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Leseprobe_Bletschacher_Don Juan

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<strong>Don</strong> <strong>Juan</strong> alias <strong>Don</strong> Giovanni


DON JUAN alias DON GIOVANNI<br />

von Andrés de Claramonte • Molière • Carlo Goldoni<br />

Giovanni Bertati • Lorenzo da Ponte<br />

Übersetzt und herausgegeben von<br />

Richard <strong>Bletschacher</strong>


Gedruckt mit freundlicher Unterstützung von<br />

Andrés de Claramonte, Molière, Carlo Goldoni, Giovanni Bertati, Lorenzo da Ponte:<br />

<strong>Don</strong> <strong>Juan</strong> alias <strong>Don</strong> Giovanni<br />

Übersetzt und herausgegeben von Richard <strong>Bletschacher</strong><br />

Hollitzer Verlag, Wien, 2024<br />

Coverbild: © Richard <strong>Bletschacher</strong><br />

Covergestaltung und Satz: Daniela Seiler<br />

Hergestellt in der EU<br />

Alle Rechte vorbehalten<br />

© Hollitzer Verlag, 2024<br />

www.hollitzer.at<br />

ISBN 978-3-99094-217-8


INHALT<br />

Vorwort<br />

~ 7 ~<br />

Andrés de Claramonte<br />

Der Spötter von Sevilla oder Der steinerne Gast<br />

~ 25 ~<br />

Molière<br />

<strong>Don</strong> <strong>Juan</strong> oder Der steinerne Gast<br />

~ 121 ~<br />

Carlo Goldoni<br />

<strong>Don</strong> Giovanni Tenorio oder Der Ungebändigte<br />

~ 181 ~<br />

Giovanni Bertati<br />

<strong>Don</strong> Giovanni oder Der steinerne Gast<br />

~ 247 ~<br />

Lorenzo da Ponte<br />

<strong>Don</strong> Giovanni oder Der bestrafte Wüstling<br />

~ 287 ~


VORWORT<br />

Nicht selten begegnet man der Behauptung, die Erzählungen vom <strong>Don</strong> <strong>Juan</strong> und<br />

vom Doktor Faustus seien die bedeutendsten Mythen der Neuzeit. Dies hat seinen<br />

Grund darin, dass diesen gerühmte Deutungen in den literarischen und musikalischen<br />

Darstellungen durch Goethe und Mozart zuteil geworden sind. Indessen<br />

ließen sich noch einige andere Gestalten aus Literatur oder Geschichte mit nicht<br />

geringer Wirkungsmacht in den vergangenen Jahrhunderten erkennen, deren<br />

Lebensberichte hineinragen in einen Bezirk, der die Alltäglichkeit menschlichen<br />

Daseins übersteigt. An Golem wäre zu denken, an <strong>Don</strong> Quijote, an Elena Makropulos,<br />

an Gargantua, Frankenstein, an Kepler, Cagliostro, Peer Gynt und an mehr<br />

als nur eine Figur aus Shakespeares Dramen. Nicht in allen gewinnt die innere<br />

Kraft und Daseinsfülle denselben Ausdruck, und nicht eben weise wäre es, sie mit<br />

einander zu vergleichen, zumal die meisten ihre tragische Bestimmung nicht mit<br />

gleicher Gewandtheit in heitere Lebensfreude zu kleiden vermochten wie <strong>Don</strong><br />

<strong>Juan</strong>. An ihrer schier willkürlichen und durchaus nicht vollständigen Namhaftmachung<br />

lässt sich dennoch erkennen, dass es sich bei solcher Zuordnung nicht<br />

notwendig um historische Figuren handeln muss, sondern in einigen Fällen auch<br />

um Gestalten der Phantasie. Und dies gilt auch von den beiden zuerst Genannten,<br />

deren einem hier unsere nähere Betrachtung sich zuwendet.<br />

Es gibt kein bedeutendes Kunstwerk, das sich nicht um einen mythischen Kern<br />

gebildet hätte, auch wenn nicht in allen der verborgene Ernst des todbedrohten<br />

Daseins zum Vorschein gelangt. Das Kennzeichen des Mythos ist die anhaltende<br />

Zeitresistenz, Faszination und Aussagekraft des von Menschen verkörperten<br />

Geschehens. In diesem Sinn vermag der Widerstreit der dogmatischen Abstraktion<br />

eines ethischen Gesetzes gegen die lebendige Selbstbehauptung des Individuums<br />

den Rang eines Mythos zu erreichen. Der existenzielle Gehalt eines solchen Werkes<br />

der Kunst erweist sich in besonderem Maße auf dem Theater, indem es dem<br />

Betrachter durch die personifizierte Intensität des Erlebens, die Fülle des Seins<br />

und dessen Anschaulichkeit leibhaftig macht. Leibhaftigkeit bedeutet in diesem<br />

Zusammenhang die Bereitschaft, jederzeit sich zu wandeln, Neues zu generieren,<br />

fruchtbar zugleich und verderblich zu sein. Sie bewirkt eine Präsenz, ist wie ein<br />

edles Tier, das sich der Zähmung verweigert. Das Einvernehmen des Zuschauers<br />

mit den solches darstellenden Personen des Theaters geschieht nicht allein durch<br />

intellektuelles Verstehen, sondern durch Induktion. Vergleichbar dem Begreifen<br />

der Welt durch ein kleines Kind, das den Eltern ihre Sprache abgewinnt, ohne von<br />

7


Richard <strong>Bletschacher</strong><br />

deren Grammatik oder Ätiologie auch nur eine entfernte Vorstellung zu haben. So<br />

verständigen sich Darsteller und Publikum durch oft kaum bemerkbare und doch<br />

spürbare optische und akustische Aussendungen sowohl auf der Ebene des Intellekts<br />

als auch der der Intuition. Dies lässt sich in besonderem Maße von der Figur<br />

des <strong>Don</strong> <strong>Juan</strong> sagen und lässt sich hier mit den Texten allein nicht wiedergeben.<br />

Einem ersten Blick auf die fünf ausgewählten Theaterstücke fällt auf, dass sie<br />

alle im romanischen Sprach- und Kulturraum entstanden und dort bereits weit<br />

ausgesponnen worden sind. Diesen gegenüber sehen wir, dass die meisten späteren<br />

Werke ab dem 19. Jahrhundert in den Ländern des Nordens hervorgebracht wurden<br />

und ebenso die in ihrer eigenen Tiefe schürfenden literarischen und philosophischen<br />

Interpretationen, etwa von Sören Kierkegaard oder Ernst Bloch. Ihnen<br />

allen eignet eine kritisch-intellektuelle Distanz, die die Erzählung vom <strong>Don</strong> <strong>Juan</strong><br />

zum Objekt einer sozialtheoretischen Prüfung werden lässt, während sie doch<br />

in ihrem Ursprung aus dem subjektiven Erleben eines männlich aristokratischen<br />

Selbstbewusstseins stark empfunden und nur halb reflektiert hervorging. Und da<br />

die Erzählung vom rauschhaften Leben und furchtbaren Tod des <strong>Don</strong> <strong>Juan</strong> durch<br />

die Theaterautoren romanischer Länder auf eine solche Höhe der Präsentation<br />

gelangte, wen wundert es, dass sich eine kaum zu überblickende Zahl von Künstlern<br />

und Interpreten daran machte, ihr neue Wirkungen und Deutungen abzugewinnen.<br />

Da hier nicht der Ort ist, sie alle zu nennen, soll neben den erwähnten<br />

Philosophen nur auf die Dichter Byron, Puschkin, Lenau, Horvath und Frisch<br />

gewiesen werden. Nicht alle, und schon gar nicht die Klugen, haben sich mit gleichem<br />

Glück daran versucht wie der jugendlich unbekümmerte Richard Strauss,<br />

der mit seiner genialen Tondichtung vom <strong>Don</strong> <strong>Juan</strong>, ohne vieles Federkratzen,<br />

den Kern in der Mitte getroffen hat.<br />

Die Interpretation eines Kunstwerks ist der Versuch intellektueller Erkennung<br />

und Namhaftmachung von Bedeutung, was bei Werken der Schrift leichter machbar<br />

ist als bei solchen der Musik oder darstellenden Kunst. Wenn man sich diesen<br />

Werken mit den Instrumentarien der interpretierenden Hermeneutik nähert, wie<br />

dies dem Zeitgeist des späten 20. Jahrhunderts entspricht, so muss man zuerst einbekennen,<br />

dass die notorische Unfähigkeit zu deren Erfassung durch Instrumente<br />

der Naturwissenschaften notwendig zu einer subjektiven Auswahl und Wertung<br />

führen muss. Und so kann auch ihnen gegenüber eine Anerkennung oder kritische<br />

