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Beobachten - Staunen - Forschen

GSa168_Nov_2024

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www.grundschulverband.de · November 2024 · D9607F<br />

Grundschule aktuell<br />

Zeitschrift des Grundschulverbandes · Heft 168<br />

<strong>Beobachten</strong> – <strong>Staunen</strong> – <strong>Forschen</strong>:<br />

Naturwissenschaftliches Lernen<br />

in der Grundschule<br />

Zum Thema<br />

• Forscherzeit für alle<br />

• Und was kommt nach<br />

dem <strong>Staunen</strong>?<br />

Forschung<br />

• Wie können Grundschul-<br />

Lehramtsstudierende Kinder<br />

individuell unterstützen?<br />

Rundschau<br />

• Mehr als 100 Tage im Amt –<br />

Vom Neustart beim<br />

Grundschulverband


Inhalt<br />

Tagebuch<br />

S. 2 Ich bin im GSV, weil (M. Töpler)<br />

Thema: <strong>Beobachten</strong> – <strong>Staunen</strong> – <strong>Forschen</strong><br />

S. 3 Wer hat Angst vorm Flaschengeist?<br />

(M. Peschel, M. Fischer)<br />

S. 5 <strong>Forschen</strong> im Kreis?<br />

(P. Kihm, M. Fischer, M. Peschel)<br />

S. 8 Kinder fragen – Lehrkräfte antworten?!<br />

(J. Simon, T. Simon)<br />

Praxis: <strong>Beobachten</strong> – <strong>Staunen</strong> – <strong>Forschen</strong><br />

S. 11 Und was kommt nach dem <strong>Staunen</strong>?<br />

(S. Poensgen, A. Jungmann)<br />

S. 13 „Ich sehe da einen Schnabel!!!“ (S. Köhler)<br />

S. 16 Wie kommt das Feuer ins Streichholz?<br />

(M. Fischer, S. Poensgen, S. Kirli)<br />

S. 19 Da kannst du Watt erleben!<br />

(S. Schlecht, S. Petr, E. Osterhues-Bruns)<br />

S. 22 Forscherzeit für alle (D. Maier, S. John)<br />

S. 25 Kinderbücher zum Thema<br />

(M. Gutzmann, M. Fischer)<br />

Aus der Forschung<br />

S. 27 Wie (gut) können Grundschullehramtsstudierende<br />

Kinder individuell unterstützen?<br />

(R. Baumann, B. Oetjen, S. Ertl, S. Martschinke)<br />

Rundschau<br />

S. 31 Save the Date – Jahrestagung des GSV 2025<br />

in Halle<br />

S. 32 Aus dem Vorstand (M. Gutzmann)<br />

S. 34 Lehrkraft sein in zwei Welten (M. Gutzmann)<br />

S. 36 Projekt Eine Welt: Gleich und gerecht? (R. Rentz)<br />

S. 37 Lehrkraft an einem prekären Standort – herausfordernd<br />

und besonders (M. Barck)<br />

S. 39 Auftakt Serie Ganztag (M. Lassek)<br />

S. 40 Nachdenkenswert: Gerald Klenk im Gespräch<br />

mit Tim Wiegelmann<br />

S. 42 Kooperationspartner: Der Verband für Sonderpädagogik<br />

e. V. (A. Ehlers)<br />

S. 43 Nachruf auf Peter Heyer (U. Widmer-Rockstroh)<br />

Landesgruppen aktuell – unter anderem:<br />

S. 44 Bayern: Modellversuch einer Schule für<br />

alle abgelehnt<br />

S. 46 Hessen, Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz:<br />

Neues Format: Talk im Südwesten<br />

S. 47 Sachsen-Anhalt: Anhörung des Kerncurriculums<br />

Deutsch<br />

Und was kommt nach dem <strong>Staunen</strong>?<br />

Ausgehend von Kinderfragen aufgrund ihrer Beobachtungen<br />

aus ihrer Lebenswelt oder solchen, die im Sachunterricht durch<br />

die Auseinandersetzung mit einem<br />

Phänomen entstehen, werden diese<br />

gezielt beim Experimentieren<br />

im Sachunterricht aufgegriffen.<br />

Der Experimentierprozess wird als<br />

Weg der gemeinsamen Erkenntnis<br />

gesehen und durch den Einsatz digitaler<br />

Medien mir ihren Möglichkeiten<br />

der Dokumentation, Präsentation<br />

und Kommunikation ergänzt.<br />

Seiten 11–13<br />

Forscherzeit für alle<br />

In diesem Beitrag beschreiben zwei<br />

Lehrerinnen, wie an ihrer Grundschule<br />

das Kind mit seinen Fragen an die Lebenswelt<br />

ernst genommen wird und<br />

in jedem Grundschuljahr ausreichend<br />

Raum und Zeit erhalten soll, diesen forschend-entdeckend<br />

nachgehen zu können.<br />

Die Konzeption der Schule erhebt<br />

<strong>Forschen</strong> als Unterrichtsprinzip. Innerhalb<br />

des jeweiligen Jahresforscherthemas erhalten alle eine<br />

ausgewiesene Forscherzeit im schuleigenen Forscherlabor.<br />

Seiten 22–24<br />

Impressum<br />

GRUNDSCHULE AKTUELL, die Zeitschrift des Grundschulverbandes,<br />

erscheint vierteljährlich und wird allen Mitgliedern zugestellt<br />

(ausgenommen Unterstützer:innen).<br />

Das einzelne Heft kostet 12,00 € (zzgl. Versand);<br />

ab zehn Exemplaren 9,50 € (zzgl. Versand).<br />

Verlag: Grundschulverband e. V., Frankfurt am Main<br />

Frankfurter Straße 74–76, 63263 Neu-Isenburg<br />

Tel. 06102 8821660, Fax: 06102 8821664,<br />

www.grundschulverband.de, info@grundschulverband.de<br />

Herausgeber: Der Vorstand des Grundschulverbandes<br />

Redaktion: marion.gutzmann@vs-grundschulverband.de,<br />

gabriele.klenk@grundschuleaktuell.de<br />

Fotos und Grafiken: Titelfoto: D. Maier, S. John)<br />

Christoph Schommer (S. 38)<br />

Autorinnen und Autoren (soweit nicht anders vermerkt)<br />

Herstellung: novuprint Agentur GmbH, 30175 Hannover<br />

Anzeigen: Grundschulverband e. V., Tel. 06102 8821660,<br />

info@grundschulverband.de<br />

Druck: Strube Druck & Medien GmbH, 34587 Felsberg<br />

ISSN 1860–8604 / Bestellnummer: 6112<br />

In manchen Beiträgen dieser Zeitschrift bringen Autorinnen und Autoren<br />

ihr Bemühen um eine gendersensible Sprache durch be son dere schriftsprachliche<br />

Zeichen zum Ausdruck. Da es zurzeit keine allgemein anerkannte<br />

Lösung für das Problem „gendersen sibler“ (Schrift-)Sprache gibt, verwendet<br />

jede Autorin und jeder Autor ihre oder seine bevorzugte Form.<br />

UII<br />

GS aktuell 168 • November 2024


Diesmal<br />

Lehrkraft sein in zwei Welten<br />

Anschaulich und eindrucksvoll beschreibt Marion Gutzmann<br />

ihren Weg, ausgehend von ihrem Kinderwunsch, „Lehrerin<br />

werden zu wollen“, und der für sie hierzu prägenden eigenen<br />

Lehrerinnen hin bis zur eigenen Rolle als Grundschullehrerin.<br />

Dabei nimmt sie rückblickend die Frage „Lehrkraft<br />

und Mutter sein?“ in den Blick, der sich viele Frauen in diesem<br />

Beruf stellen. Als junge Lehrerin in Brandenburg erlebte<br />

sie die Wende und das Neue nach 1989 mit. Unterstützend<br />

und ermutigend waren hier für sie der Grundschulverband<br />

mit seinen Schriften und Mitstreiter:innen. Diese prägten<br />

ihre Haltung und ihr pädagogisches Handeln. Marion Gutzmann<br />

zeigt auf, dass sie sowohl als Gründungsmitglied der<br />

Landesgruppe Brandenburg, als Bundesvorstandsmitglied als<br />

auch als Vorsitzende des GSV sich in einem starken Bündnis<br />

für eine Schule engagieren kann, die Kindern und Erwachsenen<br />

Raum bietet, miteinander aufmerksam umzugehen.<br />

Noch mehr Grundschulverband?<br />

Sie finden uns auf Social Media,<br />

Stichwort „Grundschulverband“<br />

und unseren Podcast direkt<br />

auf unserer Homepage:<br />

https://grundschulverband.de<br />

Newsletter noch nicht abonniert?<br />

Mit diesem QR-Code gelangen Sie<br />

direkt zur Anmeldung:<br />

www.<br />

grundschule-aktuell.info<br />

Hier finden Sie Informationen zu „Grundschule aktuell“<br />

und hier das Archiv der Zeitschrift:<br />

www.<br />

grundschulverband.de/archiv/<br />

Seiten 34–35<br />

Der Blaue Engel – das Umweltzeichen<br />

Durch die Verwendung eines mit dem „Blauen<br />

Engel“ umweltzertifizierten Papiers für unsere<br />

Fachzeitschrift „Grundschule aktuell“ ist der<br />

Grundschulverband von nun an berechtigt, das<br />

Umweltzeichen „Blauer Engel“ zu führen. Da uns Umwelt- und<br />

Gesundheitsschutz am Herzen liegen, wir verantwortungsvoll<br />

mit Ressourcen umgehen möchten, freuen wir uns, auf diesem<br />

Weg einen Beitrag leisten zu können.<br />

Mit besten Grüßen, Ihr Grundschulverband e. V.<br />

Liebe Leser:innen,<br />

die zwölf Berichte aus den Landesgruppen lassen vermuten,<br />

dass sich in vielen Bundesländern ein bewegtes Herbstleben<br />

abspielt. Herbsttagungen, bildungspolitische Aktionen,<br />

Gespräche mit den Kultusministerien oder Kooperationen<br />

mit anderen Verbänden zeigen ein breites Spektrum der Aktivitäten<br />

der Landesgruppen auf. So wird u. a. auch ein neues<br />

Onlineformat „Talk im Südwesten“ zukünftig die Angebotspalette<br />

der länderübergreifenden Landesgruppenaktivitäten,<br />

die zum Austausch und Vernetzen einladen, bereichern. Nicht<br />

nur in Sachsen oder Bayern steht die Umsetzung des Rechtsanspruchs<br />

auf Ganztagsbetreuung von Grundschulkindern auf<br />

der Agenda. Mit Blick auf den Start 2026 beginnen wir eine<br />

neue Serie mit einem einleitenden Beitrag von Maresi Lassek,<br />

in dem sie auf die Vielfalt der Angebote in der ganztägigen Bildung<br />

und Betreuung hinweist und fragt: Was ist eigentlich ein<br />

guter Ganztag? Wessen Ansprüche müssen Berücksichtigung<br />

finden?<br />

Der thematische Schwerpunkt dieser Zeitschrift wurde von<br />

Markus Peschel, Fachreferent für Lernkulturen und Sachunterricht<br />

im Grundschulverband, und Marie Fischer, wissenschaftliche<br />

Mitarbeiterin an der Universität des Saarlandes,<br />

zusammengestellt und moderiert. Marie Fischer und Markus<br />

Peschel führen Sie, liebe Leser:innen, mit folgenden Fragen<br />

und Überlegungen in den Themenschwerpunkt „<strong>Beobachten</strong><br />

– <strong>Staunen</strong> – <strong>Forschen</strong>“ ein: Kinder kommen neugierig in die<br />

Schule. Beobachtungen und daraus resultierende Fragen gehören<br />

seit frühester Kindheit zu ihrer Lebens- und Lernwelt.<br />

Welche Möglichkeiten gibt es, insbesondere im Sachunterricht,<br />

an die Beobachtungen und Erfahrungen der Kinder anzuknüpfen?<br />

Welche Rolle spielen <strong>Beobachten</strong>, <strong>Staunen</strong> und<br />

<strong>Forschen</strong> im Unterricht der Grundschule und welche in der<br />

Praxis erprobten Konzepte gibt es dazu? Wie können Lehrkräfte<br />

mit den vielfältigen Fragen der Kinder umgehen und<br />

die Lernenden beim <strong>Beobachten</strong>, <strong>Staunen</strong> und <strong>Forschen</strong> begleiten?<br />

Wie durch Experimentier- und Beobachtungsprozesse in und<br />

außerhalb des Unterrichts aus <strong>Staunen</strong> naturwissenschaftliche<br />

Erkenntnisse werden können und wie diese mit weiteren Perspektiven<br />

des Sachunterrichts zusammenspielen, soll in der Zeitschrift<br />

gezeigt werden. Beispiele für das <strong>Beobachten</strong>, <strong>Staunen</strong><br />

und <strong>Forschen</strong> werden von Autor:innen in dieser Zeitschrift aufgegriffen<br />

und aus verschiedenen Blickwinkeln neu gedacht, justiert,<br />

diskutiert und reflektiert. Stellvertretend sei an dieser Stelle<br />

auf einen Beitrag verwiesen, in dem aufgezeigt wird, wie das Watt<br />

als außerschulischer Lernort auch Kinder verschiedener Schulstufen<br />

zum eigenständigen, aber auch nachhaltigen und langfristigen<br />

<strong>Forschen</strong> anregen kann. Hier wird auch darauf hingewiesen,<br />

wie unabdingbar das Vertrauen in die Schüler:innen ist, ihr<br />

Vorhaben zum Gelingen bringen zu wollen – aber auch die Gelassenheit<br />

der Lehrkräfte mit dem Wissen, dass einzelne Experimente<br />

auch scheitern können.<br />

Wir wünschen Ihnen, liebe Leserinnen und Leser, eine<br />

gute Herbstzeit und bleiben Sie auch weiterhin mit uns im<br />

Gespräch.<br />

Herzlichst<br />

Marion Gutzmann, Gabriele Klenk<br />

sowie Maresi Lassek, Hans Brügelmann und Michael Töpler<br />

GS aktuell 168 • November 2024<br />

1


Tagebuch<br />

Ich bin im GSV, weil …<br />

Michael Töpler<br />

ehemaliger Fachreferent<br />

„Eltern und Schule“, Mitglied im<br />

Redaktionsteam von GSa,<br />

Fortbildner in den Bereichen<br />

Elternmitwirkung und Kinderrechte<br />

Mein Weg in den Grundschulverband führte über den<br />

Bundeselternrat. Zum ersten Mal hatte ich näheren Kontakt<br />

zum Grundschulverband als Kooperationspartner,<br />

mit dem wir gemeinsam an einer Stellungnahme verschiedener<br />

Verbände arbeiten durften. Mich hat die Klarheit<br />

der Argumentation, das Verständnis für Spielräume<br />

innerhalb einer Organisation wie dem Bundeselternrat<br />

und das hohe Engagement begeistert, dass ich bei allen<br />

Verantwortlichen im GSV gespürt habe. Nach meinem<br />

Ausscheiden aus dem Bundeselternrat hatte ich die Gelegenheit,<br />

mich als Fachreferent für den GSV zu bewerben.<br />

Das war eine großartige Chance, die Zusammenarbeit<br />

weiter zu vertiefen und das Thema der Elternmitwirkung<br />

in viele Diskussionen des Verbandes mit einzubringen.<br />

Meine Begeisterung für die Grundschule hat sich in den<br />

letzten Jahren weiter vertieft. Durch den intensiven Austausch<br />

auf den Delegiertentreffen, die Arbeit mit dem Vorstand<br />

und die Wahrnehmung von Außenterminen konnte<br />

ich mich in viele spannende Themen einarbeiten und mich<br />

immer wieder fortbilden. Die Mischung der verschiedenen<br />

Professionen und Rollen im Grundschulverband führt<br />

zu einer intensiven und konstruktiven Auseinandersetzung<br />

auch mit schwierigen Themen. Aus der Elternperspektive<br />

wird dabei deutlich, wie sehr auch die „Fachmenschen“<br />

mit immer neuen Herausforderungen ringen und<br />

sich gegenseitig bei der Lösung von Problemen unterstützen.<br />

Ähnlich kann auch die Zusammenarbeit von Eltern<br />

und Fachkräften an den einzelnen Schulen gelingen.<br />

Die Arbeit für die „Grundschule aktuell“ war noch einmal<br />

eine ganz andere Möglichkeit, Themen in ihrer Breite<br />

zu erfassen und möglichst vielfältige Erfahrungen zusammenzubringen.<br />

Das Zusammenwirken von Praxis und Theorie<br />

ist immer wieder spannend und gerade auch für Eltern<br />

wichtig zu verstehen. Damit die Zusammenarbeit innerhalb<br />

des Grundschulverbandes gelingt, sind neben den wichtigen<br />

digitalen Austauschformaten persönliche Treffen entscheidend.<br />

Die Tagung in Weimar hat mir dieses Jahr wieder<br />

deutlich gezeigt, warum der GSV ein besonderer Verband<br />

ist. Alle Teilnehmenden bringen eigene Erfahrungen<br />

und Motivationen mit, sie sind interessiert am Austausch in<br />

Workshops und in kurzen Gesprächen am Buffet gleichermaßen.<br />

Manchmal kommt die nächste wichtige Anregung<br />

für die eigene Arbeit aus einem Vortrag, manchmal aus einem<br />

guten Gespräch beim Kaffee. Wenn man sich auf einer<br />

derartigen Veranstaltung befindet, dann kann man erahnen,<br />

wie Bildung mit Wertschätzung gelingen kann und an vielen<br />

Orten auch bereits gelingt.<br />

2<br />

GS aktuell 168 • November 2024


Thema: <strong>Beobachten</strong> – <strong>Staunen</strong> – <strong>Forschen</strong><br />

Markus Peschel, Marie Fischer<br />

Wer hat Angst vorm Flaschengeist?<br />

Animismen, Geschichten, Rahmungen<br />

statt Fokus auf Beobachtung, Kommunikation, Veränderung<br />

Häufig werden im (Sach-)Unterricht der Grundschule bei der Auseinandersetzung<br />

mit naturwissenschaftlichen Phänomenen eine „motivierende“ Einführung,<br />

eine „animierende“ Aufgabenstellung, Identifikationsfiguren oder eine<br />

„fesselnde“ Geschichte als Rahmung des Experimentierens bemüht. Hilft aber<br />

eine motivierende Erzählung oder eine animistische Begründung (wie z. B. „Flaschengeist“<br />

statt Luftausdehnung) wirklich für die inhaltliche naturwissenschaftliche<br />

Erkenntnis(gewinnung)?<br />

Fragen – die sich in diesem Heft<br />

aus der Sicht mehrerer Autor:innen<br />

dazu stellen lassen – lauten:<br />

Was genau sollen Schüler:innen in<br />

einem naturwissenschaftlich-orientierten<br />

Sachunterricht der Grundschule<br />

lernen? Was genau ist der fachliche Bildungsgehalt?<br />

Welche Kompetenzen,<br />

welche Methoden, welche Denk-,<br />

Arbeits- und Handlungsweisen sollen<br />

genutzt bzw. erlernt werden? Welche<br />

Aspekte von Bildung – meist auch unter<br />

„scientific literacy“ oder „nature of science“<br />

thematisiert – sollen wann, wo,<br />

wie ausgebildet werden?<br />

Naturwissenschaftliche<br />

Bildung von Anfang an<br />

Scientific Literacy im Sachunterricht beginnt<br />

damit, dass Kinder Phänomene der<br />

Lebenswelt wahrnehmen und Fragen zu<br />

Phänomenen ihrer Lebenswelt stellen. Sie<br />

sollen dabei nicht nur lernen, Fragen zu formulieren,<br />

sondern auch Kompetenzen entwickeln,<br />

diese Fragen eigenständig zu beforschen,<br />

z. B. durch forschend-entdeckendes<br />

Lernen. Dieser Ansatz gibt den Schüler:innen<br />

die Möglichkeit, selbst zu beobachten,<br />

eigene Erkenntnisse zu gewinnen und Zusammenhänge<br />

nachzuvollziehen. Diese<br />

individuellen Erkenntnisse müssen dann in<br />

einen kommunikativen Austausch / Zusammenhang<br />

gestellt werden und im Sinne der<br />

„Wege zur gemeinsamen Erkenntnis“ (vgl.<br />

Kihm in diesem Heft) entwickelt werden.<br />

Im Sachunterricht ist es entscheidend,<br />

dass die Schüler:innen ausgehend von<br />

ihrer Lebenswelt naturwissenschaftliche<br />

Erkenntnisse gewinnen und naturwissenschaftliche<br />

Methoden erlernen<br />

(vgl. GDSU 2013; 202x i. V.). Dies erfolgt<br />

i. d. R. über einen phänomenorientierten<br />

Zugang, also durch die direkte Auseinandersetzung<br />

mit Naturphänomenen.<br />

Bei der Auseinandersetzung mit naturwissenschaftlichen<br />

Phänomenen geht es<br />

darum, dass die Schüler:innen Denk-,<br />

Arbeits- und Handlungsweisen (DAHs)<br />

(vgl. GDSU 2013) der Naturwissenschaften<br />

kennenlernen und diese auch<br />

anwenden. Diese Methoden ermöglichen<br />

es ihnen, Naturphänomene wahrzunehmen,<br />

zu beobachten, sprachlich zu<br />

fassen, zu beschreiben und zu verstehen.<br />

Ein zentraler Aspekt der naturwissenschaftlichen<br />

Perspektive im Sachunterricht<br />

ist das interessierte Fragenstellen<br />

aus einer Neugier an die Natur: Schüler:innen<br />

sollen Zusammenhänge von<br />

Naturphänomenen (im Sinne von „Wenn<br />

… dann …“-Relationen) erkunden und<br />

Phänomene der belebten und der unbelebten<br />

Natur verstehen. Dabei lernen<br />

sie, wie naturwissenschaftliche Erkenntnisse<br />

gewonnen werden: Sie beobachten,<br />

experimentieren und entwickeln Ideen,<br />

wie man zu (vorläufigen) Erkenntnissen<br />

kommt, um sich weiter fragend naturwissenschaftlichen<br />

Fragestellungen anzunähern<br />

und diese zu beantworten.<br />

Das Ziel einer solchen naturwissenschaftlichen<br />

Herangehensweise ist es,<br />

die Schüler:innen zu einer Scientific Literacy,<br />

also einer naturwissenschaftlichen<br />

Grundbildung, hinzuführen. Diese<br />

befähigt sie, Probleme zu erkennen,<br />

fundierte und zunehmend rationale Entscheidungen<br />

zu treffen und selbstständig<br />

Lösungswege zu entwickeln. Mittels<br />

Scientific Literacy lernen sie, naturwissenschaftliche<br />

Fragestellungen aus bzw.<br />

in ihrer eigenen Lebenswelt zu identifizieren,<br />

eine beobachtende und kritischverstehende<br />

Haltung gegenüber Phänomenen<br />

einzunehmen und geeignete<br />

Methoden anzuwenden, um (vorläufige)<br />

Antworten zu finden.<br />

Ein Gegensatz zu einem (einseitig)<br />

fachziel- und instruktionsorientiertem<br />

Unterricht besteht darin, dass Raum für<br />

eigene Entdeckungen und Beobachtungen<br />

geschaffen wird. Anstatt vorgefertigte<br />

Versuche anhand von anleitenden<br />

Arbeitsblättern durchzuführen, entwickeln<br />

Schüler:innen eigene Fragen und<br />

Erkenntniswege. Dies fördert ein tieferes<br />

Verständnis für die „Natur der Naturwissenschaften“<br />

(Nature of Science,<br />

NoS, vgl. Höttecke & Hopf 2018), indem<br />

sie nicht nur Faktenwissen erwerben,<br />

sondern vor allem verstehen, wie Wissenschaft<br />

funktioniert: durch ständiges<br />

Fragen, Überprüfen und Anpassen von<br />

Theorien.<br />

Nicht zuletzt kommt der Reflexion<br />

eine zentrale Rolle zu: Die Kinder sollen<br />

nicht nur lernen, Experimente bzw.<br />

Versuche durchzuführen, sondern auch,<br />

ihre Erkenntniswege zu hinterfragen.<br />

Dies schließt ein, die Vorläufigkeit wissenschaftlichen<br />

Wissens zu erkennen<br />

und zu verstehen, dass Wissenschaft<br />

sich stetig (weiter)entwickelt, immer in<br />

Bewegung ist (vgl. Fischer et al. in diesem<br />

Heft).<br />

Scientific Literacy im<br />

Sachunterricht<br />

Zusammengefasst geht es im naturwissenschaftlich-orientierten<br />

Sachunterricht<br />

darum, die Schüler:innen für die<br />

GS aktuell 168 • November 2024<br />

3


Thema: <strong>Beobachten</strong> – <strong>Staunen</strong> – <strong>Forschen</strong><br />

wissenschaftliche Beobachtung ihrer<br />

Umwelt zu sensibilisieren, ihnen Methoden<br />

an die Hand zu geben, wie sie (eigene)<br />

Fragen beantworten können, und<br />

ihnen eine Scientific Literacy zu vermitteln,<br />

die sie zu reflektierten und verantwortungsbewussten<br />

Entscheider:innen<br />

macht.<br />

Viele Angebote für den naturwissenschaftlich-orientierten<br />

Sachunterricht<br />

arbeiten aber häufig entgegen der<br />

hier skizzierten grundlegenden Scientific-Literacy-Ziele<br />

und konterkarieren<br />

ein individuelles Experimentieren und<br />

Schlussfolgerungen aus eigenen, individuellen<br />

Beobachtungen. Stattdessen<br />

werden Animismen für Erklärungen<br />

oder als alternative, parallele Motivation<br />

über eine rahmende Geschichte<br />

genutzt, die vom eigentlichen Sachinhalt<br />

und den naturwissenschaftlichen<br />

Kompetenzen eher ablenken. Ein Geist<br />

ist – s. Titel – eben genau NICHT in der<br />

Flasche und es ist auch KEIN Geist, der<br />

die Münze bewegt – sondern (erwärmte)<br />

Luft. Eine solche Ablenkung von den<br />

Methoden, Inhalten und Zielen naturwissenschaftlichen<br />

Arbeitens nutzt<br />

u. E. eben nicht die Chance, die der<br />

Sachunterricht für die Scientific Literacy(-Ziele)<br />

bietet, sondern erzeugt – im<br />

schlimmsten Falle – Fehlinformationen<br />

im Lernprozess.<br />

Phänomenorientierter Zugang<br />

mit Fokus auf Beobachtungen<br />

Insgesamt ist es u. E. entscheidend – ganz<br />

im Sinne Wagenscheins –, den Kindern<br />

genügend Gelegenheiten zum eigenen<br />

Experimentieren, <strong>Beobachten</strong>, <strong>Staunen</strong><br />

und auch Scheitern an Experimenten zu<br />

geben; denn v. a. so bauen sich Vorstellungen<br />

über die Natur und über die Natur<br />

der Naturwissenschaften (Nature of Science)<br />

auf. Ein misslungener Versuch führt<br />

– wenn deutlich wird, dass Fehler Chancen<br />

auf dem Weg zur eigenen Erkenntnis<br />

sind – zu weiteren Fragen, Verbesserungen,<br />

Veränderungen und eben zu neuen<br />

Beobachtungen und damit Erkenntnissen.<br />

Es geht daher – wie es von vielen Autor:innen<br />

in diesem Heft beispielhaft umgesetzt<br />

wird – darum, nicht zu früh und<br />

nur vereinzeltes Fachwissen einzuführen.<br />

Es geht nicht darum, zu „der“ Erkenntnis<br />

zu gelangen; vielmehr gilt es, die Vielfalt<br />

von Zugängen, Beobachtungen, Experimenten<br />

und Variationen zu ermöglichen<br />

und nicht in ein starres Frage-Zeichnung-<br />

Antwort-Schema zu verfallen (s. Kihm et<br />

al. in diesem Heft) – denn es gibt keine<br />

immer funktionierenden „Königswege“.<br />

Umso wichtiger ist eine fachliche Grundlegung<br />

und vor allem eine methodisch auf<br />

naturwissenschaftlich-orientierten Sachunterricht<br />

ausgerichtete Didaktik samt<br />

Prof. Dr. Markus Peschel (links)<br />

ist Lehrstuhlinhaber für die Didaktik<br />

des Sachunterrichts an der Universität<br />

des Saarlandes und Fachreferent für<br />

Lernkulturen und Sachunterricht im<br />

Grundschulverband.<br />

Marie Fischer (rechts)<br />

ist wissenschaftliche Mitarbeiterin an<br />

der Universität des Saarlandes und Vorstandsmitglied<br />

in der Landesgruppe<br />

Saarland des Grundschulverbandes.<br />

der Qualifikation von Lehrkräften, um<br />

eben naturwissenschaftliche Grundkompetenzen<br />

(Scientific Literacy) zu erzeugen.<br />

Dafür schafft dieses Heft einige Einblicke<br />

in die Theorie und Praxis und zeigt,<br />

dass es nicht ein umfassendes Repertoire<br />

oder eine vollausgestattete Experimentiersammlung<br />

benötigt. Vielmehr sind es die<br />

sensiblen Berücksichtigungen von kindlichen<br />

Zugängen zur Sache (vgl. Simon &<br />

Simon in diesem Heft) und ein Raum, in<br />

dem Ideen, Beobachtungen und vermeintliche<br />

Irrwege von Lehrpersonen begleitet<br />

und zugelassen werden – mit dem Ziel einer<br />

gemeinsamen Erkenntnis.<br />

Literaturangaben zum Artikel<br />

können Sie von unserer Website herunterladen:<br />

https://t1p.de/GSa168Lit<br />

Abbildung 1: „Flaschengeist“ (Demuth/Kahlert 2010, links). Versuchsbeschreibung<br />

zum Experimentieren aus dem Grundschullabor für Offenes Experimentieren (Universität<br />

des Saarlandes) (rechts).<br />

Weitere Artikel und<br />

Publikationen zu diesem<br />

Thema finden sich im<br />

Grundschulverband in verschiedenen<br />

Publikationen:<br />

• Didaktik der Lernkulturen, Peschel<br />

2021<br />

• Gute Aufgaben, Kihm/Peschel 2021;<br />

Peschel 2016<br />

• Lebensweltbezug, Fischer et al. 2022<br />

• Sprachbildung, Peifer/Peschel 2024<br />

• Phänomenorientierung,<br />

Weber et al. 2021<br />

4 GS aktuell 168 • November 2024


Thema: <strong>Beobachten</strong> – <strong>Staunen</strong> – <strong>Forschen</strong><br />

Pascal Kihm, Marie Fischer, Markus Peschel<br />

„<strong>Forschen</strong> im Kreis?!“<br />

– wie Forschungskreise verhindern,<br />

dass Kinder beobachten, staunen und forschen<br />

Die Ausbildung von Grundschullehrpersonen führt häufig dazu, dass sie sich hinsichtlich<br />

ihrer naturwissenschaftlichen Fähigkeiten nur wenig zutrauen (vgl. Peschel<br />

& Mammes 2022). Meist sind sie aber für die Wichtigkeit einer frühen naturwissenschaftlichen<br />

Grundbildung (Scientific Literacy; Marquardt-Mau 2004) sensibilisiert<br />

und wollen ihren Schüler:innen trotz dieser eigenen Unsicherheit Gelegenheiten<br />

bieten, im Sachunterricht „Naturphänomene sachorientiert [zu] untersuchen“<br />

(GDSU 2013, 39) und dabei „naturwissenschaftliche Methoden aneignen und anwenden“<br />

(ebd.) zu können. Dazu wünschen sich Grundschullehrpersonen i. d. R.<br />

konkrete Hilfsmittel (vgl. Bolte/Streller 2007, Schroeder 2022), deren Kleinschrittigkeit<br />

einen von den eigenen „Lehrgrenzen“ (vgl. Köster 2018) unabhängigen Einsatz<br />

naturwissenschaftlicher Methoden erlaubt und Sicherheit bzw. Stabilität erzeugt.<br />

Ein solches Hilfsmittel sind „Forschungskreise“,<br />

die den Sachunterrichtslehrpersonen<br />

suggerieren,<br />

„gemeinsam mit den Kindern [zu] experimentieren<br />

und in einen Dialog über<br />

naturwissenschaftliche Phänomene [zu]<br />

treten“ (Stiftung Kinder forschen 2024).<br />

Forschungskreise sollen eingesetzt werden,<br />

um Kindern frühzeitig „die Bedeutung<br />

der zentralen Schritte [des <strong>Forschen</strong>s<br />

bzw. Experimentierens; Anm. d. V.] und<br />

deren Beziehung zueinander [zu ver]<br />

deutlich[en]“ (Marquardt-Mau 2011, 32;<br />

vgl. Haider & Munser-Kiefer 2019). Mit<br />

ihnen zeigen Grundschullehrpersonen –<br />

vermeintlich – Essentials des <strong>Forschen</strong>s<br />

bzw. Experimentierens auf, die, sofern sie<br />

nur stringent befolgt werden, zum Lernerfolg<br />

im naturwissenschaftlich-orientierten<br />

Sachunterricht führen sollen.<br />

Im deutschsprachigen Raum werden<br />

Forschungskreise etwa seit der Jahrtausendwende<br />

verwendet. Ihre Einführung<br />

bzw. Nutzung steht in engem Zusammenhang<br />

mit den TIMSS-Ergebnissen<br />

und dem PISA-Schock (vgl. Wedekind<br />

2016; Kosler 2016): Wider Erwarten<br />

konnten bei den Schüler:innen nur unterdurchschnittliche<br />

naturwissenschaftliche<br />

Kompetenzen ermittelt werden.<br />

Über die Häufigkeit, mit der solche Forschungskreise<br />

tatsächlich im Sachunterricht<br />

eingesetzt werden, ist u. E. bislang<br />

wenig bekannt. Auch die konkrete Nutzung<br />

und inwiefern ggf. eine Schwerpunktsetzung<br />

in der Kreisabfolge erfolgt,<br />

ist nicht untersucht. Die Omnipräsenz<br />

von Adaptionen des Forschungskreises<br />

auf Plattformen wie „Eduki“ oder<br />

im „Instalehrerzimmer“ lässt jedoch erahnen,<br />

dass Forschungskreise ein weit<br />

verbreitetes Hilfsmittel im naturwissenschaftlich-orientierten<br />

Sachunterricht<br />

sind: Sie bieten „Orientierung bei<br />

der praktischen Durchführung“ (Zahra-Ecker<br />

et al. 2019, 110) von Versuchen<br />

bzw. Experimenten.<br />

Passendes Tafelmaterial und entsprechende<br />

Plakate „eigne[n] sich ideal, um<br />

den Forschungskreis mit […] Schülern<br />

[sic!] zu erarbeiten“ (Kroker 2020). „Der<br />

Weg zum Experimentieren kann durch<br />

feste Abläufe und eine klare Abfolge von<br />

Schritten beim Durchführen von Experimenten<br />

eine Strategie bekommen“ (Haider<br />

& Munser-Kiefer 2019, 29), die die<br />

Kinder verinnerlichen, immer wieder abrufen<br />

und anwenden können sollen. „Sie<br />

wissen so, womit sie beginnen müssen<br />

und welche Schritte dann folgen“ (Kroker<br />

2020). Angesichts der zahlreichen positiven<br />

Darstellungen, die u. E. meist ähnlich<br />

ausfallen wie die beiden Zitate, gibt<br />

es bislang vergleichsweise wenig Kritik an<br />

Forschungskreisen (Ausnahmen sind u. a.<br />

Crawford 2014; Wedekind 2016; Kosler<br />

2016; Kihm/Diener/Peschel 2018), weshalb<br />

wir hier eine kritische Würdigung<br />

vornehmen wollen. Denn es lohnt sich<br />

u. E., Kreise nicht unreflektiert einzusetzen,<br />

wenn man den Fokus auf das <strong>Staunen</strong>,<br />

Denken, <strong>Beobachten</strong> – insgesamt<br />

das <strong>Forschen</strong> – von Kindern im Sachunterricht<br />

legen will.<br />

Von dieser Kritik ausgehend, werden<br />

wir im Folgenden erläutern, weshalb<br />

Forschungskreise aus unserer Sicht<br />

v. a. ein Lehrmittel und Reflexionsinstrument<br />

sind, das Lehrpersonen eher gegen<br />

Ende der Grundschulzeit nutzen sollten.<br />

Als zentrales Lernmittel für Schüler:innen<br />

sind Forschungskreise dagegen u. E.<br />

eher ungeeignet, da ihr starres Korsett<br />

nicht der Art und Weise entspricht, wie<br />

in den Naturwissenschaften experimentiert<br />

bzw. geforscht wird. Der Beitrag bietet<br />

aber auch Gegenvorschläge an.<br />

Kritik an Forschungskreisen –<br />

exemplarisch „Die Kerze unter<br />

dem Glas“ (Kroker 2020)<br />

Auf der Verlagsinternetseite von Betzold<br />

wird am Beispiel des Versuches „Die Kerze<br />

unter dem Glas“ (Kroker 2020) erklärt,<br />

wie Sachunterricht mit dem Forschungskreis<br />

ablaufen soll: Da am „Anfang einer<br />

wissenschaftlichen Untersuchung […]<br />

immer eine Frage“ (ebd.) steht, sollen<br />

die Schüler:innen zunächst darauf kommen,<br />

zu fragen, „was passiert, wenn wir<br />

ein Glas über ein brennendes Teelicht<br />

stülpen“ (ebd.). Zuvor sollte man ihnen<br />

bereits die Materialien des Versuchs zeigen<br />

und den Versuchsablauf zumindest<br />

andeuten. Im zweiten Schritt sollen sie<br />

dann „Vermutungen aufstellen, wie die<br />

Antwort auf die Frage aussehen könnte“<br />

(ebd.) bzw. was während des Versuchs<br />

passiert. Beispielhafte Schüler:innenant-<br />

Ein Versuch ist eine Schüler:innenaktivität<br />

im naturwissenschaftlich-orientierten<br />

Sachunterricht, bei der „Kinder vorgegebene<br />

Schritte durchführen, diese dann gegebenenfalls<br />

dokumentieren, zu erklären<br />

versuchen und Ähnliches“ (Hartinger u. a.<br />

2013, 5). Eine solche Handlungsanweisung<br />

ist bei einem Experiment nicht vorgesehen.<br />

Die Schüler:innen müssen sich hier<br />

vielmehr „zunächst darüber klar werden“<br />

(Hartinger u. a. 2013, 5), wie sie eine Frage<br />

beantworten, ein Phänomen untersuchen,<br />

eine Idee umsetzen können usw.<br />

GS aktuell 168 • November 2024<br />

5


Thema: <strong>Beobachten</strong> – <strong>Staunen</strong> – <strong>Forschen</strong><br />

„Aus wissenschaftsphilosophischer, -so zi o logischer und -historischer Perspek tive bietet die<br />

Heuristik […] kaum eine Orientierung, um Kinder an naturwissenschaftliches Denken heranzuführen“<br />

(Kosler 2016, 21). „Ansätze, in denen […] überwiegend das Schema im Vordergrund<br />

steht […], scheinen nicht geeignet, um Kindern in der Primarstufe <strong>Forschen</strong> zum Bewusstsein<br />

zu bringen“ (Geiss & Schumann 2014, 11).<br />

worten: „Die Kerze geht sofort aus; die<br />

Kerze geht aus, aber nicht sofort; die Kerze<br />

brennt auch unter dem Glas“ (ebd.).<br />

Die Annahme, dass jedem <strong>Forschen</strong><br />

eine explizite Fragestellung vorausgeht<br />

und außerdem erst geforscht werden darf,<br />

wenn vorher explizite Vermutungen formuliert<br />

wurden, was bei dem Versuch<br />

zu erwarten ist, resultiert aus der Publikationstradition<br />

naturwissenschaftlicher<br />

Disziplinen (vgl. Höttecke & Rieß 2015;<br />

Kosler 2016). Dort hat sich als Publikationsstrategie<br />

etabliert, den zurückliegenden<br />

Forschungsprozess idealisiert in<br />

Kategorien wie Forschungsfrage, Hypothesen,<br />

Studiendesign, Ergebnisse, Interpretation<br />

darzustellen. Was aber im ‚tatsächlichen‘<br />

Forschungsprozess passiert,<br />

lässt sich anhand von Labortagebüchern<br />

rekonstruieren. Diese Rekonstruktionen<br />

zeigen, dass naturwissenschaftliche Forschungsprozesse<br />

wesentlich mehr von<br />

Zufällen, (Mess-)Fehlern und explorativen<br />

Näherungen geprägt sind, als es die<br />

idealisierten Publikationsdarstellungen<br />

quasi ‚posthum‘ nahelegen (vgl. Steinle<br />

2004; Heinicke 2012; Höttecke & Rieß<br />

2015). Auch die Herangehensweise von<br />

Kindern findet sich in diesem idealisierten,<br />

fragengeleiteten und hypothesengesteuerten<br />

Vorgehen nicht wieder: „In den<br />

seltensten Fällen war bei Kindern […]<br />

eine explizite Fragestellung der Start ins<br />

<strong>Forschen</strong>, wie dies im Forschungskreislauf<br />

[…] beschrieben“ wird (Wedekind<br />

2016, 209; vgl. auch Nentwig-Gesemann<br />

et al. 2012).<br />

Die Erfahrungen, die die Kinder bei<br />

explorativen Näherungen machen, sind<br />

vielmehr Grundlage und Voraussetzung<br />

für systematischeres Vorgehen, was u. a.<br />

das Überprüfen von Vermutungen über<br />

die Bedingungen eines Phänomens beinhalten<br />

kann. Wenn Kinder aber die<br />

Handlungsabläufe des Forschungskreises<br />

– wie dies oben u. a. von Haider und<br />

Munser-Kiefer (2019) oder Kroker (2020)<br />

gefordert wird – so weit verinnerlicht haben,<br />

dass sie <strong>Forschen</strong> nur noch in der<br />

Art erleben und eben nicht ungerichtet<br />

oder ohne Fragen und Vermutungen an<br />

einem Phänomen und seinen Bedingungen<br />

(Wenn-dann-Beziehungen) gearbeitet<br />

werden kann, wird das <strong>Forschen</strong> verkürzt<br />

und dadurch vieler seiner Chancen<br />

beraubt (vgl. auch Peschel 2016).<br />

Die Kreisdarstellung suggeriert außerdem,<br />

dass der Versuch / das Experiment<br />

letztlich immer und zuverlässig<br />

eine Antwort auf die vorab eingeforderte<br />

Frage liefert: Um diesen Fragebeantwortungsprozess<br />

anzugehen, müsse der<br />

Abbildung 1: Wege zur (gemeinsamen) Erkenntnis (selbst erstellt; vgl. Peschel 2009)<br />

