Taschenlampe<br />
• kleiner, mobiler Stall o. Ä.<br />
• Infrarotwärmelampe<br />
• Einstreu<br />
• Kükenaufzuchtfutter mit Behälter<br />
• Wasserschalen<br />
Beispiele für Quizfragen<br />
• Wer hat die bunteren Federn, der Hahn oder die Henne?<br />
• Was haben Hühner auf dem Kopf?<br />
a) Bürste b) Kamm c) Bart<br />
• Wie viele Tage müssen Eier ausgebrütet werden,<br />
damit Küken schlüpfen?<br />
• Richtig oder falsch:<br />
Das Huhn kann mit den Beinen erkennen, ob sich ein<br />
Feind anschleicht.<br />
• Schätze: Wie viele Eier kann ein Huhn auf einmal ausbrüten?<br />
• Warum baden Hühner in Sand?<br />
• Was bedeuten die Zahlen auf dem Hühnerei?<br />
• Können Hühner fliegen?<br />
• Was ist eine Glucke?<br />
a) Geräusch, das Hühner machen<br />
b) Teil vom Stall<br />
c) Huhn, das brütet<br />
• Wo schlafen Hühner?<br />
a) auf einer Sitzstange<br />
b) im Nest<br />
c) auf dem Boden<br />
• Kann aus jedem Ei ein Küken schlüpfen?<br />
14<br />
GS aktuell 168 • November 2024
Praxis: <strong>Beobachten</strong> – <strong>Staunen</strong> – <strong>Forschen</strong><br />
der nicht nur die Möglichkeit, den Körperbau<br />
des Huhns zu betrachten und<br />
Verhaltensweisen zu beobachten, sondern<br />
konnten außerdem entstandene<br />
Fragen direkt an einen Experten richten.<br />
Die Küken<br />
Am 21. Bruttag konnten die Kinder bei<br />
Schulbeginn bereits das erste geschlüpfte<br />
Küken entdecken. An zahlreichen<br />
Eiern waren größere und kleinere Löcher<br />
zu sehen und es wurde nach und nach<br />
lauter in der Brutmaschine. Küken, deren<br />
Flaum getrocknet war, wurden von Lehrpersonen<br />
vorsichtig in den mit Einstreu<br />
und Wärmelampe vorbereiteten Stall<br />
umgesetzt (siehe Abb. 3 und 4). Die Kinder<br />
konnten hier beobachten, wie die<br />
Küken sofort anfingen, das Kükenfutter<br />
zu fressen, aus den aufgestellten Wasserschalen<br />
zu trinken oder eng aneinandergekuschelt<br />
immer wieder einzuschlafen.<br />
Am 22. Tag schlüpften die letzten<br />
Küken. In den folgenden Tagen wurden<br />
die Küken immer vitaler und neugieriger<br />
und die Schüler:innen hatten viele Gelegenheiten,<br />
das Verhalten der neuen Klassenbewohner<br />
zu beobachten. Die Beobachtungen<br />
wurden dann teilweise eigenständig<br />
mit Kindern der Parallelklassen<br />
direkt am Käfig und regelmäßig im Klassenverband<br />
besprochen und verglichen.<br />
Im Brutkasten verblieben am Ende drei<br />
ungeöffnete Eier, in denen die Küken<br />
Infos zur Schule<br />
Die Grundschule Bachschule ist eine<br />
von sieben städtischen Grundschulen in<br />
Neunkirchen im Saarland. Ca. 90 % der<br />
Schüler:innen sprechen Deutsch als Zweitsprache,<br />
ein großer Teil wird ohne oder mit<br />
sehr wenigen deutschen Sprachkenntnissen<br />
eingeschult. Schwerpunkt der Schule<br />
liegt auf bewegtem Lernen und Sport.<br />
Weitere Tipps zum Thema<br />
den Schlüpfvorgang nicht geschafft hatten.<br />
Ein weiteres Küken überlebte nach<br />
dem Schlüpfen die ersten zwei Tage nicht.<br />
Am Ende der Schulwoche zogen schließlich<br />
elf Küken auf den Hof von Herrn<br />
Hussong, der bereits alles für die neuen<br />
Küken vorbereitet hatte.<br />
Der Besuch auf dem Hof<br />
Damit die weitere Entwicklung der<br />
Küken nicht ausschließlich über Fotos<br />
oder Filme verfolgt werden musste,<br />
besuchten wir zwei Monate<br />
nach Abschluss des<br />
„Wie heißt das Huhn?“<br />
„Wie alt ist das Huhn?“<br />
„Was fressen Hühner?“<br />
„Wo wohnen die Hühner?“<br />
„Gibt es auch einen Hahn?“<br />
„Kann das Huhn fliegen?“<br />
Buch: Ein vielseitiges<br />
Nachschlagewerk<br />
mit detailverliebten<br />
Zeichnungen, um die<br />
Fragen der Kinder<br />
(und der Lehrkraft)<br />
zu beantworten. Wer<br />
war zuerst da: die<br />
Projektes den Hof<br />
von Herrn Hussong.<br />
Hier hatten<br />
die Kinder<br />
nicht nur die<br />
Gelegenheit,<br />
„ihre“ Küken zu<br />
Henne oder das Ei? Können Hühner eigentlich<br />
fliegen oder schlüpft aus jedem Ei ein<br />
Küken? Können Küken zählen und warum<br />
tanzen Hähne?<br />
Links<br />
• Bayerische Akademie<br />
für Naturschutz und<br />
Landschaftspflege,<br />
Projekt Tiere live:<br />
Hühner www.anl.<br />
bayern.de/projekte/<br />
tierelive/doc/13_<br />
huehner_a3.pdf<br />
• Wissenswertes zu Hühnern<br />
und Hühnerhaltung:<br />
www.huehner-hof.com<br />
• Video Anna und die Haustiere: Huhn<br />
https://t1p.de/7w6xg<br />
besuchen und zu betrachten, sondern<br />
auch die übrigen Hühner des Hofes und<br />
das Gelände rund um den Hühnerstall<br />
kennenzulernen. Für die meisten Kinder<br />
war dies der erste Besuch eines Bauernhofes<br />
und sie entdeckten eine Vielzahl<br />
von Möglichkeiten und Anlässen<br />
zum <strong>Beobachten</strong>, <strong>Staunen</strong> und <strong>Forschen</strong>.<br />
Fazit<br />
Da Kinder heutzutage viele ihrer Erfahrungen<br />
und ihres Wissens nur aus Texten,<br />
Videos oder Erzählungen erwerben,<br />
ist es umso wichtiger, in der Schule<br />
so häufig wie möglich Realbegegnungen<br />
und Primärerfahrungen zu ermöglichen.<br />
Die Langzeitbeobachtung der<br />
Entwicklung von Hühnerküken bot den<br />
Kindern einen emotionalen, direkten<br />
und individuellen Zugang zum Thema.<br />
Immer wieder entstanden in unserer<br />
Klasse situationsbedingt neue Fragestellungen,<br />
denen gemeinsam im Klassenverband,<br />
in Kleingruppen oder allein<br />
nachgegangen werden konnte, z. B. ob<br />
Hühner fliegen können oder woher das<br />
erste Huhn kam. Außerdem lernten die<br />
Schüler:innen, dass manche Beobachtungen<br />
viel Geduld erfordern und nicht<br />
immer direkt sichtbar werden. Langzeitbeobachtungen<br />
bewahren und beflügeln<br />
die Neugierde von Kindern. Als weniger<br />
aufwendige Alternative zu Hühnereiern<br />
bieten sich hierfür auch z. B. Schmetterlinge,<br />
Schnecken, Ameisen oder Spinnen<br />
an. <br />
GS aktuell 168 • November 2024<br />
15
Praxis: <strong>Beobachten</strong> – <strong>Staunen</strong> – <strong>Forschen</strong><br />
Marie Fischer, Sarah Poensgen, Sehriban Kirli<br />
„Wie kommt das Feuer ins Streichholz?“<br />
Mit einem Alltagsgegenstand Perspektiven<br />
im Sachunterricht vernetzen<br />
Das Streichholz ist ein vermeintlich trivialer Alltagsgegenstand, den wir im<br />
Sommer etwa vom Lagerfeuer oder vom Grillen, im Winter vom Entzünden<br />
von Kerzen kennen. Zum Unterrichtsgegenstand des Sachunterrichts wird das<br />
Streichholz zunächst scheinbar primär ausgehend von der naturwissenschaftlichen<br />
Perspektive, da es um Verbrennungsprozesse, Feuer oder die Kerze geht.<br />
Doch es steckt mehr dahinter: Warum ist der Zündkopf eines Streichholzes farbig<br />
(meist rot)? Kann man es nur an der Reibefläche der Schachtel entzünden?<br />
Warum sind Streichhölzer im Querschnitt viereckig? Und wer hat das Streichholz<br />
eigentlich ursprünglich erfunden?<br />
Diese Fragen können nicht be antwortet<br />
werden, ohne ei nerseits<br />
naturwissenschaftliche Aspekte<br />
zu betrachten und andererseits u. a. den<br />
historischen Kontext der Streichholzentwicklung<br />
mit einzubeziehen.<br />
Anhand der (vermeintlichen) Kinderfrage<br />
„Wie kommt das Feuer ins Streichholz?“<br />
soll exemplarisch eine Vernetzung<br />
von naturwissenschaftlichen<br />
Erkenntnisprozessen und ihrer jeweiligen<br />
historischen Entstehung und (Weiter-)Entwicklung<br />
als Beitrag zu einer<br />
Nature of Science aufgezeigt werden.<br />
Damit möchten wir eine monoperspektivische<br />
Betrachtung des Streichholzes<br />
mit einer naturwissenschaftlichen „Brille“<br />
ablösen und das Streichholz als Lerngegenstand<br />
für den Sachunterricht vorstellen,<br />
der mehr als nur Verbrennung<br />
zu bieten hat.<br />
Das Streichholz als<br />
Lerngegenstand im Sachunterricht<br />
Für den Sachunterricht lässt sich das<br />
Streichholz als Lerngegenstand in<br />
Unterrichtsmaterialien bisher häufig<br />
finden, wenn es um Themen wie Feuer<br />
oder das Verbrennungsdreieck mit den<br />
entsprechenden Sicherheitshinweisen<br />
(Wie halte ich das Streichholz richtig?<br />
etc.) geht.<br />
Die Lebenswelt der Schüler:innen im<br />
Sachunterricht ist geprägt von individuellen<br />
„Sinnbeziehungen und Bedeutungszusammenhängen“<br />
(Klafki 2007,<br />
273), die sie den Sachen bzw. den Lerngegenständen<br />
geben und die über den<br />
Fächerkanon der (Grund-)Schule hinausgehen.<br />
Eine Annäherung über Kinderfragen<br />
(s. auch Simon / Simon in diesem<br />
Heft) geht dabei über die monoperspektivische<br />
Betrachtung des Gegenstandes<br />
hinaus, denn ein Kind würde<br />
vielleicht nicht fragen, wie das Streichholz<br />
brennt, und damit eine rein naturwissenschaftliche<br />
Antwort erwarten.<br />
Viel wahrscheinlicher scheinen Fragen<br />
wie „Wer hat eigentlich das Streichholz<br />
erfunden?“ oder „Wie kommt das Feuer<br />
ins Streichholz?“.<br />
An (Kinder-)Fragen rund um das<br />
Streichholz, seine Entstehung und Entwicklung<br />
und deren Beantwortung können<br />
„allgemeinere Zusammenhänge, Beziehungen,<br />
Gesetzmäßigkeiten, Strukturen,<br />
Widersprüche, Handlungsmöglichkeiten“<br />
(Klafki 2007, 275) deutlich<br />
gemacht werden. Exemplarisch an der<br />
historischen Entwicklung des Streichholzes<br />
erfahren die Schüler:innen, dass<br />
Naturwissenschaften (und ihre Erkenntnisprozesse)<br />
und historische Umstände<br />
in einem wechselseitigen Verhältnis zueinander<br />
stehen, d. h. naturwissenschaftliche<br />
Erkenntnisse bilden immer einen<br />
Nature of Science (NoS, Natur der Naturwissenschaft)<br />
bezieht sich auf die grundlegenden<br />
Eigenschaften, Prinzipien und<br />
Prozesse, die wissenschaftliches Wissen und<br />
wissenschaftliches Arbeiten charakterisieren.<br />
NoS umfasst Werte, Annahmen und Methoden,<br />
die in der wissenschaftlichen Gemeinschaft<br />
anerkannt sind und die Art und Weise<br />
bestimmen, wie Wissenschaft betrieben<br />
Status quo ab, der in einem historischen<br />
Kontext zu verstehen ist. Neuere Erkenntnisse,<br />
die teilweise widersprüchlich<br />
zu alten Erkenntnisständen sind, sind<br />
oft erst durch einen neuen historischen<br />
Kontext, z. T. neue Forschungsmethoden,<br />
neue Stoffe bzw. Materialien oder<br />
neue gesellschaftliche Anforderungen<br />
an „das Produkt“ und seine Herstellung<br />
möglich. Eine didaktische Auseinandersetzung<br />
mit der naturwissenschaftlichen<br />
und der historischen Perspektive anhand<br />
eines (Alltags-)Gegenstandes kann<br />
ein besonders großes Potenzial bergen.<br />
Durch die Vernetzung beider Perspektiven<br />
erkennen die Schüler:innen, dass naturwissenschaftliche<br />
Errungenschaften<br />
nicht auf sozial isolierten Erkenntnissen<br />
beruhen, die zeitüberdauernd ihre<br />
Gültigkeit bewahren müssen. Vielmehr<br />
fußen sie auf Revisionen, sozialen Interaktionen,<br />
Optimierungen, unterschiedlichen<br />
Erkenntnissen und -methoden,<br />
experimentellen Erfahrungen<br />
und oft auch – wie im Fall des Streichholzes<br />
– auf gesellschaftlichem, ökonomischem<br />
oder politischem Innovationsdruck.<br />
Zudem bietet eine naturwissenschaftlich-historische<br />
Annäherung an Themen<br />
und Lerngegenstände eine große Bedeutsamkeit<br />
für die Zukunft der Lernenden.<br />
Sowohl ein ausgeprägtes Wissensverständnis<br />
als auch ein Geschichtsbewusstsein<br />
sind als wichtige Teile der<br />
Allgemeinbildung und somit „als Voraussetzung<br />
gesellschaftlicher Teilhabe“<br />
(Billion-Kramer 2021, 3) anzusehen. Das<br />
wird.Die drei Domänen, die Wissenschaft<br />
nach McComas (2020) kennzeichnen, sind:<br />
1) Werkzeuge, Prozesse und ihre Ergebnisse<br />
(z. B. die Bedeutung von Beweisen); 2) Wissenschaft<br />
und ihre Limitationen (z. B. Technologie<br />
als Produkt, aber auch als Motor, Beständigkeit<br />
und Vorläufigkeit des Wissens); 3) menschliche<br />
Elemente in der Wissenschaft (z. B. Wechselwirkungen<br />
mit der Gesellschaft).<br />
16<br />
GS aktuell 168 • November 2024
Praxis: <strong>Beobachten</strong> – <strong>Staunen</strong> – <strong>Forschen</strong><br />
angesprochene Wissenschaftsverständnis<br />
bezieht sich u. a. auf die Vorstellung,<br />
„dass die Naturwissenschaften sich im<br />
Hinblick auf ihre Begriffe und Konzepte<br />
einerseits und ihre Methoden andererseits<br />
fortentwickeln“ (Heering 2008, 29)<br />
und Schüler:innen diese Entwicklungen<br />
im Sachunterricht historisch nachvollziehen<br />
können.<br />
Die Geschichte des Streichholzes<br />
Um die naturwissenschaftlichen Aspekte<br />
des Streichholzes (Aufbau, Zusammensetzung<br />
der Stoffe, Verbrennungsprozesse)<br />
einordnen und verstehen zu<br />
können, ist es u. E. unerlässlich, die historische<br />
Entwicklung des Streichholzes<br />
– wie wir es heute kennen und gebrauchen<br />
– nachzuvollziehen. Dabei möchten<br />
wir betonen, dass die hier verkürzte<br />
historische Darstellung dazu dient, den<br />
Einfluss von historischen Bedingungen<br />
auf naturwissenschaftliche Erkenntnisprozesse<br />
und deren Weiterentwicklung<br />
hervorzuheben.<br />
Als eine wichtige Voraussetzung zur<br />
Entwicklung moderner Streichhölzer ist<br />
die Entdeckung von Phosphor zu sehen,<br />
der eine zuverlässige Zündung ermöglicht.<br />
Phosphor ist ein nicht metallisches, reaktionsfähiges<br />
Element, welches in den Erscheinungsformen<br />
weiß, rot, schwarz und<br />
violett vorkommt. Dabei ist die Herstellung<br />
weißen Phosphors am einfachsten, jedoch<br />
birgt dieser Phosphor sowohl eine thermodynamische<br />
Instabilität als auch gesundheitliche<br />
Risiken, die auf die hohe Toxizität<br />
des weißen Phosphors zurückzuführen<br />
sind.<br />
Dass Erkenntnisse in den Naturwissenschaften<br />
häufig nicht durch ein zielgerichtetes<br />
und geplantes Vorhaben, sondern durch Zufälle,<br />
Irritationen und Umwege entstehen, ist<br />
ein Kernelement der Nature of Science, das<br />
sich auf die Konzeption eines naturwissenschaftlich-orientierten<br />
Sachunterrichts übertragen<br />
lässt (s. dazu Kihm et al. in diesem<br />
Heft). Naturwissenschaftliche Erkenntnisse<br />
sind nie isoliert zu betrachten, sondern beruhen<br />
immer auf Vorarbeiten anderer Wissenschaftler:innen,<br />
die rezipiert, genutzt,<br />
verworfen, überarbeitet etc. werden.<br />
Für die exotherme Oxidationsreaktion<br />
(= Brennen/Flamme) ist die Zusammensetzung<br />
des Streichholzes, aber auch der<br />
Reibefläche der Streichholzschachteln von<br />
Als frühe Vorläufer des modernen<br />
Streichholzes galten ab ca. 1785 sogenannte<br />
Zündhölzer, die in mit Phosphor<br />
gefüllte Fläschchen gesteckt und<br />
anschließend in der Luft entzündet wurden.<br />
Die ersten Streichhölzer, die sich<br />
durch Reibung entzündeten, wurden<br />
im Jahr 1827 per Zufall vom englischen<br />
Apotheker John Walker entdeckt, während<br />
dieser eigentlich dabei war, einen<br />
neuen Sprengstoff zu entwickeln. Walker<br />
fand heraus, dass die Reibung einer<br />
Schwefel-Kalium-Verbindung mit einer<br />
rauen Oberfläche eine Oxidation auslöst.<br />
Diese zufällig gewonnene Erkenntnis<br />
ließ er nicht patentieren, sodass viele<br />
Naturwissenschaftler:innen diese als<br />
Grundlage für Experimente mit dem<br />
leicht entzündlichen und billig zu produzierenden<br />
Phosphor nutzen konnten<br />
und von diesem Zufall profitierten.<br />
In den 1830er-Jahren wurden schließlich<br />
vermehrt Streichhölzer mit weißem<br />
Phosphor als Zündmaterial erfunden<br />
und in vielen Ländern eingeführt.<br />
Begünstigt wurde dies durch eine vergleichsweise<br />
einfache Massenherstellung,<br />
die nicht viele Gerätschaften benötigte.<br />
Die Nutzung des weißen Phosphors<br />
ging jedoch mit vielfältigen Problemen<br />
einher: Die Streichhölzer mit weißem<br />
Phosphor ließen sich bereits bei den<br />
kleinsten Reibungen entflammen, so-<br />
großer Bedeutung. Man unterscheidet drei<br />
wesentliche Prozesse beim Abbrennen des<br />
Streichholzes, nämlich die Initialzündung<br />
(durch schnelles Reiben an der Reibefläche<br />
der Streichholzschachtel entsteht Wärme,<br />
die eine chemische Reaktion am Streichholzkopf<br />
in Gang setzt), die Brandphase des<br />
Streichholzkopfes (bei dieser chemischen<br />
Reaktion reagieren Schwefel und Sauerstoff<br />
am Streichholzkopf miteinander) und die<br />
Brandphase des Holzes (der für die Verbrennung<br />
benötigte Sauerstoff ist im Kaliumchlorat<br />
enthalten, die Verbrennung wird<br />
„beschleunigt“ und wandert vom Streichholzkopf<br />
auf das Holz weiter) (vgl. dazu auch<br />
Vollmer/Möllmann 2017).<br />
Abb. 1:<br />
The Match-Makers<br />
at the East-End,<br />
Mai 1871<br />
Abb. 2:<br />
Procession of<br />
Match Workers<br />
to Westminster,<br />
Juli 1888<br />
dass sie zwar praktisch, aber äußerst gefährlich<br />
waren.<br />
Zudem waren die Arbeiter:innen in<br />
den Streichholzfabriken schwierigen<br />
und gesundheitsschädlichen Arbeitsbedingungen<br />
ausgesetzt: Bei der industriellen<br />
Herstellung der Streichhölzer wurden<br />
die Hölzer in eine erhitzte Phosphormischung<br />
eingetaucht. Dabei waren die Arbeiter:innen<br />
dem äußerst giftigem Phosphordampf<br />
schutzlos ausgesetzt.<br />
Zur häufigsten gesundheitlichen Folge<br />
zählte der sogenannte Phosphorkie-<br />
GS aktuell 168 • November 2024<br />
17
Praxis: <strong>Beobachten</strong> – <strong>Staunen</strong> – <strong>Forschen</strong><br />
Marie Fischer ist wissenschaftliche Mitarbeiterin in der Didaktik des Sachunterrichts<br />
an der Universität des Saarlandes und Vorstandsmitglied in der Landesgruppe Saarland<br />
des Grundschulverbandes.<br />
Sarah Poensgen ist wissenschaftliche Mitarbeiterin in der Didaktik des Sachunterrichts<br />
an der Universität des Saarlandes und betreut das Projekt kidipedia.<br />
Sehriban Kirli ist Studentin im Lehramt für Primarstufe an der Universität des Saarlandes<br />
und studentische Hilfskraft in der Didaktik des Sachunterrichts.<br />
fer, bei dem es durch den eingeatmeten<br />
Phosphordampf zu einer Nekrose und<br />
meist starken Schädigungen des Oberund<br />
Unterkiefers kommt. Diese schlechten<br />
Arbeitsbedingungen lösten in Großbritannien<br />
im Jahr 1888 Streiks der Arbeiterinnen,<br />
„Match-Girls“ (match = engl.<br />
Streichholz), aus. Sie forderten bessere<br />
Arbeitsbedingungen und höhere Löhne.<br />
Durch die Streiks und die damit verbundene<br />
Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit<br />
unter Innovationsdruck wandte<br />
sich die Streichholzindustrie einer Erfindung<br />
aus den 1850er-Jahren zu, den Sicherheitsstreichhölzern.<br />
Bei diesen wurde<br />
der gefährliche weiße Phosphor im Zündkopf<br />
durch u. a. Kaliumchlorat ersetzt und<br />
Phosphor nur noch in der Reibefläche –<br />
nicht mehr auch im Streichholzkopf – genutzt,<br />
wobei auch hier kein weißer, sondern<br />
roter Phosphor zum Einsatz kommt.<br />
Roter und weißer Phosphor unterscheiden<br />
sich nicht nur hinsichtlich ihrer<br />
Farbe, sondern auch angesichts ihrer Toxizität.<br />
Roter Phosphor ist, im Gegensatz<br />
zum weißen Phosphor, nicht giftig und<br />
reaktionsträge. Zudem lässt sich der rote<br />
Unterrichtsmaterial<br />
Auf der Webseite<br />
www.markus-peschel.de/produkte<br />
finden Sie ausgearbeitete Unterrichtsmaterialien<br />
und didaktische Hinweise,<br />
wenn Sie die Geschichte des Streichholzes<br />
in Ihrem Sachunterricht thematisieren<br />
möchten.<br />
Wir freuen uns über Ihre Rückmeldung<br />
zu den Inhalten per Mail.<br />
Phosphor erst bei über 200 Grad Celsius<br />
in der Luft entzünden, wohingegen der<br />
weiße Phosphor sich bereits bei 50 Grad<br />
in der Luft entzündet. Somit stellt der rote<br />
Phosphor eine sichere, aber auch teurere<br />
Alternative zum weißen Phosphor dar.<br />
Die ursprünglich weitaus teurere und<br />
noch nicht ganz ausgereifte Produktion<br />
der Sicherheitsstreichhölzer wurde innerhalb<br />
weniger Jahre maschinell so weiterentwickelt,<br />
dass die Massenproduktion<br />
profitabel wurde. 1907 trat schließlich<br />
in Deutschland und 1908 in Großbritannien<br />
ein Gesetz zum Verbot der<br />
Herstellung von Streichhölzern mit weißem<br />
Phosphor in Kraft.<br />
Unsere heutigen Streichhölzer entsprechen<br />
weitgehend unverändert<br />
den Sicherheitsstreichhölzern aus den<br />
1890er-Jahren und bestehen aus u. a.<br />
Kaliumchlorat, Schwefel, Glasmehl, Bindemittel<br />
und Farbstoffen. Sie oxidieren<br />
durch die Reibung mit der Reibefläche<br />
an der Streichholzschachtel, welche aus<br />
Glaspulver und rotem Phosphor besteht.<br />
Das Streichholz als exemplarischer<br />
Alltagsgegenstand<br />
Die hier vorgestellte exemplarische Verknüpfung<br />
der naturwissenschaftlichen<br />
und der historischen Perspektive anhand<br />
des Streichholzes lässt darüber hinaus<br />
weitere Bezüge zu den Perspektiven des<br />
Sachunterrichts im Sinne von Vielperspektivität<br />
und Vernetzung zu: Ohne die<br />
technischen Fortschritte der jeweiligen<br />
Zeit wäre die Massenproduktion eines<br />
Alltagsproduktes nicht möglich gewesen.<br />
Trotzdem sieht das Streichholz heute<br />
fast identisch wie 1890 aus. Abgelöst wurde<br />
es in Teilen durch Gasfeuerzeuge oder<br />
Lichtbogenfeuerzeuge, die das Streichholz<br />
aber bis heute nicht ganz im Alltag ersetzen<br />
konnten (technische Perspektive).<br />
Streiks, die von Arbeiter:innen ausgingen,<br />
haben Arbeitsbedingungen und auch<br />
das Ausgangsprodukt langfristig verändert<br />
(sozialwissenschaftliche Perspektive).<br />
Historisch gewachsene Globalisierungsprozesse<br />
beeinflussen unseren Alltag und<br />
die Gegenstände, die wir nutzen, obwohl<br />
Entwicklungen dazu in der Vergangenheit<br />
und / oder in anderen geografischen Räumen<br />
ablaufen (geografische Perspektive).<br />
Ein vor knapp 200 Jahren zunächst<br />
durch Zufall entstandenes Produkt wurde<br />
durch Erkenntnisse der Naturwissenschaft<br />
und Beeinflussung durch Gesellschaft,<br />
Politik und Wirtschaft weiterentwickelt,<br />
und doch kennt es heute noch<br />
jedes Kind, was es zu einem geeigneten<br />
exemplarischen Lerngegenstand für den<br />
Sachunterricht macht.<br />
Insbesondere Alltagsgegenstände mit<br />
auf den ersten Blick eher monoperspektivischer<br />
Ausrichtung eignen sich durch<br />
den Einbezug ihrer Entwicklungsgeschichte<br />
dazu, naturwissenschaftliche Aspekte<br />
und Nature of Science sowie historische<br />
Aspekte gemeinsam vernetzt zu thematisieren<br />
und so die Wechselwirkungen<br />
von naturwissenschaftlicher Forschung<br />
und gesellschaftlichen, ökonomischen<br />
und politischen Umständen zu verdeutlichen.<br />
Geeignete andere exemplarische<br />
Alltagsgegenstände wären im Themenfeld<br />
Nachhaltigkeit etwa Konservendosen<br />
als Möglichkeit der Langzeitaufbewahrung<br />
von Lebensmitteln (die Entwicklung<br />
wurde angestoßen, nachdem Napoleon<br />
Bonaparte während der Napoleonischen<br />
Kriege Ende des 19. Jahrhunderts<br />
einen Preis dafür ausgelobt hatte, ein Verfahren<br />
zu entwickeln, Lebensmittel haltbar<br />
zu machen) oder im Themenfeld Bionik<br />
bzw. der Übertragung von Mechanismen<br />
der belebten Natur auf die unbelebte<br />
Natur der Klettverschluss (vom Schweizer<br />
Georges de Mestral nach dem Vorbild<br />
der Klettpflanze erfunden und nach<br />
dem Einsatz im Weltall durch die NASA<br />
als günstige Verschlussmethode für die<br />
Modebranche weiterentwickelt).<br />
Literaturangaben zum Artikel<br />
können Sie von unserer Website herunterladen:<br />
https://t1p.de/GSa168Lit<br />
18<br />
GS aktuell 168 • November 2024
Praxis: <strong>Beobachten</strong> – <strong>Staunen</strong> – <strong>Forschen</strong><br />
Sabrina Schlecht, Sabine Peter, Eva-Maria Osterhues-Bruns<br />
Da kannst du Watt erleben!<br />
<strong>Beobachten</strong> – <strong>Staunen</strong> – <strong>Forschen</strong>. So lautet der Titel dieser Ausgabe der Grundschule<br />
aktuell. Unsere Schule, die Grundschule Nordholz in der Nähe von Cuxhaven,<br />
