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Berlin ist Gelb

ISBN 978-3-98612-218-8

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<strong>Berlin</strong> <strong>ist</strong> <strong>Gelb</strong>.<br />

Das Corporate Design<br />

der <strong>Berlin</strong>er Verkehrsbetriebe:<br />

Entstehung und Gegenwart.<br />

Lars Krüger<br />

Bodo Baumgardt<br />

Erik Spiekermann<br />

Axel Mauruszat


<strong>Berlin</strong> <strong>ist</strong> <strong>Gelb</strong>.<br />

Das Corporate Design<br />

der <strong>Berlin</strong>er Verkehrsbetriebe:<br />

Entstehung und Gegenwart.<br />

Lars Krüger<br />

Bodo Baumgardt<br />

Erik Spiekermann<br />

Axel Mauruszat


Inhaltsverzeichnis<br />

8<br />

Vorwort<br />

1<br />

2<br />

3<br />

4<br />

5<br />

6<br />

7<br />

8<br />

9<br />

10<br />

34<br />

58<br />

114<br />

170<br />

198<br />

210<br />

216<br />

322<br />

Geschichte der <strong>Berlin</strong>er Verkehrsbetriebe 1829 – 2024<br />

Erscheinungsbild der BVG 1928 – 1950<br />

Erscheinungsbild von BVB und BVG 1950 – 1990<br />

Integration der BVG ins Stadtbild 1980 – 1988<br />

Engagement in Ostberlin 1981 – 1989<br />

Markt- und Kunden orientierung der BVG 1988 – 1989<br />

Deutsche Wiedervereinigung 1989 – 1990<br />

Harmonisierung und Erneuerung der BVG 1990 – 1994<br />

Dokumentation 1994 – 1996<br />

342<br />

346<br />

440<br />

Nachwort<br />

Gespräche mit Beteiligten 2011 – 2024<br />

Anhang


5<br />

1 2 3 4


2<br />

Erscheinungsbild der BVG<br />

1928 – 1950<br />

← auf der vorherigen Doppelseite:<br />

1935 U-Bahnhof Bülow straße.<br />

Die wechselvolle Geschichte der <strong>Berlin</strong>er Verkehrsbetriebe, sowohl<br />

durch h<strong>ist</strong>orische Ereignisse als auch durch Zusammenschlüsse verschiedener<br />

Unternehmen, lässt bereits erahnen, dass es kein einheitliches<br />

Erscheinungsbild geben konnte. Vielmehr war es ein visuelles<br />

Sammelsurium von Schildern, Formen, Farben, Schriften oder Architekturstilen,<br />

das im Laufe der Jahre nebeneinander, manchmal sogar<br />

in bewusster Konkurrenz zueinander, die Vielfalt des <strong>Berlin</strong>er Nahverkehrs<br />

widerspiegelte. Von einem systematischen und einheitlichen<br />

Gestaltungsprinzip waren die <strong>Berlin</strong>er Verkehrsbetriebe daher weit<br />