Verwerfung nicht zu allen Zeiten in gleichem Maße festgestellt werden. Das eine<br />

oder andere der solchen Gestalten gewidmeten Theaterstücke fand nicht zu allen<br />

Zeiten seine gerechte Repräsentation auf der Bühne, manch eines wurde in Form<br />

oder Inhalt abgewandelt, andere versanken für längere Zeit ganz im Vergessen<br />

8


Vorwort<br />

und erhielten sich nur mehr als Archivalien. Es ist vor allem dem überwältigenden<br />

Erfolg ihrer gelungensten Verkörperungen zu danken, dass man sich der früheren<br />

Versuche auch wieder erinnerte. Die Jahrhunderte überdauernde Faszination der<br />

Gestalt des <strong>Don</strong> <strong>Juan</strong> verdanken wir vor allem der Intervention eines Komponisten,<br />

der dem viel geschundenen Stoff erst den mythologischen Rang verlieh,<br />

den er seither bewahrt hat. Wolfgang Amadé Mozart war es gegeben, der Wollust<br />

des Liebesbegehrens ebenso eine Stimme zu geben wie dem Ernst des ethischen<br />

Gebotes und den Schrecken der Mächte des Abgrunds. Dies war in keinem anderen<br />

Medium besser vor Augen zu führen als in dem des musikalischen Theaters.<br />

Dennoch ist nicht daran zu zweifeln, dass die szenische Repräsentation der Fabel<br />

vom bestraften Verführer von allem Anfang an die Aufgabe hatte, im Dienste<br />

der Gegenreformation die moralische Botschaft der christlichen Kirche einem<br />

staunend erschrockenen Publikum zu übermitteln. Die ersten Autoren, die diesen<br />

Stoff entweder entdeckten oder erfanden, waren katholische Geistliche. Die<br />

machtpolitische Behauptung von der Unterordnung des Individuums unter die<br />

Bedürfnisse und Forderungen der Gemeinschaft (nichts anderes bedeutet das griechische<br />

Wort ecclesia) sollte hier in einer Epoche großer Umwälzungen an einem<br />

drastischen Beispiel exemplifiziert werden. Dass ein Mann wie dieser stolze spanische<br />

Adelsspross die weltlichen Mächte nicht fürchten wollte, war durchaus nichts<br />

Ungewöhnliches. Dass ihn auch der Tod und gar Erscheinungen und Stimmen aus<br />

dem Jenseits nicht schreckten, setzte ihn in den Verdacht der Gottesleugnung und<br />

damit der Abtrünnigkeit vom einzig wahren katholischen Glauben. In keinem<br />

anderen Stück der Epoche tritt diese so unverhüllt als atheistische Selbstüberhebung<br />

zu Tag. Dem musste die Kirche entgegentreten mit allen Gewalten, über die<br />

sie verfügte. Das Feuer aus dem Abgrund der Hölle war ihr letztes Mittel. Nicht<br />

der Frauenschänder, der Ketzer musste brennen.<br />

So unterschiedlich die einzelnen Präsentationen des Sujets auch sein mögen,<br />

das Handlungsgerüst ist immer nur eine Aneinanderreihung von Variationen eines<br />

einzigen Themas, dem allem zugrunde liegenden Konflikt zwischen den Prinzipien<br />

der sogenannten ewigen Gesetze einer christlich-moralischen Wertordnung und<br />

der Rebellion des individuellen Subjekts, das sich durch die beginnenden Umwälzungen<br />

der Epoche autorisiert sieht, seine eigene Vorstellung von der Freiheit<br />

des Einzelnen in die Tat umzusetzen und seinen Begierden und Lüsten zu folgen.<br />

Da nun aber die ästhetische Form der Gestaltung einen so hohen Rang erreichte,<br />

der sie ablöste von aller beabsichtigten Zweckdienlichkeit, so ist die Frage nicht<br />

abzuweisen, ob die Auftraggeber der älteren Epoche ihre ursprünglichen, agitatorischen<br />

Ziele denn nicht besser erreicht hätten, wenn sie sie in bündiger Form<br />

9


Richard <strong>Bletschacher</strong><br />

gedruckt und proklamiert und nicht die Kunst als ihr Vehikel dafür in Dienst<br />

gezwungen hätten. Denn der einst als Objekt des Abscheus hervorgehobene und<br />

bestrafte Wüstling wurde nach und nach in den Händen großer Dramatiker zu<br />

einer ebenso bestaunten und bewunderten Gestalt männlichen Selbstbewusstseins<br />

und Freiheitsanspruchs wie neben ihm kaum eine andere. <strong>Don</strong> <strong>Juan</strong> geriet,<br />

bewusst oder unbewusst, in all seinen Erscheinungen auf der Bühne zu einem<br />

Individualisten, der sich wenig um Aufträge und Absichten anderer kümmert.<br />

Das erweist sich an seinem immer deutlicher hervortretenden Mangel an Zweifeln<br />

und Mitgefühl, an seiner Lust, sich selbst als Verkörperung gelungenen Lebens<br />

zu feiern, wie auch an seinem sozialen Hochmut, seiner Herablassung und seiner<br />

Unfähigkeit zur Reue. Die Gestalt des <strong>Don</strong> <strong>Juan</strong> bietet den Interpreten eines jener<br />

bewegten Ziele, die einem suchenden Fernrohr aus dem Visier geraten. <strong>Don</strong> <strong>Juan</strong><br />

löst sich und macht sich unabhängig von seinen Erfindern, folgt nur mehr seinen<br />

Instinkten und ist wenig geeignet, durch sein lebendiges Beispiel die Gedanken<br />

anderer zu exemplifizieren.<br />

Es gibt kaum eine Figur in der dramatischen Literatur, die sich so wie von selbst<br />

und von anderen Mitspielern kaum beeinflusst in den Mittelpunkt des Interesses<br />

auf der Bühne stellt. Neben ihm haben sogar die Exekutoren der himmlischen<br />

Gerechtigkeit nur einen Platz in der zweiten Reihe. Es gibt Stimmen im Chor der<br />

Kommentatoren, die <strong>Don</strong> <strong>Juan</strong> als ein schönes aber wildes Tier bezeichnen oder<br />

gar als ein Naturereignis. An beiden gäbe es nichts zu interpretieren. Sie überzeugten<br />

durch ihr pures Dasein und Handeln. Ich aber halte dafür, dass man in ihm die<br />

Verkörperung sieht des neuen Menschen und der Wiedergeburt, der Renaissance,<br />

des Anspruchs auf die Freiheit des Individuums, der die Stricke der Bräuche und<br />

Traditionen abwirft und den Machtansprüchen und Zwängen trotzt von Religion,<br />

Sittengesetz und Justiz. In keiner der Szenen kommt dies so deutlich zum Ausdruck<br />

wie im Lobgesang „Viva la libertà“ im Text von Lorenzo da Ponte.<br />

Dabei ist es nicht ohne Bedeutung, dass <strong>Don</strong> <strong>Juan</strong> oder <strong>Don</strong> Giovanni, wie ihn<br />

die Italiener nennen, der Protagonist, ein Mann in seinen kraftvollen Jahren ist,<br />

der selbst der Aristokratie angehört und den Titel eines <strong>Don</strong> führt, welcher nichts<br />

weiter besagt als eine Bekundung des Respekts, der Personen zugebilligt wird,<br />

die durch Verdienst, Geburt oder Arroganz ein Vorrecht auf soziale Anerkennung<br />

erwarten. Im Italienischen nennt man sie uomini di rispetto. Ihm gegenüber<br />

steht als mächtige Gestalt der Komtur, dem das Amt des Rächers zugedacht ist.<br />

Die im komischen spanischen oder italienischen Theater obligate Figur des stets<br />

hungrig aufbegehrenden Dieners sichert den Stücken ihren komödiantischen,<br />

wenn auch nicht immer nur heiteren Charakter. Die von Stand und Charakter<br />

10


Vorwort<br />

sehr unterschiedlich erscheinenden Damen, die oft nicht durch sinnliche Betörung,<br />

sondern durch Gutherzigkeit oder leichtfertiges Vertrauen dem Verführer<br />

zu Opfern fallen und zu den großen Leidtragenden der bedenkenlosen Untaten<br />

des <strong>Don</strong> <strong>Juan</strong> gehören, werden nicht in allen vorgestellten Werken mit gleicher<br />

Empathie bedacht. Davon, dass nach ihrer Defloration durch den Verführer ihre<br />

Hoffnungen auf eine ebenbürtige Heirat sich nicht mehr erfüllen, wird wenig<br />

Aufsehen gemacht. Manche hat neben all dem, was ihr angetan wird, auch noch<br />

den Spott zu tragen. Nicht allen gelingt es dabei, immer ihre Haltung zu wahren.<br />