nutzt regelmäßig das Wattenmeer Niedersachsens als außerschulischen<br />
Lernort, um Kinder zum <strong>Beobachten</strong>, <strong>Staunen</strong> und <strong>Forschen</strong> anzuregen. Lehrkräfte<br />
beobachten die Forschungen und damit einhergehend die Lernprozesse<br />
der Kinder und stehen ihnen beratend und unterstützend zur Seite. In diesem<br />
Beitrag wollen wir exemplarisch vorstellen, welche Lerngelegenheiten sich für<br />
Schüler:innen ergeben können, wenn Lehrkräfte die Interessen der Kinder aufgreifen<br />
und sie ihren eigenen Fragestellungen nachgehen lassen.<br />
Ein Schwerpunkt dieses Artikels<br />
liegt dabei auf der Rolle der beobachtenden<br />
Lehrkraft. Wir zeigen<br />
dabei beispielhaft auf, wie sich aus den<br />
eigenen Fragestellungen der Kinder<br />
neue, spezifischere und detailliertere<br />
Fragen entwickeln können. Unabdingbar<br />
dafür ist das Vertrauen in die Schüler:innen,<br />
ihr Vorhaben zum Gelingen<br />
bringen zu wollen – aber auch die<br />
Gelassenheit der Lehrkräfte mit dem<br />
Wissen, dass einzelne Experimente auch<br />
scheitern können.<br />
Wattwochen in Cappel-Neufeld<br />
Bereits seit über zehn Jahren finden<br />
an unserer Schule die Wattwochen in<br />
Zusammenarbeit mit dem Nationalparkhaus<br />
Wattenmeer in Dorum-Neufeld<br />
statt. Jedes Jahr wiederkehrend<br />
haben alle Klassen die Möglichkeit, diesen<br />
besonderen außerschulischen Lernort<br />
zu besuchen und den einzigartigen<br />
Abb. 1: Forscheratmosphäre im Zelt beim Wattenmeer<br />
Lebensraum kennenzulernen. Obschon<br />
das Wattenmeer direkt „vor unserer<br />
Haustür“ liegt, gibt es Kinder, die das<br />
Watt vor den Wattwochen noch nie<br />
besucht oder auch nur gesehen haben.<br />
Während der Wattwochen erhalten<br />
die Schüler:innen die Gelegenheit, sich<br />
über mehrere Tage im Watt zu orientieren.<br />
Im Verlauf der vier Schuljahre ergeben<br />
sich zahlreiche Möglichkeiten, Tiere,<br />
Wasser, Schlick, Gezeiten, Wetterveränderungen<br />
oder -phänomene u. v. m. zu<br />
beobachten. Die Schüler:innen erhalten<br />
die Zeit, vielfältige, insbesondere auch<br />
sinnliche Eindrücke zu sammeln und<br />
Entdeckungen zu machen, die sie zum<br />
<strong>Staunen</strong> verleiten. Manche Entdeckungen<br />
oder Phänomene faszinieren die<br />
Kinder so sehr, dass sich daraus eigene<br />
Forschungsfragen entwickeln. Mögliche<br />
Fragestellungen lauten „Wie frisst<br />
der Wattwurm eigentlich?“ oder „Was ist<br />
Schlick? Warum riecht Schlick oben anders<br />
als der ausgegrabene Schlick?“ Dabei<br />
erlernen sie grundlegende sachunterrichtlich<br />
spezifische Denk-, Arbeitsund<br />
Handlungsweisen der naturwissenschaftlichen<br />
Perspektive:<br />
● Recherche mithilfe bereitgestellter<br />
Fachliteratur oder eigener Beobachtungen<br />
● Vorbereitung erster Experimente und<br />
Durchführung von Untersuchungen<br />
● Dokumentation (auch unter Einbeziehung<br />
digitaler Medien)<br />
Die individuellen Fragen der Schüler:innen<br />
tangieren aber auch weitere Perspektiven<br />
(technisch, geografisch, sozialwissenschaftlich<br />
und historisch) des<br />
Sachunterrichts.<br />
In einem durch den Förderverein der<br />
Schule finanzierten beweglichen Bauwagen<br />
und einem Zelt stehen für die Kinder<br />
Forschermaterialien wie Mikroskope,<br />
Petrischalen und Pinzetten, aber<br />
auch Tablets, (Bestimmungs-)Bücher<br />
oder Alltagsmaterialien zur Verfügung,<br />
die die Kinder bei ihren Forschungen<br />
unterstützen. Eine Biologin des Nationalparkhauses<br />
Wattenmeer begleitet<br />
die Wattwochen als Expertin. Sie bietet<br />
unter anderem auch Wattführungen an<br />
und beantwortet geduldig und fachkundig<br />
erste Fragen der Kinder.<br />
Kinder als Forscher:innen –<br />
eigene Fragen entwickeln<br />
Während der letzten Wattwochen im<br />
Mai dieses Jahres bildete sich ein Team<br />
aus drei Schüler:innen, das sich besonders<br />
für Muscheln interessierte und verschiedene<br />
Muscheln im Watt sammelte.<br />
Nach genauen Beobachtungen unter<br />
dem Mikroskop stellte sich diese Gruppe<br />
die Frage, ob die Struktur der Muschelschale<br />
eine besondere Bedeutung hat.<br />
Schnell stand fest, dass die Muschelschalen<br />
erst einmal von Sand und<br />
Schlick befreit werden mussten. Aber<br />
wie? Zwischen den bereitgestellten Forschermitteln<br />
ließ sich nichts Brauchbares<br />
finden. Letztlich überlegten die Kinder<br />
sich, dass eine alte Zahnbürste helfen<br />
könnte. Nach gründlicher Reinigung<br />
mit den am nächsten Tag mitgebrachten<br />
Zahnbürsten konnten die Kinder ent-<br />
GS aktuell 168 • November 2024<br />
19
Praxis: <strong>Beobachten</strong> – <strong>Staunen</strong> – <strong>Forschen</strong><br />
Abb. 2: Auf Muschelsuche im Watt<br />
decken, dass die unterschiedlichen Muschelschalen<br />
alle Ringe bzw. Rillen in<br />
gleichmäßigen Abständen aufwiesen.<br />
Die begleitende Lehrkraft suchte im<br />
Gespräch mit den Schüler:innen nach<br />
weiteren Merkmalen und Gemeinsamkeiten<br />
der unterschiedlichen Muschelschalen<br />
und ermutigte sie, ihre Gedanken<br />
und Vermutungen zu äußern. Ohne<br />
selbst eine Richtung vorzugeben und offen<br />
für die weiteren Entscheidungen der<br />
Kinder, stellte sie dem Schüler:innenteam<br />
Literatur bereit, gab ihnen Zeit, die<br />
gereinigten Muscheln unter dem Mikroskop<br />
erneut und sehr genau zu betrachten,<br />
und unterstützte die Idee, detaillierte<br />
Zeichnungen anzufertigen. Denn das<br />
Zeichnen hilft, wirklich genau zu beobachten,<br />
sich immer wieder auf Details zu<br />
konzentrieren und sich die Zeit dafür zu<br />
nehmen.<br />
Das Forscher:innenteam setzte sich<br />
intensiv mit den Muschelschalen auseinander,<br />
glich Ideen und Beobachtungen<br />
während des Tuns immer wieder miteinander<br />
ab und beriet sich untereinander.<br />
Innerhalb dieses Prozesses wurde dann<br />
von den Forscher:innen der Vergleich<br />
der Rillen auf den Muschelschalen mit<br />
den Wachstumsringen eines Baumes gezogen.<br />
Diese neue Idee wurde der Lehrkraft<br />
präsentiert, die Biologin wurde zurate<br />
gezogen, die Fachliteratur zu dieser<br />
neuen Idee nach Anraten der Lehrkraft<br />
durchforstet. Letztendlich kamen<br />
die Schüler:innen zu dem Ergebnis, dass<br />
auch die Rillen auf den Schalen der Muscheln<br />
das Alter der Tiere abbilden.<br />
Andere Gruppen beobachteten ausgiebig<br />
verschiedene Taschenkrebse. Durch<br />
das <strong>Beobachten</strong> entstand die Forscherfrage,<br />
wie sich die Krebse fortbewegen.<br />
Ist es tatsächlich so, wie allerorts behauptet,<br />
dass alle Krebse seitwärts laufen?<br />
Selbst zu sehen, wie Krebse sich fortbewegen,<br />
hat eine andere<br />
Qualität des Wis-<br />
„Welchen<br />
Bewegungsradius haben<br />
die Einsiedlerkrebse unter<br />
Berücksichtigung der<br />
Gezeiten? “<br />
senserwerbs, als<br />
es nur aus Büchern<br />
zu erfahren.<br />
Innerhalb<br />
eigener kleiner<br />
Versuchsaufbauten<br />
– immer unter<br />
fachkundigem<br />
Blick einer Biologin, damit die<br />
Tiere keinen unnötigen Stress<br />
oder Schaden nahmen – konnten<br />
die Kinder beobachten, wie<br />
sich Krebse bewegen. Hierdurch ergaben<br />
sich schnell weitere Forscherfragen,<br />
die schon etwas spezifischer waren<br />
und die Auseinandersetzung mit dem<br />
Beobachtetem widerspiegeln: „Laufen<br />
die (Krebse) so, weil die Scheren vorne zu<br />
groß sind? Oder weil sie besser zur Seite<br />
gucken können?“<br />
Zu diesem Zeitpunkt der Forschung<br />
teilte sich die Gruppe. Während einige<br />
Schüler:innen die Fortbewegung der<br />
Krebse noch genauer untersuchen wollten,<br />
war anderen Schüler:innen die neue<br />
Erkenntnis, dass Krebse tatsächlich seitwärts<br />
laufen, völlig ausreichend.<br />
Sie hatten inzwischen jedoch durch<br />
das <strong>Beobachten</strong> auch die Panzer der<br />
Krebse genauer in Augenschein genommen.<br />
Aus der zwischenzeitlichen Vermutung,<br />
dass die Laufart der Krebse auch<br />
mit der Körperform und dem<br />
Panzer zusammenhängen<br />
könnte, ergab sich die<br />
Abb. 3: Läuft dieser Krebs wirklich seitwärts?<br />
Frage, wie der Panzer eigentlich genau<br />
funktioniert. Von der anwesenden Biologin<br />
hatten die Schüler:innen erfahren,<br />
dass sich der Taschenkrebs jährlich häutet<br />
und seinen Panzer „verlässt“. Aber<br />
wie kommt der Krebs aus seinem<br />
Panzer? Hier war nun doch die<br />
„Gibt es einen<br />
Unterschied zwischen<br />
auflaufendem und<br />
ablaufendem<br />
Wasser? “<br />
„Wie ist das<br />
Bewegungsverhalten<br />
von<br />
Einsiedlerkrebsen? “<br />
Expertise der Fachfrau gefragt,<br />
denn beobachten lässt sich dieser<br />
Vorgang nicht „auf Bestellung“.<br />
Also zeigte die Biologin<br />
den Schüler:innen<br />
an einer leeren Panzerhülle,<br />
wie sich der<br />
Krebs aus seiner alten,<br />
zu klein gewordenen<br />
Panzerhülle<br />
windet.<br />
Die Schüler:innen<br />
nahmen anschließend den Panzer<br />
noch oft genau in Augenschein, um<br />
das Gezeigte nachvollziehen zu können.<br />
Auch verglichen sie lebende Krebse vorsichtig<br />
und unter Anleitung mit der Panzerhülle,<br />
um zu prüfen, ob Krebse immer<br />
nach demselben Schema vorgehen,<br />
um ihren Panzer zu verlassen. Anschließend<br />
untersuchte und verglich diese<br />
Gruppe viele im Watt gefundene leere<br />
Panzerhüllen oder Reste hiervon genau.<br />
Die Schüler:innen stellten sich die Frage,<br />
ob der jeweilige Krebs eine Häutung<br />
hatte oder ob er von einem anderen Tier<br />
gefressen wurde – und wenn, von welchem<br />
Tier? Von einer Möwe oder von einem<br />
anderen Tier? Welche Tiere fressen<br />
überhaupt Krebse? Manchmal bleiben<br />
Forscherfragen auch vorerst offen!<br />
Wie das Watt als außerschulischer<br />
Lernort auch Kinder verschiedener<br />
Schulstufen zum eigenständigen,<br />
aber auch nachhaltigen<br />
und langfristigen <strong>Forschen</strong> anregen<br />
kann, soll das letzte Beispiel<br />
des WattCamps darlegen.<br />
Durch die Zusammenarbeit mit<br />
dem Amandus-Abendroth-Gymnasium<br />
im Begabungsverbund und dem<br />
Projekt Leistung macht Schule (LemaS)<br />
liegt im Rahmen der Wattwochen immer<br />
auch ein Fokus darauf, die Potenziale<br />
von Kindern und Jugendlichen durch<br />
institutionsübergreifende Bildungsarrangements<br />
zu steigern und Bildungsbiografien<br />
durchlässiger zu gestalten.<br />
Eine Gruppe von Kindern war bereits<br />
im letzten Schuljahr fasziniert von den<br />
Einsiedlerkrebsen vor Ort. Sie beobachteten<br />
damals über mehrere Tage, wie sich<br />
20<br />
GS aktuell 168 • November 2024
Praxis: <strong>Beobachten</strong> – <strong>Staunen</strong> – <strong>Forschen</strong><br />
die Tiere fortbewegen und vor allem, wie<br />
groß ihr Bewegungsradius zwischen den<br />
Gezeiten ist. Die insgesamt sechs Schüler:innen,<br />
nun in den Klassenstufen 4<br />
bis 6, wollten sich auch in diesem Jahr<br />
wieder auf eine Forscherzeit über mehrere<br />
Tage begeben. Ausgehend von ihren<br />
Forscherergebnissen im letzten Jahr waren<br />
sie inspiriert, weiterhin IHRER Forscherfrage<br />
auf den Grund zu gehen und<br />
ihr Wissen dazu zu vertiefen:<br />
Die Schüler:innen überlegten zunächst<br />
gemeinsam, in welchem Gebiet<br />
sie nach Einsiedlerkrebsen vor Ort suchen<br />
wollten, dazu machten sie sich<br />
eine Skizze. Sie grenzten das Suchgebiet<br />
ein und berücksichtigten dabei vorgelagerte<br />
Priele, Rinnsale und Steinbuhnen.<br />
Anschließend ging es ins Watt zur Sichtung,<br />
an welchen Stellen und wie viele<br />
Einsiedlerkrebse vor Ort zu finden sind.<br />
Weitere Aktivitäten wurden durchgeführt:<br />
– Zählung der Einsiedlerkrebse während<br />
des ablaufenden Wassers im<br />
kleinen Priel (ca. 80 Einsiedlerkrebse<br />
wurden gefunden)<br />
– Markierung der Einsiedlerkrebse<br />
(unter Unterweisung der Biologin)<br />
– Streckenabmessung, um die Bewegungsgeschwindigkeit<br />
der Einsiedlerkrebse<br />
zum Messen (2,8 Sekunden<br />
auf 30 Metern schnellster Einsiedlerkrebs,<br />
da dieser vermutlich die Strömung<br />
nutzte und sich treiben ließ).<br />
– Nach der Hochwassertiede: Sichtung<br />
in den abgesteckten Bereichen nach<br />
den markierten Einsiedlerkrebsen<br />
(im Umkreis von 100 Metern wurde<br />
kein Einsiedlerkrebs mehr wiederentdeckt).<br />
Während all dieser Aktivitäten übernahmen<br />
die Lehrkräfte eine zurückhaltende,<br />
beobachtende und beratende<br />
Funktion, standen den Schüler:innen<br />
aber auf Nachfrage zur Verfügung. Sie<br />
griffen nicht beeinflussend in die Studien<br />
und die gewählten Methoden der Kinder<br />
ein. Stattdessen beobachteten sie die<br />
Kinder während ihrer Forschungsprozesse<br />
und gaben lediglich Impulse und<br />
Hilfestellungen, wenn diese gewünscht<br />
wurden. Bedeutsamer, als am Ende des<br />
Forschungsprozesses eindeutige Ergebnisse<br />
vorweisen zu können, ist es, Denk-,<br />
Arbeits- und Handlungsweisen und Methoden<br />
von naturwissenschaftlichem<br />
<strong>Forschen</strong> zu verinnerlichen. Dies bedeutet<br />
auch, mit (vermeintlichen) Rückschlägen<br />
umgehen zu können.<br />
Sabrina Schlecht ist Lehrkraft an der Grundschule Nordholz und als Multiplikatorin<br />
in der Transferphase des Projektes Leistung macht Schule (LemaS) tätig.<br />
Sabine Peter ist Schulleiterin der Grundschule Nordholz.<br />
Eva-Maria Osterhues-Bruns war stellvertretende Schulleiterin der Grundschule<br />
Nordholz und arbeitet nun als Fachberaterin für Unterrichtsqualität. Sie ist im Grundschulverband<br />
Fachreferentin für Pädagogische Praxis und Vorsitzende der Landesgruppe<br />
Niedersachsen.<br />
Und was macht die Lehrkraft? Vorsagen<br />
verboten, selbst machen lassen, trotzdem<br />
nicht beliebig werden lassen, lenken (Impulse<br />
geben), aber nicht zu stark steuern.<br />
Das bedeutet für Lehrkräfte eine Veränderung<br />
ihrer Lehrer:innenrolle. Nicht<br />
sie geben den Takt vor, sondern müssen<br />
sich situativ auf die Fragen der Kinder<br />
einstellen können. Das setzt neben<br />
fachlichem Wissen voraus, dass sie ihre<br />
Schüler:innen in ihrem Tun genau beobachten<br />
und ein Gespür für mögliche<br />
Schwierigkeiten bekommen. Sie müssen<br />
erkennen, wo kleine Tipps vor unnötigen<br />
Fehlschlägen bewahren und vor Demotivierung<br />
schützen können. Daher haben<br />
wir in diesem Schuljahr eine kleine, sehr<br />
praktische Fortbildung in der Schule organisiert,<br />
um diesen Herausforderungen<br />
gewachsen zu sein.<br />
Aber vor allem wurde selbst geforscht.<br />
Der Umgang mit dem Mikroskop muss<br />
geschult sein, denn nur dann kann die<br />
Lehrkraft einem Kind auch einen schnellen<br />
und gleichwohl fachkundigen Tipp<br />
geben, das Gerät so einzusetzen, dass<br />
es auch funktioniert. Die Watttiere sind<br />
lichtscheu, leben sie doch normalerweise<br />
im Watt unter der Oberfläche, unter Wasser<br />
und oft noch unter Steinen, in Wohnröhren<br />
oder anderen schutzbringenden<br />
Verstecken. Es hat sich als nicht so einfach<br />
gezeigt, ein Tierchen unter dem Licht<br />
des Mikroskops zu drehen. Erst wenn beides<br />
stimmt, die Einstellung der Vergrößerung<br />
und die richtige Drehung des Objektträgers<br />
bzw. der Petrischale mit dem<br />
Tier, kommt der Aha-Moment.<br />
Auch das Zeichnen ist weit komplexer<br />
als oft erwartet. „Zeichne nicht das<br />
Tier, sondern nur den Ausschnitt, den du<br />
wirklich im Mikroskop siehst!“<br />
So betrachtet, sahen auch langjährige<br />
Wattbegleiter:innen manche Details in<br />
neuem Licht und eine motivierende Hilfe<br />
konnte an den Watttagen noch gezielter<br />
weitergegeben werden.<br />
Ausgangspunkt für eine<br />
neue Lernkultur<br />
Für uns bedeuten die Erlebnisse und<br />
Ergebnisse im Watt, dass Lernumgebungen<br />
zunehmend so gestaltet werden, dass<br />
sie zum eigenständigen <strong>Forschen</strong> einladen<br />
und den Kindern genügend Raum<br />
und Zeit zur Exploration und zum Experimentieren<br />
bieten – nicht nur im Watt<br />
als außerschulischem Lernort. Lehrer:innen<br />
beobachten die Lernprozesse der<br />
Kinder. Sie fördern die Selbstständigkeit<br />
der Schüler:innen, indem sie weniger<br />
vorgeben und mehr auf individuelle Fragestellungen<br />
und Bedürfnisse eingehen.<br />
Sie schaffen Anlässe für authentische<br />
Lernprozesse und unterstützen dabei,<br />
wo nötig, ohne die Eigeninitiative der<br />
Kinder zu beeinträchtigen. Dieses Verständnis<br />
einer neuen Lernkultur wirkt<br />
auch auf die gesamte Schule zurück und<br />
trägt dazu bei, dass Schüler:innen nicht<br />
nur fachliches Wissen erwerben, sondern<br />
eine forschende Grundhaltung und<br />
methodische Kompetenzen entwickeln,<br />
die über den Sachunterricht und vielleicht<br />
sogar über die (Grund-)Schulzeit<br />
hinaus wirksam sind.<br />
GS aktuell 168 • November 2024<br />
21
Praxis: <strong>Beobachten</strong> – <strong>Staunen</strong> – <strong>Forschen</strong><br />
Doris Maier, Simone John<br />
Forscherzeit für alle<br />
oder: Den kindlichen Fragen an die Welt<br />
forschend-entdeckend begegnen<br />
Das <strong>Forschen</strong> und Experimentieren ist im Laufe der vergangenen Jahre zu einem<br />
in unserem Schulprofil an der Grundschule Bubenreuth fest verankerten und<br />
nicht mehr wegzudenkenden Bestandteil unseres schulischen Alltags geworden.<br />
Ausgangspunkt unserer Konzeption war und ist das Kind mit all seinen Fragen<br />
an seine Lebenswelt, welches ernst genommen wird und in jedem Jahr seiner<br />
Grundschulzeit ausreichend Raum und Zeit erhalten soll, seinen Fragen forschend-entdeckend<br />
nachzugehen.<br />
Was mit einer Schüler:innenfrage,<br />
z. B. „Warum dreht sich<br />
die Weihnachtspyramide?“<br />
beginnt und im Experiment forschend<br />
beantwortet wird, endet immer auch mit<br />
einem Lebensweltbezug sowie der<br />
Erkenntnis, welche erlebten naturwissenschaftlichen<br />
Phänomene damit noch<br />
erklärt werden können. Gleichzeitig<br />
erwirbt jedes Kind fachwissenschaftliche<br />
Denk-, Arbeits- und Handlungsweisen,<br />
welche unabhängig vom jeweiligen<br />
Fachinhalt einen unschätzbaren Wert<br />
darstellen.<br />
<strong>Forschen</strong> als Unterrichtsprinzip<br />
So sehen wir das <strong>Forschen</strong> und Experimentieren<br />
nicht als eine Art „isoliertes<br />
Erleben“, sondern bereiten dieses fachdidaktisch<br />
und methodisch so auf, dass<br />
unsere Schüler:innen immer auch einen<br />
Zuwachs an Wissen und Kompetenzen<br />
innerhalb des jeweiligen Jahresforscherthemas<br />
haben und sich mit der Erkenntnis<br />
aus selbst „begriffenen“ Experimenten<br />
ihre Welt ein Stück weit besser<br />
erschließen sowie erklären können. Dies<br />
waren und sind unsere schulischen Ziele,<br />
die wir mit unserem Forscherkonzept<br />
vom ersten Gedankenanstoß an erreichen<br />
möchten, und die bis heute Ausgangspunkt<br />
all unserer Überlegungen<br />
und Planungen sind.<br />
Jahresforscherthemen als<br />
Rahmen der Forscherzeit<br />
Im September starten unsere Schüler:innen<br />
nicht nur in ein neues Schuljahr,<br />
sondern immer auch in ein neues Forscherjahr,<br />
welches unter dem Zeichen<br />
eines vierjährig roulierenden Jahresforscherthemas<br />
(Sprudelgas, Wasser, Feuer,<br />
Luft) steht, so dass jede:r Schüler:in im<br />
Laufe der vierjährigen Grundschulzeit<br />
Gelegenheit erhält, alle vier Themengebiete<br />
zu durchlaufen. Dabei steht das<br />
jeweilige Jahresforscherthema völlig<br />
losgelöst vom aktuellen Lerninhalt des<br />
Sachunterrichts und beinhaltet sequenziell<br />
aufbereitete Versuche, welche einzelne<br />
naturwissenschaftliche Aspekte<br />
des jeweiligen Forscherthemas in den<br />
Blick nehmen.<br />
Innerhalb der Forscherzeit erhält zunächst<br />
jede 3. und 4. Klasse zweiwöchig<br />
im Rahmen einer Doppelstunde<br />
die Möglichkeit, im Forscherlabor schüler:innenorientiert<br />
und fragengesteuert<br />
zu forschen. Das Forscherlabor ist ein<br />
eigener Raum in unserer Schule, welcher<br />
ausschließlich dem <strong>Forschen</strong> gewidmet<br />
und entsprechend eingerichtet<br />
ist. Ausgestattet mit sechs breiten Forschertischen<br />
und dazu passenden Sitzhockern,<br />
einem großen Waschbecken<br />
sowie zahlreichen Versuchskisten nach<br />
Forscherthemen sortiert, bietet es den<br />
Abb. 2: <strong>Forschen</strong> zum Jahresforscherthema Wasser<br />
im Forscherlabor<br />
Abb. 3: Einblick in das Arbeiten im<br />
schuleigenen Forscherlabor<br />
22<br />
GS aktuell 168 • November 2024
Praxis: <strong>Beobachten</strong> – <strong>Staunen</strong> – <strong>Forschen</strong><br />
Forscher:innen alles an Ausstattung, was<br />
es zum praktischen Erforschen mit Blick<br />
auf die Forschungsfrage benötigt. Diese<br />
gilt es in Kleingruppen von drei bis vier<br />
Forscher:innen im Versuch zu beantworten<br />
sowie im schüler:inneneigenen<br />
Forscherheft zu dokumentieren.<br />
Hierzu gehört ein schrittweises naturwissenschaftliches<br />
Vorgehen, welches<br />
den Schüler:innen durch unseren Forscherkreis<br />
veranschaulicht wird:<br />
Beobachtungen und<br />
Schlussfolgerungen<br />
Die Dokumentation der schüler:inneneigenen<br />
Beobachtungen und Erkenntnisse<br />
nimmt einen wichtigen Stellenwert<br />
ein und erfolgt auf zweierlei Weise: Zum<br />
einen zeichnerisch in Form der Versuchsskizze<br />
und zum anderen schriftlich<br />
in eigenen Worten. Die Zeichnung<br />
bietet den jungen Forscher:innen<br />
ganz unabhängig von der individuellen<br />
Fähigkeit des schriftlichen Ausdrucks<br />
die Möglichkeit, Beobachtetes in Form<br />
von beschrifteten Skizzen festzuhalten<br />
und auch Abläufe und Veränderungen<br />
zeichnerisch darzustellen.<br />
Dabei enthält eine fachgerechte sowie<br />
aussagekräftige Versuchsskizze aus unserer<br />
Sicht folgende wesentliche Elemente,<br />
welche mit den Schüler:innen schrittweise<br />
erarbeitet werden:<br />
– Einsatz von Farbe zur Hervorhebung<br />
einzelner Elemente (Luftmoleküle<br />
sichtbar machen)<br />
– Einsatz von Pfeilen zur Darstellung<br />
von Richtungen/Bewegungen (Wasser,<br />
das nach unten fließt)<br />
– Einsatz von Ziffern zur Nummerierung<br />
einzelner Teilskizzen (zuerst,<br />
danach)<br />
– Einsatz von (Fach)begriffen zur Beschriftung<br />
des Gezeichneten (Schüssel,<br />
Pipette, Wasser)<br />
Auch die schriftlich festgehaltene<br />
Beobachtung folgt gemeinsam erarbeiteter<br />
Grundsätze:<br />
– Einsatz möglichst vieler Sinne: Auge,<br />
Ohr, Nase, Haut – was sehe, höre, rieche,<br />
taste ich?<br />
– Beobachtung von Anfang bis Ende –<br />
keine Momentaufnahme, sondern<br />
Prozessorientierung<br />
– keine Erklärung, dafür stets ein möglichst<br />
ausführliches Beschreiben<br />
Dabei bietet diese vergleichsweise freie<br />
Form der Dokumentation jedem Kind<br />
Abb. 4: Der Forscherkreis<br />
die Möglichkeit, das Beobachtete auf<br />
einem jeweils individuellen Wortschatzniveau<br />
zu verschriften und erst nach<br />
und nach Fachbegriffe für das Gesehene<br />
als eine Art themenbezogenen Wortspeicher<br />
zu erwerben und mit diesem<br />
zu ergänzen. Der Wortspeicher kann<br />
entweder von Seiten der Lehrkraft eingebracht<br />
werden („Das sprudelnde<br />
Gas, das aus Essig und Backpulver entstanden<br />
ist, heißt Kohlenstoff-dioxid.“)<br />
So unterstützt du dein Lernerkind beim <strong>Forschen</strong><br />
oder aber sich vom Vorwissen und den<br />
Erfahrungen aus der Lebenswelt des<br />
Kindes her bilden. Indem die einzelnen<br />
Forscherstunden sequenziell aufeinander<br />
aufgebaut sind, erweitert sich der<br />
Wortspeicher der jungen Forscher:innen<br />
mit jedem einzelnen Versuch und<br />
gewinnt durch immer wiederkehrendes<br />
Anwenden und sich Erschließen lebenspraktische<br />
Bedeutung.<br />
Helfende Hand<br />
• Hilfe bei Aufgaben, die junge Forscher:innen motorisch noch nicht<br />
bewältigen können, sich nicht trauen; anleiten<br />
„Ich zeige dir, wie du die Pipette nutzen kannst.“ /<br />
