29.12.2012 Aufrufe

Die DFS wird verramscht Kapitalprivatisierung Auswirkungen durch ...

Die DFS wird verramscht Kapitalprivatisierung Auswirkungen durch ...

Die DFS wird verramscht Kapitalprivatisierung Auswirkungen durch ...

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

ATC International<br />

Produktivität in der Flugsicherung<br />

oder: „Der Tanz um das goldene Kalb“<br />

<strong>Die</strong> Fluglotsen der Deutschen Flugsicherung haben es in<br />

den letzten Monaten erfahren müssen. Es gibt neben „safe,<br />

orderly and expeditious“ ein neues hehres Ziel in der <strong>DFS</strong>:<br />

die „Produktivität“! Und wie so oft <strong>wird</strong> einem neuen Ziel<br />

hinterher gehechelt, dabei bewährte Grundsätze über Bord<br />

geworfen, ohne die neuen ausreichend zu hinterfragen.<br />

Zunächst muß man überhaupt wissen, was die reine<br />

(Betriebswirtschafts-) Lehre als Produktivität definiert<br />

und welche Einschränkungen und Unzulänglichkeiten<br />

mit diesem Begriff verbunden sind. Produktivität ist der<br />

Quotient von Output und personellem Input im Produktionsprozess<br />

von Gütern und <strong>Die</strong>nstleistungen, d.h.<br />

die Menge an erzeugten Gütern oder <strong>Die</strong>nstleistungen<br />

pro eingesetztem Mitarbeiter. So weit, so gut, aber<br />

wie kann man den Output eigentlich messen? Geht<br />

es um die Herstellung von materiellen Gütern, so ist<br />

die Messung noch relativ simpel, es werden einfach<br />

die Stückzahlen erfasst. <strong>Die</strong> betriebliche Erfahrung<br />

hat jedoch gezeigt, dass Produktivitätssteigerungen<br />

ab einem bestimmten Schwellenwert zu einem überproportionalem<br />

Anstieg der Ausschußware führen,<br />

d.h. ein immer größerer Anteil der erzeugten Güter<br />

entspricht nicht mehr der gewünschten Qualität. Da<br />

man bekanntlich (ist das wirklich überall bekannt?)<br />

nicht nach zwei Variablen gleichzeitig optimieren kann,<br />

behilft man sich damit, einen gewissen Prozentsatz<br />

an Ausschußware zu tolerieren, der im Idealfall vor<br />

der Auslieferung an den Kunden aussortiert und abgeschrieben<br />

<strong>wird</strong>. Will man den Output an <strong>Die</strong>nstleistungen<br />

messen, <strong>wird</strong> die Sache schon verzwickter.<br />

<strong>Die</strong>nstleistungen sind ihrer Natur nach nicht mit Händen<br />

zu greifen, sondern müssen mehr oder weniger virtuell<br />

als <strong>Die</strong>nstleistungseinheiten definiert und gezählt<br />

werden. <strong>Die</strong> Qualität der <strong>Die</strong>nstleistung zeigt sich unmittelbar<br />

bei ihrer Erbringung und „Ausschuß“ kann<br />

vor der Auslieferung an den Kunden nicht aussortiert<br />

werden. Wird <strong>durch</strong> eine erhöhte Produktivität die<br />

Qualität einer <strong>Die</strong>nstleistung immer schlechter, so<br />

bekommt der Empfänger der <strong>Die</strong>nstleistung dies voll<br />

ab und <strong>wird</strong> sich wohl einen anderen „Lieferanten“<br />

suchen. Am besten verdeutlichen wir das mal an einem<br />

Beispiel: <strong>Die</strong> <strong>Die</strong>nstleistungseinheit eines Frisörs ist<br />