entfernt. Die Gestaltung von Broschüren, Netzplänen, Fahrplänen<br />

oder Haltestellenaushängen war weitgehend beliebig und in der Regel<br />

aufgabenbezogen.<br />

1 1929 Am 15. Mai 1929 wird in der<br />

Mitarbeiterzeitschrift Die Fahrt,<br />

welche von der BVG herausgegeben<br />

wurde, das neue Logo vorgestellt:<br />

„Das neue Firmenschild der<br />

BVG <strong>ist</strong> eine Schöpfung des Bildhauers<br />

Arminius Hasemann. Durch<br />

die Anbringung an Straßenbahn<br />

und Omnibus wird die Zusammenfassung<br />

des <strong>Berlin</strong>er Verkehrs auch<br />

äußerlich betont.“<br />

2 1938 Am 1. Januar 1938 wurde die<br />

<strong>Berlin</strong>er Verkehrs-Aktiengesellschaft<br />

(BVg) ein Eigenbetrieb<br />

der Stadt <strong>Berlin</strong>. Mit der Umfirmierung<br />

wurde nicht nur die Bezeichnung<br />

zu <strong>Berlin</strong>er Verkehrs-Betriebe<br />

(BVg) geändert, sondern<br />

zudem ein neues Logo eingeführt.<br />

Diese zeigte das Stadtwappen<br />

<strong>Berlin</strong>s, welches 1934 vom Grafiker<br />

und Heraldiker Sigmund von Weech<br />

entworfen wurde, mit den drei<br />

darunter angeordneten Buchstaben.<br />

Die verwendete Schrift deutet<br />

unmissverständlich auf die seit 1933<br />

vorherrschende politische Lage hin.<br />

3 1945 Nach Kriegsende wurde das<br />

bestehende Logo um einen Doppelrahmen<br />

erweitert. Außerdem wurde<br />

die Schriftart aus h<strong>ist</strong>orischen<br />

Gründen geändert.<br />

4 1949 Am 1. August 1949 wurde die<br />

Teilung der BVG-Verwaltung in Ostund<br />

Westberlin vorgenommen. Beide<br />

Betriebe verwendeten weiterhin<br />

das gleiche Logo – mal mit und mal<br />

ohne <strong>Gelb</strong> eingefärbter Fläche.<br />

5 1935 U-Bahnhof Sophie-Char -<br />

lotte-Platz.<br />

Erscheinungsbild der BVG 1928 – 1950 37


B


C


1<br />

2


1 1972 Der von Reinhard Rümmler<br />

entworfene U-Bahnhof Eisenacher<br />

Straße (Westberlin) wurde wie<br />

sechs weitere U-Bahnhöfe der U7<br />

im Januar 1971 eröffnet. Rümmler<br />

behielt das Leitprinzip der Kennfarben<br />

seiner Vorgänger Grenander<br />

und Grimmek bei, verwendete<br />

aber, dem Zeitge<strong>ist</strong> entsprechend,<br />

großformatige farbige Eternitplatten.<br />

Die von Rümmler verwendeten<br />

Farben hatten oft eine symbolische<br />

Bedeutung. So erinnern die grünen<br />

Flächen im U-Bahnhof Eisenacher<br />

Straße an die gleichnamige Stadt<br />

und deren Bäume im Thüringer<br />

Wald.<br />

2 1972 Die Farbe des U-Bahnhofs<br />

Bayerischer Platz (Westberlin)<br />

wurde von den bayerischen<br />

Landes farben abgeleitet.<br />

3<br />

3 1972 Im Laufe der Zeit änderte<br />

sich Rümmlers Stil. Die Gestaltung<br />

des U-Bahnhofs Fehrbelliner Platz<br />

und einiger anderer U-Bahnhöfe<br />

orientierte sich stark an der Popkultur<br />

der Zeit.<br />

69


1<br />

2


3<br />

1 1977 U-Bahnhof Osloer Straße<br />

(Westberlin).<br />

2 1976 U-Bahnhof Nauener Platz<br />

(Westberlin).<br />

3 1976 U-Bahnhof Nauener Platz<br />

(Westberlin).<br />

4 1972 U-Bahnhof Fehrbelliner<br />

Platz (Westberlin).<br />

4<br />

71


1 2 3<br />

4


6<br />

Markt- und Kundenorientierung der BVG<br />

1988 – 1989<br />

← auf der vorherigen Doppelseite:<br />

1988 Skizze einer Bushaltestelle<br />

aus der Wettbe werbs präsentation<br />

Gesamterscheinungsbild <strong>Berlin</strong>er<br />

Verkehrsbetriebe (BVG) der<br />

Marke tingagentur Communication<br />

Consulting. In der Präsentation<br />

wird das für das Projekt verantwortliche<br />

Team genannt. Projektleiter:<br />

Michael Friedberg; Projektmanager:<br />

Peer Schmidt-Paulus; Visuelle<br />

Kommunikation: Florian Adler, Haps<br />

Schmidt; Werbekommunikation:<br />

Sabine Selle, Jürgen Zumbrägel;<br />

Mitarbeitermotivation und Schulung:<br />

Dipl. Psych. Chr<strong>ist</strong>of Siebner;<br />

Fotografie: Bernd Gallandi.<br />

Anfang der achtziger Jahre setzte in Westberlin ein Umdenken in der<br />

Stadtentwicklung ein. Die Vision einer menschengerechten Stadt löste<br />

das Leitbild der autogerechten Stadt ab. Die Prioritäten verschoben sich<br />

zugunsten des öffentlichen Nahverkehrs und des Radverkehrs. Diese<br />

für die BVG an sich erfreuliche Entwicklung wurde jedoch durch eine<br />

Änderung der bundesdeutschen Finanzpolitik negativ beeinflusst. Bis<br />

dahin hatte Westberlin aufgrund seiner Sonderstellung als isolierte und<br />

geteilte Stadt inmitten der DDR von der BRD umfangreiche Subventionen<br />

erhalten, um die wirtschaftliche Entwicklung zu fördern und die<br />

Attraktivität der Stadt zu erhalten. Unter der Regierung Helmut Kohls kam<br />

es jedoch ab 1982 zu einer Neuorientierung der Bundespolitik gegenüber<br />

Westberlin. Die Subventionen wurden gekürzt und es gab Bestrebungen,<br />

die Stadt wirtschaftlich stärker auf eigene Beine zu stellen. Dies führte zu<br />