Versuch nur genau einmal durchgeführt<br />

werden, währenddessen wird beobachtet,<br />

ggf. aufgezeichnet und aufgeschrieben.<br />

Die Antwort auf die Frage könne<br />

dann unmittelbar aus der zen-tralen Beobachtung<br />

gefolgert werden, bezogen<br />

auf den o. g. Kerzenversuch etwa „Die<br />

Flamme wird zunächst kleiner, bis sie<br />

nach einigen Sekunden erlischt“ (Kroker<br />

2020). Im Anschluss an die (einmalige)<br />

Durchführung des Versuchs wird<br />

besprochen, ob das Ergebnis den Vermutungen<br />

entspricht oder nicht, und<br />

die Lehrperson schlägt vor, einen neuen<br />

Versuch mit einer neuen Fragestellung<br />

durchzuführen.<br />

An anderer Stelle haben wir diese Verkürzung<br />

von <strong>Forschen</strong>, mit Bezug auf<br />

Experimentieren, als „Frage-Zeichnung-<br />

Antwort-Schema“ bezeichnet (vgl. Peschel<br />

2016; Kihm et al. 2018). Was in einem<br />

Versuch oder Experiment das Wesentliche<br />

ist, ergibt sich jedoch oft erst<br />

nach mehreren Wiederholungen und<br />

nachdem man die Bedingungen, unter<br />

denen sich beim Versuch bzw. Experiment<br />

ein Phänomen beobachten lässt,<br />

verändert (vgl. Murmann 2009). Aus<br />

der einmaligen Durchführung ei nes<br />

Versuchs oder Experiments lässt sich<br />

u. E. praktisch nichts ableiten!<br />

Schon gar nicht, wenn durch die Aufforderung<br />

zur Vermutung die Aufmerksamkeit<br />

bereits gezielt auf vermeintliche<br />

Hauptaspekte gelenkt wird. Wenn<br />

die Schüler:innen – um auf das Kerzenbeispiel<br />

von Betzold zurückzukommen<br />

– etwa vermuten, dass<br />

die Flamme zunächst<br />

kleiner wird und dann<br />

schließlich erlischt,<br />

werden sie genau darauf<br />

achten und genau<br />

dies dann günstigstenfalls<br />

beobachten.<br />

Wie jedoch die Kerzenflamme<br />

flackernd<br />

immer kleiner wird,<br />

welche farblichen Änderungen<br />

sich dadurch<br />

im Leuchten der Flamme<br />

ergeben, was genau<br />

beim Erlöschen der<br />

Flamme im Kerzennapf<br />

passiert, wie Rauch<br />

aufsteigt, sich am kühlen<br />

Glasrand absetzt,<br />

in Wolken nach unten<br />

„wabert“, wie „etwas“<br />

6 GS aktuell 168 • November 2024


Thema: <strong>Beobachten</strong> – <strong>Staunen</strong> – <strong>Forschen</strong><br />

kondensiert u. v. m., bleibt dagegen unberücksichtigt.<br />

Solche Randaspekte und<br />

entsprechende Erkenntnisse in Nebenprozessen<br />

abseits der vermeintlichen<br />

Hauptaspekte werden durch die zugewiesene<br />

Rolle des Versuchs im „Schema<br />

Forschungskreis“ begrenzt. Durch diese<br />

Begrenzung wird Kindern u. E. das eigene,<br />

hingebungsvolle und zunächst ungerichtete,<br />

aber eben stets genaue und intensive<br />

<strong>Beobachten</strong> erschwert. Nebenerscheinungen<br />

ge hö ren aber zum <strong>Forschen</strong><br />

dazu, wie die Rekonstruktionen<br />

aus Labor ta ge bü chern bestätigen (vgl.<br />

Steinle 2004; Höttecke & Rieß 2015).<br />

„Der moderne Mensch hat hier oft gerade<br />

das verlernt, was die Naturwissenschaft ihn<br />

hätte lehren können: einer Sache gewahr<br />

zu werden und zu beobachten. Bedenklicher<br />

noch: statt zu wissen, was er sehen<br />

könnte, wenn er gelernt hätte hinzusehen,<br />

hat er leere Sätze bereit“<br />

(Wagenschein 1977, 63).<br />

Wenn die Kinder z. B. die Durchführung<br />

eines Versuches zunächst allein<br />

beobachtet haben und sich dann über<br />

ihre Beobachtungen austauschen, ergeben<br />

sich ggf. Widersprüche, die im Forschungskreis<br />

schnell im Hinblick auf die<br />

Vermutungen „einkassiert“ würden (vgl.<br />

dazu Geiss & Schumann 2014). Diese<br />

Widersprüche zwischen Beobachtungen<br />

sind aber u. E. von hoher Bedeutsamkeit,<br />

um ein Bewusstsein von <strong>Forschen</strong> im<br />

Sinne einer Scientific Literacy auszubilden:<br />

„Was genau hast du denn gemacht?<br />

Und was genau hast du beobachtet? Hat<br />

das noch jemand anderes beobachtet?“<br />

(Peschel 2009, 26). Widersprüche und<br />

Zweifel sollten zur Überarbeitung, d. h.<br />

zum wiederholten, zielgerichteten Experimentieren,<br />

zurückgegeben werden.<br />

Unsere Kernpunkte,<br />

unsere Empfehlungen –<br />

und ein Gegenentwurf<br />

Kinder im Sachunterricht ohne eigene<br />

naturwissenschaftliche Qualifikation forschen<br />

oder experimentieren zu lassen, ist<br />

eine große Herausforderung. Die eigene<br />

Angst, angesichts möglicher inhaltlicher<br />

oder methodischer Fragen von Kindern<br />

überfordert zu sein, unsicher oder unsouverän<br />

zu reagieren (vgl. Köster 2018), verlockt<br />

zum Einsatz didaktischer Hilfsmittel<br />

wie dem Forschungskreis, der Lehrperso-<br />

(von links)<br />

Pascal Kihm ist wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität des Saarlandes<br />

und Vorstandsmitglied in der Landesgruppe Saarland des Grundschulverbandes.<br />

Marie Fischer ist wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Universität des Saarlandes<br />

und Vorstandsmitglied in der Landesgruppe Saarland des Grundschulverbandes.<br />

Prof. Dr. Markus Peschel ist Lehrstuhlinhaber für die Didaktik des Sachunterrichts an<br />

der Universität des Saarlandes und Fachreferent für Lernkulturen und Sachunterricht<br />

im Grundschulverband.<br />

nen Sicherheit und „Orientierung bei der<br />

praktischen Durchführung“ (Abu Zahra-<br />

Ecker/Fritz/Wahl 2019, 110) von Versuchen<br />

verspricht. Allerdings transportieren<br />

Forschungskreise u. E. ein sehr begrenztes<br />

und eingeschränktes Verständnis von <strong>Forschen</strong><br />

(vgl. Piekny/Grube/Mähler 2012).<br />

Es geht beim <strong>Forschen</strong> nicht darum, ein<br />

vermeintlich allgemeingültiges „Frage-<br />

Zeichnung-Antwort-Schema“ nach einmaligem<br />

Durchlauf neu zu durchlaufen,<br />

sondern um Ausdifferenzierungen und<br />

Vertiefungen in der Auseinandersetzung<br />

mit Phänomenen.<br />

Es empfiehlt sich deshalb u. E.<br />

● zu vermeiden, dass nur geforscht<br />

werden darf, wenn vorher Fragen und<br />

explizite Vermutungen gesammelt<br />

wurden,<br />

● den Randaspekten und Nebenerscheinungen<br />

Raum und Zeit zu geben,<br />

Beobachtungen dazu wertzuschätzen<br />

und ernst zu nehmen,<br />

● längere Zeit bei einem Versuch / Experiment<br />

zu bleiben, ihn/es mehrmals<br />

durchzuführen, zu wiederholen, auszudifferenzieren<br />

und zu vertiefen,<br />

● hingebungsvolles und genaues <strong>Beobachten</strong>,<br />

das Kommunizieren über<br />

die eigenen Beobachtungen und das<br />

Verändern des Versuchs/Experiments<br />

als entscheidende Schritte auf dem Weg<br />

zur Erkenntnis zu verstehen und<br />

● Kooperations- und Kommunikationsprozesse<br />

als „Instanz der Vergewisserung“<br />

zu begreifen, zu nutzen und die<br />

Kommunikationszirkel auszudehnen.<br />

Mit unserem Modell „Wege zur (ge -<br />

meinsamen) Erkenntnis“ (Abb. 1; Peschel<br />

2009; Kihm et al. 2018) schlagen<br />

wir ein Gegenmodell zu den hier kritisierten,<br />

aber u. E. weitverbreiteten Forschungskreisen<br />

vor. Unser Modell geht<br />

nicht von einer Frage aus, sondern von<br />

einem Phänomen oder einem Problem.<br />

Kinder werden in unserem Modell<br />

auch nicht dazu aufgefordert, Vermutungen<br />

oder gar Hypothesen zu formulieren.<br />

Stattdessen geht es darum,<br />

Bedingungen des Phänomens im Sinne<br />

von Wenn-dann-Zusammenhängen<br />

zu untersuchen, indem ein Experiment<br />

durchgeführt, allein beobachtet, sich<br />

ausgetauscht und das Experiment verändert<br />

wird. <strong>Beobachten</strong>, Kommunizieren,<br />

Verändern sind die Kernelemente<br />

unseres Modells. Anders als in den<br />

Forschungskreisen werden diese Schritte<br />

hier mehrmals, iterativ und immer<br />

ausdifferenzierter, vertiefter durchlaufen,<br />

weshalb wir das <strong>Forschen</strong> in unserer<br />

Darstellung bewusst linearisiert haben.<br />

<strong>Forschen</strong> verläuft nicht „im Kreis“,<br />

sondern nähert sich Erkenntnis eher linear-spiralförmig<br />

(oder in hermeneutischen<br />

Annäherungen). Erst im Rückblick<br />

kann der Forschungsprozess dann<br />

idealisiert zusammengefasst und präsentiert<br />

werden, z. B. im Rahmen von Präsentationen<br />

für Mitschüler:innen oder<br />

Eltern. Hierfür bieten Forschungskreise<br />

u. E. übrigens eine durchaus überlegenswerte<br />

Darstellungsweise.<br />

Literaturangaben zum Artikel<br />

können Sie von unserer Website herunterladen:<br />

https://t1p.de/GSa168Lit<br />

GS aktuell 168 • November 2024<br />

7


Thema: <strong>Beobachten</strong> – <strong>Staunen</strong> – <strong>Forschen</strong><br />

Jacqueline Simon und Toni Simon<br />

Kinder fragen – Lehrkräfte antworten?!<br />

Umgangsweisen mit Kinderfragen im (Sach-)Unterricht<br />

Kinder stellen Fragen an die Welt, machen sich Gedanken über die großen und<br />

kleinen Dinge des Lebens und haben in der Regel den Drang, ihren Fragen nachzugehen,<br />

ihre Welt zu erkunden, sie zu erforschen. Inwiefern dies in Schule und<br />

Unterricht aus wissenschaftlicher Sicht aufgegriffen werden sollte, um ausgehend<br />

von Kinderfragen ein forschungsorientiertes Lernen zu fördern, wird im<br />

Beitrag thematisiert.<br />

Wissenschaftlich unbestritten<br />

ist, dass Kinder in der Regel<br />

eine angeborene Neugier<br />

und einen Drang danach haben, ihre<br />

(Um-)Welt(en) zu erkunden, Erfahrungen<br />

zu sammeln, sich mit Unbekanntem<br />

oder Irritierendem auseinanderzusetzen<br />

(Schneider/Schmalt 2000).<br />

Warum Kinder im Unterricht fragen<br />

und forschen können sollten<br />

Das kindliche Interesse zur Welterkundung<br />

bzw. zum (Er-)<strong>Forschen</strong> gilt es<br />

u. a. aus lernpsychologischer Sicht in formalen<br />

Bildungsinstitutionen zu berücksichtigen,<br />

um ein motivierendes, subjektiv<br />

sinnstiftendes, nachhaltiges und<br />

individuell begabungsförderndes Lernen<br />

zu ermöglichen. Im Unterricht sollten<br />

daher das Sich-Wundern und das<br />

Fragenstellen als Quelle, „Motor“ sowie<br />

Ausdruck von Bildungswünschen/-prozessen<br />

angesehen und das <strong>Forschen</strong> von<br />

Kindern gefördert werden. Besonders<br />

gut eignen sich dafür Lernumgebungen,<br />

die den Kindern Raum für ihre Fragen<br />

geben und in denen sie sich klärend mit<br />

für sie fragwürdigen Phänomenen auseinandersetzen<br />

können (für das Selbstverständnis<br />

des Faches Sachunterricht und<br />

seinen Bildungsanspruch ist dies zentral;<br />

s. GDSU 2013, 9). Fächerübergreifendes<br />

problem-/projektorientiertes Lernen,<br />

entdeckend-forschendes Lernen, freies<br />

Explorieren oder freies / offenes Experimentieren<br />

(Schütte/Simon 2023) sowie<br />

das Philosophieren mit Kindern (Michalik<br />

2012) haben hierfür ein besonderes<br />

Potenzial. Dabei sind Konzepte für den<br />

inklusiven (Sach-)Unterricht mit ihrer<br />

starken Interessen- und Partizipationsorientierung<br />

(Seitz/Simon 2021) oder das<br />

in den 1990er-Jahren vorgestellte Konzept<br />

der Welterkundung (Faust-Siehl et<br />

al. 1996) hervorzuheben.<br />

Warum Fragen und<br />

<strong>Forschen</strong> im Unterricht nicht<br />

selbstverständlich ist<br />

Die oben genannten, für ein fragen- und<br />

forschungsorientiertes Lernen besonders<br />

anschlussfähigen Konzepte setzen u. a.<br />

eine Öffnung von Unterricht (räumlich,<br />

zeitlich, aber auch mit Blick auf Lernwege<br />

und -ziele etc.), kommunikative (Frei-)<br />

Räume und ein Verständnis davon voraus,<br />

dass kindliches Lernen nicht linear<br />

abläuft, sondern „Schleifen, Auf und Ab,<br />

Umwege, Irrwege, Schleichwege, Spaziergänge,<br />

Rennen, Sprünge oder Rückschritte“<br />

enthält (Liebers et al. 2013, 50). Es ist<br />

als individuelles forschendes Lernen in<br />

einem „offen strukturierten Unterricht“<br />

(Seitz 2006, o. S.) zu gewährleisten und zu<br />

begleiten (siehe auch Peschel 2016; Schütte/Simon<br />

2023, 3).<br />

Notwendig ist also eine bestimmte<br />

Lernkultur bzw. eine auf Lernen statt<br />

Lehren orientierte Didaktik (Peschel<br />

2021), die ggf. veränderte Rollen der<br />

Kinder und der Lehrperson voraussetzt.<br />

Trotz aller Reformen in der Primarstufe<br />

ist eine solche Lernkultur nicht selbstverständlich<br />

(Peschel 2016). So findet noch<br />

allzu oft der traditionelle lehrer:innenzentrierte,<br />

fragend-entwickelnde Unterricht<br />

statt, der nur wenig Raum für Kin-<br />

Kinderfragen – Anerkennung und Unterstützung statt (Be-)Wertung<br />

Stellt ein Kind die Frage „Warum scheint der<br />

Mond manchmal auch am Tag?“ (Peschel<br />

2011), so sollte die Lehrperson diese keinesfalls<br />

vorschnell beantworten, soll der Unterricht<br />

forschungsorientiert bleiben. Zunächst<br />

gilt es, die Frage als subjektiv bedeutsam anzuerkennen<br />

– ohne sie zu (be)werten. Dies<br />

impliziert bspw. auch, dass die sich womöglich<br />

in dieser Frage widerspiegelnde Vorstellung,<br />

der Mond erzeuge selbst Licht, nicht<br />

als naive Theorie, Miss- oder Fehlkonzept<br />

(ab)gewertet und belehrend korrigiert wird.<br />

Vielmehr könnte aus didaktischer Sicht, die<br />

das Lernen und nicht das Lehren betont (Peschel<br />

2021), bspw. gefragt werden:<br />

Jaqueline Simon<br />

Martin-Luther-Universität Halle-<br />

Wittenberg, Lehrkraft für besondere<br />

Aufgaben, Arbeitsbereich Schulpraktische<br />

Studien<br />

Dr. Toni Simon<br />

Martin-Luther-Universität Halle-<br />

Wittenberg, wissenschaftlicher Mitarbeiter,<br />

Arbeitsbereich Sachunterricht<br />

• Soll/kann/möchte das Kind seiner Frage<br />

individuell nachgehen oder kann/soll sie<br />

zu einer Frage für die ganze Klasse werden?<br />

• Lässt sich die Frage vielleicht mit anderen<br />

Fragen in einen thematischen Zusammenhang<br />

bringen?<br />

• Welche Möglichkeiten (Wege/Methoden)<br />

gibt es, der Frage nachzugehen und Erkenntnisse<br />

zu teilen?<br />

• Welche Kompetenzen setzen diese möglicherweise<br />

voraus und welche können<br />

gefördert werden?<br />

• Braucht ein Kind Unterstützung? Und wenn<br />

ja: wann/wobei, von wem, wie viel etc.?<br />

8 GS aktuell 168 • November 2024


Thema: <strong>Beobachten</strong> – <strong>Staunen</strong> – <strong>Forschen</strong><br />

Tab. 1: Stufen<br />

des <strong>Forschen</strong>den<br />

Lernens (eigene<br />

Darstellung auf<br />

Basis von Abels et<br />

al. 2020, 11)<br />

derfragen im (Sach-)Unterricht lässt (z. B.<br />

Miller/Brinkmann 2011) und mit dem<br />

Schüler:innen „nicht selten zu angepassten<br />

Antwortgeber[:inne]n [ …] herangebildet<br />

werden“ (Reusser 2001, 107).<br />

Zur Bedeutung von Kinderfragen<br />

Kinderfragen haben nicht nur ein motivationales,<br />

sondern auch ein besonderes<br />

diagnostisches Potenzial. Sie können<br />

Hinweise auf individuelle Interessen,<br />

ein mögliches Noch-nicht-Verstehen<br />

bzw. auch Nicht-mehr-Verstehen sowie<br />

auf die individuellen Blickwinkel auf ein<br />

bzw. Vorstellungen von einem Phänomen<br />

geben. So unterschiedlich wie die<br />

Kinder, „so unterschiedlich sind auch<br />

ihre Perspektiven auf die Welt“ (Miller/Brinkmann<br />

2011, 67). Dies „spiegelt<br />

sich [potenziell; d. A.] in den Fragen, die<br />

die Schüler/innen an den Lerngegenstand<br />

stellen“, wider (ebd.). Kinderfragen<br />

können auch zur Strukturierung des<br />

Unterrichts / einer Einheit dienen. Als<br />

sinnstiftendes Element haben sie also<br />

insgesamt umfassendes pädagogisches<br />

und didaktisches Potenzial.<br />

Aber wie kommen die Fragen in den<br />

(Sach-)Unterricht? Traditionell setzt die<br />

Lehrperson ein Thema (orientiert am<br />

Stoffverteilungs- bzw. Lehrplan) und<br />

evoziert erst dann Fragen der Kinder –<br />

wenn überhaupt. Für den gegenwärtigen<br />

(Sach-)Unterricht gibt es jedoch auch<br />

Ansätze (s. o.), mit denen von den Kinderfragen<br />

ausgegangen wird. Die Kinderfragen<br />

haben so von Beginn an eine zentrale,<br />

auf Lernen statt Lehren ausgerichtete<br />

didaktische Bedeutung (siehe Peschel<br />

2021). Werden Kinder darin gestärkt, sich<br />

als Forscher:innen (mit der Unterstützung<br />

der Lehrperson) durch fragen-/interessengeleitetes,<br />

entdeckend-forschendes<br />

Lernen klärend mit für sie relevanten<br />

Themen / Phänomenen auseinanderzusetzen,<br />

können sie einen „forschenden<br />

Habitus“ entwickeln (z. B. Peschel 2016;<br />

Schütte/Simon 2023). Auch werden Partizipation<br />

als Unterrichtsprinzip (Seitz/<br />

Simon 2021) sowie damit einhergehend<br />

die aktive Rolle der Schüler:innen als<br />

‚Didaktiker:innen‘ ihres eigenen Lernens<br />

(z. B. Meyer 2008, 122; Standop & Jürgens<br />

2015, 111 ff.) gestärkt und die tradierte<br />

Rolle der Lehrperson irritiert (ebd.).<br />

Nicht jeder Frage kann / muss<br />

nachgegangen werden<br />

Abb. 1: Kinderzeichnung (inspiriert durch einen Comic)<br />

zur Erkenntnis, dass der Mond das Sonnenlicht reflektiert<br />

Grundsätzlich kann nicht jeder Frage<br />

im Unterricht nachgegangen werden<br />

– allein aus zeitlichen Gründen, aber<br />

auch, weil nicht jede Frage für jede:n<br />

anregend, interessant oder angemessen<br />

ist. Demokratische Abstimmungen und<br />

Differenzierungsmaßnahmen können<br />

helfen, besonders relevante Fragen zu<br />

identifizieren oder Forscher:innengruppen<br />

zu einem bestimmten Thema zu bilden.<br />

So kann einer oder auch mehreren<br />

Fragen individuell, in (Klein-)Gruppen<br />

oder mit allen nachgegangen werden.<br />

Die Lehrperson kann dabei in unterschiedlichem<br />

Umfang unterstützen –<br />

sowohl bei der Wahl der (Forschungs-)<br />

Frage als auch der Methoden der Bearbeitung<br />

und zur Präsentation der Ergebnisse<br />

(s. Tab. 1, nach Abels et al. 2020,<br />

11). Auf diese Weise können unterschiedliche<br />

Stufen forschungsorientierten,<br />

partizipativen Lernens ermöglicht<br />

werden, die auch helfen, schrittweise<br />

eine adäquate Lernkultur zu etablieren<br />

sowie adaptiv auf unterschiedliche<br />

Unterstützungsbedarfe einzugehen.<br />

Individualisierung und Gemeinsamkeit<br />

in Balance halten; so viel Unterstützung<br />

wie nötig geben, ohne das<br />

<strong>Forschen</strong> der Kinder vorschnell einzuschränken;<br />

gemeinsame „Resonanzräume“<br />

schaffen (z. B. Forscher:innenkonferenzen,<br />

bei denen Ergebnisse präsentiert<br />

werden) – dies sind sodann einige<br />

der zentralen Aufgaben der Lehrperson.<br />

Vielfältige Wege können zum<br />

(Forschungs-)Ziel führen<br />

Im Rahmen eines offenen forschenden<br />

Lernens (s. Tab. 1, Stufe 3) können<br />

und sollten unterschiedliche Fragen,<br />

Wege zu deren Klärung sowie Formen<br />

der Ergebnispräsentation möglich<br />

sein. Selbst bei derselben Frage kann es<br />

ganz unterschiedliche Wege der Auseinandersetzung<br />

und Klärung geben<br />

– und nicht alle müssen (unmittelbar<br />

oder überhaupt) zum Erfolg führen.<br />

Auch dies ist eine wichtige Erkenntnis<br />

– sowohl im Allgemeinen als auch im<br />

Speziellen hinsichtlich eines Verständnisses<br />

für Forschung und Erkenntnisgewinnung.<br />

Bei der Präsentation von<br />

Ergebnissen ist zudem vieles denkbar:<br />

vom Vortrag über<br />

ein Poster, Modelle,<br />

Comics (s. Abb. 1 zum<br />

„Mondlicht“) oder ein<br />

szenisches Spiel etc.<br />

Sowohl hinsichtlich<br />

der Möglichkeiten<br />

zur Klärung der<br />

GS aktuell 168 • November 2024<br />

9


Thema: <strong>Beobachten</strong> – <strong>Staunen</strong> – <strong>Forschen</strong><br />

Abb. 2: Kinder einer 3. Klasse haben<br />

Möglichkeiten zur Klärung einer<br />

Forschungsfrage gesammelt<br />

(© Michaela Band)<br />

Abb. 3: Mit wem möchte ich arbeiten?<br />

Überlegungen von Kindern einer<br />

3. Klasse zur Sozialform für ihre<br />

Forschungsphase (© Michaela Band)<br />

Frage als auch hinsichtlich der Präsentation<br />

von Ergebnissen sind letztlich die konkreten<br />

Rahmenbedingungen (einschließlich<br />

der Erfahrungen der Kinder) in der<br />

Schule / Klasse bedeutsam.<br />

Unter der Voraussetzung, dass die Frage<br />

„Warum scheint der Mond manchmal<br />

auch am Tag?“ für die (Mehrheit einer)<br />

Klasse so interessant ist, dass ihr nachgegangen<br />

werden soll, könnte in einem<br />

ersten Schritt in Einzel- oder Partner:innenarbeit<br />

und anschließend gemeinsam<br />

überlegt werden, welche Möglichkeiten<br />

die Kinder sehen, um dieser Frage klärend<br />

auf den Grund zu gehen. Die Ergebnisse<br />

können in einem Tafelbild oder<br />

auf einem Poster (s. Abb. 2) festgehalten<br />

werden.<br />

Denkbar wären neben der Recherche<br />

in Büchern und im Internet u. a.<br />

Expert:innenbefragungen z. B. älterer<br />

Schüler:innen (ggf. auch einer anderen<br />

Schule), von Bezugspersonen (insofern<br />

diese eine spezifische Expertise haben)<br />

oder aber Mitarbeitenden bspw. eines<br />

Planetariums (sowohl als klassisches<br />

Face-to-Face-Interview als auch als Telefon-<br />

oder Videokonferenzinterview).<br />

Das konkrete methodische Vorgehen<br />

bei den Recherchen oder einer möglichen<br />

Expert:innenbefragung ist sodann<br />

vorzubereiten: Was wird dazu benötigt<br />

(z. B. Material, Zeit …)? Was können<br />

die Kinder selbstständig tun? Wo benötigen<br />

sie ggf. Unterstützung? Wer kann<br />

helfen? Auch hierzu können Ideen zunächst<br />

allein oder in (Klein-)Gruppen<br />

und späterhin im Plenum zusammengetragen<br />

und so gemeinsam ‚Forschungsstrategien‘<br />

entwickelt und dokumentiert<br />

werden. Wenn ausreichend Möglichkeiten<br />

und Notwendigkeiten eruiert worden<br />

sind, wird gefragt, wer mit wem<br />

forschen möchte, und es werden Forscher:innengruppen<br />

gebildet (s. Abb. 3).<br />

Anschließend ist zu klären, welche<br />

Methodik die Forscher:innengruppen<br />

zur Klärung der Frage nutzen wollen.<br />

Dabei gilt es zu bedenken, dass unterschiedliche<br />

Wege zur Erkenntnisgewinnung<br />

unterschiedlich viel Zeit in<br />

Anspruch nehmen können, sodass die<br />

Gruppen nicht im Gleichschritt arbeiten.<br />

Damit die Kinder individuell sowie<br />

als Forscher:innengruppen ihr Vorgehen<br />

und ihre Erkenntnisse dokumentieren,<br />

bietet sich z. B. ein Forscher:innenheft<br />

oder auch Forscher:innentagebuch an.<br />

Dieses kann in unterschiedlichem Umfang<br />

vorstrukturiert sein, je nach Bedarf<br />

der Schüler:innen. In einer ersten Konferenz<br />

können die Forscher:innengruppen<br />

ihre vorläufigen bzw. zentralen Ergebnisse<br />

zusammenfassen: Sind alle Gruppen<br />

zu einem Ergebnis gekommen? Welche<br />

Ergebnisse gibt es? Hier kann auch gefragt<br />

und dokumentiert werden, ob im<br />

Prozess der Klärung der Ausgangsfrage<br />

weitere Fragen aufgekommen sind<br />

und ob diese klärungswürdig erscheinen?<br />

Anschließend sollte geklärt werden,<br />

wie die Ergebnisse dargestellt und<br />

präsentiert werden können. Auch hier<br />

gibt es vielerlei Möglichkeiten: von Texten<br />

und Bildern (z. B. eine Wandzeitung)<br />

über Modelle, ein Rollenspiel oder selbst<br />

produzierten Erklär-Videos. Bei der abschließenden<br />

Präsentation der Ergebnisse<br />

ist es ratsam, die Schüler:innen in ihrer<br />

Rolle als Forscher:innen zu adressieren,<br />

da dies nicht nur motivierend, sondern<br />

auch sprachbildend wirkt (Quehl/<br />

Trapp 2013; Rödel/Simon 2018). So<br />

kann bspw. eine Pressekonferenz inszeniert<br />

werden, bei der die Forscher:innen<br />

dem Publikum ihre Erkenntnisse zusammenfassen.<br />

Das (vorschnelle) Beantworten der<br />

Frage „Warum scheint der Mond manchmal<br />

auch am Tag?“ – sowohl bezogen auf<br />

das „manchmal“ als auch z. B. auf das<br />

„scheint“ – wäre im Sinne zeitlicher Ressourcen<br />

sicherlich effizient und stünde<br />

ganz in der Tradition einer „Lehrkunstdidaktik“<br />

(Meyer 2008, 122). Mit Blick<br />

auf eine Didaktik des Lernens (Peschel<br />

2021) ist jedoch das <strong>Staunen</strong> der Kinder<br />

ein wichtiger Ausgangspunkt für ein forschungsorientiertes<br />

Lernen im (Sach-)<br />

Unterricht, mit dem die aktive Rolle der<br />

Schüler:innen bei der Klärung ihrer Fragen<br />

bzw. von Phänomenen (z. B. naturwissenschaftlichen)<br />

gestärkt wird.<br />

Literaturangaben zum Artikel<br />

können Sie von unserer Website herunterladen:<br />

https://t1p.de/GSa168Lit<br />

10 GS aktuell 168 • November 2024


Praxis: <strong>Beobachten</strong> – <strong>Staunen</strong> – <strong>Forschen</strong><br />

Sarah Poensgen, Anke Jungmann<br />

Und was kommt nach dem <strong>Staunen</strong>?<br />

(Offenes) Experimentieren<br />

mit digitalen Medien dokumentieren und präsentieren<br />

In diesem Beitrag wird die Auseinandersetzung mit dem Experiment „Der<br />

Kerzenaufzug“ in den Mittelpunkt einer Lernumgebung mit digitalen Medien<br />

gerückt. Dabei werden Möglichkeiten aufgezeigt, wie Tablets sinnvoll in den<br />

Experimentierprozess der Kinder integriert werden können, indem sie zur Dokumentation<br />

der Beobachtungen und Erkenntnisse genutzt werden. In einem zweiten<br />

Schritt nutzen die Kinder das Online-Wiki kidipedia, um dort auf Grundlage<br />

ihrer Beobachtungen und Erkenntnisse einen eigenen Beitrag zu verfassen und<br />

zu präsentieren (vgl. Kneis/Peschel 2023). Hierbei bieten sich durch die zahlreichen<br />

digitalen Funktionen von kidipedia erweiterte Gestaltungs- und Reflexionsmöglichkeiten<br />

im Vergleich zu Präsentationsmedien wie z. B. Plakaten.<br />

Kinder gehen neugierig durch die<br />

Welt. Diese Neugier kann beim<br />

Experimentieren im Sachunterricht<br />

der Grundschule gezielt aufgegriffen<br />

werden. Dabei ist es möglich, dass sowohl<br />

Fragen oder Beobachtungen der Kinder<br />

aus ihrer Lebenswelt aufgegriffen werden<br />

als auch solche, die in der Auseinandersetzung<br />

mit einem Phänomen im Unterricht<br />

erst entstehen. Beim Experimentieren im<br />

hier verstandenen Sinne beobachten Kinder,<br />

tauschen sich aus, reflektieren, diskutieren,<br />

verwerfen und kommen zu (neuen)<br />

Erkenntnissen und Fragen (s. auch Kihm<br />

et al. in diesem Band). Der Experimentierprozess<br />

wird dabei nicht als Abarbeiten<br />

eines Rezeptes (Versuchsanleitung) verstanden,<br />

sondern als „Weg der gemeinsamen<br />

Erkenntnis“ (Kihm et al. 2018, 73),<br />

der die individuellen Beobachtungen, Fragen,<br />

Lernwege und Erkenntnisse der Kinder<br />

in den Mittelpunkt rückt. Der Fokus<br />

liegt dabei darauf, dass die Kinder das<br />

Experiment immer wieder durchführen,<br />

variieren und vor allem genau beobachten.<br />

Getragen wird dieser Prozess durch die<br />

Kommunikation der Kinder untereinander<br />

(vgl. Köster 2006; Murmann et al.<br />

2007; Peschel 2009; 2013a; 2013b; 2014,<br />

2016; Kihm et al. 2018; Frischknecht-<br />

Tobler/Labudde 2019).<br />

Digitale Medien eröffnen durch ihre<br />

Möglichkeiten zur Dokumentation (z. B.<br />

durch Fotos oder Videos) oder zur Präsentation<br />

(z. B. mithilfe des Online-Wikis<br />

kidipedia) weitere Zugangsweisen<br />

und Kommunikationsmöglichkeiten im<br />

Experimentierprozess. Beobachtungen<br />

können z. B. schriftlich oder fotografisch<br />

Anke Jungmann<br />

Grundschullehrerin, zzt. abgeordnet an<br />

die Universität des Saarlandes, Lehrstuhl<br />

für Didaktik des Sachunterrichts,<br />

Projekt #grundschule-digital<br />

Sarah Poensgen<br />

wissenschaftliche Mitarbeiterin<br />

Universität des Saarlandes, Lehrstuhl<br />

für Didaktik des Sachunterrichts,<br />

Projekt kidipedia<br />

festgehalten werden oder durch spezielle<br />

Funktionen (z. B. Slow-Motion-Video)<br />

erst ermöglicht und so immer wieder betrachtet<br />

werden (vgl. Nießeler 2022). Aussagen<br />

können durch erstellte Videos geprüft<br />

werden.<br />

Im Folgenden wird anhand des Experiments<br />

„Der Kerzenaufzug“ aufgezeigt,<br />

wie Kinder durch Beobachtungen, deren<br />

Dokumentation und durch Kommunikation<br />

darüber zu eigenen Erkenntnissen<br />

gelangen können (s. Infokasten links).<br />

GS aktuell 168 • November 2024<br />

11


Praxis: <strong>Beobachten</strong> – <strong>Staunen</strong> – <strong>Forschen</strong><br />

Dokumentieren<br />

Beim Experiment „Der Kerzenaufzug“<br />

wird ein Teller oder eine flache Schale<br />

mit Wasser befüllt. Ein Teelicht wird<br />

in der Mitte platziert und angezündet.<br />

Im Anschluss daran wird ein Glas über<br />

das Teelicht gestülpt (Bild 1: Aufbau<br />

des Experiments). Die Kinder können<br />

nun viele verschiedene Beobachtungen<br />

machen, z. B. dass der Wasserspiegel<br />

zunächst beim Überstülpen absinkt,<br />

das Erlöschen der Kerze, die Rauchentwicklung<br />

oder das Ansteigen des Wasserspiegels<br />

innerhalb des Glases, sowie<br />

die Zeitpunkte zu diesen Teilbeobachtungen<br />

u. v. a. m. Die Kinder werden –<br />

durch Wiederholung, durch wiederholtes<br />

Ansehen der Videos aus dem Experimentierprozess,<br />

durch Kommunikation<br />

mit anderen Kindern – dazu angeregt,<br />

sich über ihre Beobachtungen auszutauschen,<br />

diese zu diskutieren und das<br />

Experiment immer wieder zu wiederholen<br />

bzw. zunehmend gezielter und differenzierter<br />

zu variieren (vgl. auch Peschel<br />

& Fischer in diesem Heft).<br />

Ziel ist es, die Kinder an naturwissenschaftliche<br />

Arbeitsweise heranzuführen,<br />

bei der möglichst nur ein Parameter zu<br />

einem Zeitpunkt variiert wird und die<br />

Auswirkungen dieser Variation beobachtet<br />

werden. Zur Variation des Versuches<br />

können beispielsweise unterschiedliche<br />

Kerzen, verschiedene Gläser oder<br />

andere Gefäße genutzt werden. Außerdem<br />

kann die Menge des Wassers variiert<br />

werden oder die Art, wie das Glas<br />

über die Kerze gestülpt wird (Bild 2: Materialien<br />

des Experiments). Gleichzeitig<br />

erhalten die Kinder die Aufgabe, ihre<br />

Beobachtungen und Erkenntnisse mithilfe<br />

z. B. eines Tablets zu dokumentieren<br />

(Bild 3: Experiment dokumentieren).<br />

Dabei haben sie die Möglichkeit, Fotos<br />

und Videos ihres Experimentierprozesses<br />

zu erstellen, um diese anschließend<br />

zu vergleichen, (schriftlich) zu kommentieren<br />

oder digital zu bearbeiten. Außerdem<br />

können sie ihre Beobachtungen und<br />

Erkenntnisse zum Beispiel in einer Notizen-App<br />

(hand)schriftlich festhalten.<br />

(Bild 4: Beispiel Notiz)<br />

Ebenso wichtig wie die Dokumentation<br />

der eigenen Beobachtungen und Erkenntnisse<br />

ist die Kommunikation, die<br />

auch das digitale Dokumentieren begleitet<br />

und unterstützt. Genau wie der<br />

Experimentierprozess an sich, erlaubt<br />

die Nutzung digitaler Medien eine stetige<br />

(Neu-)Orientierung und Bearbeitung<br />

Bild 3: Experiment dokumentieren<br />

der bisherigen Erkenntnisse der Kinder,<br />

die durch deren Kommunikation untereinander<br />

angeregt wird.<br />

Im Anschluss an den Experimentierprozess<br />

findet schließlich das gemeinsame<br />

Gespräch im Plenum statt, in dem<br />

das Experimentieren der Kinder sowie<br />

der Einsatz der Tablets reflektiert werden.<br />

Mögliche unterstützende Fragen<br />

können etwa lauten: Was ist dir besonders<br />

wichtig? Welcher Versuch hat dich<br />

besonders beeindruckt? Warum? Wie<br />

könntest du weiterforschen? Was interessiert<br />

dich noch? Was hast du am Versuch<br />

verändert und was hast du dann<br />

beobachtet? Was ist gleich, was ist anders?<br />

Wie hat dich die Nutzung des Tablets<br />

während des Experimentierens unterstützt?<br />

Was hast du aufgezeichnet/gefilmt/aufgeschrieben<br />

und warum? Welche<br />

Beobachtungen konntest du dadurch<br />

machen? Haben andere dies auch beobachtet?<br />

Oder etwas anderes? Dabei unterstützen<br />

die digitalen Dokumentationen<br />

die Erklärungen und Berichte der<br />

Kinder. Diese können zusätzlich auch<br />

an einem Smartboard zusammengetragen<br />

werden.<br />

Präsentieren<br />

Nach der gemeinsamen Reflexion der<br />

Beobachtungen der Kinder erhalten sie<br />

die Aufgabe, allein, zu zweit oder in der<br />

Kleingruppe, diese Beobachtungen und<br />

Erkenntnisse in Form eines Beitrags bei<br />

kidipedia zu präsentieren. Dazu nutzen<br />

sie die Fotos, Videos und Notizen,<br />

die sie während des Experimentierens<br />

erstellt haben, und werden zu Produzent:innen<br />

digitaler Inhalte (Bild 5: kidipedia-Beitrag<br />

verfassen). Ein kidipedia-<br />

Beitrag stellt dabei eine Möglichkeit der<br />

Präsentation von Experimenten und<br />

Bild 1: Aufbau des Experiments<br />

Bild 2: Materialien des Experiments<br />

Bild 4: Beispiel Notiz<br />

Bild 5: kidipedia-Beitrag verfassen<br />

12<br />

GS aktuell 168 • November 2024


Praxis: <strong>Beobachten</strong> – <strong>Staunen</strong> – <strong>Forschen</strong><br />