der Haarschnitt. Verdoppelt dieser Frisör nun seine<br />

Produktivität, indem er 20 statt 10 Kunden pro Tag<br />

die Haare schneidet, dabei aber so herumpfuscht,<br />

dass 5 Kunden beim Blick in den Spiegel in Ohnmacht<br />

fallen, so bringt ihn seine Produktivitätssteigerung<br />

auf lange Sicht um seine Existenz.<br />

Schauen wir uns nach diesen Vorüberlegungen doch<br />

einmal an, was in der <strong>DFS</strong> Produktivität bedeuten soll,<br />

also was unsere <strong>Die</strong>nstleistungseinheiten sein sollen,<br />

die mit möglichst geringem Personaleinsatz zu produzieren<br />

sind. Hätte man mich vor einem Jahr beauf-<br />

tragt, diese „Flugsicherungseinheiten“<br />

zu definieren, so wäre ich aufgrund der<br />

Komplexität unserer Aufgabe und dem<br />

alles überragenden hoheitlichen Auftrag,<br />

die Sicherheit im Luftverkehr zu<br />

gewährleisten, bis heute zu keinem<br />

Ergebnis gelangt. Vor demselben Problem<br />

stand man wohl auch in der Unternehmenszentrale<br />

und löste es wie den gordischen<br />

Knoten. In atemberaubender Vereinfachung<br />

wurde festgelegt: <strong>Die</strong> <strong>Die</strong>nstleistungseinheit<br />

der Flugsicherung ist die Flugminute im Sektor! Einfach<br />

genial, ganz einfach zu messen, ohne dass man<br />

sich um solche Nebensächlichkeiten wie Komplexität<br />

des Sektors, Verkehrszusammensetzung, Vertikalbewegungen,<br />

Schnittstellen, Anzahl der Luftnotlagen<br />

etc. kümmern muß! Gut, es gibt ein paar kleine Schönheitsfehler<br />

hier und da. So setzen z.B. qualitätsverbessernde<br />

Maßnahmen wie „shortcuts“ die Produktivität<br />

herab, während qualitätsmindernde Aktionen<br />

wie „delay vectors“ produktivitätssteigernd wirken,<br />

aber trotz allem haben wir einen neuen Popanz.<br />

Um diesen <strong>wird</strong> nun ein Tanz aufgeführt wie um das<br />

goldene Kalb. War man früher froh, Personal über den<br />

Durst zu haben, so werden heute Sektoren zusammengelegt<br />

und Personal vom Board genommen, wann immer<br />

die Möglichkeit besteht. Denn so <strong>wird</strong> die Produktivität<br />

nach Definition der <strong>DFS</strong> schlagartig verdoppelt! Hatte<br />

man früher als Lotse den Eindruck, der Wachleiter ist<br />

daran interessiert, die Belastung seiner Lotsen möglichst<br />

gering zu halten und so viele Sektoren wie<br />

möglich zu öffnen, so ist es heute im <strong>Die</strong>nste der so<br />

ungemein wichtigen Produktivität gerade umgekehrt.<br />

Immer öfter müssen Lotsen am Limit von Verkehrszahlen<br />

arbeiten, während Kollegen als stille Reserve<br />

vorgehalten werden. Ob dies im Sinne des Kastner-<br />

Gutachtens ist, darf mehr als bezweifelt werden. Und<br />

wenn <strong>durch</strong> Überbeanspruchung eines Lotsen die<br />

Qualität seiner <strong>Die</strong>nstleistung mal unter einen kritischen<br />

Wert sinken sollte, dann fallen keine Menschen vor<br />

einem Spiegel in Ohnmacht, sondern mit Flugzeugen<br />

vom Himmel.<br />

Zum Schluss noch eine Überlegung: Der in der<br />

Flugsicherung doch sehr zweifelhafte Begriff der<br />

Produktivität sollte eigentlich ein Weg zu größerer<br />

Wirtschaftlichkeit sein. Da stellt sich die Frage, was<br />

daran wirtschaftlich ist, wenn <strong>durch</strong> die Zusammenlegung<br />

von Sektoren zwar kein Cent an Personalkosten<br />

für Lotsen eingespart <strong>wird</strong>, <strong>durch</strong> die erhöhte Produktivität<br />

und damit erzielte Zielvereinbarungsprämien<br />

die gesamten Personalkosten jedoch erhöht werden?<br />

Ein Fluglotse und Diplom-Kaufmann<br />

29 der flugleiter 2006/02

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!