Die eine oder andere ländliche Schöne wurde gar durch die aristokratische<br />

Attitüde des Übeltäters oder die Hoffnung auf eine Erhöhung ihres Standes mehr<br />

verleitet als durch dessen Verführungskünste. Den Edleren unter ihnen wird erst<br />

durch die alle Tiefen ihres Seelenlebens offenbarende Musik Mozarts die weibliche<br />

Würde wiedergegeben, die ihnen durch die erlittenen Enttäuschungen und<br />

Kümmernisse geraubt wurde. Dass der Räuber aber nach seinem ersten Erfolg<br />

und einer in doppeltem Sinne flüchtigen Umarmung stets wieder das Weite und<br />

ein nächstes Abenteuer gesucht haben soll, macht ihn doch, neben mancher heimlichen<br />

Beneidung oder Bewunderung, auch ein wenig bedauernswert. Er hat auf<br />

solche Weise die volle, beglückende Sinnlichkeit einer hingebungsvollen Frau und<br />

damit eine wahre Liebesleidenschaft wohl nie erfahren. Dem entspricht auch das<br />

wiederholte Scheitern seiner letzten Eroberungsversuche vor dem furchtbaren<br />

Ende seines ruchlosen Lebens. Unverzichtbar bei den ländlichen Szenen war auch<br />

der bäuerliche Tölpel, der als der Bräutigam einer allzu leichtfertigen und doch<br />

liebwerten Braut den derben Buckel hinhalten musste, um in komischer Widersetzlichkeit<br />

die handfesten Prügel auf sich zu ziehen, ohne die es nach guter theatralischer<br />

Sitte nicht abgehen konnte. Nicht in allen vorgestellten Bühnenwerken<br />

sind die Figuren am Rande die gleichen, sie tragen auch verschiedene Namen. Die<br />

größte Zahl der bekannt gewordenen Stücke nennt als Ort eine spanische Stadt<br />

unter der wir Sevilla vermuten dürfen. Eine Ausnahme macht Bertati, dessen Version<br />

in „Villena nell’ Aragonia“ spielt. Andrés de Claramonte verlegt in seinem<br />

Schauspiel die ersten Szenen nach Neapel.<br />

Vom Staunen und Grauen erregenden Leben und Tod des spanischen Granden<br />

<strong>Juan</strong> Tenorio handelt eine größere, nicht genau zu beziffernde Anzahl von<br />

theatralischen Darstellungen, die alle ihren Ursprung im Vorbild eines Bühnenwerkes<br />

des frühen 17. Jahrhunderts haben. Gemeinhin wurde als dessen Autor<br />

der Mönch Tirso de Molina genannt, der 1584 in Madrid geboren wurde, 1601<br />

in den Orden der Mercedarier in ein Kloster in Toledo eintrat, dort mit Lope de<br />

Vega Bekanntschaft schloss und sich nach dessen Vorbild dem weltlichen Theater<br />

11


Richard <strong>Bletschacher</strong><br />

zuwandte. Nach einer vom König Philipp IV. veranlassten Untersuchung sah er<br />

sich gezwungen, seine erfolgreiche Karriere in diesem Bereich zu beenden. Er<br />

musste zunächst Madrid verlassen, kehrte 1634 zurück und starb 1648 in einem<br />

Kloster bei Soria. Das ihm zugeschriebene Theaterstück El burlador de Sevilla y<br />

convidado de piedra wurde erstmals im Jahre 1624 in Madrid aufgeführt und 1630<br />

unter seinem Namen gedruckt.<br />

Durch neuere Forschungen spanischer Gelehrter hat sich nun aber erwiesen,<br />

dass neben Tirso ein zweiter Autor mit Namen Andrés de Claramonte genannt<br />

werden muss, der um dieselbe Zeit lebte und möglicherweise einen Text verfasste<br />

unter dem Titel Tan largo me lo fiáis (was übersetzt werden könnte mit „Lange hast<br />

du mir vertraut“ oder besser mit: „Lang hat der Himmel Geduld“). Dieser wurde<br />

unter dem Autorennamen Pedro Calderóns de la Barca im Jahre 1617 auf die<br />

Bühne von Cordoba gebracht. Warum dabei der Name des tatsächlichen Autors<br />

verheimlicht wurde, ist nicht wirklich bekannt geworden, lässt aber die Vermutung<br />

zu, dass der Mönch Andrés de Claramonte sich entweder bewusst hinter<br />

dem berühmteren Namen verbarg oder von der Theaterleitung dazu veranlasst<br />

wurde. Dass einer seiner beiden Zeitgenossen, die berühmtesten Dramatiker Spaniens,<br />

Pedro Calderón und Lope de Vega, sich selbst je an diesen Stoff gewagt hat,<br />

ist nicht anzunehmen. Claramonte, ein Autor, der in Spanien nicht ganz unbekannt<br />

geblieben ist, hat seine ersten Theaterstücke bereits im Jahre 1604 auf die<br />

Bühne gebracht, sein letztes 1624. Gestorben ist er im Jahre 1630. Daraus lässt sich<br />

schließen, dass er wohl einige Jahre älter war als Tirso de Molina. Erst in späteren<br />

Jahren, nach seinem Tod, wurden seine Texte in einem Sammelband dem Druck<br />

übergeben. Man hat nun in den jüngst vergangenen Jahren aus Sprachvergleichen<br />

geglaubt feststellen zu können, dass das seither als ältestes zu betrachtende Werk<br />

vom Leben und Sterben des <strong>Don</strong> <strong>Juan</strong> Tenorio, eben unter dem Titel Tan largo<br />

me lo fiáis wohl aus der Feder Claramontes stammen dürfte. Es kann keineswegs<br />

meine Absicht sein, die Probleme der spanischen Editionsgeschichte hier zu erläutern,<br />

zumal ich selbst die Sache nicht in allen Mäandergängen durchschaue und<br />

es offenbar auch von dem von mir gewählten Text abweichende bzw. ergänzende<br />

Fassungen gibt. Wer wie ich in erster Linie an der Folge und Entwicklung der<br />

Handlung und an der Charakterisierung der Protagonisten Interesse hat, wird<br />

sich nicht gedrängt fühlen, einzutreten in die Diskussionen über die Priorität der<br />

Autorschaften und die kritische Abwägung der unterschiedlichen Manuskripte.<br />

Dies mag den spanischen Literaturhistorikern und Dramaturgen überlassen sein.<br />

Tirsos und Claramontes Werke haben offensichtlich die Zeiten am besten überstanden.<br />

Sie weisen keine großen Unterschiede auf in der Führung der Handlung<br />

12


Vorwort<br />

und in der Anteilnahme der darin agierenden Personen, wohl aber solche in den<br />

Dialogen. Wer auch immer den Stoff vom großen Verführer erdacht und erfasst<br />

haben soll, seine Gestaltung stammt in beiden aufgeführten und gedruckten Versionen<br />

von einem erbarmungslos katholisch denkenden Autor, mag er Tirso de<br />

Molina oder Andrés de Claramonte sich nennen. Das vermutlich ältere von beiden<br />

Stücken, das mir möglicherweise unter einem falschen Namen vorliegt, habe ich<br />

selbst für diese Publikation ins Deutsche übertragen und mich damit einer Aufgabe<br />

unterzogen, deren Schwierigkeit ich erst nach und nach registrieren konnte.<br />

Dies umso mehr als ich nicht durchwegs von seinem dichterischen und dramaturgischen<br />

Format überzeugt bin. Es finden sich übergroße Längen vor allem in den<br />

fast ariosen Monologen, Verse, hin und wieder in Strophen mit Endreimen unterteilt.<br />

Manchmal ist auch ein ganzes Sonett darunter verborgen. Diese Lyrismen<br />

führen oft weit ab von der Handlung und erinnern gelegentlich an die zu jener<br />

Zeit sehr populären Gedichte Petrarcas oder auch an die vertrackten Sonette Luis<br />

de Góngoras, an deren Übersetzung ich schon vor Jahrzehnten gescheitert bin.<br />

Dass ich bei meiner Übersetzung die Reime nicht immer berücksichtigt habe,<br />

wird man mir wohl verzeihen, da diese und die durch sie veranlassten syntaktischen<br />

Verschiebungen das Verständnis auch eher erschwert als erleichtert hätten.<br />

Auch machten diese lyrischen Verzierungen oft den Eindruck, als wollte der Autor<br />

seine kunsthandwerklichen Fähigkeiten dem gebildeten Publikum des spanischen<br />