Erkenntnissen dar, die durch ihre vielfältigen<br />

Funktionen über die Möglichkeiten<br />

z. B. eines Plakates oder eines<br />

Lapbooks hinausgeht. Neben der multimedialen<br />

Präsentation der Erkenntnisse<br />

und Beobachtungen durch Fotos, Videos<br />

oder Text erlaubt kidipedia durch seine<br />

Wiki-Funktionen darüber hinaus eine<br />

fortwährende, unkomplizierte Überarbeitung<br />

des Beitrags.<br />

Zusätzlich zum Erwerb von naturwissenschaftlichen<br />

Kompetenzen bzw. Denk-,<br />

Arbeits- und Handlungsweisen der naturwissenschaftlichen<br />

Perspektive (vgl.<br />

GDSU 2013) zum Experiment „Der Kerzenaufzug“<br />

können die Kinder durch die<br />

Nutzung von kidipedia auch Fragen stellen,<br />

die die Erstellung von digitalen Informationen<br />

betreffen. Beispiele wären:<br />

Welche Beobachtungen zum Kerzenaufzug<br />

müssen in meinem kidipedia-Beitrag<br />

enthalten sein, damit er die Leser:innen<br />

informiert? Können die Leser:innen anhand<br />

meiner Videos und Fotos meine Beobachtungen<br />

nachvollziehen? Ist der Fokus<br />

gut genug, um meine Beobachtungen<br />

zu unterstützen / zu belegen?<br />

Zudem bietet es sich an, die fertigen kidipedia-Beiträge<br />

gemeinsam zunächst in<br />

der Klasse zu präsentieren und zu reflektieren.<br />

Dabei stehen sowohl der Experimentierprozess<br />

als auch die Genese (Erstellung,<br />

Rückmeldung, Überarbeitung)<br />

der kidipedia-Beiträge im Fokus, wodurch<br />

beide Prozesse sinnvoll miteinander<br />

verknüpft werden. Durch das analoge<br />

Experimentieren, dessen digitale Dokumentation<br />

und die anschließende Präsentation<br />

bei kidipedia sowie die begleitende<br />

gemeinsame Kommunikation und Reflexion<br />

darüber können sowohl naturwissenschaftliche<br />

als auch mediale Kompetenzen<br />

gefördert werden.<br />

Literaturangaben zum Artikel<br />

können Sie von unserer Website herunterladen:<br />

https://t1p.de/GSa168Lit<br />

Sonja Köhler<br />

„Ich seh’ da einen Schnabel!!!“<br />

Von Eiern und Küken im Klassenraum<br />

Hühner gehören weltweit zu den wichtigsten Nutztieren und sind somit auch<br />

Teil der Lebenswelt vieler Kinder im Grundschulalter. Egal welchen kulturellen<br />

oder sozialen Hintergrund die Schüler:innen in der Bachschule in Neunkirchen<br />

haben, jedes Kind weiß, was ein Huhn ist, dass es Eier legt und man Hühnerfleisch<br />

essen kann.<br />

Im April des letzten Schuljahres<br />

drehte sich in unserer dritten Klassenstufe<br />

im Sachunterricht alles um<br />

das Thema Huhn. Da unsere Schule<br />

eine Brutmaschine sowie einen kleinen<br />

mobilen Stall mit Wärmelampe besitzt,<br />

hat dieses Projekt bereits seit einigen<br />

Schuljahren Tradition. Den Kindern<br />

wurde so über einen Zeitraum von ca.<br />

vier Wochen die Möglichkeit gegeben,<br />

den in diesem Fall künstlichen Brutvorgang<br />

und die ersten Tage eines Kükens<br />

zu beobachten, zu begleiten und zu<br />

bestaunen. Da die Bachschule in einem<br />

städtischen Umfeld liegt, haben viele<br />

Kinder keinen Kontakt zu Tieren und<br />

meist keine Möglichkeiten, auf Bauernhöfen<br />

oder in der freien Natur Tiere zu<br />

sehen und kennenzulernen. Es fehlen<br />

somit Gelegenheiten, sich eigene Fragen<br />

zu Tieren jeglicher Art zu beantworten<br />

oder primär überhaupt zu stellen.<br />

Daher bietet es sich an, die Entwicklung<br />

„vom Ei zum Küken“ im Klassenraum<br />

zu begleiten sowie in diesem Rahmen<br />

die Merkmale und die Lebensbedingungen<br />

von Hühnern zu untersuchen und<br />

zu beschreiben.<br />

Die Vorbereitungen<br />

Sonja Köhler ist Klassenlehrerin einer<br />

4. Klasse in der Grundschule Bachschule<br />

Neunkirchen und Vorsitzende<br />

der Landesgruppe Saarland des<br />

Grundschulverbandes e. V.<br />

Im Vorfeld des Projektes war es uns<br />

als Team aus vier Klassenleitungen<br />

der 3. Klassen ein Anliegen, die Küken<br />

nach Ende der vier Wochen zur weiteren<br />

Aufzucht an einen Hühnerhalter<br />

abgegeben zu können, um eine möglichst<br />

artgerechte Haltung der Tiere zu<br />

gewährleisten. Glücklicherweise fanden<br />

wir mit Herrn Hussong vom Pfaffenthalerhof<br />

zum wiederholten Mal<br />

einen erfahrenen Landwirt und Hühnerhalter,<br />

der uns nicht nur zusagte, die<br />

Küken zu nehmen, sondern uns zusätzlich<br />

anbot, das Projekt auch mit Tipps<br />

und einem Besuch im Unterricht zu<br />

unterstützen. Beflügelt von der Zusage<br />

recherchierten wir im Internet speziell<br />

nach Bruteiern. Bruteier stammen<br />

von Züchter:innen, bei denen das Verhältnis<br />

von Hahn zu Huhn bei ca. 1:10<br />

liegt und somit die Wahrscheinlichkeit<br />

sehr hoch ist, dass die Eier auch wirklich<br />

befruchtet sind. Diese Eier holten<br />

wir ein paar Tage vor Projektbeginn ab<br />

und lagerten sie vorerst kühl und dunkel.<br />

Einen Tag vor dem Einsetzen der<br />

20 Eier nahmen wir den Brutkasten in<br />

Betrieb, damit Temperatur und Luftfeuchtigkeit<br />

sich auf die Idealwerte einstellen<br />

konnten.<br />

GS aktuell 168 • November 2024<br />

13


Praxis: <strong>Beobachten</strong> – <strong>Staunen</strong> – <strong>Forschen</strong><br />

Der Verlauf<br />

Abb. 1: Legekreis zur Entwicklung des Eis<br />

zum Küken von „Chaosbude“ auf eduki<br />

Damit die Küken nach einer Brutzeit<br />

von 21 Tagen auch zur Schulzeit schlüpften,<br />

setzten wir die Eier nicht montags,<br />

sondern erst dienstags in den Brutkasten<br />

ein. So wollten wir verhindern,<br />

dass die Küken bereits unbemerkt am<br />

Wochenende schlüpften. Um alle Klassen<br />

der 3. Jahrgangsstufe zu involvieren,<br />

durfte jede Klasse fünf der 20 Eier in<br />

den Brutapparat setzen und diesen bei<br />

der Gelegenheit genauer untersuchen.<br />

Hierbei wurden erste Bedingungen des<br />

Brütens, z. B. die Temperaturregulierung<br />

oder das eingefüllte Wasser für die Luftfeuchtigkeit,<br />

entdeckt und kommuniziert.<br />

Zum weiteren Einstieg in das Thema<br />

Huhn stellte ich den Kindern vorbereitete<br />

Quizfragen und notierte die Antworten<br />

und Vermutungen sowie weitere<br />

Fragen der Kinder an der Tafel. So wurde<br />

zum einen Vorwissen aktiviert und<br />

zum anderen eine Vorschau auf die Themen<br />

der kommenden Stunden gegeben.<br />

Im Verlauf der Einheit hatten die Schüler:innen<br />

große Freude daran, gewonnene<br />

Informationen aus den eigenen Beobachtungen<br />

mit den zuvor gegebenen<br />

Antworten abzugleichen und diese ggf.<br />

zu korrigieren.<br />

Parallel zu den Themenbereichen<br />

wurde mithilfe eines Legekreises (siehe<br />

Abb. 1) immer wieder die Entwicklung<br />

des Kükens im Ei thematisiert und visualisiert.<br />

Am 13. Tag durchleuchteten<br />

wir mithilfe einer Taschenlampe – besser<br />

wäre eine sogenannte Schierlampe<br />

– die Eier, um herauszufinden, welche<br />

Eier befruchtet sind und welche aussortiert<br />

werden können (siehe Abb. 2).<br />

Hierbei konnten die Schüler:innen auch<br />

die Blutgefäße und erste Bewegungen im<br />

Ei erkennen.<br />

Eine weitere Möglichkeit zum <strong>Beobachten</strong><br />

und <strong>Staunen</strong> bot sich, als uns<br />

Herr Hussong mit einem Huhn besuchte,<br />

das ein Jahr zuvor in unserer Schule<br />

geschlüpft war. Hierbei hatten die Kin-<br />

Abb. 2: Ei wird mit Schierlampe durchleuchtet<br />

© Heiko Fröhlich<br />

Abb. 3 und 4: Die Küken schlüpfen und<br />

wärmen sich unter der Rotlichtlampe<br />

Unsere Ziele des Hühnerprojektes<br />

• Entstehung und Entwicklung eines Tieres begleiten und beobachten<br />

• Sprachbildung zum Themenfeld „Vögel“ und speziell zum „Huhn“<br />

• Haltungs- und Lebensbedingungen von Hühnern kennenlernen<br />

und reflektieren<br />

• ein Bewusstsein für Wechselbeziehungen von Mensch und Tier entwickeln<br />

• Primärerfahrungen durch Realbegegnungen sammeln<br />

• sich der Herkunft von Lebensmitteln und der Bedeutung des Huhns<br />

als Nutztier bewusst werden<br />

Diese Ziele wurden in Anlehnung an den saarländischen Lehrplan für<br />

Sachunterricht und den Perspektivrahmen Sachunterricht der GDSU<br />

formuliert.<br />

Materialliste<br />

• Bruteier von Zuchtbetrieben<br />

• Brutmaschine mit Temperatur- und Luftfeuchtigkeitsregulierung<br />

• Schierlampe oder leuchtstarke Taschenlampe<br />

• kleiner, mobiler Stall o. Ä.<br />

• Infrarotwärmelampe<br />

• Einstreu<br />

• Kükenaufzuchtfutter mit Behälter<br />

• Wasserschalen<br />

Beispiele für Quizfragen<br />

• Wer hat die bunteren Federn, der Hahn oder die Henne?<br />

• Was haben Hühner auf dem Kopf?<br />

a) Bürste b) Kamm c) Bart<br />

• Wie viele Tage müssen Eier ausgebrütet werden,<br />

damit Küken schlüpfen?<br />

• Richtig oder falsch:<br />

Das Huhn kann mit den Beinen erkennen, ob sich ein<br />

Feind anschleicht.<br />

• Schätze: Wie viele Eier kann ein Huhn auf einmal ausbrüten?<br />

• Warum baden Hühner in Sand?<br />

• Was bedeuten die Zahlen auf dem Hühnerei?<br />

• Können Hühner fliegen?<br />

• Was ist eine Glucke?<br />

a) Geräusch, das Hühner machen<br />

b) Teil vom Stall<br />

c) Huhn, das brütet<br />

• Wo schlafen Hühner?<br />

a) auf einer Sitzstange<br />

b) im Nest<br />

c) auf dem Boden<br />

• Kann aus jedem Ei ein Küken schlüpfen?<br />

14<br />

GS aktuell 168 • November 2024


Praxis: <strong>Beobachten</strong> – <strong>Staunen</strong> – <strong>Forschen</strong><br />

der nicht nur die Möglichkeit, den Körperbau<br />

des Huhns zu betrachten und<br />

Verhaltensweisen zu beobachten, sondern<br />

konnten außerdem entstandene<br />

Fragen direkt an einen Experten richten.<br />

Die Küken<br />

Am 21. Bruttag konnten die Kinder bei<br />

Schulbeginn bereits das erste geschlüpfte<br />

Küken entdecken. An zahlreichen<br />

Eiern waren größere und kleinere Löcher<br />

zu sehen und es wurde nach und nach<br />

lauter in der Brutmaschine. Küken, deren<br />

Flaum getrocknet war, wurden von Lehrpersonen<br />

vorsichtig in den mit Einstreu<br />

und Wärmelampe vorbereiteten Stall<br />

umgesetzt (siehe Abb. 3 und 4). Die Kinder<br />

konnten hier beobachten, wie die<br />

Küken sofort anfingen, das Kükenfutter<br />

zu fressen, aus den aufgestellten Wasserschalen<br />

zu trinken oder eng aneinandergekuschelt<br />

immer wieder einzuschlafen.<br />

Am 22. Tag schlüpften die letzten<br />

Küken. In den folgenden Tagen wurden<br />

die Küken immer vitaler und neugieriger<br />

und die Schüler:innen hatten viele Gelegenheiten,<br />

das Verhalten der neuen Klassenbewohner<br />

zu beobachten. Die Beobachtungen<br />

wurden dann teilweise eigenständig<br />

mit Kindern der Parallelklassen<br />

direkt am Käfig und regelmäßig im Klassenverband<br />

besprochen und verglichen.<br />

Im Brutkasten verblieben am Ende drei<br />

ungeöffnete Eier, in denen die Küken<br />

Infos zur Schule<br />

Die Grundschule Bachschule ist eine<br />

von sieben städtischen Grundschulen in<br />

Neunkirchen im Saarland. Ca. 90 % der<br />

Schüler:innen sprechen Deutsch als Zweitsprache,<br />

ein großer Teil wird ohne oder mit<br />

sehr wenigen deutschen Sprachkenntnissen<br />

eingeschult. Schwerpunkt der Schule<br />

liegt auf bewegtem Lernen und Sport.<br />

Weitere Tipps zum Thema<br />

den Schlüpfvorgang nicht geschafft hatten.<br />

Ein weiteres Küken überlebte nach<br />

dem Schlüpfen die ersten zwei Tage nicht.<br />

Am Ende der Schulwoche zogen schließlich<br />

elf Küken auf den Hof von Herrn<br />

Hussong, der bereits alles für die neuen<br />

Küken vorbereitet hatte.<br />

Der Besuch auf dem Hof<br />

Damit die weitere Entwicklung der<br />

Küken nicht ausschließlich über Fotos<br />

oder Filme verfolgt werden musste,<br />

besuchten wir zwei Monate<br />

nach Abschluss des<br />

„Wie heißt das Huhn?“<br />

„Wie alt ist das Huhn?“<br />

„Was fressen Hühner?“<br />

„Wo wohnen die Hühner?“<br />

„Gibt es auch einen Hahn?“<br />

„Kann das Huhn fliegen?“<br />

Buch: Ein vielseitiges<br />

Nachschlagewerk<br />

mit detailverliebten<br />

Zeichnungen, um die<br />

Fragen der Kinder<br />

(und der Lehrkraft)<br />

zu beantworten. Wer<br />

war zuerst da: die<br />

Projektes den Hof<br />

von Herrn Hussong.<br />

Hier hatten<br />

die Kinder<br />

nicht nur die<br />

Gelegenheit,<br />

„ihre“ Küken zu<br />

Henne oder das Ei? Können Hühner eigentlich<br />

fliegen oder schlüpft aus jedem Ei ein<br />

Küken? Können Küken zählen und warum<br />

tanzen Hähne?<br />

Links<br />

• Bayerische Akademie<br />

für Naturschutz und<br />

Landschaftspflege,<br />

Projekt Tiere live:<br />

Hühner www.anl.<br />

bayern.de/projekte/<br />

tierelive/doc/13_<br />

huehner_a3.pdf<br />

• Wissenswertes zu Hühnern<br />

und Hühnerhaltung:<br />

www.huehner-hof.com<br />

• Video Anna und die Haustiere: Huhn<br />

https://t1p.de/7w6xg<br />

besuchen und zu betrachten, sondern<br />

auch die übrigen Hühner des Hofes und<br />

das Gelände rund um den Hühnerstall<br />

kennenzulernen. Für die meisten Kinder<br />

war dies der erste Besuch eines Bauernhofes<br />

und sie entdeckten eine Vielzahl<br />

von Möglichkeiten und Anlässen<br />

zum <strong>Beobachten</strong>, <strong>Staunen</strong> und <strong>Forschen</strong>.<br />

Fazit<br />

Da Kinder heutzutage viele ihrer Erfahrungen<br />

und ihres Wissens nur aus Texten,<br />

Videos oder Erzählungen erwerben,<br />

ist es umso wichtiger, in der Schule<br />

so häufig wie möglich Realbegegnungen<br />

und Primärerfahrungen zu ermöglichen.<br />

Die Langzeitbeobachtung der<br />

Entwicklung von Hühnerküken bot den<br />

Kindern einen emotionalen, direkten<br />

und individuellen Zugang zum Thema.<br />

Immer wieder entstanden in unserer<br />

Klasse situationsbedingt neue Fragestellungen,<br />

denen gemeinsam im Klassenverband,<br />

in Kleingruppen oder allein<br />

nachgegangen werden konnte, z. B. ob<br />

Hühner fliegen können oder woher das<br />

erste Huhn kam. Außerdem lernten die<br />

Schüler:innen, dass manche Beobachtungen<br />

viel Geduld erfordern und nicht<br />

immer direkt sichtbar werden. Langzeitbeobachtungen<br />

bewahren und beflügeln<br />

die Neugierde von Kindern. Als weniger<br />

aufwendige Alternative zu Hühnereiern<br />

bieten sich hierfür auch z. B. Schmetterlinge,<br />

Schnecken, Ameisen oder Spinnen<br />

an. <br />

GS aktuell 168 • November 2024<br />

15


Praxis: <strong>Beobachten</strong> – <strong>Staunen</strong> – <strong>Forschen</strong><br />

Marie Fischer, Sarah Poensgen, Sehriban Kirli<br />

„Wie kommt das Feuer ins Streichholz?“<br />

Mit einem Alltagsgegenstand Perspektiven<br />

im Sachunterricht vernetzen<br />

Das Streichholz ist ein vermeintlich trivialer Alltagsgegenstand, den wir im<br />

Sommer etwa vom Lagerfeuer oder vom Grillen, im Winter vom Entzünden<br />

von Kerzen kennen. Zum Unterrichtsgegenstand des Sachunterrichts wird das<br />

Streichholz zunächst scheinbar primär ausgehend von der naturwissenschaftlichen<br />

Perspektive, da es um Verbrennungsprozesse, Feuer oder die Kerze geht.<br />

Doch es steckt mehr dahinter: Warum ist der Zündkopf eines Streichholzes farbig<br />

(meist rot)? Kann man es nur an der Reibefläche der Schachtel entzünden?<br />

Warum sind Streichhölzer im Querschnitt viereckig? Und wer hat das Streichholz<br />

eigentlich ursprünglich erfunden?<br />

Diese Fragen können nicht be antwortet<br />

werden, ohne ei nerseits<br />

naturwissenschaftliche Aspekte<br />

zu betrachten und andererseits u. a. den<br />

historischen Kontext der Streichholzentwicklung<br />

mit einzubeziehen.<br />

Anhand der (vermeintlichen) Kinderfrage<br />

„Wie kommt das Feuer ins Streichholz?“<br />

soll exemplarisch eine Vernetzung<br />

von naturwissenschaftlichen<br />

Erkenntnisprozessen und ihrer jeweiligen<br />

historischen Entstehung und (Weiter-)Entwicklung<br />

als Beitrag zu einer<br />

Nature of Science aufgezeigt werden.<br />

Damit möchten wir eine monoperspektivische<br />

Betrachtung des Streichholzes<br />

mit einer naturwissenschaftlichen „Brille“<br />

ablösen und das Streichholz als Lerngegenstand<br />

für den Sachunterricht vorstellen,<br />

der mehr als nur Verbrennung<br />

zu bieten hat.<br />

Das Streichholz als<br />

Lerngegenstand im Sachunterricht<br />

Für den Sachunterricht lässt sich das<br />

Streichholz als Lerngegenstand in<br />

Unterrichtsmaterialien bisher häufig<br />

finden, wenn es um Themen wie Feuer<br />

oder das Verbrennungsdreieck mit den<br />

entsprechenden Sicherheitshinweisen<br />

(Wie halte ich das Streichholz richtig?<br />

etc.) geht.<br />

Die Lebenswelt der Schüler:innen im<br />

Sachunterricht ist geprägt von individuellen<br />

„Sinnbeziehungen und Bedeutungszusammenhängen“<br />

(Klafki 2007,<br />

273), die sie den Sachen bzw. den Lerngegenständen<br />

geben und die über den<br />

Fächerkanon der (Grund-)Schule hinausgehen.<br />

Eine Annäherung über Kinderfragen<br />

(s. auch Simon / Simon in diesem<br />

Heft) geht dabei über die monoperspektivische<br />

Betrachtung des Gegenstandes<br />

hinaus, denn ein Kind würde<br />

vielleicht nicht fragen, wie das Streichholz<br />

brennt, und damit eine rein naturwissenschaftliche<br />

Antwort erwarten.<br />

Viel wahrscheinlicher scheinen Fragen<br />

wie „Wer hat eigentlich das Streichholz<br />

erfunden?“ oder „Wie kommt das Feuer<br />

ins Streichholz?“.<br />

An (Kinder-)Fragen rund um das<br />

Streichholz, seine Entstehung und Entwicklung<br />

und deren Beantwortung können<br />

„allgemeinere Zusammenhänge, Beziehungen,<br />

Gesetzmäßigkeiten, Strukturen,<br />

Widersprüche, Handlungsmöglichkeiten“<br />

(Klafki 2007, 275) deutlich<br />

gemacht werden. Exemplarisch an der<br />

historischen Entwicklung des Streichholzes<br />

erfahren die Schüler:innen, dass<br />

Naturwissenschaften (und ihre Erkenntnisprozesse)<br />

und historische Umstände<br />

in einem wechselseitigen Verhältnis zueinander<br />

stehen, d. h. naturwissenschaftliche<br />

Erkenntnisse bilden immer einen<br />

Nature of Science (NoS, Natur der Naturwissenschaft)<br />

bezieht sich auf die grundlegenden<br />

Eigenschaften, Prinzipien und<br />

Prozesse, die wissenschaftliches Wissen und<br />

wissenschaftliches Arbeiten charakterisieren.<br />

NoS umfasst Werte, Annahmen und Methoden,<br />

die in der wissenschaftlichen Gemeinschaft<br />

anerkannt sind und die Art und Weise<br />

bestimmen, wie Wissenschaft betrieben<br />

Status quo ab, der in einem historischen<br />

Kontext zu verstehen ist. Neuere Erkenntnisse,<br />

die teilweise widersprüchlich<br />

zu alten Erkenntnisständen sind, sind<br />

oft erst durch einen neuen historischen<br />

Kontext, z. T. neue Forschungsmethoden,<br />

neue Stoffe bzw. Materialien oder<br />

neue gesellschaftliche Anforderungen<br />

an „das Produkt“ und seine Herstellung<br />

möglich. Eine didaktische Auseinandersetzung<br />

mit der naturwissenschaftlichen<br />

und der historischen Perspektive anhand<br />

eines (Alltags-)Gegenstandes kann<br />

ein besonders großes Potenzial bergen.<br />

Durch die Vernetzung beider Perspektiven<br />

erkennen die Schüler:innen, dass naturwissenschaftliche<br />

Errungenschaften<br />

nicht auf sozial isolierten Erkenntnissen<br />

beruhen, die zeitüberdauernd ihre<br />

Gültigkeit bewahren müssen. Vielmehr<br />

fußen sie auf Revisionen, sozialen Interaktionen,<br />

Optimierungen, unterschiedlichen<br />

Erkenntnissen und -methoden,<br />

experimentellen Erfahrungen<br />

und oft auch – wie im Fall des Streichholzes<br />

– auf gesellschaftlichem, ökonomischem<br />

oder politischem Innovationsdruck.<br />

Zudem bietet eine naturwissenschaftlich-historische<br />

Annäherung an Themen<br />

und Lerngegenstände eine große Bedeutsamkeit<br />

für die Zukunft der Lernenden.<br />

Sowohl ein ausgeprägtes Wissensverständnis<br />

als auch ein Geschichtsbewusstsein<br />

sind als wichtige Teile der<br />

Allgemeinbildung und somit „als Voraussetzung<br />

gesellschaftlicher Teilhabe“<br />

(Billion-Kramer 2021, 3) anzusehen. Das<br />

wird.Die drei Domänen, die Wissenschaft<br />

nach McComas (2020) kennzeichnen, sind:<br />

1) Werkzeuge, Prozesse und ihre Ergebnisse<br />

(z. B. die Bedeutung von Beweisen); 2) Wissenschaft<br />

und ihre Limitationen (z. B. Technologie<br />

als Produkt, aber auch als Motor, Beständigkeit<br />

und Vorläufigkeit des Wissens); 3) menschliche<br />

Elemente in der Wissenschaft (z. B. Wechselwirkungen<br />

mit der Gesellschaft).<br />

16<br />

GS aktuell 168 • November 2024


Praxis: <strong>Beobachten</strong> – <strong>Staunen</strong> – <strong>Forschen</strong><br />

angesprochene Wissenschaftsverständnis<br />

bezieht sich u. a. auf die Vorstellung,<br />

„dass die Naturwissenschaften sich im<br />

Hinblick auf ihre Begriffe und Konzepte<br />

einerseits und ihre Methoden andererseits<br />

fortentwickeln“ (Heering 2008, 29)<br />

und Schüler:innen diese Entwicklungen<br />

im Sachunterricht historisch nachvollziehen<br />

können.<br />

Die Geschichte des Streichholzes<br />

Um die naturwissenschaftlichen Aspekte<br />

des Streichholzes (Aufbau, Zusammensetzung<br />

der Stoffe, Verbrennungsprozesse)<br />

einordnen und verstehen zu<br />

können, ist es u. E. unerlässlich, die historische<br />

Entwicklung des Streichholzes<br />

– wie wir es heute kennen und gebrauchen<br />

– nachzuvollziehen. Dabei möchten<br />

wir betonen, dass die hier verkürzte<br />

historische Darstellung dazu dient, den<br />

Einfluss von historischen Bedingungen<br />

auf naturwissenschaftliche Erkenntnisprozesse<br />

und deren Weiterentwicklung<br />

hervorzuheben.<br />

Als eine wichtige Voraussetzung zur<br />

Entwicklung moderner Streichhölzer ist<br />

die Entdeckung von Phosphor zu sehen,<br />

der eine zuverlässige Zündung ermöglicht.<br />

Phosphor ist ein nicht metallisches, reaktionsfähiges<br />

Element, welches in den Erscheinungsformen<br />

weiß, rot, schwarz und<br />

violett vorkommt. Dabei ist die Herstellung<br />

weißen Phosphors am einfachsten, jedoch<br />

birgt dieser Phosphor sowohl eine thermodynamische<br />

Instabilität als auch gesundheitliche<br />

Risiken, die auf die hohe Toxizität<br />

des weißen Phosphors zurückzuführen<br />

sind.<br />

Dass Erkenntnisse in den Naturwissenschaften<br />

häufig nicht durch ein zielgerichtetes<br />

und geplantes Vorhaben, sondern durch Zufälle,<br />

Irritationen und Umwege entstehen, ist<br />

ein Kernelement der Nature of Science, das<br />

sich auf die Konzeption eines naturwissenschaftlich-orientierten<br />

Sachunterrichts übertragen<br />

lässt (s. dazu Kihm et al. in diesem<br />

Heft). Naturwissenschaftliche Erkenntnisse<br />

sind nie isoliert zu betrachten, sondern beruhen<br />

immer auf Vorarbeiten anderer Wissenschaftler:innen,<br />

die rezipiert, genutzt,<br />

verworfen, überarbeitet etc. werden.<br />

Für die exotherme Oxidationsreaktion<br />

(= Brennen/Flamme) ist die Zusammensetzung<br />

des Streichholzes, aber auch der<br />

Reibefläche der Streichholzschachteln von<br />

Als frühe Vorläufer des modernen<br />

Streichholzes galten ab ca. 1785 sogenannte<br />

Zündhölzer, die in mit Phosphor<br />

gefüllte Fläschchen gesteckt und<br />

anschließend in der Luft entzündet wurden.<br />

Die ersten Streichhölzer, die sich<br />

durch Reibung entzündeten, wurden<br />

im Jahr 1827 per Zufall vom englischen<br />

Apotheker John Walker entdeckt, während<br />

dieser eigentlich dabei war, einen<br />

neuen Sprengstoff zu entwickeln. Walker<br />

fand heraus, dass die Reibung einer<br />

Schwefel-Kalium-Verbindung mit einer<br />

rauen Oberfläche eine Oxidation auslöst.<br />

Diese zufällig gewonnene Erkenntnis<br />

ließ er nicht patentieren, sodass viele<br />

Naturwissenschaftler:innen diese als<br />

Grundlage für Experimente mit dem<br />

leicht entzündlichen und billig zu produzierenden<br />

Phosphor nutzen konnten<br />

und von diesem Zufall profitierten.<br />

In den 1830er-Jahren wurden schließlich<br />

vermehrt Streichhölzer mit weißem<br />

Phosphor als Zündmaterial erfunden<br />

und in vielen Ländern eingeführt.<br />

Begünstigt wurde dies durch eine vergleichsweise<br />

einfache Massenherstellung,<br />

die nicht viele Gerätschaften benötigte.<br />

Die Nutzung des weißen Phosphors<br />

ging jedoch mit vielfältigen Problemen<br />

einher: Die Streichhölzer mit weißem<br />

Phosphor ließen sich bereits bei den<br />

kleinsten Reibungen entflammen, so-<br />

großer Bedeutung. Man unterscheidet drei<br />

wesentliche Prozesse beim Abbrennen des<br />

Streichholzes, nämlich die Initialzündung<br />

(durch schnelles Reiben an der Reibefläche<br />

der Streichholzschachtel entsteht Wärme,<br />

die eine chemische Reaktion am Streichholzkopf<br />

in Gang setzt), die Brandphase des<br />

Streichholzkopfes (bei dieser chemischen<br />

Reaktion reagieren Schwefel und Sauerstoff<br />

am Streichholzkopf miteinander) und die<br />

Brandphase des Holzes (der für die Verbrennung<br />

benötigte Sauerstoff ist im Kaliumchlorat<br />

enthalten, die Verbrennung wird<br />

„beschleunigt“ und wandert vom Streichholzkopf<br />

auf das Holz weiter) (vgl. dazu auch<br />

Vollmer/Möllmann 2017).<br />

Abb. 1:<br />

The Match-Makers<br />

at the East-End,<br />

Mai 1871<br />

Abb. 2:<br />

Procession of<br />

Match Workers<br />

to Westminster,<br />

Juli 1888<br />

dass sie zwar praktisch, aber äußerst gefährlich<br />

waren.<br />

Zudem waren die Arbeiter:innen in<br />

den Streichholzfabriken schwierigen<br />

und gesundheitsschädlichen Arbeitsbedingungen<br />

ausgesetzt: Bei der industriellen<br />

Herstellung der Streichhölzer wurden<br />

die Hölzer in eine erhitzte Phosphormischung<br />

eingetaucht. Dabei waren die Arbeiter:innen<br />

dem äußerst giftigem Phosphordampf<br />

schutzlos ausgesetzt.<br />

Zur häufigsten gesundheitlichen Folge<br />

zählte der sogenannte Phosphorkie-<br />

GS aktuell 168 • November 2024<br />

17


Praxis: <strong>Beobachten</strong> – <strong>Staunen</strong> – <strong>Forschen</strong><br />

Marie Fischer ist wissenschaftliche Mitarbeiterin in der Didaktik des Sachunterrichts<br />

an der Universität des Saarlandes und Vorstandsmitglied in der Landesgruppe Saarland<br />

des Grundschulverbandes.<br />

Sarah Poensgen ist wissenschaftliche Mitarbeiterin in der Didaktik des Sachunterrichts<br />

an der Universität des Saarlandes und betreut das Projekt kidipedia.<br />

Sehriban Kirli ist Studentin im Lehramt für Primarstufe an der Universität des Saarlandes<br />

und studentische Hilfskraft in der Didaktik des Sachunterrichts.<br />

fer, bei dem es durch den eingeatmeten<br />

Phosphordampf zu einer Nekrose und<br />

meist starken Schädigungen des Oberund<br />

Unterkiefers kommt. Diese schlechten<br />

Arbeitsbedingungen lösten in Großbritannien<br />

im Jahr 1888 Streiks der Arbeiterinnen,<br />

„Match-Girls“ (match = engl.<br />

Streichholz), aus. Sie forderten bessere<br />

Arbeitsbedingungen und höhere Löhne.<br />

Durch die Streiks und die damit verbundene<br />

Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit<br />

unter Innovationsdruck wandte<br />

sich die Streichholzindustrie einer Erfindung<br />

aus den 1850er-Jahren zu, den Sicherheitsstreichhölzern.<br />

Bei diesen wurde<br />

der gefährliche weiße Phosphor im Zündkopf<br />

durch u. a. Kaliumchlorat ersetzt und<br />

Phosphor nur noch in der Reibefläche –<br />

nicht mehr auch im Streichholzkopf – genutzt,<br />

wobei auch hier kein weißer, sondern<br />

roter Phosphor zum Einsatz kommt.<br />

Roter und weißer Phosphor unterscheiden<br />

sich nicht nur hinsichtlich ihrer<br />

Farbe, sondern auch angesichts ihrer Toxizität.<br />

Roter Phosphor ist, im Gegensatz<br />

zum weißen Phosphor, nicht giftig und<br />

reaktionsträge. Zudem lässt sich der rote<br />

Unterrichtsmaterial<br />

Auf der Webseite<br />

www.markus-peschel.de/produkte<br />

finden Sie ausgearbeitete Unterrichtsmaterialien<br />

und didaktische Hinweise,<br />

wenn Sie die Geschichte des Streichholzes<br />

in Ihrem Sachunterricht thematisieren<br />

möchten.<br />

Wir freuen uns über Ihre Rückmeldung<br />

zu den Inhalten per Mail.<br />

Phosphor erst bei über 200 Grad Celsius<br />

in der Luft entzünden, wohingegen der<br />

weiße Phosphor sich bereits bei 50 Grad<br />

in der Luft entzündet. Somit stellt der rote<br />

Phosphor eine sichere, aber auch teurere<br />

Alternative zum weißen Phosphor dar.<br />

Die ursprünglich weitaus teurere und<br />

noch nicht ganz ausgereifte Produktion<br />

der Sicherheitsstreichhölzer wurde innerhalb<br />

weniger Jahre maschinell so weiterentwickelt,<br />

dass die Massenproduktion<br />

profitabel wurde. 1907 trat schließlich<br />

in Deutschland und 1908 in Großbritannien<br />

ein Gesetz zum Verbot der<br />

Herstellung von Streichhölzern mit weißem<br />

Phosphor in Kraft.<br />

Unsere heutigen Streichhölzer entsprechen<br />

weitgehend unverändert<br />

den Sicherheitsstreichhölzern aus den<br />

1890er-Jahren und bestehen aus u. a.<br />

Kaliumchlorat, Schwefel, Glasmehl, Bindemittel<br />

und Farbstoffen. Sie oxidieren<br />

durch die Reibung mit der Reibefläche<br />

an der Streichholzschachtel, welche aus<br />

Glaspulver und rotem Phosphor besteht.<br />

Das Streichholz als exemplarischer<br />

Alltagsgegenstand<br />

Die hier vorgestellte exemplarische Verknüpfung<br />

der naturwissenschaftlichen<br />

und der historischen Perspektive anhand<br />

des Streichholzes lässt darüber hinaus<br />

weitere Bezüge zu den Perspektiven des<br />

Sachunterrichts im Sinne von Vielperspektivität<br />

und Vernetzung zu: Ohne die<br />

technischen Fortschritte der jeweiligen<br />

Zeit wäre die Massenproduktion eines<br />

Alltagsproduktes nicht möglich gewesen.<br />

Trotzdem sieht das Streichholz heute<br />

fast identisch wie 1890 aus. Abgelöst wurde<br />

es in Teilen durch Gasfeuerzeuge oder<br />

Lichtbogenfeuerzeuge, die das Streichholz<br />

aber bis heute nicht ganz im Alltag ersetzen<br />

konnten (technische Perspektive).<br />

Streiks, die von Arbeiter:innen ausgingen,<br />

haben Arbeitsbedingungen und auch<br />

das Ausgangsprodukt langfristig verändert<br />

(sozialwissenschaftliche Perspektive).<br />

Historisch gewachsene Globalisierungsprozesse<br />

beeinflussen unseren Alltag und<br />

die Gegenstände, die wir nutzen, obwohl<br />

Entwicklungen dazu in der Vergangenheit<br />

und / oder in anderen geografischen Räumen<br />

ablaufen (geografische Perspektive).<br />

Ein vor knapp 200 Jahren zunächst<br />

durch Zufall entstandenes Produkt wurde<br />

durch Erkenntnisse der Naturwissenschaft<br />

und Beeinflussung durch Gesellschaft,<br />

Politik und Wirtschaft weiterentwickelt,<br />

und doch kennt es heute noch<br />

jedes Kind, was es zu einem geeigneten<br />

exemplarischen Lerngegenstand für den<br />

Sachunterricht macht.<br />

Insbesondere Alltagsgegenstände mit<br />

auf den ersten Blick eher monoperspektivischer<br />

Ausrichtung eignen sich durch<br />

den Einbezug ihrer Entwicklungsgeschichte<br />

dazu, naturwissenschaftliche Aspekte<br />

und Nature of Science sowie historische<br />

Aspekte gemeinsam vernetzt zu thematisieren<br />

und so die Wechselwirkungen<br />

von naturwissenschaftlicher Forschung<br />

und gesellschaftlichen, ökonomischen<br />

und politischen Umständen zu verdeutlichen.<br />

Geeignete andere exemplarische<br />

Alltagsgegenstände wären im Themenfeld<br />

Nachhaltigkeit etwa Konservendosen<br />

als Möglichkeit der Langzeitaufbewahrung<br />

von Lebensmitteln (die Entwicklung<br />

wurde angestoßen, nachdem Napoleon<br />

Bonaparte während der Napoleonischen<br />

Kriege Ende des 19. Jahrhunderts<br />

einen Preis dafür ausgelobt hatte, ein Verfahren<br />

zu entwickeln, Lebensmittel haltbar<br />

zu machen) oder im Themenfeld Bionik<br />

bzw. der Übertragung von Mechanismen<br />

der belebten Natur auf die unbelebte<br />

Natur der Klettverschluss (vom Schweizer<br />

Georges de Mestral nach dem Vorbild<br />

der Klettpflanze erfunden und nach<br />

dem Einsatz im Weltall durch die NASA<br />

als günstige Verschlussmethode für die<br />

Modebranche weiterentwickelt).<br />

Literaturangaben zum Artikel<br />

können Sie von unserer Website herunterladen:<br />

https://t1p.de/GSa168Lit<br />

18<br />

GS aktuell 168 • November 2024


Praxis: <strong>Beobachten</strong> – <strong>Staunen</strong> – <strong>Forschen</strong><br />

Sabrina Schlecht, Sabine Peter, Eva-Maria Osterhues-Bruns<br />

Da kannst du Watt erleben!<br />

<strong>Beobachten</strong> – <strong>Staunen</strong> – <strong>Forschen</strong>. So lautet der Titel dieser Ausgabe der Grundschule<br />

aktuell. Unsere Schule, die Grundschule Nordholz in der Nähe von Cuxhaven,<br />

nutzt regelmäßig das Wattenmeer Niedersachsens als außerschulischen<br />

Lernort, um Kinder zum <strong>Beobachten</strong>, <strong>Staunen</strong> und <strong>Forschen</strong> anzuregen. Lehrkräfte<br />

beobachten die Forschungen und damit einhergehend die Lernprozesse<br />

der Kinder und stehen ihnen beratend und unterstützend zur Seite. In diesem<br />

Beitrag wollen wir exemplarisch vorstellen, welche Lerngelegenheiten sich für<br />