„Soll ich für dich das Streichholz anzünden?“<br />
Helfende Fragen<br />
• gezielt gestellte, offene Fragen, die jungen Forscher:innen<br />
• helfen, sich zu fokussieren, Vorwissen zu aktivieren und<br />
• Schlussfolgerungen zu versprachlichen<br />
„Was hast du beobachtet?“ / „Warum glaubst du, ist das so?“ / „Hast du so<br />
etwas schon einmal gesehen?“<br />
Helfendes Wissen<br />
• Wissen um die Handhabung der Forschermaterialien, des Ablaufes<br />
naturwissenschaftlichen <strong>Forschen</strong>s (Forscherkreis) sowie der fachwissenschaftlichen<br />
Hintergründe<br />
• Forscher:innen aus 3/4 kennen den Versuch oder aber haben das nötige<br />
Fachwissen, um sich Phänomene zu erschließen<br />
Helfende Zurückhaltung<br />
• Helfen nach dem Grundsatz: So viel wie nötig, so wenig wie möglich;<br />
all das, was das Lernerkind eigenständig ausführen kann, soll es auch,<br />
bewusstes Zurücknehmen an der richtigen Stelle<br />
„Das schaffst du sicher alleine!“ / „Möchtest du es einmal versuchen?“<br />
GS aktuell 168 • November 2024<br />
23
Praxis: <strong>Beobachten</strong> – <strong>Staunen</strong> – <strong>Forschen</strong><br />
Lernen durch Lehren<br />
Mit Beginn des zweiten Schulhalbjahres<br />
wird die Forscherzeit auf die fünf Klassen<br />
1 und 2 ausgeweitet und die älteren<br />
Schüler:innen aus 3 und 4 nehmen als<br />
„bereits ausgebildete Forscher:innen“<br />
die jüngeren Schüler:innen an die Hand<br />
und forschen mit ihnen gemeinsam an<br />
weiteren Forscherfragen des jeweiligen<br />
Jahresforschungsthemas. Dabei geben<br />
sie ihre bislang erworbenen Kompetenzen<br />
sowie ihr bisher erworbenes Wissen<br />
im Sinne des Lernens durch Lehren weiter.<br />
Von diesem Zeitpunkt an findet die<br />
Forschungszeit im Labor demnach in<br />
altersübergreifenden Forschungsgruppen<br />
mit Schüler:innen von Klasse 1 bis<br />
4 statt, wobei die ersten beiden Versuche<br />
den älteren Kindern zum leichteren Einstieg<br />
bekannt sind.<br />
Vor der ersten Zusammenführung bereitet<br />
die Lehrkraft die erfahrenen Forscher:innen<br />
mit einem eigens hierfür<br />
entworfenen Konzept gezielt auf ihre<br />
Aufgabe vor und nimmt während der<br />
gemeinsamen Forscherstunden die Rolle<br />
als Moderator:in (Stundeneinstieg und<br />
Zusammenführung am Ende), als Ansprechpartner:in<br />
(vor allem für die Forscher:innen<br />
aus 3/4) sowie als Unterstützer:in<br />
(bei fachlichen aber auch organisatorischen<br />
und disziplinarischen Fragen)<br />
ein. Die Lehrperson begleitet ihre Lerner:innen<br />
anhand von vier Grundsätzen:<br />
Das dargestellte Forscherkonzept, wie<br />
wir es heute an unserer Schule praktizieren<br />
und stetig weiterentwickeln, empfinden<br />
wir als ein echtes Geschenk in der<br />
Arbeit mit den Kindern. Dabei sehen<br />
wir das Besondere einerseits darin, dass<br />
wir im Laufe der Jahre ein funktionales<br />
Forscherlabor einrichten sowie mit einer<br />
Vielzahl an selbst entwickelten Versuchskisten<br />
ausstatten konnten und es in jedem<br />
Jahr an inhaltlicher und konzeptioneller<br />
Umsetzung „wachsen“ darf. Zum<br />
anderen sehen wir eine Besonderheit in<br />
der Tatsache, dass wir das <strong>Forschen</strong> an<br />
unserer Schule als Unterrichtsprinzip in<br />
allen Klassen umsetzen und den Schüler:innen<br />
eine Art „Handwerkszeug“<br />
mit auf den Weg geben, mit welchem sie<br />
sich eigene Fragen an die sie umgebende<br />
Umwelt im Experiment beantworten<br />
können.<br />
Dabei sind auch wir Lehrer:innen<br />
stets Teil eines sich entwickelnden Prozesses,<br />
der ihnen hilft, ihre eigenen Fragen<br />
an die sie umgebende Umwelt be-<br />
Doris Maier (links), StRinGS und<br />
Simone John, Lin GS<br />
... sind (Klassen)lehrkräfte an der<br />
jahrgangsgemischten Grundschule<br />
Bubenreuth.<br />
Ihr Interesse gilt der Förderung der<br />
Naturwissenschaften im Unterricht der<br />
Grundschule. So sind sie seit Jahren<br />
an der Konzeption und Ausstattung<br />
des schuleigenen Forschungslabors<br />
beteiligt und beschäftigen sich mit<br />
dem Erwerb naturwissenschaftlicher<br />
Handlungskompetenzen im Grundschulalter.<br />
antworten zu können. – frei nach Albert<br />
Einstein: „Wichtig ist, dass man nie aufhört<br />
zu fragen!“<br />
Abb. 7: Notieren gewonnener Beobachtungen auf<br />
individuellem Niveau: Forscherin rechts aus Klasse 1/2 skizziert;<br />
Forscherin links aus Klasse 3/4 verschriftet<br />
Abb. 5a: Versuchsskizze<br />
zur Forscherfrage:<br />
„Was passiert mit dem<br />
Luftballon über der<br />
Flasche und warum?“<br />
innerhalb des Forscherthemas<br />
Sprudelgas<br />
„Wichtig ist, dass<br />
man nie aufhört<br />
zu fragen!“<br />
Albert Einstein<br />
24<br />
GS aktuell 168 • November 2024
Praxis: <strong>Beobachten</strong> – <strong>Staunen</strong> – <strong>Forschen</strong><br />
Marie Fischer, Marion Gutzmann<br />
Kinderbücher zum Thema:<br />
<strong>Beobachten</strong> – <strong>Staunen</strong> – <strong>Forschen</strong><br />
Kinder lieben das <strong>Forschen</strong>. Die eingangs in den Themen- und Praxisbeiträgen<br />
zitierten Kinderfragen zeigen, dass Kinder die Erscheinungen der sie<br />
umgebenden Welt bewusst wahrnehmen und daran interessiert sind, mehr<br />
darüber zu erfahren, zu beobachten und zu forschen, vieles auch zu hinterfragen.<br />
Die Bücher zum Thema bieten eine große Palette an Zugängen und<br />
Unterstützung zur Thematik, sich wissenschaftlichen Themen auf anschauliche<br />
und verständliche Weise zu nähern, auf Fragen der Kinder Antworten<br />
zu finden und jeden Tag die Welt neu zu entdecken. Lassen auch Sie sich einladen<br />
von Büchern, die Spaß machen am gemeinsamen <strong>Staunen</strong>, Entdecken<br />
und <strong>Forschen</strong>.<br />
<strong>Staunen</strong>d in die Welt der Schmetterlinge einzutauchen, dazu<br />
lädt dieses farbenprächtige und detailverliebt gestaltete<br />
Sachbilderbuch ein. Zu Fragen wie Was ist der Unterschied<br />
zwischen Tag- und Nachtfalter? oder Wie können wir unsere<br />
Gärten so gestalten, dass sich Insekten darin wohlfühlen?<br />
finden die Kinder in kurzen Informationstexten oder beschrifteten<br />
Illustrationen interessante Fakten kindgerecht erklärt.<br />
So erfahren die Leserinnen und Leser, seit wann es Falter auf<br />
unserer Erde gibt, auf welchen Kontinenten sie zu Hause sind,<br />
welche Lebensphasen die Verwandlungskünstler<br />
durchlaufen und weshalb sie so wichtig für unser<br />
Ökosystem sind.<br />
(Ab 6 Jahren)<br />
Rachel Ignotofsky (2023):<br />
Das Wunder eines<br />
Schmetterlings<br />
Aus dem Englischen<br />
Magellan GmbH & Co. KG<br />
48 Seiten, € 18,00<br />
Das ansprechend<br />
illustrierte Kinderbuch<br />
„Wer hat es<br />
erfunden?“ von<br />
Anne Ameri-Siemens<br />
erzählt die<br />
Geschichten der<br />
Menschen, die<br />
Dinge erfunden haben, die unseren<br />
Alltag prägen. Diese Dinge wurden von<br />
Erfinder:innen, Wissenschaftler:innen und<br />
Ingenieur:innen konzipiert, über die wir<br />
häufig viel zu wenig wissen. Beim Lesen<br />
stellen die Kinder fest, dass einige Erfindungen<br />
das Ergebnis von Teamarbeit und<br />
einer langen Zeit im Labor waren. Andere<br />
Erfindungen wurden wiederum zufällig<br />
oder auf der Suche nach etwas anderem<br />
erschaffen. So erfahren die Kinder die<br />
Hintergründe von spannenden kleinen<br />
Erfindungen wie dem Klett- und Reißverschluss,<br />
dem Post-it oder den Instantnudeln,<br />
erhalten aber auch Einblick in<br />
Themen wie Blindenschrift, verschiedene<br />
Arten von Impfung oder die Geschichte<br />
des Computers. Aufgrund des Leseumfangs<br />
auf den einzelnen Seiten bietet<br />
sich das Buch sowohl zum Selberlesen als<br />
auch zum Vorlesen und sich daran<br />
anschließende Gespräche an.<br />
(Ab 9 Jahren)<br />
Das für den Deutschen Jugendliteraturpreis 2020 nominierte<br />
Buch „Die Natur. Entdecke die Wildnis vor deiner Haustür“<br />
eines portugiesischen Autor- und Ilustrator:innentrios<br />
hält, was es im Untertitel verspricht. Mit ganz konkreten<br />
Beobachtungsaufträgen für jede Altersgruppe stellt das<br />
Buch Antworten auf viele mehr oder weniger alltäglichen<br />
Fragen bereit, wie z.B. Bringen diese bauschigen Wolken<br />
Regen?. Nicht nur die fachlichen Inhalte begeistern für den<br />
Sachunterricht, auch die atmosphärischen Aquarelle und<br />
Zeichnungen regen dazu an, eigene Beobachtungen künstlerisch<br />
festzuhalten und zu dokumentieren. Das Buch, das als Naturbuch des Monats<br />
September 2019 ausgezeichnet wurde, darf als Nachschlagewerk und Ideengeber<br />
bei einer Erkundungstour in der Natur, auf dem Pausenhof oder am Wandertag nicht<br />
fehlen. Glossar, Klima-Zeittafel und Tipps<br />
zur weiterführenden Lektüre runden das<br />
lesefreundliche und kunstvoll gestaltete<br />
Handbuch ab.<br />
(Ab 8 Jahren)<br />
Maria Anna Peixe, Inês Teixeira<br />
do Rosário (2019):<br />
Die Natur – Entdecke die Wildnis<br />
vor deiner Haustür<br />
Aus dem Portugiesischen<br />
Beltz & Gelberg Verlag<br />
368 Seiten, € 22,95<br />
Anne Ameri-Siemens (2021):<br />
Wer hat es erfunden?<br />
Die Gestalten Verlag<br />
96 Seiten, € 19,90<br />
GS aktuell 168 • November 2024<br />
25
Praxis: <strong>Beobachten</strong> – <strong>Staunen</strong> – <strong>Forschen</strong><br />
Soledad Romero Mariño (2022):<br />
Geniale Fehler: Von glücklichen Unfällen<br />
und großartigen Missgeschicken<br />
Aus dem Spanischen<br />
Knesebeck Verlag<br />
48 Seiten, € 16,00<br />
Glückliche Unfälle und großartige Missgeschicke<br />
stehen im Mittelpunkt des Buches über<br />
„Geniale Fehler“ von Soledad Romero Mariño<br />
mit Illustrationen von Montse Galbany. Es erzählt<br />
von den Umständen, unter denen Dinge wie der<br />
Radiergummi, die Batterie, aber auch medizinisch<br />
bahnbrechende Erfindungen wie Röntgenstrahlen<br />
oder Penicillin zu Stande kamen. Die<br />
Geschichten von genialen Fehlern und Zufallsentdeckungen werden<br />
mit wenig Text und farbenfroh gestalteten Illustrationen erzählt, die die<br />
Kinder zum Entdecken einladen. Es lohnt sich auch, über die Worte der<br />
Autorin ins Gespräch zu kommen: „Trotz ihres schlechten Rufs spielen<br />
Fehler beim Lernen, in der Forschung und bei kreativen Schaffensprozessen<br />
eine bedeutende Rolle. Aus Fehlern wird man klug, durch<br />
sie entwickelt sich die Menschheit weiter“. Durch die minimalistische<br />
Seitengestaltung kann das Buch bereits in den ersten beiden Klassenstufen<br />
eingesetzt werden. In der Schulpraxis diente das Buch als<br />
Inspiration für die Auseinandersetzung mit dem Streichholz im Sachunterricht<br />
(s. Fischer/<br />
Poensgen/Kirli<br />
in diesem Heft).<br />
(Ab 6 Jahren)<br />
Eine ganz andere Figur haben<br />
Andrea Beaty und David Roberts<br />
geschaffen: Rosie Rosin, Erfinderin,<br />
ein schüchternes Mädchen, das<br />
nachts gern allein in ihrem Zimmer<br />
aus Alltagsdingen geniale Erfindungen<br />
konstruiert: einen Hotdog-Automaten,<br />
eine Luftballon-Hose, einen<br />
Sprühdosen-Helikopter und vieles mehr. Nichts jedoch ist<br />
schlimmer für Rosie, als wenn alle anderen nur über sie<br />
und ihre Bastelarbeiten spotten. Aus Angst, wieder ausgelacht<br />
zu werden, versteckt Rosie ihre Erfindungen unter<br />
dem Bett. Erst, als eines Tages eine „Tante, die Rosie kaum<br />
kannte“ zu Besuch kommt, versteht Rosie, dass sie weitermachen<br />
kann und sich auch nicht vor einem Flop fürchten<br />
muss. Die Geschichte um Rosie wird in teilweise gereimten<br />
Texten erzählt. Die detailliert und liebevoll gezeichneten<br />
Illustrationen laden zum längeren Verweilen und Entdecken<br />
ein.<br />
(Ab 4 Jahren)<br />
Andrea Beaty & David Roberts (2021)<br />
Rosie Rosin, Erfinderin<br />
Aus dem Englischen<br />
MIDAS Verlag<br />
32 Seiten, € 18,00<br />
Es fällt schwer, eine<br />
Auswahl aus der Reihe<br />
„Little People, Big<br />
Dreams“ zu treffen, wenn<br />
man Persönlichkeiten<br />
auswählen möchte, die<br />
besonders gut im<br />
<strong>Beobachten</strong>, <strong>Staunen</strong><br />
und <strong>Forschen</strong> waren oder<br />
sind. Mit den beiden „Klassikern“ Marie Curie und Albert Einstein ist ein<br />
guter Anfangspunkt für die Klassen- oder Schulbibliothek gesetzt.<br />
Die Bücher mit hochwertigem Einband und charakteristischer<br />
Portraitdarstellung auf dem Cover sind biografische Erzählungen,<br />
die den Kindern zeigen, dass auch bekannte Persönlichkeiten aus<br />
Wissenschaft, Politik, Kunst und Kultur mal kleine Menschen mit großen<br />
Träumen waren. Begleitet man sie durch ihr Leben, stellt man fest,<br />
welche prägenden äußeren Einflüsse und historischen Kontexte sie zu<br />
ihren Errungenschaften geführt haben – und auch, welche Umwege sie<br />
dafür manchmal in Kauf nehmen mussten. Passend zum Thema dieser<br />
Zeitschrift steht die wichtige Botschaft von Marie Curie im Kinderbuch:<br />
„Man muss vor nichts Angst haben, sondern kann alles erforschen und<br />
begreifen.“ Ein Zeitstrahl mit einer chronologischen Zusammenfassung<br />
wichtiger Lebensdaten der Persönlichkeiten schließen die Bücher<br />
dieser Kindersachbuchserie jeweils ab.<br />
(Ab 4 Jahren)<br />
María Isabel Sánchez Vegara (2019):<br />
Marie Curie<br />
Aus dem Spanischen<br />
Insel Verlag<br />
32 Seiten, € 15,00<br />
María Isabel Sánchez Vegara (2019):<br />
Albert Einstein<br />
Aus dem Englischen<br />
Insel Verlag<br />
32 Seiten, € 15,00<br />
Dieses kunstvolle Sachbilderbuch,<br />
nominiert für das Wissenschaftsbuch<br />
des Jahres 2023 in Österreich<br />
in der Kategorie Junior-Wissen,<br />
widmet sich dem besonderen<br />
Naturphänomen Wind. Auf jeweils<br />
einer großformatigen Doppelseite<br />
werden eine Fülle spannender<br />
Fakten zu Fragen wie Welche<br />
unterschiedlichen Arten von Winden gibt es?, Wie entsteht<br />
eigentlich Wind?, Welche Kräfte stecken in ihm? oder Wie<br />
nutzen Mensch und Tier die Kraft des Windes? vermittelt.<br />
In den Texten geht es um Segelschiffe, Weltentdecker, Flugzeuge,<br />
Windmühlen und Kraftwerke, die Reise der Sandkörner,<br />
Wind-Götter und Aberglaube. Mit windigen Redewendungen<br />
schließt das Buch ab. Dabei spricht die Autorin<br />
und Künstlerin Olga Fadejewa die Leserinnen und Leser<br />
direkt an: Was meinst du? oder …ist dir vielleicht aufgefallen,<br />
dass …? Auf diese Weise animiert das Sachbuch<br />
beim Selberlesen oder beim Vorlesen zum Überlegen der<br />
Antworten und Weiterfragen. Typographische Elemente,<br />
Grafiken und Bilder unterstützen das Textverstehen Ein<br />
Mädchen in einem roten Kleid und ein Mann mit weißem<br />
Bart sind als wiederkehrende Elemente im Buch zu finden.<br />
Zeitleisten, Himmelsbilder, Landkarten und beeindruckende<br />
Zahlenspiele illustrieren den Wind in all seinen Facetten.<br />
(Ab 6 Jahren)<br />
Olga Fadejewa (2022):<br />
Wind. Wo kommt er her?<br />
Wo weht er hin?<br />
Aus dem Russischen<br />
Magellan GmbH & Co. KG<br />
48 Seiten, € 16,95<br />
26<br />
GS aktuell 168 • November 2024
Praxis: <strong>Beobachten</strong> – <strong>Staunen</strong> Aus der – Forschung <strong>Forschen</strong><br />
Rebecca Baumann, Birte Oetjen, Sonja Ertl, Sabine Martschinke<br />
Wie (gut) können<br />
Grundschullehramts studierende<br />
Kinder individuell unterstützen?<br />
NachhilFEE – ein Projekt zum Brückenbauen<br />
In der Debatte über die individuelle Förderung von Kindern, insbesondere angesichts<br />
der oft herausfordernden Rahmenbedingungen wie Lehrkräftemangel<br />
in Grundschulen, gewinnen zusätzliche Unterstützungsangebote wie Nachhilfe<br />
zunehmend an Bedeutung.<br />
Erste empirische Studien in der<br />
Grundschule belegen, dass Nachhilfe<br />
als meist außerschulisch<br />
gestaltetes, von den Eltern bezahltes<br />
Zusatzangebot den Lernerfolg der Schüler:innen<br />
signifikant steigern kann (z. B.<br />
Haag o. J.). Konkret kann eine externe<br />
Förderung im Rahmen von Nachhilfeangeboten<br />
zu einer Verbesserung der<br />
Noten, der Motivation und des Selbstvertrauens<br />
führen, was sich positiv auf<br />
das gesamte Lernen auswirkt (ebd.).<br />
Daher sind Zusatzangebote besonders<br />
für Schüler:innen, die in schulischen<br />
Bereichen Schwierigkeiten haben,<br />
bedeutsam. Das Projekt NachhilFEE<br />
setzt deswegen eine solche Förderung<br />
im schulischen Kontext um und integriert<br />
Zusatzangebote zur individuellen<br />
Förderung in den Unterrichtsalltag. Als<br />
sogenannte NachhilFEEn (im Folgenden<br />
kurz FEEn genannt) wurden (Lehr-<br />
Das Projekt NachhilFEE strebt eine synergetische<br />
Verbindung von Effekten für<br />
Schüler:innen und für Studierende an,<br />
indem es kostenfreie Nachhilfe für alle<br />
Kinder bereitstellt. Dabei schafft es mehr<br />
Chancengleichheit für Kinder, während<br />
gleichzeitig Lehramtsstudierende als<br />
Nachhilfelehrkräfte eingebunden und in<br />
ihrer Professionalisierung unterstützt werden.<br />
Ob diese Verzahnung beider Aspekte<br />
sowohl die Bildungschancen von Kindern<br />
verbessert als auch die Entwicklung professioneller<br />
Kompetenzen künftiger Lehrkräfte<br />
fördert, wird mit der Evaluation des<br />
Projekts ein Stück weit beantwortet (ausführlich<br />
in Baumann et al. 2024; Oetjen et<br />
al. 2024).<br />
amts-)Studierende und andere Ehrenamtliche<br />
gewonnen, die im Projekt als<br />
Brückenbauer:innen (Martschinke et al.<br />
2024) für Kinder agieren. Diese Kinder<br />
stehen je nach individuellen Lernvoraussetzungen<br />
und Benachteiligungen durch<br />
den familiären, sozioökonomischen<br />
Hintergrund vor Bildungshürden.<br />
NachhilFEE – ein Projekt für<br />
Schüler:innen und Studierende?<br />
Die hohe Wirksamkeit von Nachhilfe<br />
wirft Fragen in Bezug auf die Chancengleichheit<br />
im Bildungssystem auf. In<br />
einer Gesellschaft, in der der Zugang zu<br />
Nachhilfe hauptsächlich von den finanziellen<br />
Möglichkeiten der Eltern abhängt,<br />
bleibt diese zusätzliche Unterstützung oft<br />
ungleich verteilt. Eine Studie von Schneider<br />
(2005) zeigt, dass vor allem Kinder<br />
aus einkommensstärkeren Familien<br />
Nachhilfe in Anspruch nehmen, während<br />
Kinder aus sozial schwächeren Verhältnissen<br />
häufig keine solche Unterstützung<br />
erhalten. Diese Ungleichheiten können<br />
bestehende Bildungsnachteile verstärken<br />
und die Chancen auf eine erfolgreiche<br />
schulische und berufliche Laufbahn<br />
negativ beeinflussen. In diesem Kontext<br />
gewinnt das Projekt NachhilFEE an<br />
Relevanz, da es darauf abzielt, kostenfreie<br />
Nachhilfe im schulischen Rahmen gerade<br />
für die Kinder anzubieten, die zusätzliche<br />
Unterstützung aus Lehrkräfteperspektive<br />
benötigen.<br />
Aus der Unterrichtsqualitätsforschung<br />
ist bekannt, dass neben einer guten Klassenführung<br />
individuelle Unterstützung<br />
dann mit positiven Effekten einhergeht,<br />
wenn die Angebote qualitätsvoll, d. h.<br />
insbesondere kognitiv aktivierend und<br />
konstruktiv unterstützend (Lipowsky/<br />
Lotz 2015; Decristan et al. 2020), sind.<br />
Bei dem Qualitätsmerkmal der konstruktiven<br />
Unterstützung (Sliwka et al.<br />
2019) begleitet eine Lehrkraft den Lernprozess,<br />
unterstützt bei Verständnisproblemen<br />
und gibt passgenaue Hilfestellungen.<br />
Mit kognitiv aktivierenden Aufgaben<br />
(Fauth/Leuders 2018) regt die Lehrkraft<br />
Schüler:innen zu einer intensiven<br />
Auseinandersetzung mit dem Lerngegenstand<br />
an. Das Lernangebot kognitiv<br />
aktivierend und konstruktiv zu gestalten,<br />
setzt aber professionelle Kompetenzen<br />
voraus (Waffner 2020). Deswegen<br />
stellt sich die Frage, ob besonders die<br />
eingesetzten Lehramtsstudierenden bereits<br />
professionelle Kompetenzen in ihrem<br />
bisherigen Studium erworben haben<br />
bzw. ob die Unterstützung der Lehrkräfte<br />
hinreichend Hilfe und Impulse für eine<br />
qualitätsvolle Umsetzung gibt. Durch<br />
die Einbindung von Lehramtsstudierenden<br />
als Unterstützungs- und Nachhilfelehrkräfte<br />
an Schulen wird nicht nur<br />
eine Hilfestellung für Kinder geschaffen,<br />
sondern kann optimalerweise auch eine<br />
wertvolle praxisnahe Erfahrung für die<br />
angehenden Lehrkräfte generiert werden,<br />
die sich positiv auf deren Professionalisierung<br />
auswirken kann (Walczuch<br />
2024; Winter et al. 2023). Aber gilt<br />
dieser mögliche Mehrwert auch für die<br />
(Grundschul-)Lehramtsstudierenden,<br />
die im NachhilFEE-Projekt das Angebot<br />
für die Kinder durchführen?<br />
NachhilFEE – ein (Evaluations-)<br />
Projekt zum Brückenbauen<br />
Das Projekt wurde in Reaktion auf<br />
die Corona-Pandemie im Nürnberger<br />
Land (Bayern) ins Leben gerufen, um<br />
GS aktuell 168 • November 2024<br />
27
Aus Praxis: der <strong>Beobachten</strong> Forschung – <strong>Staunen</strong> – <strong>Forschen</strong><br />
Lernrückstände bei Schüler:innen der<br />
Grund- und Mittelschulen durch gezielte<br />
individuelle Förderung im schulischen<br />
Kontext auszugleichen und so für<br />
ALLE Kinder Brücken zu bauen und sie<br />
in ihrer Lern- und Persönlichkeitsentwicklung<br />
zu unterstützen.<br />
Die 2023 gestartete wissenschaftliche<br />
Begleitung basiert auf einer Befragung<br />
von 86 NachhilFEEn (von insgesamt<br />
zum Befragungszeitpunkt 160 tätigen<br />
NachhilFEEn) mit offenen und<br />
geschlossenen Fragen. Die folgenden<br />
Ergebnisse beziehen sich ausschließlich<br />
auf 22 Grundschullehramtsstudierende,<br />
die die Tätigkeit als NachhilFEEn während<br />
ihres Studiums begonnen haben.<br />
Die Fragen, die im offenen Antwortformat<br />
den FEEn gestellt wurden (siehe Tabelle<br />
1), beziehen sich dabei auf den organisatorischen<br />
Rahmen, die Gestaltung<br />
des Angebots, wahrgenommene Erfolge<br />
und Schwierigkeiten sowie die Unterstützung<br />
durch Lehrkräfte und wurden<br />
inhaltsanalytisch ausgewertet.<br />
Für die Fragen „Wie schätzen die<br />
NachhilFEEn die Qualität ihrer Angebote<br />
ein?“ und „Wie schätzen die NachhilFEEn<br />
die soziale Unterstützung durch<br />
Lehrkräfte ein?“ wurde über die qualitativen<br />
Fragen hinaus auch auf etablierte<br />
Instrumente (siehe Tabelle 2; adaptierte<br />
und selbst entwickelte Instrumente) zurückgegriffen.<br />
Diese drei Skalen verlangten<br />
ein geschlossenes Antwortformat<br />
(1 = stimme gar nicht zu bis 4 = stimme<br />
voll zu), ebenso die Frage nach dem<br />
Zutrauen zur Tätigkeit als FEE (1 = kein<br />
Zutrauen bis 4 = hohes Zutrauen).<br />
Erste Ergebnisse der<br />
wissenschaftlichen Begleitung<br />
Wer sind die geförderten Kinder und<br />
wie ist die Förderung organisiert?<br />
Bei der Frage, mit welchem Unterstützungsbedarf<br />
Kinder vorrangig in die<br />
Förderung kommen, berichten 20 der<br />
22 befragten FEEn mit einem grundschullehramtsspezifischen<br />
Hintergrund,<br />
dass sie typischerweise alle zwei Wochen<br />
oder wöchentlich Kinder mit Unterstützungsbedarf<br />
in Mathematik fördern.<br />
18 FEEn unterstützen im Fach Deutsch,<br />
13 speziell auch Kinder mit Deutsch als<br />
Zweitsprache – und damit findet die<br />
Förderung in Mathematik und Deutsch<br />
(als Zweitsprache) sehr häufig statt. Nur<br />
fünf FEEn allerdings fördern Kinder mit<br />
Unterstützungsbedarf im Heimat- und<br />
Sachunterricht. Zwölf FEEn begleiten<br />
ängstliche, unsichere oder verhaltensauffällige<br />
Kinder individuell.<br />
Die derzeitig am häufigsten vertretene<br />
Organisationsform der FEE-Förderung<br />
ist die Arbeit mit von der Lehrkraft<br />
ausgewählten Paaren und Gruppen.<br />
13 FEEn arbeiten typischerweise<br />
in dieser Organisationsform, um individuelle<br />
Lernlücken der Schüler:innen zu<br />
schließen. Weitere fünf FEEn geben an,<br />
einzelne Kinder zu unterstützen. Eine<br />
weitere von vier FEEn genutzte Organisationsform<br />
ist die Unterstützung einzelner<br />
Kinder in Anwesenheit der Lehrkraft<br />
im Regelunterricht.<br />
Welche Materialien nutzen die FEEn<br />
bei der Förderung und wie sieht eine<br />
typische NachhilFEE-Förderung aus?<br />
Die FEEn greifen bei der Frage nach<br />