Siglo de Oro vor Augen und Ohren führen. Hier und dort habe ich eine Regieanweisung<br />

ergänzt, um die Bühnenhandlungen dem Lesenden besser vor Augen<br />

zu führen. Und den Wechsel der einzelnen Szenen in veränderter Umgebung<br />

habe ich, wenn schon nicht durch eine Angabe des Schauplatzes, so doch wenigsten<br />

durch einen Absatz im graphischen Bild erkennbar gemacht. Den Untertitel<br />

Comedia habe ich im Original beibehalten, da seine wörtliche Übersetzung mit<br />

Komödie, anders als im Falle Molières, nicht dem ursprünglichen Sinn des spanischen<br />

Wortes gleichgekommen wäre.<br />

Ein Wort noch soll gesagt werden zum historischen Hintergrund einer vermutlich<br />

erfundenen Handlung, um diese in ihren zeitlichen Zusammenhang einzuordnen.<br />

Es mag uns heute verwunderlich erscheinen, dass die Autoren des 17.<br />

und 18. Jahrhunderts jeweils als Ort der ersten Szenen das Königreich Neapel<br />

wählten, wobei sie sich nicht allein über die alten Regeln von der Einheit des<br />

Ortes hinwegsetzten, sondern auch zwei Königreiche, zwei Könige und deren<br />

Untertanen gegeneinander ins Spiel brachten, was durch einen kurzen Rückblick<br />

in die Geschichte Spaniens und Süditaliens hier geklärt werden soll. Nach der<br />

Volkserhebung der Sizilianischen Vesper im Jahre 1282 gelangte Sizilien an die<br />

13


Richard <strong>Bletschacher</strong><br />

Könige des spanischen Aragonien. Die behielten ihre Herrschaft auch nach der<br />

Wiedervereinigung Siziliens mit Neapel. Als sich Aragonien dann durch Heirat im<br />

Jahre 1469 mit dem nachbarlichen Kastilien zum Spanischen Königreich zusammenschloss,<br />

wurde Neapel und ganz Süditalien weiterhin durch einen Vizekönig<br />

verwaltet. Und so war nach der Reconquista im Jahre 1492, spätestens aber<br />

seit 1504 und im gesamten 17. Jahrhundert, das hier im Spiel ist, Süditalien mit<br />

seiner Hauptstadt Neapel kein eigenes Königtum mehr, sondern ein von Madrid<br />

beherrschtes Vizekönigtum. Wenn nun also bei Claramonte wie auch bei Tirso<br />

de Molina von einem neapolitanischen König gesprochen wird, so muss man mit<br />

ihnen die Handlung ihrer Stücke in eine Zeit vor 1504 ansetzen. Und der darin<br />

auftretende als König von Neapel bezeichnete Monarch war zugleich der Verwandte<br />

des Königs von Aragonien. So verstehen sich die mehrfachen Reisen der<br />

handelnden Personen von dem einen Land in das andere. Sie entstammten demnach<br />

alle nicht einem neapolitanischen oder sizilianischen, sondern dem aragonesischen<br />

oder kastilischen Adel. Von historischen Namen sind uns die Señores de<br />

Ulloa und Grafen de la Mota bekannt. Eine Familie der Tenorio lässt sich dagegen<br />

in den spanischen Dokumenten nicht finden. Sie ist vermutlich erfunden. Auch<br />

von einer historischen Figur des <strong>Don</strong> <strong>Juan</strong>, die von den Autoren vielleicht zum<br />

Vorbild für ihre dramatischen Werke benützt worden sein könnte, ist nichts Näheres<br />

bekannt; dennoch muss man vermuten, dass die geschilderten Geschehnisse<br />

in der Epoche des erwachenden Individualismus und der sich mit all ihren traditionellen<br />

Waffen zur Wehr setzenden katholischen Kirche durchaus keine Seltenheit<br />

waren. In jedem Fall ist bei näherer Betrachtung der Zeitumstände nicht<br />

zu verkennen, dass der Plan der Handlung – ob er nun aus einem historischen<br />

Geschehen hervorgegangen ist oder von seinem ersten Dichter erfunden wurde –,<br />

der aus der Reaktion der Gegenreformation sich verstehen lässt und den Triumph<br />

des katholischen Bekenntnisses über die Freigeisterei der Epoche darzustellen<br />

sich bemühte, sich in Frankreich und Italien deutlich gewandelt hat. Dort findet<br />

sich nicht nur im Untertitel die Bezeichnung commedia oder opera buffa, sondern es<br />

mehren sich die komödiantischen Elemente in der dargestellten Handlung. Und<br />

so mehren sich auch die weiblichen Opfer des Verführers. Dies scheint ein Zeichen<br />

dafür zu sein, dass die allmählich sich vollziehende Aufklärung der Geister sich<br />

in diesen Stoff einzudrängen wusste. Wenn auch der Glauben an die moralischen<br />

Dogmen mehr und mehr schwand, so blieb doch die Jagd nach den Röcken der<br />

Frauen und vor allem der Schrecken der auf offener Bühne sich vollziehenden<br />

Höllenfahrt des <strong>Don</strong> Giovanni als die schlagenden Trümpfe des schaurigen Spiels.<br />

Dass neben dem so erregten Aufruhr aller Sinne auch die sittliche Belehrung<br />

14


Vorwort<br />

nicht fehlen durfte, dafür sorgte der religiöse Eifer des 17. und der philosophische<br />

des 18. Jahrhunderts.<br />

Das bisher hierzulande fast unbekannte Stück des Claramonte habe ich an<br />

dieser Stelle ausführlicher kommentiert, als ich es für die anderen vier im Sinn<br />

hatte. Dass ich für diese weniger Worte machen werde, dagegen wird man, wie ich<br />

hoffe, nichts einwenden oder es gar angesichts der bisher so zahlreich vorliegenden<br />

Daten als Erleichterung empfinden.<br />

In Frankreich, wo man weniger kategorisch dachte und man es mehr noch als<br />

in Spanien mit Freigeistern zu tun hatte, war es Molière, der Autor, Regisseur<br />

und Schauspieler in einem, den man als einen der berühmtesten Komödiendichter<br />

aller Zeiten hier niemandem vorzustellen braucht, der in Diensten des Hofes<br />

Ludwigs XIV. den Stoff in spielerisch abgewandelter und bereicherter Form neu<br />

adaptierte. Nicht allein gab er seinen Figuren französische Namen, wie sie ähnlich<br />

auch in seinen anderen populäreren Komödien erscheinen, er führte auch Nebenmotive<br />

und Figuren ein, wie etwa den Bettler, der sich zu fluchen weigert oder<br />

die beiden auf Rache sinnenden Brüder <strong>Don</strong>e Elvires, der entführten Nonne. Die<br />

Handelnden werden nun ein wenig auch zu Franzosen und <strong>Don</strong> <strong>Juan</strong> zu einem<br />

offen sich bekennenden Atheisten. Molières Humor, der das bisher so grimmige<br />

Werk in komödiantischen Szenen durchzieht, erweist sich vor allem in der Gestaltung<br />

der ländlichen Figuren der Fischer und Bauern und ihrer bald auf den Hintern,<br />

aber nicht auf den Mund gefallenen Mädchen. Molière gibt uns ein Beispiel<br />

seiner komödiantischen Kunst und psychologischen Menschenkenntnis, indem er<br />

einen einfältigen Landmann einem lüsternen Mädchen berichten und ausmalen<br />

lässt, wie sich <strong>Don</strong> <strong>Juan</strong> nach dem Bade ankleidet und sich damit gleichsam wappnet<br />

zum Angriff auf die wehrlose Tugend seines staunenden Opfers. Leider findet<br />

diese etwas lang ausgesponnene Komödie, wenn man sie mit den anderen Werken<br />

vergleicht, kein wirklich überzeugendes Ende. Die Höllenfahrt <strong>Don</strong> <strong>Juan</strong>s<br />

wird voraus angedeutet durch die Erscheinung eines namenlosen – vielleicht sein<br />

schlechtes Gewissen versinnbildlichenden – Gespensts. Die Statue des Komturs<br />

erscheint noch einmal am Ende des Stückes und stürzt <strong>Don</strong> <strong>Juan</strong> in den feurigen<br />

Abgrund. Der Diener Sganarelle aber findet nach dem Tod des Herrn keinen<br />

anderen Gedanken, als über seine dadurch entfallende Lohnauszahlung zu jammern.<br />

Und tatsächlich wird dieses Stück, im Vergleich mit anderen, erfolgreicheren,<br />

heute nur mehr selten auf die Bühne gebracht. Es zeigt sich hier wie fast<br />

in allen vorgestellten <strong>Don</strong> <strong>Juan</strong>/<strong>Don</strong> Giovanni-Stücken, mit Ausnahme natürlich<br />

dessen da Pontes, dass sich der Autor meist vergeblich bemühte, dem Stück ein<br />

würdiges Ende zu finden.<br />

15


Richard <strong>Bletschacher</strong><br />

Dass das Sujet vom großen Verführer der Frauen und Leugner der feudalen<br />

wie bürgerlichen Gesetze nach den ersten Probestücken auf spanischen Bühnen<br />

seine weitere Verbreitung aber vor allem in Italien fand, ist nicht zu verwundern,<br />

da man sich dortzulande mehr als in seiner Heimat geneigt zeigte, sich mit seinem<br />