Schüler:innen ergeben können, wenn Lehrkräfte die Interessen der Kinder aufgreifen<br />

und sie ihren eigenen Fragestellungen nachgehen lassen.<br />

Ein Schwerpunkt dieses Artikels<br />

liegt dabei auf der Rolle der beobachtenden<br />

Lehrkraft. Wir zeigen<br />

dabei beispielhaft auf, wie sich aus den<br />

eigenen Fragestellungen der Kinder<br />

neue, spezifischere und detailliertere<br />

Fragen entwickeln können. Unabdingbar<br />

dafür ist das Vertrauen in die Schüler:innen,<br />

ihr Vorhaben zum Gelingen<br />

bringen zu wollen – aber auch die<br />

Gelassenheit der Lehrkräfte mit dem<br />

Wissen, dass einzelne Experimente auch<br />

scheitern können.<br />

Wattwochen in Cappel-Neufeld<br />

Bereits seit über zehn Jahren finden<br />

an unserer Schule die Wattwochen in<br />

Zusammenarbeit mit dem Nationalparkhaus<br />

Wattenmeer in Dorum-Neufeld<br />

statt. Jedes Jahr wiederkehrend<br />

haben alle Klassen die Möglichkeit, diesen<br />

besonderen außerschulischen Lernort<br />

zu besuchen und den einzigartigen<br />

Abb. 1: Forscheratmosphäre im Zelt beim Wattenmeer<br />

Lebensraum kennenzulernen. Obschon<br />

das Wattenmeer direkt „vor unserer<br />

Haustür“ liegt, gibt es Kinder, die das<br />

Watt vor den Wattwochen noch nie<br />

besucht oder auch nur gesehen haben.<br />

Während der Wattwochen erhalten<br />

die Schüler:innen die Gelegenheit, sich<br />

über mehrere Tage im Watt zu orientieren.<br />

Im Verlauf der vier Schuljahre ergeben<br />

sich zahlreiche Möglichkeiten, Tiere,<br />

Wasser, Schlick, Gezeiten, Wetterveränderungen<br />

oder -phänomene u. v. m. zu<br />

beobachten. Die Schüler:innen erhalten<br />

die Zeit, vielfältige, insbesondere auch<br />

sinnliche Eindrücke zu sammeln und<br />

Entdeckungen zu machen, die sie zum<br />

<strong>Staunen</strong> verleiten. Manche Entdeckungen<br />

oder Phänomene faszinieren die<br />

Kinder so sehr, dass sich daraus eigene<br />

Forschungsfragen entwickeln. Mögliche<br />

Fragestellungen lauten „Wie frisst<br />

der Wattwurm eigentlich?“ oder „Was ist<br />

Schlick? Warum riecht Schlick oben anders<br />

als der ausgegrabene Schlick?“ Dabei<br />

erlernen sie grundlegende sachunterrichtlich<br />

spezifische Denk-, Arbeitsund<br />

Handlungsweisen der naturwissenschaftlichen<br />

Perspektive:<br />

● Recherche mithilfe bereitgestellter<br />

Fachliteratur oder eigener Beobachtungen<br />

● Vorbereitung erster Experimente und<br />

Durchführung von Untersuchungen<br />

● Dokumentation (auch unter Einbeziehung<br />

digitaler Medien)<br />

Die individuellen Fragen der Schüler:innen<br />

tangieren aber auch weitere Perspektiven<br />

(technisch, geografisch, sozialwissenschaftlich<br />

und historisch) des<br />

Sachunterrichts.<br />

In einem durch den Förderverein der<br />

Schule finanzierten beweglichen Bauwagen<br />

und einem Zelt stehen für die Kinder<br />

Forschermaterialien wie Mikroskope,<br />

Petrischalen und Pinzetten, aber<br />

auch Tablets, (Bestimmungs-)Bücher<br />

oder Alltagsmaterialien zur Verfügung,<br />

die die Kinder bei ihren Forschungen<br />

unterstützen. Eine Biologin des Nationalparkhauses<br />

Wattenmeer begleitet<br />

die Wattwochen als Expertin. Sie bietet<br />

unter anderem auch Wattführungen an<br />

und beantwortet geduldig und fachkundig<br />

erste Fragen der Kinder.<br />

Kinder als Forscher:innen –<br />

eigene Fragen entwickeln<br />

Während der letzten Wattwochen im<br />

Mai dieses Jahres bildete sich ein Team<br />

aus drei Schüler:innen, das sich besonders<br />

für Muscheln interessierte und verschiedene<br />

Muscheln im Watt sammelte.<br />

Nach genauen Beobachtungen unter<br />

dem Mikroskop stellte sich diese Gruppe<br />

die Frage, ob die Struktur der Muschelschale<br />

eine besondere Bedeutung hat.<br />

Schnell stand fest, dass die Muschelschalen<br />

erst einmal von Sand und<br />

Schlick befreit werden mussten. Aber<br />

wie? Zwischen den bereitgestellten Forschermitteln<br />

ließ sich nichts Brauchbares<br />

finden. Letztlich überlegten die Kinder<br />

sich, dass eine alte Zahnbürste helfen<br />

könnte. Nach gründlicher Reinigung<br />

mit den am nächsten Tag mitgebrachten<br />

Zahnbürsten konnten die Kinder ent-<br />

GS aktuell 168 • November 2024<br />

19


Praxis: <strong>Beobachten</strong> – <strong>Staunen</strong> – <strong>Forschen</strong><br />

Abb. 2: Auf Muschelsuche im Watt<br />

decken, dass die unterschiedlichen Muschelschalen<br />

alle Ringe bzw. Rillen in<br />

gleichmäßigen Abständen aufwiesen.<br />

Die begleitende Lehrkraft suchte im<br />

Gespräch mit den Schüler:innen nach<br />

weiteren Merkmalen und Gemeinsamkeiten<br />

der unterschiedlichen Muschelschalen<br />

und ermutigte sie, ihre Gedanken<br />

und Vermutungen zu äußern. Ohne<br />

selbst eine Richtung vorzugeben und offen<br />

für die weiteren Entscheidungen der<br />

Kinder, stellte sie dem Schüler:innenteam<br />

Literatur bereit, gab ihnen Zeit, die<br />

gereinigten Muscheln unter dem Mikroskop<br />

erneut und sehr genau zu betrachten,<br />

und unterstützte die Idee, detaillierte<br />

Zeichnungen anzufertigen. Denn das<br />

Zeichnen hilft, wirklich genau zu beobachten,<br />

sich immer wieder auf Details zu<br />

konzentrieren und sich die Zeit dafür zu<br />

nehmen.<br />

Das Forscher:innenteam setzte sich<br />

intensiv mit den Muschelschalen auseinander,<br />

glich Ideen und Beobachtungen<br />

während des Tuns immer wieder miteinander<br />

ab und beriet sich untereinander.<br />

Innerhalb dieses Prozesses wurde dann<br />

von den Forscher:innen der Vergleich<br />

der Rillen auf den Muschelschalen mit<br />

den Wachstumsringen eines Baumes gezogen.<br />

Diese neue Idee wurde der Lehrkraft<br />

präsentiert, die Biologin wurde zurate<br />

gezogen, die Fachliteratur zu dieser<br />

neuen Idee nach Anraten der Lehrkraft<br />

durchforstet. Letztendlich kamen<br />

die Schüler:innen zu dem Ergebnis, dass<br />

auch die Rillen auf den Schalen der Muscheln<br />

das Alter der Tiere abbilden.<br />

Andere Gruppen beobachteten ausgiebig<br />

verschiedene Taschenkrebse. Durch<br />

das <strong>Beobachten</strong> entstand die Forscherfrage,<br />

wie sich die Krebse fortbewegen.<br />

Ist es tatsächlich so, wie allerorts behauptet,<br />

dass alle Krebse seitwärts laufen?<br />

Selbst zu sehen, wie Krebse sich fortbewegen,<br />

hat eine andere<br />

Qualität des Wis-<br />

„Welchen<br />

Bewegungsradius haben<br />

die Einsiedlerkrebse unter<br />

Berücksichtigung der<br />

Gezeiten? “<br />

senserwerbs, als<br />

es nur aus Büchern<br />

zu erfahren.<br />

Innerhalb<br />

eigener kleiner<br />

Versuchsaufbauten<br />

– immer unter<br />

fachkundigem<br />

Blick einer Biologin, damit die<br />

Tiere keinen unnötigen Stress<br />

oder Schaden nahmen – konnten<br />

die Kinder beobachten, wie<br />

sich Krebse bewegen. Hierdurch ergaben<br />

sich schnell weitere Forscherfragen,<br />

die schon etwas spezifischer waren<br />

und die Auseinandersetzung mit dem<br />

Beobachtetem widerspiegeln: „Laufen<br />

die (Krebse) so, weil die Scheren vorne zu<br />

groß sind? Oder weil sie besser zur Seite<br />

gucken können?“<br />

Zu diesem Zeitpunkt der Forschung<br />

teilte sich die Gruppe. Während einige<br />

Schüler:innen die Fortbewegung der<br />

Krebse noch genauer untersuchen wollten,<br />

war anderen Schüler:innen die neue<br />

Erkenntnis, dass Krebse tatsächlich seitwärts<br />

laufen, völlig ausreichend.<br />

Sie hatten inzwischen jedoch durch<br />

das <strong>Beobachten</strong> auch die Panzer der<br />

Krebse genauer in Augenschein genommen.<br />

Aus der zwischenzeitlichen Vermutung,<br />

dass die Laufart der Krebse auch<br />

mit der Körperform und dem<br />

Panzer zusammenhängen<br />

könnte, ergab sich die<br />

Abb. 3: Läuft dieser Krebs wirklich seitwärts?<br />

Frage, wie der Panzer eigentlich genau<br />

funktioniert. Von der anwesenden Biologin<br />

hatten die Schüler:innen erfahren,<br />

dass sich der Taschenkrebs jährlich häutet<br />

und seinen Panzer „verlässt“. Aber<br />

wie kommt der Krebs aus seinem<br />

Panzer? Hier war nun doch die<br />

„Gibt es einen<br />

Unterschied zwischen<br />

auflaufendem und<br />

ablaufendem<br />

Wasser? “<br />

„Wie ist das<br />

Bewegungsverhalten<br />

von<br />

Einsiedlerkrebsen? “<br />

Expertise der Fachfrau gefragt,<br />

denn beobachten lässt sich dieser<br />

Vorgang nicht „auf Bestellung“.<br />

Also zeigte die Biologin<br />

den Schüler:innen<br />

an einer leeren Panzerhülle,<br />

wie sich der<br />

Krebs aus seiner alten,<br />

zu klein gewordenen<br />

Panzerhülle<br />

windet.<br />

Die Schüler:innen<br />

nahmen anschließend den Panzer<br />

noch oft genau in Augenschein, um<br />

das Gezeigte nachvollziehen zu können.<br />

Auch verglichen sie lebende Krebse vorsichtig<br />

und unter Anleitung mit der Panzerhülle,<br />

um zu prüfen, ob Krebse immer<br />

nach demselben Schema vorgehen,<br />

um ihren Panzer zu verlassen. Anschließend<br />

untersuchte und verglich diese<br />

Gruppe viele im Watt gefundene leere<br />

Panzerhüllen oder Reste hiervon genau.<br />

Die Schüler:innen stellten sich die Frage,<br />

ob der jeweilige Krebs eine Häutung<br />

hatte oder ob er von einem anderen Tier<br />

gefressen wurde – und wenn, von welchem<br />

Tier? Von einer Möwe oder von einem<br />

anderen Tier? Welche Tiere fressen<br />

überhaupt Krebse? Manchmal bleiben<br />

Forscherfragen auch vorerst offen!<br />

Wie das Watt als außerschulischer<br />

Lernort auch Kinder verschiedener<br />

Schulstufen zum eigenständigen,<br />

aber auch nachhaltigen<br />

und langfristigen <strong>Forschen</strong> anregen<br />

kann, soll das letzte Beispiel<br />

des WattCamps darlegen.<br />

Durch die Zusammenarbeit mit<br />

dem Amandus-Abendroth-Gymnasium<br />

im Begabungsverbund und dem<br />

Projekt Leistung macht Schule (LemaS)<br />

liegt im Rahmen der Wattwochen immer<br />

auch ein Fokus darauf, die Potenziale<br />

von Kindern und Jugendlichen durch<br />

institutionsübergreifende Bildungsarrangements<br />

zu steigern und Bildungsbiografien<br />

durchlässiger zu gestalten.<br />

Eine Gruppe von Kindern war bereits<br />

im letzten Schuljahr fasziniert von den<br />

Einsiedlerkrebsen vor Ort. Sie beobachteten<br />

damals über mehrere Tage, wie sich<br />

20<br />

GS aktuell 168 • November 2024


Praxis: <strong>Beobachten</strong> – <strong>Staunen</strong> – <strong>Forschen</strong><br />

die Tiere fortbewegen und vor allem, wie<br />

groß ihr Bewegungsradius zwischen den<br />

Gezeiten ist. Die insgesamt sechs Schüler:innen,<br />

nun in den Klassenstufen 4<br />

bis 6, wollten sich auch in diesem Jahr<br />

wieder auf eine Forscherzeit über mehrere<br />

Tage begeben. Ausgehend von ihren<br />

Forscherergebnissen im letzten Jahr waren<br />

sie inspiriert, weiterhin IHRER Forscherfrage<br />

auf den Grund zu gehen und<br />

ihr Wissen dazu zu vertiefen:<br />

Die Schüler:innen überlegten zunächst<br />

gemeinsam, in welchem Gebiet<br />

sie nach Einsiedlerkrebsen vor Ort suchen<br />

wollten, dazu machten sie sich<br />

eine Skizze. Sie grenzten das Suchgebiet<br />

ein und berücksichtigten dabei vorgelagerte<br />

Priele, Rinnsale und Steinbuhnen.<br />

Anschließend ging es ins Watt zur Sichtung,<br />

an welchen Stellen und wie viele<br />

Einsiedlerkrebse vor Ort zu finden sind.<br />

Weitere Aktivitäten wurden durchgeführt:<br />

– Zählung der Einsiedlerkrebse während<br />

des ablaufenden Wassers im<br />

kleinen Priel (ca. 80 Einsiedlerkrebse<br />

wurden gefunden)<br />

– Markierung der Einsiedlerkrebse<br />

(unter Unterweisung der Biologin)<br />

– Streckenabmessung, um die Bewegungsgeschwindigkeit<br />

der Einsiedlerkrebse<br />

zum Messen (2,8 Sekunden<br />

auf 30 Metern schnellster Einsiedlerkrebs,<br />

da dieser vermutlich die Strömung<br />

nutzte und sich treiben ließ).<br />

– Nach der Hochwassertiede: Sichtung<br />

in den abgesteckten Bereichen nach<br />

den markierten Einsiedlerkrebsen<br />

(im Umkreis von 100 Metern wurde<br />

kein Einsiedlerkrebs mehr wiederentdeckt).<br />

Während all dieser Aktivitäten übernahmen<br />

die Lehrkräfte eine zurückhaltende,<br />

beobachtende und beratende<br />

Funktion, standen den Schüler:innen<br />

aber auf Nachfrage zur Verfügung. Sie<br />

griffen nicht beeinflussend in die Studien<br />

und die gewählten Methoden der Kinder<br />

ein. Stattdessen beobachteten sie die<br />

Kinder während ihrer Forschungsprozesse<br />

und gaben lediglich Impulse und<br />

Hilfestellungen, wenn diese gewünscht<br />

wurden. Bedeutsamer, als am Ende des<br />

Forschungsprozesses eindeutige Ergebnisse<br />

vorweisen zu können, ist es, Denk-,<br />

Arbeits- und Handlungsweisen und Methoden<br />

von naturwissenschaftlichem<br />

<strong>Forschen</strong> zu verinnerlichen. Dies bedeutet<br />

auch, mit (vermeintlichen) Rückschlägen<br />

umgehen zu können.<br />

Sabrina Schlecht ist Lehrkraft an der Grundschule Nordholz und als Multiplikatorin<br />

in der Transferphase des Projektes Leistung macht Schule (LemaS) tätig.<br />

Sabine Peter ist Schulleiterin der Grundschule Nordholz.<br />

Eva-Maria Osterhues-Bruns war stellvertretende Schulleiterin der Grundschule<br />

Nordholz und arbeitet nun als Fachberaterin für Unterrichtsqualität. Sie ist im Grundschulverband<br />

Fachreferentin für Pädagogische Praxis und Vorsitzende der Landesgruppe<br />

Niedersachsen.<br />

Und was macht die Lehrkraft? Vorsagen<br />

verboten, selbst machen lassen, trotzdem<br />

nicht beliebig werden lassen, lenken (Impulse<br />

geben), aber nicht zu stark steuern.<br />

Das bedeutet für Lehrkräfte eine Veränderung<br />

ihrer Lehrer:innenrolle. Nicht<br />

sie geben den Takt vor, sondern müssen<br />

sich situativ auf die Fragen der Kinder<br />

einstellen können. Das setzt neben<br />

fachlichem Wissen voraus, dass sie ihre<br />

Schüler:innen in ihrem Tun genau beobachten<br />

und ein Gespür für mögliche<br />

Schwierigkeiten bekommen. Sie müssen<br />

erkennen, wo kleine Tipps vor unnötigen<br />

Fehlschlägen bewahren und vor Demotivierung<br />

schützen können. Daher haben<br />

wir in diesem Schuljahr eine kleine, sehr<br />

praktische Fortbildung in der Schule organisiert,<br />

um diesen Herausforderungen<br />

gewachsen zu sein.<br />

Aber vor allem wurde selbst geforscht.<br />

Der Umgang mit dem Mikroskop muss<br />

geschult sein, denn nur dann kann die<br />

Lehrkraft einem Kind auch einen schnellen<br />

und gleichwohl fachkundigen Tipp<br />

geben, das Gerät so einzusetzen, dass<br />

es auch funktioniert. Die Watttiere sind<br />

lichtscheu, leben sie doch normalerweise<br />

im Watt unter der Oberfläche, unter Wasser<br />

und oft noch unter Steinen, in Wohnröhren<br />

oder anderen schutzbringenden<br />

Verstecken. Es hat sich als nicht so einfach<br />

gezeigt, ein Tierchen unter dem Licht<br />

des Mikroskops zu drehen. Erst wenn beides<br />

stimmt, die Einstellung der Vergrößerung<br />

und die richtige Drehung des Objektträgers<br />

bzw. der Petrischale mit dem<br />

Tier, kommt der Aha-Moment.<br />

Auch das Zeichnen ist weit komplexer<br />

als oft erwartet. „Zeichne nicht das<br />

Tier, sondern nur den Ausschnitt, den du<br />

wirklich im Mikroskop siehst!“<br />

So betrachtet, sahen auch langjährige<br />

Wattbegleiter:innen manche Details in<br />

neuem Licht und eine motivierende Hilfe<br />

konnte an den Watttagen noch gezielter<br />

weitergegeben werden.<br />

Ausgangspunkt für eine<br />

neue Lernkultur<br />

Für uns bedeuten die Erlebnisse und<br />

Ergebnisse im Watt, dass Lernumgebungen<br />

zunehmend so gestaltet werden, dass<br />

sie zum eigenständigen <strong>Forschen</strong> einladen<br />

und den Kindern genügend Raum<br />

und Zeit zur Exploration und zum Experimentieren<br />

bieten – nicht nur im Watt<br />

als außerschulischem Lernort. Lehrer:innen<br />

beobachten die Lernprozesse der<br />

Kinder. Sie fördern die Selbstständigkeit<br />

der Schüler:innen, indem sie weniger<br />

vorgeben und mehr auf individuelle Fragestellungen<br />

und Bedürfnisse eingehen.<br />

Sie schaffen Anlässe für authentische<br />

Lernprozesse und unterstützen dabei,<br />

wo nötig, ohne die Eigeninitiative der<br />

Kinder zu beeinträchtigen. Dieses Verständnis<br />

einer neuen Lernkultur wirkt<br />

auch auf die gesamte Schule zurück und<br />

trägt dazu bei, dass Schüler:innen nicht<br />

nur fachliches Wissen erwerben, sondern<br />

eine forschende Grundhaltung und<br />

methodische Kompetenzen entwickeln,<br />

die über den Sachunterricht und vielleicht<br />

sogar über die (Grund-)Schulzeit<br />

hinaus wirksam sind.<br />

GS aktuell 168 • November 2024<br />

21


Praxis: <strong>Beobachten</strong> – <strong>Staunen</strong> – <strong>Forschen</strong><br />

Doris Maier, Simone John<br />

Forscherzeit für alle<br />

oder: Den kindlichen Fragen an die Welt<br />

forschend-entdeckend begegnen<br />

Das <strong>Forschen</strong> und Experimentieren ist im Laufe der vergangenen Jahre zu einem<br />

in unserem Schulprofil an der Grundschule Bubenreuth fest verankerten und<br />

nicht mehr wegzudenkenden Bestandteil unseres schulischen Alltags geworden.<br />

Ausgangspunkt unserer Konzeption war und ist das Kind mit all seinen Fragen<br />

an seine Lebenswelt, welches ernst genommen wird und in jedem Jahr seiner<br />

Grundschulzeit ausreichend Raum und Zeit erhalten soll, seinen Fragen forschend-entdeckend<br />

nachzugehen.<br />

Was mit einer Schüler:innenfrage,<br />

z. B. „Warum dreht sich<br />

die Weihnachtspyramide?“<br />

beginnt und im Experiment forschend<br />

beantwortet wird, endet immer auch mit<br />

einem Lebensweltbezug sowie der<br />

Erkenntnis, welche erlebten naturwissenschaftlichen<br />

Phänomene damit noch<br />

erklärt werden können. Gleichzeitig<br />

erwirbt jedes Kind fachwissenschaftliche<br />

Denk-, Arbeits- und Handlungsweisen,<br />

welche unabhängig vom jeweiligen<br />

Fachinhalt einen unschätzbaren Wert<br />

darstellen.<br />

<strong>Forschen</strong> als Unterrichtsprinzip<br />

So sehen wir das <strong>Forschen</strong> und Experimentieren<br />

nicht als eine Art „isoliertes<br />

Erleben“, sondern bereiten dieses fachdidaktisch<br />

und methodisch so auf, dass<br />

unsere Schüler:innen immer auch einen<br />

Zuwachs an Wissen und Kompetenzen<br />

innerhalb des jeweiligen Jahresforscherthemas<br />

haben und sich mit der Erkenntnis<br />

aus selbst „begriffenen“ Experimenten<br />

ihre Welt ein Stück weit besser<br />

erschließen sowie erklären können. Dies<br />

waren und sind unsere schulischen Ziele,<br />

die wir mit unserem Forscherkonzept<br />

vom ersten Gedankenanstoß an erreichen<br />

möchten, und die bis heute Ausgangspunkt<br />

all unserer Überlegungen<br />

und Planungen sind.<br />

Jahresforscherthemen als<br />

Rahmen der Forscherzeit<br />

Im September starten unsere Schüler:innen<br />

nicht nur in ein neues Schuljahr,<br />

sondern immer auch in ein neues Forscherjahr,<br />

welches unter dem Zeichen<br />

eines vierjährig roulierenden Jahresforscherthemas<br />

(Sprudelgas, Wasser, Feuer,<br />

Luft) steht, so dass jede:r Schüler:in im<br />

Laufe der vierjährigen Grundschulzeit<br />

Gelegenheit erhält, alle vier Themengebiete<br />

zu durchlaufen. Dabei steht das<br />

jeweilige Jahresforscherthema völlig<br />

losgelöst vom aktuellen Lerninhalt des<br />

Sachunterrichts und beinhaltet sequenziell<br />

aufbereitete Versuche, welche einzelne<br />

naturwissenschaftliche Aspekte<br />

des jeweiligen Forscherthemas in den<br />

Blick nehmen.<br />

Innerhalb der Forscherzeit erhält zunächst<br />

jede 3. und 4. Klasse zweiwöchig<br />

im Rahmen einer Doppelstunde<br />

die Möglichkeit, im Forscherlabor schüler:innenorientiert<br />

und fragengesteuert<br />

zu forschen. Das Forscherlabor ist ein<br />

eigener Raum in unserer Schule, welcher<br />

ausschließlich dem <strong>Forschen</strong> gewidmet<br />

und entsprechend eingerichtet<br />

ist. Ausgestattet mit sechs breiten Forschertischen<br />

und dazu passenden Sitzhockern,<br />

einem großen Waschbecken<br />

sowie zahlreichen Versuchskisten nach<br />

Forscherthemen sortiert, bietet es den<br />

Abb. 2: <strong>Forschen</strong> zum Jahresforscherthema Wasser<br />

im Forscherlabor<br />

Abb. 3: Einblick in das Arbeiten im<br />

schuleigenen Forscherlabor<br />

22<br />

GS aktuell 168 • November 2024


Praxis: <strong>Beobachten</strong> – <strong>Staunen</strong> – <strong>Forschen</strong><br />

Forscher:innen alles an Ausstattung, was<br />

es zum praktischen Erforschen mit Blick<br />

auf die Forschungsfrage benötigt. Diese<br />

gilt es in Kleingruppen von drei bis vier<br />

Forscher:innen im Versuch zu beantworten<br />

sowie im schüler:inneneigenen<br />

Forscherheft zu dokumentieren.<br />

Hierzu gehört ein schrittweises naturwissenschaftliches<br />

Vorgehen, welches<br />

den Schüler:innen durch unseren Forscherkreis<br />

veranschaulicht wird:<br />

Beobachtungen und<br />

Schlussfolgerungen<br />

Die Dokumentation der schüler:inneneigenen<br />

Beobachtungen und Erkenntnisse<br />

nimmt einen wichtigen Stellenwert<br />

ein und erfolgt auf zweierlei Weise: Zum<br />

einen zeichnerisch in Form der Versuchsskizze<br />

und zum anderen schriftlich<br />

in eigenen Worten. Die Zeichnung<br />

bietet den jungen Forscher:innen<br />

ganz unabhängig von der individuellen<br />

Fähigkeit des schriftlichen Ausdrucks<br />

die Möglichkeit, Beobachtetes in Form<br />

von beschrifteten Skizzen festzuhalten<br />

und auch Abläufe und Veränderungen<br />

zeichnerisch darzustellen.<br />

Dabei enthält eine fachgerechte sowie<br />

aussagekräftige Versuchsskizze aus unserer<br />

Sicht folgende wesentliche Elemente,<br />

welche mit den Schüler:innen schrittweise<br />

erarbeitet werden:<br />

– Einsatz von Farbe zur Hervorhebung<br />

einzelner Elemente (Luftmoleküle<br />

sichtbar machen)<br />

– Einsatz von Pfeilen zur Darstellung<br />

von Richtungen/Bewegungen (Wasser,<br />

das nach unten fließt)<br />

– Einsatz von Ziffern zur Nummerierung<br />

einzelner Teilskizzen (zuerst,<br />

danach)<br />

– Einsatz von (Fach)begriffen zur Beschriftung<br />

des Gezeichneten (Schüssel,<br />

Pipette, Wasser)<br />

Auch die schriftlich festgehaltene<br />

Beobachtung folgt gemeinsam erarbeiteter<br />

Grundsätze:<br />

– Einsatz möglichst vieler Sinne: Auge,<br />

Ohr, Nase, Haut – was sehe, höre, rieche,<br />

taste ich?<br />

– Beobachtung von Anfang bis Ende –<br />

keine Momentaufnahme, sondern<br />

Prozessorientierung<br />

– keine Erklärung, dafür stets ein möglichst<br />

ausführliches Beschreiben<br />

Dabei bietet diese vergleichsweise freie<br />

Form der Dokumentation jedem Kind<br />

Abb. 4: Der Forscherkreis<br />

die Möglichkeit, das Beobachtete auf<br />

einem jeweils individuellen Wortschatzniveau<br />

zu verschriften und erst nach<br />

und nach Fachbegriffe für das Gesehene<br />

als eine Art themenbezogenen Wortspeicher<br />

zu erwerben und mit diesem<br />

zu ergänzen. Der Wortspeicher kann<br />

entweder von Seiten der Lehrkraft eingebracht<br />

werden („Das sprudelnde<br />

Gas, das aus Essig und Backpulver entstanden<br />

ist, heißt Kohlenstoff-dioxid.“)<br />

So unterstützt du dein Lernerkind beim <strong>Forschen</strong><br />

oder aber sich vom Vorwissen und den<br />

Erfahrungen aus der Lebenswelt des<br />

Kindes her bilden. Indem die einzelnen<br />

Forscherstunden sequenziell aufeinander<br />

aufgebaut sind, erweitert sich der<br />

Wortspeicher der jungen Forscher:innen<br />

mit jedem einzelnen Versuch und<br />

gewinnt durch immer wiederkehrendes<br />

Anwenden und sich Erschließen lebenspraktische<br />

Bedeutung.<br />

Helfende Hand<br />

• Hilfe bei Aufgaben, die junge Forscher:innen motorisch noch nicht<br />

bewältigen können, sich nicht trauen; anleiten<br />

„Ich zeige dir, wie du die Pipette nutzen kannst.“ /<br />

„Soll ich für dich das Streichholz anzünden?“<br />

Helfende Fragen<br />

• gezielt gestellte, offene Fragen, die jungen Forscher:innen<br />

• helfen, sich zu fokussieren, Vorwissen zu aktivieren und<br />

• Schlussfolgerungen zu versprachlichen<br />

„Was hast du beobachtet?“ / „Warum glaubst du, ist das so?“ / „Hast du so<br />

etwas schon einmal gesehen?“<br />

Helfendes Wissen<br />

• Wissen um die Handhabung der Forschermaterialien, des Ablaufes<br />

naturwissenschaftlichen <strong>Forschen</strong>s (Forscherkreis) sowie der fachwissenschaftlichen<br />

Hintergründe<br />

• Forscher:innen aus 3/4 kennen den Versuch oder aber haben das nötige<br />

Fachwissen, um sich Phänomene zu erschließen<br />

Helfende Zurückhaltung<br />

• Helfen nach dem Grundsatz: So viel wie nötig, so wenig wie möglich;<br />

all das, was das Lernerkind eigenständig ausführen kann, soll es auch,<br />

bewusstes Zurücknehmen an der richtigen Stelle<br />

„Das schaffst du sicher alleine!“ / „Möchtest du es einmal versuchen?“<br />

GS aktuell 168 • November 2024<br />

23


Praxis: <strong>Beobachten</strong> – <strong>Staunen</strong> – <strong>Forschen</strong><br />

Lernen durch Lehren<br />

Mit Beginn des zweiten Schulhalbjahres<br />

wird die Forscherzeit auf die fünf Klassen<br />

1 und 2 ausgeweitet und die älteren<br />

Schüler:innen aus 3 und 4 nehmen als<br />

„bereits ausgebildete Forscher:innen“<br />

die jüngeren Schüler:innen an die Hand<br />

und forschen mit ihnen gemeinsam an<br />

weiteren Forscherfragen des jeweiligen<br />

Jahresforschungsthemas. Dabei geben<br />

sie ihre bislang erworbenen Kompetenzen<br />

sowie ihr bisher erworbenes Wissen<br />

im Sinne des Lernens durch Lehren weiter.<br />

Von diesem Zeitpunkt an findet die<br />

Forschungszeit im Labor demnach in<br />

altersübergreifenden Forschungsgruppen<br />

mit Schüler:innen von Klasse 1 bis<br />

4 statt, wobei die ersten beiden Versuche<br />

den älteren Kindern zum leichteren Einstieg<br />

bekannt sind.<br />

Vor der ersten Zusammenführung bereitet<br />

die Lehrkraft die erfahrenen Forscher:innen<br />

mit einem eigens hierfür<br />

entworfenen Konzept gezielt auf ihre<br />

Aufgabe vor und nimmt während der<br />

gemeinsamen Forscherstunden die Rolle<br />

als Moderator:in (Stundeneinstieg und<br />

Zusammenführung am Ende), als Ansprechpartner:in<br />

(vor allem für die Forscher:innen<br />

aus 3/4) sowie als Unterstützer:in<br />

(bei fachlichen aber auch organisatorischen<br />

und disziplinarischen Fragen)<br />

ein. Die Lehrperson begleitet ihre Lerner:innen<br />

anhand von vier Grundsätzen:<br />

Das dargestellte Forscherkonzept, wie<br />

wir es heute an unserer Schule praktizieren<br />

und stetig weiterentwickeln, empfinden<br />

wir als ein echtes Geschenk in der<br />

Arbeit mit den Kindern. Dabei sehen<br />

wir das Besondere einerseits darin, dass<br />

wir im Laufe der Jahre ein funktionales<br />

Forscherlabor einrichten sowie mit einer<br />

Vielzahl an selbst entwickelten Versuchskisten<br />

ausstatten konnten und es in jedem<br />

Jahr an inhaltlicher und konzeptioneller<br />

Umsetzung „wachsen“ darf. Zum<br />

anderen sehen wir eine Besonderheit in<br />

der Tatsache, dass wir das <strong>Forschen</strong> an<br />

unserer Schule als Unterrichtsprinzip in<br />

allen Klassen umsetzen und den Schüler:innen<br />

eine Art „Handwerkszeug“<br />

mit auf den Weg geben, mit welchem sie<br />

sich eigene Fragen an die sie umgebende<br />

Umwelt im Experiment beantworten<br />

können.<br />

Dabei sind auch wir Lehrer:innen<br />

stets Teil eines sich entwickelnden Prozesses,<br />

der ihnen hilft, ihre eigenen Fragen<br />

an die sie umgebende Umwelt be-<br />

Doris Maier (links), StRinGS und<br />

Simone John, Lin GS<br />

... sind (Klassen)lehrkräfte an der<br />

jahrgangsgemischten Grundschule<br />

Bubenreuth.<br />

Ihr Interesse gilt der Förderung der<br />

Naturwissenschaften im Unterricht der<br />

Grundschule. So sind sie seit Jahren<br />

an der Konzeption und Ausstattung<br />

des schuleigenen Forschungslabors<br />

beteiligt und beschäftigen sich mit<br />

dem Erwerb naturwissenschaftlicher<br />

Handlungskompetenzen im Grundschulalter.<br />

antworten zu können. – frei nach Albert<br />

Einstein: „Wichtig ist, dass man nie aufhört<br />

zu fragen!“<br />

Abb. 7: Notieren gewonnener Beobachtungen auf<br />

individuellem Niveau: Forscherin rechts aus Klasse 1/2 skizziert;<br />

Forscherin links aus Klasse 3/4 verschriftet<br />

Abb. 5a: Versuchsskizze<br />

zur Forscherfrage:<br />

„Was passiert mit dem<br />

Luftballon über der<br />

Flasche und warum?“<br />

innerhalb des Forscherthemas<br />

Sprudelgas<br />

„Wichtig ist, dass<br />

man nie aufhört<br />

zu fragen!“<br />

Albert Einstein<br />

24<br />

GS aktuell 168 • November 2024


Praxis: <strong>Beobachten</strong> – <strong>Staunen</strong> – <strong>Forschen</strong><br />

Marie Fischer, Marion Gutzmann<br />

Kinderbücher zum Thema:<br />

<strong>Beobachten</strong> – <strong>Staunen</strong> – <strong>Forschen</strong><br />

Kinder lieben das <strong>Forschen</strong>. Die eingangs in den Themen- und Praxisbeiträgen<br />

zitierten Kinderfragen zeigen, dass Kinder die Erscheinungen der sie<br />

umgebenden Welt bewusst wahrnehmen und daran interessiert sind, mehr<br />

darüber zu erfahren, zu beobachten und zu forschen, vieles auch zu hinterfragen.<br />

Die Bücher zum Thema bieten eine große Palette an Zugängen und<br />

Unterstützung zur Thematik, sich wissenschaftlichen Themen auf anschauliche<br />

und verständliche Weise zu nähern, auf Fragen der Kinder Antworten<br />

zu finden und jeden Tag die Welt neu zu entdecken. Lassen auch Sie sich einladen<br />

von Büchern, die Spaß machen am gemeinsamen <strong>Staunen</strong>, Entdecken<br />

und <strong>Forschen</strong>.<br />

<strong>Staunen</strong>d in die Welt der Schmetterlinge einzutauchen, dazu<br />

lädt dieses farbenprächtige und detailverliebt gestaltete<br />

Sachbilderbuch ein. Zu Fragen wie Was ist der Unterschied<br />

zwischen Tag- und Nachtfalter? oder Wie können wir unsere<br />

Gärten so gestalten, dass sich Insekten darin wohlfühlen?<br />

finden die Kinder in kurzen Informationstexten oder beschrifteten<br />

Illustrationen interessante Fakten kindgerecht erklärt.<br />

So erfahren die Leserinnen und Leser, seit wann es Falter auf<br />

unserer Erde gibt, auf welchen Kontinenten sie zu Hause sind,<br />

welche Lebensphasen die Verwandlungskünstler<br />

durchlaufen und weshalb sie so wichtig für unser<br />

Ökosystem sind.<br />

(Ab 6 Jahren)<br />

Rachel Ignotofsky (2023):<br />

Das Wunder eines<br />

Schmetterlings<br />

Aus dem Englischen<br />

Magellan GmbH & Co. KG<br />

48 Seiten, € 18,00<br />

Das ansprechend<br />

illustrierte Kinderbuch<br />

„Wer hat es<br />

erfunden?“ von<br />

Anne Ameri-Siemens<br />

erzählt die<br />

Geschichten der<br />

Menschen, die<br />

Dinge erfunden haben, die unseren<br />

Alltag prägen. Diese Dinge wurden von<br />

Erfinder:innen, Wissenschaftler:innen und<br />

Ingenieur:innen konzipiert, über die wir<br />

häufig viel zu wenig wissen. Beim Lesen<br />

stellen die Kinder fest, dass einige Erfindungen<br />

das Ergebnis von Teamarbeit und<br />

einer langen Zeit im Labor waren. Andere<br />

Erfindungen wurden wiederum zufällig<br />

oder auf der Suche nach etwas anderem<br />

erschaffen. So erfahren die Kinder die<br />

Hintergründe von spannenden kleinen<br />

Erfindungen wie dem Klett- und Reißverschluss,<br />

dem Post-it oder den Instantnudeln,<br />

erhalten aber auch Einblick in<br />

Themen wie Blindenschrift, verschiedene<br />

Arten von Impfung oder die Geschichte<br />

des Computers. Aufgrund des Leseumfangs<br />

auf den einzelnen Seiten bietet<br />

sich das Buch sowohl zum Selberlesen als<br />

auch zum Vorlesen und sich daran<br />

anschließende Gespräche an.<br />

(Ab 9 Jahren)<br />

Das für den Deutschen Jugendliteraturpreis 2020 nominierte<br />

Buch „Die Natur. Entdecke die Wildnis vor deiner Haustür“<br />

eines portugiesischen Autor- und Ilustrator:innentrios<br />

hält, was es im Untertitel verspricht. Mit ganz konkreten<br />

Beobachtungsaufträgen für jede Altersgruppe stellt das<br />

Buch Antworten auf viele mehr oder weniger alltäglichen<br />

Fragen bereit, wie z.B. Bringen diese bauschigen Wolken<br />

Regen?. Nicht nur die fachlichen Inhalte begeistern für den<br />

Sachunterricht, auch die atmosphärischen Aquarelle und<br />

Zeichnungen regen dazu an, eigene Beobachtungen künstlerisch<br />

festzuhalten und zu dokumentieren. Das Buch, das als Naturbuch des Monats<br />

September 2019 ausgezeichnet wurde, darf als Nachschlagewerk und Ideengeber<br />

bei einer Erkundungstour in der Natur, auf dem Pausenhof oder am Wandertag nicht<br />

fehlen. Glossar, Klima-Zeittafel und Tipps<br />

zur weiterführenden Lektüre runden das<br />

lesefreundliche und kunstvoll gestaltete<br />

Handbuch ab.<br />

(Ab 8 Jahren)<br />

Maria Anna Peixe, Inês Teixeira<br />

do Rosário (2019):<br />

Die Natur – Entdecke die Wildnis<br />

vor deiner Haustür<br />

Aus dem Portugiesischen<br />

Beltz & Gelberg Verlag<br />

368 Seiten, € 22,95<br />

Anne Ameri-Siemens (2021):<br />

Wer hat es erfunden?<br />

Die Gestalten Verlag<br />

96 Seiten, € 19,90<br />

GS aktuell 168 • November 2024<br />

25


Praxis: <strong>Beobachten</strong> – <strong>Staunen</strong> – <strong>Forschen</strong><br />

Soledad Romero Mariño (2022):<br />

Geniale Fehler: Von glücklichen Unfällen<br />

und großartigen Missgeschicken<br />

Aus dem Spanischen<br />

Knesebeck Verlag<br />

48 Seiten, € 16,00<br />

Glückliche Unfälle und großartige Missgeschicke<br />

stehen im Mittelpunkt des Buches über<br />

„Geniale Fehler“ von Soledad Romero Mariño<br />

mit Illustrationen von Montse Galbany. Es erzählt<br />

von den Umständen, unter denen Dinge wie der<br />

Radiergummi, die Batterie, aber auch medizinisch<br />

bahnbrechende Erfindungen wie Röntgenstrahlen<br />

oder Penicillin zu Stande kamen. Die<br />

Geschichten von genialen Fehlern und Zufallsentdeckungen werden<br />

mit wenig Text und farbenfroh gestalteten Illustrationen erzählt, die die<br />

Kinder zum Entdecken einladen. Es lohnt sich auch, über die Worte der<br />

Autorin ins Gespräch zu kommen: „Trotz ihres schlechten Rufs spielen<br />

Fehler beim Lernen, in der Forschung und bei kreativen Schaffensprozessen<br />

eine bedeutende Rolle. Aus Fehlern wird man klug, durch<br />

sie entwickelt sich die Menschheit weiter“. Durch die minimalistische<br />

Seitengestaltung kann das Buch bereits in den ersten beiden Klassenstufen<br />

eingesetzt werden. In der Schulpraxis diente das Buch als<br />

Inspiration für die Auseinandersetzung mit dem Streichholz im Sachunterricht<br />