einem deutlichen Rückgang der staatlichen Förderung, was vor allem die<br />

Industriebetriebe und den öffentlichen Dienst betraf.<br />

Die wirtschaftlichen Zwänge führten zu einem Umdenken bei der BVG.<br />

Der <strong>Berlin</strong>er Senat unter Eberhard Diepgen beauftragte die BVG mit<br />

einer umfassenden Optimierung des Angebots, der Tarifstruktur und<br />

der Außendarstellung. In den folgenden Jahren zeigte sich, dass derart<br />

weitreichende Veränderungen auch professionell kommuniziert werden<br />

müssen, sodass die Marketingabteilung der BVG nach und nach einen<br />

anderen Stellenwert innerhalb der Organisation erhielt. In dieser Zeit,<br />

1988, wurde Konrad Lorenzen neuer Geschäftsführer der BVG. Mit<br />

Lorenzen, der zuvor Berufserfahrung bei der Hamburger Hochbahn<br />

und der Märkischen Verkehrsgesellschaft (MVG) in Lüdenscheid<br />

gesammelt hatte, wurde der Wandel der BVG von einer Behörde zu einem<br />

kundenorientierten Unternehmen deutlich. Aus dem ‚Beförderungsfall‘<br />

wurde nach und nach der Fahrgast und schließlich der Kunde.<br />

1 1988 Insgesamt wurden drei<br />

Varianten des Logos präsentiert.<br />

2 1988 Für das Unternehmens kürzel<br />

BVG wurde die Schrift Univers 67<br />

verwendet und abgerundet. Die<br />

Kreise wurden aus der Krone des<br />

vereinfachten <strong>Berlin</strong>er Wappens<br />

abgeleitet. Darüber hinaus sollten<br />

die Kreise Elemente eines Liniennetzes<br />

symbolisieren.<br />

3 1988 Die Variante mit dem<br />

Rahmen wurde als Empfehlung<br />

ausgesprochen.<br />

Für eine professionelle Marktkommunikation fehlten jedoch die Grundlagen.<br />

Vor diesem Hintergrund wurde als erster Schritt zu einem professionellen<br />

Marktauftritt ein neues Corporate Design für die BVG ausgeschrieben.<br />

Am 21. Dezember 1988 reichte die <strong>Berlin</strong>er Marketingagentur<br />

Communication Consulting eine Wettbewerbspräsentation für ein<br />

neues Erscheinungsbild sowie ein Informations- und Leitsystem ein – die<br />

BVG entschied sich dafür. Warum MetaDesign nicht eingeladen wurde,<br />

<strong>ist</strong> nicht bekannt. Möglicherweise hat der Auftritt von Erik Spiekermann<br />

bei der Präsentation des Gestaltungskonzeptes im Vorjahr zu dieser<br />

Entscheidung beigetragen.<br />

4 1988 Etwas rudimentär werden<br />

die Gestaltungsbeispiele in einer<br />

A3-Präsentation gezeigt. Diese<br />

Herleitung zeigt die Entwicklung<br />

vom 1956 eingeführten Logo bis<br />

zum neuen Vorschlag.<br />

Markt- und Kunden orientierung der BVG 1988 – 1989 201


1 2<br />

3


Peer Schmidt-Paulus war damals der verantwortliche Projektmanager<br />

bei Communication Consulting:<br />

Peer Schmidt-Paulus, damals Communication Consulting – Projektmanager<br />

Überprüfung durch den Landesrechnungshof<br />

Soweit ich mich erinnere, hat die BVG im Rahmen einer Wettbewerbspräsentation<br />

zwei Agenturen und ein Grafikbüro kontakt<br />

iert. Bei dem Grafikbüro handelte es sich um das Büro von<br />

Professor Kapitzki von der Hochschule der Künste <strong>Berlin</strong><br />

(HdK), heute Universität der Künste <strong>Berlin</strong> (UdK). An die<br />

dritte Agentur erinnere ich mich nicht mehr. Es war also keine Ausschreibung<br />