Helden seines irdischen Vergnügens zu freuen und ihm Einlass zu gewähren<br />

in die Lustspieltheater. Carlo Goldoni, geboren 1707 in Venedig und gestorben<br />

1793 in Paris, war gewiss der wichtigste unter den Autoren, die die Wirksamkeit<br />

des Stücks für die szenische Darstellung erkannten. Er wusste von der französischen<br />

Version Molières, meinte aber irrtümlich die ursprüngliche, älteste spanische<br />

Fassung dem berühmten Calderón de la Barca zuschreiben zu müssen.<br />

Die Figur des <strong>Don</strong> Giovanni – so nennt er sich nun in Italien – wird unter der<br />

Feder des berühmtesten Lustspieldichters seiner aufgeklärten Epoche allerdings<br />

ihres herrischen Selbstbewusstseins entkleidet und zu einem charmanten Betrüger<br />

und gewissenlosen Lügner herabgesetzt. Aus dem stolzen Spanier ist nun ein<br />

wehleidiger italienischer Halunke geworden. Auch hat die Gestalt des Komturs<br />

und steinernen Gastes durch sein mehrmaliges und allzu redselig ausgesponnenes<br />

Disputieren alle übersinnliche Gewalt verloren. Dem ungeachtet erweist sich<br />

der vielbegabte Goldoni in der kontrastreichen Gestaltung seiner Figuren ebenso<br />

wie in manchen eloquenten Dialogen als Meister seines Faches. Auch wenn das<br />

18. Jahrhundert nur wenig Vorbehalte gegen die Lüge als Waffe der Verteidigung<br />

kennt, gibt es doch kaum ein zweites Stück, in welchem soviel und auch im<br />

Angriff gelogen wird. Man scheint darunter zu der Zeit so etwas wie die Würze<br />

eines heiteren Dialogs gesucht zu haben. Im Ganzen aber fehlt Goldonis Werk,<br />

vermutlich auch durch die Abkehr von jeder religiösen Motivierung, eben jener<br />

mythologische Kern, der der Erzählung vom bedenkenlosen Frauenverführer und<br />

seinem steinernen Gast den inneren Halt gibt. In Goldonis Version zeigt sich sein<br />

wenig mutvoll herrischer Held als wortgewandter Lügner, der vor allem die Sprache<br />

benützt, um zu verführen, sich aus Gefahren zu winden und schließlich, um<br />

sogar Mitleid zu erregen. Am Ende verdirbt Goldoni auf diese Art das Charakterbild<br />

des stolzen spanischen Granden, indem er ihn nach vielen bestandenen Abenteuern<br />

in die Enge getrieben winselnd um Gnade bitten lässt. Der Autor selbst, der<br />

unter den Bühnenleuten scherzhaft Carlino gerufen wurde, hat sich in der Figur<br />

des Schafhirten Carino eine umfängliche und anspruchsvolle Rolle auf den Leib<br />

geschrieben, in der er noch das letzte Wort hat. Dennoch ist es nicht zu verwundern,<br />

wenn das Werk nicht unter die beliebtesten Komödien dieses heute wie eh’<br />

und je beliebten Autors eingereiht wurde und auch etwa in der in meinen Regalen<br />

stehenden mehrbändigen deutschen Ausgabe seiner Werke gar nicht aufscheint.<br />

16


Vorwort<br />

Man hat dem heiteren Dichter den ernsten Grundbass des bösen Geschehens wohl<br />

nicht recht glauben wollen.<br />

Das Thema des gewissenlosen Verführers fand durch zahlreiche Adaptionen<br />

vor allem auf der Opernbühne in Italien im späten 18. Jahrhundert große Verbreitung.<br />

In Venedig etwa wurden von 1777 bis 1787 vier verschiedene musikdramatische<br />

Versionen des nun „<strong>Don</strong> Giovanni ossia Il Convitato di Pietra“ benannten<br />

Sujets geschrieben und zumindest drei davon erstmals aufgeführt. Weitere kamen<br />

in Rom und Neapel auf die Bühne. Man wird auch hier so wie in dem spanischen<br />

Vorbild eine Reihe von Scherzen bemerken, die zum Teil wegen ihrer Zeit- oder<br />

Ortsbezogenheit heute kaum mehr verständlich sind und die man darum sanftmütig<br />

erdulden oder achselzuckend übergehen wird. Giovanni Bertatis Verdienst<br />

ist in jedem Fall, dass er alles unnötig wuchernde Beiwerk ausgeschieden und das<br />

tragende Handlungsgerüst freigelegt hat. Auch ist ihm eine wirksame Eröffnung<br />

zu danken mit der Ermordung des Komturs und danach eine folgerichtige Ordnung<br />

der Szenen, die ohne Umwege auf das zu erwartende Finale der Höllenfahrt<br />

zustrebt. Dennoch muss man den Einwand geltend machen, dass er den Frauenfiguren<br />

zu wenig Achtung und so gut wie gar kein Mitleid zuwendet. Dass Bertati<br />

einen berechtigten Anteil hat an der um vieles geistreicheren Ausprägung des<br />

großen Themas durch da Ponte und Mozart ist jedoch nicht zu leugnen. Hinzuweisen<br />

bleibt am Rande auf ein erhalten gebliebenes Fragment Gazzanigas, das<br />

Skizzen zu einer erweiterten Registerarie des Pasquariello für eine später erfolgte<br />

Wiener Aufführung enthält. Ob sie vor oder nach da Pontes Fassung entstanden<br />

ist, ist nicht zu ersehen.<br />

Durch die in diesem Band erfolgte Auswahl der älteren Schauspiele treten in<br />

den ihnen gegenübergestellten jüngeren Operntexten sehr deutlich die Unterschiede<br />

in deren formalen Strukturen hervor. Während in den ersteren dem Autor<br />

alle Möglichkeiten einer freien oder gebundenen Rhythmisierung offen sind, hat<br />

der Librettist dem Komponisten eine variantenreichere Einladung zu den unterschiedlichsten<br />

musikalischen Formgebungen vorzuschlagen. Während er in den<br />

Gesangsstücken, Arien, Ensembles, Finali, je nachdem ob sie lyrischen oder dramatischen<br />

Charakters sind, wechselnde Rhythmen vorgibt, um bei der notwenigen<br />

längeren Dauer und gelegentlichen Wiederholung der Texte keine Einförmigkeit<br />

aufkommen zu lassen, kann er in den rascher auszuführenden Rezitativen<br />

seine Metren von Vers zu Vers nach eigenem Belieben und den Erfordernissen der<br />

dramatischen Situation gestalten. Es hat sich in der italienischen Tradition dabei<br />

bald die Übung gezeigt, dass kürzere untermischt mit längeren Versen die Gespräche<br />

beleben. Und so wurden meist Verse von fünf bis sieben Silben mit solchen<br />

17


Richard <strong>Bletschacher</strong><br />

abgewechselt, die 11 oder 12 Silben enthielten und die letzteren oft am Szenenende,<br />

wie ehedem auch im klassischen Schauspiel mit einem Reimpaar abschlossen.<br />

Wenn der Autor sein Handwerk gelernt hatte, so musste ihm der Komponist<br />

dabei wenig Anleitung geben und konnte sich vielmehr auf dessen erfinderische<br />

Inspiration verlassen. Bei meinen Übersetzungen der Opern habe ich mich daher<br />

sehr genau an die rhythmischen Strukturen gehalten, um sie möglichst ohne Verluste<br />

an die Noten der Partituren anzupassen.<br />

Vor dem unvergleichlichen Meisterwerk von da Ponte und Mozart ist uns<br />

von den zahlreichen musikdramatischen Gestaltungen des Sujets vom spanischen<br />

Edelmann <strong>Don</strong> <strong>Juan</strong>, der unterdessen den italienischen Namen Giovanni erhalten<br />

hatte, ein anderes Werk bekannt geworden: die nur einen halben Abend füllende<br />

eben erwähnte kleine opera buffa von Giovanni Bertati und Giuseppe Gazzaniga,<br />

die unter dem Titel <strong>Don</strong> Giovanni o sia Il Convitato di Pietra zu Beginn des Jahres<br />

1787 in Venedig ihre Uraufführung erlebte und zwar als zweiter Teil eines geteilten<br />