(s. Fischer/<br />

Poensgen/Kirli<br />

in diesem Heft).<br />

(Ab 6 Jahren)<br />

Eine ganz andere Figur haben<br />

Andrea Beaty und David Roberts<br />

geschaffen: Rosie Rosin, Erfinderin,<br />

ein schüchternes Mädchen, das<br />

nachts gern allein in ihrem Zimmer<br />

aus Alltagsdingen geniale Erfindungen<br />

konstruiert: einen Hotdog-Automaten,<br />

eine Luftballon-Hose, einen<br />

Sprühdosen-Helikopter und vieles mehr. Nichts jedoch ist<br />

schlimmer für Rosie, als wenn alle anderen nur über sie<br />

und ihre Bastelarbeiten spotten. Aus Angst, wieder ausgelacht<br />

zu werden, versteckt Rosie ihre Erfindungen unter<br />

dem Bett. Erst, als eines Tages eine „Tante, die Rosie kaum<br />

kannte“ zu Besuch kommt, versteht Rosie, dass sie weitermachen<br />

kann und sich auch nicht vor einem Flop fürchten<br />

muss. Die Geschichte um Rosie wird in teilweise gereimten<br />

Texten erzählt. Die detailliert und liebevoll gezeichneten<br />

Illustrationen laden zum längeren Verweilen und Entdecken<br />

ein.<br />

(Ab 4 Jahren)<br />

Andrea Beaty & David Roberts (2021)<br />

Rosie Rosin, Erfinderin<br />

Aus dem Englischen<br />

MIDAS Verlag<br />

32 Seiten, € 18,00<br />

Es fällt schwer, eine<br />

Auswahl aus der Reihe<br />

„Little People, Big<br />

Dreams“ zu treffen, wenn<br />

man Persönlichkeiten<br />

auswählen möchte, die<br />

besonders gut im<br />

<strong>Beobachten</strong>, <strong>Staunen</strong><br />

und <strong>Forschen</strong> waren oder<br />

sind. Mit den beiden „Klassikern“ Marie Curie und Albert Einstein ist ein<br />

guter Anfangspunkt für die Klassen- oder Schulbibliothek gesetzt.<br />

Die Bücher mit hochwertigem Einband und charakteristischer<br />

Portraitdarstellung auf dem Cover sind biografische Erzählungen,<br />

die den Kindern zeigen, dass auch bekannte Persönlichkeiten aus<br />

Wissenschaft, Politik, Kunst und Kultur mal kleine Menschen mit großen<br />

Träumen waren. Begleitet man sie durch ihr Leben, stellt man fest,<br />

welche prägenden äußeren Einflüsse und historischen Kontexte sie zu<br />

ihren Errungenschaften geführt haben – und auch, welche Umwege sie<br />

dafür manchmal in Kauf nehmen mussten. Passend zum Thema dieser<br />

Zeitschrift steht die wichtige Botschaft von Marie Curie im Kinderbuch:<br />

„Man muss vor nichts Angst haben, sondern kann alles erforschen und<br />

begreifen.“ Ein Zeitstrahl mit einer chronologischen Zusammenfassung<br />

wichtiger Lebensdaten der Persönlichkeiten schließen die Bücher<br />

dieser Kindersachbuchserie jeweils ab.<br />

(Ab 4 Jahren)<br />

María Isabel Sánchez Vegara (2019):<br />

Marie Curie<br />

Aus dem Spanischen<br />

Insel Verlag<br />

32 Seiten, € 15,00<br />

María Isabel Sánchez Vegara (2019):<br />

Albert Einstein<br />

Aus dem Englischen<br />

Insel Verlag<br />

32 Seiten, € 15,00<br />

Dieses kunstvolle Sachbilderbuch,<br />

nominiert für das Wissenschaftsbuch<br />

des Jahres 2023 in Österreich<br />

in der Kategorie Junior-Wissen,<br />

widmet sich dem besonderen<br />

Naturphänomen Wind. Auf jeweils<br />

einer großformatigen Doppelseite<br />

werden eine Fülle spannender<br />

Fakten zu Fragen wie Welche<br />

unterschiedlichen Arten von Winden gibt es?, Wie entsteht<br />

eigentlich Wind?, Welche Kräfte stecken in ihm? oder Wie<br />

nutzen Mensch und Tier die Kraft des Windes? vermittelt.<br />

In den Texten geht es um Segelschiffe, Weltentdecker, Flugzeuge,<br />

Windmühlen und Kraftwerke, die Reise der Sandkörner,<br />

Wind-Götter und Aberglaube. Mit windigen Redewendungen<br />

schließt das Buch ab. Dabei spricht die Autorin<br />

und Künstlerin Olga Fadejewa die Leserinnen und Leser<br />

direkt an: Was meinst du? oder …ist dir vielleicht aufgefallen,<br />

dass …? Auf diese Weise animiert das Sachbuch<br />

beim Selberlesen oder beim Vorlesen zum Überlegen der<br />

Antworten und Weiterfragen. Typographische Elemente,<br />

Grafiken und Bilder unterstützen das Textverstehen Ein<br />

Mädchen in einem roten Kleid und ein Mann mit weißem<br />

Bart sind als wiederkehrende Elemente im Buch zu finden.<br />

Zeitleisten, Himmelsbilder, Landkarten und beeindruckende<br />

Zahlenspiele illustrieren den Wind in all seinen Facetten.<br />

(Ab 6 Jahren)<br />

Olga Fadejewa (2022):<br />

Wind. Wo kommt er her?<br />

Wo weht er hin?<br />

Aus dem Russischen<br />

Magellan GmbH & Co. KG<br />

48 Seiten, € 16,95<br />

26<br />

GS aktuell 168 • November 2024


Praxis: <strong>Beobachten</strong> – <strong>Staunen</strong> Aus der – Forschung <strong>Forschen</strong><br />

Rebecca Baumann, Birte Oetjen, Sonja Ertl, Sabine Martschinke<br />

Wie (gut) können<br />

Grundschullehramts studierende<br />

Kinder individuell unterstützen?<br />

NachhilFEE – ein Projekt zum Brückenbauen<br />

In der Debatte über die individuelle Förderung von Kindern, insbesondere angesichts<br />

der oft herausfordernden Rahmenbedingungen wie Lehrkräftemangel<br />

in Grundschulen, gewinnen zusätzliche Unterstützungsangebote wie Nachhilfe<br />

zunehmend an Bedeutung.<br />

Erste empirische Studien in der<br />

Grundschule belegen, dass Nachhilfe<br />

als meist außerschulisch<br />

gestaltetes, von den Eltern bezahltes<br />

Zusatzangebot den Lernerfolg der Schüler:innen<br />

signifikant steigern kann (z. B.<br />

Haag o. J.). Konkret kann eine externe<br />

Förderung im Rahmen von Nachhilfeangeboten<br />

zu einer Verbesserung der<br />

Noten, der Motivation und des Selbstvertrauens<br />

führen, was sich positiv auf<br />

das gesamte Lernen auswirkt (ebd.).<br />

Daher sind Zusatzangebote besonders<br />

für Schüler:innen, die in schulischen<br />

Bereichen Schwierigkeiten haben,<br />

bedeutsam. Das Projekt NachhilFEE<br />

setzt deswegen eine solche Förderung<br />

im schulischen Kontext um und integriert<br />

Zusatzangebote zur individuellen<br />

Förderung in den Unterrichtsalltag. Als<br />

sogenannte NachhilFEEn (im Folgenden<br />

kurz FEEn genannt) wurden (Lehr-<br />

Das Projekt NachhilFEE strebt eine synergetische<br />

Verbindung von Effekten für<br />

Schüler:innen und für Studierende an,<br />

indem es kostenfreie Nachhilfe für alle<br />

Kinder bereitstellt. Dabei schafft es mehr<br />

Chancengleichheit für Kinder, während<br />

gleichzeitig Lehramtsstudierende als<br />

Nachhilfelehrkräfte eingebunden und in<br />

ihrer Professionalisierung unterstützt werden.<br />

Ob diese Verzahnung beider Aspekte<br />

sowohl die Bildungschancen von Kindern<br />

verbessert als auch die Entwicklung professioneller<br />

Kompetenzen künftiger Lehrkräfte<br />

fördert, wird mit der Evaluation des<br />

Projekts ein Stück weit beantwortet (ausführlich<br />

in Baumann et al. 2024; Oetjen et<br />

al. 2024).<br />

amts-)Studierende und andere Ehrenamtliche<br />

gewonnen, die im Projekt als<br />

Brückenbauer:innen (Martschinke et al.<br />

2024) für Kinder agieren. Diese Kinder<br />

stehen je nach individuellen Lernvoraussetzungen<br />

und Benachteiligungen durch<br />

den familiären, sozioökonomischen<br />

Hintergrund vor Bildungshürden.<br />

NachhilFEE – ein Projekt für<br />

Schüler:innen und Studierende?<br />

Die hohe Wirksamkeit von Nachhilfe<br />

wirft Fragen in Bezug auf die Chancengleichheit<br />

im Bildungssystem auf. In<br />

einer Gesellschaft, in der der Zugang zu<br />

Nachhilfe hauptsächlich von den finanziellen<br />

Möglichkeiten der Eltern abhängt,<br />

bleibt diese zusätzliche Unterstützung oft<br />

ungleich verteilt. Eine Studie von Schneider<br />

(2005) zeigt, dass vor allem Kinder<br />

aus einkommensstärkeren Familien<br />

Nachhilfe in Anspruch nehmen, während<br />

Kinder aus sozial schwächeren Verhältnissen<br />

häufig keine solche Unterstützung<br />

erhalten. Diese Ungleichheiten können<br />

bestehende Bildungsnachteile verstärken<br />

und die Chancen auf eine erfolgreiche<br />

schulische und berufliche Laufbahn<br />

negativ beeinflussen. In diesem Kontext<br />

gewinnt das Projekt NachhilFEE an<br />

Relevanz, da es darauf abzielt, kostenfreie<br />

Nachhilfe im schulischen Rahmen gerade<br />

für die Kinder anzubieten, die zusätzliche<br />

Unterstützung aus Lehrkräfteperspektive<br />

benötigen.<br />

Aus der Unterrichtsqualitätsforschung<br />

ist bekannt, dass neben einer guten Klassenführung<br />

individuelle Unterstützung<br />

dann mit positiven Effekten einhergeht,<br />

wenn die Angebote qualitätsvoll, d. h.<br />

insbesondere kognitiv aktivierend und<br />

konstruktiv unterstützend (Lipowsky/<br />

Lotz 2015; Decristan et al. 2020), sind.<br />

Bei dem Qualitätsmerkmal der konstruktiven<br />

Unterstützung (Sliwka et al.<br />

2019) begleitet eine Lehrkraft den Lernprozess,<br />

unterstützt bei Verständnisproblemen<br />

und gibt passgenaue Hilfestellungen.<br />

Mit kognitiv aktivierenden Aufgaben<br />

(Fauth/Leuders 2018) regt die Lehrkraft<br />

Schüler:innen zu einer intensiven<br />

Auseinandersetzung mit dem Lerngegenstand<br />

an. Das Lernangebot kognitiv<br />

aktivierend und konstruktiv zu gestalten,<br />

setzt aber professionelle Kompetenzen<br />

voraus (Waffner 2020). Deswegen<br />

stellt sich die Frage, ob besonders die<br />

eingesetzten Lehramtsstudierenden bereits<br />

professionelle Kompetenzen in ihrem<br />

bisherigen Studium erworben haben<br />

bzw. ob die Unterstützung der Lehrkräfte<br />

hinreichend Hilfe und Impulse für eine<br />

qualitätsvolle Umsetzung gibt. Durch<br />

die Einbindung von Lehramtsstudierenden<br />

als Unterstützungs- und Nachhilfelehrkräfte<br />

an Schulen wird nicht nur<br />

eine Hilfestellung für Kinder geschaffen,<br />

sondern kann optimalerweise auch eine<br />

wertvolle praxisnahe Erfahrung für die<br />

angehenden Lehrkräfte generiert werden,<br />

die sich positiv auf deren Professionalisierung<br />

auswirken kann (Walczuch<br />

2024; Winter et al. 2023). Aber gilt<br />

dieser mögliche Mehrwert auch für die<br />

(Grundschul-)Lehramtsstudierenden,<br />

die im NachhilFEE-Projekt das Angebot<br />

für die Kinder durchführen?<br />

NachhilFEE – ein (Evaluations-)<br />

Projekt zum Brückenbauen<br />

Das Projekt wurde in Reaktion auf<br />

die Corona-Pandemie im Nürnberger<br />

Land (Bayern) ins Leben gerufen, um<br />

GS aktuell 168 • November 2024<br />

27


Aus Praxis: der <strong>Beobachten</strong> Forschung – <strong>Staunen</strong> – <strong>Forschen</strong><br />

Lernrückstände bei Schüler:innen der<br />

Grund- und Mittelschulen durch gezielte<br />

individuelle Förderung im schulischen<br />

Kontext auszugleichen und so für<br />

ALLE Kinder Brücken zu bauen und sie<br />

in ihrer Lern- und Persönlichkeitsentwicklung<br />

zu unterstützen.<br />

Die 2023 gestartete wissenschaftliche<br />

Begleitung basiert auf einer Befragung<br />

von 86 NachhilFEEn (von insgesamt<br />

zum Befragungszeitpunkt 160 tätigen<br />

NachhilFEEn) mit offenen und<br />

geschlossenen Fragen. Die folgenden<br />

Ergebnisse beziehen sich ausschließlich<br />

auf 22 Grundschullehramtsstudierende,<br />

die die Tätigkeit als NachhilFEEn während<br />

ihres Studiums begonnen haben.<br />

Die Fragen, die im offenen Antwortformat<br />

den FEEn gestellt wurden (siehe Tabelle<br />

1), beziehen sich dabei auf den organisatorischen<br />

Rahmen, die Gestaltung<br />

des Angebots, wahrgenommene Erfolge<br />

und Schwierigkeiten sowie die Unterstützung<br />

durch Lehrkräfte und wurden<br />

inhaltsanalytisch ausgewertet.<br />

Für die Fragen „Wie schätzen die<br />

NachhilFEEn die Qualität ihrer Angebote<br />

ein?“ und „Wie schätzen die NachhilFEEn<br />

die soziale Unterstützung durch<br />

Lehrkräfte ein?“ wurde über die qualitativen<br />

Fragen hinaus auch auf etablierte<br />

Instrumente (siehe Tabelle 2; adaptierte<br />

und selbst entwickelte Instrumente) zurückgegriffen.<br />

Diese drei Skalen verlangten<br />

ein geschlossenes Antwortformat<br />

(1 = stimme gar nicht zu bis 4 = stimme<br />

voll zu), ebenso die Frage nach dem<br />

Zutrauen zur Tätigkeit als FEE (1 = kein<br />

Zutrauen bis 4 = hohes Zutrauen).<br />

Erste Ergebnisse der<br />

wissenschaftlichen Begleitung<br />

Wer sind die geförderten Kinder und<br />

wie ist die Förderung organisiert?<br />

Bei der Frage, mit welchem Unterstützungsbedarf<br />

Kinder vorrangig in die<br />

Förderung kommen, berichten 20 der<br />

22 befragten FEEn mit einem grundschullehramtsspezifischen<br />

Hintergrund,<br />

dass sie typischerweise alle zwei Wochen<br />

oder wöchentlich Kinder mit Unterstützungsbedarf<br />

in Mathematik fördern.<br />

18 FEEn unterstützen im Fach Deutsch,<br />

13 speziell auch Kinder mit Deutsch als<br />

Zweitsprache – und damit findet die<br />

Förderung in Mathematik und Deutsch<br />

(als Zweitsprache) sehr häufig statt. Nur<br />

fünf FEEn allerdings fördern Kinder mit<br />

Unterstützungsbedarf im Heimat- und<br />

Sachunterricht. Zwölf FEEn begleiten<br />

ängstliche, unsichere oder verhaltensauffällige<br />

Kinder individuell.<br />

Die derzeitig am häufigsten vertretene<br />

Organisationsform der FEE-Förderung<br />

ist die Arbeit mit von der Lehrkraft<br />

ausgewählten Paaren und Gruppen.<br />

13 FEEn arbeiten typischerweise<br />

in dieser Organisationsform, um individuelle<br />

Lernlücken der Schüler:innen zu<br />

schließen. Weitere fünf FEEn geben an,<br />

einzelne Kinder zu unterstützen. Eine<br />

weitere von vier FEEn genutzte Organisationsform<br />

ist die Unterstützung einzelner<br />

Kinder in Anwesenheit der Lehrkraft<br />

im Regelunterricht.<br />

Welche Materialien nutzen die FEEn<br />

bei der Förderung und wie sieht eine<br />

typische NachhilFEE-Förderung aus?<br />

Die FEEn greifen bei der Frage nach<br />

der Verwendung von Materialien mit<br />

26 Aussagen vorrangig auf (Lehr- und<br />

Schul-)Bücher in Kombination mit<br />

(Arbeits-)Heften sowie Arbeits- und<br />

Übungsblättern (selbst oder von der<br />

Lehrkraft erstellt bzw. bereitgestellt)<br />

zurück. Drei Aussagen können dem<br />

(allgemeinen) Unterrichtsmaterial<br />

(z. B. Anschauungs- oder Fördermaterial)<br />

zugeordnet werden. Fachspezifisches<br />

Material zur Sprach- (z. B. Lese-/<br />

DaZ-Material) und Rechenförderung<br />

(z. B. Rechenschieber und Rechenplättchen)<br />

wird in sechs Antworten identifiziert.<br />

Materialien zum spielerischen Lernen<br />

werden nur in zwei Fällen berichtet.<br />

Damit wird eher traditionelles Material<br />

genutzt, spielerisches Material ist selten<br />

und digitale Medien werden nicht<br />

genannt.<br />

Bei der Gestaltung des Angebots greifen<br />

die FEEn vorrangig auf die „klassische“<br />

Struktur einer Unterrichtstunde<br />

mit Einstiegsphase (Begrüßen und<br />

Nachfragen), Arbeitsphase (Erläuterung<br />

und Bearbeitung von Aufgaben) und –<br />

in vereinzelten Fällen – einer Schlussphase<br />

(mit Reflexion, Feedback, Entspannung,<br />

Spiel) zurück. Es fehlen allerdings<br />

innovative, spielerische und<br />

möglicherweise digitale Angebote. Vergleichsweise<br />

selten werden eine Diagnose<br />

akuter Lernbedarfe bzw. eine Aktivierung<br />

des Vorwissens in der Einstiegsphase<br />

durchgeführt bzw. die Förderung<br />

mit Erfolg versprechendem Feedback<br />

oder einer Reflexion abgeschlossen.<br />

Wie kognitiv aktivierend und konstruktiv<br />

unterstützend werden die<br />

Angebote eingeschätzt?<br />

Um die Qualität der Angebote einzuschätzen,<br />

wurden die FEEn über<br />

geschlossene Fragen zu den Qualitätskriterien<br />

der kognitiven Aktivierung<br />

und der konstruktiven Unterstützung<br />

befragt. Die befragten FEEn schätzen<br />

die Qualität ihrer Förderung grundsätzlich<br />

positiv ein (siehe Abb. 1), da alle<br />

Mittelwerte der erfassten Skalen deutlich<br />

über der theoretischen Mitte von<br />

2,50 liegen. Damit bieten die FEEn aus<br />

ihrer Sicht den Kindern durchschnittlich<br />

ein konstruktiv unterstützendes<br />

(M = 3,73; SD = 0,34; MIN = 3,00;<br />

MAX = 4,00) sowie kognitiv aktivierendes<br />

(M = 3,09; SD = 0,42; MIN = 2,11;<br />

MAX = 3,67) Angebot an. Gleichwohl<br />

machen allerdings insbesondere die<br />

Minimalwerte im Bereich der kognitiven<br />

Aktivierung darauf aufmerksam,<br />

dass nicht jede FEE ihr Angebot qualitätsvoll<br />

einschätzt.<br />

Inhalte<br />

Offene Leitfragen<br />

Organisatorischer Rahmen<br />

Gestaltung des Angebots<br />

Erfolge und Schwierigkeiten<br />

Wer sind die geförderten Kinder und wie ist die Förderung organisiert?<br />

Welche Materialien nutzen Sie bei der Förderung? Wie sieht eine typische NachhilFEE-Förderung aus?<br />

Welche Erfolge der Förderung nehmen Sie bei den Schüler:innen wahr? Welche Schwierigkeiten bei<br />

der Förderung nehmen Sie wahr?<br />

Unterstützung durch Lehrkräfte<br />

Tabelle 1: Inhalte der offenen Fragen an die FEEn<br />

Welche Unterstützung wünschen Sie sich für Ihre zukünftige Tätigkeit als NachhilFEE?<br />

28<br />

GS aktuell 168 • November 2024


Praxis: <strong>Beobachten</strong> – <strong>Staunen</strong> Aus der – Forschung <strong>Forschen</strong><br />

Welche Erfolge und welche Schwierigkeiten<br />

nehmen die Grundschullehramtsstudierenden<br />

wahr?<br />

Bei der offenen Frage nach den Erfolgen<br />

der Förderung zeigt sich, dass die<br />

Befragten verschiedene Fortschritte<br />

in der Leistungs- und Persönlichkeitsentwicklung<br />

ihrer unterstützten Schüler:innen<br />

wahrnehmen. Zwölf Befragte,<br />

und damit mehr als die Hälfte der FEEn,<br />

weisen auf ein gestärktes Selbstbewusstsein<br />

(z. B. „Ein Kind wurde schon viel<br />

selbstsicherer“) und elf auf eine verbesserte<br />

Leistung (z. B. „Durch die zusätzliche<br />

Übung haben sich die Leistungen<br />

einiger Kinder verbessert“) hin. Acht<br />

FEEn berichten von einer verbesserten<br />

Lernatmosphäre und Lernqualität (z. B.<br />

„Die SuS trauen sich, Fragen zu stellen,<br />

für die im regulären Unterricht kein<br />

Raum wäre“). Fünf FEEn nehmen eine<br />

gesteigerte Motivation und Lernfreude<br />

wahr (z. B. „Mehr Freude am Lernen“).<br />

Verbesserungen im Sozialverhalten<br />

(geäußert von nur einer Person: „Die<br />

Kinder lernen den Umgang mit Älteren“)<br />

werden hingegen kaum genannt.<br />

In einer weiteren offenen Frage zu potenziellen<br />

Schwierigkeiten bei der Förderung<br />

äußerte die Hälfte der Befragten<br />

Kritik an zeitlich-organisatorischen<br />

Rahmenbedingungen. Hierbei wurden<br />

insbesondere der Mangel an Zeit für die<br />

individuelle Förderung (z. B. „zu wenig<br />

Zeit für die Kinder“), ungünstige Förderzeiten<br />

(z. B. „Da meine NachhilFEE<br />

oft in den späten Randstunden stattfand,<br />

waren die Kinder häufig müde“) und der<br />

fehlende Zugang zu geeigneten Fördermaterialien<br />

genannt. Sieben FEEn berichten<br />

von ungünstigen Ausgangsbedingungen<br />

bei den Schüler:innen (z. B.<br />

geringe Motivation oder schwierige familiäre<br />

Verhältnisse) sowie geringen<br />

4,0<br />

3,5<br />

3,0<br />

2,5<br />

2,0<br />

1,5<br />

1,0<br />

Konstruktive Unterstützung<br />

1<br />

Fördereffekten (z. B. „Am Anfang treffe<br />

ich häufig auf Unlust gegenüber dem zusätzlichen<br />

Unterricht“ oder „keine Fortschritte<br />

bei manchen Kindern“). Die fehlende<br />

Unterstützung durch die Regelschullehrkräfte<br />

(z. B. „kaum bzw. wenig<br />

Kontakt zu den Lehrenden“) und Eltern<br />

(z. B. „Eltern halten Termine teilweise<br />

nicht ein“) wurde von vier FEEn als<br />

Hindernis beschrieben. Auch von vier<br />

Befragten wurden eigene Unsicherheiten<br />

oder Kompetenzdefizite (z. B. „Schwierigkeit,<br />

mehreren Kindern gleichermaßen<br />

Aufmerksamkeit zu schenken“) als<br />

problematisch wahrgenommen.<br />

Kognitive Aktivierung<br />

4 7<br />

17 15<br />

wenig Zutrauen relativ hohes Zutrauen hohes Zutrauen<br />

Abb 1: Boxplots<br />

zur Selbsteinschätzung<br />

der<br />

Qualitätsmerkmale<br />

konstruktive<br />

Unterstützung und<br />

kognitive Aktivierung<br />

durch die<br />

Grundschullehramtsstudierenden<br />

Abb. 2: Zutrauen<br />

zu Beginn als FEE<br />

und zur Zeit der<br />

Befragung<br />

Welche Unterstützung wünschen sich<br />

Studierende?<br />

Bezüglich des Unterstützungsbedarfs<br />

der FEEn ist festzuhalten, dass die Studierenden<br />

die Lehrkräfte an ihrer Einsatzschule<br />

als soziale Ressource bzw.<br />

Unterstützung wahrnehmen (M = 3,70;<br />

SD = 0,40). Nach Aussage aller FEEn<br />

zeigen die Lehrkräfte Verständnis für<br />

deren Arbeit und 21 berichten vom Interesse<br />

der Lehrkräfte für ihre Probleme.<br />

Des Weiteren finden 21 FEEn Unterstützung<br />

bei den Lehrkräften und nehmen<br />

in 20 Fällen entsprechende Rücksichtnahme<br />

bzgl. ihrer Aufgaben und Pro-<br />

Skala Beispielitem Anzahl<br />

(Items)<br />

α<br />

Qualität<br />

der Angebote<br />

Soziale Unterstützung<br />

(Adaption Schaarschmidt/Fischer 2008)​<br />

Zutrauen in Tätigkeit als FEE<br />

(Eigenkonstruktion)<br />

Konstruktive Unterstützung<br />

(Adaption Hertel et al. 2014)​<br />

Kognitive Aktivierung<br />

(Oetjen et al. 2024 in Anlehnung<br />

an Lotz 2016)​<br />

Tabelle 2: Skalen der geschlossenen Fragen<br />

Ich interessiere mich für den Lernfortschritt jedes<br />

einzelnen Kindes.​<br />

Die eingesetzten Aufgaben in der Förderung regen<br />

die Kinder dazu an, über ihr Vorwissen und / oder<br />

ihre Vorerfahrungen nachzudenken.​<br />

3​ .52​<br />

9​ .87​<br />

​Die Lehrkräfte zeigen Verständnis für meine Arbeit. 4 .72<br />

Wie hoch war Ihr Zutrauen zu Beginn Ihrer Tätigkeit als NachhilFEE / ist<br />

Ihr aktuelles Zutrauen, die Aufgabe als NachhilFEE meistern zu können?<br />

GS aktuell 168 • November 2024<br />

29


Aus Praxis: der <strong>Beobachten</strong> Forschung – <strong>Staunen</strong> – <strong>Forschen</strong><br />

bleme wahr. Die Auswertung der offenen<br />

Fragen ergab, dass sechs der 22<br />

FEEn für ihre Arbeit keinen weiteren<br />

Unterstützungsbedarf sehen. Etwa ein<br />

Drittel der FEEn (sieben) wünscht sich<br />

aber mehr Austausch mit und Unterstützung<br />

durch die Lehrkräfte der Kinder<br />

sowie Feedback von diesen für ihre<br />

Arbeit. Fünf FEEn, immerhin mehr als<br />

ein Fünftel, wünschen sich zudem, dass<br />

sie konkret Aufgaben oder Material für<br />

die Förderung der Schüler:innen zur<br />

Verfügung gestellt bekommen.<br />

Wie entwickelt sich das Zutrauen der<br />

NachilFEEn?<br />

Abbildung 2 zeigt, dass sich das Zutrauen<br />

der FEEn in die eigene Arbeit durch<br />

die individuelle Förderung mit den Kindern<br />

aus ihrer Perspektive positiv entwickelt.<br />

Während zu Beginn der Arbeit<br />

nur eine FEE nach eigener Aussage ein<br />

hohes Zutrauen in ihre Tätigkeit hatte,<br />

sind es zum Zeitpunkt der Befragung<br />

etwas mehr als zwei Drittel.<br />

Schlussfolgerungen für<br />

eine optimale Förderung<br />

durch Studierende<br />

„An einer Schule auf NachhilFEEn<br />

zurückgreifen zu können, bedeutet:<br />

schnelle, unkomplizierte und vor allem<br />

niedrigschwellige Unterstützung von<br />

Kindern.“ (Lehrkraft aus dem Projekt in<br />

Bezug auf das NachhilFEE-Projekt)<br />

(von links)<br />

Dr. Rebecca Baumann ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Grundschulforschung<br />

der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg. In Forschung<br />

und Lehre befasst sie sich schwerpunktmäßig u. a. mit Heterogenität und<br />

Inklusion, Bildung für nachhaltige Entwicklung, Lehrkräfteprofessionalisierung,<br />

Lehrkräftegesundheit und kollegialer Beratung im Lehrberuf.<br />

Dr. Birte Oetjen ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Grundschulforschung<br />

der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg. In Forschung und<br />

Lehre befasst sie sich schwerpunktmäßig u. a. mit Inklusion und Heterogenität, Lehrkräftegesundheit,<br />

Lehrkräfteprofessionalisierung, digitalen Medien in der Hoch- und<br />

Grundschule sowie Schriftspracherwerb.<br />

Prof. Dr. Sonja Ertl ist Professorin für Grundschulpädagogik und -didaktik und hat<br />

den Lehrstuhl für Grundschulforschung mit Schwerpunkt inklusives Lehren und<br />

Lernen an der Universität Augsburg inne. Ihre Schwerpunkte in Forschung und<br />

Lehre sind Heterogenität und Inklusion, Lernentwicklungsgespräche, Kinderrechte,<br />

Mitbestimmung, Demokratiebildung und Emotionen im Übergang.<br />

Prof. Dr. Sabine Martschinke ist Professorin und Lehrstuhlinhaberin für Grundschulpädagogik<br />

und -didaktik mit dem Schwerpunkt Umgang mit Heterogenität am<br />

Institut für Grundschulforschung der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg.<br />

Ihre Schwerpunkte in Lehre und Forschung sind Heterogenität und Inklusion,<br />

Mitbestimmung und Demokratiebildung, Lehrkräftegesundheit, Lehrkräfteprofessionalisierung,<br />

digitale Medien in Grund- und Hochschule.<br />

Trotz solcher Erfolg versprechenden<br />

Rückmeldungen und der grundsätzlich<br />

positiven Ergebnisse der wissenschaftlichen<br />

Begleitung können dennoch Entwicklungs-<br />

bzw. Optimierungsmöglichkeiten<br />

als Empfehlungen abgeleitet werden.<br />

Potenzial für eine Optimierung besteht<br />

in einer verbesserten Organisation<br />

und einer höherwertigen Gestaltung<br />

des Angebots. Außer, dass mehr Zeit<br />

und deswegen mehr Förderstunden gefordert<br />

werden, scheint es noch eine Lücke<br />

in der Förderung des sozial-emotionalen<br />

Bereichs und im Sachunterricht<br />

zu geben, die geschlossen werden sollte.<br />

Neben diesem „Mehr“ an Unterstützung<br />

bestehen aber auch Bedarfe und<br />

Notwendigkeiten für Fortbildungen,<br />

Mentoringprogramme oder (Online-)<br />

Selbstlernangebote, die die Studierenden<br />

bei der Auswahl und der Erstellung<br />

von vielfältigerem, motivierendem, (digitalem<br />

und auch) spielerischem Material<br />

(z. B. über Kriterien oder Websites<br />

für „gutes“ Material für eigene Recherche)<br />

unterstützen würden. Auch Professionswissen<br />

zur Diagnose bzw. zu Qualitätskriterien<br />

guten Unterrichts könnte<br />

und sollte im Rahmen von (verpflichtenden)<br />

Ausbildungs- und Unterstützungsangeboten<br />

flankierend erweitert,<br />

in der Praxis angewandt und reflektiert<br />

werden. Zusätzlich sollten regelmäßige<br />

Zeitfenster für den Austausch zwischen<br />

den FEEn und den Lehrpersonen (z. B.<br />

mit kollegialen Fallberatungen, Dokumentations-<br />

und Diagnosebögen) sowie<br />

feste Ansprechpersonen an den Schulen<br />

oder Mentor:innen aus der begleitenden<br />

Universität eine passgenaue Begleitung<br />

und Unterstützung der FEEn garantieren<br />

und damit letztendlich den Kindern<br />

zugutekommen.<br />

Das Projekt „NachhilFEE“ stellt einen<br />

ersten Schritt in die richtige Richtung<br />

dar, um gerechtere Bildungsbedingungen<br />

zu schaffen und allen Kindern<br />

die gleichen Chancen auf einen erfolgreichen<br />

Bildungsweg zu ermöglichen.<br />

Das Projekt, das zunächst als Aufholmaßnahme<br />

nach der Corona-Pandemie<br />

vom Nürnberger Schulamt initiiert wurde,<br />

soll aufgrund seines Erfolgs auch unabhängig<br />

von der Pandemie fortgeführt<br />

werden. Damit sollen Kinder mit pädagogischen<br />

Bedürfnissen, sei es beim<br />

Aufholen von Wissensdefiziten oder im<br />

Hinblick auf Lern- und Arbeitsverhalten<br />

sowie die sozial-emotionale Entwicklung,<br />

unterstützt werden.<br />

Literaturangaben zum Artikel<br />

können Sie von unserer Website herunterladen:<br />

https://t1p.de/GSa168Lit<br />

30<br />

GS aktuell 168 • November 2024


Praxis: <strong>Beobachten</strong> – <strong>Staunen</strong> Rundschau<br />

– <strong>Forschen</strong><br />

Rundschau<br />

Aus dem Vorstand: Save the Date<br />

Jahrestagung 2025 am 22. Februar in Halle – Literatur auf<br />

der Spur. Literarische Bildung für die Grundschule<br />

Wir freuen uns sehr darüber,<br />

dass wir unsere bundesweite<br />

Jahresstagung 2025 am<br />

22. Februar 2025 in den Franckeschen<br />

Stiftungen in den Räumen der Martin-<br />

Luther-Universität Halle-Wittenberg als<br />

Grundschulverband e. V. in Kooperation<br />

mit der Landesgruppe Sachsen-Anhalt,<br />

der Martin-Luther-Universität und der<br />

AJuM der GEW Sachsen-Anhalt durchführen<br />

können, und laden Sie recht<br />

herzlich ein, an der Veranstaltung teilzunehmen.<br />

Die Jahrestagung 2025 des Grundschulverbandes<br />

richtet den Blick auf<br />

die literarische Bildung. Angelehnt an<br />

den Band 158 der Beiträge zur Reform<br />

der Grundschule – Literarische Bildung<br />

für die Grundschule – suchen wir nach<br />

Anschlussstellen, wie sich der Umgang<br />

mit Kinderliteratur mit den verschiedensten<br />

Anliegen des Bildungsraums<br />

Grundschule verbinden kann: Welche<br />

Bedeutung hat Kinderliteratur für den<br />

Schriftspracherwerb, aber auch für demokratische<br />

Bildung oder Bildung für<br />

nachhaltige Entwicklung? Wie kann mit<br />

Kinderliteratur im (Deutsch-)Unterricht<br />

gearbeitet werden? Welche Medienformate<br />

können genutzt werden? In<br />

welchem Verhältnis steht die literarische<br />

Bildung zu den Bildungsstandards?<br />

Welche Möglichkeiten bietet Kinderliteratur<br />

für einen individualisierten Unterricht<br />

in inklusiven Kontexten?<br />

Kinderliteratur gehört selbstverständlich<br />

in die Grundschule. In ihrer thematischen<br />

und literarischen Vielfalt scheinen<br />

Kinderbücher für die Leseförderung<br />

wichtig, ebenso wie auch im Rahmen<br />

des literarischen Lernens und der kulturellen<br />

und demokratischen Bildung.<br />

Dennoch ist ein genussvoller und intensiver<br />

Umgang mit Literatur angesichts<br />

vielfältiger Anforderungen an eine zeitgemäße<br />

Grundschulbildung nicht einfach<br />

umsetzbar. Haben wir überhaupt<br />

genügend Zeit für literarische Texte?<br />

Freuen Sie sich auf ein anspruchsvolles,<br />

vielseitiges und methodisch abwechslungsreiches<br />

Tagungsprogramm.<br />

Gerahmt von einem Grundlagenvortrag<br />

und einem Diskussionsforum bieten<br />

praxisnah konzipierte Workshops<br />

vielfältige Anregungen zum Nachdenken<br />

und Ausprobieren an. Auch das Vorabendprogramm<br />

der AJuM am 21. Februar<br />

lädt mit einer Buchlesung mit einer<br />

Kinderbuchautor:in zu einem literarischen<br />

Einstieg ein.<br />

Sind Sie interessiert? Sie finden ab<br />

dem 20. November das Programm und<br />

die Hinweise zur Anmeldung auf unserer<br />

Website.<br />

Vielen Dank! Wir freuen uns auf Sie!<br />

Für den Vorstand Marion Gutzmann<br />

Ein erster Einblick in das Programm<br />

Grundlagenvortrag<br />

Kinderliteratur für den Schriftspracherwerb<br />

(Prof. Dr. Lis Schüler, Berlin)<br />

Workshops u. a. zu folgenden Themen<br />

● Über Literatur im Unterricht sprechen<br />

(Dr. Christoph Jantzen, Hamburg, und<br />

Dr. Alexandra Ritter, Halle)<br />

● Jedes Kind liest sein eigenes Buch? Heterogenität<br />

als Chance<br />

(Astrid Dörnhoff, Berlin)<br />

● Kinderliteratur und ...<br />

– demokratische Bildung (Dr. Christian Fischer,<br />

Erfurt, und Prof. Dr. Michael Ritter, Halle)<br />

– Bildung für nachhaltige Entwicklung<br />

(Dr. habil. Elisabeth Hollerweger, Bremen)<br />

– interkulturelle Bildung und Mehrsprachigkeit<br />

(Dr. Nadine Naugk, Nina Conzen, Halle)<br />

● Literarische Medienbildung<br />

(Thekla Mayerhofer, Halle, und Ralph Thielbeer,<br />

Magdeburg)<br />

● Willkommen im Literarischen Café!<br />

(Claudia Rathmann, Ingolstadt)<br />

● Die Gestaltung von Raum und Impulsen für das<br />

selbstständige Lesen von Kinderliteratur im Unterricht<br />

(Nicole Tietze und Claudia Baark, Hamburg)<br />

● Lese-Hör-Kisten als (Vor-)Schuleinstieg in den<br />

Schriftspracherwerb?<br />

(Dr. Astrid Henning-Mohr, Universität Frankfurt)<br />

Austauschforum<br />

Für alle, die sich mit anderen Mitgliedern des Grundschulverbandes<br />

vernetzen wollen, wird parallel zu den Workshops<br />

ein Austauschformat angeboten.<br />

Diskussionsforum<br />

● Literarische Bildung im Zeitalter der Bildungsstandards<br />

– ein Widerspruch?<br />

(Marion Gutzmann, Vorsitzende Grundschulverband,<br />

Dr. Stefanie Granzow, Halle,<br />

Moderation: Dr. Christoph Jantzen)<br />

GS aktuell 168 • November 2024<br />

31


Praxis: Rundschau <strong>Beobachten</strong> – <strong>Staunen</strong> – <strong>Forschen</strong><br />