im Sinne eines Haushaltsverfahrens, wie wir es heute<br />

kennen, sondern eine begrenzte Wettbewerbspräsentation mit<br />

anschließender Beauftragung.<br />

In der Zusammenarbeit mit der BVG gab es dann Probleme mit<br />

dem zu zahlenden Honorar. Der Verzicht auf eine Ausschreibung<br />

entsprach wohl nicht dem rechtlichen Rahmen der Landeshaushaltsordnung.<br />

Für diesen Fehler war der Vorstand der BVG verantwortlich.<br />

Dieser Umstand führte zu einer Prüfung durch den<br />

Landesrechnungshof. Ergebnis: Die BVG hatte zwar grenzwertige<br />

Aufträge vergeben, ein Verstoß gegen einschlägige Gesetze<br />

oder Verordnungen konnte jedoch nicht festgestellt werden.<br />

Die Geschäftsbeziehung zwischen BVG und Communication<br />

Consulting war jedoch belastet. Schließlich wurde der Agentur<br />

der Auftrag entzogen.<br />

1 1988 Für das Informations- und<br />

Leitsystem sollten die von Otl<br />

Aicher für die Olympischen Spiele<br />

1972 entworfenen Piktogramme<br />

verwendet werden.<br />

2 1988 Die Piktogramme wurden<br />

von der Firma ERCO vertrieben.<br />

3 1988 Für die Schilder sollte auf<br />

das bestehende Trägersystem von<br />

ERCO zurückgegriffen werden,<br />

das Anfang der siebziger Jahre in<br />

Zusammenarbeit mit Otl Aicher<br />

für den Frankfurter Flughafen<br />

entstand. Die Kombination von<br />

Trägersystem und Piktogrammen<br />

wurde in der Wettbewerbspräsentation<br />

als enorme Kostenersparnis<br />

dargestellt.<br />

Erschwerend kam hinzu, dass der Vorstand bei der internen<br />

Kommunikation des Projekts eine Reihe von gravierenden Fehlern<br />

begangen und es versäumt hatte, sich die Unterstützung des<br />

Personalrats und der Belegschaft zu sichern. So kam es zu mehr<br />

oder weniger direkten Konfrontationen zwischen Belegschaft<br />

und Geschäftsführung der BVG. Zudem sorgten die bereits an die<br />

Öffentlichkeit durchgesickerten Entwürfe für erheblichen medialen<br />

Gegenwind. Hier hatten Communication Consulting und<br />

die BVG keine glückliche Hand.<br />

Nachdem die Entwürfe an die Öffentlichkeit gelangt waren, begannen<br />

hitzige Debatten. Die Vorbehalte waren damals sehr groß. Es entstand<br />

eine negative Grundstimmung, die sogar von Personalräten und Gewerkschaften<br />

getragen wurde. Die Öffentlichkeit und die Politik griffen diese<br />

Stimmung auf.<br />

→ auf den nächsten Seiten:<br />

1989 Alles neu macht der Lorenzen,<br />

<strong>Berlin</strong>er Verkehrs Blätter,<br />

August 1989, Seite 160, 161.<br />

Markt- und Kunden orientierung der BVG 1988 – 1989 203


1<br />

2<br />

3


Bodo Baumgardt, damals BVG – Stellvertretender Marketingleiter<br />

Zwei Spiegeleier und fertig <strong>ist</strong> das Logo<br />

Der Vorschlag für das neue Logo löste sofort eine große Diskussion<br />

aus. Viele Mitarbeiter der BVG gingen auf die Barrikaden und<br />

sagten: „Erst wird der <strong>Berlin</strong>er Bär abgeschafft und morgen bin<br />

ich dran.“ Viele waren verunsichert und sahen die Vorboten einer<br />

Privatisierung. Das hatten wir unterschätzt. Wir hatten auch die<br />

Kosten unterschätzt. Es war eine Katastrophe. Für die Boulevardpresse<br />

war das natürlich ein gefundenes Fressen. Die haben dann<br />

angefangen zu simplifizieren. Sinngemäß hieß es dann: „Aha, das<br />

<strong>ist</strong> ja genial. Zwei ‚Spiegeleier‘ und fertig <strong>ist</strong> das Logo. Und dafür<br />