der Verwendung von Materialien mit<br />
26 Aussagen vorrangig auf (Lehr- und<br />
Schul-)Bücher in Kombination mit<br />
(Arbeits-)Heften sowie Arbeits- und<br />
Übungsblättern (selbst oder von der<br />
Lehrkraft erstellt bzw. bereitgestellt)<br />
zurück. Drei Aussagen können dem<br />
(allgemeinen) Unterrichtsmaterial<br />
(z. B. Anschauungs- oder Fördermaterial)<br />
zugeordnet werden. Fachspezifisches<br />
Material zur Sprach- (z. B. Lese-/<br />
DaZ-Material) und Rechenförderung<br />
(z. B. Rechenschieber und Rechenplättchen)<br />
wird in sechs Antworten identifiziert.<br />
Materialien zum spielerischen Lernen<br />
werden nur in zwei Fällen berichtet.<br />
Damit wird eher traditionelles Material<br />
genutzt, spielerisches Material ist selten<br />
und digitale Medien werden nicht<br />
genannt.<br />
Bei der Gestaltung des Angebots greifen<br />
die FEEn vorrangig auf die „klassische“<br />
Struktur einer Unterrichtstunde<br />
mit Einstiegsphase (Begrüßen und<br />
Nachfragen), Arbeitsphase (Erläuterung<br />
und Bearbeitung von Aufgaben) und –<br />
in vereinzelten Fällen – einer Schlussphase<br />
(mit Reflexion, Feedback, Entspannung,<br />
Spiel) zurück. Es fehlen allerdings<br />
innovative, spielerische und<br />
möglicherweise digitale Angebote. Vergleichsweise<br />
selten werden eine Diagnose<br />
akuter Lernbedarfe bzw. eine Aktivierung<br />
des Vorwissens in der Einstiegsphase<br />
durchgeführt bzw. die Förderung<br />
mit Erfolg versprechendem Feedback<br />
oder einer Reflexion abgeschlossen.<br />
Wie kognitiv aktivierend und konstruktiv<br />
unterstützend werden die<br />
Angebote eingeschätzt?<br />
Um die Qualität der Angebote einzuschätzen,<br />
wurden die FEEn über<br />
geschlossene Fragen zu den Qualitätskriterien<br />
der kognitiven Aktivierung<br />
und der konstruktiven Unterstützung<br />
befragt. Die befragten FEEn schätzen<br />
die Qualität ihrer Förderung grundsätzlich<br />
positiv ein (siehe Abb. 1), da alle<br />
Mittelwerte der erfassten Skalen deutlich<br />
über der theoretischen Mitte von<br />
2,50 liegen. Damit bieten die FEEn aus<br />
ihrer Sicht den Kindern durchschnittlich<br />
ein konstruktiv unterstützendes<br />
(M = 3,73; SD = 0,34; MIN = 3,00;<br />
MAX = 4,00) sowie kognitiv aktivierendes<br />
(M = 3,09; SD = 0,42; MIN = 2,11;<br />
MAX = 3,67) Angebot an. Gleichwohl<br />
machen allerdings insbesondere die<br />
Minimalwerte im Bereich der kognitiven<br />
Aktivierung darauf aufmerksam,<br />
dass nicht jede FEE ihr Angebot qualitätsvoll<br />
einschätzt.<br />
Inhalte<br />
Offene Leitfragen<br />
Organisatorischer Rahmen<br />
Gestaltung des Angebots<br />
Erfolge und Schwierigkeiten<br />
Wer sind die geförderten Kinder und wie ist die Förderung organisiert?<br />
Welche Materialien nutzen Sie bei der Förderung? Wie sieht eine typische NachhilFEE-Förderung aus?<br />
Welche Erfolge der Förderung nehmen Sie bei den Schüler:innen wahr? Welche Schwierigkeiten bei<br />
der Förderung nehmen Sie wahr?<br />
Unterstützung durch Lehrkräfte<br />
Tabelle 1: Inhalte der offenen Fragen an die FEEn<br />
Welche Unterstützung wünschen Sie sich für Ihre zukünftige Tätigkeit als NachhilFEE?<br />
28<br />
GS aktuell 168 • November 2024
Praxis: <strong>Beobachten</strong> – <strong>Staunen</strong> Aus der – Forschung <strong>Forschen</strong><br />
Welche Erfolge und welche Schwierigkeiten<br />
nehmen die Grundschullehramtsstudierenden<br />
wahr?<br />
Bei der offenen Frage nach den Erfolgen<br />
der Förderung zeigt sich, dass die<br />
Befragten verschiedene Fortschritte<br />
in der Leistungs- und Persönlichkeitsentwicklung<br />
ihrer unterstützten Schüler:innen<br />
wahrnehmen. Zwölf Befragte,<br />
und damit mehr als die Hälfte der FEEn,<br />
weisen auf ein gestärktes Selbstbewusstsein<br />
(z. B. „Ein Kind wurde schon viel<br />
selbstsicherer“) und elf auf eine verbesserte<br />
Leistung (z. B. „Durch die zusätzliche<br />
Übung haben sich die Leistungen<br />
einiger Kinder verbessert“) hin. Acht<br />
FEEn berichten von einer verbesserten<br />
Lernatmosphäre und Lernqualität (z. B.<br />
„Die SuS trauen sich, Fragen zu stellen,<br />
für die im regulären Unterricht kein<br />
Raum wäre“). Fünf FEEn nehmen eine<br />
gesteigerte Motivation und Lernfreude<br />
wahr (z. B. „Mehr Freude am Lernen“).<br />
Verbesserungen im Sozialverhalten<br />
(geäußert von nur einer Person: „Die<br />
Kinder lernen den Umgang mit Älteren“)<br />
werden hingegen kaum genannt.<br />
In einer weiteren offenen Frage zu potenziellen<br />
Schwierigkeiten bei der Förderung<br />
äußerte die Hälfte der Befragten<br />
Kritik an zeitlich-organisatorischen<br />
Rahmenbedingungen. Hierbei wurden<br />
insbesondere der Mangel an Zeit für die<br />
individuelle Förderung (z. B. „zu wenig<br />
Zeit für die Kinder“), ungünstige Förderzeiten<br />
(z. B. „Da meine NachhilFEE<br />
oft in den späten Randstunden stattfand,<br />
waren die Kinder häufig müde“) und der<br />
fehlende Zugang zu geeigneten Fördermaterialien<br />
genannt. Sieben FEEn berichten<br />
von ungünstigen Ausgangsbedingungen<br />
bei den Schüler:innen (z. B.<br />
geringe Motivation oder schwierige familiäre<br />
Verhältnisse) sowie geringen<br />
4,0<br />
3,5<br />
3,0<br />
2,5<br />
2,0<br />
1,5<br />
1,0<br />
Konstruktive Unterstützung<br />
1<br />
Fördereffekten (z. B. „Am Anfang treffe<br />
ich häufig auf Unlust gegenüber dem zusätzlichen<br />
Unterricht“ oder „keine Fortschritte<br />
bei manchen Kindern“). Die fehlende<br />
Unterstützung durch die Regelschullehrkräfte<br />
(z. B. „kaum bzw. wenig<br />
Kontakt zu den Lehrenden“) und Eltern<br />
(z. B. „Eltern halten Termine teilweise<br />
nicht ein“) wurde von vier FEEn als<br />
Hindernis beschrieben. Auch von vier<br />
Befragten wurden eigene Unsicherheiten<br />
oder Kompetenzdefizite (z. B. „Schwierigkeit,<br />
mehreren Kindern gleichermaßen<br />
Aufmerksamkeit zu schenken“) als<br />
problematisch wahrgenommen.<br />
Kognitive Aktivierung<br />
4 7<br />
17 15<br />
wenig Zutrauen relativ hohes Zutrauen hohes Zutrauen<br />
Abb 1: Boxplots<br />
zur Selbsteinschätzung<br />
der<br />
Qualitätsmerkmale<br />
konstruktive<br />
Unterstützung und<br />
kognitive Aktivierung<br />
durch die<br />
Grundschullehramtsstudierenden<br />
Abb. 2: Zutrauen<br />
zu Beginn als FEE<br />
und zur Zeit der<br />
Befragung<br />
Welche Unterstützung wünschen sich<br />
Studierende?<br />
Bezüglich des Unterstützungsbedarfs<br />
der FEEn ist festzuhalten, dass die Studierenden<br />
die Lehrkräfte an ihrer Einsatzschule<br />
als soziale Ressource bzw.<br />
Unterstützung wahrnehmen (M = 3,70;<br />
SD = 0,40). Nach Aussage aller FEEn<br />
zeigen die Lehrkräfte Verständnis für<br />
deren Arbeit und 21 berichten vom Interesse<br />
der Lehrkräfte für ihre Probleme.<br />
Des Weiteren finden 21 FEEn Unterstützung<br />
bei den Lehrkräften und nehmen<br />
in 20 Fällen entsprechende Rücksichtnahme<br />
bzgl. ihrer Aufgaben und Pro-<br />
Skala Beispielitem Anzahl<br />
(Items)<br />
α<br />
Qualität<br />
der Angebote<br />
Soziale Unterstützung<br />
(Adaption Schaarschmidt/Fischer 2008)<br />
Zutrauen in Tätigkeit als FEE<br />
(Eigenkonstruktion)<br />
Konstruktive Unterstützung<br />
(Adaption Hertel et al. 2014)<br />
Kognitive Aktivierung<br />
(Oetjen et al. 2024 in Anlehnung<br />
an Lotz 2016)<br />
Tabelle 2: Skalen der geschlossenen Fragen<br />
Ich interessiere mich für den Lernfortschritt jedes<br />
einzelnen Kindes.<br />
Die eingesetzten Aufgaben in der Förderung regen<br />
die Kinder dazu an, über ihr Vorwissen und / oder<br />
ihre Vorerfahrungen nachzudenken.<br />
3 .52<br />
9 .87<br />
Die Lehrkräfte zeigen Verständnis für meine Arbeit. 4 .72<br />
Wie hoch war Ihr Zutrauen zu Beginn Ihrer Tätigkeit als NachhilFEE / ist<br />
Ihr aktuelles Zutrauen, die Aufgabe als NachhilFEE meistern zu können?<br />
GS aktuell 168 • November 2024<br />
29
Aus Praxis: der <strong>Beobachten</strong> Forschung – <strong>Staunen</strong> – <strong>Forschen</strong><br />
bleme wahr. Die Auswertung der offenen<br />
Fragen ergab, dass sechs der 22<br />
FEEn für ihre Arbeit keinen weiteren<br />
Unterstützungsbedarf sehen. Etwa ein<br />
Drittel der FEEn (sieben) wünscht sich<br />
aber mehr Austausch mit und Unterstützung<br />
durch die Lehrkräfte der Kinder<br />
sowie Feedback von diesen für ihre<br />
Arbeit. Fünf FEEn, immerhin mehr als<br />
ein Fünftel, wünschen sich zudem, dass<br />
sie konkret Aufgaben oder Material für<br />
die Förderung der Schüler:innen zur<br />
Verfügung gestellt bekommen.<br />
Wie entwickelt sich das Zutrauen der<br />
NachilFEEn?<br />
Abbildung 2 zeigt, dass sich das Zutrauen<br />
der FEEn in die eigene Arbeit durch<br />
die individuelle Förderung mit den Kindern<br />
aus ihrer Perspektive positiv entwickelt.<br />
Während zu Beginn der Arbeit<br />
nur eine FEE nach eigener Aussage ein<br />
hohes Zutrauen in ihre Tätigkeit hatte,<br />
sind es zum Zeitpunkt der Befragung<br />
etwas mehr als zwei Drittel.<br />
Schlussfolgerungen für<br />
eine optimale Förderung<br />
durch Studierende<br />
„An einer Schule auf NachhilFEEn<br />
zurückgreifen zu können, bedeutet:<br />
schnelle, unkomplizierte und vor allem<br />
niedrigschwellige Unterstützung von<br />
Kindern.“ (Lehrkraft aus dem Projekt in<br />
Bezug auf das NachhilFEE-Projekt)<br />
(von links)<br />
Dr. Rebecca Baumann ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Grundschulforschung<br />
der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg. In Forschung<br />
und Lehre befasst sie sich schwerpunktmäßig u. a. mit Heterogenität und<br />
Inklusion, Bildung für nachhaltige Entwicklung, Lehrkräfteprofessionalisierung,<br />
Lehrkräftegesundheit und kollegialer Beratung im Lehrberuf.<br />
Dr. Birte Oetjen ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Grundschulforschung<br />
der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg. In Forschung und<br />
Lehre befasst sie sich schwerpunktmäßig u. a. mit Inklusion und Heterogenität, Lehrkräftegesundheit,<br />
Lehrkräfteprofessionalisierung, digitalen Medien in der Hoch- und<br />
Grundschule sowie Schriftspracherwerb.<br />
Prof. Dr. Sonja Ertl ist Professorin für Grundschulpädagogik und -didaktik und hat<br />
den Lehrstuhl für Grundschulforschung mit Schwerpunkt inklusives Lehren und<br />
Lernen an der Universität Augsburg inne. Ihre Schwerpunkte in Forschung und<br />
Lehre sind Heterogenität und Inklusion, Lernentwicklungsgespräche, Kinderrechte,<br />
Mitbestimmung, Demokratiebildung und Emotionen im Übergang.<br />
Prof. Dr. Sabine Martschinke ist Professorin und Lehrstuhlinhaberin für Grundschulpädagogik<br />
und -didaktik mit dem Schwerpunkt Umgang mit Heterogenität am<br />
Institut für Grundschulforschung der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg.<br />
Ihre Schwerpunkte in Lehre und Forschung sind Heterogenität und Inklusion,<br />
Mitbestimmung und Demokratiebildung, Lehrkräftegesundheit, Lehrkräfteprofessionalisierung,<br />
digitale Medien in Grund- und Hochschule.<br />
Trotz solcher Erfolg versprechenden<br />
Rückmeldungen und der grundsätzlich<br />
positiven Ergebnisse der wissenschaftlichen<br />
Begleitung können dennoch Entwicklungs-<br />
bzw. Optimierungsmöglichkeiten<br />
als Empfehlungen abgeleitet werden.<br />
Potenzial für eine Optimierung besteht<br />
in einer verbesserten Organisation<br />
und einer höherwertigen Gestaltung<br />
des Angebots. Außer, dass mehr Zeit<br />
und deswegen mehr Förderstunden gefordert<br />
werden, scheint es noch eine Lücke<br />
in der Förderung des sozial-emotionalen<br />
Bereichs und im Sachunterricht<br />
zu geben, die geschlossen werden sollte.<br />
Neben diesem „Mehr“ an Unterstützung<br />
bestehen aber auch Bedarfe und<br />
Notwendigkeiten für Fortbildungen,<br />
Mentoringprogramme oder (Online-)<br />
Selbstlernangebote, die die Studierenden<br />
bei der Auswahl und der Erstellung<br />
von vielfältigerem, motivierendem, (digitalem<br />
und auch) spielerischem Material<br />
(z. B. über Kriterien oder Websites<br />
für „gutes“ Material für eigene Recherche)<br />
unterstützen würden. Auch Professionswissen<br />
zur Diagnose bzw. zu Qualitätskriterien<br />
guten Unterrichts könnte<br />
und sollte im Rahmen von (verpflichtenden)<br />
Ausbildungs- und Unterstützungsangeboten<br />
flankierend erweitert,<br />
in der Praxis angewandt und reflektiert<br />
werden. Zusätzlich sollten regelmäßige<br />
Zeitfenster für den Austausch zwischen<br />
den FEEn und den Lehrpersonen (z. B.<br />
mit kollegialen Fallberatungen, Dokumentations-<br />
und Diagnosebögen) sowie<br />
feste Ansprechpersonen an den Schulen<br />
oder Mentor:innen aus der begleitenden<br />
Universität eine passgenaue Begleitung<br />
und Unterstützung der FEEn garantieren<br />
und damit letztendlich den Kindern<br />
zugutekommen.<br />
Das Projekt „NachhilFEE“ stellt einen<br />
ersten Schritt in die richtige Richtung<br />
dar, um gerechtere Bildungsbedingungen<br />
zu schaffen und allen Kindern<br />
die gleichen Chancen auf einen erfolgreichen<br />
Bildungsweg zu ermöglichen.<br />
Das Projekt, das zunächst als Aufholmaßnahme<br />
nach der Corona-Pandemie<br />
vom Nürnberger Schulamt initiiert wurde,<br />
soll aufgrund seines Erfolgs auch unabhängig<br />
von der Pandemie fortgeführt<br />
werden. Damit sollen Kinder mit pädagogischen<br />
Bedürfnissen, sei es beim<br />
Aufholen von Wissensdefiziten oder im<br />
Hinblick auf Lern- und Arbeitsverhalten<br />
sowie die sozial-emotionale Entwicklung,<br />
unterstützt werden.<br />
Literaturangaben zum Artikel<br />
können Sie von unserer Website herunterladen:<br />
https://t1p.de/GSa168Lit<br />
30<br />
GS aktuell 168 • November 2024
Praxis: <strong>Beobachten</strong> – <strong>Staunen</strong> Rundschau<br />
– <strong>Forschen</strong><br />
Rundschau<br />
Aus dem Vorstand: Save the Date<br />
Jahrestagung 2025 am 22. Februar in Halle – Literatur auf<br />
der Spur. Literarische Bildung für die Grundschule<br />
Wir freuen uns sehr darüber,<br />
dass wir unsere bundesweite<br />
Jahresstagung 2025 am<br />
22. Februar 2025 in den Franckeschen<br />
Stiftungen in den Räumen der Martin-<br />
Luther-Universität Halle-Wittenberg als<br />
Grundschulverband e. V. in Kooperation<br />
mit der Landesgruppe Sachsen-Anhalt,<br />
der Martin-Luther-Universität und der<br />
AJuM der GEW Sachsen-Anhalt durchführen<br />
können, und laden Sie recht<br />
herzlich ein, an der Veranstaltung teilzunehmen.<br />
Die Jahrestagung 2025 des Grundschulverbandes<br />
richtet den Blick auf<br />
die literarische Bildung. Angelehnt an<br />
den Band 158 der Beiträge zur Reform<br />
der Grundschule – Literarische Bildung<br />
für die Grundschule – suchen wir nach<br />
Anschlussstellen, wie sich der Umgang<br />
mit Kinderliteratur mit den verschiedensten<br />
Anliegen des Bildungsraums<br />
Grundschule verbinden kann: Welche<br />
Bedeutung hat Kinderliteratur für den<br />
Schriftspracherwerb, aber auch für demokratische<br />
Bildung oder Bildung für<br />
nachhaltige Entwicklung? Wie kann mit<br />
Kinderliteratur im (Deutsch-)Unterricht<br />
gearbeitet werden? Welche Medienformate<br />
können genutzt werden? In<br />
welchem Verhältnis steht die literarische<br />
Bildung zu den Bildungsstandards?<br />
Welche Möglichkeiten bietet Kinderliteratur<br />
für einen individualisierten Unterricht<br />
in inklusiven Kontexten?<br />
Kinderliteratur gehört selbstverständlich<br />
in die Grundschule. In ihrer thematischen<br />
und literarischen Vielfalt scheinen<br />
Kinderbücher für die Leseförderung<br />
wichtig, ebenso wie auch im Rahmen<br />
des literarischen Lernens und der kulturellen<br />
und demokratischen Bildung.<br />
Dennoch ist ein genussvoller und intensiver<br />
Umgang mit Literatur angesichts<br />
vielfältiger Anforderungen an eine zeitgemäße<br />
Grundschulbildung nicht einfach<br />
umsetzbar. Haben wir überhaupt<br />
genügend Zeit für literarische Texte?<br />
Freuen Sie sich auf ein anspruchsvolles,<br />
vielseitiges und methodisch abwechslungsreiches<br />
Tagungsprogramm.<br />
Gerahmt von einem Grundlagenvortrag<br />
und einem Diskussionsforum bieten<br />
praxisnah konzipierte Workshops<br />
vielfältige Anregungen zum Nachdenken<br />
und Ausprobieren an. Auch das Vorabendprogramm<br />
der AJuM am 21. Februar<br />
lädt mit einer Buchlesung mit einer<br />
Kinderbuchautor:in zu einem literarischen<br />
Einstieg ein.<br />
Sind Sie interessiert? Sie finden ab<br />
dem 20. November das Programm und<br />
die Hinweise zur Anmeldung auf unserer<br />
Website.<br />
Vielen Dank! Wir freuen uns auf Sie!<br />
Für den Vorstand Marion Gutzmann<br />
Ein erster Einblick in das Programm<br />
Grundlagenvortrag<br />
Kinderliteratur für den Schriftspracherwerb<br />
(Prof. Dr. Lis Schüler, Berlin)<br />
Workshops u. a. zu folgenden Themen<br />
● Über Literatur im Unterricht sprechen<br />
(Dr. Christoph Jantzen, Hamburg, und<br />
Dr. Alexandra Ritter, Halle)<br />
● Jedes Kind liest sein eigenes Buch? Heterogenität<br />
als Chance<br />
(Astrid Dörnhoff, Berlin)<br />
● Kinderliteratur und ...<br />
– demokratische Bildung (Dr. Christian Fischer,<br />
Erfurt, und Prof. Dr. Michael Ritter, Halle)<br />
– Bildung für nachhaltige Entwicklung<br />
(Dr. habil. Elisabeth Hollerweger, Bremen)<br />
– interkulturelle Bildung und Mehrsprachigkeit<br />
(Dr. Nadine Naugk, Nina Conzen, Halle)<br />
● Literarische Medienbildung<br />
(Thekla Mayerhofer, Halle, und Ralph Thielbeer,<br />
Magdeburg)<br />
● Willkommen im Literarischen Café!<br />
(Claudia Rathmann, Ingolstadt)<br />
● Die Gestaltung von Raum und Impulsen für das<br />
selbstständige Lesen von Kinderliteratur im Unterricht<br />
(Nicole Tietze und Claudia Baark, Hamburg)<br />
● Lese-Hör-Kisten als (Vor-)Schuleinstieg in den<br />
Schriftspracherwerb?<br />
(Dr. Astrid Henning-Mohr, Universität Frankfurt)<br />
Austauschforum<br />
Für alle, die sich mit anderen Mitgliedern des Grundschulverbandes<br />
vernetzen wollen, wird parallel zu den Workshops<br />
ein Austauschformat angeboten.<br />
Diskussionsforum<br />
● Literarische Bildung im Zeitalter der Bildungsstandards<br />
– ein Widerspruch?<br />
(Marion Gutzmann, Vorsitzende Grundschulverband,<br />
Dr. Stefanie Granzow, Halle,<br />
Moderation: Dr. Christoph Jantzen)<br />
GS aktuell 168 • November 2024<br />
31
Praxis: Rundschau <strong>Beobachten</strong> – <strong>Staunen</strong> – <strong>Forschen</strong><br />
Aus dem Vorstand: Mehr als 100 Tage im Amt<br />
Vom Neustart beim Grundschulverband<br />
Wenn diese Zeitschrift<br />
erscheint, liegen zwei bedeutende<br />
Veranstaltungen hinter<br />
den Delegierten und dem Vorstand: die<br />
Delegiertenversammlung am 19. und<br />
20. April 2024 und die Delegiertenversammlung<br />
am 8. und 9. November 2024.<br />
Verbunden mit diesen beiden Daten ist<br />
zum einen die Entlastung des Vorstandes,<br />
der den Verband von 2020 bis 2024<br />
geführt hat, und der damit verbundene<br />
Abschied von Kolleginnen und Kollegen,<br />
die ihre Vorstandsarbeit beendet haben,<br />
sowie die Neuwahl des Vorstandes.<br />
Zum anderen konnte in einer ersten<br />
Bilanz nach 100 Tagen im Amt und mit<br />
Blick auf die Halbzeit zwischen zwei Delegiertenversammlungen<br />
der neue Vorstand<br />
in kurzer Zeit bereits viele Einblicke<br />
in die Vorstandaufgaben gewinnen<br />
und in einer sehr intensiven Phase<br />
der Zusammenarbeit den Austausch,<br />
die aktive Auseinandersetzung und die<br />
Lösungsfindung und Maßnahmenumsetzung<br />
in einem engagierten Team<br />
schätzen lernen. Darüber und über die<br />
Ausrichtung der Verbandsarbeit für die<br />
nächsten Jahre wurde mit den Delegierten<br />
in der Novemberveranstaltung beraten.<br />
Anforderungen an eine<br />
zukunftsfähige Grundschule<br />
Geleitet von der Frage, was in den nächsten<br />
Jahren für den Vorstand und den<br />
Verband auf dem Programm steht, zählt<br />
die strukturierte und gebündelte Weiterarbeit<br />
an der Umsetzung der vom<br />
Grundschulverband formulierten und<br />
auf dem Bundesgrundschulkongress<br />
2019 veröffentlichten „Anforderungen<br />
an eine zukunftsfähige Grundschule“ zu<br />
den wichtigsten Aufgaben. Nicht erst die<br />
aktuellen Wahlergebnisse in Thüringen,<br />
Sachsen und Brandenburg rücken das<br />
Thema Demokratiebildung dringlich in<br />
den Fokus von Schule. Noch immer sind<br />
die Rechte von Kindern in den Bundesländern<br />
unterschiedlich in die Landesverfassungen<br />
aufgenommen. Gerade das<br />
Recht auf Beteiligung hat nur in wenigen<br />
Ländern Verfassungsrang. Kindern und<br />
Jugendlichen sollten jedoch schon frühzeitig<br />
ernsthafte Selbst- und Mitbestimmungserfahrungen<br />
und somit ein tolerantes<br />
Miteinander ermöglicht werden<br />
– in einer demokratischen Schule für alle<br />
Kinder. Wegzeichnend ist hier das Projekt<br />
KINDER:RECHTE:SCHULE der<br />
Bremer Landesgruppe und des Projekts<br />
Eine Welt in der Schule, das im Juni die<br />
Erprobungsphase abgeschlossen hat und<br />
als Broschüre mit den aufgearbeiteten<br />
Erfahrungen zum Jahresende erscheinen<br />
wird. Der Vorstand wird die Verbreitung<br />
der Materialien unterstützen.<br />
Wahl der Fachreferentinnen und<br />
Fachreferenten<br />
Entscheidend für das Zusammenwirken<br />
von Schulpraxis, Wissenschaft und Bildungspolitik<br />
in Bereichen der bildungspolitischen,<br />
verbandsübergreifenden und<br />
Öffentlichkeitsarbeit ist die Zusammenarbeit<br />
mit den Fachreferentinnen und<br />
Fachreferenten und das Einbringen der<br />
wissenschaftlichen und professionellen<br />
Praxiserfahrungen in die Verbandsarbeit.<br />
In enger Abstimmung mit dem Team der<br />
„ehemaligen“ Fachreferentinnen und<br />
Fachreferenten sowie den Delegierten<br />
wurde in der November-Delegiertenversammlung<br />
für die nächste Wahlperiode<br />
die Einrichtung von fünf Fachreferaten<br />
beschlossen. Entscheidend für die Einrichtung<br />
der Fachreferate war in unserer<br />
Diskussion, welche Themen für die<br />
Arbeit in der Grundschule und für das<br />
Wirken des Verbandes in den nächsten<br />
Jahren bedeutsam sind. Bis zur Delegiertenversammlung<br />
im Mai wird die<br />
Der neue Vorstand stellt sich vor<br />
Vorsitzende:<br />
Marion Gutzmann,<br />
Rektorin i.R.,<br />
Brandenburg<br />
Stellvertretende<br />
Vorsitzende:<br />
Andrea Karlsberg,<br />
Leiterin der Primarstufenabteilung<br />
an der<br />
Winterhuder Reformschule,<br />
Hamburg<br />
Weiteres<br />
Vorstandsmitglied:<br />
Svenja Telle, Lehrerin an der<br />
Neuen Schule Wolfsburg,<br />
Niedersachsen<br />
Wir stehen ein für:<br />
eine starke Grundschule<br />
wertschätzenden<br />
Umgang mit Vielfalt<br />
bestmögliche<br />
Bildungschancen für alle<br />
Abbau von<br />
Bildungsungerechtigkeit<br />
demokratisches Handeln und<br />
Partizipation aller Beteiligten<br />
Kinder – Lernen – Zukunft<br />
Jetzt!<br />
Stellvertretende<br />
Vorsitzende:<br />
Eva Franz, Professorin für<br />
Grundschulforschung und<br />
Pädagogik der Primarstufe<br />
an der Universität<br />
Trier, Rheinland-Pfalz<br />
Weiteres<br />
Vorstandsmitglied:<br />
Konstanze von Unold,<br />
Rektorin an der<br />
Grundschule<br />
Baierbrunn, Bayern<br />
Weiteres<br />
Vorstandsmitglied:<br />
Maxi Brautmeier-Ulrich,<br />
Schulleiterin an der Grundschule<br />
Sande in Paderborn,<br />
Nordrhein-Westfalen<br />
32<br />
GS aktuell 168 • November 2024
Praxis: <strong>Beobachten</strong> – <strong>Staunen</strong> Rundschau<br />
– <strong>Forschen</strong><br />
Rundschau<br />
Einrichtung von ein oder zwei weiteren<br />
Fachreferaten beraten.<br />
Das Zusammenwirken von Mitgliedern<br />
und Verantwortlichen aus Schulpraxis,<br />
Wissenschaft und Bildungspolitik mit<br />
unterschiedlichen Alters- und Lebenserfahrungen<br />
wird es ermöglichen, den Verband<br />
in den nächsten Jahren auch mit<br />
Blick auf den Bundesgrundschulkongress<br />
2029 mit viel Schwung und Engagement<br />
zu führen und weiterzuentwickeln.<br />
Stärkung der Kooperationen mit<br />
den Bündnispartnern<br />
Nach außen wird der Vorstand die<br />