Aus dem Vorstand: Mehr als 100 Tage im Amt<br />

Vom Neustart beim Grundschulverband<br />

Wenn diese Zeitschrift<br />

erscheint, liegen zwei bedeutende<br />

Veranstaltungen hinter<br />

den Delegierten und dem Vorstand: die<br />

Delegiertenversammlung am 19. und<br />

20. April 2024 und die Delegiertenversammlung<br />

am 8. und 9. November 2024.<br />

Verbunden mit diesen beiden Daten ist<br />

zum einen die Entlastung des Vorstandes,<br />

der den Verband von 2020 bis 2024<br />

geführt hat, und der damit verbundene<br />

Abschied von Kolleginnen und Kollegen,<br />

die ihre Vorstandsarbeit beendet haben,<br />

sowie die Neuwahl des Vorstandes.<br />

Zum anderen konnte in einer ersten<br />

Bilanz nach 100 Tagen im Amt und mit<br />

Blick auf die Halbzeit zwischen zwei Delegiertenversammlungen<br />

der neue Vorstand<br />

in kurzer Zeit bereits viele Einblicke<br />

in die Vorstandaufgaben gewinnen<br />

und in einer sehr intensiven Phase<br />

der Zusammenarbeit den Austausch,<br />

die aktive Auseinandersetzung und die<br />

Lösungsfindung und Maßnahmenumsetzung<br />

in einem engagierten Team<br />

schätzen lernen. Darüber und über die<br />

Ausrichtung der Verbandsarbeit für die<br />

nächsten Jahre wurde mit den Delegierten<br />

in der Novemberveranstaltung beraten.<br />

Anforderungen an eine<br />

zukunftsfähige Grundschule<br />

Geleitet von der Frage, was in den nächsten<br />

Jahren für den Vorstand und den<br />

Verband auf dem Programm steht, zählt<br />

die strukturierte und gebündelte Weiterarbeit<br />

an der Umsetzung der vom<br />

Grundschulverband formulierten und<br />

auf dem Bundesgrundschulkongress<br />

2019 veröffentlichten „Anforderungen<br />

an eine zukunftsfähige Grundschule“ zu<br />

den wichtigsten Aufgaben. Nicht erst die<br />

aktuellen Wahlergebnisse in Thüringen,<br />

Sachsen und Brandenburg rücken das<br />

Thema Demokratiebildung dringlich in<br />

den Fokus von Schule. Noch immer sind<br />

die Rechte von Kindern in den Bundesländern<br />

unterschiedlich in die Landesverfassungen<br />

aufgenommen. Gerade das<br />

Recht auf Beteiligung hat nur in wenigen<br />

Ländern Verfassungsrang. Kindern und<br />

Jugendlichen sollten jedoch schon frühzeitig<br />

ernsthafte Selbst- und Mitbestimmungserfahrungen<br />

und somit ein tolerantes<br />

Miteinander ermöglicht werden<br />

– in einer demokratischen Schule für alle<br />

Kinder. Wegzeichnend ist hier das Projekt<br />

KINDER:RECHTE:SCHULE der<br />

Bremer Landesgruppe und des Projekts<br />

Eine Welt in der Schule, das im Juni die<br />

Erprobungsphase abgeschlossen hat und<br />

als Broschüre mit den aufgearbeiteten<br />

Erfahrungen zum Jahresende erscheinen<br />

wird. Der Vorstand wird die Verbreitung<br />

der Materialien unterstützen.<br />

Wahl der Fachreferentinnen und<br />

Fachreferenten<br />

Entscheidend für das Zusammenwirken<br />

von Schulpraxis, Wissenschaft und Bildungspolitik<br />

in Bereichen der bildungspolitischen,<br />

verbandsübergreifenden und<br />

Öffentlichkeitsarbeit ist die Zusammenarbeit<br />

mit den Fachreferentinnen und<br />

Fachreferenten und das Einbringen der<br />

wissenschaftlichen und professionellen<br />

Praxiserfahrungen in die Verbandsarbeit.<br />

In enger Abstimmung mit dem Team der<br />

„ehemaligen“ Fachreferentinnen und<br />

Fachreferenten sowie den Delegierten<br />

wurde in der November-Delegiertenversammlung<br />

für die nächste Wahlperiode<br />

die Einrichtung von fünf Fachreferaten<br />

beschlossen. Entscheidend für die Einrichtung<br />

der Fachreferate war in unserer<br />

Diskussion, welche Themen für die<br />

Arbeit in der Grundschule und für das<br />

Wirken des Verbandes in den nächsten<br />

Jahren bedeutsam sind. Bis zur Delegiertenversammlung<br />

im Mai wird die<br />

Der neue Vorstand stellt sich vor<br />

Vorsitzende:<br />

Marion Gutzmann,<br />

Rektorin i.R.,<br />

Brandenburg<br />

Stellvertretende<br />

Vorsitzende:<br />

Andrea Karlsberg,<br />

Leiterin der Primarstufenabteilung<br />

an der<br />

Winterhuder Reformschule,<br />

Hamburg<br />

Weiteres<br />

Vorstandsmitglied:<br />

Svenja Telle, Lehrerin an der<br />

Neuen Schule Wolfsburg,<br />

Niedersachsen<br />

Wir stehen ein für:<br />

eine starke Grundschule<br />

wertschätzenden<br />

Umgang mit Vielfalt<br />

bestmögliche<br />

Bildungschancen für alle<br />

Abbau von<br />

Bildungsungerechtigkeit<br />

demokratisches Handeln und<br />

Partizipation aller Beteiligten<br />

Kinder – Lernen – Zukunft<br />

Jetzt!<br />

Stellvertretende<br />

Vorsitzende:<br />

Eva Franz, Professorin für<br />

Grundschulforschung und<br />

Pädagogik der Primarstufe<br />

an der Universität<br />

Trier, Rheinland-Pfalz<br />

Weiteres<br />

Vorstandsmitglied:<br />

Konstanze von Unold,<br />

Rektorin an der<br />

Grundschule<br />

Baierbrunn, Bayern<br />

Weiteres<br />

Vorstandsmitglied:<br />

Maxi Brautmeier-Ulrich,<br />

Schulleiterin an der Grundschule<br />

Sande in Paderborn,<br />

Nordrhein-Westfalen<br />

32<br />

GS aktuell 168 • November 2024


Praxis: <strong>Beobachten</strong> – <strong>Staunen</strong> Rundschau<br />

– <strong>Forschen</strong><br />

Rundschau<br />

Einrichtung von ein oder zwei weiteren<br />

Fachreferaten beraten.<br />

Das Zusammenwirken von Mitgliedern<br />

und Verantwortlichen aus Schulpraxis,<br />

Wissenschaft und Bildungspolitik mit<br />

unterschiedlichen Alters- und Lebenserfahrungen<br />

wird es ermöglichen, den Verband<br />

in den nächsten Jahren auch mit<br />

Blick auf den Bundesgrundschulkongress<br />

2029 mit viel Schwung und Engagement<br />

zu führen und weiterzuentwickeln.<br />

Stärkung der Kooperationen mit<br />

den Bündnispartnern<br />

Nach außen wird der Vorstand die<br />

Kooperation mit den Bündnispartnern<br />

verstärken, die Sichtbarkeit des Verbandes<br />

und die bildungspolitische Wirksamkeit<br />

verstetigen und insbesondere<br />

die Arbeit in den Landesgruppen und<br />

deren Aktivitäten weiter unterstützen.<br />

Zu nennen wären hier z. B. die Kooperationen<br />

mit der GGG, dem Ganztagsschulverband<br />

e. V., dem Bündnis Eine<br />

Schule für alle, dem Verband der Sonderpädagogik<br />

e. V. und ganz neu: der<br />

Verband als Mitzeichner für den Bildungsdialog<br />

für Deutschland.<br />

Geplant ist u. a. die Herausgabe des<br />

Bandes 161 „Ganztagsbildung: Modelle,<br />

Qualität, Chancen“ in der Reihe der<br />

Bände zur Reform der Grundschule, der<br />

im November 2025 erscheinen und den<br />

Blick auf die Einlösung des Rechtsanspruchs<br />

auf ganztägige Bildung und Betreuung<br />

richten wird. Im Zusammenhang<br />

mit den gemeinsamen bildungspolitischen<br />

Forderungen der GGG, der<br />

GEW und des Grundschulverbandes<br />

und deren Berücksichtigung im Hinblick<br />

auf den Start des Startchancenprogrammes<br />

werden wir die Umsetzung in<br />

den Ländern verfolgen und unterstützen.<br />

Hier sind augenblicklich die Startbedingungen<br />

in einzelnen Bundesländern<br />

noch immer nicht geklärt, das Programm<br />

wird länderseitig bislang sehr<br />

unterschiedlich umgesetzt.<br />

Als Anfang Oktober dieses Jahres in<br />

Berlin der Deutsche Schulpreis verliehen<br />

worden ist, waren wir ein wenig enttäuscht,<br />

dass unter den Preisträgerschulen<br />

keine Grundschule war. Blickt man auf<br />

unsere Forderung des längeren gemeinsamen<br />

Lernens, finden wir jedoch die<br />

Grundschule u. a. bei den beiden Preisträgerschulen<br />

aus Berlin vertreten, in denen<br />

Kinder und Jugendliche von Beginn an<br />

bis zur Jahrgangsstufe 9 in jahrgangsübergreifenden<br />

Lerngruppen lernen, der Unterricht<br />

an den Bedarfen der Kinder und<br />

Jugendlichen ausgerichtet wird und im<br />

Bildungsverlauf der bestmögliche Schulabschluss<br />

erreicht werden kann. Wir gratulieren<br />

an dieser Stelle recht herzlich der<br />

Friedenauer Gemeinschaftsschule (mit<br />

gymnasialer Oberstufe) sowie der Wilhelm-von-Humboldt-Gemeinschaftsschule,<br />

vor allem auch der Hauptpreisträgerschule,<br />

der Siebengebirgsschule<br />

Bonn, einer Förderschule im Verbund.<br />

Großen Respekt zollen wir allen prämierten<br />

und insbesondere auch allen nominierten<br />

Schulen, die nach Berlin reisten<br />

und ebenfalls einen Anerkennungspreis<br />

mit nach Hause nehmen durften. Wir<br />

gratulieren recht herzlich der Geschwister-Scholl-Grundschule<br />

in Leipzig, der<br />

Grundschule Glücksburg in Schleswig-<br />

Holstein, der Grundschule Kirchdorf in<br />

Hamburg und der Grund- und Gesamtschule<br />

Glockseeschule Hannover. Schauen<br />

Sie einfach auf dem Deutschen Schulportal<br />

unter den Top-15-Schulen nach<br />

– es lohnt sich, für mehr gute (Grund-)<br />

Schulen im Land zu werben!<br />

In all unseren Vorhaben werden wir<br />

unser Augenmerk darauf ausrichten,<br />

Politik aufzufordern, ihrer Rechtsverpflichtung<br />

nachzukommen, Kinder und<br />

ihre Rechte mehr als bisher in den Mittelpunkt<br />

zu stellen und vor allem Kinder<br />

zu stärken, die strukturell benachteiligt<br />

sind. Es braucht Investitionen in<br />

Bildungschancen, vor allem in den immer<br />

noch nicht ausreichend finanzierten<br />

Grundschulbereich. Und: Kinder<br />

und die Grundschulen benötigen tagtäglich<br />

einen starken Fürsprecher, auch<br />

Ihre und unsere Fürsprache!<br />

Für den Vorstand<br />

Marion Gutzmann,<br />

Eva Franz, Andrea Karlsberg,<br />

Svenja Telle, Konstanze von Unold,<br />

Maxi Brautmeier-Ulrich<br />

Als Fachreferentinnen und Fachreferenten wurden gewählt<br />

Fachreferat:<br />

Future Learning und Digitalität<br />

Prof. Dr. Thomas Irion, Direktor des<br />

Zentrums für Medienbildung<br />

Abtlg.: Erziehungswissenschaft /<br />

Grundschulpädagogik,<br />

PH Schwäbisch Gmünd<br />

Fachreferat:<br />

Längeres gemeinsames Lernen,<br />

pädagogische Praxis und Ganztag<br />

Eva Osterhues-Bruns Fachberaterin<br />

für Unterrichtsqualität am Regionalen<br />

Landesamt für Schule und Bildung in<br />

Lüneburg, Niedersachsen<br />

Fachreferat:<br />

Kinderrechte, Zukunftsrechte,<br />

Inklusion und Demokratiebildung<br />

Prof.‘in Dr. Sabine Martschinke, Lehrstuhlinhaberin<br />

am Lehrstuhl für Grundschulpädagogik<br />

und -didaktik mit dem Schwerpunkt<br />

Heterogenität, FAU Erlangen-Nürnberg<br />

Fachreferat:<br />

Lernkulturen und Sachunterricht<br />

Prof. Dr. Markus Peschel<br />

Universitätsprofessor (W3)<br />

für Didaktik der Primarstufe mit dem<br />

Schwerpunkt Sachunterricht an der<br />

Universität des Saarlandes<br />

Fachreferat:<br />

Heterogenität und mathematisches Lernen<br />

Prof.‘in Dr. Uta Häsel-Weide, Professur für sonderpädagogische<br />

Förderung, im Fach Mathematik an der Universität Paderborn<br />

Prof. Dr. Marcus Nührenbörger, Professur für Didaktik<br />

der Mathematik mit dem Schwerpunkt Inklusion an der<br />

Universität Münster<br />

GS aktuell 168 • November 2024<br />

33


Praxis: Rundschau <strong>Beobachten</strong> – <strong>Staunen</strong> – <strong>Forschen</strong><br />

Lebenslanges Lernen – auch als Lehrkraft<br />

Lehrkraft sein – mit einem Blick zurück in zwei<br />

Bildungssysteme und einem Blick nach vorn<br />

Im Fokus von „Grundschule aktuell“<br />

Heft 167 standen die drei Phasen der<br />

Lehrkräftebildung und damit auch die<br />

vielfältigen Herausforderungen im Ausbildungs-<br />

und Berufsfeld. Im Redaktionsteam<br />

haben wir viele Gespräche über das<br />

Belastungserleben, die berufliche Zufriedenheit,<br />

den Umgang mit Heterogenität,<br />

die Feedbackkultur und die Zusammenarbeit<br />

geführt. Weniger zentral waren die<br />

eigene langjährige berufliche Entwicklung<br />

und das lebenslange Lernen auch als Lehrkraft.<br />

Mit den Wahlprognosen der letzten<br />

Monate ging sehr oft der Blick in die östlichen<br />

Bundesländer – wurden Bildungsbiografien<br />

und Traditionen in den Mittelpunkt<br />

gestellt und manchmal auch in<br />

Frage. Gerade vor diesem Hintergrund<br />

war es mir persönlich wichtig, mit einem<br />

Blick zurück und einem Blick nach vorn<br />

meinen Weg als Lehrkraft zu reflektieren.<br />

Von Anfang an mein Wunsch:<br />

Lehrerin werden!<br />

Als Älteste von vier Geschwistern war<br />

es seit meiner Kindheit mein Wunsch,<br />

Lehrerin zu werden und Kinder beim<br />

Lernen zu begleiten. Das persönliche<br />

Erleben, in den 60er-Jahren im heutigen<br />

Brandenburg in einer Schule von 1<br />

bis 10 gemeinsam länger lernen zu können,<br />

bestärkte diesen Wunsch. Prägend<br />

in meiner Schulzeit waren meine beiden<br />

Lehrerinnen für Russisch und Englisch,<br />

die mir die Freude am Sprachenlernen<br />

und Neugierde auf andere Kulturen<br />

vermittelt haben. Vor allem die<br />

Neugierde von jüngeren Kindern, ihre<br />

Begeisterungsfähigkeit und Dankbarkeit<br />

beeinflussten meine Entscheidung,<br />

im Grundschulbereich tätig zu werden.<br />

Von Anfang an war mir wichtig, jedes<br />

einzelne Kind mit seinen ganz besonderen<br />

Ansprüchen und Möglichkeiten<br />

ernst zu nehmen, vor allem aber darauf<br />

zu achten, dass Lernen den Kindern<br />

Freude bereitet und niemand zurückbleibt<br />

oder ausgeschlossen wird.<br />

Mit dem Blick zurück weiß ich, dass<br />

die sehr gute fachdidaktische Ausbildung<br />

am Landesinstitut für Lehrerbildung<br />

z. B. im Fach Deutsch mit seiner<br />

Ausrichtung auf alle Kompetenzbereiche,<br />

vom Schreibenlernen mit der<br />

Schulausgangsschrift über „Aufsatzerziehung“<br />

bis hin zur Arbeit mit Gedichten<br />

und mit Kinderliteratur oder speziell<br />

auf den Bereich Anfangsunterricht, eine<br />

gute Basis bot. Die andere Seite waren<br />

jedoch sehr präzise vorgeschriebene Unterrichtsinhalte<br />

im Lehrplan und in den<br />

Unterrichtshilfen sowie kleinteilige Hinweise<br />

und Vorschriften für die Umsetzung.<br />

Ich kann mich noch gut daran erinnern,<br />

dass eines der Ziele für den Anfangsunterricht<br />

der ersten Wochen darin<br />

bestand, das Ausgangsniveau der Kinder<br />

„anzugleichen“, was auch zu damaliger<br />

Zeit nicht gelingen konnte. Oder dass<br />

man in der Unterrichtswoche X in allen<br />

Klassen an allen Schulen z. B. das „E“<br />

eingeführt haben musste und unangenehme<br />

Fragen gestellt bekam, wenn den<br />

Kindern vorab mehr Zeit für die anderen<br />

Buchstaben gegeben worden war.<br />

Lehrkraft und Mutter sein?<br />

Nach dem Studium begann ich 1976 als<br />

Unterstufenlehrerin an einer Polytechnischen<br />

Oberschule, unterrichtete aber<br />

auch Englisch und Biologie in der 7.<br />

und 8. Klasse. Als berufstätige Lehrerin<br />

mit zwei Kindern kam ich wie alle Frauen<br />

in der DDR (mitunter auch Männer)<br />

in den Genuss von zwei Abminderungsstunden<br />

bei einer wöchentlichen Unterrichtsverpflichtung<br />

von 23 Stunden an<br />

sechs Unterrichtstagen. Darüber hinaus<br />

hatte ich als Klassenlehrerin eine weitere<br />

Abminderungsstunde, musste also nur<br />

20 Stunden an sechs Tagen unterrichten.<br />

In Monaten ohne Ferien bekamen verheiratete<br />

Lehrer:innen einen Haushaltstag,<br />

hier vertraten sich Kolleg:innen aus<br />

dem Hort und der Schule zum größten<br />

Teil wechselseitig.<br />

Veranstaltungen, die am Nachmittag<br />

lagen, etwa Pädagogische Konferenzen,<br />

mussten besucht werden. Hier waren die<br />

Öffnungszeiten der Kindergärten bzw.<br />

Krippen nicht passend und man musste<br />

dies jeweils persönlich anders organisieren,<br />

was oft eine Herausforderung darstellte<br />

aufgrund der verbreiteten Vollbeschäftigung<br />

im Familien- und Freundeskreis.<br />

Zu Beginn des Schuljahres 1988/1989<br />

wurde ich als Fachberaterin berufen und<br />

war an zwei bzw. drei Tagen in der Woche<br />

nicht im Unterricht eingesetzt. Dies<br />

war eines der Zeichen einer langsamen<br />

Öffnung des Systems – in den Jahren<br />

zuvor wäre dies ohne Parteidokument<br />

nicht möglich gewesen.<br />

Die Wende und das Neue<br />

Ende November und Anfang Dezember<br />

1989 wurden die Schulklassen samstags<br />

immer „leerer“ (die Familien fuhren<br />

nach Berlin zum Bummeln und Einkaufen)<br />

– schon bald wurde der unterrichtsfreie<br />

Samstag eingeführt. Ich bin<br />

oft nach Westberlin ins BIL (Berliner<br />

Institut für Lehrerbildung) gefahren und<br />

habe mich kreuz und quer durch die<br />

Lernwerkstatt gelesen. Dort lernte ich<br />

Peter Heyer, Mechthild Pieler und Ulla<br />

Widmer-Rockstroh kennen. Dadurch<br />

konnte ich an vielen Fortbildungsveranstaltungen<br />

für die Ostberliner Lehrkräfte<br />

bzw. an den Arbeitskreisen teilnehmen.<br />

Ich fuhr dann immer ganz „beunruhigt“<br />

nach Hause und wollte all das<br />

Neue mit in meinen Unterricht nehmen.<br />

Das erste Mal ohne Fibel<br />

Welch ein Glück, dass ich im Schuljahr<br />

1990/91 mit einer ersten Klasse starten<br />

durfte, in der ich dann das erste Mal ohne<br />

Fibel arbeiten konnte, beim Schriftspracherwerb<br />

mit der Druckschrift begann und<br />

all die pädagogischen Freiräume anders<br />

nutzen konnte. Mit Begeisterung erlebte<br />

ich, wie Kinder „anders“ als im Gleichschritt<br />

lernen können. Was vorher nicht<br />

vorstellbar war: Im Oktober konnten<br />

bereits zehn Kinder „richtig“ lesen!<br />

Der Lehrplan, ein schmales Heft, war<br />

auf einmal ganz anders und „unheimlich“<br />

frei gestaltet. Viele Lehrkräfte hatten<br />

mit dem von Inhalten völlig frei gestalteten<br />

Lehrplan Probleme, hier waren<br />

Lehrbücher ein Anker. Für mich selbst<br />

boten diese Freiräume die Chance, vieles<br />

zu erproben, was ich aus den Fortbildungen<br />

mitgenommen hatte.<br />

34<br />

GS aktuell 168 • November 2024


Praxis: <strong>Beobachten</strong> – <strong>Staunen</strong> Rundschau<br />

– <strong>Forschen</strong><br />

Rundschau<br />

Zum Schuljahr 1991/92 wurden in<br />

Fürstenwalde die zehn allgemeinbildenden<br />

Polytechnischen Oberschulen<br />

an das westdeutsche Schulsystem angepasst.<br />

„Fast über Nacht“ entstanden<br />

sechs Grundschulen, drei Oberschulen<br />

und zwei Gymnasien. Es fusionierten<br />

zwei Kollegien im Grundschulbereich aus<br />

zwei POS zu einer sechsjährigen Grundschule.<br />

Auf einmal waren wir drei- statt<br />

zweizügig und fast nur Frauen im Kollegium,<br />

auf einmal änderte sich die Altersstruktur,<br />

viele junge Kolleg:innen fehlten.<br />

Das Zusammenwachsen – sowohl auf<br />

Leitungs- als auch auf Kollegiumsebene<br />

– war nicht einfach, es gab viele Verunsicherungen,<br />

Ängste und auch Unverständnis<br />

über diese Entwicklung. Es gab Kolleg:innen,<br />

meist ältere und gestandene,<br />

die sich weigerten, in Klasse 5 und 6 zu<br />

unterrichten. Wir, die Mittdreißiger und<br />

Vierzigjährigen, „wuppten“ vieles von den<br />

neuen Anforderungen, weil wir Schule<br />

anders gestalten und weiterentwickeln<br />

wollten. Nach wie vor bin ich stolz darauf,<br />

dass wir in Berlin und Brandenburg eine<br />

sechsjährige Grundschule haben und damit<br />

ein Stück weit näher am „längeren gemeinsamen<br />

Lernen“ sind.<br />

Lesen ein Leben lang<br />

Als Kind war ich selbst eine Leseratte und<br />

habe manchmal heimlich unter der Bettdecke<br />

gelesen oder mich im Fliederbusch<br />

mit einem Buch versteckt. Dem Lesen bin<br />

ich bis heute treu geblieben und weiß um<br />

den Reichtum und das Glück des Lesens,<br />

die Hilfe und den Trost, die Bücher bieten<br />

können. Bücher und Geschichten vermitteln<br />

Haltungen und Erfahrungen, bieten<br />

Bezüge zum eigenen Leben und helfen,<br />

die Perspektive anderer einzunehmen,<br />

Empathie und Toleranz zu leben.<br />

Bücher haben mich in meinem Unterricht,<br />

später in meinen Fortbildungsveranstaltungen<br />

im Rahmen meiner Tätigkeit<br />

als Fachberaterin und von 2008 bis<br />

2022 als Referentin am Landesinstitut<br />

für Schule und Medien Berlin-Brandenburg<br />

begleitet. In meiner Tätigkeit im<br />

Redaktionsteam „Grundschule aktuell“<br />

freue ich mich immer sehr, wenn ich die<br />

beiden Kinderbuchseiten zum Thema<br />

der Zeitschrift moderieren kann. Zu erleben,<br />

wie Sprache in Gedichten und Geschichten<br />

wirken kann, wie ein noch ungewohnter<br />

oder ungewöhnlicher Wortschatz<br />

„aufgesogen“ wird, wie mit Figuren<br />

und ihren Erlebnissen mitgefiebert<br />

wird, lässt unsere Arbeit für die Kinder<br />

zu einer Art Lobby für das Lesen werden<br />

und sprachliches Handeln als bedeutsam<br />

erfahren. Es ist wichtig, dass alle Kinder<br />

in der Schule, unabhängig von der Anzahl<br />

der Bücher in den Elternhäusern<br />

und den Gepflogenheiten im Umgang<br />

damit, die Chance erhalten, Leserinnen<br />

und Leser werden zu können.<br />

Marion Gutzmann, ist Vorstandsmitglied<br />

der Landesgruppe<br />

Brandenburg und Vorsitzende des<br />

Grundschulverbandes, Rektorin i. R.<br />

Der Grundschulverband – mehr als<br />

ein berufliches Netzwerk<br />

Nach der Wende zeigte sich an Brandenburger<br />

Schulen eine weit verbreitete<br />

Reformbereitschaft der Lehrkräfte,<br />

eine sechsjährige Grundschule als Ort<br />

der Geborgenheit und Lernfreude zu<br />

gestalten. Unterstützend und ermutigend<br />

waren in dieser Zeit die Schriften<br />

des Grundschulverbandes zum offenen<br />

Unterricht, zum ganzheitlichen Lernen<br />

oder zur Leistungserziehung ohne<br />

Ziffernnoten. Mitstreiter:innen des<br />

Grundschulverbands wie Hans Brügelmann,<br />

Annemarie von der Groeben,<br />

Erika Brinkmann, Maresi Lassek oder<br />

Angelika Speck-Hamdan haben meine<br />

Haltung und mein pädagogisches<br />

Handeln geprägt. Der regelmäßige Austausch<br />

und die Begegnung mit anderen,<br />

die ähnlich denken, haben mich in<br />

meinem eigenen Handeln bestärkt, aber<br />

auch ermutigt, mit anderen Lehrkräften<br />

im Rahmen eines Arbeitskreises, später<br />

in Fortbildungen und im Brandenburger<br />

Netzwerk Grund- und Förderschulen<br />

Herausforderungen in der Arbeit<br />

mit Grundschulkindern gemeinsam zu<br />

meistern.<br />

Die Besuche im damaligen Berliner<br />

Landesinstitut BIL ließen mich jedes<br />

Mal mit einem „prallen Koffer voller<br />

Ideen“ nach Hause fahren und bereits<br />

am nächsten Tag in die Praxis umsetzen.<br />

Mechthild Pieler, damals im Vorstand<br />

der Landesgruppe Berlin, ermutigte<br />

mich, im Landesgruppenvorstand<br />

Brandenburg mitzuarbeiten und mich<br />

mit anderen gemeinsam für eine bessere<br />

Grundschule für alle Kinder landes- und<br />

bundesweit einzusetzen.<br />

1992 wurde ich Gründungsmitglied<br />

der Landesgruppe Brandenburg des<br />

Grundschulverbandes – hier waren die<br />

Berliner „Paten“, also auch Peter Heyer<br />

und Mechthild Pieler – und schon bald<br />

Delegierte der Landesgruppe beim Bundesvorstand<br />

des Grundschulverbandes.<br />

Unsere jährlichen Grundschulverbandsfachtagungen<br />

im Land Brandenburg waren<br />

in den Neunzigerjahren Großveranstaltungen<br />

mit mehr als 400 Teilnehmenden,<br />

die sich alle samstags trafen<br />

und Schule anders gestalten wollten.<br />

Heute denke ich über meine damalige<br />

Verunsicherung nach, ob ich gut genug<br />

für das neue Schulsystem sei. Auf alle Fälle<br />

gab sie mir Ansporn, mich auf Neues<br />

einzulassen und weiter zu lernen – und<br />

dies gibt wiederum dem recht, dass die<br />

Art des Lernens und die Gestaltung geneinsamer<br />

Lernprozesse in einem „offeneren“<br />

Schulsystem unbedingt eine Veränderung<br />

brauchten. In allen Schulformen<br />

und Schulstufen können heute Veränderungen<br />

vorgenommen werden, auch<br />

im Sinne eines längeren gemeinsamen<br />

Lernens aller Kinder. Für Kinder in der<br />

Grundschule wünsche ich mir vor allem<br />

Aufmerksamkeit, Achtsamkeit und eine<br />

förderliche Haltung gegenüber jedem<br />

Kind. So oft es geht möglichst genau hinzuhören<br />

und genau hinzusehen, dabei<br />

Respekt gegenüber den Besonderheiten<br />

jedes Kindes zu zeigen, seine Stärken zu<br />

entdecken und diesen Schatz in gemeinsamen<br />

Lerngelegenheiten zu nutzen.<br />

Als Mitglied des Grundschulverbandes,<br />

als Vorstandsmitglied und als jetzige<br />

Vorsitzende kann ich mich in einem starken<br />

Bündnis für eine Schule engagieren,<br />

die Kindern Raum bietet, miteinander<br />

und mit Erwachsenen aufmerksam zu leben,<br />

in der Kinder lernen und ihr Können<br />

zeigen können. Die Anerkennung<br />

der Leistungen des Grundschulverbands<br />

durch den Bundespräsidenten, Verantwortliche<br />

der Politik, Kultusministerien,<br />

Medien, Verbände, Elternvertretungen,<br />

Lehrkräfte und multiprofessionelle<br />

Teammitglieder macht Mut, den Einsatz<br />

für den Grundschulverband gestärkt fortzusetzen.<br />

<br />

Marion Gutzmann<br />

GS aktuell 168 • November 2024<br />

35


Praxis: Rundschau <strong>Beobachten</strong> – <strong>Staunen</strong> – <strong>Forschen</strong><br />

Themenkosmos Geschlecht – Gleichheit – Gerechtigkeit<br />

Gleich und gerecht?<br />

Die Zeitschrift<br />

„Eine Welt in der<br />

Schule“ erscheint<br />

zweimal jährlich.<br />

Ein Abo kostet<br />

18 Euro und beinhaltet<br />

zusätzlich den<br />

20% Rabatt<br />

für Mitglieder des<br />

Grundschulverbands<br />

und<br />

Referendar:innen!<br />

Zugang zur PDF-Version. Wir bieten auch<br />

Kombipakete zusammen mit dem Verleih<br />

unserer Materialkisten an. Der Erwerb von<br />

Einzelausgaben ist ebenso möglich.<br />

www.weltinderschule.<br />

uni-bremen.de/<br />

die-zeitschrift/<br />

inhalte-ausgaben.html<br />

Warum sollen sich schon<br />

Grundschüler:innen mit diesem<br />

Themenkomplex auseinandersetzen?<br />

Ist das nicht zu früh? Überfordert<br />

es die Kinder gar? Schon hörte<br />

ich die kritischen Stimmen in meinem<br />

Hinterkopf, als wir im Projekt über die<br />

nächste Ausgabe unserer Zeitschrift diskutierten.<br />

Es brauchte mehr Aufwand,<br />

überhaupt geeignete Schulprojekte und<br />

Autor:innen der unteren Klassen für diese<br />

Ausgabe zu finden, was zeigt, dass das<br />

Thema in den Schulen tatsächlich eher<br />

eine Randnotiz zu sein scheint. Umso<br />

wichtiger fanden wir es, eine ganze Ausgabe<br />

dazu zu konzipieren! Denn die Auseinandersetzung<br />

mit eigener Identität,<br />

gesellschaftlicher Positionierung, Privilegien<br />

und Diskriminierung aufgrund des<br />

Geschlechts sind keine Phänomene, die<br />

Kindern erst ab Klasse 5, 7 oder 9 begegnen.<br />

Das ist Alltag. Die Frage ist, ob jüngere<br />

Kinder das als solches bereits dezidiert<br />

spüren und benennen können. Die<br />

Unterscheidung in Jungen und Mädchen<br />

fängt bereits im Uterus an und ist in der<br />

Mehrheit der Fälle eine lebenslange<br />

Zuweisung. Die damit einhergehende<br />

Einsortierung in ein binäres Geschlechtssystem<br />

betrifft Kinder von Anfang an<br />

und wird im Grundschulalter verstärkt<br />

durch (unausgesprochene) Erwartungen<br />

an Verhalten und Leistung. Die Beschäftigung<br />

mit diesem Themenkomplex ist<br />

somit keine neue Erscheinung, sondern<br />

die Konsequenz aus tradierten gesellschaftlichen<br />

Vorstellungen, Rollenmustern<br />

und Entfaltungsmöglichkeiten, die<br />

ungleich verteilt sind.<br />

Doch nicht nur inhaltlich zeigt sich,<br />

dass es in der Grundschule bei diesem<br />

Thema Nachholbedarf gibt. So fragt auch<br />

eine Podcastfolge des Grundschulverbandes<br />

Bremen provokativ: Brauchen wir<br />

eine Männerquote in der Grundschule?<br />

Dr. Christoph Fantini von der Universität<br />

Bremen versucht zusammen mit seinem<br />

Team beim Projekt „Rent a teacher<br />

man“ mehr Studenten in die Grundschulen<br />

zu vermitteln. In vielen Einrichtungen<br />

gibt es keine oder nur sehr wenige Lehrer.<br />

Dabei zeigt ein Phänomen besonders<br />

plastisch, wie das Fehlen von Vorbildern<br />

und starre Rollenzuschreibungen<br />

den Erfahrungs- und auch Imaginationsspielraum<br />

von Kindern prägt: Als Studenten<br />

an einer Schule anfingen zu arbeiten,<br />

wurden sie in der ersten Zeit mit „Frau<br />

XY“ anstatt „Herr XY“ angesprochen. Die<br />

Kinder hatten noch keine Sprache dafür,<br />

mussten sich erst umgewöhnen und sich<br />

darüber klarwerden, dass auch Männer<br />

Lehrer sein können. Für Fantini grenzt es<br />

an institutionelle Diskriminierung, wenn<br />

Jungen nicht das Gefühl haben, im Sexualkundeunterricht<br />

ihre Fragen stellen zu<br />

können, weil ihnen männliche Bezugspersonen<br />

fehlen, die diesen Raum eröffnen.<br />

Wie muss es da erst queeren Kindern<br />

gehen, denen in ihrem Umfeld Ansprechpersonen<br />

fehlen, mit denen sie ihre<br />

Gedanken teilen können, frage ich mich.<br />

Fantini plädiert generell dafür, dass<br />

Kollegien in Grundschulen diverser aufgestellt<br />

sein sollten, wobei es dabei nicht<br />

nur um die Frage nach Geschlecht geht,<br />

auch Religion oder sozialer Hintergrund<br />

sind wichtige Faktoren bei der Zusammensetzung.<br />

Kindern werden durch unterschiedliche<br />

Rollenbilder mehr Identifikationsmöglichkeiten<br />

gegeben. Diese<br />

eröffnen ihnen Räume, unterstützen sie<br />

in ihrer Entwicklung und zeigen Perspektiven<br />

für die Zukunft auf: Jungen dürfen<br />

auch Grundschullehrer werden!<br />

Von der Struktur zurück zum Inhalt:<br />

Wie kann man das Thema nun konkret<br />

und mit einer globalen Perspektive in<br />

der Schule bearbeiten? Ganz praktisch<br />

versammelt die aktuelle Ausgabe der<br />

Rachel Rentz ist wissenschaftliche<br />

Mitarbeiterin im Projekt Eine Welt in<br />

der Schule in Bremen<br />

Zeitschrift „Eine Welt in der Schule“ eine<br />

Vielzahl an Herangehensweisen, die sich<br />

mit SDG 5 (Geschlechtergleichheit) auseinandersetzen.<br />

Zu Beginn findet sich wie<br />

gewohnt eine Kurzrezension zu Buch und<br />

Film „Das Mädchen Wadjda“, das den<br />

Wunsch, als saudi-arabisches Mädchen<br />

Fahrrad zu fahren, in einen Diskurs um<br />

Freiheit und Patriarchat setzt. Auf künstlerische<br />

Weise haben junge Menschen aus<br />

Simbabwe, Indien und Deutschland Geschlechtergerechtigkeit<br />

mit der Kinder-<br />

KulturKarawane auf die Bühne gebracht.<br />

Die Geschäftsführerin Behnaz Victoria<br />

Vassighi und die beiden Betreuer:innen<br />

Manju Vyas aus Mumbai und Innocent<br />

Nkululeko Dube aus Bulawayo schreiben<br />

über den künstlerischen Prozess ihrer<br />

Gruppen, das Thema zu bearbeiten. Der<br />

Chat der Welten als digitaler Live-Austausch<br />

brachte Schüler:innen aus Gulu<br />

in Uganda ins deutsche Klassenzimmer<br />

nach Hürth und umgekehrt. Die Organisatorin<br />

Alessia Zani, die Bildungsreferentin<br />

Sandra Busch und der Aktivist Solomon<br />

Rackara stellen ihre Erkenntnisse<br />

aus dem Chat in diesem Artikel zusammen.<br />

Handwerklich ging es zu an einer<br />

Berliner Schule: Nach einer thematischen<br />

Auseinandersetzung mit SDG 3 Gesundheit<br />

und Wohlergehen, 4 Hochwertige<br />

Bildung, 5 Geschlechtergleichheit und<br />

6 Sauberes Wasser und Sanitäreinrichtungen<br />

gestaltete eine Projektgruppe die<br />

Schultoiletten nach ihren Bedürfnissen<br />

um. Ihre Lehrerin Franziska Böhmecke-<br />

Schwafert berichtet über die Arbeit an<br />

dem Tabuthema und zeigt Wege zu einem<br />

partizipativen Umgang mithilfe des Design-Thinking-Ansatzes.<br />

Ebenso themati-<br />

36<br />

GS aktuell 168 • November 2024


Praxis: <strong>Beobachten</strong> – <strong>Staunen</strong> Rundschau<br />

– <strong>Forschen</strong><br />

Rundschau<br />

sieren die Copy-to-go-Seiten Geschlechtergerechtigkeit<br />

im Zusammenhang mit<br />

dem Zugang zu Toiletten. Mit der Organisation<br />

Goldeimer wurde diese Kopiervorlage<br />

konzipiert, die direkt im Unterricht<br />

eingesetzt werden kann. Studierende<br />

der Universität Kassel haben Projekttage<br />

speziell für Grundschulen entwickelt, die<br />

globale Perspektiven auf Geschlechtsfragen<br />

thematisieren und sogar ein digitales<br />

Expert:inneninterview beinhalten, das die<br />

Schüler:innen selbstständig durchführen.<br />

In weiteren drei Artikeln wird ein eingehender<br />

Blick auf inhaltliche Bildungsmaterialien<br />

zu Geschlechtergerechtigkeit<br />

geworfen: ein Online-Materialfundus<br />

von Südwind aus Niederösterreich<br />

wird vorgestellt, eine Checkliste vom<br />

EPiZ Reutlingen gibt Tipps, wie eigenes<br />

Unterrichtsmaterial kritisch überarbeitet<br />

werden kann, und Material von Misereor<br />

zeigt auf, wie das Thema anhand von<br />

Bildungszugängen von Frauen und Mädchen<br />

in Madagaskar bearbeitet werden<br />

kann. Die Zeitschrift versammelt innovative<br />

Beispiele der Auseinandersetzung<br />

mit einem (noch zu) wenig bearbeiteten<br />

Komplex in den Schulen.<br />

Zum Schluss greife ich den wichtigen<br />

Gedanken von Solomon Rackara aus<br />

dem Artikel zum Chat der Welten auf:<br />

Geschlecht ist nicht nur eine Diskussion<br />

über Mann und Frau, sondern muss alle<br />

Identitäten in den Blick nehmen. Genauso<br />

wie die Frage nach Gerechtigkeit.<br />

Rachel Rentz<br />

Der erwähnte Podcast „Brauchen wir<br />

eine Männerquote in der Grundschule?“<br />

des Grundschulverbands Bremen vom<br />

April 2023 ist verfügbar unter<br />

https://t1p.de/abcxs<br />

[abgerufen am 19.09.2024]<br />

Drei Praxisbegegnungen in Hamburg und Schleswig-Holstein<br />

Lehrkraft an einem prekären Standort – herausfordernd<br />

und besonders<br />

Besonders Schulen in herausfordernden<br />

Sozialräumen, sogenannten<br />

Brennpunkten, sind vom Mangel<br />

an Lehrkräften betroffen, weil Bewerber_innen<br />

ausbleiben bzw. eine Tätigkeit<br />

dort bewusst nicht aufnehmen möchten<br />

(vgl. El-Mafaalani, Deutsches Schulportal).<br />

Anforderungen an Lehrkräfte für<br />

eine zukunftsfähige Schule beschreibt die<br />

Ständige Wissenschaftliche Kommission<br />

der Kultusministerkonferenz (SWK)<br />

umfänglich. Professionell arbeitende<br />

Lehrkräfte verfügen demnach über ein<br />

umfassendes und differenziertes Wissen<br />

im fachlichen, didaktischen und pädagogisch<br />

sowie psychologischen Bereich, sie<br />

sind in der Lage, umfangreich zu diagnostizieren,<br />

zu fördern, sich und Unterricht<br />

zu reflektieren und Schulentwicklung<br />

zielführend und kollegial zu gestalten.<br />

Dabei werden sie von „professionellen<br />

Überzeugungen, motivationalen<br />

Orientierungen und Selbstregulierungsfähigkeiten“<br />

geleitet (vgl. SWK, 4).<br />

Für die Arbeit an Schulen in herausfordernden<br />

Lagen braucht es zudem vor allem<br />

Offenheit, Toleranz und Einfühlungsvermögen.<br />

Und (auch) mehr Lehrkräfte!<br />

Besondere Herausforderungen an<br />

Schulen in prekären Lagen<br />

An Schulen in benachteiligten Stadtteilen<br />

oder strukturschwachen Gegenden<br />

fühlen Lehrkräfte sich mitunter erst<br />

in zweiter Linie als Wissenvermittler_<br />

innen, weil sie immer mehr die Arbeit<br />

von Sozialarbeiter_innen mit übernehmen<br />

müssen. Das setzt Resilienz und<br />

Teamfähigkeit voraus.<br />

„Wir sind ein gutes Team und halten<br />

zusammen“, so Vera Hegener, Beratungslehrerin<br />

an der Schule Kroonhorst in<br />

Hamburg-Osdorf. Dies sei eine Grundvoraussetzung,<br />

um den Herausforderungen<br />

des schulischen Alltags an ihrem<br />

Standort begegnen zu können.<br />

Schulen in prekären Lagen einen oft<br />

Faktoren wie<br />

● eine sehr heterogene, multinationale<br />

und multisprachliche Schülerschaft<br />

mit unterschiedlichen kulturellen<br />

und religiösen Prägungen<br />

● prekäre familiäre Verhältnisse<br />

● kritische wirtschaftliche Verhältnisse<br />

● herausfordernde Wohnsituationen<br />

und / oder eine wenig kindgerechte<br />

(oft städtische) Umgebung<br />

● ein sehr heterogenes Leistungsspektrum<br />

● ein verhältnismäßig großer Anteil an<br />

Kindern mit besonderem Unterstützungsbedarf<br />

Bianca Neugebauer beobachtet, dass<br />

viele Kinder früh auf sich gestellt sind<br />

und Schule regelrecht zur Heimat wird.<br />

Hürden für eine gelingende Elternarbeit<br />

sehen sie und Vera Hegener z. B. in<br />

● sprachlichen Barrieren<br />

● fehlendem Interesse<br />

● fehlenden Möglichkeiten (wenn Eltern<br />

z. B. selbst keine schulische Bildung<br />

erhalten haben, beide Elternteile<br />

arbeiten, Alleinerziehende)<br />

● unterschiedlichen Erziehungsstilen<br />

und -vorstellungen<br />

● veränderten Familienstrukturen<br />

Das Unterrichten rücke immer mehr in<br />

den Hintergrund, berichtet Bianca Neugebauer,<br />

Schulleiterin der Katholischen<br />

Bonifatiusschule in Hamburg-Wilhelmsburg.<br />

Die Kolleg_innen arbeiten zunächst<br />

mit den Kindern daran, den „Kopf frei<br />

für das Lernen“ zu bekommen, Aufmerksamkeit<br />

zu trainieren und Abläufe zu festigen.<br />

Ein belastender Faktor ist der stetig<br />

zunehmende Verwaltungsaufwand,<br />

den Lehrkräfte übernehmen müssen, damit<br />

Schüler_innen z. B. an Ausflügen und<br />

Klassenfahrten teilnehmen können oder<br />

gezielt gefördert werden können. Auch<br />

die Absprachen im multiprofessionellen<br />

Team erfordern zusätzlich viel Zeit, ebenso<br />

wie Kommunikations- und Fürsorgearbeit<br />

mit den Familien. Diese Einschätzung<br />

teilt Mareike Grothmann, Lehrerin<br />

an der Albert-Schweitzer-Schule in Wedel,<br />

Schleswig-Holstein. Viele Lehrkräfte<br />

arbeiten wie sie in Teilzeit. Mit einer vollen<br />

Stelle fühlen sich etliche Lehrkräfte<br />

überfordert, guten Unterricht vorzubereiten<br />

bei den vielen Verwaltungsaufgaben.<br />

GS aktuell 168 • November 2024<br />

37


Praxis: Rundschau <strong>Beobachten</strong> – <strong>Staunen</strong> – <strong>Forschen</strong><br />