werden Millionen DM ausgegeben.“ Und unter diesen Voraussetzungen<br />

sollten wir dann das Konzept in die Realität umsetzen. Das<br />

ging einfach nicht. Außerdem wurde das Projekt dann von einigen<br />

BVG-Mitarbeitern gezielt unterlaufen. Es gab mehrere Informationsveranstaltungen<br />

mit Mitarbeitern, die alle nichts gebracht<br />

haben. Es wurde argumentiert: „Mensch, ihr wollt alle Busse neu<br />

streichen und ich versuche seit fünf Monaten einen Eimer Farbe<br />

zu bekommen, um die Decke in meinem Zugabfertigerhäuschen<br />

zu streichen.“ Niemand hatte die Idee, alle Busse auf einmal weiß<br />

zu streichen. Die Lackierung sollte immer dann erfolgen, wenn<br />

ein Bus zur Hauptuntersuchung musste und ohnehin neu lackiert<br />

wurde. Das Gleiche galt für die Haltestellensäulen, die nicht auf<br />

einmal, sondern nach und nach ausgetauscht werden sollten. Wir<br />

haben damals zwar kommuniziert, dass alles im Zuge von Modernisierungen<br />

und Erneuerungen geändert werden muss, aber auch<br />

diese Argumentation hat nicht geholfen. Der Widerstand in allen<br />

Abteilungen war enorm.<br />

Konrad Lorenzen, damals BVG – Geschäftsführer, Vorstand<br />

Im Haifischbecken der BVG<br />

1 1988 Visitenkartenentwurf.<br />

2 1988 Bei diesem Fahrscheinentwurf<br />

wurde mit Blindtexten<br />

gearbeitet.<br />

1988, als ich bei der BVG anfing, war für mich ein traumatisches<br />

Jahr. Eine fast traumatische Erinnerung. Was für ein Durcheinander.<br />

Kaum in <strong>Berlin</strong>, ging es los. Von Anfang an befand ich mich<br />

im Haifischbecken von Belegschaft, Gewerkschaft und Personalrat.<br />

Schon während der ersten Betriebsversammlung, als ich mich<br />

vorstellte und für Neuerungen und Modernisierungen plädierte,<br />

wurde ich vom amtierenden Personalratsvorsitzenden Wilfried<br />

Mehner vor 4000 versammelten Mitarbeitern der Überheblichkeit<br />

und des Provinzialismus bezichtigt. Ich wurde als Bolle vom Lande<br />

beschimpft, der keine Ahnung von einem Großunternehmen habe.<br />

3 1988 Alle Verkehrsmittel der BVG<br />

sollten weiß lackiert werden.<br />

Markt- und Kunden orientierung der BVG 1988 – 1989 207


PosAuf<br />

PosHin<br />

a<br />

NegAuf<br />

NegHin<br />

1<br />

a<br />

2<br />

a<br />

3<br />

4


Schon in den Kursbüchern ergaben sich aufgrund der teilweise sehr langen<br />

Stationsnamen Platzprobleme und Erik Spiekermann wusste, dass<br />

in einem Informations- und Leitsystem tendenziell noch weniger Platz<br />

zur Verfügung steht. So entstand die Idee, auf Basis der Frutiger Condensed<br />