Abends mit dem Titel Il Cappriccio drammatico. Bertatis <strong>Don</strong> <strong>Juan</strong> Drama ist<br />

folglich als Theater im Theater konzipiert. Im ersten Akt, in der „Theaterkomödie“,<br />

wird diskutiert, welches Stück zur Aufführung gebracht werden soll – der<br />

Vorschlag, den Convitato di pietra zu spielen, findet zunächst wenig Zustimmung<br />

bei den Sängern – der Impresario überzeugt sie schließlich, indem er eine noch nie<br />

gesehene Synthese aus der Fassung des Tirso de Molina, Molières und der Tradition<br />

der commedia ankündigt – diese Aufführung erfolgt dann im 2. Akt. Giovanni<br />

Bertati stammte aus dem kleinen Ort Martellago im Veneto und wurde am 10. Juli<br />

1735 geboren. Wenig mehr ist über ihn bekannt, als dass er in Treviso was auch<br />

immer es sein mochte studierte und bald danach schon versuchte, in Venedig sein<br />

Glück zu machen. 1769 gelang ihm mit einem Opernbuch über den tragischen<br />

Tod der karthagischen Königin Dido ein erster Bühnenerfolg, dem sich viele<br />

andere anschließen sollten. Seine poetischen Werke wurden von unterschiedlichen<br />

Komponisten vertont und meist am Teatro San Moisè erstmals aufgeführt. Dass<br />

er nach der Verabschiedung Lorenzo da Pontes durch Kaiser Leopold II. dessen<br />

Stelle als Theaterdichter am Wiener Hoftheater einnehmen und dort von 1791<br />

bis 1794 walten würde, hat ihn gewiss auf den Gipfel seiner Karriere geführt. Von<br />

dieser seiner Wiener Tätigkeit ist uns das sehr gelungene Textbuch zu Cimarosas<br />

opera buffa Il matrimonio segreto überliefert. Das Buch Giovanni Bertatis wurde für<br />

die Komposition durch Giuseppe Gazzaniga und für eine Aufführung im Teatro<br />

San Moisè in Venedig geschrieben. Gegenüber den älteren Schauspielen hat es den<br />

Vorteil, dass es sich auf die wesentlichen Elemente der Handlung beschränkt, alle<br />

Debatten, Vorwürfe und Ausreden vermeidet und die komödiantischen Elemente<br />

18


Vorwort<br />

in den Vordergrund rückt. Der eigentlichen Bedeutung des großen Sujets und dessen<br />

durchaus auch weltanschaulichen und tragischen Implikationen werden dabei<br />

keine ernste Beachtung geschenkt. Dennoch hat eben dieses Werk, das im Jahre<br />

1787 in Venedig auf die Bühne gelangte, das große Verdienst, dem venezianischen<br />

Dichter Lorenzo da Ponte und dem genialen Musikdramatiker Wolfgang Amadé<br />

Mozart zum Vorbild für deren Fassung des Stoffes und damit einem der größten<br />

Meisterwerke des europäischen Theaters zum Vorbild gedient zu haben. Dabei ist<br />

mit Erstaunen festzustellen, wie viele dramatische Motive da Ponte unbekümmert<br />

von dem ihm sicher wohlbekannten Landsmann Bertati übernommen hat.<br />

Um eine abendfüllende Oper zu ermöglichen, sah er sich veranlasst und gewiss<br />

auch vom Komponisten dazu aufgefordert, neue Handlungsmotive, die eine<br />

Erweiterung des Ganzen auf zwei Akte ermöglichen, einzufügen. Die dabei sich<br />

einstellenden Schwierigkeiten hat er nicht immer in der gleichen dramaturgischen<br />

Inspiration, aber doch am Ende glücklich gelöst. Über da Pontes Version des <strong>Don</strong><br />

Giovanni und mehr noch über Mozarts Vertonung ist vieles bereits geschrieben<br />

worden, bewundernd, rätselnd, philosophierend und immer staunend, ich selbst<br />

habe durch meine Publikation Mozart und da Ponte soviel dazu beigetragen, dass<br />

ich, um mich nicht zu wiederholen, nicht mehr dazu sagen will. Immerhin muss<br />

hier doch berichtet werden, dass, nachdem Mozart den Auftrag zu einer Opernkomposition<br />

vom Prager Impresario Pasquale Bondini erhalten hatte, er sich an<br />

da Ponte wandte, der ihm – wie dieser in seinen Memoiren berichtet – das Sujet<br />

des <strong>Don</strong> Giovanni empfahl. Das Buch Bertatis wird vermutlich auch in Wien zu<br />

haben gewesen sein, vielleicht gar in der Sammlung des Abbate Casti, die dieser,<br />

eifersüchtig, Mozart nicht hatte einsehen lassen. Wenn da Ponte sie nicht selbst in<br />

Venedig gesehen und gehört hatte, so hatte er sie doch von Casti oder einem anderen<br />

seiner alten Bekannten geschildert bekommen. Von den Rechten eines Urhebers<br />

war damals so wenig die Rede, dass er nicht nur die Charakterisierung der<br />

handelnden Figuren, sondern ganze Handlungselemente recht ungeniert daraus<br />

entnehmen konnte. Da Pontes Aufgabe bestand nun vor allem in der Erweiterung<br />

der knapp gedrängten Handlung auf zwei Akte und deren jeweilige Krönung<br />

durch ein wirkungsmächtiges Finale. Da er die spanischen Versionen wohl nicht<br />

kannte, die Molièresche wahrscheinlich doch, ihm von den italienischen Fassungen<br />

aber mehr als nur eine vorlagen, musste er neue Handlungsstränge erfinden,<br />

verknüpfen und lösen. Er hat dies getan mit dem großen Geschick des versierten<br />

dramatischen Dichters in knappen und ohne redselige Umschweife eng an die<br />

Handlung gebundenen Dialogen. Und so sind dabei auch einige Szenen entstanden,<br />

die vor allem die Bemühung um dankbare Aufgaben für den Komponisten<br />

19


Richard <strong>Bletschacher</strong><br />

und gerechte Verteilung der Gesangsrollen erkennen lassen. In diesem Punkte hat<br />

er sich als idealer Wegbereiter für die Musik eines wahrhaft genialen Komponisten<br />

erwiesen. Da Mozart offenbar gesonnen war, dem Stoff seine ganze mythische<br />

Gewalt wiederzugeben, die diesem auf seinem Weg durch die italienischen Komödienhäuser<br />

abhandengekommen war, war es eine bedeutende Leistung des Autors,<br />

mit der durch die Wiener und damit auch die Prager Theaterordnung bedingte<br />

Verwendung von nur sechs Sängern die Stringenz der Bühnengeschehnisse auf<br />

gleichschwebender Höhe zu erhalten. Das erste Problem wurde gelöst dadurch,<br />

dass die Bassrolle des Komturs auch von dem Sänger des Masetto übernommen<br />

werden konnte, da deren Auftritte sich nicht überschneiden. Größere Überlegungen<br />

erforderte die Gestaltung des ersten Finales. Während in der Schrecken bereitenden<br />

Schlussszene des zweiten Aktes einer der großen Höhepunkte dramatischer<br />

Kunst und theatralischer Wirkung erreicht und vor allem durch die gewaltige<br />

Musik über alles Erwartbare hinaus gesteigert wurde, musste im ersten Akt die<br />

turbulente Handlung eines vom Titelhelden anbefohlenen Festes durch den Eintritt<br />

eines donnernden Gewitters unterbrochen und beendet werden, wohl nicht<br />

so sehr, um der inneren Logik des Geschehens, als um der althergebrachten Form<br />

der opera buffa zu genügen. Jenseits aber der wenigen, geringen und hier nicht weiter<br />

auszuführenden Einwände muss dem Textdichter zugestanden werden, dass er<br />

einen gerechten Anteil hatte an der Vollendung eines der größten Meisterwerke<br />

der abendländischen Theatergeschichte. Während man im Werk des Claramonte<br />

den Eindruck gewinnt, dass sich fast alle Szenen auf leerer Bühne abspielen, da alle<br />

Hinweise auf die Gestaltung der Bühne und deren Verwandlungen fehlen, ist sehr<br />

rasch zu erkennen, dass man bei da Ponte einem Meister des Bühnenhandwerks<br />

gegenübersteht, der alle Vorgänge in deutlichen Bildern vor Augen führt. Ohne<br />

die Musik Wolfgang Amadé Mozarts in ihrer in heiteren wie in ernsten Szenen so<br />

überreichen Invention und Ausgestaltung wären jedoch alle theatralischen Bemühungen<br />