„Ich bin wirklich gerne an<br />

der Schule, weil ich mit<br />

kleinen Stellschrauben viel<br />

erreichen kann.“<br />

Mareike Grothmann<br />

Gelingensbedingungen<br />

für die Arbeit<br />

Ein afrikanisches Sprichwort sagt, es<br />

bräuchte ein ganzes Dorf, um ein Kind<br />

zu erziehen. Für Schulen in besonders<br />

herausfordernden Lagen kann<br />

man sagen, dass es einen ganzen Stadtteil<br />

braucht, um erfolgreiche Bildungsarbeit<br />

zu leisten. „Wir investieren viele<br />

Ressourcen in das soziale Lernen“,<br />

so Bianca Neugebauer. Dafür hat die<br />

Schule gezielt nach Konzepten gesucht,<br />

die sinnvoll für den Schulstandort sind.<br />

Auch an der Albert-Schweitzer-Schule<br />

greifen die Lehrkräfte auf Sozialtrainings<br />

und präventive Konzepte zurück.<br />

„Es ist gut, dass wir ein multiprofessionelles<br />

Team haben“, so Mareike Grothmann.<br />

Neben fachlichem und sozialem<br />

Lernen steht die Stärkung der Basiskompetenzen<br />

und der lebenspraktischen<br />

Kompetenzen im Vordergrund.<br />

Beispielhaft für erprobte Projekte und<br />

Maßnahmen seien genannt:<br />

● Beziehungsarbeit, z. B. gemeinsames<br />

Mittagessen<br />

● Klassenrat<br />

● Streitschlichter, Pausenengel<br />

● Prima Klima<br />

● Gewaltprävention<br />

● Gesundheitsförderung z. B. durch<br />

Förder- und Stiftungsprogramme<br />

wie Schulobst oder Brotzeit<br />

Zu den strukturellen Gelingensbedingungen<br />

zählen u. a.:<br />

● multiprofessionelles Team, Schulsozialarbeit,<br />

Sozialpädagogen<br />

● enge Zusammenarbeit mit Hort/<br />

Ganztag<br />

● klare Tagesstruktur/Rhythmisierung<br />

● Öffnung in den Sozialraum / Kooperationspartner<br />

im Umfeld<br />

Offene und niedrigschwellige Angebote<br />

für Eltern sind wichtig und hilfreich in<br />

der Arbeit mit den Familien. Elterncafé<br />

oder Stammtisch und Beratungsangebote<br />

ebnen den Weg in die Schule für<br />

Eltern, die sich nicht trauen oder Schule<br />

nicht als Ort des Miteinanders kennen.<br />

Eine gute Vernetzung im Sozialraum<br />

ist zudem wichtig. Die Schule Kroonhorst<br />

macht gute Erfahrungen damit,<br />

dass die Sozialpädagogin über ein Sozialraumteam<br />

mit anderen Kooperationspartnern<br />

im Stadtteil gut vernetzt ist.<br />

In anderen Bereichen übernehmen<br />

Sprach- und Kulturmittler_innen nicht<br />

nur die Arbeit des Dolmetschens, sondern<br />

klären auch über kulturelle Unterschiede<br />

auf und vermitteln hier, sodass<br />

Schule und Elternhäuser einander besser<br />

verstehen und das Handeln des anderen<br />

nachvollziehen können. Auch auf andere<br />

externe Kooperationspartner sind die<br />

Schulen angewiesen, um ihrer Aufgabe<br />

gerecht zu werden. Träger der Jugendhilfe<br />

können sowohl im Ganztag eingebunden<br />

sein als auch ergänzend z. B. in der<br />

Elternarbeit unterstützen. Ehrenamtlich<br />

werden die Schulen u. a. durch das Programm<br />

der Lesementoren unterstützt.<br />

Maren Barck hat bis vor Kurzem eine<br />

Grundschule in Schleswig-Holstein geleitet.<br />

Sie ist stellvertretende Referatsleitung<br />

für Schulaufsicht und schulfachliche<br />

Beratung in der Abteilung<br />

Schule und Hochschule im Erzbistum<br />

Hamburg<br />

Erfolge der Arbeit<br />

Bianca Neugebauer erklärt, was die Kolleg_innen<br />

an ihrer Schule trotz aller<br />

Schwierigkeiten zufrieden mit ihrer<br />

Arbeit macht. „Die Familien und ihre<br />

Kinder fühlen sich bei uns bzw. unseren<br />

Lehrkräften gut aufgehoben.“ So erfahren<br />

die Kolleg:innen immer wieder eine<br />

Wertschätzung ihrer Arbeit. Sie schätzt<br />

an ihrer Schule die Freiheit und Flexibilität,<br />

bedarfs- und bedürfnisgerecht<br />

arbeiten zu können. „Wenn die Kinder<br />

erfolgreich sind, indem die Basiskompetenzen<br />

erreicht werden, dann waren<br />

auch wir mit unserer Arbeit erfolgreich.“<br />

Trotz aller Belastungen bleiben<br />

viele Kolleg:innen gern und lange an der<br />

Bonifatiusschule. Nicht für alle, aber für<br />

viele Lehrkräfte gilt: „Wer kommt, der<br />

bleibt“, ergänzt Vera Hegener für die<br />

Schule Kroonhorst. „Wir sind eine bunte<br />

Schulfamilie, in dieser Vielfalt liegt<br />

unsere Stärke.“<br />

Auch Mareike Grothmann arbeitet<br />

gern an ihrer Schule. „Ich lerne viel von<br />

meinen Schülerinnen und Schülern. Die<br />

kulturelle Vielfalt lässt Nachfragen und<br />

Kommunikation entstehen, die ich oft<br />

als bereichernd empfinde, nicht nur als<br />

Religionslehrerin.“<br />

Es sind neben alltäglichen Erfolgen<br />

(funktionierende Klassengemeinschaften,<br />

situationsgerechtes Verhalten, regelmäßiger<br />

Schulbesuch) emotionale<br />

Erfolgsstorys, die in der Arbeit an ihren<br />

Schulen bestätigen. Ein Kind, das immer<br />

wieder nicht gut lernen kann, weil<br />

es Angst davor hat, dass der Aufenthaltstitel<br />

nicht verlängert wird, braucht<br />

eine zugewandte Haltung der Lehrkräfte.<br />

„Wenn Eltern sich Jahre später für<br />

die Arbeit und Unterstützung bedanken<br />

oder die Jugendlichen ihren Weg machen,<br />

dann freut mich das und betätigt<br />

mich in meiner Arbeit“, sagt Mareike<br />

Grothmann.<br />

Die Arbeit an Schulen in herausfordernden<br />

Lagen ist genau das – eine Herausforderung.<br />

Deshalb brauchen gerade<br />

diese Schulen dringend eine gute<br />

Personalausstattung / multiprofessionelle<br />

Teams (vgl. El-Mafaalani, Deutsches<br />

Schulportal), damit Bildung und Teilhabe<br />

gewährleistet werden und Arbeitsbedingungen<br />

überzeugend sind. Noch sind<br />

sie das oft nicht, weil das qualifizierte<br />

Personal fehlt.<br />

Maren Barck<br />

Literaturangaben zum Artikel<br />

können Sie von unserer Website herunterladen:<br />

https://t1p.de/GSa168Lit<br />

38<br />

GS aktuell 168 • November 2024


Praxis: <strong>Beobachten</strong> – <strong>Staunen</strong> Rundschau<br />

– <strong>Forschen</strong><br />

Rundschau<br />

Rechtsanspruch auf ganztägige Bildung und Betreuung<br />

Von der Vielfalt der Modelle, von Initiativen für eine<br />

qualitativ hochwertige Umsetzung des Ganztagsförderungsgesetzes<br />

und der Frage: Was ist guter Ganztag?<br />

Mit den nachfolgenden Überlegungen<br />

eröffnet dieser Beitrag<br />

in Grundschule aktuell eine<br />

Reihe, die sich mit dem Rechtsanspruch<br />

auf ganztägige Förderung von Grundschulkindern<br />

unter verschiedenen<br />

Gesichtspunkten befassen wird.<br />

Grundschulkinder haben ab 2026 stufenweise<br />

beginnend mit der ersten Klassenstufe<br />

einen Anspruch auf Ganztagsbildung,<br />

so haben Bundestag und Bundesrat<br />

mit dem Gesetz zur ganztägigen<br />

Förderung von Kindern im Grundschulalter<br />

(s. Link 1). Die Kultusministerkonferenz<br />

(KMK) verabschiedete dazu im<br />

Oktober 2023 Empfehlungen zur Weiterentwicklung<br />

der pädagogischen Qualität<br />

der Ganztagsschule und weiterer<br />

ganztägiger Bildungs- und Betreuungsangebote<br />

für Kinder im Grundschulalter<br />

(s. Link 2). Die Ganztagsentwicklung<br />

wird demnach in den kommenden<br />

Jahren richtig Fahrt aufnehmen müssen,<br />

die Schulen beschäftigen, aber auch die<br />

Länder und Kommunen bei der Finanzierung<br />

und Personalausstattung unter<br />

Druck setzen. 33 Verbände und Organisationen<br />

haben einen Aufruf für eine<br />

qualitativ hochwertige Umsetzung des<br />

Ganztagsförderungsgesetzes (s. Link 3)<br />

veröffentlicht, um in dem Prozess die<br />

Umsetzung von Qualitätskriterien einzufordern.<br />

Ganztägige Bildung und Betreuung<br />

werden überwiegend in Ganztagsgrundschulen<br />

angeboten, häufig in Kooperation<br />

mit der Kinder- und Jugendhilfe oder in<br />

einer Kombination von Schule und Hort.<br />

Dabei werden nicht nur unterschiedliche<br />

Modelle umgesetzt wie: gebundene, teilgebundene<br />

und offene Ganztagsschulen,<br />

es sind auch grundsätzlich drei Trägerkonstruktionen<br />

zu unterschieden:<br />

Angebote in Verantwortung der Schule<br />

… die von der KMK dann als Ganztagsschulen<br />

eingeordnet werden, wenn<br />

sie an mindestens drei Tagen in der Woche<br />

ein ganztägiges Angebot von mindestens<br />

sieben Zeitstunden inklusive<br />

Mittagessen anbieten.<br />

Angebote in Verantwortung der<br />

Kinder- und Jugendhilfe<br />

… die als eigenständige Horte geführt<br />

oder in Kindertageseinrichtungen organisiert<br />

sind, die von Schulkindern und<br />

von Kita-Kindern besucht werden.<br />

Weitere Angebote (überwiegend in<br />

westlichen Bundesländern)<br />

… die weder in der Verantwortung der<br />

Schule noch in der Verantwortung der<br />

Kinder- und Jugendhilfe liegen und in der<br />

Regel kürzere Betreuungszeiten anbieten.<br />

Damit ist ein bunter Angebotsstrauß<br />

von Betreuungsmodellen aufgelistet, der<br />

allerdings Fragen aufwirft, wenn es um<br />

Qualitätsansprüche an die Bildungsbedingungen<br />

für Kinder, an die Arbeitsbedingungen<br />

der Pädagog:innen und an<br />

die Eignung der Gebäude geht. Wie steht<br />

es zudem um Anforderungen wie Beziehungsaufbau<br />

und Kontinuität für die<br />

Kinder und deren Rechte, wenn diese<br />

gegenüber den Betreuungsbedarfen von<br />

Eltern und die Bedingungen von Anbietern<br />

bzw. die Finanzierungsmöglichkeiten<br />

zurücktreten müssen?<br />

Worum und nach wessen<br />

Bedürfnissen soll es in der<br />

Ganztagsversorgung gehen?<br />

Bekannt ist die politische Absicht, die<br />

Betreuungslücke nach der Einschulung<br />

über die Ganztagsangebote für Grundschulkinder<br />

zu schließen und eine bessere<br />

Vereinbarkeit von Familie und<br />

Beruf zu erreichen. Daraus erwächst<br />

aber gleichzeitig die gesellschaftliche<br />

Verantwortung, den Ganztagsausbau<br />

an einer hohen Angebots- und Bildungsqualität<br />

zu orientieren und seine<br />

Potenziale auf gute Bildungs- und Entwicklungschancen<br />

der Kinder auszurichten.<br />

Bekannt ist auch, wie unterschiedlich<br />

über Jahre gewachsene Konzepte der<br />

Kinderbetreuung in den Bundesländern<br />

sind, Entwicklungen, die von bildungspolitischen<br />

Vorstellungen geprägt sind,<br />

aber eben auch von der Ausgangslage<br />

hinsichtlich der Personalausstattung,<br />

Maresi Lassek, Mitglied im Vorstand<br />

der GSV-Landesgruppe Bremen<br />

der Verfügbarkeit von Gebäuden und<br />

der Verwaltungsvorgänge. Gesetzlich<br />

festgelegt ist der individuelle Rechtsanspruch<br />

eines jeden Kindes, jedoch nicht,<br />

mit welchen Angeboten dieser umgesetzt<br />

wird.<br />

Der Grundschulverband vertritt, dass<br />

trotz unterschiedlicher Ausgangslagen<br />

in der Entwicklung der Ganztagsversorgung,<br />

die gebundene Ganztagsschule das<br />

Ziel ist.<br />

Links<br />

Link 1)<br />

bmfsfj.de/bmfsfj/service/<br />

gesetze/gesetzrechtsanspruchganztagsbetreuunggrundschulen-178966)<br />

Link 2)<br />

kmk.org/fileadmin/<br />

veroeffentlichungen_<br />

beschluesse/2023/2023<br />

_10_12-Ganztag-<br />

Empfehlung.pdf<br />

Link 3)<br />

dkjs.de/gemeinsameraufruf-fuer-qualitaetim-ganztag/<br />

Link 4)<br />

grundschulverband.de/<br />

wp-content/<br />

uploads/2019/04/<br />

Standpunkt-<br />

Ganztagsschule.pdf<br />

GS aktuell 168 • November 2024<br />

39


Praxis: Rundschau <strong>Beobachten</strong> – <strong>Staunen</strong> – <strong>Forschen</strong><br />

Für den Umbau zur Ganztagseinrichtung<br />

braucht es Initiative und den Mut,<br />

Schule anders zu denken, am Standort<br />

bestehende Strukturen und Entwicklungen<br />

auszuloten, Anforderungen zu sichten,<br />

Bündnispartner zu finden. Auch<br />

zu schauen, was im Bundesland in der<br />

Kommune möglich ist, und Beispiele für<br />

Ganztagsgestaltung, politische Vorgaben<br />

und Ressourcen zu prüfen. Bei der Vielfalt<br />

der Modelle muss abgewogen werden,<br />

was für einen Standort passt und<br />

gemessen an den Bedingungen umsetzbar<br />

ist.<br />

Die Reihe zum Ganztag wird die unterschiedlichen<br />

Angebote von Ganztagsbetreuung<br />

und Ganztagsschule auf den<br />

Prüfstand stellen, die Meinungen von<br />

Verbänden und Expert:innen einbeziehen<br />

und immer wieder fragen: Was ist<br />

ein guter Ganztag?<br />

Mit diesen und weiteren Punkten wollen<br />

wir uns in der Reihe befassen, dazu<br />

Berichte einbringen und mit Ihnen diskutieren.<br />

Unterschiedliche Meinungen,<br />

wissenschaftliche Aussagen und Praxiserfahrungen<br />

sollen zu Wort kommen<br />

und politische Absichten zur Ganztagsschulentwicklung<br />

hinterfragt werden.<br />

Der Grundschulverband hat seine<br />

Positionen und Forderungen in einem<br />

Standpunkt zum Ganztag zusammengefasst:<br />

Mehr Zeit für Kinder. Das Recht<br />

auf eine qualitätsvolle ganztägige Bildung<br />

(s. Link 4).<br />

Daran müssen sich die Modelle messen<br />

lassen, die Ressourcenausstattung<br />

und die bildungspolitischen Vorgaben.<br />

Als Anliegen wird weiterhin mitschwingen:<br />

Wie kann sich eine Schule auf den<br />

Weg zum Ganztag machen, obwohl sich<br />

Startbedingungen deutlich unterscheiden?<br />

Gerne können Sie als Leser:innen Perspektiven<br />

aus Ihrem Bundesland und aus<br />

Ihrer Praxiserfahrung einbringen, bitte<br />

lassen Sie die Redaktion davon wissen.<br />

Maresi Lassek<br />

Wir brauchen eine humane Schule<br />

Gerald Klenk im Gespräch mit Tim Wiegelmann<br />

Tim Wiegelmann ist Schüler, Autor und<br />

hat eine körperliche Behinderung; er<br />

erläutert seine Gedanken und Erfahrungen<br />

in seiner Schullaufbahn.<br />

Gerald Klenk: Hallo Tim! Du nennst<br />

dich Bildungsrebell, bist aber auch<br />

Botschafter für humane Bildung. Was<br />

bedeutet das für Dich?<br />

Tim Wiegelmann: Bildungsrebell bedeutet<br />

für mich, dass unser Schulsystem<br />

nicht die erforderlichen Voraussetzungen<br />

erfüllt, die es braucht, um Bürger:innen<br />

für eine demokratische Gesellschaft<br />

zu bilden. Schule trennt in Gewinner<br />

und Verlierer, dagegen wende ich mich.<br />

Gleichzeitig will ich auch ausdrücken,<br />

wofür ich bin: für eine humane Schule.<br />

GK: Deine Schullaufbahn war ja sehr<br />

kurvenreich.<br />

TW: Ich war ja mein Leben lang an Förderschulen<br />

und ich bin es auch jetzt<br />

noch. Meine Eltern haben versucht,<br />

mich aus dem darwinistischen Leistungskampf<br />

der Regelschule rauszuhalten.<br />

Sie hatten die Humanität eher an<br />

den Förderschulen gesehen. Leider war<br />

es mir in diesen Strukturen nur möglich,<br />

einen Hauptschulabschluss zu<br />

machen. Und damit zähle ich zu den<br />

bildungsfernen Menschen. Ich frage<br />

mich, was gewesen wäre, wenn mir die<br />

Welt ganz grundsätzlich offengestanden<br />

hätte, wenn ich mit Menschen hätte in<br />

Kontakt treten können, die in den Feldern<br />

drin sind, die mich interessieren.<br />

Und da spielt das Ganze, ob Behinderung<br />

oder nicht, gar keine Rolle, weil<br />

ich mich nicht in einer fiktiven Schule,<br />

in einem fiktiven Gebäude bewege, sondern<br />

ich lerne im Leben.<br />

Natürlich könnte ich Abitur machen,<br />

was ich auch versuchen werde, aber ich<br />

sehe es nicht ein, dass ich mich erst in<br />

die Gesellschaft hineinkämpfen muss.<br />

Die Aufgabe der Schule ist es eigentlich,<br />

ein grundlegendes Gefühl zu vermitteln:<br />

Wir finden euch alle super, wir brauchen<br />

genau dich in dieser Gesellschaft. Denn<br />

wenn wir dich verlieren, haben wir einen<br />

Pool an neuen Ideen verloren, die du potenziell<br />

in die Welt bringen könntest.<br />

GK: Was war in deiner bisherigen<br />

Schullaufbahn das schönste Erlebnis?<br />

TW: Ich würde das nicht auf ein Erlebnis<br />

eingrenzen, sondern allgemein sagen,<br />

dass ich das Glück hatte, dass ganz viele<br />

Lehrpersonen eigentlich das total anerkannt<br />

haben, was ich mache, und das<br />

auch immer noch tun und mich da sogar<br />

unterstützen. Sie suchen Möglichkeiten,<br />

wie ich in der Schule wirksam werden<br />

kann, stellen mich für Fortbildungslehrgänge<br />

frei und andere Sachen.<br />

Tim Wiegelmann (links),<br />

„Ich bin Tim, 20 Jahre alt. Aufgrund<br />

meiner Körperbehinderung konnte<br />

ich noch mal aus einer ganz anderen<br />

Perspektive erleben, was es bedeutet,<br />

in einem System zu sein, in dem die<br />

meisten Schüler:innen die Erfahrung<br />

machen, dass sie als Person nicht zählen.<br />

Doch vor allen Dingen wurde mir<br />

klar, dass „behindert sein“ oft nur „behindert<br />

werden“ ist. Deswegen möchte<br />

ich nun nicht mehr leise sein!“<br />

Dr. Gerald Klenk,<br />

„Weil ich als Volksschullehrer das<br />

bayerische Bildungssystem bis in die<br />

Schulaufsicht durchlaufen habe, zwischendurch<br />

auch die wissenschaftliche<br />

Seite kennen lernen durfte, ist es mir<br />

ein Herzensanliegen, mich auch noch<br />

jetzt im Ruhestand für ein gerechtes,<br />

inklusives, solidarisches, demokratisches<br />

und nachhaltiges Schulwesen<br />

einzusetzen.“<br />

40<br />

GS aktuell 168 • November 2024


Praxis: <strong>Beobachten</strong> – <strong>Staunen</strong> Rundschau<br />

– <strong>Forschen</strong><br />

Rundschau<br />

Diese Lehrer:innen haben erkannt,<br />

dass das, was sie machen, nämlich den<br />

Stoff vermitteln zu müssen, ihre Aufgabe<br />

ist, dass es aber da eine Ebene drüber<br />

gibt. Sie haben von sich selbst geglaubt,<br />

ich kann noch etwas Wichtigeres vermitteln<br />

als den Stoff. Das heißt, sie waren<br />

auch von sich selbst überzeugt. Es war<br />

auch nicht nur die alte Objektdidaktik<br />

von „ich vermittle etwas“, sondern ich<br />

lerne auch etwas von den Schülern. So<br />

entsteht ein wechselseitiger Prozess.<br />

GK: Worin bestehen die Hauptprobleme<br />

unseres Schulsystems aus deiner Sicht?<br />

TW: Wir gestalten den Unterricht als<br />

Monolog. Das kann in der Form nicht<br />

funktionieren. Und dann erleben ja<br />

besonders Kinder am Ende der Grundschule,<br />

dass der Freund aufs Gymnasium<br />

kann und sie selber nicht. Was soll<br />

da anderes entstehen als Konkurrenzkampf?<br />

Man muss sich das ja so vorstellen,<br />

Gymnasium, Hauptschule, Realschule,<br />

das sind ja für so ein Grundschulkind<br />

in der 4. Klasse inhaltsleere<br />

Begriffe. Die werden ja nur aufgeladen.<br />

Sie lernen also irgendwie schon, es gibt<br />

angeblich drei Intelligenzstufen.<br />

Mit der Selektion nach der 4. Klasse<br />

ist großes Leid verbunden. Schüler:innen<br />

erfahren, dass manche anscheinend<br />

mehr wert sind als andere, manchen gelingt<br />

der „Aufstieg“, manchen nicht. Damit<br />

wird Schule dem Leitbild, das wir<br />

uns als demokratische Gesellschaft gegeben<br />

haben, nicht gerecht.<br />

GK: Du hast sicher auch einige Ideen,<br />

wie sich Schule verändern müsste.<br />

TW: Schule sollte immer davon ausgehen,<br />

dass Kinder lernen wollen. Wenn<br />

ein Kind nicht mitmacht, kann das viele<br />

Ursachen haben. Mit dem Titel meines<br />

Buches habe ich das ausdrücken wollen:<br />

„Ich weiß, dass du nur Gutes willst.“<br />

Wenn man die Perspektive hat: ich weiß,<br />

dass du nur Gutes willst und ich weiß,<br />

dass du Eigenmotivation hast, dann<br />

ergibt sich ja auch, dass man Demotivation<br />

nie als etwas Grundlegendes oder<br />

gar als grundlegend negativen Charakterzug<br />

interpretieren darf, vielmehr liegt<br />

ein Störgefühl vor.<br />

Außerdem braucht Schule eine andere<br />

Prüfungskultur. Wenn Testen schon notwendig<br />

ist, dann sollte man so viel wie<br />

möglich auf alternative Prüfungsformate<br />

setzen. Ein solches Format kann auch<br />

darin bestehen, wie man eine Aufgabe<br />

zu zweit oder zu dritt löst. Und dann<br />

kann man das trotzdem bewerten.<br />

Das vollständige Interview<br />

können Sie auf unserer<br />

Homepage https://<br />

lernwirkstattinklusion-nl.de/<br />

programm/<br />

vortraege-gespraeche/<br />

hören und sehen<br />

Abschließend: Eine radikale Idee lautet,<br />

dass wir es hinkriegen müssen, dass<br />

Kinder und Jugendliche, völlig egal, ob<br />

behindert oder nicht behindert, in der<br />

Welt lernen können, in der Welt mit<br />

Menschen in Kontakt kommen können,<br />

die das tun, was sie gerade bewegt. Und<br />

nicht mehr für das Leben lernen müssen,<br />

sondern im Leben lernen können.<br />

Die Bildungslandschaften in diesem<br />

Sinne zu organisieren, ist ein irrsinniger<br />

Aufwand. Da muss man komplett anders<br />

denken. Wenn die Schule so ist, wie ich<br />

sie mir wünschen würde, hat sie auch<br />

eine gesellschaftliche Integrationsfunktion,<br />

die ich ganz wichtig finde.<br />

GK: Lieber Tim, ich danke dir ganz<br />

herzlich für deine Gedanken.<br />

Werden Sie Mitglied im Grundschulverband!<br />

Nutzen Sie den vergünstigten Beitrag<br />

für LAA, Studierende, Doktorand:innen<br />

Für Ihren Jahresbeitrag erwerben Sie ein vielseitiges<br />

und praxisbewährtes Informationsangebot und engagieren<br />

sich für die Grundschule und ihre Kinder.<br />

Wählen Sie zwischen 4 verschiedenen Angeboten:<br />

●<br />

●<br />

●<br />

●<br />

Premium (4 x Grundschule aktuell und 2 Bücher)<br />

39 Euro (LAA, Studierende, Doktorand:innen)<br />

Aktiv (4 x Grundschule aktuell)<br />

25 Euro (LAA, Studierende, Doktorand:innen)<br />

Unterstützer:in (ohne Publikationen)<br />

10 Euro (LAA, Studierende, Doktorand:innen)<br />

Kennenlernmitgliedschaft<br />

(für 1 Kalenderjahr inkl. Zeitschriften und Bücher)<br />

25 Euro (LAA, Studierende, Doktorand:innen)<br />

Unsere Stimme wird umso mehr gehört,<br />

je mehr Mitglieder wir haben.<br />

Bringen Sie sich aktiv ein!<br />

Die Landesgruppen sind für jede<br />

Unterstützung dankbar.<br />

Nehmen Sie gerne Kontakt auf.<br />

Wir freuen uns auf Sie!<br />

GS aktuell 168 • November 2024<br />

41


Praxis: Rundschau <strong>Beobachten</strong> – <strong>Staunen</strong> – <strong>Forschen</strong><br />