eine leicht angepasste, schmal laufende Schrift zu entwerfen.<br />

Erik Spiekermann, damals MetaDesign – Gründer, Geschäftsführer, Gestalter<br />

Eiswaffeln und Pommestüten per Knopfdruck<br />

Die Frutiger war für unser Projekt ideal, aber leider etwas zu<br />

breit. Dann fiel uns ein, dass es bei Linotype auch eine Frutiger<br />

Condensed gab, von der es aber keine digitale Version gab, die<br />

wir am Computer hätten verwenden können. Linotype hatte die<br />

Schrift nur für die CRTronic, eine digitale Fotosatzmaschine, die<br />

aussah wie ein Computer aus den Achtzigern. Ich ließ dann in der<br />

Haussetzerei von Linotype in Messel bei Darmstadt einen Abzug<br />

des gesamten Alphabets der Schrift drucken. Diese Abzüge<br />

waren dann der Ausgangspunkt für unsere neue digitale Schrift.<br />

1 1991 BVG PosAuf (Positiv,<br />

Auflicht) für Schilder mit hellem<br />

Hintergrund, die indirekt beleuchtet<br />

werden. BVG PosHin (Positiv,<br />

Hinterleuchtung) für Schilder mit<br />

hellem Hintergrund, die hinterleuchtet<br />

werden.<br />

2 1991 BVG NegAuf (Negativ,<br />

Auflicht) für Schilder mit dunklem<br />

Hintergrund, die indirekt beleuchtet<br />

werden. BVG NegHin (Negativ,<br />

Hinterleuchtung) für Schilder mit<br />

dunklem Hintergrund, die hinterleuchtet<br />

werden.<br />

Soweit ich mich erinnere, war Lucas de Groot damals bei Meta-<br />

Design hauptverantwortlich für die Entwicklung der neuen<br />

Schrift. Ausgehend vom Original der Frutiger Condensed<br />

haben wir dann einige optische Anpassungen vorgenommen.<br />

Einige Umlaute und Satzzeichen haben wir rund statt eckig<br />

gemacht, da beispielsweise eckige i-Punkte bei schlechten<br />

Sichtverhältnissen schnell als ‚l‘ wahrgenommen werden können.<br />

Runde Umlaute oder Satzzeichen sind wesentlich besser zu<br />

unterscheiden. Bei der BVG gab es damals zahlreiche alte, aber<br />

noch funktionsfähige hinterleuchtete Schilder. Neben den Normalschriften<br />

für den Druck (BVG Normal, etc.) haben wir Positiv- und<br />

Negativschriften für hinterleuchtete Schilder (BVG PosHin, BVG<br />

NegHin) sowie Positiv- und Negativschriften für beleuchtete<br />

Schilder (BVG Pos aUF, BVG NegAuf) entwickelt. Das haben wir<br />

gemacht, weil beispielsweise bei Hinterleuchtung eine weiße<br />

Fläche die schwarzen Buchstaben überstrahlt: Die Schrift wirkt<br />

leichter und dünner. Die BVG PosHin wurde daher fetter gezeichnet<br />

und enger spationiert, um den gleichen optischen Eindruck<br />

wie die als Referenz dienende BVG PosAuf zu erzielen.<br />

Wir haben auch nützliche Funktionen eingebaut. So konnte man<br />

verschiedene Objekte wie das Logo, Produkt- oder Liniensignets<br />

über Tastenkombinationen aus der Schrift zusammensetzen und<br />

verwenden. Quasi per Knopfdruck. Heute <strong>ist</strong> das nichts Besonderes<br />

mehr, aber damals war das wirklich zukunftsweisend.<br />

3 1991 Rote Outline: BVG PosAuf.<br />

Schwarzer Buchstabe: BVG PosHin.<br />

4 1991 Rote Outline: BVG NegAuf.<br />

Weißer Buchstabe: BVG negHin.<br />

Harmonisierung und Erneuerung der BVG 1990 – 1994 243


1<br />

2<br />

3<br />

4


Viel Arbeit wurde in die Entwicklung der Italic-Schnitte gesteckt,<br />

also der echten Kursiven. Nachdem die Italic fast fertig war,<br />

schickte ich Adrian Frutiger unseren Entwurf. Er antwortete, dass<br />

er in seinen serifenlosen Schriften keine echten Italics, sondern<br />

nur schräggestellte Versionen mache, aber unsere Arbeit sei in<br />

Ordnung. Später besuchte ich ihn sogar einmal in der Schweiz.<br />

1 1991 Die Formensprache der<br />

von MetaDesign entwickelten<br />

Piktogramme wurde bewusst in<br />

Anlehnung an die von Otl Aicher für<br />

die Olympischen Spiele 1972 entworfenen<br />

Piktogramme entwickelt.<br />

Zum einen, weil die Formensprache<br />

weltweit etabliert war und zum<br />

anderen, weil die BVG diese Piktogramme<br />

bereits auf einigen älteren<br />

Schildern verwendete.<br />

2 1991 Alle Piktogramme wurden<br />

im Schriftformat zur Verfügung<br />

gestellt. Mit verschiedenen Tastenkombinationen<br />

konnten schnell<br />

und unkompliziert Piktogramme<br />

zusammengesetzt oder kombiniert<br />

werden.<br />

Etwa zur gleichen Zeit haben wir auch mit der Arbeit an den<br />

Piktogrammen begonnen. Denn das Informationssystem eines<br />

Verkehrsbetriebes muss jenseits von Bahnhofsnamen und<br />

Hinwe<strong>ist</strong>exten noch mehr le<strong>ist</strong>en: Signets wie die für U- oder<br />