Lorenzo da Pontes nicht in den Rang gehoben worden, den sie in unserem<br />

Bewusstsein seither gewonnen haben und nie mehr verlieren mögen.<br />

Eine ganz außerordentliche dramatische Wirkung erreicht die Szene der so<br />

genannten Höllenfahrt <strong>Don</strong> Giovannis, die nicht in allen anderen Werken mit der<br />

gleichen dramaturgischen Meisterschaft gestaltet wurde. Man erinnert sich dabei<br />

an einen Brief Mozarts an den Vater von den Proben des Idomeneo in München.<br />

Er spricht darin seine Überzeugung aus, dass die Erscheinung des Außerirdischen<br />

auf dem Theater in aller möglichen Gewalt und Kürze zu erfolgen habe und verweist<br />

dabei auf das Auftreten des ermordeten Königs in Shakespeares Hamlet, das,<br />

nachdem es nur in verwirrten Andeutungen spannungsvoll vorbereitet wurde,<br />

20


Vorwort<br />

in aller notwenigen Kürze lediglich einen knappen, unverzichtbaren Dialog enthält.<br />

Dieses sein Gespür für die erschreckende und ins Unheimliche gesteigerte<br />

Wirkung konnte er nun in der Szene des Gastmahls mit dem steinernen Gast in<br />

unvergleichlicher Weise vor Augen und Ohren führen. Was dieses Werk neben<br />

dieser Szene jedoch von allen anderen am lebhaftesten unterscheidet ist die überquellende<br />

sinnliche Lust, die nicht allein in der Musik, sondern auch in der Poesie<br />

des großen Frauenfreundes Lorenzo da Ponte überall hervortritt. Nicht allein<br />

sind die von Leporello aufgezählten Opfer von <strong>Don</strong> Giovannis Liebesgier bis ins<br />

Unwahrscheinliche gesteigert, man denke nur an die berühmt gewordene Zahl<br />

von 1003 Eroberungen in Spanien, es werden auch seine Künste der Liebeswerbung<br />

anschaulicher als je vor Augen geführt. Aus dem Betrüger, Spötter, Gottesleugner<br />

und Verächter aller althergebrachten Sitten wird so ein Mann, der die<br />

Frauen als die Verkörperung des blühenden Lebens liebt, begehrt und bewundert.<br />

Das macht den Zauber aus, der seine Gestalt seither umgibt.<br />

Ein jeder Kenner versteht, dass nach dem großen Erfolg der Oper bei ihrer<br />

Uraufführung am 29. Oktober 1787 im Prager Ständetheater man das Werk auch<br />

am Alten Burgtheater in Wien zu sehen wünschte. Auf wessen Wunsch Mozart<br />

und da Ponte sich veranlasst gesehen haben, dem Werk noch einige Ergänzungen<br />

beziehungsweise Abänderungen hinzuzufügen, ist heute nicht mehr zu ermitteln.<br />

Sie werden wohl durch die veränderten Besetzungen verursacht worden sein.<br />

Mozart hat die drei neuen Nummern auf Texte da Pontes in seiner neuen Wohnung<br />

in den Tuchlauben sehr rasch komponiert. Um die dramatische Tenor-Arie<br />

(„Il mio tesor in tanto“) zu ersetzen, hat er eine andere, lyrischere („Dalla sua<br />

pace“) geschrieben und diese nach der Wiedererkennungsszene eingefügt. Man hat<br />

seither jedoch die eine wie die andere nicht mehr aus der Partitur genommen und<br />

ebenso auf die zweite, so empfindungsstarke Arie der <strong>Don</strong>na Elvira nicht mehr<br />

verzichten wollen. Das etwas seltsame Duett zwischen Zerlina und Leporello<br />

hingegen hat man zu Recht außer Betracht gelassen. Es war doch allzu deutlich<br />

entweder als Konzession für die beiden beliebten Sänger oder für ein Publikum<br />

geschrieben worden, das leicht für derlei komödiantische Späße zu gewinnen war,<br />

auch wenn sie nicht in den Zusammenhang passten. So sollen auch an dieser Stelle<br />

von der so genannten Wiener Fassung nur die beiden wunderbaren Arien, nicht<br />

aber das Duett in da Pontes Text eingereiht werden. Dass sich in der bei den ersten<br />

Wiener Aufführungen benützten Partitur ein Strich vom Tod des <strong>Don</strong> Giovanni<br />

bis zum Ende des Epilogs befindet, wird manchen Theatermenschen interessieren.<br />

Ob er von Mozart selbst stammt, darüber mag man rätseln. Immerhin existiert ein<br />

zeitgenössisches Libretto, in dem das Werk mit der Höllenfahrt endet, so auch war<br />

21


Richard <strong>Bletschacher</strong><br />

es die Gepflogenheit des ganzen 19. Jahrhunderts und selbst Gustav Mahler hat in<br />

Wien das Finale noch gestrichen. In der Wiener Staatsoper wird seither dennoch<br />

das Schlussensemble wieder gespielt. Und auch ich habe mich, wenn ich das Werk<br />

inszenierte, für die integrale Version entschieden.<br />

Eine eingehend wertende Kritik am theatralischen und poetischen Rang der<br />

fünf recht unterschiedlichen Werke soll man von mir an dieser Stelle nicht erwarten.<br />

Ich habe die Auswahl zu verantworten, die ich in der Absicht getroffen habe,<br />

dem Leser einen Überblick über die Entstehung und die Verwandlungen des<br />

berühmten Sujets zu schaffen. Er wird sehr leicht die Unterschiede und Bedeutungen<br />

selbst erkennen und bewerten. Einen kurzen Hinweis, worauf bei jedem<br />

der Stücke das Augenmerk zu richten wäre, wird man mir dennoch gestatten. So<br />

fallen bei der Lektüre des Claramonte die heute als belastend erscheinenden ellenlangen<br />

Monologe von Nebenpersonen auf, die einmal die gut studierten Kenntnisse<br />

des Autors erweisen sollten in Gegenständen wie der Mythologie der Antike<br />

oder in der Geographie der iberischen Halbinsel. Die werden wohl bei einer<br />

szenischen Realisation gekürzt oder gestrichen werden. An Molières Stück ist zur<br />

Kenntnis zu nehmen, dass der aufgeklärte Autor die theatralischen Möglichkeiten<br />

des Einbruchs jenseitiger Mächte in die von ihm so heftig kritisierte reale Welt der<br />

Frauenschänder, Straßenräuber, Kurpfuscher und Heuchler mit Absicht nicht hat<br />

nutzen wollen. Goldonis Stück stammt aus einer frühen Periode seines Schaffens<br />

und ist ihm umständlich lang und redselig geraten, ohne den präzisen Witz seiner<br />

besten Werke ganz zu erreichen. Bertati hat mit knappen Mitteln dramaturgisches<br />

Geschick erwiesen. Als Menschenkenner und als Dichter kann er den anderen<br />

Meistern nicht das Wasser reichen. Dass ich an da Pontes Dichtung und dem vermutlich<br />

von Mozart mitbestimmten Aufbau der Handlung etwas zu mäkeln hätte,<br />

dazu werde ich mich nicht versteigen.<br />

Zum Kunsthandwerk des Übersetzens poetischer und dramatischer Texte wäre<br />

wohl einiges zu sagen. Das aber muss ich, da ich selber der Täter bin, anderen<br />

überlassen. Nur weniges soll angemerkt werden, um dem eventuellen Interesse<br />

des Lesers zu dienen. Die Texte Bertatis und da Pontes habe ich schon vor mehreren<br />

Jahren übertragen und sie der Musik der Opern von Gazzaniga und Mozart so<br />

genau angepasst, dass sie in dieser Form ohne Eingriff in das Notenbild gedruckt<br />

und aufgeführt werden konnten. Sie sind in den Partituren der Verlage Bärenreiter<br />

in Kassel und Alexander Herrmann in Wien veröffentlicht worden. Während ich<br />

die Schauspiele Molières und Goldonis in diesem Sommer ohne größere Mühe ins<br />

Deutsche übersetzen konnte, den einen in originaler Prosa, den anderen in Versen,<br />

habe ich bei der Arbeit an dem nun genau vierhundert Jahre alten spanischen Text<br />

22


Vorwort<br />

bemerken müssen, dass meine Kenntnisse dieser Sprache, nachdem ich doch in<br />

vergangenen Jahrzehnten schon Werke von Calderón und Lope de Vega übersetzt<br />

hatte, wegen mangelnder Gelegenheit sie zu üben, beträchtlich gelitten haben.<br />

Darum habe ich, nachdem ich einige Seiten bewältigt hatte, meine Enkelin Louise,<br />

die ihr Spanisch in lebendiger Übung erhalten kann, gebeten, mir hier und da<br />

mit gutem Willen und dem Wörterbuch zu helfen. Da erwies sich nun, dass der<br />

Mönch Claramonte mit seinem einmal lyrischen, ein andermal theologisch rhetorischen<br />