Kooperation mit den Bündnispartnern<br />
verstärken, die Sichtbarkeit des Verbandes<br />
und die bildungspolitische Wirksamkeit<br />
verstetigen und insbesondere<br />
die Arbeit in den Landesgruppen und<br />
deren Aktivitäten weiter unterstützen.<br />
Zu nennen wären hier z. B. die Kooperationen<br />
mit der GGG, dem Ganztagsschulverband<br />
e. V., dem Bündnis Eine<br />
Schule für alle, dem Verband der Sonderpädagogik<br />
e. V. und ganz neu: der<br />
Verband als Mitzeichner für den Bildungsdialog<br />
für Deutschland.<br />
Geplant ist u. a. die Herausgabe des<br />
Bandes 161 „Ganztagsbildung: Modelle,<br />
Qualität, Chancen“ in der Reihe der<br />
Bände zur Reform der Grundschule, der<br />
im November 2025 erscheinen und den<br />
Blick auf die Einlösung des Rechtsanspruchs<br />
auf ganztägige Bildung und Betreuung<br />
richten wird. Im Zusammenhang<br />
mit den gemeinsamen bildungspolitischen<br />
Forderungen der GGG, der<br />
GEW und des Grundschulverbandes<br />
und deren Berücksichtigung im Hinblick<br />
auf den Start des Startchancenprogrammes<br />
werden wir die Umsetzung in<br />
den Ländern verfolgen und unterstützen.<br />
Hier sind augenblicklich die Startbedingungen<br />
in einzelnen Bundesländern<br />
noch immer nicht geklärt, das Programm<br />
wird länderseitig bislang sehr<br />
unterschiedlich umgesetzt.<br />
Als Anfang Oktober dieses Jahres in<br />
Berlin der Deutsche Schulpreis verliehen<br />
worden ist, waren wir ein wenig enttäuscht,<br />
dass unter den Preisträgerschulen<br />
keine Grundschule war. Blickt man auf<br />
unsere Forderung des längeren gemeinsamen<br />
Lernens, finden wir jedoch die<br />
Grundschule u. a. bei den beiden Preisträgerschulen<br />
aus Berlin vertreten, in denen<br />
Kinder und Jugendliche von Beginn an<br />
bis zur Jahrgangsstufe 9 in jahrgangsübergreifenden<br />
Lerngruppen lernen, der Unterricht<br />
an den Bedarfen der Kinder und<br />
Jugendlichen ausgerichtet wird und im<br />
Bildungsverlauf der bestmögliche Schulabschluss<br />
erreicht werden kann. Wir gratulieren<br />
an dieser Stelle recht herzlich der<br />
Friedenauer Gemeinschaftsschule (mit<br />
gymnasialer Oberstufe) sowie der Wilhelm-von-Humboldt-Gemeinschaftsschule,<br />
vor allem auch der Hauptpreisträgerschule,<br />
der Siebengebirgsschule<br />
Bonn, einer Förderschule im Verbund.<br />
Großen Respekt zollen wir allen prämierten<br />
und insbesondere auch allen nominierten<br />
Schulen, die nach Berlin reisten<br />
und ebenfalls einen Anerkennungspreis<br />
mit nach Hause nehmen durften. Wir<br />
gratulieren recht herzlich der Geschwister-Scholl-Grundschule<br />
in Leipzig, der<br />
Grundschule Glücksburg in Schleswig-<br />
Holstein, der Grundschule Kirchdorf in<br />
Hamburg und der Grund- und Gesamtschule<br />
Glockseeschule Hannover. Schauen<br />
Sie einfach auf dem Deutschen Schulportal<br />
unter den Top-15-Schulen nach<br />
– es lohnt sich, für mehr gute (Grund-)<br />
Schulen im Land zu werben!<br />
In all unseren Vorhaben werden wir<br />
unser Augenmerk darauf ausrichten,<br />
Politik aufzufordern, ihrer Rechtsverpflichtung<br />
nachzukommen, Kinder und<br />
ihre Rechte mehr als bisher in den Mittelpunkt<br />
zu stellen und vor allem Kinder<br />
zu stärken, die strukturell benachteiligt<br />
sind. Es braucht Investitionen in<br />
Bildungschancen, vor allem in den immer<br />
noch nicht ausreichend finanzierten<br />
Grundschulbereich. Und: Kinder<br />
und die Grundschulen benötigen tagtäglich<br />
einen starken Fürsprecher, auch<br />
Ihre und unsere Fürsprache!<br />
Für den Vorstand<br />
Marion Gutzmann,<br />
Eva Franz, Andrea Karlsberg,<br />
Svenja Telle, Konstanze von Unold,<br />
Maxi Brautmeier-Ulrich<br />
Als Fachreferentinnen und Fachreferenten wurden gewählt<br />
Fachreferat:<br />
Future Learning und Digitalität<br />
Prof. Dr. Thomas Irion, Direktor des<br />
Zentrums für Medienbildung<br />
Abtlg.: Erziehungswissenschaft /<br />
Grundschulpädagogik,<br />
PH Schwäbisch Gmünd<br />
Fachreferat:<br />
Längeres gemeinsames Lernen,<br />
pädagogische Praxis und Ganztag<br />
Eva Osterhues-Bruns Fachberaterin<br />
für Unterrichtsqualität am Regionalen<br />
Landesamt für Schule und Bildung in<br />
Lüneburg, Niedersachsen<br />
Fachreferat:<br />
Kinderrechte, Zukunftsrechte,<br />
Inklusion und Demokratiebildung<br />
Prof.‘in Dr. Sabine Martschinke, Lehrstuhlinhaberin<br />
am Lehrstuhl für Grundschulpädagogik<br />
und -didaktik mit dem Schwerpunkt<br />
Heterogenität, FAU Erlangen-Nürnberg<br />
Fachreferat:<br />
Lernkulturen und Sachunterricht<br />
Prof. Dr. Markus Peschel<br />
Universitätsprofessor (W3)<br />
für Didaktik der Primarstufe mit dem<br />
Schwerpunkt Sachunterricht an der<br />
Universität des Saarlandes<br />
Fachreferat:<br />
Heterogenität und mathematisches Lernen<br />
Prof.‘in Dr. Uta Häsel-Weide, Professur für sonderpädagogische<br />
Förderung, im Fach Mathematik an der Universität Paderborn<br />
Prof. Dr. Marcus Nührenbörger, Professur für Didaktik<br />
der Mathematik mit dem Schwerpunkt Inklusion an der<br />
Universität Münster<br />
GS aktuell 168 • November 2024<br />
33
Praxis: Rundschau <strong>Beobachten</strong> – <strong>Staunen</strong> – <strong>Forschen</strong><br />
Lebenslanges Lernen – auch als Lehrkraft<br />
Lehrkraft sein – mit einem Blick zurück in zwei<br />
Bildungssysteme und einem Blick nach vorn<br />
Im Fokus von „Grundschule aktuell“<br />
Heft 167 standen die drei Phasen der<br />
Lehrkräftebildung und damit auch die<br />
vielfältigen Herausforderungen im Ausbildungs-<br />
und Berufsfeld. Im Redaktionsteam<br />
haben wir viele Gespräche über das<br />
Belastungserleben, die berufliche Zufriedenheit,<br />
den Umgang mit Heterogenität,<br />
die Feedbackkultur und die Zusammenarbeit<br />
geführt. Weniger zentral waren die<br />
eigene langjährige berufliche Entwicklung<br />
und das lebenslange Lernen auch als Lehrkraft.<br />
Mit den Wahlprognosen der letzten<br />
Monate ging sehr oft der Blick in die östlichen<br />
Bundesländer – wurden Bildungsbiografien<br />
und Traditionen in den Mittelpunkt<br />
gestellt und manchmal auch in<br />
Frage. Gerade vor diesem Hintergrund<br />
war es mir persönlich wichtig, mit einem<br />
Blick zurück und einem Blick nach vorn<br />
meinen Weg als Lehrkraft zu reflektieren.<br />
Von Anfang an mein Wunsch:<br />
Lehrerin werden!<br />
Als Älteste von vier Geschwistern war<br />
es seit meiner Kindheit mein Wunsch,<br />
Lehrerin zu werden und Kinder beim<br />
Lernen zu begleiten. Das persönliche<br />
Erleben, in den 60er-Jahren im heutigen<br />
Brandenburg in einer Schule von 1<br />
bis 10 gemeinsam länger lernen zu können,<br />
bestärkte diesen Wunsch. Prägend<br />
in meiner Schulzeit waren meine beiden<br />
Lehrerinnen für Russisch und Englisch,<br />
die mir die Freude am Sprachenlernen<br />
und Neugierde auf andere Kulturen<br />
vermittelt haben. Vor allem die<br />
Neugierde von jüngeren Kindern, ihre<br />
Begeisterungsfähigkeit und Dankbarkeit<br />
beeinflussten meine Entscheidung,<br />
im Grundschulbereich tätig zu werden.<br />
Von Anfang an war mir wichtig, jedes<br />
einzelne Kind mit seinen ganz besonderen<br />
Ansprüchen und Möglichkeiten<br />
ernst zu nehmen, vor allem aber darauf<br />
zu achten, dass Lernen den Kindern<br />
Freude bereitet und niemand zurückbleibt<br />
oder ausgeschlossen wird.<br />
Mit dem Blick zurück weiß ich, dass<br />
die sehr gute fachdidaktische Ausbildung<br />
am Landesinstitut für Lehrerbildung<br />
z. B. im Fach Deutsch mit seiner<br />
Ausrichtung auf alle Kompetenzbereiche,<br />
vom Schreibenlernen mit der<br />
Schulausgangsschrift über „Aufsatzerziehung“<br />
bis hin zur Arbeit mit Gedichten<br />
und mit Kinderliteratur oder speziell<br />
auf den Bereich Anfangsunterricht, eine<br />
gute Basis bot. Die andere Seite waren<br />
jedoch sehr präzise vorgeschriebene Unterrichtsinhalte<br />
im Lehrplan und in den<br />
Unterrichtshilfen sowie kleinteilige Hinweise<br />
und Vorschriften für die Umsetzung.<br />
Ich kann mich noch gut daran erinnern,<br />
dass eines der Ziele für den Anfangsunterricht<br />
der ersten Wochen darin<br />
bestand, das Ausgangsniveau der Kinder<br />
„anzugleichen“, was auch zu damaliger<br />
Zeit nicht gelingen konnte. Oder dass<br />
man in der Unterrichtswoche X in allen<br />
Klassen an allen Schulen z. B. das „E“<br />
eingeführt haben musste und unangenehme<br />
Fragen gestellt bekam, wenn den<br />
Kindern vorab mehr Zeit für die anderen<br />
Buchstaben gegeben worden war.<br />
Lehrkraft und Mutter sein?<br />
Nach dem Studium begann ich 1976 als<br />
Unterstufenlehrerin an einer Polytechnischen<br />
Oberschule, unterrichtete aber<br />
auch Englisch und Biologie in der 7.<br />
und 8. Klasse. Als berufstätige Lehrerin<br />
mit zwei Kindern kam ich wie alle Frauen<br />
in der DDR (mitunter auch Männer)<br />
in den Genuss von zwei Abminderungsstunden<br />
bei einer wöchentlichen Unterrichtsverpflichtung<br />
von 23 Stunden an<br />
sechs Unterrichtstagen. Darüber hinaus<br />
hatte ich als Klassenlehrerin eine weitere<br />
Abminderungsstunde, musste also nur<br />
20 Stunden an sechs Tagen unterrichten.<br />
In Monaten ohne Ferien bekamen verheiratete<br />
Lehrer:innen einen Haushaltstag,<br />
hier vertraten sich Kolleg:innen aus<br />
dem Hort und der Schule zum größten<br />
Teil wechselseitig.<br />
Veranstaltungen, die am Nachmittag<br />
lagen, etwa Pädagogische Konferenzen,<br />
mussten besucht werden. Hier waren die<br />
Öffnungszeiten der Kindergärten bzw.<br />
Krippen nicht passend und man musste<br />
dies jeweils persönlich anders organisieren,<br />
was oft eine Herausforderung darstellte<br />
aufgrund der verbreiteten Vollbeschäftigung<br />
im Familien- und Freundeskreis.<br />
Zu Beginn des Schuljahres 1988/1989<br />
wurde ich als Fachberaterin berufen und<br />
war an zwei bzw. drei Tagen in der Woche<br />
nicht im Unterricht eingesetzt. Dies<br />
war eines der Zeichen einer langsamen<br />
Öffnung des Systems – in den Jahren<br />
zuvor wäre dies ohne Parteidokument<br />
nicht möglich gewesen.<br />
Die Wende und das Neue<br />
Ende November und Anfang Dezember<br />
1989 wurden die Schulklassen samstags<br />
immer „leerer“ (die Familien fuhren<br />
nach Berlin zum Bummeln und Einkaufen)<br />
– schon bald wurde der unterrichtsfreie<br />
Samstag eingeführt. Ich bin<br />
oft nach Westberlin ins BIL (Berliner<br />
Institut für Lehrerbildung) gefahren und<br />
habe mich kreuz und quer durch die<br />
Lernwerkstatt gelesen. Dort lernte ich<br />
Peter Heyer, Mechthild Pieler und Ulla<br />
Widmer-Rockstroh kennen. Dadurch<br />
konnte ich an vielen Fortbildungsveranstaltungen<br />
für die Ostberliner Lehrkräfte<br />
bzw. an den Arbeitskreisen teilnehmen.<br />
Ich fuhr dann immer ganz „beunruhigt“<br />
nach Hause und wollte all das<br />
Neue mit in meinen Unterricht nehmen.<br />
Das erste Mal ohne Fibel<br />
Welch ein Glück, dass ich im Schuljahr<br />
1990/91 mit einer ersten Klasse starten<br />
durfte, in der ich dann das erste Mal ohne<br />
Fibel arbeiten konnte, beim Schriftspracherwerb<br />
mit der Druckschrift begann und<br />
all die pädagogischen Freiräume anders<br />
nutzen konnte. Mit Begeisterung erlebte<br />
ich, wie Kinder „anders“ als im Gleichschritt<br />
lernen können. Was vorher nicht<br />
vorstellbar war: Im Oktober konnten<br />
bereits zehn Kinder „richtig“ lesen!<br />
Der Lehrplan, ein schmales Heft, war<br />
auf einmal ganz anders und „unheimlich“<br />
frei gestaltet. Viele Lehrkräfte hatten<br />
mit dem von Inhalten völlig frei gestalteten<br />
Lehrplan Probleme, hier waren<br />
Lehrbücher ein Anker. Für mich selbst<br />
boten diese Freiräume die Chance, vieles<br />
zu erproben, was ich aus den Fortbildungen<br />
mitgenommen hatte.<br />
34<br />
GS aktuell 168 • November 2024
Praxis: <strong>Beobachten</strong> – <strong>Staunen</strong> Rundschau<br />
– <strong>Forschen</strong><br />
Rundschau<br />
Zum Schuljahr 1991/92 wurden in<br />
Fürstenwalde die zehn allgemeinbildenden<br />
Polytechnischen Oberschulen<br />
an das westdeutsche Schulsystem angepasst.<br />
„Fast über Nacht“ entstanden<br />
sechs Grundschulen, drei Oberschulen<br />
und zwei Gymnasien. Es fusionierten<br />
zwei Kollegien im Grundschulbereich aus<br />
zwei POS zu einer sechsjährigen Grundschule.<br />
Auf einmal waren wir drei- statt<br />
zweizügig und fast nur Frauen im Kollegium,<br />
auf einmal änderte sich die Altersstruktur,<br />
viele junge Kolleg:innen fehlten.<br />
Das Zusammenwachsen – sowohl auf<br />
Leitungs- als auch auf Kollegiumsebene<br />
– war nicht einfach, es gab viele Verunsicherungen,<br />
Ängste und auch Unverständnis<br />
über diese Entwicklung. Es gab Kolleg:innen,<br />
meist ältere und gestandene,<br />
die sich weigerten, in Klasse 5 und 6 zu<br />
unterrichten. Wir, die Mittdreißiger und<br />
Vierzigjährigen, „wuppten“ vieles von den<br />
neuen Anforderungen, weil wir Schule<br />
anders gestalten und weiterentwickeln<br />
wollten. Nach wie vor bin ich stolz darauf,<br />
dass wir in Berlin und Brandenburg eine<br />
sechsjährige Grundschule haben und damit<br />
ein Stück weit näher am „längeren gemeinsamen<br />
Lernen“ sind.<br />
Lesen ein Leben lang<br />
Als Kind war ich selbst eine Leseratte und<br />
habe manchmal heimlich unter der Bettdecke<br />
gelesen oder mich im Fliederbusch<br />
mit einem Buch versteckt. Dem Lesen bin<br />
ich bis heute treu geblieben und weiß um<br />
den Reichtum und das Glück des Lesens,<br />
die Hilfe und den Trost, die Bücher bieten<br />
können. Bücher und Geschichten vermitteln<br />
Haltungen und Erfahrungen, bieten<br />
Bezüge zum eigenen Leben und helfen,<br />
die Perspektive anderer einzunehmen,<br />
Empathie und Toleranz zu leben.<br />
Bücher haben mich in meinem Unterricht,<br />
später in meinen Fortbildungsveranstaltungen<br />
im Rahmen meiner Tätigkeit<br />
als Fachberaterin und von 2008 bis<br />
2022 als Referentin am Landesinstitut<br />
für Schule und Medien Berlin-Brandenburg<br />
begleitet. In meiner Tätigkeit im<br />
Redaktionsteam „Grundschule aktuell“<br />
freue ich mich immer sehr, wenn ich die<br />
beiden Kinderbuchseiten zum Thema<br />
der Zeitschrift moderieren kann. Zu erleben,<br />
wie Sprache in Gedichten und Geschichten<br />
wirken kann, wie ein noch ungewohnter<br />
oder ungewöhnlicher Wortschatz<br />
„aufgesogen“ wird, wie mit Figuren<br />
und ihren Erlebnissen mitgefiebert<br />
wird, lässt unsere Arbeit für die Kinder<br />
zu einer Art Lobby für das Lesen werden<br />
und sprachliches Handeln als bedeutsam<br />
erfahren. Es ist wichtig, dass alle Kinder<br />
in der Schule, unabhängig von der Anzahl<br />
der Bücher in den Elternhäusern<br />
und den Gepflogenheiten im Umgang<br />
damit, die Chance erhalten, Leserinnen<br />
und Leser werden zu können.<br />
Marion Gutzmann, ist Vorstandsmitglied<br />
der Landesgruppe<br />
Brandenburg und Vorsitzende des<br />
Grundschulverbandes, Rektorin i. R.<br />
Der Grundschulverband – mehr als<br />
ein berufliches Netzwerk<br />
Nach der Wende zeigte sich an Brandenburger<br />
Schulen eine weit verbreitete<br />
Reformbereitschaft der Lehrkräfte,<br />
eine sechsjährige Grundschule als Ort<br />
der Geborgenheit und Lernfreude zu<br />
gestalten. Unterstützend und ermutigend<br />
waren in dieser Zeit die Schriften<br />
des Grundschulverbandes zum offenen<br />
Unterricht, zum ganzheitlichen Lernen<br />
oder zur Leistungserziehung ohne<br />
Ziffernnoten. Mitstreiter:innen des<br />
Grundschulverbands wie Hans Brügelmann,<br />
Annemarie von der Groeben,<br />
Erika Brinkmann, Maresi Lassek oder<br />
Angelika Speck-Hamdan haben meine<br />
Haltung und mein pädagogisches<br />
Handeln geprägt. Der regelmäßige Austausch<br />
und die Begegnung mit anderen,<br />
die ähnlich denken, haben mich in<br />
meinem eigenen Handeln bestärkt, aber<br />
auch ermutigt, mit anderen Lehrkräften<br />
im Rahmen eines Arbeitskreises, später<br />
in Fortbildungen und im Brandenburger<br />
Netzwerk Grund- und Förderschulen<br />
Herausforderungen in der Arbeit<br />
mit Grundschulkindern gemeinsam zu<br />
meistern.<br />
Die Besuche im damaligen Berliner<br />
Landesinstitut BIL ließen mich jedes<br />
Mal mit einem „prallen Koffer voller<br />
Ideen“ nach Hause fahren und bereits<br />
am nächsten Tag in die Praxis umsetzen.<br />
Mechthild Pieler, damals im Vorstand<br />
der Landesgruppe Berlin, ermutigte<br />
mich, im Landesgruppenvorstand<br />
Brandenburg mitzuarbeiten und mich<br />
mit anderen gemeinsam für eine bessere<br />
Grundschule für alle Kinder landes- und<br />
bundesweit einzusetzen.<br />
1992 wurde ich Gründungsmitglied<br />
der Landesgruppe Brandenburg des<br />
Grundschulverbandes – hier waren die<br />
Berliner „Paten“, also auch Peter Heyer<br />
und Mechthild Pieler – und schon bald<br />
Delegierte der Landesgruppe beim Bundesvorstand<br />
des Grundschulverbandes.<br />
Unsere jährlichen Grundschulverbandsfachtagungen<br />
im Land Brandenburg waren<br />
in den Neunzigerjahren Großveranstaltungen<br />
mit mehr als 400 Teilnehmenden,<br />
die sich alle samstags trafen<br />
und Schule anders gestalten wollten.<br />
Heute denke ich über meine damalige<br />
Verunsicherung nach, ob ich gut genug<br />
für das neue Schulsystem sei. Auf alle Fälle<br />
gab sie mir Ansporn, mich auf Neues<br />
einzulassen und weiter zu lernen – und<br />
dies gibt wiederum dem recht, dass die<br />
Art des Lernens und die Gestaltung geneinsamer<br />
Lernprozesse in einem „offeneren“<br />
Schulsystem unbedingt eine Veränderung<br />
brauchten. In allen Schulformen<br />
und Schulstufen können heute Veränderungen<br />
vorgenommen werden, auch<br />
im Sinne eines längeren gemeinsamen<br />
Lernens aller Kinder. Für Kinder in der<br />
Grundschule wünsche ich mir vor allem<br />
Aufmerksamkeit, Achtsamkeit und eine<br />
förderliche Haltung gegenüber jedem<br />
Kind. So oft es geht möglichst genau hinzuhören<br />
und genau hinzusehen, dabei<br />
Respekt gegenüber den Besonderheiten<br />
jedes Kindes zu zeigen, seine Stärken zu<br />
entdecken und diesen Schatz in gemeinsamen<br />
Lerngelegenheiten zu nutzen.<br />
Als Mitglied des Grundschulverbandes,<br />
als Vorstandsmitglied und als jetzige<br />
Vorsitzende kann ich mich in einem starken<br />
Bündnis für eine Schule engagieren,<br />
die Kindern Raum bietet, miteinander<br />
und mit Erwachsenen aufmerksam zu leben,<br />
in der Kinder lernen und ihr Können<br />
zeigen können. Die Anerkennung<br />
der Leistungen des Grundschulverbands<br />
durch den Bundespräsidenten, Verantwortliche<br />
der Politik, Kultusministerien,<br />
Medien, Verbände, Elternvertretungen,<br />
Lehrkräfte und multiprofessionelle<br />
Teammitglieder macht Mut, den Einsatz<br />
für den Grundschulverband gestärkt fortzusetzen.<br />
<br />
Marion Gutzmann<br />
GS aktuell 168 • November 2024<br />
35
Praxis: Rundschau <strong>Beobachten</strong> – <strong>Staunen</strong> – <strong>Forschen</strong><br />
Themenkosmos Geschlecht – Gleichheit – Gerechtigkeit<br />
Gleich und gerecht?<br />
Die Zeitschrift<br />
„Eine Welt in der<br />
Schule“ erscheint<br />
zweimal jährlich.<br />
Ein Abo kostet<br />
18 Euro und beinhaltet<br />
zusätzlich den<br />
20% Rabatt<br />
für Mitglieder des<br />
Grundschulverbands<br />
und<br />
Referendar:innen!<br />
Zugang zur PDF-Version. Wir bieten auch<br />
Kombipakete zusammen mit dem Verleih<br />
unserer Materialkisten an. Der Erwerb von<br />
Einzelausgaben ist ebenso möglich.<br />
www.weltinderschule.<br />
uni-bremen.de/<br />
die-zeitschrift/<br />
inhalte-ausgaben.html<br />
Warum sollen sich schon<br />
Grundschüler:innen mit diesem<br />
Themenkomplex auseinandersetzen?<br />
Ist das nicht zu früh? Überfordert<br />
es die Kinder gar? Schon hörte<br />
ich die kritischen Stimmen in meinem<br />
Hinterkopf, als wir im Projekt über die<br />
nächste Ausgabe unserer Zeitschrift diskutierten.<br />
Es brauchte mehr Aufwand,<br />
überhaupt geeignete Schulprojekte und<br />
Autor:innen der unteren Klassen für diese<br />
Ausgabe zu finden, was zeigt, dass das<br />
Thema in den Schulen tatsächlich eher<br />
eine Randnotiz zu sein scheint. Umso<br />
wichtiger fanden wir es, eine ganze Ausgabe<br />
dazu zu konzipieren! Denn die Auseinandersetzung<br />
mit eigener Identität,<br />
gesellschaftlicher Positionierung, Privilegien<br />
und Diskriminierung aufgrund des<br />
Geschlechts sind keine Phänomene, die<br />
Kindern erst ab Klasse 5, 7 oder 9 begegnen.<br />
Das ist Alltag. Die Frage ist, ob jüngere<br />
Kinder das als solches bereits dezidiert<br />
spüren und benennen können. Die<br />
Unterscheidung in Jungen und Mädchen<br />
fängt bereits im Uterus an und ist in der<br />
Mehrheit der Fälle eine lebenslange<br />
Zuweisung. Die damit einhergehende<br />
Einsortierung in ein binäres Geschlechtssystem<br />
betrifft Kinder von Anfang an<br />
und wird im Grundschulalter verstärkt<br />
durch (unausgesprochene) Erwartungen<br />
an Verhalten und Leistung. Die Beschäftigung<br />
mit diesem Themenkomplex ist<br />
somit keine neue Erscheinung, sondern<br />
die Konsequenz aus tradierten gesellschaftlichen<br />
Vorstellungen, Rollenmustern<br />
und Entfaltungsmöglichkeiten, die<br />
ungleich verteilt sind.<br />
Doch nicht nur inhaltlich zeigt sich,<br />
dass es in der Grundschule bei diesem<br />
Thema Nachholbedarf gibt. So fragt auch<br />
eine Podcastfolge des Grundschulverbandes<br />
Bremen provokativ: Brauchen wir<br />
eine Männerquote in der Grundschule?<br />
Dr. Christoph Fantini von der Universität<br />
Bremen versucht zusammen mit seinem<br />
Team beim Projekt „Rent a teacher<br />
man“ mehr Studenten in die Grundschulen<br />
zu vermitteln. In vielen Einrichtungen<br />
gibt es keine oder nur sehr wenige Lehrer.<br />
Dabei zeigt ein Phänomen besonders<br />
plastisch, wie das Fehlen von Vorbildern<br />
und starre Rollenzuschreibungen<br />
den Erfahrungs- und auch Imaginationsspielraum<br />
von Kindern prägt: Als Studenten<br />
an einer Schule anfingen zu arbeiten,<br />
wurden sie in der ersten Zeit mit „Frau<br />
XY“ anstatt „Herr XY“ angesprochen. Die<br />
Kinder hatten noch keine Sprache dafür,<br />
mussten sich erst umgewöhnen und sich<br />
darüber klarwerden, dass auch Männer<br />
Lehrer sein können. Für Fantini grenzt es<br />
an institutionelle Diskriminierung, wenn<br />
Jungen nicht das Gefühl haben, im Sexualkundeunterricht<br />
ihre Fragen stellen zu<br />
können, weil ihnen männliche Bezugspersonen<br />
fehlen, die diesen Raum eröffnen.<br />
Wie muss es da erst queeren Kindern<br />
gehen, denen in ihrem Umfeld Ansprechpersonen<br />
fehlen, mit denen sie ihre<br />
Gedanken teilen können, frage ich mich.<br />
Fantini plädiert generell dafür, dass<br />
Kollegien in Grundschulen diverser aufgestellt<br />
sein sollten, wobei es dabei nicht<br />
nur um die Frage nach Geschlecht geht,<br />
auch Religion oder sozialer Hintergrund<br />
sind wichtige Faktoren bei der Zusammensetzung.<br />
Kindern werden durch unterschiedliche<br />
Rollenbilder mehr Identifikationsmöglichkeiten<br />
gegeben. Diese<br />
eröffnen ihnen Räume, unterstützen sie<br />
in ihrer Entwicklung und zeigen Perspektiven<br />
für die Zukunft auf: Jungen dürfen<br />
auch Grundschullehrer werden!<br />
Von der Struktur zurück zum Inhalt:<br />
Wie kann man das Thema nun konkret<br />
und mit einer globalen Perspektive in<br />
der Schule bearbeiten? Ganz praktisch<br />
versammelt die aktuelle Ausgabe der<br />
Rachel Rentz ist wissenschaftliche<br />
Mitarbeiterin im Projekt Eine Welt in<br />
der Schule in Bremen<br />
Zeitschrift „Eine Welt in der Schule“ eine<br />
Vielzahl an Herangehensweisen, die sich<br />
mit SDG 5 (Geschlechtergleichheit) auseinandersetzen.<br />
Zu Beginn findet sich wie<br />
gewohnt eine Kurzrezension zu Buch und<br />
Film „Das Mädchen Wadjda“, das den<br />
Wunsch, als saudi-arabisches Mädchen<br />
Fahrrad zu fahren, in einen Diskurs um<br />
Freiheit und Patriarchat setzt. Auf künstlerische<br />
Weise haben junge Menschen aus<br />
Simbabwe, Indien und Deutschland Geschlechtergerechtigkeit<br />