S-Bahn, Liniensignets wie U1 oder S2, Hinweispfeile, Piktogramme<br />

für Not ausgänge, Feuerlöscher, Fahrkartenverkauf, Fahrradmitnahme,<br />

Toiletten oder für ‚unerwünschte‘ Gegenstände wie<br />

Eiswaffeln oder Pommestüten erleichtern die Verständigung und<br />

ersparen umständliche Erklärungen. Damit alle diese Zeichen<br />

bei der Erstellung schnell zur Verfügung stehen, haben wir sie<br />

im Schriftformat zur Verfügung gestellt. Auf diese Weise können<br />

sie auf jedem Computer in jedem Programm aufgerufen und in<br />

Dokumente eingebaut werden, sogar zweifarbig.<br />

Ursprünglich hieß die Schrift BVG. Irgendwann schlug ich vor, die<br />

Schrift bei Fontshop zu vertreiben um die Entwicklungskosten<br />

wieder hereinzuholen. MetaDesign und BVG waren die beiden<br />

Urheber. Die BVG fand den Vorschlag toll. Wir nannten die Schrift<br />

dann entsprechend ihrem Zweck Transit. Die Schriften der<br />

Transit- und auch der Piktogramm-Familie wurden dann Mitte<br />

der Neunziger über den Vertrieb von FontShop in <strong>Berlin</strong> dem<br />

freien Markt zugänglich gemacht. Inzwischen sind sie bei vielen<br />

deutschen und internationalen Verkehrsbetrieben von Karlsruhe<br />

bis San Francisco im Einsatz.<br />

3 1991 Einige Piktogramme haben<br />

einen Richtungsbezug. Auf diese<br />

Weise werden Richtungen ohne<br />

den Einsatz von Pfeilen angezeigt.<br />

4 1991 Tastenbelegung einer der<br />

drei Piktogramm-Schriften.<br />

→ auf den nächsten Seiten:<br />

A 1991 Übersicht aller BVG-<br />

Schriften.<br />

B 1996 Fontshop International<br />

übernahm ab 1996 den Vertrieb der<br />

Schriftfamilie Transit. Urheber<br />

waren BVG und MetaDesign. Die<br />

Schriften wurden auf Disketten<br />

ausge liefert.<br />

Harmonisierung und Erneuerung der BVG 1990 – 1994 245


A


B


1<br />

2<br />

3


es nur noch Harmonisierung der Fahrgastinformation. Das ging<br />

mindestens zwei oder drei Jahre so. Bis irgendwann die Presse<br />

das Wort Corporate Design im Zusammenhang mit dem Fahrgastinformationssystem<br />

verwendete und damit die Legiti mation schuf.<br />

Nach der Fusion von BVG und BVB bestand die Notwendigkeit, einen eindeutigen<br />

Absender in Form eines Logos beispielsweise auf Briefbögen<br />

oder Werbemitteln zu verwenden. MetaDesign wurde mit der Überarbeitung<br />

des Logos beauftragt.<br />

Bodo Baumgardt, damals BVG – Stellvertretender Marketingleiter<br />

Kompromiss aus der Restmasse<br />

Das neue Logo <strong>ist</strong> nicht entstanden, weil es so extrem schön oder<br />

alternativlos war. Was wir zusammen mit MetaDesign entworfen<br />

haben, war letztlich der logische Kompromiss aus der Restmasse<br />

des ersten gescheiterten Versuchs. Das Risiko, die Gegner eines<br />

neuen Logos auf den Plan zu rufen, wollten wir nicht eingehen.<br />

Also hieß es: „Weg mit den ‚Spiegeleiern‘ – die hat sowieso keiner<br />

verstanden.“ Übrig blieben das Quadrat und der Firmenschriftzug.<br />

Das Quadrat wurde noch gelb eingefärbt und fertig war das neue<br />

Logo. Es kam auf Drucksachen, Werbemitteln oder in der Fahrgastinformation<br />

zum Einsatz. Überall dort, wo auf den <strong>Berlin</strong>er<br />

Eigenbetrieb hingewiesen werden musste, wurde der <strong>Berlin</strong>er Bär<br />