Vokabular sich durch seine Bemühungen um den hohen Ton einer höfischen<br />

Sprache im Munde seiner Könige, Herzöge und Minister und seinen antikisierenden<br />

Ansprüchen sich soweit über das Einverständnis seiner Leser – und<br />

vermutlich auch über das seiner damaligen Zuseher – erhoben hatte, dass er auf<br />

seinen Stelzen mehr als einmal ins Stolpern gekommen ist. Ich habe mir also einige<br />

Mühe gegeben, seine Verse dem heutigen Gebrauch unserer deutschen Sprache<br />

mit mehr Geschmeidigkeit anzupassen, ohne auch nur einen Vers auszulassen. All<br />

die Autoren, die nach ihm an diesem Stoff sich versuchten, haben ihren Ton um<br />

einige Grade herab gestimmt und auf die Auftritte der allerhöchsten Majestäten<br />

und Granden verzichtet, um sich dem französischen oder italienischen Volk wieder<br />

verständlich zu machen. Molière und da Ponte haben dies mit bewundernswerter<br />

Eleganz und Leichtigkeit zuwege gebracht und uns dadurch vor allem in<br />

den Szenen des bäuerlichen Lebens Werke von echt gültiger Poesie oder großer<br />

Komik geschenkt.<br />

Meine Aufgabe habe ich darin gesehen, den Freunden der Dichtkunst und des<br />

Theaters die originalen Texte vom Leben ihres Helden möglichst unverfälscht in<br />

deutscher Übersetzung in die Hände zu geben. Meiner lieben Enkelin bin ich zu<br />

Dank verpflichtet. Ebenso verbunden bin ich dem <strong>Don</strong> <strong>Juan</strong> Archiv Wien für die<br />

Beschaffung einiger originaler Texte, den wertvollen Hinweisen von Reinhard<br />

Eisendle sowie der aufmerksamen Lektorin des Hollitzer Verlages, Sigrun Müller,<br />

für die Betreuung dieses, meines lange geplanten und endlich doch vollendeten,<br />

Unternehmens. Dem wünsche ich Glück auf dem gefahrvollen Weg.<br />

R. B.<br />

23


DER SPÖTTER VON SEVILLA<br />

oder<br />

Der steinerne Gast<br />

Comedia<br />

von<br />

Andrés de Claramonte<br />

Sevilla 1617


Der Spötter von Sevilla oder Der steinerne Gast<br />

Die Personen der Handlung:<br />

Der König von Kastilien<br />

<strong>Don</strong> Gonzalo de Ulloa<br />

Der Gesandte <strong>Don</strong> Pedro Tenorio<br />

<strong>Don</strong> <strong>Juan</strong> Tenorio<br />

Catalinón<br />

Tisbea<br />

Batricio<br />

Der Herzog Octavio<br />

Der Marqués de la Mota<br />

Herzogin Isabela<br />

Arminta<br />

Belisa<br />

Doña Ana<br />

Der König von Neapel<br />

Coridón<br />

Gazeno<br />

Anfriso<br />

Ripio<br />

Wächter, Arbeiter und Diener<br />

ERSTER TAG<br />

Nacht<br />

Isabela:<br />

<strong>Don</strong> <strong>Juan</strong>:<br />

Isabela:<br />

(Es treten auf die Herzogin Isabela und <strong>Don</strong> <strong>Juan</strong> Tenorio)<br />

Kommt weiter ohne Lärm zu machen,<br />

Herzog Octavio.<br />

Ich bin so leis’ wie der Wind.<br />

Dennoch muss ich fürchten,<br />

dass uns einer gehört haben mag,<br />

denn so wie du hier in den Palast<br />

eingetreten bist, ist dies<br />

ein todwürdiges Verbrechen.<br />

27


Andrés de Claramonte<br />

<strong>Don</strong> <strong>Juan</strong>:<br />

Isabela:<br />

<strong>Don</strong> <strong>Juan</strong>:<br />

Isabela:<br />

<strong>Don</strong> <strong>Juan</strong>:<br />

Isabela:<br />

<strong>Don</strong> <strong>Juan</strong>:<br />

Isabela:<br />

<strong>Don</strong> <strong>Juan</strong>:<br />

Isabela:<br />

<strong>Don</strong> <strong>Juan</strong>:<br />

Isabela:<br />

<strong>Don</strong> <strong>Juan</strong>:<br />

Isabela.<br />

<strong>Don</strong> <strong>Juan</strong>:<br />

Isabela:<br />

<strong>Don</strong> <strong>Juan</strong>:<br />

Isabela:<br />

<strong>Don</strong> <strong>Juan</strong>:<br />

Isabela:<br />

Der König:<br />

Isabela:<br />

Der König:<br />

<strong>Don</strong> <strong>Juan</strong>:<br />

Der König:<br />

Señora, wenn du mir die Freiheit gibst,<br />

werd’ ich für deine Güte mich besser bedanken.<br />

Herzog, du hast mir die Hand<br />

zur Verlobung gegeben.<br />

Ich habe dabei nur gewonnen.<br />

Dass du meine Ehre so auf das Spiel setzst,<br />

muss mir versichern, dass du<br />

mich zur Gattin nehmen wirst.<br />

Ich sage dir, dass ich dein Gatte bin<br />

und dir bald auch meine Hand geben werde.<br />

So warte, bis ein Licht hervorkommt,<br />

das mir das Glück zeigt, das ich gewinne,<br />

Herzog Octavio. (Sie entzündet ein Licht.) – Weh mir!<br />

Lösche das Licht!<br />

Ich sterbe! Wer bist du?<br />

Ein Mann, der deine Liebe genossen hat.<br />

Du bist nicht der Herzog?<br />

Ich? Nein?<br />

Dann sag wer du bist.<br />

Ich bin ein Mann.<br />

Dein Name?<br />

Ich hab keinen Namen.<br />

Dieser Verräter hat mich betrogen.<br />

Leute! Diener!<br />

Lass ab!<br />

Du wirst noch Schlimmres erfahren.<br />

Nicht durch Geschrei.<br />

Wehe! Im Namen des Königs! Soldaten, Leute!<br />

(Auftritt der König von Neapel.)<br />

Wer ist der dort?<br />

Gnade! Weh mir,<br />

es ist der König!<br />

Was geht hier vor?<br />

Was soll es sein?<br />

Ein Mann und eine Frau.<br />

Lasst Vernunft hier walten<br />

und den Schaden vermeiden.<br />

28


Der Spötter von Sevilla oder Der steinerne Gast<br />

<strong>Don</strong> Pedro:<br />

Der König:<br />

<strong>Don</strong> Pedro:<br />

Der König:<br />

<strong>Don</strong> Pedro:<br />

<strong>Don</strong> <strong>Juan</strong>:<br />

<strong>Don</strong> Pedro:<br />

<strong>Don</strong> <strong>Juan</strong>:<br />

<strong>Don</strong> Pedro:<br />

<strong>Don</strong> <strong>Juan</strong>:<br />

(Es treten auf <strong>Don</strong> Pedro, der Gesandte Spaniens, und einige Diener und<br />

Dienerinnen.)<br />

Stimmen, Sire, in Euren Gemächern?<br />

Was hat der Lärm für Ursach’?<br />

Nehmt den Mann dort gefangen.<br />

Tötet ihn und die Frau.<br />

Wer sind die beiden?<br />

Besser es nicht zu wissen,<br />

denn hab’ ich sie erst gesehen,<br />

wüsst’ ich nicht mehr was zu tun.<br />

Vielleicht würd’ ich mich<br />

reuend bezwingen, denn in diesen,<br />

die Ihr mich drängt zu erkennen,<br />

hab’ ich bereits schon<br />

meine Missachtung erkannt.<br />

<strong>Don</strong> Pedro Tenorio, Euch<br />

überlass’ ich diese Gefangnen.<br />

Wenn ich allzu rasch war, seid Ihr behutsam<br />

und seht wen Ihr da vor Euch habt.<br />

(Der König geht ab.)<br />

Kommt mit ins Gefängnis, Señor.<br />

Wage keiner mich zu berühren,<br />

wenn er den Tod scheut.<br />

So tötet ihn.<br />

Den Tod erwart ich<br />

durch die Klinge des Degens.<br />

Ihr müsst mir das Leben abkaufen,<br />

das ich so leicht nicht ergebe<br />

als dass ich das eure mir nehme.<br />

Tötet ihn! Was fürchtet ihr Arges?<br />

Senkt eure Waffen, denn die meine<br />

hat schon mehr als ein Leben geraubt.<br />

Verurteilt bin ich zum Tode.<br />

Und da der Tod mir gewiss ist,<br />

werd’ ich ihn leichter erdulden,<br />

wenn ich euch alle hier mit mir nehme.<br />

Da mir hier nun auf solche Art<br />

29

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