mit der Kinder-<br />
KulturKarawane auf die Bühne gebracht.<br />
Die Geschäftsführerin Behnaz Victoria<br />
Vassighi und die beiden Betreuer:innen<br />
Manju Vyas aus Mumbai und Innocent<br />
Nkululeko Dube aus Bulawayo schreiben<br />
über den künstlerischen Prozess ihrer<br />
Gruppen, das Thema zu bearbeiten. Der<br />
Chat der Welten als digitaler Live-Austausch<br />
brachte Schüler:innen aus Gulu<br />
in Uganda ins deutsche Klassenzimmer<br />
nach Hürth und umgekehrt. Die Organisatorin<br />
Alessia Zani, die Bildungsreferentin<br />
Sandra Busch und der Aktivist Solomon<br />
Rackara stellen ihre Erkenntnisse<br />
aus dem Chat in diesem Artikel zusammen.<br />
Handwerklich ging es zu an einer<br />
Berliner Schule: Nach einer thematischen<br />
Auseinandersetzung mit SDG 3 Gesundheit<br />
und Wohlergehen, 4 Hochwertige<br />
Bildung, 5 Geschlechtergleichheit und<br />
6 Sauberes Wasser und Sanitäreinrichtungen<br />
gestaltete eine Projektgruppe die<br />
Schultoiletten nach ihren Bedürfnissen<br />
um. Ihre Lehrerin Franziska Böhmecke-<br />
Schwafert berichtet über die Arbeit an<br />
dem Tabuthema und zeigt Wege zu einem<br />
partizipativen Umgang mithilfe des Design-Thinking-Ansatzes.<br />
Ebenso themati-<br />
36<br />
GS aktuell 168 • November 2024
Praxis: <strong>Beobachten</strong> – <strong>Staunen</strong> Rundschau<br />
– <strong>Forschen</strong><br />
Rundschau<br />
sieren die Copy-to-go-Seiten Geschlechtergerechtigkeit<br />
im Zusammenhang mit<br />
dem Zugang zu Toiletten. Mit der Organisation<br />
Goldeimer wurde diese Kopiervorlage<br />
konzipiert, die direkt im Unterricht<br />
eingesetzt werden kann. Studierende<br />
der Universität Kassel haben Projekttage<br />
speziell für Grundschulen entwickelt, die<br />
globale Perspektiven auf Geschlechtsfragen<br />
thematisieren und sogar ein digitales<br />
Expert:inneninterview beinhalten, das die<br />
Schüler:innen selbstständig durchführen.<br />
In weiteren drei Artikeln wird ein eingehender<br />
Blick auf inhaltliche Bildungsmaterialien<br />
zu Geschlechtergerechtigkeit<br />
geworfen: ein Online-Materialfundus<br />
von Südwind aus Niederösterreich<br />
wird vorgestellt, eine Checkliste vom<br />
EPiZ Reutlingen gibt Tipps, wie eigenes<br />
Unterrichtsmaterial kritisch überarbeitet<br />
werden kann, und Material von Misereor<br />
zeigt auf, wie das Thema anhand von<br />
Bildungszugängen von Frauen und Mädchen<br />
in Madagaskar bearbeitet werden<br />
kann. Die Zeitschrift versammelt innovative<br />
Beispiele der Auseinandersetzung<br />
mit einem (noch zu) wenig bearbeiteten<br />
Komplex in den Schulen.<br />
Zum Schluss greife ich den wichtigen<br />
Gedanken von Solomon Rackara aus<br />
dem Artikel zum Chat der Welten auf:<br />
Geschlecht ist nicht nur eine Diskussion<br />
über Mann und Frau, sondern muss alle<br />
Identitäten in den Blick nehmen. Genauso<br />
wie die Frage nach Gerechtigkeit.<br />
Rachel Rentz<br />
Der erwähnte Podcast „Brauchen wir<br />
eine Männerquote in der Grundschule?“<br />
des Grundschulverbands Bremen vom<br />
April 2023 ist verfügbar unter<br />
https://t1p.de/abcxs<br />
[abgerufen am 19.09.2024]<br />
Drei Praxisbegegnungen in Hamburg und Schleswig-Holstein<br />
Lehrkraft an einem prekären Standort – herausfordernd<br />
und besonders<br />
Besonders Schulen in herausfordernden<br />
Sozialräumen, sogenannten<br />
Brennpunkten, sind vom Mangel<br />
an Lehrkräften betroffen, weil Bewerber_innen<br />
ausbleiben bzw. eine Tätigkeit<br />
dort bewusst nicht aufnehmen möchten<br />
(vgl. El-Mafaalani, Deutsches Schulportal).<br />
Anforderungen an Lehrkräfte für<br />
eine zukunftsfähige Schule beschreibt die<br />
Ständige Wissenschaftliche Kommission<br />
der Kultusministerkonferenz (SWK)<br />
umfänglich. Professionell arbeitende<br />
Lehrkräfte verfügen demnach über ein<br />
umfassendes und differenziertes Wissen<br />
im fachlichen, didaktischen und pädagogisch<br />
sowie psychologischen Bereich, sie<br />
sind in der Lage, umfangreich zu diagnostizieren,<br />
zu fördern, sich und Unterricht<br />
zu reflektieren und Schulentwicklung<br />
zielführend und kollegial zu gestalten.<br />
Dabei werden sie von „professionellen<br />
Überzeugungen, motivationalen<br />
Orientierungen und Selbstregulierungsfähigkeiten“<br />
geleitet (vgl. SWK, 4).<br />
Für die Arbeit an Schulen in herausfordernden<br />
Lagen braucht es zudem vor allem<br />
Offenheit, Toleranz und Einfühlungsvermögen.<br />
Und (auch) mehr Lehrkräfte!<br />
Besondere Herausforderungen an<br />
Schulen in prekären Lagen<br />
An Schulen in benachteiligten Stadtteilen<br />
oder strukturschwachen Gegenden<br />
fühlen Lehrkräfte sich mitunter erst<br />
in zweiter Linie als Wissenvermittler_<br />
innen, weil sie immer mehr die Arbeit<br />
von Sozialarbeiter_innen mit übernehmen<br />
müssen. Das setzt Resilienz und<br />
Teamfähigkeit voraus.<br />
„Wir sind ein gutes Team und halten<br />
zusammen“, so Vera Hegener, Beratungslehrerin<br />
an der Schule Kroonhorst in<br />
Hamburg-Osdorf. Dies sei eine Grundvoraussetzung,<br />
um den Herausforderungen<br />
des schulischen Alltags an ihrem<br />
Standort begegnen zu können.<br />
Schulen in prekären Lagen einen oft<br />
Faktoren wie<br />
● eine sehr heterogene, multinationale<br />
und multisprachliche Schülerschaft<br />
mit unterschiedlichen kulturellen<br />
und religiösen Prägungen<br />
● prekäre familiäre Verhältnisse<br />
● kritische wirtschaftliche Verhältnisse<br />
● herausfordernde Wohnsituationen<br />
und / oder eine wenig kindgerechte<br />
(oft städtische) Umgebung<br />
● ein sehr heterogenes Leistungsspektrum<br />
● ein verhältnismäßig großer Anteil an<br />
Kindern mit besonderem Unterstützungsbedarf<br />
Bianca Neugebauer beobachtet, dass<br />
viele Kinder früh auf sich gestellt sind<br />
und Schule regelrecht zur Heimat wird.<br />
Hürden für eine gelingende Elternarbeit<br />
sehen sie und Vera Hegener z. B. in<br />
● sprachlichen Barrieren<br />
● fehlendem Interesse<br />
● fehlenden Möglichkeiten (wenn Eltern<br />
z. B. selbst keine schulische Bildung<br />
erhalten haben, beide Elternteile<br />
arbeiten, Alleinerziehende)<br />
● unterschiedlichen Erziehungsstilen<br />
und -vorstellungen<br />
● veränderten Familienstrukturen<br />
Das Unterrichten rücke immer mehr in<br />
den Hintergrund, berichtet Bianca Neugebauer,<br />
Schulleiterin der Katholischen<br />
Bonifatiusschule in Hamburg-Wilhelmsburg.<br />
Die Kolleg_innen arbeiten zunächst<br />
mit den Kindern daran, den „Kopf frei<br />
für das Lernen“ zu bekommen, Aufmerksamkeit<br />
zu trainieren und Abläufe zu festigen.<br />
Ein belastender Faktor ist der stetig<br />
zunehmende Verwaltungsaufwand,<br />
den Lehrkräfte übernehmen müssen, damit<br />
Schüler_innen z. B. an Ausflügen und<br />
Klassenfahrten teilnehmen können oder<br />
gezielt gefördert werden können. Auch<br />
die Absprachen im multiprofessionellen<br />
Team erfordern zusätzlich viel Zeit, ebenso<br />
wie Kommunikations- und Fürsorgearbeit<br />
mit den Familien. Diese Einschätzung<br />
teilt Mareike Grothmann, Lehrerin<br />
an der Albert-Schweitzer-Schule in Wedel,<br />
Schleswig-Holstein. Viele Lehrkräfte<br />
arbeiten wie sie in Teilzeit. Mit einer vollen<br />
Stelle fühlen sich etliche Lehrkräfte<br />
überfordert, guten Unterricht vorzubereiten<br />
bei den vielen Verwaltungsaufgaben.<br />
GS aktuell 168 • November 2024<br />
37
Praxis: Rundschau <strong>Beobachten</strong> – <strong>Staunen</strong> – <strong>Forschen</strong><br />
„Ich bin wirklich gerne an<br />
der Schule, weil ich mit<br />
kleinen Stellschrauben viel<br />
erreichen kann.“<br />
Mareike Grothmann<br />
Gelingensbedingungen<br />
für die Arbeit<br />
Ein afrikanisches Sprichwort sagt, es<br />
bräuchte ein ganzes Dorf, um ein Kind<br />
zu erziehen. Für Schulen in besonders<br />
herausfordernden Lagen kann<br />
man sagen, dass es einen ganzen Stadtteil<br />
braucht, um erfolgreiche Bildungsarbeit<br />
zu leisten. „Wir investieren viele<br />
Ressourcen in das soziale Lernen“,<br />
so Bianca Neugebauer. Dafür hat die<br />
Schule gezielt nach Konzepten gesucht,<br />
die sinnvoll für den Schulstandort sind.<br />
Auch an der Albert-Schweitzer-Schule<br />
greifen die Lehrkräfte auf Sozialtrainings<br />
und präventive Konzepte zurück.<br />
„Es ist gut, dass wir ein multiprofessionelles<br />
Team haben“, so Mareike Grothmann.<br />
Neben fachlichem und sozialem<br />
Lernen steht die Stärkung der Basiskompetenzen<br />
und der lebenspraktischen<br />
Kompetenzen im Vordergrund.<br />
Beispielhaft für erprobte Projekte und<br />
Maßnahmen seien genannt:<br />
● Beziehungsarbeit, z. B. gemeinsames<br />
Mittagessen<br />
● Klassenrat<br />
● Streitschlichter, Pausenengel<br />
● Prima Klima<br />
● Gewaltprävention<br />
● Gesundheitsförderung z. B. durch<br />
Förder- und Stiftungsprogramme<br />
wie Schulobst oder Brotzeit<br />
Zu den strukturellen Gelingensbedingungen<br />
zählen u. a.:<br />
● multiprofessionelles Team, Schulsozialarbeit,<br />
Sozialpädagogen<br />
● enge Zusammenarbeit mit Hort/<br />
Ganztag<br />
● klare Tagesstruktur/Rhythmisierung<br />
● Öffnung in den Sozialraum / Kooperationspartner<br />
im Umfeld<br />
Offene und niedrigschwellige Angebote<br />
für Eltern sind wichtig und hilfreich in<br />
der Arbeit mit den Familien. Elterncafé<br />
oder Stammtisch und Beratungsangebote<br />
ebnen den Weg in die Schule für<br />
Eltern, die sich nicht trauen oder Schule<br />
nicht als Ort des Miteinanders kennen.<br />
Eine gute Vernetzung im Sozialraum<br />
ist zudem wichtig. Die Schule Kroonhorst<br />
macht gute Erfahrungen damit,<br />
dass die Sozialpädagogin über ein Sozialraumteam<br />
mit anderen Kooperationspartnern<br />
im Stadtteil gut vernetzt ist.<br />
In anderen Bereichen übernehmen<br />
Sprach- und Kulturmittler_innen nicht<br />
nur die Arbeit des Dolmetschens, sondern<br />
klären auch über kulturelle Unterschiede<br />
auf und vermitteln hier, sodass<br />
Schule und Elternhäuser einander besser<br />
verstehen und das Handeln des anderen<br />
nachvollziehen können. Auch auf andere<br />
externe Kooperationspartner sind die<br />
Schulen angewiesen, um ihrer Aufgabe<br />
gerecht zu werden. Träger der Jugendhilfe<br />
können sowohl im Ganztag eingebunden<br />
sein als auch ergänzend z. B. in der<br />
Elternarbeit unterstützen. Ehrenamtlich<br />
werden die Schulen u. a. durch das Programm<br />
der Lesementoren unterstützt.<br />
Maren Barck hat bis vor Kurzem eine<br />
Grundschule in Schleswig-Holstein geleitet.<br />
Sie ist stellvertretende Referatsleitung<br />
für Schulaufsicht und schulfachliche<br />
Beratung in der Abteilung<br />
Schule und Hochschule im Erzbistum<br />
Hamburg<br />
Erfolge der Arbeit<br />
Bianca Neugebauer erklärt, was die Kolleg_innen<br />
an ihrer Schule trotz aller<br />
Schwierigkeiten zufrieden mit ihrer<br />
Arbeit macht. „Die Familien und ihre<br />
Kinder fühlen sich bei uns bzw. unseren<br />
Lehrkräften gut aufgehoben.“ So erfahren<br />
die Kolleg:innen immer wieder eine<br />
Wertschätzung ihrer Arbeit. Sie schätzt<br />
an ihrer Schule die Freiheit und Flexibilität,<br />
bedarfs- und bedürfnisgerecht<br />
arbeiten zu können. „Wenn die Kinder<br />
erfolgreich sind, indem die Basiskompetenzen<br />
erreicht werden, dann waren<br />
auch wir mit unserer Arbeit erfolgreich.“<br />
Trotz aller Belastungen bleiben<br />
viele Kolleg:innen gern und lange an der<br />
Bonifatiusschule. Nicht für alle, aber für<br />
viele Lehrkräfte gilt: „Wer kommt, der<br />
bleibt“, ergänzt Vera Hegener für die<br />
Schule Kroonhorst. „Wir sind eine bunte<br />
Schulfamilie, in dieser Vielfalt liegt<br />
unsere Stärke.“<br />
Auch Mareike Grothmann arbeitet<br />
gern an ihrer Schule. „Ich lerne viel von<br />
meinen Schülerinnen und Schülern. Die<br />
kulturelle Vielfalt lässt Nachfragen und<br />
Kommunikation entstehen, die ich oft<br />
als bereichernd empfinde, nicht nur als<br />
Religionslehrerin.“<br />
Es sind neben alltäglichen Erfolgen<br />
(funktionierende Klassengemeinschaften,<br />
situationsgerechtes Verhalten, regelmäßiger<br />
Schulbesuch) emotionale<br />
Erfolgsstorys, die in der Arbeit an ihren<br />
Schulen bestätigen. Ein Kind, das immer<br />
wieder nicht gut lernen kann, weil<br />
es Angst davor hat, dass der Aufenthaltstitel<br />
nicht verlängert wird, braucht<br />
eine zugewandte Haltung der Lehrkräfte.<br />
„Wenn Eltern sich Jahre später für<br />
die Arbeit und Unterstützung bedanken<br />
oder die Jugendlichen ihren Weg machen,<br />
dann freut mich das und betätigt<br />
mich in meiner Arbeit“, sagt Mareike<br />
Grothmann.<br />
Die Arbeit an Schulen in herausfordernden<br />
Lagen ist genau das – eine Herausforderung.<br />
Deshalb brauchen gerade<br />
diese Schulen dringend eine gute<br />
Personalausstattung / multiprofessionelle<br />
Teams (vgl. El-Mafaalani, Deutsches<br />
Schulportal), damit Bildung und Teilhabe<br />
gewährleistet werden und Arbeitsbedingungen<br />
überzeugend sind. Noch sind<br />
sie das oft nicht, weil das qualifizierte<br />
Personal fehlt.<br />
Maren Barck<br />
Literaturangaben zum Artikel<br />
können Sie von unserer Website herunterladen:<br />
https://t1p.de/GSa168Lit<br />
38<br />
GS aktuell 168 • November 2024
Praxis: <strong>Beobachten</strong> – <strong>Staunen</strong> Rundschau<br />
– <strong>Forschen</strong><br />
Rundschau<br />
Rechtsanspruch auf ganztägige Bildung und Betreuung<br />
Von der Vielfalt der Modelle, von Initiativen für eine<br />
qualitativ hochwertige Umsetzung des Ganztagsförderungsgesetzes<br />
und der Frage: Was ist guter Ganztag?<br />
Mit den nachfolgenden Überlegungen<br />
eröffnet dieser Beitrag<br />
in Grundschule aktuell eine<br />
Reihe, die sich mit dem Rechtsanspruch<br />
auf ganztägige Förderung von Grundschulkindern<br />
unter verschiedenen<br />
Gesichtspunkten befassen wird.<br />
Grundschulkinder haben ab 2026 stufenweise<br />
beginnend mit der ersten Klassenstufe<br />
einen Anspruch auf Ganztagsbildung,<br />
so haben Bundestag und Bundesrat<br />
mit dem Gesetz zur ganztägigen<br />
Förderung von Kindern im Grundschulalter<br />
(s. Link 1). Die Kultusministerkonferenz<br />
(KMK) verabschiedete dazu im<br />
Oktober 2023 Empfehlungen zur Weiterentwicklung<br />
der pädagogischen Qualität<br />
der Ganztagsschule und weiterer<br />
ganztägiger Bildungs- und Betreuungsangebote<br />
für Kinder im Grundschulalter<br />
(s. Link 2). Die Ganztagsentwicklung<br />
wird demnach in den kommenden<br />
Jahren richtig Fahrt aufnehmen müssen,<br />
die Schulen beschäftigen, aber auch die<br />
Länder und Kommunen bei der Finanzierung<br />
und Personalausstattung unter<br />
Druck setzen. 33 Verbände und Organisationen<br />
haben einen Aufruf für eine<br />
qualitativ hochwertige Umsetzung des<br />
Ganztagsförderungsgesetzes (s. Link 3)<br />
veröffentlicht, um in dem Prozess die<br />
Umsetzung von Qualitätskriterien einzufordern.<br />
Ganztägige Bildung und Betreuung<br />
werden überwiegend in Ganztagsgrundschulen<br />
angeboten, häufig in Kooperation<br />
mit der Kinder- und Jugendhilfe oder in<br />
einer Kombination von Schule und Hort.<br />
Dabei werden nicht nur unterschiedliche<br />
Modelle umgesetzt wie: gebundene, teilgebundene<br />
und offene Ganztagsschulen,<br />
es sind auch grundsätzlich drei Trägerkonstruktionen<br />
zu unterschieden:<br />
Angebote in Verantwortung der Schule<br />
… die von der KMK dann als Ganztagsschulen<br />
eingeordnet werden, wenn<br />
sie an mindestens drei Tagen in der Woche<br />
ein ganztägiges Angebot von mindestens<br />
sieben Zeitstunden inklusive<br />
Mittagessen anbieten.<br />
Angebote in Verantwortung der<br />
Kinder- und Jugendhilfe<br />
… die als eigenständige Horte geführt<br />
oder in Kindertageseinrichtungen organisiert<br />
sind, die von Schulkindern und<br />
von Kita-Kindern besucht werden.<br />
Weitere Angebote (überwiegend in<br />
westlichen Bundesländern)<br />
… die weder in der Verantwortung der<br />
Schule noch in der Verantwortung der<br />
Kinder- und Jugendhilfe liegen und in der<br />
Regel kürzere Betreuungszeiten anbieten.<br />
Damit ist ein bunter Angebotsstrauß<br />
von Betreuungsmodellen aufgelistet, der<br />
allerdings Fragen aufwirft, wenn es um<br />
Qualitätsansprüche an die Bildungsbedingungen<br />
für Kinder, an die Arbeitsbedingungen<br />
der Pädagog:innen und an<br />
die Eignung der Gebäude geht. Wie steht<br />
es zudem um Anforderungen wie Beziehungsaufbau<br />
und Kontinuität für die<br />
Kinder und deren Rechte, wenn diese<br />
gegenüber den Betreuungsbedarfen von<br />
Eltern und die Bedingungen von Anbietern<br />
bzw. die Finanzierungsmöglichkeiten<br />
zurücktreten müssen?<br />
Worum und nach wessen<br />
Bedürfnissen soll es in der<br />
Ganztagsversorgung gehen?<br />
Bekannt ist die politische Absicht, die<br />
Betreuungslücke nach der Einschulung<br />
über die Ganztagsangebote für Grundschulkinder<br />
zu schließen und eine bessere<br />
Vereinbarkeit von Familie und<br />
Beruf zu erreichen. Daraus erwächst<br />
aber gleichzeitig die gesellschaftliche<br />
Verantwortung, den Ganztagsausbau<br />
an einer hohen Angebots- und Bildungsqualität<br />
zu orientieren und seine<br />
Potenziale auf gute Bildungs- und Entwicklungschancen<br />
der Kinder auszurichten.<br />
Bekannt ist auch, wie unterschiedlich<br />
über Jahre gewachsene Konzepte der<br />
Kinderbetreuung in den Bundesländern<br />
sind, Entwicklungen, die von bildungspolitischen<br />
Vorstellungen geprägt sind,<br />
aber eben auch von der Ausgangslage<br />
hinsichtlich der Personalausstattung,<br />
Maresi Lassek, Mitglied im Vorstand<br />
der GSV-Landesgruppe Bremen<br />
der Verfügbarkeit von Gebäuden und<br />
der Verwaltungsvorgänge. Gesetzlich<br />
festgelegt ist der individuelle Rechtsanspruch<br />
eines jeden Kindes, jedoch nicht,<br />
mit welchen Angeboten dieser umgesetzt<br />
wird.<br />
Der Grundschulverband vertritt, dass<br />
trotz unterschiedlicher Ausgangslagen<br />
in der Entwicklung der Ganztagsversorgung,<br />
die gebundene Ganztagsschule das<br />
Ziel ist.<br />
Links<br />
Link 1)<br />
bmfsfj.de/bmfsfj/service/<br />
gesetze/gesetzrechtsanspruchganztagsbetreuunggrundschulen-178966)<br />
Link 2)<br />
kmk.org/fileadmin/<br />
veroeffentlichungen_<br />
beschluesse/2023/2023<br />
_10_12-Ganztag-<br />
Empfehlung.pdf<br />
Link 3)<br />
dkjs.de/gemeinsameraufruf-fuer-qualitaetim-ganztag/<br />
Link 4)<br />
grundschulverband.de/<br />
wp-content/<br />
uploads/2019/04/<br />
Standpunkt-<br />
Ganztagsschule.pdf<br />
GS aktuell 168 • November 2024<br />
39
Praxis: Rundschau <strong>Beobachten</strong> – <strong>Staunen</strong> – <strong>Forschen</strong><br />
Für den Umbau zur Ganztagseinrichtung<br />
braucht es Initiative und den Mut,<br />
Schule anders zu denken, am Standort<br />
bestehende Strukturen und Entwicklungen<br />
auszuloten, Anforderungen zu sichten,<br />
Bündnispartner zu finden. Auch<br />
zu schauen, was im Bundesland in der<br />
Kommune möglich ist, und Beispiele für<br />
Ganztagsgestaltung, politische Vorgaben<br />
und Ressourcen zu prüfen. Bei der Vielfalt<br />
der Modelle muss abgewogen werden,<br />
was für einen Standort passt und<br />
gemessen an den Bedingungen umsetzbar<br />
ist.<br />
Die Reihe zum Ganztag wird die unterschiedlichen<br />
Angebote von Ganztagsbetreuung<br />
und Ganztagsschule auf den<br />
Prüfstand stellen, die Meinungen von<br />
Verbänden und Expert:innen einbeziehen<br />
und immer wieder fragen: Was ist<br />
ein guter Ganztag?<br />
Mit diesen und weiteren Punkten wollen<br />
wir uns in der Reihe befassen, dazu<br />
Berichte einbringen und mit Ihnen diskutieren.<br />
Unterschiedliche Meinungen,<br />
wissenschaftliche Aussagen und Praxiserfahrungen<br />
sollen zu Wort kommen<br />
und politische Absichten zur Ganztagsschulentwicklung<br />
hinterfragt werden.<br />
Der Grundschulverband hat seine<br />
Positionen und Forderungen in einem<br />
Standpunkt zum Ganztag zusammengefasst:<br />
Mehr Zeit für Kinder. Das Recht<br />
auf eine qualitätsvolle ganztägige Bildung<br />
(s. Link 4).<br />
Daran müssen sich die Modelle messen<br />
lassen, die Ressourcenausstattung<br />
und die bildungspolitischen Vorgaben.<br />
Als Anliegen wird weiterhin mitschwingen:<br />
Wie kann sich eine Schule auf den<br />
Weg zum Ganztag machen, obwohl sich<br />
Startbedingungen deutlich unterscheiden?<br />
Gerne können Sie als Leser:innen Perspektiven<br />
aus Ihrem Bundesland und aus<br />
Ihrer Praxiserfahrung einbringen, bitte<br />
lassen Sie die Redaktion davon wissen.<br />
Maresi Lassek<br />
Wir brauchen eine humane Schule<br />
Gerald Klenk im Gespräch mit Tim Wiegelmann<br />
Tim Wiegelmann ist Schüler, Autor und<br />
hat eine körperliche Behinderung; er<br />
erläutert seine Gedanken und Erfahrungen<br />
in seiner Schullaufbahn.<br />
Gerald Klenk: Hallo Tim! Du nennst<br />
dich Bildungsrebell, bist aber auch<br />
Botschafter für humane Bildung. Was<br />
bedeutet das für Dich?<br />
Tim Wiegelmann: Bildungsrebell bedeutet<br />
für mich, dass unser Schulsystem<br />
nicht die erforderlichen Voraussetzungen<br />
erfüllt, die es braucht, um Bürger:innen<br />
für eine demokratische Gesellschaft<br />
zu bilden. Schule trennt in Gewinner<br />
und Verlierer, dagegen wende ich mich.<br />
Gleichzeitig will ich auch ausdrücken,<br />
wofür ich bin: für eine humane Schule.<br />
GK: Deine Schullaufbahn war ja sehr<br />
kurvenreich.<br />
TW: Ich war ja mein Leben lang an Förderschulen<br />
und ich bin es auch jetzt<br />
noch. Meine Eltern haben versucht,<br />
mich aus dem darwinistischen Leistungskampf<br />
der Regelschule rauszuhalten.<br />
Sie hatten die Humanität eher an<br />
den Förderschulen gesehen. Leider war<br />
es mir in diesen Strukturen nur möglich,<br />
einen Hauptschulabschluss zu<br />
machen. Und damit zähle ich zu den<br />
bildungsfernen Menschen. Ich frage<br />
mich, was gewesen wäre, wenn mir die<br />
Welt ganz grundsätzlich offengestanden<br />
hätte, wenn ich mit Menschen hätte in<br />
Kontakt treten können, die in den Feldern<br />
drin sind, die mich interessieren.<br />
Und da spielt das Ganze, ob Behinderung<br />
oder nicht, gar keine Rolle, weil<br />
ich mich nicht in einer fiktiven Schule,<br />
in einem fiktiven Gebäude bewege, sondern<br />
ich lerne im Leben.<br />
Natürlich könnte ich Abitur machen,<br />
was ich auch versuchen werde, aber ich<br />
sehe es nicht ein, dass ich mich erst in<br />
die Gesellschaft hineinkämpfen muss.<br />
Die Aufgabe der Schule ist es eigentlich,<br />
ein grundlegendes Gefühl zu vermitteln:<br />
Wir finden euch alle super, wir brauchen<br />
genau dich in dieser Gesellschaft. Denn<br />
wenn wir dich verlieren, haben wir einen<br />
Pool an neuen Ideen verloren, die du potenziell<br />
in die Welt bringen könntest.<br />
GK: Was war in deiner bisherigen<br />
Schullaufbahn das schönste Erlebnis?<br />
TW: Ich würde das nicht auf ein Erlebnis<br />
eingrenzen, sondern allgemein sagen,<br />
dass ich das Glück hatte, dass ganz viele<br />
Lehrpersonen eigentlich das total anerkannt<br />
haben, was ich mache, und das<br />
auch immer noch tun und mich da sogar<br />
unterstützen. Sie suchen Möglichkeiten,<br />
wie ich in der Schule wirksam werden<br />
kann, stellen mich für Fortbildungslehrgänge<br />
frei und andere Sachen.<br />
Tim Wiegelmann (links),<br />
„Ich bin Tim, 20 Jahre alt. Aufgrund<br />
meiner Körperbehinderung konnte<br />
ich noch mal aus einer ganz anderen<br />
Perspektive erleben, was es bedeutet,<br />
in einem System zu sein, in dem die<br />
meisten Schüler:innen die Erfahrung<br />
machen, dass sie als Person nicht zählen.<br />
Doch vor allen Dingen wurde mir<br />
klar, dass „behindert sein“ oft nur „behindert<br />
werden“ ist. Deswegen möchte<br />
ich nun nicht mehr leise sein!“<br />
Dr. Gerald Klenk,<br />
„Weil ich als Volksschullehrer das<br />
bayerische Bildungssystem bis in die<br />
Schulaufsicht durchlaufen habe, zwischendurch<br />
auch die wissenschaftliche<br />
Seite kennen lernen durfte, ist es mir<br />