über dem Logo in einem weißen Quadrat ergänzt. So <strong>ist</strong> es auch<br />

heute noch auf den Fahrzeugen und der Dienstkleidung zu sehen.<br />

1 1989 Ausgangspunkt für die<br />

Neugestaltung des Logos war das<br />

1989 eingeführte Logo der Agentur<br />

Communication Consulting.<br />

2 1992 Das neue Logo von Meta-<br />

Design. Die Kreise und der Rahmen<br />

des alten Logos wurden entfernt.<br />

Das Quadrat wurde komplett in<br />

einem neuen <strong>Gelb</strong> eingefärbt. Die<br />

alte Schrift wurde durch eine speziell<br />

für das Logo entworfene runde<br />

Frutiger ersetzt.<br />

Aber seien wir mal ehrlich: In komplexen Gestaltungssystemen<br />

spielt das Logo ohnehin nur eine untergeordnete Rolle. Im Falle<br />

der BVG <strong>ist</strong> das Produktdesign – also die Fahrzeuge – und die<br />

damit verbundenen Kontaktpunkte zur Fahrgastinformation<br />

viel wichtiger als das Aussehen des Logos. Erik hat mir einmal<br />

folgendes gesagt, was sich bis heute immer wieder bewahrheitet<br />

hat: „Ein überbewertetes Logo <strong>ist</strong> so hilfreich wie ein Loch im Kopf.<br />

Wenn es kein Gestaltungssystem gibt, kann auch ein besonders<br />

schönes Logo keine komplexen Kommunikationsaufgaben im<br />

Alleingang lösen.“<br />

3 1992 Neben dem quadratischen<br />

Logo wurde eine Erweiterung mit<br />

dem Hoheitszeichen in Form des<br />

<strong>Berlin</strong>er Bären entworfen. Diese<br />

wird überall dort eingesetzt, wo auf<br />

den Eigenbetrieb <strong>Berlin</strong> hingewiesen<br />

werden muss. Zum Beispiel<br />

auf Fahrzeugen, Gebäuden oder<br />

Dienstkleidungen.<br />

Harmonisierung und Erneuerung der BVG 1990 – 1994 289


1<br />

2


3<br />

1 1995 2.1 – Produktsignets: Farben<br />

und Anordnung, Basis elemente,<br />

Broschüre 1, Seite 18, 19.<br />

2 1995 2.3 – Liniensignets: Farben,<br />

Basis elemente, Broschüre 1,<br />

Seite 22, 23.<br />

3 1995 2.8 – Piktogramme: Zeichensatz<br />

BVG PictEins, Basis elemente,<br />

Broschüre 1, Seite 28.<br />

4 1995 2.8 – Piktogramme: Zeichensatz<br />

BVG PictZwo, Basis elemente,<br />

Broschüre 1, Seite 29.<br />

→ auf den nächsten Seiten:<br />

4<br />

1995 1 – Die allgemeinen<br />

Gestaltungsregeln, 1.2 – Der Grundaufbau,<br />

Informations- und Leitsystem,<br />

Broschüre 4, Seite 12, 13.<br />

333


Impressum<br />

© 2024 by jovis Verlag<br />

Ein Verlag der Walter de Gruyter GmbH, <strong>Berlin</strong>/Boston<br />

Das Copyright für die Texte liegt bei den AutorInnen.<br />

Das Copyright für die Abbildungen liegt bei den FotografInnen/<br />

InhaberInnen der Bildrechte.<br />

Alle Rechte vorbehalten.<br />

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek<br />

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der<br />

Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im<br />

Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.<br />

jovis Verlag<br />

Genthiner Straße 13<br />

10785 <strong>Berlin</strong><br />

www.jovis.de<br />

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ISBN 978-3-98612-218-8 (Hardcover)<br />

Auflage<br />

Erscheinung<br />

Herausgeber<br />

Autoren<br />

Gestaltung<br />

Satz<br />

Lektorat<br />

Herstellung<br />

Druckerei<br />

Papier<br />

Schrift<br />

Erste Auflage<br />

November 2024<br />

<strong>Berlin</strong>er Verkehrsbetriebe (BVG)<br />

Anstalt des öffentlichen Rechts<br />

Holzmarktstraße 15–17<br />

10179 <strong>Berlin</strong><br />

Lars Krüger<br />

Bodo Baumgardt<br />

Erik Spiekermann<br />

Axel Mauruszat<br />

Lars Krüger<br />

Erik Spiekermann<br />

Birgit Schmitz<br />

Leonie Paul<br />

Daniel Klotz<br />

Gutenberg Beuys Feindruckerei GmbH<br />

135 g/m² Sappi, Magno Volume<br />

neue Serie57® — Alexander Roth, Erik Spiekermann<br />

Anhang 447

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