Kooperationspartner des Grundschulverbandes<br />

Der Verband Sonderpädagogik e. V. (vds)<br />

Der Verband Sonderpädagogik<br />

e. V. (vds) besteht nun bereits<br />

seit 1898 und ist in diesen Jahren<br />

durch zahlreiche Höhen und Tiefen<br />

gegangen. Er bemüht sich stets um<br />

geschichtliche Aufarbeitung und Auseinandersetzung<br />

mit seiner Historie.<br />

Der vds hat ca. 7000 Mitglieder und<br />

gliedert sich in 16 Landesverbände mit<br />

selbstständigen Strukturen sowie den<br />

Bundesverband. Die Arbeit des Verbands<br />

beinhaltet alle Aspekte der pädagogischen<br />

Unterstützung von Menschen,<br />

die in ihrer Bildungsteilhabe eingeschränkt<br />

sind, und basiert auf einem<br />

weiten Inklusionsbegriff im Einklang<br />

mit der UN-Behindertenrechts- sowie<br />

der UN-Kinderrechtskonvention und<br />

dem Artikel 3 des Grundgesetzes.<br />

Die Mitglieder des vds kommen aus<br />

unterschiedlichen (sonder- und sozial-)<br />

pädagogischen Berufsgruppen und haben<br />

vielfältige praktischen Erfahrungen<br />

in der Arbeit mit behinderten bzw. benachteiligten<br />

Kindern, Jugendlichen und<br />

jungen Erwachsenen auf allen Ebenen<br />

des Bildungssystems.<br />

Der vds ist Herausgeber einer der europaweit<br />

auflagenstärksten, monatlich<br />

erscheinenden Fachpublikation, der<br />

Zeitschrift für Heilpädagogik (ZfH), geführt<br />

im European Index for the Humanities.<br />

Jedes Jahr werden mehrere bundesweite<br />

Fachkongresse sowie alle drei Jahre<br />

der Sonderpädagogische Kongress zu<br />

wichtigen Themen der Teilhabesicherung<br />

veranstaltet. Der nächste Sonderpädagogische<br />

Kongress findet 2025 in<br />

Osnabrück statt und wird sich mit aktu-<br />

Angela Ehlers,<br />

seit 2015 Bundesvorsitzende des<br />

Verbands Sonderpädagogik (vds)<br />

ellen Fragen und Stärkungsmöglichkeiten<br />

von Vielfalt, Toleranz und Demokratie<br />

befassen.<br />

Außerdem bietet der vds über seine<br />

eigene Bildungsakademie ein umfangreiches<br />

und stark nachgefragtes Fortbildungsangebot<br />

für sich immer<br />

weiter inklusiv entwickelnde<br />

Bildungseinrichtungen<br />

an. Das Oberthema<br />

der Angebote lautet kurz<br />

zusammengefasst: Was<br />

benötigt eine inklusive<br />

Bildungseinrichtung und<br />

welche Unterstützung brauchen die Mitglieder<br />

der multiprofessionellen Teams,<br />

um erfolgreich arbeiten zu können? Die<br />

Angebote wenden sich z. B. an Schulleitungen<br />

aller Schulformen, die sich mit<br />

ihrem Kollegium auf die inklusive Entwicklungs-<br />

und Forschungsreise begeben<br />

und moderne Strukturen schaffen<br />

wollen, ebenso wie an Lehr- und Fachkräfte<br />

aller (sonder- und sozial-)pädagogischen<br />

und therapeutischen Berufsfelder.<br />

Der vds setzt hierbei auf das Motto:<br />

Wissen schafft Haltung, noch mehr Wissen<br />

schafft noch mehr inklusive Haltung.<br />

Dazu gehört selbstverständlich eine mit<br />

Schülerinnen und Schülern aller Altersgruppen<br />

ebenso wie mit Eltern auf Augenhöhe<br />

angelegte Kommunikation.<br />

Seit vielen Jahren ist der vds um den<br />

Austausch mit dem wissenschaftlichen<br />

Nachwuchs bemüht und bietet jungen<br />

Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern<br />

regelmäßig Plattformen. Über den<br />

vds findet auf Landes- und Bundesebene<br />

eine enge Vernetzung und ein Austausch<br />

auf Augenhöhe mit kompetenten Kooperationspartnerinnen<br />

und Kooperationspartnern<br />

wie z. B. mit dem Grundschulverband<br />

e. V. statt.<br />

Über diese vielfältige Vernetzungsarbeit<br />

auf allen Handlungsebenen kann<br />

jede und jeder an der Durchsetzung bildungspolitischer<br />

Vorhaben im Interesse<br />

der Kinder, Jugendlichen und jungen Erwachsenen<br />

mit besonderen Teilhabebedarfen,<br />

die sonst kaum eine Lobby haben,<br />

mitwirken und damit die Perspektiven<br />

von Kindern, Jugendlichen, jungen<br />

Erwachsenen, Eltern, Jugendhilfe, weiteren<br />

Unterstützungssystemen und Schule<br />

in den Mittelpunkt rücken.<br />

Der Grundschulverband e. V. und<br />

der Verband Sonderpädagogik e. V. haben<br />

gemeinsam das Konzept für einen<br />

Bildungsdialog für Deutschland mitgezeichnet<br />

und unterstützen damit<br />

ein starkes Netzwerk mit<br />

anderen mitzeichnenden Verbänden<br />

und Organisationen,<br />

um einen bildungs- und sozialpolitischen<br />

Entwicklungsprozess<br />

für Deutschland in<br />

Gang zu setzen und als starke<br />

zivilgesellschaftliche Aktion zu verankern.<br />

Es geht dabei darum, gemeinsam die<br />

drängenden Herausforderungen des Bildungssystems<br />

in Deutschland im Interesse<br />

aller jungen Menschen zu bewältigen.<br />

Nur eine enge und ehrliche Zusammenarbeit<br />

auf der Ebene der Kommunen,<br />

der Länder untereinander sowie<br />

mit der Bundesebene unter enger und<br />

intensiver Zusammenarbeit mit der Zivilgesellschaft,<br />

der Bildungspraxis und<br />

den Bildungs- und Sozialwissenschaften<br />

mit jungen Menschen, die sich aktuell<br />

im Bildungssystem befinden, ermöglicht<br />

dringend notwendige und langfristige<br />

Lösungen für das Bildungssystem<br />

in Deutschland auf der Basis der UN-<br />

Behindertenrechtskonvention und des<br />

Grundgesetzes. Die aktuellen Herausforderungen<br />

der ungleichen Bildungschancen<br />

und der gefährdeten Demokratie<br />

können nur gemeinsam bewältigt<br />

werden – danach streben Grundschulverband<br />

und Verband Sonderpädagogik<br />

gemeinsam im Sinne von No child left<br />

behind.<br />

Angela Ehlers<br />

42<br />

GS aktuell 168 • November 2024


Praxis: <strong>Beobachten</strong> – <strong>Staunen</strong> Rundschau<br />

– <strong>Forschen</strong><br />

Rundschau<br />

Nachruf auf Peter Heyer<br />

Am 12. Oktober 2024 ist unser<br />

langjähriger Fachreferent Peter<br />

Heyer gestorben. Wir, die ihn<br />

viele Jahrzehnte in seinem Engagement<br />

als Grundschulpädagogen erlebten,<br />

haben ihn als unermüdlich schreibenden,<br />

redenden, ermutigenden, konstruktiv-kritischen,<br />

konsequenten Pädagogen<br />

und Streiter für eine gute Grundschule<br />

für ALLE Kinder geschätzt. Er<br />

hat seine vielfältigen Ideen und Konzepte<br />

sowohl in praktischen Unterrichtsmaterialien<br />

umgesetzt – z. B. dem damals<br />

(1968) völlig neuartigen materialreichen<br />

„PZ-Leselehrgang“ im Stil eines offenen<br />

Curriculums für den Anfangsunterricht<br />

– als auch in unzähligen didaktischen<br />

und bildungspolitischen Büchern und<br />

Zeitschriftenaufsätzen dargelegt. Und<br />

keine schulpolitische Veranstaltung in<br />

(West-)Berlin, jahrzehntelang, auf der<br />

nicht Peter Heyer vortrug oder diskutierte.<br />

Vor allem für die Grundschule,<br />

aber auch darüber hinaus für das längere<br />

gemeinsame Lernen in einer Schule<br />

für ALLE.<br />

Dabei war er in diesem Engagement<br />

keineswegs ein Lieblingskind der Berliner<br />

Senatsschulverwaltung und für die<br />

in (West-)Berlin dominierenden Parteien<br />

SPD und CDU. Er kämpfte ja für ein<br />

Schulwesen ohne Auslese, also gegen das<br />

traditionelle, gegliederte Schulsystem.<br />

Zudem war er wesentlich an der Konzeption<br />

der ersten „integrativen“ Berliner<br />

Grundschule beteiligt, in der in allen<br />

Klassen Kinder mit und ohne Behinderung<br />

gemeinsam lernten, differenziert,<br />

ohne Zensurendruck, aber mit verbalen<br />

Lernentwicklungsbeschreibungen. Auch<br />

dieses inklusive Modell der Uckermark-<br />

Grundschule widersprach ganz der herrschenden<br />

Schulpolitik. Dennoch wurde<br />

es in langen Auseinandersetzungen mit<br />

der Senatsschulverwaltung und der damaligen<br />

Senatorin Laurien (CDU) von<br />

engagierten Pädagog:innen und Eltern<br />

durchgesetzt und Peter Heyer gehörte<br />

zum Team der pädagogisch-wissenschaftlichen<br />

Begleitung dieses 1982 startenden<br />

Schulversuchs.<br />

Zehn Jahre später war Peter Heyer<br />

Mitherausgeber und Mitautor des GSV-<br />

Sonderbandes 1988/89 der Reihe „Beiträge<br />

zur Reform der Grundschule“ mit<br />

einer Bilanzierung von „Zehn Jahren<br />

wohnortnaher Integration“ in der Uckermark-Grundschule.<br />

Peter Heyer war ein<br />

wesentlicher Impulsgeber<br />

der Inklusionsbewegung.<br />

Zu dem integrativen<br />

Schulkonzept gehört<br />

das längere gemeinsame<br />

Lernen, also die<br />

Fortsetzung des gemeinsamen,<br />

integrativen<br />

Lernens nach der<br />

Grundschulzeit in der<br />

Sekundarstufe bis Klasse<br />

10 bzw. bis zum Abitur.<br />

Peter Heyer war<br />

Mitinitiator der Bewegung<br />

„Länger gemeinsam<br />

lernen“ um die<br />

Jahrtausendwende, in der Grundschulverband,<br />

Gesamtschulverband (GGG)<br />

und Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft<br />

(GEW) für diese Vision zusammenarbeiteten.<br />

In Berlin wurde diese<br />

Vision ab 2008 im Pilotprojekt Gemeinschaftsschule<br />

realisiert. Inzwischen<br />

hat Berlin mehr als 20 Gemeinschaftsschulen,<br />

übernachgefragt und bereits<br />

mit Preisen ausgezeichnet.<br />

Seine pädagogische Arbeit, die Peter<br />

Heyer im Rahmen seiner beruflichen<br />

Arbeit im damaligen Westberliner Fortbildungsinstitut<br />

Pädagogisches Zentrum<br />

(PZ), als Referent und später wissenschaftlicher<br />

Direktor entwickelte, verknüpfte<br />

er auch mit gewerkschaftlichem<br />

Engagement in der GEW, war in den besonders<br />

aufregenden 80er-Jahren zeitweilig<br />

zuständig für das Bildungsreferat<br />

in der Berliner GEW, engagierte sich gegen<br />

die damals die Schulwelt bundesweit<br />

bewegenden „Unvereinbarkeitsbeschlüsse“<br />

(Rausschmiss von K-Gruppen-Mitgliedern<br />

aus GEW und DGB und folgenden<br />

Berufsverboten für Lehrkräfte). Peter<br />

Heyer inspirierte die Pädagog:innen<br />

Peter Heyer (1931 – 2024)<br />

nicht nur pädagogisch, er verteidigte sie<br />

auch in ihrer Reformarbeit in den Schulen<br />

gegenüber mancher misstrauischen<br />

Schulaufsicht.<br />

Aber Peter Heyers „ältestes Kind“<br />

war wohl der Grundschulverband. Vom<br />

Gründungsbeginn 1969 des „Arbeitskreises<br />

Grundschule“<br />

an hat er mitgewirkt,<br />

hat die Berliner Landesgruppe<br />

aufgebaut<br />

und war dort bis 2018,<br />

lange als Vorstand,<br />

höchst aktiv. Nicht<br />

nur in Berlin, auch auf<br />

Bundesebene als Delegierter<br />

Berlins und<br />

von 1999 bis 2008 als<br />

Fachreferent für Integration<br />

/ Inklusion und<br />

längeres gemeinsames<br />

Lernen. Der erste GSV-<br />

Standpunkt zu diesem<br />

Bereich stammt aus Peter<br />

Heyers Feder.<br />

Und was in allen unseren GSV-Treffen<br />

auffiel – im Bund oder in Berlin: Peter<br />

Heyer war IMMER vorbereitet, hatte<br />

alle Papiere gelesen, konnte die Pros<br />

und Kontras zu jedem Thema darstellen<br />

und kommentieren, immer sachlich und<br />

differenzierend, aufmerksam und wertschätzend<br />

beim Reden wie beim Zuhören<br />

– und oft zog er dann dezent einen<br />

schriftlichen Positionsentwurf aus der<br />

Tasche. „Nur mal ein Vorschlag …“ Selten,<br />

dass an diesen Vorschlägen noch<br />

viel verändert wurde!<br />

Peter Heyer war wirklich ein ungewöhnlicher<br />

Mensch, für viele von uns<br />

Orientierung und Vorbild.<br />

2000 erhielt Peter Heyer den Verdienstorden<br />

der Bundesrepublik Deutschland,<br />

und 2010 wurde ihm die Ehrenmitgliedschaft<br />

des GSV verliehen.<br />

Wir haben einen großen Pädagogen verloren,<br />

an den wir in hoher Wertschätzung<br />

und mit Dank erinnern. Er hat nicht nur<br />

seiner Zeit, sondern auch folgenden jüngeren<br />

Generationen den Weg markiert.<br />

Ulla Widmer-Rockstroh<br />

(für viele aus dem<br />

Grundschulverband)<br />

GS aktuell 168 • November 2024<br />

43


Praxis: aktuell <strong>Beobachten</strong> … aus den Landesgruppen<br />

– <strong>Staunen</strong> – <strong>Forschen</strong><br />

Baden-Württemberg<br />

Vorsitzender: Edgar Bohn<br />

edgar.bohn@gsv-bw.de, https://gsv-bw.de<br />

Ein heißer Herbst für die<br />

Landesgruppe steht bevor:<br />

Am 19. Oktober 2024 fand<br />

unser Grundschultag statt.<br />

Mit Sabine Ostertag ist es<br />

uns gelungen, eine hochkompetente<br />

Referentin und<br />

Fortbildnerin zu gewinnen.<br />

Gemeinsam mit der GEW<br />

Fachgruppe Grundschule<br />

gingen wir der Frage nach:<br />

„Was, wenn die gängigen<br />

Wenn-Dann-Muster in<br />

herausfordernden Unterrichtssituationen<br />

nicht mehr<br />

greifen?“ In einem Wechsel<br />

von Input, Übungen, Reflexionsschleifen<br />

und Videoclips<br />

erfuhren die Teilnehmenden<br />

Alternativen zu Wenn-Dann-<br />

Mustern, basierend auf dem<br />

Konzept der systemischen<br />

Autorität.<br />

Im Anschluss fand die turnusgemäße<br />

Mitgliederversammlung<br />

mit Neuwahlen statt.<br />

Der Vorstand gab Einblick in<br />

seine vielfältigen Aktivitäten<br />

und hatte dabei Beachtliches<br />

zu berichten. Und schließlich<br />

wurde der Vorstand komplett<br />

neu gewählt.<br />

Am 8. November gingen wir<br />

gemeinsam mit dem Landesverband<br />

Theater an Schulen<br />

in BW der Bedeutung des<br />

Theaterspiels auch und<br />

gerade in der Grundschule<br />

im Sinne unserer Allseitigen<br />

Bildung auf den Grund.<br />

Am 20. November führen<br />

wir unser traditionelles<br />

Online-Gespräch mit den<br />

bildungspolitischen Sprechern<br />

und Sprecherinnen<br />

der Landtagsfraktionen zu<br />

aktuellen Entwicklungen im<br />

Grundschulbereich in BW<br />

durch.<br />

Und darauf freuen wir uns<br />

besonders: Am<br />

21. November findet<br />

– ebenfalls online – der<br />

erste gemeinsame TALK<br />

im SÜDWESTEN unserer<br />

Landesgruppe zusammen<br />

mit den Landesgruppen aus<br />

Hessen und Rheinland-Pfalz<br />

statt. Thema: „Ich sehe nie<br />

die Sonne!“ – Ermahnungssyteme<br />

aus kinderrechtlicher<br />

Sicht. Martina Hehn-Oldiges<br />

wird dazu einen Input geben.<br />

(siehe auch GSaktuell 159)<br />

Nähere Infos finden sich zu<br />

allen genannten Veranstaltungen<br />

auf www.gsv-bw.de<br />

Für die Landesgruppe:<br />

Edgar Bohn<br />

Bayern<br />

Vorsitzende: Gabriele Klenk, Konstanze von Unold<br />

https://grundschulverband-bayern.de<br />

Präsenzsitzung des neuen<br />

Landesgruppenvorstands<br />

und Treffen am<br />

Kultusministerium<br />

Zu Beginn der Sommerferien<br />

trafen wir uns in den<br />

Räumen der Lernwirkstatt<br />

Inklusion in Feucht. Auf der<br />

Tagesordnung stand u.a. der<br />

Grundschultag am 23.11.24<br />

in Pullach. Außerdem formulierten<br />

wir die Schwerpunkte<br />

unserer Landesgruppenarbeit<br />

für die kommenden Jahre für<br />

die Bereiche Bildungspolitik,<br />

Mitgliedergewinnung und<br />

-erhaltung sowie Unterstützungsmaßnahmen<br />

für die<br />

Grundschule.<br />

Am 03.09.24 fand ein Treffen<br />

mit Frau Schwab (Abteilungsleiterin<br />

am KM) und Frau<br />

Wilhelm (Grundschulreferentin<br />

am KM) statt. In einem<br />

sehr konstruktiven Gespräch<br />

wurde insbesondere über die<br />

Umsetzung des Rechtsanspruchs<br />

auf Ganztagsbetreuung<br />

von Grundschulkindern<br />

diskutiert. Demokratieerziehung<br />

und der Schulversuch<br />

MIT sowie die künftigen<br />

Sprachstandserhebungen<br />

von Vorschulkindern wurden<br />

ebenfalls thematisiert. Wir<br />

sind sehr dankbar, dass die<br />

fachliche Expertise und die<br />

Praxiserfahrungen im Grundschulverband<br />

regelmäßig im<br />

Kultusministerium gehört<br />

werden und wir unsere<br />

Anliegen und Forderungen<br />

einbringen können.<br />

Modellversuch einer Schule<br />

für alle vom Kultusministerium<br />

abgelehnt<br />

Die unter der Leitung von<br />

Dr. Michael Kirch geplante<br />

Modellschule für München,<br />

eine Schule für alle, wird<br />

es vorerst nicht geben. Das<br />

bayerische Kultusministerium<br />

hat den Antrag für einen<br />

Schulversuch abgelehnt. Wir<br />

bedauern es sehr, dass die<br />

Chance nicht ergriffen wurde,<br />

neue Wege im bayerischen<br />

Bildungssystem hin zu mehr<br />

Bildungsgerechtigkeit einzuschlagen:<br />

Eine Schule für<br />

alle Kinder, ohne Noten, dafür<br />

mit alternativen Formen der<br />

Leistungsbeurteilung. Es wäre<br />

endlich an der Zeit!<br />

Für die Landesgruppe<br />

Kathrin Ettner<br />

44<br />

GS aktuell 168 • November 2024


aktuell … aus den Landesgruppen<br />

Berlin<br />

Kontakt: Ines Garlisch, Sabine Jennerjahn, Agnieszka von Prondzinski, vorstand@gsv-berlin.de<br />

Schulpolitik in Berlin<br />

Dank der Sommerferien ist<br />

bis zum Redaktionsschluss<br />

am 27. September in Berlin<br />

noch nicht viel Schulisches<br />

geschehen – außer einem<br />

unendlichen Streit über die<br />

völlig misslungene Neuorganisation<br />

des Schulessens.<br />

Neue Auswahl- und Vertragsanforderungen<br />

für die Caterer<br />

im Schuljahr 2024/25 führten<br />

zu solcher Fehlauswahl, dass<br />

viele Schulen das Essen zu<br />

spät oder kalt oder gar nicht<br />

erhielten. Welch verrückte<br />

Kraftverschwendungen beim<br />

Start ins neue Schuljahr!<br />

Die Einführung von Vergleichsarbeiten<br />

in Deutsch<br />

und Mathematik in den<br />

5. und 6. Klassen für die „Auslese“<br />

in die weiterführenden<br />

Schulen (in Berlin ab Kl. 7)<br />

bereitet jetzt schon Unruhe in<br />

den Schulen. Die Grundschulen<br />

sind gezwungen, solche<br />

Arbeiten zu konzipieren, um<br />

die vorgesehene Änderung<br />

der Übergangsregeln für die<br />

weiterführenden Schulen<br />

umzusetzen (alleinige Berücksichtigung<br />

der Noten für D,<br />

Ma und 1. Fremdsprache).<br />

Die Parteien streiten sich<br />

gerade über Änderungen, die<br />

unsere Schulsenatorin (CDU)<br />

im Bereich Politische Bildung<br />

einführen will; sie fürchten<br />

eine einschränkende Kontrolle<br />

durch die bzw. der Landeszentrale<br />

für Politische Bildung.<br />

59 Schulen (davon 60 %<br />

Grundschulen) erhalten in<br />

diesem Schuljahr insges. 46<br />

Mio. € im Rahmen des Startchancenprogramms.<br />

Es sollen<br />

insges. 160 Schulen werden<br />

und insges. 460 Mio. € zur<br />

Verfügung stehen.<br />

GSV<br />

Am 30. September findet<br />

unser Herbstfest statt und<br />

wir werden davon in der<br />

nächsten Aktuell-Ausgabe<br />

berichten.<br />

Ebenso werden wir über<br />

unsere nun für den<br />

21. November angesetzte<br />

Veranstaltung „Gelebte<br />

Mehrsprachigkeit im Klassenzimmer“<br />

(am Beispiel einer<br />

Berliner Grundschule) berichten.<br />

Sie gilt als regionale<br />

Fortbildung.<br />

Wir laufen uns warm!<br />

Ines Garlisch,<br />

Ulla Widmer-Rockstroh<br />

Bremen<br />

Vorstandssprecher: Chris Barnick, chris.barnick@grundschulverbandbremen.de<br />

www.grundschulverband-bremen.de<br />

Wie jedes Jahr bietet die<br />

Landesgruppe auch in diesem<br />

Herbst eine öffentliche<br />

Vortragsveranstaltung an,<br />

und zwar am Donnerstag, den<br />

7.11.2024, 17:30 – 19:30 h, im<br />

Forum des Landesinstituts<br />

für Schule (Weidedamm). Es<br />

geht um das hoch aktuelle<br />

Thema „Kinder. Zukunft. BNE.<br />

Was hat die Grundschule<br />

damit zu tun?“ Nach einem<br />

kurzen Einstieg in die Idee<br />

hinter dem Konzept „Bildung<br />

für nachhaltige Entwicklung“<br />

möchte Ulrike Oltmanns mit<br />

ihrer Kollegin Rachel Rentz<br />

aus dem Projekt Eine Welt in<br />

der Schule heraus mit den<br />

Teilnehmer:innen anhand ausgewählter<br />

Materialien über<br />

Anknüpfungspunkte und<br />

mögliche Herausforderungen<br />

bei der Umsetzung von BNE<br />

ins Gespräch kommen. Dazu<br />

bringen sie Materialien zu den<br />

Kinderrechten aus dem Projekt<br />

KINDER:RECHTE:SCHULE<br />

mit, die Handreichung zu den<br />

17 Nachhaltigkeitszielen samt<br />

Materialien für die Umsetzung<br />

sowie Materialkisten, die mit<br />

konkreten Themen wie z.B. Regenwald<br />

und Kleidung einen<br />

Zugang zu BNE bieten. Sie<br />

freuen sich auf einen regen<br />

gemeinsamen Austausch.<br />

Am Donnerstag, den<br />

21.11.2024, findet dann die<br />

diesjährige Mitgliederversammlung<br />

der Landesgruppe<br />

statt – und zwar von 17:30<br />

-19:30 h im Raum A-1110<br />

des GW2 der Universität<br />

(ISSU-Labor und Lese- und<br />

Schreibwerkstatt). Diese ist<br />

öffentlich, und wir freuen<br />

uns auf Kolleg:innen aus den<br />

Schulen, aus dem LIS und der<br />

Uni, die sich wie wir für eine<br />

Verbesserung der Bedingungen<br />

in den Bremer Grundschulen<br />

einsetzen. Inhaltlich<br />

wird uns dieses Mal vor allem<br />

der Umgang mit den digitalen<br />

Medien beschäftigen. Wer<br />

Interesse an einer Teilnahme<br />

an der Mitgliederversammlung<br />

hat, melde sich bitte an<br />

bei chris.barnick@grundschulverbandbremen.de<br />

.<br />

Für den Vorstand: Chris Barnick<br />

Saarland<br />

Sonja Köhler, Landesgruppenvorsitzende,<br />

sonja.koehler@grundschulverband.saarland; www.grundschulverband.saarland<br />

Vom 29.09. – 02.10.24 fand<br />

die Jahrestagung der DGfE-<br />

Kommission Grundschulforschung<br />

der Primarstufe<br />

mit vorgeschalteter PriQua-<br />

Tagung für Nachwuchswissenschaftlicher:innen<br />

an der<br />

Universität des Saarlandes<br />

statt. Im Rahmenprogramm<br />

war die Landesgruppe mit<br />

einem Infostand vertreten<br />

und konnte mit Personen<br />

aus Forschung, Theorie und<br />

Praxis ins Gespräch kommen.<br />

„Ins Gespräch kommen“<br />

lautete auch das Motto des<br />

traditionellen Lunchtalks<br />

des Grundschulverbandes<br />

während der Tagung. Bei<br />

einem gemeinsamen Mittagessen<br />

konnten wir uns mit<br />

anderen Mitgliedern über<br />

die Bundesländergrenzen<br />

hinaus vernetzen und<br />

Strategien besprechen, wie<br />

die Mitgliedergewinnung<br />

im Grundschulverband in<br />

Zukunft gelingen kann. Auch<br />

die „Grundschule aktuell“<br />

wurde lobend hervorgehoben.<br />

Die Teilnehmer:innen<br />

bestätigten, dass die Verbandszeitschrift<br />

bundesweit<br />

in Seminaren der Lehrer:innenausbildung<br />

genutzt wird.“<br />

Für die Landesgruppe:<br />

Marie Fischer<br />

GS aktuell 168 • November 2024<br />

45


Praxis: aktuell <strong>Beobachten</strong> … aus den Landesgruppen<br />

– <strong>Staunen</strong> – <strong>Forschen</strong><br />

Hessen<br />

Vorsitzender: Mario Michel<br />

mario.michel@gsvhessen.de, www.gsvhessen.de<br />

Neues Format<br />

Gemeinsam mit den Landesgruppen<br />

von Baden-Württemberg<br />

und Rheinland-Pfalz<br />

werden wir das Online-Format<br />

„Talk im Südwesten“ auf<br />

die Gleise setzen. Jeder<br />

unserer Landesverbände<br />

hatte in der Vergangenheit<br />

eigene Formate angeboten,<br />

in der Erfahrung aber die<br />

Reichweite und den Erfolg<br />

dieser Angebote als nicht<br />

ausreichend empfunden. So<br />

sind die jetzt Beteiligten sehr<br />

gerne der Idee von Edgar<br />

Bohn gefolgt und haben sich<br />

zusammengeschlossen. Der<br />

erste Termin für den „Talk im<br />

Südwesten“ steht fest – der<br />

21.11.2024 von 18.30<br />

Uhr bis 19.30 Uhr.<br />

Thematisch dreht sich der<br />

Termin um Ermahnungssysteme<br />

aus kinderrechtlicher<br />

Sicht. Martina Hehn-Oldiges<br />

als kompetente Expertin wird<br />

einen kurzen Einstiegsimpuls<br />

vortragen und auch am Ende<br />

ein zusammenfassendes<br />

Statement. Der Austausch der<br />

Teilnehmenden in Breakout-<br />

Räumen ist vorgesehen.<br />

Wir freuen uns sehr über die<br />

Kooperation der Landesgruppen<br />

und auf diesen Neustart<br />

im Online-Bereich.<br />

https://t1p.de/TalkimSW<br />

Meeting-ID: 598 842 4573<br />

Kenncode: 883540<br />

Im Bündnis von Elternbund<br />

Hessen, der GGG (Gemeinnützige<br />

Gesellschaft<br />

Gesamtschule) und unserer<br />

Landesgruppe entsteht ein<br />

offener Brief an Kultusminister<br />

Schwarz. Er beschäftigt<br />

sich mit der Frage, welches<br />

Verständnis der Aufgaben<br />

von Schule, welche demokratischen<br />

Perspektiven<br />

und welches Menschenbild<br />

hinter den Positionen des<br />

Kultusministers stecken.<br />

Auf dem Hintergrund dieser<br />

Fragestellung und angesichts<br />

der bekannten Ergebnisse<br />

von IQB und IGLU ist ein<br />

„Weiter so wie bisher“ (Beibehaltung<br />

des gegliederten<br />

Schulsystems, vergleichender<br />

Bewertung, Sitzenbleiben,<br />

Finanzierungspyramide, …)<br />

eine für uns kaum nachzuvollziehende<br />

Position.<br />

Für die Landesgruppe Hessen<br />

Pia Hölzel<br />

Rheinland-Pfalz<br />

Vorsitzender: Johannes Wolz<br />

info@ grundschulverband-rlp.de , www.grundschulverband-rlp.de<br />

TALK IM SÜDWESTEN<br />

Am 24. November<br />

2024 startet unser<br />

neues Online-Format „Talk<br />

im Südwesten“. In Zusammenarbeit<br />

mit den<br />

Landesgruppen Baden-Württemberg<br />

und Hessen laden<br />

wir zu einem spannenden<br />

Zoom-Austausch unter dem<br />

Titel „Ich sehe nie die Sonne<br />

– Ermahnungssysteme aus<br />

kinderrechtlicher Sicht“ ein.<br />

In diesem Format diskutieren<br />

wir gemeinsam aktuelle<br />

pädagogische Themen und<br />

beleuchten mögliche Veränderungen<br />

im Schulalltag.<br />

Aktuelles aus<br />

dem Vorstand<br />

Der Vorstand der Landesgruppe<br />

Rheinland-Pfalz<br />

befindet sich derzeit in<br />

einer Phase der Neuausrichtung.<br />

Neben den<br />

beruflichen Anforderungen<br />

als Seminarleiter:innen,<br />

Lehrer:innen, Schulleitungen<br />

und familiären Verpflichtungen<br />

stehen auch viele<br />

neue Themenfelder auf der<br />

Agenda. Eva-Kristina Franz<br />

und Johannes Wolz haben<br />

in den letzten Ausgaben<br />

der Grundschule aktuell<br />

spannende Beiträge zu den<br />

Themen „Dem Klimawandel<br />

auf der Spur – Wie Kinder<br />

durch handlungsorientiertes<br />

Lernen ihr Umweltbewusstsein<br />

stärken“ (Nr. 166) und<br />

„(De-)Professionalisierung im<br />

Grundschullehramt? – Warum<br />

eine Verkürzung der Lehrer<br />

eventuell ‚zu kurz‘ greift“ (Nr.<br />

167) veröffentlicht. Inhaltlich<br />

bleibt unsere Landesgruppe<br />

weiterhin am Puls der Zeit<br />

und plant, sich – in Anlehnung<br />

an den Grundschultag<br />

2023 – verstärkt mit den<br />

sogenannten Future Skills<br />

auseinanderzusetzen, um<br />

auf die Anforderungen der<br />

Zukunft vorbereitet zu sein.<br />

Für die Landesgruppe:<br />

Johannes Wolz<br />

46<br />

GS aktuell 168 • November 2024


aktuell … aus den Landesgruppen<br />

Sachsen<br />

Kontakt: Judith Köhler<br />

judice_mail@web.de<br />

Wir freuen uns sehr über die<br />

neue Kooperation mit dem<br />

Ganztagsschulverband e.V.<br />

Landesverband Sachsen. Zu<br />

Beginn des neuen Schuljahres<br />

haben wir am 29. August<br />

vor dem Hintergrund<br />

des Rechtsanspruchs auf<br />

Ganztagsbetreuung einen<br />

erfolgreichen gemeinsamen<br />

Fachtag zum Thema „Ist das<br />

(schon) Ganztag?“ in Leipzig<br />

durchgeführt. Die Hauptvorträge<br />

gestalteten Prof. Dr.<br />

Patricia Kröber (Hochschule<br />

Mittweida) und Sylvia Mihan<br />

(DKJS Dresden). In den Fachforen<br />

wurden Gestaltungskonzepte<br />

und Praxisbeispiele<br />

aus Sachsen zum Ganztag<br />

vorgestellt und von den<br />

Teilnehmenden angeregt<br />

diskutiert. Uns beschäftigt<br />

weiterhin die Frage: Wie kann<br />

Ganztag trotz Lehrer- und<br />

Erziehermangel gelingen?<br />

Wir möchten die Mitglieder<br />

der Landesgruppe Sachsen<br />

ermuntern sich aktiv in<br />

unseren Landesverband<br />

einzubringen. Wir freuen<br />

uns, wenn ihr eure Ideen und<br />

Visionen über Grundschule<br />

z.B. über mail@grundschulverband-sachsen.de<br />

mit<br />

uns teilt. Aktuelles aus der<br />

Landesgruppe Sachsen findet<br />

sich zudem unter www.<br />

grundschulverband-sachsen.<br />

de sowie bei www.instagram.<br />

com/grundschulverband_<br />

sachsen.<br />

Für die Landesgruppe<br />

Judith Köhler<br />

Sachsen-Anhalt<br />

Kontakt: Thekla Mayerhofer, Am Sopienhafen 6, 06108 Halle (Saale)<br />

May_The@web.de, www.gsv-lsa.de<br />

Sommergrillen zum<br />

Schuljahresbeginn<br />

Nun ist es schon zur guten<br />

Tradition geworden, dass es<br />

ein offenes Sommergrillen<br />

des Vorstandes in Sachsen-Anhalt<br />

gibt. Auch in<br />

diesem Jahr trafen wir uns<br />

in ungezwungener, lockerer<br />

Runde und tauschten uns zu<br />

vergangenen Traumurlauben<br />

sowie anstehenden beruflichen<br />

Herausforderungen aus.<br />

Die Nähe zu den anwesenden<br />

Mitgliedern wurde als sehr<br />

bereichernd erlebt und wir<br />

freuen uns schon heute auf<br />

den kommenden Sommer.<br />

Kinderrechte in der Stadt –<br />

KidS<br />

Wir berichteten bereits<br />

über die Netzwerkarbeit zur<br />

Umsetzung der Kinderrechte<br />

in der Stadt Halle (Saale). Das<br />

Netzwerk mit dem Namen<br />

„KidS“ trifft sich unter unserer<br />

Beteiligung zu regelmäßigen<br />

Sitzungen. Zuletzt waren<br />

inhaltliche Schwerpunkte<br />

in der Ausbildung von<br />

Erzieher:innen in Bezug auf<br />

die Kinderrechte Thema.<br />

Auch über die Ergebnisse der<br />

umfangreich durchgeführten<br />

Kinder- und Jugendstudie in<br />

der Stadt wurde sich ausgetauscht.<br />

Kommende Projekte<br />

wurden vorgedacht und<br />

geplant – so unter anderem<br />

auch die Feierlichkeiten um<br />

den neuen „Kinderrechte<br />

Lehrpfad“, welchen es ab<br />

November in Halle (Saale)<br />

geben wird.<br />

Bündnis Schulsozialarbeit<br />

Bereits seit geraumer Zeit<br />

sind wir im Bündnis Schulsozialarbeit<br />

ein fester Partner.<br />

Als solcher waren wir jüngst<br />

im Podium der Landespressekonferenz<br />

vertreten. Bei<br />

dieser sehr gut nachgefragten<br />

Pressekonferenz wurde<br />

den Medienvertreter:innen<br />

die Wichtigkeit einer unumstößlichen<br />

und langfristigen<br />

Implementierung von Schulsozialarbeit<br />

an allen Schulen<br />

des Landes verdeutlicht.<br />

Gemeinsam mit LIGA, Wirtschaftsverbänden,<br />

Landeseltern-<br />

sowie Landesschülerrat<br />

sowie weiteren Bündnispartner<br />

gilt es nun einen<br />

Weg zu beschreiben, auf dem<br />

dies praktisch gelingen kann.<br />

Insbesondere administrative<br />

Zuständigkeiten sind dabei<br />

zentral zu bedenken.<br />

Bundesweite<br />

Jahresstagung<br />

Jüngste Aktivitäten des Vorstandes<br />

konzentrieren sich<br />

auf die Planung der bundesweiten<br />

Frühjahrstagung,<br />

welche am 21./22. Februar<br />

2025 in den Franckeschen<br />

Stiftungen zu Halle stattfinden<br />

wird. Hierzu hat sich<br />

ein Planungsteam formiert,<br />

welches aus Mitgliedern des<br />

Bundesvorstandes, der Geschäftsstelle,<br />

dem Vorstand<br />

der Landesgruppe Hamburg<br />

sowie unserer Landesgruppe<br />

besteht. Neben den organisatorischen<br />

Aspekten wie bspw.<br />

dem Finden von Tagungsort<br />

sowie -verpflegung steht<br />

natürlich die inhaltliche<br />

Ausgestaltung der Tagung im<br />

Fokus. Verraten werden darf<br />

schon so viel: Die literarische<br />

Bildung steht im Mittelpunkt<br />

und es wird unglaublich viel<br />

spannenden und wertvollen<br />

Input geben. Sehr zeitnah<br />

folgen weitere Informationen,<br />

doch schon heute<br />

möchten wir euch ganz<br />

herzlich einladen, in eine der<br />

bedeutendsten historischen<br />

Schulstätten des Landes zu<br />

kommen, um Teil der Veranstaltung<br />

zu werden.<br />

Weitere Informationen:<br />

www.gsv-lsa.de<br />

Für die Landesgruppe:<br />

Thekla Mayerhofer<br />

GS aktuell 168 • November 2024<br />

47


Praxis: aktuell <strong>Beobachten</strong> … aus den Landesgruppen<br />

– <strong>Staunen</strong> – <strong>Forschen</strong><br />

Niedersachsen<br />

Kontakt: www.gsv-nds.de<br />

Gespräch mit der Ministerin<br />

Am 30. Juli 2024 fand auf<br />

Einladung von Frau Hamburg<br />

ein weiteres Gespräch mit<br />

der Kultusministerin statt. In<br />

diesem Gespräch stand das<br />

Thema „Weiterentwicklung<br />

der Inklusiven Schule – Hindernisse<br />

und Lösungsmöglichkeiten“<br />

im Vordergrund.<br />

Dabei machten wir deutlich,<br />

dass der Umsetzung eines,<br />

dem Kinderrecht auf inklusive<br />

Bildung gerecht werdenden<br />

Schulsystems noch zahlreiche<br />

schulgesetzliche und erlassliche<br />

Vorgaben entgegenstehen,<br />

u. a. die Möglichkeit,<br />

Schwerpunktschulen noch<br />

bis in das Jahr 2030 aufrecht<br />

zu erhalten, ohne dass die<br />

Schulträger ein Konzept zur<br />

Umsetzung vorlegen müssen.<br />

Des Weiteren machten wir<br />

noch einmal deutlich, dass<br />

die im Primar- und Sekundarbereich<br />

(systemische Grundversorgung<br />

im Primarbereich<br />

und die kindorientierte<br />

Ressourcenzuweisung im<br />

Sekundarbereich) unterschiedliche<br />

Zuweisung von<br />

Förderschullehrkräften eine<br />

starke Benachteiligung für<br />

die Grundschulen bedeutet.<br />

Gerade im Zuge großer gesellschaftlicher<br />

Veränderungen<br />

und zunehmender Herausforderungen<br />

in Schule decken<br />

die zugewiesenen Ressourcen<br />

die gestiegenen Bedarfe bei<br />

weitem nicht ab. An dieser<br />

Stelle erwarten wir deutliche<br />

Entlastungen für die Grundschulen.<br />

Eng damit in einem<br />

Zusammenhang stehend diskutierten<br />

wir gemeinsam über<br />

die mögliche Abschaffung der<br />

sonderpädagoischen Etikettierung<br />

durch die Verfahren<br />

zur Feststellung sowie der<br />

Feststellung des sonderpädagogischen<br />

Förderbedarfs.<br />

Ein weiterer Gesprächspunkt,<br />

der zahlreiche Chancen bieten<br />

könnte, Schule kindergerechter<br />

und inklusiver zu<br />

entwickeln, war der Freiräumeprozess,<br />

der von Seiten der<br />

Ministerin gestartet wurde.<br />

Zudem ging es letztendlich<br />

darum, noch einmal<br />

auf die starken regionalen<br />

Unterschiede nicht nur bei<br />

der Lehrkräftegewinnung,<br />

sondern auch bei der Einstellung<br />

von Anwärterinnen<br />

und Anwärtern in den<br />

Vorbereitungsdienst oder der<br />

Akquise von Studierenden,<br />

Pädagogischen Mitarbeiterinnen<br />

und Mitarbeitern<br />

oder Sozialarbeiterinnen und<br />

Sozialarbeitern hinzuweisen.<br />

Diese regionalen Unterschiede<br />

betrachten wir mit<br />

großer Sorge, wirken sie sich<br />

nicht nur auf die Unterrichtsverorgung<br />

aus, sondern in<br />

letzter Konsequenz auch auf<br />

eine innovative Schul- und<br />

Unterrichtsentwicklung, die<br />

unter anderem von neuen<br />

Impulsen lebt. Auch an<br />

dieser Stelle, betonte Frau<br />

Hamburg, sei das MK auf der<br />

Suche nach Lösungen, nahm<br />

aber auch Schulträger und<br />

Kommunen in die Pflicht,<br />

attraktive Anreize zu schaffen,<br />

um qualifizierte pädagogische<br />

Fachkräfte auch für<br />

vielleicht weniger reizvoll<br />

erscheinende Regionen zu<br />

gewinnen.<br />

Einen herzlichen Dank an<br />

Frau Hamburg und ihre Mitarbeiterinnen<br />

und Mitarbeiter<br />

aus den Referaten 32 und 53,<br />

die unsere Anliegen, Schule<br />

inklusiv und kindergerecht<br />

zu gestalten, mit einem<br />

offenen Ohr aufgenommen<br />

haben und daran arbeiten,<br />

Möglichkeiten für Schulen zu<br />

schaffen, diesem Ziel näher<br />

zu kommen.<br />

AG Berufsbild Lehrkraft<br />

gestartet<br />

Analog zum Berufsbild Schulleitung<br />

ist das MK bestrebt<br />

ein „Berufsbild Lehrkraft“ zu<br />

definieren. In einer aus Verbänden,<br />

Mitarbeitenden der<br />

RLSB sowie des MK zusammengesetzten<br />

Arbeitsgruppe<br />

sollen Aufgabenbereiche<br />

und Anforderungspofile<br />

an Lehrkräfte erarbeitet<br />

werden. Die Auftaktsitzung<br />

der Arbeitsgrupppe fand am<br />

22.09.2024 statt, drei weitere<br />

Arbeitstreffen sind in den<br />

folgenden Monaten geplant.<br />

Auch in dieser Arbeitsgruppe<br />

erhalten wir die Gelegenheit,<br />

uns mit unserer Expertise in<br />

die Diskussion mit eigenen<br />

Impulsen einzubringen.<br />

Anhörfassung des Kerncurriculums<br />

Deutsch<br />

Bis zum 16. August 2024<br />

erhielten wir als Landesgruppe<br />

die Gelegenheit,<br />

eine Stellungnahme zur<br />

Anhörfassung des Kerncurriculums<br />

Deutsch abzugeben.<br />

Die Stellungnahme ist auf<br />

unserer Homepage unter<br />

www.gsv-nds.de einzusehen.<br />

Save the date:<br />

Am Dienstag, den<br />

26.11.2024 findet in<br />

der Zeit von 18.00 Uhr bis<br />

19.00 Uhr unsere Mitgliederversammlung<br />

im digitalen<br />

Format statt. Wir möchten<br />

euch die Ergebnisse unserer<br />

Umfrage vorstellen und<br />

gemeinsame Ideen für das<br />

Jahr 2025 sammeln. Über<br />

eine aktive Beteiligung<br />

würden wir uns freuen.<br />

Anmeldung unter gsv.nds@<br />

gmail.com.<br />

Ein Zugangslink wird nach<br />

Anmeldung verschickt.<br />

Für die Landesgruppe:<br />

Eva-Maria Osterhues-Bruns<br />

48<br />

GS aktuell 168 • November 2024


aktuell … aus den Landesgruppen<br />

Thüringen<br />

Vorsitzende: Steffi Jünemann<br />

grundschulverband-thueringen@gmx.de<br />

Einladung Mitgliederversammlung<br />

Die Landesgruppe Thüringen<br />

hält noch in diesem Jahr eine<br />

Mitgliederversammlung ab.<br />

Diese ist von großer Bedeutung<br />

und wir möchten daher<br />

auch auf diesem Wege auf sie<br />

aufmerksam machen.<br />

Die Versammlung wird<br />

am 30.11. ab 10:00<br />

Uhr in der Gustav-Freytag-Straße<br />

6, 99096 Erfurt<br />

stattfinden. Auf dem Tagesordnungsplan<br />

steht unter<br />

anderem die Neuwahl des<br />

Vorstandes der Landesgruppe.<br />

Somit ist das Treffen<br />

auschlaggebend für die<br />

Zukunft des Grundschulverbandes<br />

in Thüringen.<br />

Außerdem wird ein Workshop<br />

zur Stimmgesundheit<br />

von Lehrer:innen, angeleitet<br />

von Esther Bertram stattfinden,<br />

indem wir gemeinsam<br />

unsere Stimme trainieren<br />

und Übungen an die Hand<br />

bekommen, die uns helfen,<br />

uns und unsere Stimme im<br />

hektischen und lauten Schulalltag<br />

zu schützen.<br />

Unsere Stimme nutzen<br />

Wir möchten die Gelegenheit<br />

des Zusammenkommens<br />

zur Mitgliederversammlung<br />

außerdem dazu nutzen,<br />

mit euch in den Austausch<br />

zu kommen. Nach den<br />

Thüringer Landtagswahlen<br />

im September verlangt die<br />

politische Lage nach einem<br />

starken Grundschulverband<br />

und somit nach einer starken<br />

Landesgruppe. Wir möchten<br />

mit euch darüber reden, wie<br />

wir unsere Stimme für die<br />

Fachlichkeit in der Grundschule<br />

und vor allem für die Kinder<br />

auch in Zukunft verantwortungsvoll<br />

nutzen können.<br />

Gerne begrüßen wir Mitglieder<br />

aus Thüringen und<br />

anderen Bundesländern, die<br />

mit uns in den Austausch treten<br />

wollen. Selbstverständlich<br />

sind auch Interessierte,<br />

die noch nicht Mitglied im<br />

Grundschulverband sind, zur<br />

Versammlung willkommen.<br />

Wir freuen uns auf euch!<br />

Für die Landesgruppe:<br />

Leah Kästner<br />

Brandenburg<br />

Vorsitzende: Denise Sommer<br />

Gsv-Brandenburg@posteo.de, www.grundschulverband.de<br />

Schuljahresstart<br />

in Brandenburg<br />

Auch im Schuljahr 2024/2025<br />

werden die Grundschulen<br />

des Landes Brandenburg<br />

zahlreiche Herausforderungen<br />

bewältigen müssen.<br />

Trotz intensiver Werbekampagne<br />

des Bildungsministeriums<br />

konnten nicht<br />

alle offenen Lehrerstellen<br />

besetzt werden. Dies ist besonders<br />

für Grundschulen im<br />

ländlichen Raum ein großes<br />

Problem. Mit der 5. Auflage<br />

des Landlehrerstipendiums<br />

erhalten 25 weitere Lehramtsstudierende<br />

ab Oktober<br />

2024 eine monatliche<br />

finanzielle Förderung über<br />

600€ vom Land Brandenburg.<br />

Die angehenden Lehrkräfte<br />

verpflichten sich alle Praktika<br />

sowie das Referendariat an<br />

der Partnerschule durchzuführen<br />

und anschließend als<br />

Lehrkraft im ländlichen Raum<br />

zu arbeiten.<br />

Das Honorarprogramm<br />

„Studierende an die Schulen“<br />

wurde verlängert und bietet<br />

Studentinnen und Studenten<br />

die Möglichkeit, bereits während<br />

des Studiums praktische<br />

Erfahrungen zu sammeln. Die<br />

Schulen können die Studierenden<br />

gezielt zur Förderung<br />

der Schülerinnen und Schüler<br />

besonders zur Verbesserung<br />

der sprachlichen und mathematischen<br />

Kompetenzen<br />

einsetzen.<br />

Zum Schuljahresbeginn<br />

wurde die Zahl der Schulpsychologinnen<br />

und<br />

Schulpsychologen im Land<br />

Brandenburg erheblich<br />

aufgestockt. Der Grundschulverband<br />

begrüßt diese<br />

Entwicklung, sieht allerdings<br />

dringenden Handlungsbedarf<br />

in der Erhöhung der<br />

Stellen für Sozialarbeit an<br />

Schulen. Die Brandenburger<br />

Grundschullehrerinnen und<br />

-lehrer sind froh, dass die<br />

Teilnoten der Kompetenzbereiche<br />

im Fach Deutsch<br />

in den Jahrgängen 3 und 4<br />

zu Gunsten einer Gesamtnote<br />

abgeschafft wurden.<br />

Die Verbesserung der<br />

sprachlichen und mathematischen<br />

Kompetenzen der<br />

Schülerinnen und Schüler,<br />

die Medienbildung sowie<br />

zahlreiche Maßnahmen zur<br />

Demokratiebildung sind<br />

Schwerpunktaufgaben auch<br />

in diesem Schuljahr.<br />

Dazu hat der Vorstand der<br />

Brandenburger Landesgruppe<br />

mit der Herbsttagung am<br />

17.10.2024 an der Neuen<br />

Grundschule in Potsdam,<br />

die langjähriges Mitglied<br />

unseres Verbandes ist, zum<br />

Thema „Basiskompetenzen<br />

UND Future Skills stärken“ ein<br />

praxisnahes Fortbildungsund<br />

Unterstützungsangebot<br />

organsiert. Wir danken<br />

Schulleiterin Wenke Funke<br />

und ihrem Team sowie dem<br />

Förderverein der Schule sehr<br />

herzlich für die hervorragende<br />

Organisation.<br />

Online-Austausch<br />

der Brandenburger<br />

Landesgruppe:<br />

Termine 18–19 Uhr:<br />

05.12.2024, 13.02.2025,<br />

03.04.2025, 05.06.2025,<br />

02.10.2025, 04.12.2025<br />

Anmeldung an:<br />

gsv-brandenburg@posteo.de<br />

Für die Landesgruppe:<br />

Stefanie Gärtner<br />

Denise Sommer<br />

GS aktuell 168 • November 2024<br />

U III


Grundschule aktuell<br />

Grundschulverband e. V.<br />

Frankfurter Straße 74–76 · 63263 Neu-Isenburg<br />

Tel. 06102 / 88 21 660 · Fax 06102 / 88 21 664<br />

info@grundschulverband.de<br />

www.grundschulverband.de<br />

Ausblick Grundschule aktuell 169<br />

Schrift und Schreiben<br />

Das Thema Schrift hat gerade in den letzten Jahren ein besonderes mediales Interesse<br />

erreicht. Ausgelöst wurde es letztendlich durch die vom Grundschulverband entwickelte<br />

Grundschrift, die zu einer Konzeption der Handschrift weiterentwickelt wurde.<br />

Um diese Konzeption und ihre Bedeutung in der Grundschule und darüber hinaus noch<br />

einmal zu verdeutlichen, wollen wir ihr ein ganzes Heft widmen. Im Fokus steht dabei die<br />

Entwicklung des Schreibens mit der Hand und seine Förderung als fächerübergreifende<br />

Aufgabe der Grundschule. Dabei soll ins Zentrum rücken, dass das Schreiben auf dem<br />

Papier oder auch mit der Tastatur vor allem ein Werkzeug ist, um die Texte der Kinder<br />

anderen zugänglich zu machen.<br />

www.grundschulverband.de · Februar 2024 · D9607F<br />

Grundschule aktuell<br />

Zeitschrift des Grundschulverbandes · Heft 165<br />

Die nächsten<br />

Themen<br />

Kinder Stärken erleben lassen<br />

Zum Thema<br />

Forschung<br />

Rundschau<br />

• Kinderstärken!<br />

• Social Entrepreneurship • Frühjahrstagung des GSV<br />

Kinder stärken!! Starke Kinder!!! Education in der GS<br />

am 2. März in Weimar<br />

Februar 2024<br />

Mai 2024<br />

September 2024<br />

Heft 170 | Mai 2025<br />

Bauen, Konstruieren,<br />

Programmieren<br />

Heft 171 | September 2025<br />

Kinder und Bücher im Kontext<br />

von Mehrsprachigkeit<br />

Heft 172 | November 2025<br />

Politische Bildung in der GS<br />

www.<br />

grundschule-aktuell.info

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