ein Herzensanliegen, mich auch noch<br />
jetzt im Ruhestand für ein gerechtes,<br />
inklusives, solidarisches, demokratisches<br />
und nachhaltiges Schulwesen<br />
einzusetzen.“<br />
40<br />
GS aktuell 168 • November 2024
Praxis: <strong>Beobachten</strong> – <strong>Staunen</strong> Rundschau<br />
– <strong>Forschen</strong><br />
Rundschau<br />
Diese Lehrer:innen haben erkannt,<br />
dass das, was sie machen, nämlich den<br />
Stoff vermitteln zu müssen, ihre Aufgabe<br />
ist, dass es aber da eine Ebene drüber<br />
gibt. Sie haben von sich selbst geglaubt,<br />
ich kann noch etwas Wichtigeres vermitteln<br />
als den Stoff. Das heißt, sie waren<br />
auch von sich selbst überzeugt. Es war<br />
auch nicht nur die alte Objektdidaktik<br />
von „ich vermittle etwas“, sondern ich<br />
lerne auch etwas von den Schülern. So<br />
entsteht ein wechselseitiger Prozess.<br />
GK: Worin bestehen die Hauptprobleme<br />
unseres Schulsystems aus deiner Sicht?<br />
TW: Wir gestalten den Unterricht als<br />
Monolog. Das kann in der Form nicht<br />
funktionieren. Und dann erleben ja<br />
besonders Kinder am Ende der Grundschule,<br />
dass der Freund aufs Gymnasium<br />
kann und sie selber nicht. Was soll<br />
da anderes entstehen als Konkurrenzkampf?<br />
Man muss sich das ja so vorstellen,<br />
Gymnasium, Hauptschule, Realschule,<br />
das sind ja für so ein Grundschulkind<br />
in der 4. Klasse inhaltsleere<br />
Begriffe. Die werden ja nur aufgeladen.<br />
Sie lernen also irgendwie schon, es gibt<br />
angeblich drei Intelligenzstufen.<br />
Mit der Selektion nach der 4. Klasse<br />
ist großes Leid verbunden. Schüler:innen<br />
erfahren, dass manche anscheinend<br />
mehr wert sind als andere, manchen gelingt<br />
der „Aufstieg“, manchen nicht. Damit<br />
wird Schule dem Leitbild, das wir<br />
uns als demokratische Gesellschaft gegeben<br />
haben, nicht gerecht.<br />
GK: Du hast sicher auch einige Ideen,<br />
wie sich Schule verändern müsste.<br />
TW: Schule sollte immer davon ausgehen,<br />
dass Kinder lernen wollen. Wenn<br />
ein Kind nicht mitmacht, kann das viele<br />
Ursachen haben. Mit dem Titel meines<br />
Buches habe ich das ausdrücken wollen:<br />
„Ich weiß, dass du nur Gutes willst.“<br />
Wenn man die Perspektive hat: ich weiß,<br />
dass du nur Gutes willst und ich weiß,<br />
dass du Eigenmotivation hast, dann<br />
ergibt sich ja auch, dass man Demotivation<br />
nie als etwas Grundlegendes oder<br />
gar als grundlegend negativen Charakterzug<br />
interpretieren darf, vielmehr liegt<br />
ein Störgefühl vor.<br />
Außerdem braucht Schule eine andere<br />
Prüfungskultur. Wenn Testen schon notwendig<br />
ist, dann sollte man so viel wie<br />
möglich auf alternative Prüfungsformate<br />
setzen. Ein solches Format kann auch<br />
darin bestehen, wie man eine Aufgabe<br />
zu zweit oder zu dritt löst. Und dann<br />
kann man das trotzdem bewerten.<br />
Das vollständige Interview<br />
können Sie auf unserer<br />
Homepage https://<br />
lernwirkstattinklusion-nl.de/<br />
programm/<br />
vortraege-gespraeche/<br />
hören und sehen<br />
Abschließend: Eine radikale Idee lautet,<br />
dass wir es hinkriegen müssen, dass<br />
Kinder und Jugendliche, völlig egal, ob<br />
behindert oder nicht behindert, in der<br />
Welt lernen können, in der Welt mit<br />
Menschen in Kontakt kommen können,<br />
die das tun, was sie gerade bewegt. Und<br />
nicht mehr für das Leben lernen müssen,<br />
sondern im Leben lernen können.<br />
Die Bildungslandschaften in diesem<br />
Sinne zu organisieren, ist ein irrsinniger<br />
Aufwand. Da muss man komplett anders<br />
denken. Wenn die Schule so ist, wie ich<br />
sie mir wünschen würde, hat sie auch<br />
eine gesellschaftliche Integrationsfunktion,<br />
die ich ganz wichtig finde.<br />
GK: Lieber Tim, ich danke dir ganz<br />
herzlich für deine Gedanken.<br />
Werden Sie Mitglied im Grundschulverband!<br />
Nutzen Sie den vergünstigten Beitrag<br />
für LAA, Studierende, Doktorand:innen<br />
Für Ihren Jahresbeitrag erwerben Sie ein vielseitiges<br />
und praxisbewährtes Informationsangebot und engagieren<br />
sich für die Grundschule und ihre Kinder.<br />
Wählen Sie zwischen 4 verschiedenen Angeboten:<br />
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Premium (4 x Grundschule aktuell und 2 Bücher)<br />
39 Euro (LAA, Studierende, Doktorand:innen)<br />
Aktiv (4 x Grundschule aktuell)<br />
25 Euro (LAA, Studierende, Doktorand:innen)<br />
Unterstützer:in (ohne Publikationen)<br />
10 Euro (LAA, Studierende, Doktorand:innen)<br />
Kennenlernmitgliedschaft<br />
(für 1 Kalenderjahr inkl. Zeitschriften und Bücher)<br />
25 Euro (LAA, Studierende, Doktorand:innen)<br />
Unsere Stimme wird umso mehr gehört,<br />
je mehr Mitglieder wir haben.<br />
Bringen Sie sich aktiv ein!<br />
Die Landesgruppen sind für jede<br />
Unterstützung dankbar.<br />
Nehmen Sie gerne Kontakt auf.<br />
Wir freuen uns auf Sie!<br />
GS aktuell 168 • November 2024<br />
41
Praxis: Rundschau <strong>Beobachten</strong> – <strong>Staunen</strong> – <strong>Forschen</strong><br />
Kooperationspartner des Grundschulverbandes<br />
Der Verband Sonderpädagogik e. V. (vds)<br />
Der Verband Sonderpädagogik<br />
e. V. (vds) besteht nun bereits<br />
seit 1898 und ist in diesen Jahren<br />
durch zahlreiche Höhen und Tiefen<br />
gegangen. Er bemüht sich stets um<br />
geschichtliche Aufarbeitung und Auseinandersetzung<br />
mit seiner Historie.<br />
Der vds hat ca. 7000 Mitglieder und<br />
gliedert sich in 16 Landesverbände mit<br />
selbstständigen Strukturen sowie den<br />
Bundesverband. Die Arbeit des Verbands<br />
beinhaltet alle Aspekte der pädagogischen<br />
Unterstützung von Menschen,<br />
die in ihrer Bildungsteilhabe eingeschränkt<br />
sind, und basiert auf einem<br />
weiten Inklusionsbegriff im Einklang<br />
mit der UN-Behindertenrechts- sowie<br />
der UN-Kinderrechtskonvention und<br />
dem Artikel 3 des Grundgesetzes.<br />
Die Mitglieder des vds kommen aus<br />
unterschiedlichen (sonder- und sozial-)<br />
pädagogischen Berufsgruppen und haben<br />
vielfältige praktischen Erfahrungen<br />
in der Arbeit mit behinderten bzw. benachteiligten<br />
Kindern, Jugendlichen und<br />
jungen Erwachsenen auf allen Ebenen<br />
des Bildungssystems.<br />
Der vds ist Herausgeber einer der europaweit<br />
auflagenstärksten, monatlich<br />
erscheinenden Fachpublikation, der<br />
Zeitschrift für Heilpädagogik (ZfH), geführt<br />
im European Index for the Humanities.<br />
Jedes Jahr werden mehrere bundesweite<br />
Fachkongresse sowie alle drei Jahre<br />
der Sonderpädagogische Kongress zu<br />
wichtigen Themen der Teilhabesicherung<br />
veranstaltet. Der nächste Sonderpädagogische<br />
Kongress findet 2025 in<br />
Osnabrück statt und wird sich mit aktu-<br />
Angela Ehlers,<br />
seit 2015 Bundesvorsitzende des<br />
Verbands Sonderpädagogik (vds)<br />
ellen Fragen und Stärkungsmöglichkeiten<br />
von Vielfalt, Toleranz und Demokratie<br />
befassen.<br />
Außerdem bietet der vds über seine<br />
eigene Bildungsakademie ein umfangreiches<br />
und stark nachgefragtes Fortbildungsangebot<br />
für sich immer<br />
weiter inklusiv entwickelnde<br />
Bildungseinrichtungen<br />
an. Das Oberthema<br />
der Angebote lautet kurz<br />
zusammengefasst: Was<br />
benötigt eine inklusive<br />
Bildungseinrichtung und<br />
welche Unterstützung brauchen die Mitglieder<br />
der multiprofessionellen Teams,<br />
um erfolgreich arbeiten zu können? Die<br />
Angebote wenden sich z. B. an Schulleitungen<br />
aller Schulformen, die sich mit<br />
ihrem Kollegium auf die inklusive Entwicklungs-<br />
und Forschungsreise begeben<br />
und moderne Strukturen schaffen<br />
wollen, ebenso wie an Lehr- und Fachkräfte<br />
aller (sonder- und sozial-)pädagogischen<br />
und therapeutischen Berufsfelder.<br />
Der vds setzt hierbei auf das Motto:<br />
Wissen schafft Haltung, noch mehr Wissen<br />
schafft noch mehr inklusive Haltung.<br />
Dazu gehört selbstverständlich eine mit<br />
Schülerinnen und Schülern aller Altersgruppen<br />
ebenso wie mit Eltern auf Augenhöhe<br />
angelegte Kommunikation.<br />
Seit vielen Jahren ist der vds um den<br />
Austausch mit dem wissenschaftlichen<br />
Nachwuchs bemüht und bietet jungen<br />
Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern<br />
regelmäßig Plattformen. Über den<br />
vds findet auf Landes- und Bundesebene<br />
eine enge Vernetzung und ein Austausch<br />
auf Augenhöhe mit kompetenten Kooperationspartnerinnen<br />
und Kooperationspartnern<br />
wie z. B. mit dem Grundschulverband<br />
e. V. statt.<br />
Über diese vielfältige Vernetzungsarbeit<br />
auf allen Handlungsebenen kann<br />
jede und jeder an der Durchsetzung bildungspolitischer<br />
Vorhaben im Interesse<br />
der Kinder, Jugendlichen und jungen Erwachsenen<br />
mit besonderen Teilhabebedarfen,<br />
die sonst kaum eine Lobby haben,<br />
mitwirken und damit die Perspektiven<br />
von Kindern, Jugendlichen, jungen<br />
Erwachsenen, Eltern, Jugendhilfe, weiteren<br />
Unterstützungssystemen und Schule<br />
in den Mittelpunkt rücken.<br />
Der Grundschulverband e. V. und<br />
der Verband Sonderpädagogik e. V. haben<br />
gemeinsam das Konzept für einen<br />
Bildungsdialog für Deutschland mitgezeichnet<br />
und unterstützen damit<br />
ein starkes Netzwerk mit<br />
anderen mitzeichnenden Verbänden<br />
und Organisationen,<br />
um einen bildungs- und sozialpolitischen<br />
Entwicklungsprozess<br />
für Deutschland in<br />
Gang zu setzen und als starke<br />
zivilgesellschaftliche Aktion zu verankern.<br />
Es geht dabei darum, gemeinsam die<br />
drängenden Herausforderungen des Bildungssystems<br />
in Deutschland im Interesse<br />
aller jungen Menschen zu bewältigen.<br />
Nur eine enge und ehrliche Zusammenarbeit<br />
auf der Ebene der Kommunen,<br />
der Länder untereinander sowie<br />
mit der Bundesebene unter enger und<br />
intensiver Zusammenarbeit mit der Zivilgesellschaft,<br />
der Bildungspraxis und<br />
den Bildungs- und Sozialwissenschaften<br />
mit jungen Menschen, die sich aktuell<br />
im Bildungssystem befinden, ermöglicht<br />
dringend notwendige und langfristige<br />
Lösungen für das Bildungssystem<br />
in Deutschland auf der Basis der UN-<br />
Behindertenrechtskonvention und des<br />
Grundgesetzes. Die aktuellen Herausforderungen<br />
der ungleichen Bildungschancen<br />
und der gefährdeten Demokratie<br />
können nur gemeinsam bewältigt<br />
werden – danach streben Grundschulverband<br />
und Verband Sonderpädagogik<br />
gemeinsam im Sinne von No child left<br />
behind.<br />
Angela Ehlers<br />
42<br />
GS aktuell 168 • November 2024
Praxis: <strong>Beobachten</strong> – <strong>Staunen</strong> Rundschau<br />
– <strong>Forschen</strong><br />
Rundschau<br />
Nachruf auf Peter Heyer<br />
Am 12. Oktober 2024 ist unser<br />
langjähriger Fachreferent Peter<br />
Heyer gestorben. Wir, die ihn<br />
viele Jahrzehnte in seinem Engagement<br />
als Grundschulpädagogen erlebten,<br />
haben ihn als unermüdlich schreibenden,<br />
redenden, ermutigenden, konstruktiv-kritischen,<br />
konsequenten Pädagogen<br />
und Streiter für eine gute Grundschule<br />
für ALLE Kinder geschätzt. Er<br />
hat seine vielfältigen Ideen und Konzepte<br />
sowohl in praktischen Unterrichtsmaterialien<br />
umgesetzt – z. B. dem damals<br />
(1968) völlig neuartigen materialreichen<br />
„PZ-Leselehrgang“ im Stil eines offenen<br />
Curriculums für den Anfangsunterricht<br />
– als auch in unzähligen didaktischen<br />
und bildungspolitischen Büchern und<br />
Zeitschriftenaufsätzen dargelegt. Und<br />
keine schulpolitische Veranstaltung in<br />
(West-)Berlin, jahrzehntelang, auf der<br />
nicht Peter Heyer vortrug oder diskutierte.<br />
Vor allem für die Grundschule,<br />
aber auch darüber hinaus für das längere<br />
gemeinsame Lernen in einer Schule<br />
für ALLE.<br />
Dabei war er in diesem Engagement<br />
keineswegs ein Lieblingskind der Berliner<br />
Senatsschulverwaltung und für die<br />
in (West-)Berlin dominierenden Parteien<br />
SPD und CDU. Er kämpfte ja für ein<br />
Schulwesen ohne Auslese, also gegen das<br />
traditionelle, gegliederte Schulsystem.<br />
Zudem war er wesentlich an der Konzeption<br />
der ersten „integrativen“ Berliner<br />
Grundschule beteiligt, in der in allen<br />
Klassen Kinder mit und ohne Behinderung<br />
gemeinsam lernten, differenziert,<br />
ohne Zensurendruck, aber mit verbalen<br />
Lernentwicklungsbeschreibungen. Auch<br />
dieses inklusive Modell der Uckermark-<br />
Grundschule widersprach ganz der herrschenden<br />
Schulpolitik. Dennoch wurde<br />
es in langen Auseinandersetzungen mit<br />
der Senatsschulverwaltung und der damaligen<br />
Senatorin Laurien (CDU) von<br />
engagierten Pädagog:innen und Eltern<br />
durchgesetzt und Peter Heyer gehörte<br />
zum Team der pädagogisch-wissenschaftlichen<br />
Begleitung dieses 1982 startenden<br />
Schulversuchs.<br />
Zehn Jahre später war Peter Heyer<br />
Mitherausgeber und Mitautor des GSV-<br />
Sonderbandes 1988/89 der Reihe „Beiträge<br />
zur Reform der Grundschule“ mit<br />
einer Bilanzierung von „Zehn Jahren<br />
wohnortnaher Integration“ in der Uckermark-Grundschule.<br />
Peter Heyer war ein<br />
wesentlicher Impulsgeber<br />
der Inklusionsbewegung.<br />
Zu dem integrativen<br />
Schulkonzept gehört<br />
das längere gemeinsame<br />
Lernen, also die<br />
Fortsetzung des gemeinsamen,<br />
integrativen<br />
Lernens nach der<br />
Grundschulzeit in der<br />
Sekundarstufe bis Klasse<br />
10 bzw. bis zum Abitur.<br />
Peter Heyer war<br />
Mitinitiator der Bewegung<br />
„Länger gemeinsam<br />
lernen“ um die<br />
Jahrtausendwende, in der Grundschulverband,<br />
Gesamtschulverband (GGG)<br />
und Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft<br />
(GEW) für diese Vision zusammenarbeiteten.<br />
In Berlin wurde diese<br />
Vision ab 2008 im Pilotprojekt Gemeinschaftsschule<br />
realisiert. Inzwischen<br />
hat Berlin mehr als 20 Gemeinschaftsschulen,<br />
übernachgefragt und bereits<br />
mit Preisen ausgezeichnet.<br />
Seine pädagogische Arbeit, die Peter<br />
Heyer im Rahmen seiner beruflichen<br />
Arbeit im damaligen Westberliner Fortbildungsinstitut<br />
Pädagogisches Zentrum<br />
(PZ), als Referent und später wissenschaftlicher<br />
Direktor entwickelte, verknüpfte<br />
er auch mit gewerkschaftlichem<br />
Engagement in der GEW, war in den besonders<br />
aufregenden 80er-Jahren zeitweilig<br />
zuständig für das Bildungsreferat<br />
in der Berliner GEW, engagierte sich gegen<br />
die damals die Schulwelt bundesweit<br />
bewegenden „Unvereinbarkeitsbeschlüsse“<br />
(Rausschmiss von K-Gruppen-Mitgliedern<br />
aus GEW und DGB und folgenden<br />
Berufsverboten für Lehrkräfte). Peter<br />
Heyer inspirierte die Pädagog:innen<br />
Peter Heyer (1931 – 2024)<br />
nicht nur pädagogisch, er verteidigte sie<br />
auch in ihrer Reformarbeit in den Schulen<br />
gegenüber mancher misstrauischen<br />
Schulaufsicht.<br />
Aber Peter Heyers „ältestes Kind“<br />
war wohl der Grundschulverband. Vom<br />
Gründungsbeginn 1969 des „Arbeitskreises<br />
Grundschule“<br />
an hat er mitgewirkt,<br />
hat die Berliner Landesgruppe<br />
aufgebaut<br />
und war dort bis 2018,<br />
lange als Vorstand,<br />
höchst aktiv. Nicht<br />
nur in Berlin, auch auf<br />
Bundesebene als Delegierter<br />
Berlins und<br />
von 1999 bis 2008 als<br />
Fachreferent für Integration<br />
/ Inklusion und<br />
längeres gemeinsames<br />
Lernen. Der erste GSV-<br />
Standpunkt zu diesem<br />
Bereich stammt aus Peter<br />
Heyers Feder.<br />
Und was in allen unseren GSV-Treffen<br />
auffiel – im Bund oder in Berlin: Peter<br />
Heyer war IMMER vorbereitet, hatte<br />
alle Papiere gelesen, konnte die Pros<br />
und Kontras zu jedem Thema darstellen<br />
und kommentieren, immer sachlich und<br />
differenzierend, aufmerksam und wertschätzend<br />
beim Reden wie beim Zuhören<br />
– und oft zog er dann dezent einen<br />
schriftlichen Positionsentwurf aus der<br />
Tasche. „Nur mal ein Vorschlag …“ Selten,<br />
dass an diesen Vorschlägen noch<br />
viel verändert wurde!<br />
Peter Heyer war wirklich ein ungewöhnlicher<br />
Mensch, für viele von uns<br />
Orientierung und Vorbild.<br />
2000 erhielt Peter Heyer den Verdienstorden<br />
der Bundesrepublik Deutschland,<br />
und 2010 wurde ihm die Ehrenmitgliedschaft<br />
des GSV verliehen.<br />
Wir haben einen großen Pädagogen verloren,<br />
an den wir in hoher Wertschätzung<br />
und mit Dank erinnern. Er hat nicht nur<br />
seiner Zeit, sondern auch folgenden jüngeren<br />
Generationen den Weg markiert.<br />
Ulla Widmer-Rockstroh<br />
(für viele aus dem<br />
Grundschulverband)<br />
GS aktuell 168 • November 2024<br />
43
Praxis: aktuell <strong>Beobachten</strong> … aus den Landesgruppen<br />
– <strong>Staunen</strong> – <strong>Forschen</strong><br />
Baden-Württemberg<br />
Vorsitzender: Edgar Bohn<br />
edgar.bohn@gsv-bw.de, https://gsv-bw.de<br />
Ein heißer Herbst für die<br />
Landesgruppe steht bevor:<br />
Am 19. Oktober 2024 fand<br />
unser Grundschultag statt.<br />
Mit Sabine Ostertag ist es<br />
uns gelungen, eine hochkompetente<br />
Referentin und<br />
Fortbildnerin zu gewinnen.<br />
Gemeinsam mit der GEW<br />
Fachgruppe Grundschule<br />
gingen wir der Frage nach:<br />
„Was, wenn die gängigen<br />
Wenn-Dann-Muster in<br />
herausfordernden Unterrichtssituationen<br />
nicht mehr<br />
greifen?“ In einem Wechsel<br />
von Input, Übungen, Reflexionsschleifen<br />
und Videoclips<br />
erfuhren die Teilnehmenden<br />
Alternativen zu Wenn-Dann-<br />
Mustern, basierend auf dem<br />
Konzept der systemischen<br />
Autorität.<br />
Im Anschluss fand die turnusgemäße<br />
Mitgliederversammlung<br />
mit Neuwahlen statt.<br />
Der Vorstand gab Einblick in<br />
seine vielfältigen Aktivitäten<br />
und hatte dabei Beachtliches<br />
zu berichten. Und schließlich<br />
wurde der Vorstand komplett<br />
neu gewählt.<br />
Am 8. November gingen wir<br />
gemeinsam mit dem Landesverband<br />
Theater an Schulen<br />
in BW der Bedeutung des<br />
Theaterspiels auch und<br />
gerade in der Grundschule<br />
im Sinne unserer Allseitigen<br />
Bildung auf den Grund.<br />
Am 20. November führen<br />
wir unser traditionelles<br />
Online-Gespräch mit den<br />
bildungspolitischen Sprechern<br />
und Sprecherinnen<br />
der Landtagsfraktionen zu<br />
aktuellen Entwicklungen im<br />
Grundschulbereich in BW<br />
durch.<br />
Und darauf freuen wir uns<br />
besonders: Am<br />
21. November findet<br />
– ebenfalls online – der<br />
erste gemeinsame TALK<br />
im SÜDWESTEN unserer<br />
Landesgruppe zusammen<br />
mit den Landesgruppen aus<br />
Hessen und Rheinland-Pfalz<br />
statt. Thema: „Ich sehe nie<br />
die Sonne!“ – Ermahnungssyteme<br />
aus kinderrechtlicher<br />
Sicht. Martina Hehn-Oldiges<br />
wird dazu einen Input geben.<br />
(siehe auch GSaktuell 159)<br />
Nähere Infos finden sich zu<br />
allen genannten Veranstaltungen<br />
auf www.gsv-bw.de<br />
Für die Landesgruppe:<br />
Edgar Bohn<br />
Bayern<br />
Vorsitzende: Gabriele Klenk, Konstanze von Unold<br />
https://grundschulverband-bayern.de<br />
Präsenzsitzung des neuen<br />
Landesgruppenvorstands<br />
und Treffen am<br />
Kultusministerium<br />
Zu Beginn der Sommerferien<br />
trafen wir uns in den<br />
Räumen der Lernwirkstatt<br />
Inklusion in Feucht. Auf der<br />
Tagesordnung stand u.a. der<br />
Grundschultag am 23.11.24<br />
in Pullach. Außerdem formulierten<br />
wir die Schwerpunkte<br />
unserer Landesgruppenarbeit<br />
für die kommenden Jahre für<br />
die Bereiche Bildungspolitik,<br />
Mitgliedergewinnung und<br />
-erhaltung sowie Unterstützungsmaßnahmen<br />
für die<br />
Grundschule.<br />
Am 03.09.24 fand ein Treffen<br />
mit Frau Schwab (Abteilungsleiterin<br />
am KM) und Frau<br />
Wilhelm (Grundschulreferentin<br />
am KM) statt. In einem<br />
sehr konstruktiven Gespräch<br />
wurde insbesondere über die<br />
Umsetzung des Rechtsanspruchs<br />
auf Ganztagsbetreuung<br />
von Grundschulkindern<br />
diskutiert. Demokratieerziehung<br />
und der Schulversuch<br />
MIT sowie die künftigen<br />
Sprachstandserhebungen<br />
von Vorschulkindern wurden<br />
ebenfalls thematisiert. Wir<br />
sind sehr dankbar, dass die<br />
fachliche Expertise und die<br />
Praxiserfahrungen im Grundschulverband<br />
regelmäßig im<br />
Kultusministerium gehört<br />
werden und wir unsere<br />
Anliegen und Forderungen<br />
einbringen können.<br />
Modellversuch einer Schule<br />
für alle vom Kultusministerium<br />
abgelehnt<br />
Die unter der Leitung von<br />
Dr. Michael Kirch geplante<br />
Modellschule für München,<br />
eine Schule für alle, wird<br />
es vorerst nicht geben. Das<br />
bayerische Kultusministerium<br />
hat den Antrag für einen<br />
Schulversuch abgelehnt. Wir<br />
bedauern es sehr, dass die<br />
Chance nicht ergriffen wurde,<br />
neue Wege im bayerischen<br />
Bildungssystem hin zu mehr<br />
Bildungsgerechtigkeit einzuschlagen:<br />
Eine Schule für<br />
alle Kinder, ohne Noten, dafür<br />
mit alternativen Formen der<br />
Leistungsbeurteilung. Es wäre<br />
endlich an der Zeit!<br />
Für die Landesgruppe<br />
Kathrin Ettner<br />
44<br />
GS aktuell 168 • November 2024
aktuell … aus den Landesgruppen<br />
Berlin<br />
Kontakt: Ines Garlisch, Sabine Jennerjahn, Agnieszka von Prondzinski, vorstand@gsv-berlin.de<br />
Schulpolitik in Berlin<br />
Dank der Sommerferien ist<br />
bis zum Redaktionsschluss<br />
am 27. September in Berlin<br />
noch nicht viel Schulisches<br />
geschehen – außer einem<br />
unendlichen Streit über die<br />
völlig misslungene Neuorganisation<br />
des Schulessens.<br />
Neue Auswahl- und Vertragsanforderungen<br />
für die Caterer<br />
im Schuljahr 2024/25 führten<br />
zu solcher Fehlauswahl, dass<br />
viele Schulen das Essen zu<br />
spät oder kalt oder gar nicht<br />
erhielten. Welch verrückte<br />
Kraftverschwendungen beim<br />
Start ins neue Schuljahr!<br />
Die Einführung von Vergleichsarbeiten<br />
in Deutsch<br />
und Mathematik in den<br />
5. und 6. Klassen für die „Auslese“<br />
in die weiterführenden<br />
Schulen (in Berlin ab Kl. 7)<br />
bereitet jetzt schon Unruhe in<br />
den Schulen. Die Grundschulen<br />
sind gezwungen, solche<br />
Arbeiten zu konzipieren, um<br />
die vorgesehene Änderung<br />
der Übergangsregeln für die<br />
weiterführenden Schulen<br />
umzusetzen (alleinige Berücksichtigung<br />
der Noten für D,<br />
Ma und 1. Fremdsprache).<br />
Die Parteien streiten sich<br />
gerade über Änderungen, die<br />
unsere Schulsenatorin (CDU)<br />
im Bereich Politische Bildung<br />
einführen will; sie fürchten<br />
eine einschränkende Kontrolle<br />
durch die bzw. der Landeszentrale<br />
für Politische Bildung.<br />
59 Schulen (davon 60 %<br />
Grundschulen) erhalten in<br />
diesem Schuljahr insges. 46<br />
Mio. € im Rahmen des Startchancenprogramms.<br />
Es sollen<br />
insges. 160 Schulen werden<br />
und insges. 460 Mio. € zur<br />
Verfügung stehen.<br />
GSV<br />
Am 30. September findet<br />
unser Herbstfest statt und<br />
wir werden davon in der<br />
nächsten Aktuell-Ausgabe<br />
berichten.<br />
Ebenso werden wir über<br />
unsere nun für den<br />
21. November angesetzte<br />
Veranstaltung „Gelebte<br />
Mehrsprachigkeit im Klassenzimmer“<br />
(am Beispiel einer<br />
Berliner Grundschule) berichten.<br />
Sie gilt als regionale<br />
Fortbildung.<br />
Wir laufen uns warm!<br />
Ines Garlisch,<br />
Ulla Widmer-Rockstroh<br />
Bremen<br />
Vorstandssprecher: Chris Barnick, chris.barnick@grundschulverbandbremen.de<br />
www.grundschulverband-bremen.de<br />
Wie jedes Jahr bietet die<br />
Landesgruppe auch in diesem<br />
Herbst eine öffentliche<br />
Vortragsveranstaltung an,<br />
und zwar am Donnerstag, den<br />
7.11.2024, 17:30 – 19:30 h, im<br />
Forum des Landesinstituts<br />
für Schule (Weidedamm). Es<br />
geht um das hoch aktuelle<br />
Thema „Kinder. Zukunft. BNE.<br />
Was hat die Grundschule<br />
damit zu tun?“ Nach einem<br />
kurzen Einstieg in die Idee<br />
hinter dem Konzept „Bildung<br />
für nachhaltige Entwicklung“<br />
möchte Ulrike Oltmanns mit<br />
ihrer Kollegin Rachel Rentz<br />
aus dem Projekt Eine Welt in<br />
der Schule heraus mit den<br />
Teilnehmer:innen anhand ausgewählter<br />
Materialien über<br />
Anknüpfungspunkte und<br />
mögliche Herausforderungen<br />
bei der Umsetzung von BNE<br />
ins Gespräch kommen. Dazu<br />
bringen sie Materialien zu den<br />
Kinderrechten aus dem Projekt<br />
KINDER:RECHTE:SCHULE<br />
mit, die Handreichung zu den<br />
17 Nachhaltigkeitszielen samt<br />
Materialien für die Umsetzung<br />
sowie Materialkisten, die mit<br />
konkreten Themen wie z.B. Regenwald<br />
und Kleidung einen<br />
Zugang zu BNE bieten. Sie<br />
freuen sich auf einen regen<br />
gemeinsamen Austausch.<br />
Am Donnerstag, den<br />
21.11.2024, findet dann die<br />
diesjährige Mitgliederversammlung<br />
der Landesgruppe<br />
statt – und zwar von 17:30<br />
-19:30 h im Raum A-1110<br />
des GW2 der Universität<br />
(ISSU-Labor und Lese- und<br />
Schreibwerkstatt). Diese ist<br />
öffentlich, und wir freuen<br />
uns auf Kolleg:innen aus den<br />
Schulen, aus dem LIS und der<br />
Uni, die sich wie wir für eine<br />
Verbesserung der Bedingungen<br />
in den Bremer Grundschulen<br />
einsetzen. Inhaltlich<br />
wird uns dieses Mal vor allem<br />
der Umgang mit den digitalen<br />
Medien beschäftigen. Wer<br />
Interesse an einer Teilnahme<br />
an der Mitgliederversammlung<br />
hat, melde sich bitte an<br />
bei chris.barnick@grundschulverbandbremen.de<br />
.<br />
Für den Vorstand: Chris Barnick<br />
Saarland<br />
Sonja Köhler, Landesgruppenvorsitzende,<br />
sonja.koehler@grundschulverband.saarland; www.grundschulverband.saarland<br />
Vom 29.09. – 02.10.24 fand<br />
die Jahrestagung der DGfE-<br />
Kommission Grundschulforschung<br />
der Primarstufe<br />
mit vorgeschalteter PriQua-<br />
Tagung für Nachwuchswissenschaftlicher:innen<br />
an der<br />
Universität des Saarlandes<br />
statt. Im Rahmenprogramm<br />
war die Landesgruppe mit<br />
einem Infostand vertreten<br />
und konnte mit Personen<br />
aus Forschung, Theorie und<br />
Praxis ins Gespräch kommen.<br />
„Ins Gespräch kommen“<br />
lautete auch das Motto des<br />
traditionellen Lunchtalks<br />
des Grundschulverbandes<br />
während der Tagung. Bei<br />
einem gemeinsamen Mittagessen<br />
konnten wir uns mit<br />
anderen Mitgliedern über<br />
die Bundesländergrenzen<br />
hinaus vernetzen und<br />
Strategien besprechen, wie<br />
die Mitgliedergewinnung<br />
im Grundschulverband in<br />
Zukunft gelingen kann. Auch<br />
die „Grundschule aktuell“<br />
wurde lobend hervorgehoben.<br />
Die Teilnehmer:innen<br />
bestätigten, dass die Verbandszeitschrift<br />
bundesweit<br />
in Seminaren der Lehrer:innenausbildung<br />
genutzt wird.“<br />
Für die Landesgruppe:<br />
Marie Fischer<br />
GS aktuell 168 • November 2024<br />
45
Praxis: aktuell <strong>Beobachten</strong> … aus den Landesgruppen<br />
– <strong>Staunen</strong> – <strong>Forschen</strong><br />
Hessen<br />
Vorsitzender: Mario Michel<br />
mario.michel@gsvhessen.de, www.gsvhessen.de<br />
Neues Format<br />
Gemeinsam mit den Landesgruppen<br />
von Baden-Württemberg<br />
und Rheinland-Pfalz<br />
werden wir das Online-Format<br />
„Talk im Südwesten“ auf<br />
die Gleise setzen. Jeder<br />
unserer Landesverbände<br />
hatte in der Vergangenheit<br />
eigene Formate angeboten,<br />
in der Erfahrung aber die<br />
Reichweite und den Erfolg<br />
dieser Angebote als nicht<br />
ausreichend empfunden. So<br />
sind die jetzt Beteiligten sehr<br />
gerne der Idee von Edgar<br />
Bohn gefolgt und haben sich<br />
zusammengeschlossen. Der<br />
erste Termin für den „Talk im<br />
Südwesten“ steht fest – der<br />
21.11.2024 von 18.30<br />
Uhr bis 19.30 Uhr.<br />
Thematisch dreht sich der<br />
Termin um Ermahnungssysteme<br />
aus kinderrechtlicher<br />
Sicht. Martina Hehn-Oldiges<br />
als kompetente Expertin wird<br />
einen kurzen Einstiegsimpuls<br />
vortragen und auch am Ende<br />
ein zusammenfassendes<br />
Statement. Der Austausch der<br />
Teilnehmenden in Breakout-<br />
Räumen ist vorgesehen.<br />
Wir freuen uns sehr über die<br />
Kooperation der Landesgruppen<br />
und auf diesen Neustart<br />
im Online-Bereich.<br />
https://t1p.de/TalkimSW<br />
Meeting-ID: 598 842 4573<br />
Kenncode: 883540<br />
Im Bündnis von Elternbund<br />
Hessen, der GGG (Gemeinnützige<br />
Gesellschaft<br />
Gesamtschule) und unserer<br />
Landesgruppe entsteht ein<br />
offener Brief an Kultusminister<br />
Schwarz. Er beschäftigt<br />
sich mit der Frage, welches<br />
Verständnis der Aufgaben<br />
von Schule, welche demokratischen<br />
Perspektiven<br />
und welches Menschenbild<br />
hinter den Positionen des<br />
Kultusministers stecken.<br />
Auf dem Hintergrund dieser<br />
Fragestellung und angesichts<br />
der bekannten Ergebnisse<br />
von IQB und IGLU ist ein<br />
„Weiter so wie bisher“ (Beibehaltung<br />
des gegliederten<br />
Schulsystems, vergleichender<br />
Bewertung, Sitzenbleiben,<br />
Finanzierungspyramide, …)<br />
eine für uns kaum nachzuvollziehende<br />
Position.<br />
Für die Landesgruppe Hessen<br />
Pia Hölzel<br />
Rheinland-Pfalz<br />
Vorsitzender: Johannes Wolz<br />
info@ grundschulverband-rlp.de , www.grundschulverband-rlp.de<br />
TALK IM SÜDWESTEN<br />
Am 24. November<br />
2024 startet unser<br />
neues Online-Format „Talk<br />
im Südwesten“. In Zusammenarbeit<br />
mit den<br />
Landesgruppen Baden-Württemberg<br />
und Hessen laden<br />
wir zu einem spannenden<br />
Zoom-Austausch unter dem<br />
Titel „Ich sehe nie die Sonne<br />
– Ermahnungssysteme aus<br />
kinderrechtlicher Sicht“ ein.<br />
In diesem Format diskutieren<br />
wir gemeinsam aktuelle<br />
pädagogische Themen und<br />
beleuchten mögliche Veränderungen<br />
im Schulalltag.<br />
Aktuelles aus<br />
dem Vorstand<br />
Der Vorstand der Landesgruppe<br />
Rheinland-Pfalz<br />
befindet sich derzeit in<br />
einer Phase der Neuausrichtung.<br />
Neben den<br />
beruflichen Anforderungen<br />
als Seminarleiter:innen,<br />
Lehrer:innen, Schulleitungen<br />
und familiären Verpflichtungen<br />
stehen auch viele<br />
neue Themenfelder auf der<br />
Agenda. Eva-Kristina Franz<br />
und Johannes Wolz haben<br />
in den letzten Ausgaben<br />
der Grundschule aktuell<br />
spannende Beiträge zu den<br />
Themen „Dem Klimawandel<br />
auf der Spur – Wie Kinder<br />
durch handlungsorientiertes<br />
Lernen ihr Umweltbewusstsein<br />
stärken“ (Nr. 166) und<br />
„(De-)Professionalisierung im<br />
Grundschullehramt? – Warum<br />
eine Verkürzung der Lehrer<br />
eventuell ‚zu kurz‘ greift“ (Nr.<br />
167) veröffentlicht. Inhaltlich<br />
bleibt unsere Landesgruppe<br />
weiterhin am Puls der Zeit<br />
und plant, sich – in Anlehnung<br />
an den Grundschultag<br />
2023 – verstärkt mit den<br />
sogenannten Future Skills<br />
auseinanderzusetzen, um<br />
auf die Anforderungen der<br />
Zukunft vorbereitet zu sein.<br />
Für die Landesgruppe:<br />
Johannes Wolz<br />
46<br />
GS aktuell 168 • November 2024
aktuell … aus den Landesgruppen<br />
Sachsen<br />
Kontakt: Judith Köhler<br />
judice_mail@web.de<br />
Wir freuen uns sehr über die<br />
neue Kooperation mit dem<br />
Ganztagsschulverband e.V.<br />
Landesverband Sachsen. Zu<br />
Beginn des neuen Schuljahres<br />
haben wir am 29. August<br />
vor dem Hintergrund<br />
des Rechtsanspruchs auf<br />
Ganztagsbetreuung einen<br />
erfolgreichen gemeinsamen<br />
Fachtag zum Thema „Ist das<br />
(schon) Ganztag?“ in Leipzig<br />
durchgeführt. Die Hauptvorträge<br />
gestalteten Prof. Dr.<br />
Patricia Kröber (Hochschule<br />
Mittweida) und Sylvia Mihan<br />
(DKJS Dresden). In den Fachforen<br />
wurden Gestaltungskonzepte<br />
und Praxisbeispiele<br />
aus Sachsen zum Ganztag<br />
vorgestellt und von den<br />
Teilnehmenden angeregt<br />
diskutiert. Uns beschäftigt<br />
weiterhin die Frage: Wie kann<br />
Ganztag trotz Lehrer- und<br />
Erziehermangel gelingen?<br />
Wir möchten die Mitglieder<br />
der Landesgruppe Sachsen<br />
ermuntern sich aktiv in<br />
unseren Landesverband<br />
einzubringen. Wir freuen<br />
uns, wenn ihr eure Ideen und<br />
Visionen über Grundschule<br />
z.B. über mail@grundschulverband-sachsen.de<br />
mit<br />
uns teilt. Aktuelles aus der<br />
Landesgruppe Sachsen findet<br />
sich zudem unter www.<br />
grundschulverband-sachsen.<br />
de sowie bei www.instagram.<br />
com/grundschulverband_<br />
sachsen.<br />
Für die Landesgruppe<br />
Judith Köhler<br />
Sachsen-Anhalt<br />
Kontakt: Thekla Mayerhofer, Am Sopienhafen 6, 06108 Halle (Saale)<br />
May_The@web.de, www.gsv-lsa.de<br />
Sommergrillen zum<br />
Schuljahresbeginn<br />
Nun ist es schon zur guten<br />
Tradition geworden, dass es<br />
ein offenes Sommergrillen<br />
des Vorstandes in Sachsen-Anhalt<br />
gibt. Auch in<br />
diesem Jahr trafen wir uns<br />
in ungezwungener, lockerer<br />
Runde und tauschten uns zu<br />
vergangenen Traumurlauben<br />
sowie anstehenden beruflichen<br />
Herausforderungen aus.<br />
Die Nähe zu den anwesenden<br />
Mitgliedern wurde als sehr<br />
bereichernd erlebt und wir<br />
freuen uns schon heute auf<br />
den kommenden Sommer.<br />
Kinderrechte in der Stadt –<br />
KidS<br />
Wir berichteten bereits<br />
über die Netzwerkarbeit zur<br />
Umsetzung der Kinderrechte<br />
in der Stadt Halle (Saale). Das<br />
Netzwerk mit dem Namen<br />
„KidS“ trifft sich unter unserer<br />
Beteiligung zu regelmäßigen<br />
Sitzungen. Zuletzt waren<br />
inhaltliche Schwerpunkte<br />
in der Ausbildung von<br />
Erzieher:innen in Bezug auf<br />
die Kinderrechte Thema.<br />
Auch über die Ergebnisse der<br />
umfangreich durchgeführten<br />
Kinder- und Jugendstudie in<br />
der Stadt wurde sich ausgetauscht.<br />
Kommende Projekte<br />
wurden vorgedacht und<br />
geplant – so unter anderem<br />
auch die Feierlichkeiten um<br />
den neuen „Kinderrechte<br />
Lehrpfad“, welchen es ab<br />
November in Halle (Saale)<br />
geben wird.<br />
Bündnis Schulsozialarbeit<br />
Bereits seit geraumer Zeit<br />
sind wir im Bündnis Schulsozialarbeit<br />
ein fester Partner.<br />
Als solcher waren wir jüngst<br />
im Podium der Landespressekonferenz<br />
vertreten. Bei<br />
dieser sehr gut nachgefragten<br />
Pressekonferenz wurde<br />
den Medienvertreter:innen<br />
die Wichtigkeit einer unumstößlichen<br />
und langfristigen<br />
Implementierung von Schulsozialarbeit<br />
an allen Schulen<br />
des Landes verdeutlicht.<br />
Gemeinsam mit LIGA, Wirtschaftsverbänden,<br />
Landeseltern-<br />
sowie Landesschülerrat<br />
sowie weiteren Bündnispartner<br />
gilt es nun einen<br />
Weg zu beschreiben, auf dem<br />
dies praktisch gelingen kann.<br />
Insbesondere administrative<br />
Zuständigkeiten sind dabei<br />
zentral zu bedenken.<br />
Bundesweite<br />
Jahresstagung<br />
Jüngste Aktivitäten des Vorstandes<br />
konzentrieren sich<br />
auf die Planung der bundesweiten<br />
Frühjahrstagung,<br />
welche am 21./22. Februar<br />
2025 in den Franckeschen<br />
Stiftungen zu Halle stattfinden<br />
wird. Hierzu hat sich<br />
ein Planungsteam formiert,<br />
welches aus Mitgliedern des<br />
Bundesvorstandes, der Geschäftsstelle,<br />
dem Vorstand<br />
der Landesgruppe Hamburg<br />
sowie unserer Landesgruppe<br />
besteht. Neben den organisatorischen<br />
Aspekten wie bspw.<br />
dem Finden von Tagungsort<br />
sowie -verpflegung steht<br />
natürlich die inhaltliche<br />
Ausgestaltung der Tagung im<br />
Fokus. Verraten werden darf<br />
schon so viel: Die literarische<br />
Bildung steht im Mittelpunkt<br />
und es wird unglaublich viel<br />
spannenden und wertvollen<br />
Input geben. Sehr zeitnah<br />
folgen weitere Informationen,<br />
doch schon heute<br />
möchten wir euch ganz<br />
herzlich einladen, in eine der<br />
bedeutendsten historischen<br />
Schulstätten des Landes zu<br />
kommen, um Teil der Veranstaltung<br />
zu werden.<br />
Weitere Informationen:<br />
www.gsv-lsa.de<br />
Für die Landesgruppe:<br />
Thekla Mayerhofer<br />
GS aktuell 168 • November 2024<br />
47
Praxis: aktuell <strong>Beobachten</strong> … aus den Landesgruppen<br />
– <strong>Staunen</strong> – <strong>Forschen</strong><br />
Niedersachsen<br />
Kontakt: www.gsv-nds.de<br />
Gespräch mit der Ministerin<br />
Am 30. Juli 2024 fand auf<br />
Einladung von Frau Hamburg<br />
ein weiteres Gespräch mit<br />
der Kultusministerin statt. In<br />
diesem Gespräch stand das<br />
Thema „Weiterentwicklung<br />
der Inklusiven Schule – Hindernisse<br />
und Lösungsmöglichkeiten“<br />
im Vordergrund.<br />
Dabei machten wir deutlich,<br />
dass der Umsetzung eines,<br />
dem Kinderrecht auf inklusive<br />
Bildung gerecht werdenden<br />
Schulsystems noch zahlreiche<br />
schulgesetzliche und erlassliche<br />
Vorgaben entgegenstehen,<br />
u. a. die Möglichkeit,<br />
Schwerpunktschulen noch<br />
bis in das Jahr 2030 aufrecht<br />
zu erhalten, ohne dass die<br />
Schulträger ein Konzept zur<br />
Umsetzung vorlegen müssen.<br />
Des Weiteren machten wir<br />
noch einmal deutlich, dass<br />
die im Primar- und Sekundarbereich<br />
(systemische Grundversorgung<br />
im Primarbereich<br />
und die kindorientierte<br />
Ressourcenzuweisung im<br />
Sekundarbereich) unterschiedliche<br />
Zuweisung von<br />
Förderschullehrkräften eine<br />
starke Benachteiligung für<br />
die Grundschulen bedeutet.<br />
Gerade im Zuge großer gesellschaftlicher<br />
Veränderungen<br />
und zunehmender Herausforderungen<br />
in Schule decken<br />
die zugewiesenen Ressourcen<br />
die gestiegenen Bedarfe bei<br />
weitem nicht ab. An dieser<br />
Stelle erwarten wir deutliche<br />
Entlastungen für die Grundschulen.<br />
Eng damit in einem<br />
Zusammenhang stehend diskutierten<br />
wir gemeinsam über<br />
die mögliche Abschaffung der<br />
sonderpädagoischen Etikettierung<br />
durch die Verfahren<br />
zur Feststellung sowie der<br />
Feststellung des sonderpädagogischen<br />
Förderbedarfs.<br />
Ein weiterer Gesprächspunkt,<br />
der zahlreiche Chancen bieten<br />
könnte, Schule kindergerechter<br />
und inklusiver zu<br />
entwickeln, war der Freiräumeprozess,<br />
der von Seiten der<br />
Ministerin gestartet wurde.<br />
Zudem ging es letztendlich<br />
darum, noch einmal<br />
auf die starken regionalen<br />
Unterschiede nicht nur bei<br />
der Lehrkräftegewinnung,<br />
sondern auch bei der Einstellung<br />
von Anwärterinnen<br />
und Anwärtern in den<br />
Vorbereitungsdienst oder der<br />
Akquise von Studierenden,<br />
Pädagogischen Mitarbeiterinnen<br />
und Mitarbeitern<br />
oder Sozialarbeiterinnen und<br />
Sozialarbeitern hinzuweisen.<br />
Diese regionalen Unterschiede<br />
betrachten wir mit<br />
großer Sorge, wirken sie sich<br />
nicht nur auf die Unterrichtsverorgung<br />
aus, sondern in<br />
letzter Konsequenz auch auf<br />
eine innovative Schul- und<br />
Unterrichtsentwicklung, die<br />
unter anderem von neuen<br />
Impulsen lebt. Auch an<br />
dieser Stelle, betonte Frau<br />
Hamburg, sei das MK auf der<br />
Suche nach Lösungen, nahm<br />
aber auch Schulträger und<br />
Kommunen in die Pflicht,<br />
attraktive Anreize zu schaffen,<br />
um qualifizierte pädagogische<br />
Fachkräfte auch für<br />
vielleicht weniger reizvoll<br />
erscheinende Regionen zu<br />
gewinnen.<br />
Einen herzlichen Dank an<br />
Frau Hamburg und ihre Mitarbeiterinnen<br />
und Mitarbeiter<br />
aus den Referaten 32 und 53,<br />
die unsere Anliegen, Schule<br />
inklusiv und kindergerecht<br />
zu gestalten, mit einem<br />
offenen Ohr aufgenommen<br />
haben und daran arbeiten,<br />
Möglichkeiten für Schulen zu<br />
schaffen, diesem Ziel näher<br />
zu kommen.<br />
AG Berufsbild Lehrkraft<br />
gestartet<br />
Analog zum Berufsbild Schulleitung<br />
ist das MK bestrebt<br />
ein „Berufsbild Lehrkraft“ zu<br />
definieren. In einer aus Verbänden,<br />
Mitarbeitenden der<br />
RLSB sowie des MK zusammengesetzten<br />
Arbeitsgruppe<br />
sollen Aufgabenbereiche<br />
und Anforderungspofile<br />
an Lehrkräfte erarbeitet<br />
werden. Die Auftaktsitzung<br />
der Arbeitsgrupppe fand am<br />
22.09.2024 statt, drei weitere<br />
Arbeitstreffen sind in den<br />
folgenden Monaten geplant.<br />
Auch in dieser Arbeitsgruppe<br />
erhalten wir die Gelegenheit,<br />
uns mit unserer Expertise in<br />
die Diskussion mit eigenen<br />
Impulsen einzubringen.<br />
Anhörfassung des Kerncurriculums<br />
Deutsch<br />
Bis zum 16. August 2024<br />
erhielten wir als Landesgruppe<br />
die Gelegenheit,<br />
eine Stellungnahme zur<br />
Anhörfassung des Kerncurriculums<br />
Deutsch abzugeben.<br />
Die Stellungnahme ist auf<br />
unserer Homepage unter<br />
www.gsv-nds.de einzusehen.<br />
Save the date:<br />
Am Dienstag, den<br />
26.11.2024 findet in<br />
der Zeit von 18.00 Uhr bis<br />
19.00 Uhr unsere Mitgliederversammlung<br />
im digitalen<br />
Format statt. Wir möchten<br />
euch die Ergebnisse unserer<br />
Umfrage vorstellen und<br />
gemeinsame Ideen für das<br />
Jahr 2025 sammeln. Über<br />
eine aktive Beteiligung<br />
würden wir uns freuen.<br />
Anmeldung unter gsv.nds@<br />
gmail.com.<br />
Ein Zugangslink wird nach<br />
Anmeldung verschickt.<br />
Für die Landesgruppe:<br />
Eva-Maria Osterhues-Bruns<br />
48<br />
GS aktuell 168 • November 2024
aktuell … aus den Landesgruppen<br />
Thüringen<br />
Vorsitzende: Steffi Jünemann<br />
grundschulverband-thueringen@gmx.de<br />
Einladung Mitgliederversammlung<br />
Die Landesgruppe Thüringen<br />
hält noch in diesem Jahr eine<br />
Mitgliederversammlung ab.<br />
Diese ist von großer Bedeutung<br />
und wir möchten daher<br />
auch auf diesem Wege auf sie<br />
aufmerksam machen.<br />
Die Versammlung wird<br />
am 30.11. ab 10:00<br />
Uhr in der Gustav-Freytag-Straße<br />
6, 99096 Erfurt<br />
stattfinden. Auf dem Tagesordnungsplan<br />
steht unter<br />
anderem die Neuwahl des<br />
Vorstandes der Landesgruppe.<br />
Somit ist das Treffen<br />
auschlaggebend für die<br />
Zukunft des Grundschulverbandes<br />
in Thüringen.<br />
Außerdem wird ein Workshop<br />
zur Stimmgesundheit<br />
von Lehrer:innen, angeleitet<br />
von Esther Bertram stattfinden,<br />
indem wir gemeinsam<br />
unsere Stimme trainieren<br />
und Übungen an die Hand<br />
bekommen, die uns helfen,<br />
uns und unsere Stimme im<br />
hektischen und lauten Schulalltag<br />
zu schützen.<br />
Unsere Stimme nutzen<br />
Wir möchten die Gelegenheit<br />
des Zusammenkommens<br />
zur Mitgliederversammlung<br />
außerdem dazu nutzen,<br />
mit euch in den Austausch<br />
zu kommen. Nach den<br />
Thüringer Landtagswahlen<br />
im September verlangt die<br />
politische Lage nach einem<br />
starken Grundschulverband<br />
und somit nach einer starken<br />
Landesgruppe. Wir möchten<br />
mit euch darüber reden, wie<br />
wir unsere Stimme für die<br />
Fachlichkeit in der Grundschule<br />
und vor allem für die Kinder<br />
auch in Zukunft verantwortungsvoll<br />
nutzen können.<br />
Gerne begrüßen wir Mitglieder<br />
aus Thüringen und<br />
anderen Bundesländern, die<br />
mit uns in den Austausch treten<br />
wollen. Selbstverständlich<br />
sind auch Interessierte,<br />
die noch nicht Mitglied im<br />
Grundschulverband sind, zur<br />
Versammlung willkommen.<br />
Wir freuen uns auf euch!<br />
Für die Landesgruppe:<br />
Leah Kästner<br />
Brandenburg<br />
Vorsitzende: Denise Sommer<br />
Gsv-Brandenburg@posteo.de, www.grundschulverband.de<br />
Schuljahresstart<br />
in Brandenburg<br />
Auch im Schuljahr 2024/2025<br />
werden die Grundschulen<br />
des Landes Brandenburg<br />
zahlreiche Herausforderungen<br />
bewältigen müssen.<br />
Trotz intensiver Werbekampagne<br />
des Bildungsministeriums<br />
konnten nicht<br />
alle offenen Lehrerstellen<br />
besetzt werden. Dies ist besonders<br />
für Grundschulen im<br />
ländlichen Raum ein großes<br />
Problem. Mit der 5. Auflage<br />
des Landlehrerstipendiums<br />
erhalten 25 weitere Lehramtsstudierende<br />
ab Oktober<br />
2024 eine monatliche<br />
finanzielle Förderung über<br />
600€ vom Land Brandenburg.<br />
Die angehenden Lehrkräfte<br />
verpflichten sich alle Praktika<br />
sowie das Referendariat an<br />
der Partnerschule durchzuführen<br />
und anschließend als<br />
Lehrkraft im ländlichen Raum<br />
zu arbeiten.<br />
Das Honorarprogramm<br />
„Studierende an die Schulen“<br />
wurde verlängert und bietet<br />
Studentinnen und Studenten<br />
die Möglichkeit, bereits während<br />
des Studiums praktische<br />
Erfahrungen zu sammeln. Die<br />
Schulen können die Studierenden<br />
gezielt zur Förderung<br />
der Schülerinnen und Schüler<br />
besonders zur Verbesserung<br />
der sprachlichen und mathematischen<br />
Kompetenzen<br />
einsetzen.<br />
Zum Schuljahresbeginn<br />
wurde die Zahl der Schulpsychologinnen<br />
und<br />
Schulpsychologen im Land<br />
Brandenburg erheblich<br />
aufgestockt. Der Grundschulverband<br />
begrüßt diese<br />
Entwicklung, sieht allerdings<br />
dringenden Handlungsbedarf<br />
in der Erhöhung der<br />
Stellen für Sozialarbeit an<br />
Schulen. Die Brandenburger<br />
Grundschullehrerinnen und<br />
-lehrer sind froh, dass die<br />
Teilnoten der Kompetenzbereiche<br />
im Fach Deutsch<br />
in den Jahrgängen 3 und 4<br />
zu Gunsten einer Gesamtnote<br />
abgeschafft wurden.<br />
Die Verbesserung der<br />
sprachlichen und mathematischen<br />
Kompetenzen der<br />
Schülerinnen und Schüler,<br />
die Medienbildung sowie<br />
zahlreiche Maßnahmen zur<br />
Demokratiebildung sind<br />
Schwerpunktaufgaben auch<br />
in diesem Schuljahr.<br />
Dazu hat der Vorstand der<br />
Brandenburger Landesgruppe<br />
mit der Herbsttagung am<br />
17.10.2024 an der Neuen<br />
Grundschule in Potsdam,<br />
die langjähriges Mitglied<br />
unseres Verbandes ist, zum<br />
Thema „Basiskompetenzen<br />
UND Future Skills stärken“ ein<br />
praxisnahes Fortbildungsund<br />
Unterstützungsangebot<br />
organsiert. Wir danken<br />
Schulleiterin Wenke Funke<br />
und ihrem Team sowie dem<br />
Förderverein der Schule sehr<br />
herzlich für die hervorragende<br />
Organisation.<br />
Online-Austausch<br />
der Brandenburger<br />
Landesgruppe:<br />
Termine 18–19 Uhr:<br />
05.12.2024, 13.02.2025,<br />
03.04.2025, 05.06.2025,<br />
02.10.2025, 04.12.2025<br />
Anmeldung an:<br />
gsv-brandenburg@posteo.de<br />
Für die Landesgruppe:<br />
Stefanie Gärtner<br />
Denise Sommer<br />
GS aktuell 168 • November 2024<br />
U III
Grundschule aktuell<br />
Grundschulverband e. V.<br />
Frankfurter Straße 74–76 · 63263 Neu-Isenburg<br />
Tel. 06102 / 88 21 660 · Fax 06102 / 88 21 664<br />
info@grundschulverband.de<br />
www.grundschulverband.de<br />
Ausblick Grundschule aktuell 169<br />
Schrift und Schreiben<br />
Das Thema Schrift hat gerade in den letzten Jahren ein besonderes mediales Interesse<br />
erreicht. Ausgelöst wurde es letztendlich durch die vom Grundschulverband entwickelte<br />
Grundschrift, die zu einer Konzeption der Handschrift weiterentwickelt wurde.<br />
Um diese Konzeption und ihre Bedeutung in der Grundschule und darüber hinaus noch<br />
einmal zu verdeutlichen, wollen wir ihr ein ganzes Heft widmen. Im Fokus steht dabei die<br />
Entwicklung des Schreibens mit der Hand und seine Förderung als fächerübergreifende<br />
Aufgabe der Grundschule. Dabei soll ins Zentrum rücken, dass das Schreiben auf dem<br />
Papier oder auch mit der Tastatur vor allem ein Werkzeug ist, um die Texte der Kinder<br />
anderen zugänglich zu machen.<br />
www.grundschulverband.de · Februar 2024 · D9607F<br />
Grundschule aktuell<br />
Zeitschrift des Grundschulverbandes · Heft 165<br />
Die nächsten<br />
Themen<br />
Kinder Stärken erleben lassen<br />
Zum Thema<br />
Forschung<br />
Rundschau<br />
• Kinderstärken!<br />
• Social Entrepreneurship • Frühjahrstagung des GSV<br />
Kinder stärken!! Starke Kinder!!! Education in der GS<br />
am 2. März in Weimar<br />
Februar 2024<br />
Mai 2024<br />
September 2024<br />
Heft 170 | Mai 2025<br />
Bauen, Konstruieren,<br />
Programmieren<br />
Heft 171 | September 2025<br />
Kinder und Bücher im Kontext<br />
von Mehrsprachigkeit<br />
Heft 172 | November 2025<br />
Politische Bildung in der GS<br />
www.<br />
grundschule-aktuell.info